Baccara Extra Band 21

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ATEMLOSE LEIDENSCHAFT IN DEINEN ARMEN von DAY LECLAIRE
Ein Inferno der Lust überschwemmt Giannas, als Constantine sie küsst. Dabei wollte sie dem Millionär doch sagen, dass sie nicht mehr frei ist. Aber Gianna hat nicht mit dem feurigen Temperament des Italieners gerechnet: Er ist bereit, alles zu tun, um ihre Liebe zu retten …

VERGISS DIE SCHATTEN DER VERGANGENHEIT von ANNE MARIE WINSTON
Als Phoebe ihm auf dem Gipfel der Lust gesteht, dass sie ihn liebt, ist Wayne glücklich. In Gedanken plant er bereits die gemeinsame Zukunft. Doch Phoebe lehnt seinen Heiratsantrag ab. Glaubt sie noch immer, dass er den Tod ihrer Zwillingsschwester zu verantworten hat?

MAGIE EINER GEWITTERNACHT von BRENDA JACKSON
Eine Gewitternacht, wie sie aufregender nicht sein kann: Mit einer sexy Fremden in seinem Bett, deren Küsse so sinnlich sind … Am nächsten Morgen ist sie verschwunden. Nur ihren Spitzenslip hat sie zurückgelassen. Doch Derringer ist entschlossen, seine Traumfrau wiederzufinden!

HEISSE KÜSSE IM MONDSCHEIN von KATHERINE GARBERA
Ein Flirt im Büro? Nie wieder, denkt Astrid. Und dennoch widersteht sie nicht, als ihr neuer Boss sie eines Abends nach der Arbeit sanft berührt und im Mondschein küsst. Der Traum vom wahren Liebesglück scheint so nah - bis Henry hinter ihr wohlgehütetes Geheimnis kommt …


  • Erscheinungstag 25.02.2020
  • Bandnummer 21
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727017
  • Seitenanzahl 496
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Day Leclaire, Anne Marie Winston, Brenda Jackson, Katherine Garbera

BACCARA EXTRA BAND 21

PROLOG

„Bitte geh nicht.“

Constantine Romano schloss die Augen und kämpfte um Beherrschung. „Ich habe keine Wahl.“ Er musste gehen. Tat er es nicht, stand alles auf dem Spiel: seine Integrität, seine Ehre als Angehöriger der Familie Romano, alles, was ihn zu einem Mann machte.

„Dann lass mich mitkommen.“ Verzweifelt sah Gianna Dante ihn an. Tränen standen ihr in den Augen. „Ich … ich kann dir helfen.“

Er fühlte sich zwischen seiner Ehre und dem Verlangen nach ihr hin- und hergerissen. Sosehr er sich auch bemühte, sich zusammenzunehmen, er konnte ihr nicht widerstehen. Jedenfalls nicht ganz. Voller Leidenschaft küsste er sie. Sie war wirklich einzigartig. Wunderschön, intelligent, atemberaubend. Noch nie hatte er sich zu einer Frau so hingezogen gefühlt.

Sie hatten sich kennengelernt, als Ariana, seine Schwester, Giannas Cousin Lazz geheiratet hatte. Als er damals ihre Hand ergriffen hatte, hatte ein ungeheures Verlangen ihn überwältigt. Nimm sie, hatte es ihm befohlen. Sie muss dein sein!

„Ich begreife das alles nicht“, gestand er ihr. Wie konnte er nur so versessen auf sie sein, nach nur einem Wochenende so überzeugt davon, dass sie die einzig Richtige für ihn war? „Wir kennen uns erst ein paar Tage, und schon weiß ich, dass ich den Rest meines Lebens mit dir verbringen will. Wie kann das sein?“

Schuldbewusst sah sie ihn an. Dabei hatte sie keinen Grund, sich schuldig zu fühlen. Sie konnte doch nichts dafür, dass er sie so begehrte.

Sein Drang, mit ihr zu schlafen, war fast übermächtig, aber ohne dass sie es ihm gesagt hatte, wusste er, dass sie noch Jungfrau war. Mit ihr etwas anzufangen, ohne dass sie zumindest verlobt waren, würde sie entehren und Schande über seine und ihre Familie bringen. Erst musste er finanziell in der Lage sein, sie zu heiraten.

„Mich hat dieses plötzliche Begehren auch wie ein Blitz getroffen“, gestand sie ihm. Unendliche Trauer lag in ihren Augen. „Bitte, du darfst nicht gehen.“

„Ich will ja auch nicht weg, piccola. Aber ich will dir etwas bieten können, mehr als nur meinen Namen. Und deshalb muss ich zurück nach Italien.“

„Für wie lange?“

Leider hatte er darauf keine Antwort. „Bis mein Restaurierungsunternehmen richtig läuft. Bis ich genug Geld verdiene, um eine Frau ernähren zu können.“ Sie wollte widersprechen, aber er legte ihr sanft den Zeigefinger auf die Lippen. „Bitte, Gianna. Du darfst nicht von mir verlangen, dass ich gegen meine Grundsätze verstoße. Ich komme zurück, sobald es geht. Und dann bitte ich dich, meine Frau zu werden. Das schwöre ich dir beim guten Namen meiner Familie.“

„Ich werde auf dich warten“, versicherte sie ihm. „Und du weißt, dass ich warten werde. In der Zwischenzeit können wir so oft wie möglich telefonieren.“ Ihre Mundwinkel zuckten, aber sie riss sich zusammen. „Und dann gibt es ja noch E-Mails. Und ich werde so oft wie möglich nach Italien fliegen. Vielleicht kannst du ja auch mal kommen, wenn du ein paar Tage freihast.“

Ihre hoffnungsvollen Worte machten es ihm noch schwerer. Zärtlich ergriff er ihre Hand. „Gianna, wenn ich so schnell wie möglich zu dir zurückkehren will, muss ich mich voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren. Vierundzwanzig Stunden am Tag. Nur so kann es funktionieren.“

Misstrauisch runzelte sie die Stirn. „Was soll das heißen?“

„Dass du mich von meinem Ziel ablenken würdest. Wenn du mit mir kommen würdest, wenn du mich besuchen würdest oder wir ständig über Telefon und E-Mail in Kontakt wären, könnte ich mich nicht ausschließlich aufs Geschäft konzentrieren. Und gerade jetzt braucht es meine völlige Aufmerksamkeit. Ich muss alle meine Zeit meinem Unternehmen Romano Restoration widmen, nur dann ist gewährleistet, dass ich wirklich schnell – und dann endgültig – zu dir zurückkehren kann.“

Sie hielt den Atem an. „Oh nein, Constantine! Ist das wirklich dein Ernst? Wir sollen nicht telefonieren, nicht mal E-Mails schreiben?“

Ihn schmerzte es unendlich, sie so leiden zu sehen. Aber er durfte nicht nachgeben. „Bitte versteh das doch, amore. Bitte vertrau mir.“

Verstohlen wischte sie sich eine Träne weg. „Na gut, Constantine, wenn du meinst, es muss sein, dann machen wir es so.“ Sie machte eine kurze Pause. „Aber du kommst zurück – und zwar bald, ja?“

„So schnell es geht“, versprach er feierlich.

Dann erhob er sich und ging. So schwer es ihm auch fiel, er zwang sich dazu, sich nicht noch einmal umzudrehen. Bei jedem Schritt spürte er die wundersame Verbindung zwischen ihnen, die ihn zwingen wollte, Gianna in die Arme zu schließen. So etwas hatte er noch nie erlebt. Oh ja, er würde zu ihr zurückkehren. Er hatte keine Wahl. Aber es würde nach seinen Regeln geschehen.

Bald. Lieber Gott, hoffentlich bald.

Gianna sah Constantine traurig nach. Hätte sie es ihm sagen müssen? War es ein Fehler gewesen, ihm nichts vom Inferno zu verraten – jenem unerklärlichen Familienvermächtnis, das für ein Kribbeln in der Handfläche sorgte, wenn ein Mitglied der Familie Dante den ihm vorherbestimmten Seelengefährten traf? Sie hatte ihre Gründe gehabt zu schweigen, und die würden ihm nicht gefallen.

Nachdenklich schloss sie die Augen. Das Inferno hatte schon fast all ihre Verwandten heimgesucht – ihre männlichen Verwandten. Weil sie das einzige weibliche Familienmitglied aus dieser Generation war, hatte niemand gewusst, ob das Inferno auch Frauen betraf. Erst seit sie und Constantine sich zum ersten Mal berührt hatten, kannte sie die Antwort. Es betraf auch Frauen!

Sie hatte sich entschlossen, Constantine das Familiengeheimnis zunächst lieber zu verschweigen. Zwar kannte sie ihn noch nicht lange, aber eins war ihr sofort klar geworden: Er war ein Mann, der das Schicksal lieber in die eigenen Hände nahm, der alles bestimmen wollte. Wenn er erfuhr, dass das Begehren und die Leidenschaft, die er verspürte, vom Inferno ausgelöst wurden – wie würde er reagieren? Würde er sich veranlasst sehen, dagegen anzukämpfen? Sie kannte ihn einfach noch zu wenig, um das mit Bestimmtheit sagen zu können. Deshalb würde sie das Geheimnis um das Inferno erst einmal für sich behalten.

Jetzt blieb ihr nichts zu tun, als auf Constantines Rückkehr zu warten. Abzuwarten und dann zu sehen, ob das Inferno real war – oder nur eine Illusion. Ob ihre Familie, die fest daran glaubte, recht hatte – oder ob die Wahrheit eine andere war. Denn vor Jahren hatte sie etwas aufgedeckt, was sie bisher sorgsam für sich behalten hatte. Die Zeit würde es zeigen.

Bald. Lieber Gott, hoffentlich bald.

1. KAPITEL

Er war zurückgekehrt.

Constantine Romano betrat den Raum mit einer Selbstsicherheit, als ob ihm hier alles gehörte. So war er eben, männlich, aristokratisch, siegesgewiss. Er trug sein Haar jetzt etwas länger, ansonsten wirkte er unverändert. Sein entschlossener Blick weckte Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, an gefährliche Piraten und Ehrenduelle. Bei aller Eleganz, die er ausstrahlte, war er im Inneren doch ein Mann der Tat. Einer, der bereit war, alles zu riskieren, alle herauszufordern, um das zu bekommen, was er wollte.

Und er wollte sie.

Ein Schauer lief Gianna Dante über den Rücken. Bald würde sie ihm gegenübertreten müssen. Ihr erstes Zusammentreffen lag über anderthalb Jahre zurück, und vieles hatte sich geändert. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob es damals wirklich das Inferno gewesen war, das Constantine getroffen hatte. So oder so. Sie tat also gut daran, auf das Treffen vorbereitet zu sein.

„Gianna? Schaust du bitte noch mal, ob dir die Vitrinen mit den Ausstellungsstücken so gefallen?“

Die Aufforderung holte sie in die Wirklichkeit zurück. Morgen sollte die traditionelle Mittsommernachtsgala der Dantes stattfinden, und es gab noch viel zu organisieren. Als Eventmanagerin musste sie sich um alles kümmern – das Catering, die Dekorationen, die Ausstellungsstücke. Zum Glück hatte sie eine hervorragende Assistentin, die ebenso gewissenhaft und detailverliebt war wie sie.

„Ja, Tara. Ich komme sofort.“

Natürlich musste Constantine genau zwischen ihr und den Vitrinen stehen. Auch egal, dachte sie, ich muss die Begegnung mit ihm hinter mich bringen. Alles halb so wild, sagte sie sich. Die intensiven Gefühle, die sie an jenem Wochenende verspürt hatte, waren nach und nach abgeebbt. Die ersten Monate hatte sie noch voller Spannung gewartet, doch allmählich hatte es nachgelassen. So intensiv sie damals das Inferno auch empfunden hatte – es schien zur Ruhe gekommen zu sein. Damit konnte sie umgehen. Sie würde Constantine einfach klarmachen, dass das Leben weitergegangen war, dass sie sich geändert hatte.

Während sie langsam den Ballsaal durchquerte und auf ihn zuging, war sie froh, dass sie sich heute so sexy angezogen hatte. Das leuchtend rote Jackett und der enge kurze Rock betonten ihre weiblichen Vorzüge.

Sollten ihm ruhig die Augen übergehen. Sollte es ihm ruhig leidtun!

Als sie auf dem Weg zu ihm war, wandte er sich plötzlich um und entdeckte sie. Sofort kam er auf sie zu, mit einer Entschlossenheit, die sie fast in die Flucht geschlagen hätte. Und kaum war er bei ihr, nahm er sie in die Arme und küsste sie, noch bevor sie protestieren konnte. Es war ein besitzergreifender Kuss, der sie derart überwältigte, dass sie nicht imstande war, sich zu widersetzen. Und sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Es war so lange her, dass sie sich zum letzten Mal berührt hatten – neunzehn Monate, fünf Tage, acht Stunden und ein paar Minuten, um genau zu sein. Bei der ersten Berührung hatte das Inferno ein unbezwingliches Begehren in ihnen ausgelöst – aber nach nur einem Wochenende voller Glückseligkeit hatte er sie verlassen.

Nun fühlte sie sich hin- und hergerissen zwischen Freude und Verzweiflung. Über eineinhalb Jahre hatte er sie warten lassen. Das war zu lange gewesen. Warum kam er jetzt? Gerade jetzt, wo sie sich damit abgefunden hatte, dass sie wohl nicht so eine Inferno-Liebesgeschichte wie ihre Verwandten erleben würde?

Das war nicht fair.

„Hör auf“, bat sie schließlich. „Wir sollten das nicht tun. Es ist falsch.“

Wie sollte sie es ihm nur beibringen? Wie sollte sie ihm sagen, was ihr fast das Herz brach? Dass das Leben für sie weitergegangen war, sie jemand anderen gefunden hatte.

„Ich soll aufhören?“, fragte er und lächelte gewinnend. „Was redest du da, piccola? Nach all der langen Zeit sind wir endlich wieder zusammen. Das ist doch wunderbar. Was sollte daran falsch sein?“

Sie entwand sich seiner Umarmung und strich ihre Kleidung glatt, die unter seinem Ansturm gelitten hatte. „Schön, dich wiederzusehen“, sagte sie.

„Schön, mich wiederzusehen?“, fragte er verblüfft. „Was ist denn das für eine Begrüßung?“

Sein Tonfall klang geradezu bedrohlich. Das würde schwieriger werden als erwartet! „Bist du geschäftlich hier? Vielleicht findest du ja ein Stündchen Zeit, meine Großeltern zu besuchen, bevor du nach Italien zurückmusst.“ Sie lächelte, um ihre Nervosität zu verbergen. „Erst gestern haben sie sich nach dir erkundigt.“

„Gianna, begreift du denn nicht? Ich bin nach San Francisco umgezogen.“

Nein, nein, nein! Das war mehr als gemein! Nicht jetzt, nicht nach dieser langen Zeit. Sie setzte ein maskenhaftes Lächeln auf und bemühte sich, so unbeteiligt wie möglich zu wirken. „Ach, tatsächlich? Herzlichen Glückwunsch.“

„Ist das alles, was du mir zu sagen hast? Herzlichen Glückwunsch?“

Das Lächeln schwand aus ihrem Gesicht. Wut und Schmerz brachen sich Bahn. „Was willst du von mir, Constantine?“, fragte sie erregt. „Es ist jetzt fast zwei Jahre her. Ich habe das Ganze hinter mir gelassen. Und das solltest du auch tun.“

Erschrocken zuckte er zurück. „Hinter dir gelassen? Was soll das heißen?“

„Tu nicht so. Du hast mich sehr gut verstanden.“

„Das heißt … es gibt jemand anderen?“

„Genau. Es gibt jemand anderen.“ In diesem Moment bemerkte sie, dass alle Anwesenden sie anstarrten. Sie errötete. „Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, ich habe zu tun. Für die Gala morgen ist noch jede Menge zu erledigen.“

„Selbstverständlich“, sagte er mit kalter Stimme. „Lass dich von mir nur nicht von deinen Pflichten abhalten.“

Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab und ging zur nächstbesten Vitrine. Den Inhalt nahm sie kaum wahr. Schließlich habe nicht ich unsere Beziehung beendet, dachte sie sich. Wir hatten ein paar wunderschöne Tage, und dann hat er sich einfach aus dem Staub gemacht. Dass ihm das scheinbar mühelos gelungen war, nährte ihre Zweifel am Inferno. Ihre Familie kannte nämlich nicht die ganze Wahrheit über dieses Phänomen. Sie schon. Mit dreizehn hatte sie nämlich etwas mit angehört, was ihr die Augen geöffnet hatte.

Und was Constantine anging – wenn er wirklich ebenso viel Begehren wie sie verspürt hatte, war er offenbar während der langen Zeit erstaunlich gut damit klargekommen. Hatte es einfach abgeschaltet, während er sich um Wichtigeres kümmerte, um sein Geschäft. Wie dumm ich gewesen bin, schoss es Gianna durch den Kopf. Monatelang habe ich mich nach ihm verzehrt. Hätte er nur halb so viel für mich empfunden, wäre er gar nicht erst nach Italien abgereist. Ich muss ihm ziemlich egal sein. Auf jeden Fall kann er mich nicht wirklich lieben.

Wenn sie ihm jetzt nachgab, würde er sie besitzen, mit Haut und Haaren, Körper und Geist. Aber was hätte sie? Einen Mann, der sie ganz nach Wunsch und ohne mit der Wimper zu zucken fallen lassen konnte, ohne dass es ihm sonderlich leidtat. Nein, so etwas brauchte sie nicht. Dafür war sie sich zu schade.

Das Inferno, soweit sie überhaupt daran glaubte, schien diesmal nur in einer Richtung funktioniert zu haben. Hätte es auch Einfluss auf ihn gehabt, dann hätte er nicht so lange fortbleiben können, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu melden. Na schön, dachte sie, wenn er es abschalten kann, kann ich es auch. Irgendwie wird es schon gehen. Und wenn es mich umbringt. Sie schloss die Augen, um die Tränen zu unterdrücken.

Oh Gott, wie sie ihn liebte!

Figlio di puttana! Constantine blickte Gianna wütend nach. Neunzehn Monate, fünf Tage, acht Stunden und ein paar Minuten hatte er ununterbrochen daran gearbeitet, sein Unternehmen Romano Restoration zum Erfolg zu führen. Jetzt war er endlich so weit, den Hauptsitz nach San Francisco zu verlegen. All das, um Gianna auch finanziell etwas bieten zu können, wenn er ihr einen Heiratsantrag machte. Und jetzt, wo er endlich dazu in der Lage war, zeigte ihm die einzige Frau, die er wirklich wollte, die kalte Schulter. Machte sich mit einem Hüftschwung davon, der ihn vor Begehren fast in den Wahnsinn trieb.

Ein anderer Mann! Er ballte die Hände zu Fäusten. Wie konnte sie es wagen …? Er hatte ihr doch versprochen zurückzukehren, sobald er so weit war, und sie hatte ihm versprochen zu warten. Mehr als anderthalb Jahre lang hatte er auf dieses Ziel hingearbeitet. Und jetzt wandte sie sich so einfach ab? Fühlte sie es denn nicht – die Flammen, die hell aufloderten, wenn sie sich gemeinsam in einem Raum befanden?

Er blickte auf seine geballten Fäuste und versuchte, das heftige Kribbeln in seiner rechten Hand zu ignorieren. Dieses Kribbeln, das er zum ersten Mal verspürt hatte, als Gianna ihm zur Begrüßung die Hand gegeben hatte. Und das seitdem nie verebbt war, egal wie weit sie voneinander entfernt waren.

Constantine wusste sehr wohl, was es war. Gianna hatte es ihm zwar nicht verraten. Aber seine Schwester Ariana, die Lazz Dante geheiratet hatte, hatte ihm alles über das Inferno erzählt. Diese Dantes mit ihrem verflixten Inferno! Es hatte ihnen noch nicht gereicht, seine Schwester einzufangen. Nein, aus irgendeinem Grund hatte die einzige weibliche Dante ihn ausgesucht und ihm mithilfe des Infernos die Selbstbeherrschung geraubt. Seitdem fühlte er sich hoffnungslos gefangen, und der einzige Ausweg schien zu sein, dem Begehren nachzugeben.

Und nun konnte er nicht mal das tun, weil Gianna angeblich alles „hinter sich gelassen“ hatte. Am liebsten hätte er laut aufgeschrien. Aber so würde er sie nicht davonkommen lassen. Sie würde schnell erkennen müssen, dass man einen Constantine Romano nicht einfach „hinter sich ließ“. Wo immer sie auch hinging, er würde da sein. Und wenn sie zwischenzeitlich wirklich jemand anderen mit dem Inferno verhext hatte – nun, dann hatte derjenige eben Pech gehabt.

Egal welche Mühe es ihn kosten würde, egal ob sie damit einverstanden war oder nicht, er würde Gianna für sich gewinnen. Auch wenn das Inferno ihm seine Selbstbeherrschung geraubt hatte, durch die Heirat würde er sie zurückgewinnen. Wenn er erst den Ring am Finger trug und Gianna in seinem Bett hatte, würde dieses unheimliche Begehren nachlassen und er wieder die Oberhand gewinnen. Bis dahin – nun, man würde sehen. Nachdenklich betrachtete er sie aus der Ferne.

Oh Gott, wie sehr er sie begehrte!

„Hast du schon das Neueste gehört?“, fragte Elia Dante, Giannas Mutter. Sie saß auf einem Stuhl vor den Umkleidekabinen der Boutique Sinfully Delicious. „Nein, Gianna. Nicht das lachsfarbene Kleid. Nimm das bronzefarbene. Das steht dir besser.“

Gianna hielt sich nacheinander beide Kleider an und nickte dann zustimmend. Ihre Mutter hatte recht. Ihr Sinn für Mode war einfach unerreicht. „Das Neueste? Was meinst du?“

„Constantine Romano ist nach San Francisco gezogen. In den nächsten Tagen eröffnet er hier sein Unternehmen Romano Restoration. Offenbar hat er den ganzen Umzug von Italien aus organisiert.“

Gianna zuckte zusammen und war froh, dass sie Elia in diesem Moment den Rücken zuwandte. Eigentlich hätte sie damit rechnen müssen, dass ihre Mutter davon erfuhr. „Oh, das ist eine Überraschung“, sagte sie so unbeteiligt wie möglich.

„Findest du?“, fragte Elia. „Anscheinend hat er sein Unternehmen zum Erfolg geführt, ohne dass wir etwas davon mitbekommen haben.“ Sie hob eine Augenbraue. „Vielleicht wollte er eine gewisse junge Frau damit überraschen?“

Gianna seufzte. Ihre Mutter war die einzige Person, der sie anvertraut hatte, was zwischen Constantine und ihr geschehen war. Dem Rest Familie hatte sie es verheimlicht – aus Angst, sie würden sich einmischen. „Ach, was wir zusammen hatten – oder besser: was ich dachte, was wir zusammen hätten –, ist doch schon lange vorbei.“

„Das Inferno geht nicht vorbei, chiacchierona.“

„Vielleicht ja doch.“

Gianna wandte sich um und sah ihre Mutter an. Was sie wohl sagen würde, wenn sie die ganze Wahrheit über das Inferno kannte? Gianna hatte es bisher lieber für sich behalten. Vor vielen Jahren hatte sie mit angehört, wie Onkel Dominic es Tante Laura erklärt hatte. Und sie hatte auch mitbekommen, was er getan hatte, um sie beide vom Inferno zu befreien. Aber sie hatte nie gewagt, es jemandem zu erzählen. Das Risiko erschien ihr zu groß, dass die Wahrheit zahlreiche glückliche Beziehungen zerstören würde. Wenn ihre Verwandten an das Inferno glaubten, würden sie vielleicht nie entdecken, was Giannas Onkel und Tante erlebt hatten …

Dass das Inferno nämlich durchaus nicht zwangsläufig ewig anhielt.

Gianna zögerte. Sie konnte ihrer Mutter einfach nicht die ganze Wahrheit enthüllen, deshalb wählte sie ihre Worte sorgfältig. „Vielleicht ist es bei mir anders, weil ich eine Frau bin“, begann sie vorsichtig. „Vielleicht hat es diesmal nur in eine Richtung geklappt, und er empfindet nicht, was ich empfinde.“

„Dann wäre er nicht hier.“

„Eventuell kann ich ja das Inferno rückgängig machen …?“, deutete sie an.

Elia lachte. „Ha, das geht nicht. Das Inferno ist für alle Ewigkeit.“

Ist es nicht, dachte Gianna, behielt das aber lieber für sich. „Dass Constantine jetzt hier ist, spielt keine Rolle mehr. Es ist zu spät.“

„Aus deinen Worten spricht der Stolz“, erklärte Elia weise. „Nicht dein Herz.“

„Ich habe die alte Geschichte hinter mir gelassen“, verteidigte Gianna sich. „In letzter Zeit bin ich David d’Angelo nähergekommen.“

„Immerhin ist er Italiener, wie Constantine“, lenkte ihre Mutter ein. „Und er stammt aus einer guten Familie, auch wenn sie bei Weitem nicht so nobel und angesehen ist wie die der Romanos.“

„Vielleicht nicht, aber immerhin sind sie erfolgreiche Banker.“

In ein paar Monaten sollten sie sogar irgendeinen Preis für ihre Verdienste im Bankwesen erhalten. Und David sah wirklich gut aus, sehr gut sogar. Allerdings hatte sein Aussehen nichts Aufregendes an sich, nichts, was den Puls in die Höhe trieb, sondern wirkte eher gefällig, glatt und bieder. Und nett war er auch, wirklich nett. Obendrein intelligent, höflich und auch amüsant. Ein ganz klein wenig störte sie sein Anspruchsdenken, aber wer war schon vollkommen?

Dass er in Italien geboren war, hörte man ihm nicht an, denn er hatte viele Jahre im Ausland studiert. Ihn mit Constantine zu vergleichen fiel ihr schwer. Von der Intelligenz, die sie beide besaßen, einmal abgesehen, waren sie so unterschiedlich wie ein Paradiesvogel und ein Panther.

„David ist nicht wie Constantine“, murmelte Elia. Merkwürdig, genau dasselbe hatte Gianna auch gerade gedacht.

„Hauptsache, ich mag ihn. Sogar sehr. Darauf kommt es schließlich an, oder?“

„Mögen, was für ein blutleeres Wort. Wenn du kochende Leidenschaft haben kannst, warum solltest du dich dann mit einem lauwarmen ‚Mögen‘ zufriedengeben?“

„Weil es sicherer ist“, erwiderte Gianna leise.

Ja, sicherer. Es war riskant, den Löwen der Leidenschaft zu wecken. Das konnte in tiefster Verzweiflung enden. Vor allem, wenn es Constantine Romano betraf. Wenn sie stattdessen einen netten Kerl mochte, konnte nicht viel passieren.

„Ich habe übrigens mit Ariana darüber gesprochen.“

Auch das noch! „Sind sie und Lazz immer noch in Italien?“, fragte Gianna in der Hoffnung, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. Große Chancen dafür rechnete sie sich allerdings nicht aus.

„Ja, wahrscheinlich noch zwei Monate“, antwortete ihre Mutter und kam natürlich sofort wieder auf den kritischen Punkt zu sprechen. „Sie ist der Meinung, dass Constantine nur deinetwegen wieder nach San Francisco gekommen ist.“

„Constantines Schwester ist eben unheilbar romantisch. Jetzt jedenfalls. Das löst das Inferno in einem aus. Ich wette, bevor sie Lazz kennengelernt hat, war sie mehr der vernünftige, sachliche Typ.“ Gianna verzog das Gesicht. „Ja, so ist das Inferno. Es mischt sich ein, krempelt die Leute um.“

„Mit ein bisschen Glück wirst du auch bald umgekrempelt.“

In Elias Stimme klang die Liebe zu ihrem Mann Alessandro. Meine Eltern haben ihr Glück gefunden, dachte Gianna. Sicher, manchmal gibt es auch Streit, aber sie lieben sich wirklich leidenschaftlich und können sich hundertprozentig aufeinander verlassen.

„Nein danke. Ich glaube, ich halte mich lieber an David.“

„Jede Wette, dass Constantine versuchen wird, deine Meinung zu ändern. Und ich glaube, tief in deinem Inneren wünschst du dir, dass es ihm gelingt.“

Wenn das Inferno zwischen Constantine und mir doch auch nur hundertprozentig funktioniert hätte, dachte sie wehmütig. Dann wäre ich jetzt auch so glücklich wie meine Mutter.

Ja, wenn nur.

David war pünktlich wie immer. In seinem Frack wirkte er beinahe wie ein Filmstar. Er war ein ganz anderer Typ als Constantine, und er hatte fast ein Vierteljahr um Gianna werben müssen, bis sie sich endlich bereit erklärt hatte, mit ihm auszugehen.

Zur Begrüßung gab er ihr einen Kuss, der sie aber weit weniger beeindruckte als ein Kuss von Constantine. Wenn sie ehrlich war, ließ er sie völlig kalt. Das habe ich sicher dem Inferno zu verdanken, sagte sie sich. Ich kann nur hoffen, dass das, was ich bei der ersten Berührung mit Constantine gespürt habe, ein Irrtum war und wieder verfliegt. Dass ich irgendwann wenigstens einen Bruchteil dessen, was ich bei Constantine gespürt habe, auch für David empfinde. Irgendwann wird es so sein, irgendwann muss es so sein, egal was meine Verwandten glauben.

David schien nicht zu merken, dass ihre Küsse und Umarmungen wahre Leidenschaft vermissen ließen. Vielleicht hatte er auch nicht die Vergleichsmöglichkeit, die sie wegen des Infernos besaß. Bewundernd schaute er sie an. „Du siehst einfach umwerfend aus, Gia.“

„Danke.“

Da ihr bewusst war, wie kühl ihre Antwort geklungen haben musste, schloss sie ihn zur Entschädigung in die Arme. Was stimmte nur nicht mit ihr? David war doch so ein toller Mann! Er ließ keinen Zweifel daran, wie sehr er sie begehrte und dass er es wirklich ernst mit ihr meinte – das hatte er ihr auch offen gesagt, und sie war gerührt gewesen. Trotzdem konnte sie es nicht über sich bringen, ihre Beziehung auf die nächste Stufe zu führen. Und jetzt, wo Constantine zurück war …

Schluss jetzt mit den Gedanken an Constantine! Der hatte ihr schließlich gezeigt, wie wichtig sie ihm war, als er sich vor anderthalb Jahren einfach davongemacht hatte: überhaupt nicht wichtig. Ganz offensichtlich hatte das Inferno auf ihn nicht dieselbe Wirkung gehabt wie auf sie. Sie hatte ihn hinter sich gelassen, und der Mann, den sie stattdessen erwählt hatte, stand genau vor ihr. David hatte wirklich alles, was eine Frau sich nur wünschen konnte. Eine glänzende Zukunft als international erfolgreicher Banker. Eine Statur, die Frauen zum Träumen bringen konnte. Und ein ruhiges, besonnenes Wesen, das ihre Impulsivität ausglich. Vielleicht würde das Inferno ja später zuschlagen, wenn sie sich besser kannten.

„Fertig?“, fragte David.

„Ja.“

„Kommt deine ganze Familie?“ In Davids Stimme klang eine gewisse Nervosität mit; er empfand ihre Verwandtschaft bisweilen als erdrückend. „Und lerne ich dann endlich auch Lazz und Ariana kennen, oder sind sie immer noch in Italien?“

Seine Frage nach den beiden überraschte sie. Andererseits hatte er einmal erwähnt, dass er die Familie Romano, zu der ja auch Ariana gehörte, flüchtig kannte. „Ja, sind sie, und wahrscheinlich bleiben sie auch noch eine Weile. Sie verbinden ihren Urlaub mit einigen Geschäftsterminen.“

„Ach, wie schade“, murmelte er, doch irgendwie kam es ihr vor, als ob sein Bedauern nicht ganz aufrichtig war.

Nachdem Gianna die Tür ihres Reihenhauses geschlossen hatte, gingen sie zu Davids Jaguar. Wie üblich öffnete er ihr die Autotür; er war eben ein echter Gentleman. Auf der Fahrt zum Geschäftsgebäude der Dantes plauderten sie über Belanglosigkeiten. Erst kurz vorm Ziel schnitt David ein brisantes Thema an.

„Nächste Woche muss ich zu einem Meeting nach New York fliegen“, verkündete er. „Ein sehr langweiliges Meeting.“

Er hatte den Geschäftstermin vorher schon einmal kurz erwähnt. „Na ja, was sein muss, muss sein“, meinte sie mitleidig. „Wie lange wirst du fort sein?“

„Vier Tage. Von Freitag bis Montag.“

„Das geht ja noch. Und wenigstens brauchst du die USA nicht zu verlassen.“

„Das stimmt.“ Er hielt an der roten Ampel. „Ich würde mich freuen, wenn du mitkommst. Das Geschäftliche wird nicht allzu lange dauern. Ich muss da zwar erscheinen, aber es ist mehr oder weniger eine Formsache.“

„Ach, David, ich weiß nicht recht“, sagte sie zögernd.

Bei Grün fuhr er wieder an. „Hör mich erst zu Ende an.“ Er klang entschlossener als sonst. „Wir könnten uns eine Suite im Ritz nehmen.“

Der Vorschlag kam für sie völlig überraschend. „Im Ritz? Wow.“ Dann begriff sie langsam. „Moment mal. Du meinst … eine, äh, gemeinsame Suite?“

„Genau. Für ein romantisches Wochenende. Ohne dass uns deine Familie auf die Pelle rückt.“

Unruhig rutschte Gianna auf dem Autositz hin und her. „Soll das heißen, meine Familie geht dir auf die Nerven?“, fragte sie lauernd.

Offenbar bemerkte er ihre Gereiztheit nicht. „Um ehrlich zu sein, ich finde es nicht so toll, dass sie uns dauernd im Nacken sitzt“, bekannte er. „Du bist fünfundzwanzig, kein Kind mehr. Und wir kennen uns jetzt ein halbes Jahr, gehen seit einem Vierteljahr zusammen aus, und trotzdem hältst du mich immer noch auf Distanz, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Und du meinst, daran ist meine Familie schuld?“

Noch immer schien er nicht begriffen zu haben, dass er sich auf gefährlich dünnem Eis bewegte. Er hätte doch schon längst bemerken müssen, dass die Familie ihr alles bedeutete. So war es eben bei den Dantes, und sie hatte gedacht, bei den d’Angelos wäre es ebenso. La famiglia – das war Teil ihres italienischen Erbes. Und es war ja nicht so, dass Außenstehende konsequent ausgeschlossen blieben. Im Gegenteil, die Dantes nahmen gern Neuankömmlinge in ihren Reihen auf. Doch dagegen hatte David sich gesträubt, als ob er ihren Absichten misstraute. Erst vor einem Monat hatte er endlich zugestimmt, ihre Verwandtschaft kennenzulernen. Weil er sich so reserviert verhielt, bewahrte auch ihre Familie höflichen Abstand, abgesehen von ihrer Nonna, die David von Anfang an sympathisch gefunden hatte.

Das Bürogebäude der Dantes kam in Sicht. „Nein, ich gebe nicht deiner Familie die Schuld, dass du mich so auf Distanz hältst. Es liegt wohl eher daran, dass sie dich so altmodisch erzogen haben. Nach längst überkommenen Werten.“

„Ach, langsam verstehe ich“, erwiderte sie. „Du hältst mich also für altmodisch, weil ich nicht gleich mit dir ins Bett gegangen bin, wie du es vielleicht von anderen Frauen gewöhnt bist?“

„Um ehrlich zu sein – ja. Wir leben im 21. Jahrhundert, Gia. Nur die Dantes nicht, die befinden sich noch immer im Mittelalter. Mit all den verstaubten Sitten und Moralvorstellungen. Ich habe in Oxford studiert und bin modern und weltoffen. Meine Familie ist im 21. Jahrhundert angekommen.“

„Und meine nicht.“ Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Aber du glaubst, ein Wochenendtrip nach New York katapultiert mich schlagartig in die Gegenwart.“

„Das hoffe ich jedenfalls. Ich wünsche es mir. Schön, deine Familie hat ihren Beschützerinstinkt, das sehe ich ein. Aber trotzdem. Du bist eine erwachsene Frau, Gia, mit der Betonung auf Frau. Du solltest ein Leben führen, wie du es willst, und dich nicht jahrhundertealten Regeln beugen.“

„Ist dir noch nicht in den Sinn gekommen, dass ich sehr wohl weiß, dass ich eine erwachsene Frau bin? Und dass ich nicht wegen meiner Familie, sondern aus freien Stücken diesen etwas altmodischen Lebensstil pflege, den du so abwertend beurteilst?“

„Na schön, eigentlich wollte ich dich später damit überraschen, aber wenn du so widerspenstig bist, muss ich mein Geheimnis lüften.“ Schmachtend sah er sie an, ergriff ihre linke Hand, küsste sie und strich ihr über den Ringfinger. „Es handelt sich um eine Überraschung, die eine große Feier nach sich ziehen wird. Deshalb wird deine Familie wohlwollend darüber hinwegsehen, wenn wir uns vorher schon ein kleines romantisches Abenteuer gönnen. Was sagst du dazu, Liebling?“

Gianna stockte der Atem. Man musste nicht Einstein sein, um eins und eins zusammenzuzählen. Er wollte ihr einen Heiratsantrag machen. Behutsam wählte sie ihre Worte. „Was soll ich dazu sagen? Ich meine, du hast die Überraschung erst angedeutet – es ist ja noch kein Heiratsantrag.“ Sie zögerte einen Moment. „Das sehe ich doch richtig?“

„Ja. Aber ich hoffe doch sehr, dass sich schon sehr bald ein begeistertes ‚Ja, David, ich will‘ von dir höre.“

Gianna biss sich auf die Unterlippe. Um Fassung ringend, schaute sie aus dem Autofenster auf das Bürohaus der Dantes. Warum jetzt? Warum ausgerechnet heute Abend? Wahrscheinlich würde Constantine auch auf der Gala sein. Sogar mit ziemlicher Sicherheit, wenn sie ihre Familie richtig einschätzte. Wie konnte sie nur in Erwägung ziehen, eine Affäre zu beginnen, sich vielleicht sogar zu verloben, wenn es doch Constantine gab, der voller Begierde auf sie wartete?

Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Wäre sie drei Monate mit Constantine zusammen gewesen, dann wäre „es“ schon längst passiert, selbst wenn sie sich geschworen hätten zu warten. Sie hätten sich einfach nicht dagegen wehren können. Ohne Zweifel hätte er sie so schnell wie möglich vor den Altar gezerrt, weil seine Familie mindestens so „altmodisch“ war wie ihre, wenn nicht noch mehr.

Skeptisch musterte sie David. Sie hatte ja gewusst, dass dieser Augenblick irgendwann kommen musste. Dass er ihr die Pistole auf die Brust setzte und sie wählen musste – sich entweder für den Zweitbesten zu entscheiden oder allein zu bleiben. Sie hatte sich so gewünscht, dass ihr für die Entscheidung noch Zeit bliebe. Dass sie noch Gefühle für David entwickeln würde. Aber da hatte sich nichts entwickelt. Und nun würde sie eine Entscheidung treffen müssen – schon sehr bald.

In der Tiefgarage fuhr er auf einen der VIP-Parkplätze. Nachdem er den Sicherheitsgurt gelöst hatte, zog er sie überraschend in die Arme. Als sie seine Lippen auf ihren spürte, sträubte sie sich nicht dagegen, sondern versuchte die Zärtlichkeit zu genießen. Sie wollte sich doch so gern in David verlieben! Wollte, dass das Inferno bei jemandem zuschlug, der sie so begehrte wie David. Jemandem, für den sie das Wichtigste im Leben wäre. Und nicht jemandem, der nur gelegentlich Zeit für sie aufbrachte und sie fallen lassen konnte, wann immer ihm danach war. Aber warum konnte sie selbst bei Davids stürmischster Umarmung nur an Constantine denken? Sie entwand sich seinem Griff und versuchte zu lächeln.

„Und …?“, fragte David drängend.

Sie wich seinem Blick aus. „Ich … ich brauche etwas Zeit.“

Er wirkte enttäuscht. „Zeit für was? Zeit, um dich für unseren Wochenendtrip nach New York zu entscheiden? Oder Zeit, um mir die Antwort auf meine Überraschung zu geben?“

„Im Moment bin ich wegen der Gala etwas abgelenkt“, wich sie aus. „Außerdem muss ich erst mal meinen Terminkalender checken.“

„Heißt das, dass du an dem romantischen Wochenende interessiert wärst? Mit allem, was das mit einschließt?“

„Das heißt, dass ich darüber nachdenke“, antwortete sie verlegen. Als sie einen Blick auf ihre Armbanduhr warf, stöhnte sie auf. „Oje, David, tut mir leid, ich muss jetzt wirklich rein. Können wir unser Gespräch auf später vertagen?“

„Vertagen“, wiederholte er säuerlich.

Gianna seufzte. „Tut mir leid, das sollte nicht so geschäftsmäßig klingen.“

„Ist in Ordnung. Ich verstehe schon.“

Schweigend gingen sie zu den Fahrstühlen hinüber. Auch während der Fahrt zu dem Stockwerk, in dem die Gala stattfand, wechselten sie kein Wort.

Schon als sie ausstiegen, spürte sie, dass Constantine in der Nähe sein musste. Am liebsten hätte sie David einfach stehen lassen und sich auf die Suche nach ihm gemacht. Es war wie ein Urinstinkt, der sie zwang, seine Nähe zu suchen.

Schließlich atmete sie ein paar Mal tief durch. Schluss damit. Nur nicht dem Verlangen nachgeben. Sie versuchte sich auf David zu konzentrieren, doch ihre Gedanken waren bei einem anderen.

Bei Constantine Romano. Dem Mann, der von ihrem Herzen und ihrer Seele Besitz ergriffen hatte.

2. KAPITEL

Als Gianna den Festsaal betrat, stellte sie fest, dass die meisten ihrer Verwandten bereits da waren. Kaum hatten sie sie entdeckt, zogen sie sie mit sich, und David folgte eher widerwillig.

Gianna verabschiedete sich kurz, um zu überprüfen, ob bei der Gala alles ihren Vorbereitungen entsprechend lief. Dann kehrte sie zu ihrer Familie zurück, während David mit einem Champagnerglas in der Hand gelangweilt zwischen den Vitrinen mit den Ausstellungsstücken hin und her ging. Sein Desinteresse war ihm deutlich anzumerken.

„Das sind so ziemlich die schönsten Schmuckstücke der Welt, und er tut so, als wären es billige Glasperlen“, flüsterte Rafe, Giannas Bruder, ihr ins Ohr. „Der vergrault uns ja die ganze Kundschaft. Tu was dagegen!“

„Und was, bitte schön?“

„Du hast ihn mitgebracht, also ist das dein Problem. Aber mach schnell, sonst gehe ich zu ihm rüber und bringe ihm ein bisschen Respekt vor höchster Juwelierskunst bei.“

„Ihr könnt ihn wirklich nicht leiden, was?“

Ihr ältester Bruder Luc gesellte sich zu ihnen, gefolgt von Draco. Ganz offensichtlich hatten alle dieselbe Meinung. „Nein, wir mögen ihn nicht“, stieß Draco hervor und verschränkte die Arme. „Und er mag uns nicht. Keinen von uns.“

„Er ist eine typische Bankerseele. Ihm geht es nur um Geld.“

„Genau. Gewinne, Profite. Was anderes interessiert ihn nicht.“

„Wo bei anderen das Herz sitzt, hat er eine Rechenmaschine. Kein Interesse für Kunst, Musik, gar nichts. Wir wollen nicht, dass unsere kleine Schwester jemanden heiratet, der keinen Funken Leidenschaft besitzt.“

Gianna hob die Hand, um den Wortschwall zu beenden. „Moment mal, ihr habt ihn doch nicht dem Große-Bruder-Test ausgesetzt, oder?“ Sie sah einen nach dem anderen prüfend an, und niemand schien auch nur das geringste Schuldbewusstsein zu verspüren. „Oje, ihr habt es getan.“

„Ja, und er hat nicht bestanden“, erklärte Rafe. „Ich habe ihn zu einem Spiel der Giants eingeladen. Tribünensitze. Und er hat abgelehnt.“

Luc nickte zustimmend. „Er ist absolut durchgefallen. Der Junge spielt nicht mal Basketball. Kommt wohl nicht gerne ins Schwitzen.“

„Bei mir ist er auch unten durch“, ergänzte Draco. „Als Primo ihm ein Fässchen von seinem selbst gebrauten Bier schenken wollte, hat er dankend abgelehnt. Bier ist wohl unter seiner Würde. Ich habe unseren Großvater noch nie so verärgert gesehen.“

„Also ich würde für ein Fass von Primos Bier sonst was tun“, erklang plötzlich von hinten eine Stimme. Eine nur zu gut bekannte Stimme, die seit neunzehn Monaten immer wieder in Giannas Träumen und Gedanken auftauchte. „Wer das ablehnt, muss ganz schön dumm sein. Über wen redet ihr denn? Hoffentlich kein Bekannter von dir, Gianna.“

Blitzschnell wandte sie sich um und sah direkt in Constantines Gesicht. In seinem Frack sah er umwerfend aus. „Was machst du denn hier?“, fragte sie.

„Was glaubst du denn?“ Er blickte sie an, als wäre sonst niemand anwesend. „Ich will mir holen, was mir gehört.“

Aus dem Augenwinkel sah sie, dass David sich auf die Gruppe zubewegte. Constantine schien das nicht zu stören, falls er es überhaupt bemerkt hatte. Während alle anderen zusahen, umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen.

Und dann küsste er sie.

Gianna sträubte sich nicht. In diesem Moment war ihr sogar egal, dass ihre Verwandten gebannt auf sie starrten. Einen solch leidenschaftlichen Kuss hatte sie noch von keinem anderen Mann bekommen, von David schon mal gar nicht. Ihr Blut geriet in Wallung, und sie vergaß alles um sich herum.

Dieser Kuss sagte alles. Er drückte Hunger und Verlangen aus, verhieß ungeahnte Freuden. Vor allem aber bestätigte er, dass sie zusammengehörten. Constantine kannte sie und wusste, was sie wollte, was sie brauchte. Und er gab es ihr.

Sie wollte, nein, sie konnte sich nicht dagegen wehren. Das Inferno hatte sie voll im Griff. Selbst ihre Herzen schlugen im Gleichklang. Endlich waren sie wieder zusammen. So musste es sein! Constantine würde nicht von ihr lassen, egal wer oder was sich ihm in den Weg stellte – David eingeschlossen.

Es spielte keine Rolle, dass Constantine einer italienischen Adelsfamilie entstammte und eine vorzügliche Erziehung genossen hatte. Im tiefsten Inneren war er ein Freibeuter, bereit, sich das zu nehmen, was er als seinen Besitz betrachtete. Bereit, sich Gianna zu nehmen.

Ihre Selbstvergessenheit wurde abrupt beendet, als sie plötzlich Davids Hand auf der Schulter spürte. Er riss sie förmlich aus Constantines Umarmung.

Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, was geschehen war. Wie hatte sie nur Constantine in aller Öffentlichkeit küssen können – während ihre ganze Familie zusah, ganz zu schweigen von den wichtigen Kunden, die sie persönlich zu der Gala eingeladen hatte? Was sollten sie nur alle denken? Davids Gesicht war wutverzerrt. Was er dachte, war offensichtlich.

In ihrer Ratlosigkeit versuchte sie sich in Höflichkeit zu retten. „David, darf ich dir Constantine Romano vorstellen? Er … er gehört zu unserer Familie. Na ja, gewissermaßen wenigstens.“

Erst blickte sie David an, dann Constantine. In diesem Moment fiel ihr wieder ein, dass jemand mal erwähnt hatte, dass die beiden sich kannten. Dass sie sich jedoch nicht mochten, war offensichtlich. Eine fast mit Händen greifbare Spannung lag in der Luft. „Constantine?“, fragte sie hilflos.

„Nein, ich gehöre nicht zur Familie“, korrigierte er sie mit harter Stimme. „Noch nicht. Und David und ich kennen uns. Leider.“

David setzte ein kaltes Grinsen auf und wirkte plötzlich gar nicht mehr so sympathisch. „Romano, wie immer erscheinst du im unpassendsten Moment auf der Bildfläche.“

Constantine trat auf ihn zu. „Gerade rechtzeitig, meinst du wohl.“ Während er David mit zusammengekniffenen Augen musterte, wandte er sich an Gianna. „Ist er das?“, fragte er. „Ist d’Angelo der Mistkerl, von dem du mir erzählt hast?“

So wie er die Frage stellte – was sollte sie darauf antworten? Sie fühlte sich so unwohl wie noch nie in ihrem Leben. „Er ist der Mann, den ich erwähnt hatte, ja“, gab sie zu. „Wir sind in letzter Zeit öfter zusammen ausgegangen.“

„Du bist Romano keine Erklärungen schuldig“, warf David ein. „Er spielt in deinem Leben keine Rolle und gehört schon mal gar nicht zu deiner Familie.“

„Das könnte sich aber sehr schnell ändern. Gianna und ich arbeiten bereits daran. Schon sehr bald werde ich immer für sie da sein.“

David musterte sein Gegenüber mit funkelnden Augen. „Was zum Teufel soll das heißen?“

Constantine lächelte bedrohlich. „Das kannst du dir doch sicher denken. Ich bin nach San Francisco gezogen, um Gianna zu fragen, ob sie meine Frau werden will.“

Unter den Umstehenden brach Tuscheln aus. „Oh Gott“, murmelte Gianna. Ihr wurde ganz schwindelig.

Wie aus weiter Ferne nahm sie wahr, wie erfreut ihre Familie über diese Ankündigung war. Kein Zweifel, ihre Verwandten standen alle auf Constantines Seite. Verstohlen warf sie David einen Blick zu. Er kochte vor Wut.

Doch er riss sich zusammen und brachte sogar etwas wie ein Lächeln zustande. „Du leidest wohl unter Wahnvorstellungen, Romano. Gianna und ich haben schon eine Abmachung, die wir auf unserem bevorstehenden Trip nach New York verwirklichen werden. Eine private Suite im Ritz. Kerzenlicht und Rosen.“ Er deutete auf eine der Vitrinen. „Muss ich mich an Sev wenden, wenn ich einen Dante-Verlobungsring kaufen möchte? Einer von Tiffany’s oder Cartier wäre mir zwar lieber, aber wegen der Familie geht das wohl nicht. Schade.“

Eisiges Schweigen trat ein. Sie spürte, wie Constantine innerlich vor Wut schäumte, und nach der Bemerkung über Tiffany’s und Cartier war ihre Familie natürlich auch höchst verärgert. Wie hatte David so etwas nur sagen können? Das passte so gar nicht zu ihm. Sicher, er verstand sich nicht so gut mit ihren Brüdern, wie sie es sich gewünscht hätte, aber er war vorher noch nie ausfallend geworden. Im Gegenteil, er war immer höflich gewesen, bemüht, einen guten Eindruck zu machen, auch wenn ihm ein bisschen Warmherzigkeit fehlte.

Ich muss etwas tun, schoss es Gianna durch den Kopf, und zwar sofort. Erst mal David aus der Schusslinie bringen, bevor es noch zu einer Prügelei kommt. Und dann müssen wir reden. Sehr ausführlich. Ich muss mich ein für alle Mal entscheiden, ob ich mir eine Zukunft mit David überhaupt vorstellen kann. Wenn nicht, müssen wir die Sache beenden. Das gebietet die Fairness.

„Wenn ihr uns bitte entschuldigen würdet? Ich habe mit David einiges zu besprechen.“

Triumphierend nahm David sie in den Arm. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ihr ältester Bruder Luc Constantine zurückhielt. „Später“, raunte er ihm zu, sodass sie es noch hören konnte. „Das hier ist weder der richtige Ort noch die richtige Zeit.“

„Ja, immer schön bei Fuß“, höhnte David und stolzierte mit Gianna davon.

„Was ist denn bloß los?“, fragte sie ihn gereizt.

„Genau das wollte ich dich auch gerade fragen.“

„Ich habe zuerst gefragt. Was ist zwischen dir und Constantine?“

„Ach, eine alte Geschichte. Hat nichts mit uns beiden zu tun. Komm.“ Er wies auf die Terrasse, die sich an den Festsaal anschloss. „Wir setzen uns nach draußen, wo wir unsere Ruhe haben.“ Er führte sie an einen weit abgelegenen Tisch. „Setz dich schon mal. Ich hole uns etwas zu trinken.“

„Aber dann musst du mir alles erklären.“

„Natürlich. Und du mir.“

Während sie auf ihn wartete, überlegte sie, was sie ihm sagen sollte. Wie sollte sie ihm ihre Beziehung zu Constantine begreiflich machen? Und erst den Kuss? Am liebsten hätte sie ihm einfach entgegengeschleudert, dass ihn das alles nichts anging. Aber sie wusste, damit würde er sich nicht zufriedengeben.

Bevor sie einen Plan entwickeln konnte, war er bereits zurück, mit einem Glas Champagner für sie und einem Campari für sich. Er trug ein gewinnendes Lächeln zur Schau. Ihr war es ein Rätsel, wie er plötzlich wieder so gelassen sein konnte. Als sie einen Schluck von dem Champagner getrunken hatte, verzog sie das Gesicht. Komisch, wie bitter er schmeckte. Sie kannte diese Marke, aber ein solch merkwürdiger Nachgeschmack war ihr noch nie aufgefallen.

Er erhob sein Glas. „Auf uns.“

„Auf uns“, erwiderte sie, stieß mit ihm an und nahm einen großen Schluck. Ihr graute vor dem Gespräch, aber sie hatte keine Wahl. Sie konnte nur versuchen, ihn zuerst zur Rede zu stellen, damit sie etwas Zeit gewann. „Also, was ist los, David?“

„Sag du’s mir.“ So freundlich er sich auch gab, sein Zorn war ihm deutlich anzumerken. „Dieser Kuss zwischen dir und Romano – der war nicht gerade wie zwischen Brüderchen und Schwesterchen.“

„Wir sind alte Freunde.“

„So, so. Und wie … intim ist eure Freundschaft?“

Um etwas Zeit zu gewinnen, nippte sie an ihrem Champagner, der immer noch unangenehm schmeckte. Sorgfältig wählte sie ihre Worte. „Wir sind mal zusammen ausgegangen“, antwortete sie. „Aber nicht lange.“

„Du hast mit ihm geschlafen.“

Verärgert setzte sie ihr Glas ab. „Das geht dich gar nichts an.“

Zu ihrer Überraschung zuckte er nur mit den Schultern. „Du hast recht. Das geht mich nichts an.“ Wie als Friedensangebot nahm er ihr Glas vom Tisch und überreichte es ihr. „Ich war eifersüchtig. Bei diesem Kuss ist das verständlich, oder?“

„Ja, ja, ist es.“

Als sie erneut einen Schluck Champagner trank, versuchte sie herauszuschmecken, was daran nicht stimmte. Er schmeckte frisch und prickelnd, wie er es sollte, doch er besaß eine bittere Note, die einfach nicht passte. Sie würde später den Lieferanten darauf ansprechen. Doch jetzt musste sie sich erst mal auf das Gespräch mit David konzentrieren.

„Aber das zwischen dir und Romano ist doch vorbei, oder?“, hakte er nach.

„Ich bin mir nicht sicher“, gab sie offen zu.

Nach diesem leidenschaftlichen Kuss hatte sie wahrhaftig nicht das Gefühl, dass es vorbei war. Ihre Handfläche kribbelte wie verrückt. Genau das Kribbeln, das alle Dantes so plastisch beschrieben hatten. Das Inferno, das man nur bei seinem Seelengefährten spürte. Sie schloss die Augen. Seit Constantines Rückkehr war das Kribbeln wieder zusehends stärker geworden. Sicher, sie konnte versuchen, es zu ignorieren, aber das würde nichts ändern.

Nein, es gab keinen Zweifel: Zwischen Constantine und ihr gab es eine Verbindung, die sie mit David nicht hatte – und auch niemals haben würde, egal, wie sehr sie sich bemühte.

„Trink aus, Gia. Wir wollen gehen.“

„Gehen?“, fragte sie verwirrt. „Wohin?“

„Wir machen eine kleine Ausfahrt. Wir müssen reden, und das hier ist wohl kaum der geeignete Ort. Jeden Augenblick könnten Romano oder deine Verwandten dazwischenplatzen.“ Er lächelte. „Wenn wir eine Zeit lang weg sind, können sich die Gemüter besser beruhigen. Das ist doch die beste Lösung, oder?“

Gianna dachte darüber nach. Er hatte recht, hier würden sie nicht lange ungestört bleiben. Es war schon schwierig genug, sich mit David auseinanderzusetzen, da konnte sie keine Ablenkung vertragen. Sie fühlte sich plötzlich ohnehin so müde …

„Also trink deinen Champagner aus und dann los“, drängte David.

„Okay.“ Doch statt zu trinken, stellte sie ihr Glas ab. Sie bemerkte seinen missbilligenden Blick. War er verärgert, weil sie ihm nicht aufs Wort gehorchte oder weil es ihm um den teuren Champagner leidtat? Um ihn abzulenken, berührte sie seine Hand. „Aber dann erzählst du mir endlich, woher du Constantine kennst und was diese alte Geschichte zwischen euch ist, ja? Du weißt doch sicher, dass seine Schwester Ariana mit meinem Cousin Lazz verheiratet ist. Ich mag sie sehr, und ich möchte nicht, dass das angespannte Verhältnis zwischen dir und Constantine meine Freundschaft zu ihr trübt.“

„Natürlich, das kann ich verstehen.“ Er erhob sich. „Wollen wir uns hinten rausschleichen?“

„Ja, einverstanden. Auf noch mehr Streit habe ich wirklich keine Lust.“

„Warum habt ihr mir nichts davon gesagt, dass sie mit David ausgeht?“, fragte Constantine Giannas Brüder.

Luc zuckte mit den Schultern. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass dich das interessiert.“

Draco runzelte die Stirn. „Nur mal so aus Interesse: Seit wann interessiert es dich denn?“

Constantine verschränkte die Arme vor der Brust und musterte einen der Dantes nach dem anderen. „Von jetzt an interessiert mich alles, was Gianna angeht.“

„Moment, Moment“, rief Rafe und hielt beschwichtigend die Hände hoch. „Ich weiß, dass ihr beide euch auf der Hochzeit von Lazz kennengelernt habt. Aber ich dachte, das wäre alles gewesen. Und jetzt tauchst du nach wer weiß wie vielen Monaten hier auf und führst dich auf, als wärt ihr schon verheiratet. Versteh mich nicht falsch, nicht, dass ich was dagegen hätte. Ich habe nur das Gefühl, mir fehlen ein paar Informationen.“

Wie konnten die Dantes das nur fragen? Sie kannten das Inferno doch am besten. Sie mussten doch wissen, was Gianna mit ihm gemacht hatte. „Es ist ganz plötzlich geschehen. Als wir uns die Hände gegeben haben.“

Luc hob eine Augenbraue. „Das Inferno?“

„Sie hat dir das Inferno verpasst?“ Rafe lachte lauthals. „Eine Spitzenleistung von unserem Schwesterchen.“

„Das ist überhaupt nicht witzig“, schimpfte Constantine. „Sie hätte mich ja wenigstens fragen können, bevor sie mich verzaubert hat.“

Draco gab ihm einen mitfühlenden Klaps auf den Rücken. „Ja, tut mir leid. Aber ich fürchte, so funktioniert das nicht.“

„Vielleicht seid ihr so freundlich und erklärt mir, wie es funktioniert, wenn wir mal ein bisschen mehr Zeit haben.“

„Wenn wir das wüssten, wären wir vielleicht alle nicht verheiratet“, antwortete Rafe gutgelaunt. „Aber zu deiner Beruhigung – keiner von uns hat es je bereut.“

Gianna saß neben David auf dem Beifahrersitz und krampfte die Hände zusammen. Er fuhr viel zu schnell. So als müsste er sich etwas beweisen. Als wollte er zeigen, dass er der bessere Mann war – besser als Constantine. Doch mit dieser Raserei beeindruckte er sie kein bisschen. Sie fand sein Verhalten eher bemitleidenswert.

Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Gähnen, ihre Glieder fühlten sich bleischwer an. „Wo fahren wir denn hin?“

„Ach, irgendwohin. Erst mal raus aus der Stadt. Dann parken wir irgendwo und unterhalten uns.“

Die Ampel zeigte bereits gelb, als er über eine Kreuzung raste, und Gianna krallte sich an seinem Arm fest. Jede Bewegung fiel ihr schwer. Die Vorbereitungen für die Gala waren wohl doch anstrengender, als ich gedacht hatte, ging es ihr durch den Kopf. „Könntest du mal kurz rechts ranfahren?“

„Später. Wenn wir aus der Stadt sind.“

„Nein, bitte fahr rechts ran. Ich wollte dich um etwas bitten.“

Er tat, wie ihm geheißen. „So, da hast du deinen Willen. Und jetzt?“

„Würdest du … mich küssen?“

Sie wusste genau, was er jetzt dachte. Einerseits begehrte er sie. Andererseits vermutete er, sie wollte seinen Kuss mit dem von Constantine vergleichen. Und mit dieser Vermutung hatte er sogar recht.

Sie wollte ein für alle Mal die Wahrheit wissen. Entweder sie empfand etwas für David – oder nicht. Drei lange Monate hatte sie sich jetzt Mühe gegeben, hatte gehofft, sie würde Gefühle für ihn entwickeln. Aber wenn sie jetzt bei dem Kuss überhaupt nichts spürte, dann hatte es keinen Zweck mehr. Dann würde sie die Beziehung beenden müssen.

David ließ sich Zeit. So gut es vom Fahrersitz aus ging, zog er sie an sich und begann sie zu küssen, erst ganz sanft, dann immer leidenschaftlicher. Er atmete schwer.

Am liebsten hätte sie sich freigekämpft. Seine Berührung, seine Zunge – alles fühlte sich falsch an. Fast empfand sie so etwas wie Widerwillen. Nein, kein Zweifel, für sie konnte es nur einen Mann geben. Und das war nicht der, der sie gerade küsste.

Vielleicht hätte sie sogar noch mehr Widerwillen verspürt, wenn sie sich nicht so benommen gefühlt hätte. Am liebsten hätte sie sich irgendwo in eine Ecke gelegt und geschlafen. Die Ausfahrt war vielleicht doch keine so gute Idee gewesen.

Sie ließ den Kuss über sich ergehen, bis David sich plötzlich keuchend an ihrem Kleid zu schaffen machte. „Nein, David.“ Böse dreinblickend zog er sich zurück. Bevor er etwas sagen konnte, klingelte plötzlich ihr Handy. „Ich … ich muss das Gespräch annehmen.“

„Musst du nicht“, erwiderte er gereizt. „Nimm deine Familie doch nicht immer so wichtig.“

„Ich bin eine Dante, David“, erklärte sie ihm geduldig. „So ist das nun mal. Wenn ich nicht drangehe, machen sie sich Sorgen.“

Sie nahm das Gespräch an, aber anders als erwartet war nicht einer ihrer Brüder dran, sondern Constantine. „Wo steckst du, piccola?“, fragte er.

„Bei David im Auto. Wir machen eine Ausfahrt.“

Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann flüsterte er: „Sag ihm, er soll dich sofort nach Hause bringen.“

„Das klingt ja wie ein Befehl.“

„Es gibt etwas, was du über David wissen solltest, Gianna. Es ist sehr wichtig. Sonst hätte ich nicht angerufen.“

Vielleicht hätte sie mit ihm darüber eine Diskussion angefangen, aber weil David jedes ihrer Worte hören konnte, beschloss sie, lieber vorsichtig zu sein. „Momentan ist es etwas ungünstig. Ich rufe dich später zurück.“

„Momentan bin ich noch auf der Gala, aber ich fahre jetzt gleich los. Ich werde vor deinem Haus auf dich warten, bis ich von dir höre.“

Sie seufzte leise. „Das könnte aber noch eine Weile dauern. David und ich …“, aus dem Augenwinkel musterte sie David. Er wirkte sehr verärgert. Konnte er Constantines Stimme hören, hatte er bemerkt, dass der Anrufer keiner ihrer Brüder war? „… wir haben noch einiges zu besprechen.“

„Machst du Schluss mit ihm?“

„Das geht dich gar nichts an.“

„Alles, was dich betrifft, geht mich etwas an“, entgegnete er.

Sie klappte das Handy zu und ließ es in ihrer Handtasche verschwinden. „David …“

„Sag jetzt lieber nichts.“

Mit aller Kraft kämpfte sie gegen ihre bleierne Müdigkeit an und versuchte alles so nett wie möglich zu formulieren. „David, wir sollten ehrlich miteinander sein. Wir gehen jetzt schon ein Vierteljahr miteinander aus. Wenn sich zwischen uns etwas entwickelt hätte, aus dem etwas Dauerhaftes werden könnte, hätten wir es inzwischen merken müssen.“

„Das haben wir doch“, protestierte er. „Jetzt leugne bloß nicht, dass du etwas für mich empfindest. Romano hat dich nur durcheinandergebracht. Gib mir eine Chance, Gia. Gib uns beiden eine Chance.“

Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Sie wusste, für diesen Mann würde sie nie etwas empfinden. Niemals würde er ihr das geben können, was sie bei Constantine empfand. Das hieß: Es würde kein gemeinsames Wochenende in New York geben. Keine romantische Suite im Ritz, von einer Verlobung ganz zu schweigen.

Und sie würde auch nie mit David das Bett teilen.

„Ich habe uns eine Chance gegeben“, sagte sie so teilnahmsvoll wie möglich. Sie bemühte sich, ein Gähnen zu unterdrücken. Woher kam nur diese unglaubliche Müdigkeit? „Es … es klappt einfach nicht.“

„Doch, dafür sorge ich schon.“ Er fuhr wieder auf die Straße. „Lehn dich zurück und mach die Augen zu, Gia. Bevor du es dich versiehst, sind wir da.“

Sie schüttelte den Kopf, aber die bleierne Müdigkeit ließ sich nicht vertreiben. „Irgendetwas stimmt nicht mit mir“, murmelte sie.

„Schlaf einfach ein bisschen. Wenn du wieder aufwachst, ist alles schon vorbei.“

Was meinte er damit? Was sollte vorbei sein? Aber es kostete sie zu viel Mühe, diese Frage zu stellen. Sie schlief ein.

3. KAPITEL

„Sie ist nicht zu Hause und beantwortet auch meine Anrufe nicht“, sagte Constantine in sein Handy, während er unruhig den Bürgersteig auf und ab ging. „Das kann nur eins bedeuten: Sie ist in d’Angelos Gewalt. Eine andere Erklärung gibt es nicht.“

Luc seufzte. „In seiner Gewalt? Quatsch. Sie gehen zusammen aus, das ist alles. Ich sage dir das nur ungern, aber sie verbringen schon seit Monaten Zeit miteinander. Und sie ist eine erwachsene Frau. Wenn sie nicht an ihr Handy geht, dann, weil sie im Moment nicht mit dir sprechen will. Sie meldet sich bestimmt morgen früh.“

„Nein“, rief Constantine in sein Handy. Er musste sie finden. Jetzt. „Wenn wir bis zum Morgen warten, ist es zu spät. Er weiß, dass ich ihm auf der Spur bin. Also muss er heute Nacht zuschlagen, wenn er sie von mir entfremden will.“

„Wovon zum Teufel redest du nur?“, fragte Luc verständnislos.

Constantine riss sich zusammen, um den Sachverhalt so ruhig wie möglich zu erklären. „D’Angelo hat früher schon mindestens einmal eine Frau unter Drogen gesetzt, um ihr etwas anzutun. Von dem einen Mal weiß ich ganz genau, weil ich gerade noch rechtzeitig dazugekommen bin und das Schlimmste verhindern konnte.“

„Um Himmels willen! Hat er das gemeint, als er vorhin sagte, dass du immer im unpassendsten Moment kommst?“

„Genau.“ Unruhig schaute Constantine auf die Uhr, wie schon so oft innerhalb der letzten Stunde. „Wenn er das Gleiche mit Gianna tun will – wenn er sie mit Drogen betäubt hat und ihren Zustand ausnutzen will –, wo würde er mit ihr hinfahren?“

Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille; offenbar dachte Luc angestrengt nach. „Zurzeit wohnt er in einer Suite in einem Hotel, bis die Villa, die er vor Kurzem gekauft hat, bezugsfertig ist. Leider weiß ich nicht in welchem Hotel, aber das kann ich herausfinden. Es ist garantiert eines der teureren.“

Constantine überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, er würde sie nicht mit ins Hotel nehmen. Zu viele Zeugen. Es müsste etwas Privateres sein.“

„Ich sehe zu, dass ich etwas rauskriege, und rufe dich so schnell wie möglich zurück.“

„Ja, aber beeil dich. Unter Umständen zählt jede Sekunde.“

„Dieser Mistkerl“, murmelte Luc besorgt.

„Bleib ganz ruhig, ich finde sie. Und ich finde sie rechtzeitig.“

Es musste ihm einfach gelingen!

Als Gianna erwachte, bemerkte sie, dass der Jaguar langsamer fuhr. Die Scheibenwischer bewegten sich; draußen regnete es. Waren sie bei ihr zu Hause angekommen? Ich muss während der kurzen Fahrt wohl eingeschlafen sein, dachte sie. Noch immer fühlte sie sich benommen. Sie kniff die Augen zusammen und blickte hinaus in die Dunkelheit. Nein, sie waren nicht bei ihrem Haus. Sie waren nicht einmal mehr in der Stadt.

„David?“, murmelte sie verschlafen.

„Wir sind schon fast da. Eigentlich hatte ich diese Fahrt heute Nacht nicht eingeplant, deshalb muss ich noch mal tanken. Aber dann ist es nicht mehr weit.“

„Wo … wo sind wir?“

„Etwas nördlich von Calistoga.“

Es dauerte eine Weile, bis seine Antwort zu ihrem Gehirn durchdrang. Das Denken fiel ihr unendlich schwer. Doch dann war sie alarmiert. Calistoga? Das war doch eine gute Autostunde außerhalb der Stadt am nördlichen Rand des Napa Valley. Warum um Himmels willen war er so weit gefahren? „Das verstehe ich nicht. Was wollen wir in Calistoga?“

Gereizt blickte er sie an. „Warum hast du bloß den Champagner nicht ausgetrunken? Du hättest schlafen sollen, bis wir bei der Jagdhütte ankommen.“

Noch immer fiel ihr das Denken schwer, doch der Nebel um ihr Gehirn lüftete sich allmählich. Warum hätte sie unbedingt den Champagner austrinken sollen? Und was hatte es mit der Jagdhütte auf sich? „Ich will mit dir in keine Hütte. Du sollst mich nach Hause bringen.“

„Das mache ich doch gerne.“ Er legte eine kurze Pause ein. „Morgen.“

Protestierend schüttelte sie den Kopf, aber selbst diese Bewegung fiel ihr schwer. „Irgendwas stimmt nicht mit mir. Ich fühle mich so komisch.“

„Ach, du bist nur erschöpft. Schlaf ein bisschen!“

Es klang nicht wie eine Aufforderung, sondern wie ein Befehl. Nur zu gern wollte sie ihm Folge leisten, müde, wie sie war. In diesem Moment ging es ihr auf. Der Champagner, der so komisch geschmeckt hatte!

„Du … du hast mir etwas in den Champagner getan. Ein Betäubungsmittel, eine Droge.“

Statt zu widersprechen, grinste er wie ein Schuljunge, den man mit der Hand in der Keksdose erwischt hatte. „Ein bisschen vielleicht.“

So benommen sie auch war – Angst stieg in ihr auf. Um Himmels willen, er hatte sie tatsächlich unter Drogen gesetzt! Ihr Mund und ihre Kehle waren ganz trocken.

„Warum?“, brachte sie angestrengt hervor. „Warum tust du mir so etwas an?“

Sie erschauerte. Ob er etwas mit ihr getan hatte, während sie bewusstlos gewesen war?

„Weil du mir gehören sollst“, gestand er ihr, als wäre das Erklärung genug.

Für ihn war es das offenbar auch. In der Vergangenheit war ihr schon öfter aufgefallen, dass er sich benahm, als hätte er ein Anrecht auf alles. Mehr als einmal hatte er gesagt: „Das habe ich mir verdient, das steht mir zu.“ Egal ob es sich um eine Suite im Ritz, seine dritte Rolex oder seinen neuen Jaguar handelte, stets war das Beste gerade gut genug für ihn, und es sollte ihm automatisch zufallen. Jetzt war er offenbar der Meinung, dass Gianna ihm zustand. In diesem Moment siegte ihre Wut über Schläfrigkeit und Angst. Nein, so einfach wollte sie es ihm nicht machen!

„Und es stört dich überhaupt nicht, dass du mich nur bekommen kannst, indem du mich unter Drogen setzt und entführst?“, fragte sie. Wenn sie ihn in ein Gespräch verwickelte, gewann sie vielleicht Zeit, um nachzudenken und einen Plan zu entwickeln.

„Das war auf jeden Fall der schnellste Weg“, gab er ungerührt zurück.

Einen Moment lang wandte er den Blick von der Straße ab und sah sie böse an. Ich darf ihn auf keinen Fall merken lassen, dass ich trotz der Droge bei halbwegs klarem Verstand bin, schoss es ihr durch den Kopf. Sonst verabreicht er mir vielleicht noch eine Dosis, und dann habe ich überhaupt keine Chance zur Flucht mehr. Aufseufzend schloss sie die Augen und ließ den Kopf auf die Brust sinken.

„Ich bin so müde“, murmelte sie.

Während er mit der linken Hand das Steuer hielt, fuhr er ihr mit der rechten über die Wange. Sie musste sich zusammenreißen, um sich nicht angeekelt abzuwenden. „Glaub mir“, sagte er, „morgen früh wirst du dich fragen, warum du mich überhaupt so lange abgewiesen hast. Und morgen Nachmittag …“

„Was ist morgen Nachmittag?“, hakte sie nach und gähnte dabei demonstrativ.

„Dann sind wir verlobt.“

Sie fasste sich mit der Hand an den Kopf. „Was? Ich … ich verstehe nicht …“

„Ist doch klar. Ich werde deiner Großmutter gestehen müssen, zerknirscht und voller Reue natürlich, dass unsere Leidenschaft leider über die Anstandsregeln der Familie Dante gesiegt hat. Daraufhin wird deine Familie fordern, dass ich dich heirate, das gebietet die Ehre. Und ich stimme natürlich zu. Das ist der einzig vernünftige Weg, deine Ehre wiederherzustellen.“

Sie zuckte zusammen. Was verstand er schon von Ehre? Am liebsten hätte sie ihm diese Frage entgegengeschleudert, aber es war klüger, sich zusammenzureißen und die Benommene zu spielen.

„Ich habe doch diese Geschichte aus deiner sittenstrengen Familie gehört“, fuhr David fort. „Die haben Luc und Téa nach einer kuscheligen Liebesnacht erwischt, und Primo hat darauf bestanden, dass die beiden sofort heiraten. Wenn so etwas seiner einzigen Enkelin widerfährt, diesem Bollwerk des Anstands, wird er das Gleiche fordern. Die Familienehre geht ihm über alles. Natürlich sind das Ansichten von vorgestern, aber so sieht er es nun mal, der alte Mann. Und sein Wort ist in eurer Familie immer noch Gesetz.“

„Aber wenn ich ihnen erzähle, dass du mich unter Drogen gesetzt hast?“ Sie verbannte jegliche Härte aus ihrer Stimme und versuchte, schläfrig und benommen zu klingen.

Er lachte auf. „Ich weiß doch, wie die Droge wirkt. Du wirst dich nicht daran erinnern können. Und auch nicht an diese Unterhaltung.“

Auf der rechten Straßenseite tauchte eine Tankstelle auf, und er hielt an. Wie Gianna bedauernd feststellte, war sie nicht besetzt; man konnte jedoch in Selbstbedienung tanken und automatisch per Kreditkarte bezahlen. Wie schade, dass kein Angestellter da war! Ihre letzte Hoffnung bestand darin, dass ein weiterer Autofahrer anhalten und tanken würde. Jemand, der ihr helfen konnte.

David wandte sich ihr zu. „Bevor du wieder einschläfst, habe ich noch eine Frage.“

„Später … bin zu müde …“

„Nichts da“, schalt er sie wie ein kleines Kind und tätschelte ihr die Wange. „Du kannst schlafen, wenn du mir die Frage beantwortet hast.“

„Was … was willst du denn wissen?“, fragte sie betont schläfrig.

„Wo ist Brimstone?“

Sie verstand nichts, und diesmal lag es nicht an der Droge. „Was?“

„Der legendäre Dante-Feuerdiamant, der Brimstone-Diamant. Wo ist er? Nach Auskunft meiner Informanten ist er verschwunden. Was ist mit ihm passiert?“

„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“

Er fluchte auf Italienisch leise vor sich hin. „Jetzt stell dich nicht dumm. Alle Dantes wissen davon. Mein Vater hat mir davon erzählt, und er hat es direkt von Vittorio Romano.“

Vittorio war Constantines Vater. „Ehrlich, davon weiß ich nichts.“

„Eigentlich sollten die Romanos Brimstone bekommen, nachdem dein Cousin und Ariana geheiratet hatten. Aber dazu ist es nie gekommen.“ Er hielt einen Moment inne und sprach dann weiter, mehr zu sich als zu ihr. „Es sei denn, dieser Bastard Constantine hat damit seine Firma finanziert. Ich weiß nicht, wie er das Unternehmen sonst so schnell auf die Beine gestellt haben könnte. Schließlich hat mein Vater dafür gesorgt, dass er nirgendwo einen Kredit bekommen hat.“

Sie gähnte demonstrativ. „Das ist mir zu kompliziert … Ich bin so müde …“

Er dachte einen Moment nach. „Hätte Romano den Diamanten, dann wäre er nicht hier und würde nicht so um dich buhlen. Und egal, was meine Informanten sagen – einen so wertvollen Feuerdiamanten verliert man nicht so einfach. Und das bedeutet …“ Er wandte sich wieder ihr zu. „Besitzt deine Familie den Diamanten noch? Ist Romano deshalb hier? So ist es, oder? Er will in seinem Besitz gelangen, indem er in die Familie einheiratet.“

„Brimstone … davon habe ich noch nie gehört“, murmelte sie.

Und das stimmte auch. Aber sie würde ihre Familie danach fragen, sobald sie dieser gefährlichen Situation entronnen war. Ein Schaudern lief ihr über den Rücken. Falls sie überhaupt entkommen konnte! Wenn ihr doch nur jemand zu Hilfe käme!

Sein Blick war eiskalt. „Na schön, dann spiel doch die Ahnungslose, das ändert auch nichts. Sobald ich in die Familie eingeheiratet habe, ist es sowieso egal.“

„Hm, okay.“ Sie schloss die Augen und ließ den Kopf sinken.

„Gia?“

Sie rührte sich nicht.

„Gianna!“

Obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug, stellte sie sich schlafend und schien ihn damit zu überzeugen. Durch ihre halb geschlossenen Augen beobachtete sie, wie er einen Knopf drückte, der offenbar automatisch den Tankverschluss öffnete, und dann ausstieg. Sie wartete ab, bis er seine Kreditkarte in den Schlitz gesteckt und dann vollgetankt hatte.

Glücklicherweise war er sich seiner Sache so sicher gewesen, dass er den Zündschlüssel stecken lassen hatte. Eine günstigere Gelegenheit würde sie nicht mehr bekommen.

Blitzartig kletterte sie auf den Fahrersitz hinüber, ließ den Wagen an und betätigte die Zentralverriegelung. Von hinten hörte sie David rufen, aber sie achtete nicht darauf und gab Gas. Jetzt wurde es erst richtig schwierig. Bisher hatte sie erst einmal in ihrem Leben am Steuer eines Autos gesessen, und obendrein plagte sie noch immer die Benommenheit.

Der Wagen schoss nach vorn, und sie versuchte ihn auf die Straße zu fahren, aber sie besaß nicht das richtige Gefühl für die Lenkung. Als sie gegensteuern wollte, übertrieb sie es mit der Bewegung, schrammte an einem Felsbrocken entlang, versuchte wieder gegenzusteuern – und das Auto begann sich zu drehen, bis es mit der Hinterachse gegen einen Baum prallte. Die Airbags bliesen sich auf. Dann war es totenstill.

Das war ja eine tolle Flucht gewesen. Gerade ein paar Meter weit hatte sie es geschafft. Schon sah sie den wutschnaubenden David auf das Auto zulaufen.

Gianna hielt den Atem an. Das konnte nicht gut ausgehen!

„Calistoga?“ Constantine gab den Ortsnamen in sein Navigationssystem ein. „Wo zur Hölle ist Calistoga?“

„Weiß ich leider auch nicht“, antwortete Vittorio Romano. Einen Augenblick lang rauschte es in der Satellitenverbindung, dann war der Empfang wieder klar. „Der Geschäftsfreund hat eine Jagdhütte erwähnt, die der junge d’Angelo in der Nähe von Calistoga besitzt. Dorthin lädt er manchmal Kunden ein.“

In diesem Moment kamen Constantine die neun Stunden Zeitunterschied zwischen Italien und Kalifornien gerade recht. Für ihn mochte es nach Mitternacht sein, doch im Herrenhaus der Romanos war es morgens. „Eine Suite im Ritz, eine Villa, ein Jaguar und jetzt noch eine Jagdhütte – der Kerl lässt es sich gut gehen. Vater, ich glaube, wir haben etwas falsch gemacht.“

„Nein, wir haben alles richtig gemacht“, belehrte ihn sein Vater. „Ich habe in letzter Zeit so einiges über die Bankgeschäfte der d’Angelos gehört. Sagt dir der Ausdruck ‚kreative Buchführung‘ etwas? Ich schätze, bald ist das ein Gesprächsthema in ganz Florenz. Und es wird auch nach San Francisco überschwappen.“

„Schade, dass es nicht schon ein paar Monate früher passiert ist“, murmelte Constantine. Er checkte das Navigationssystem. „Okay, ich habe Calistoga gefunden. Hast du die genaue Adresse?“

„Nein, aber ich warte noch auf Informationen aus einer anderen Quelle.“

„Bitte ruf mich an, sobald du noch etwas in Erfahrung gebracht hast.“

Constantine verschwendete keine Zeit. Da dank der späten Stunde wenig Verkehr herrschte, erreichte er die Golden Gate Bridge schnell. Wenn er kräftig aufs Gas drückte, konnte er Calistoga in weniger als einer Stunde erreichen. Dennoch hatte d’Angelo einen Riesenvorsprung.

Seine Hände krampften sich um das Lenkrad. Er durfte gar nicht daran denken, was d’Angelo mit Gianna vielleicht anstellen würde. Nein, er musste sich auf die Straße konzentrieren. So schnell wie möglich nach Calistoga kommen – und dann Gianna finden. Wenn er sie gerettet hatte, würde er dafür sorgen, dass David d’Angelo seine Taten bereute.

Er würde ihn nicht ungestraft davonkommen lassen.

Gianna stieß die Autotür auf und flüchtete aus dem Wagen. Im letzten Moment fiel ihr ihr Handy ein. Sie kämpfte sich an den aufgeblähten Airbags vorbei und schnappte sich ihre Handtasche, die auf dem Boden vor dem Beifahrersitz lag. David kam immer näher. Voller Panik rannte sie in den Wald, der neben der Straße lag.

Der Regen schlug ihr ins Gesicht und durchnässte ihr Kleid, was das Laufen erschwerte. Auch das Unterholz behinderte sie, aber das Schlimmste waren ihre hochhackigen Schuhe, deren Absätze sich in den weichen Waldboden drückten. Schließlich stolperte sie und fiel. Während sie einen kleinen Abhang herunterrollte, unterdrückte sie einen Aufschrei. Nur kein Geräusch machen! Nichts, was David auf ihre Spur bringen konnte!

Wie sich herausstellte, rettete ihr Stolpern sie vor der Entdeckung. Schon war David heran, aber er sah sie nicht. Sie lag kaum einen Meter von ihm entfernt und konnte seinen keuchenden Atem hören.

„Gia, sei doch nicht dumm“, rief er in die Finsternis. „Komm zurück! Das ist alles nur ein dummes Missverständnis.“

Gianna wagte kaum zu atmen. Ein dummes Missverständnis? Das konnte er jemand anderem erzählen! Sie wusste genau, was er wollte, aber das würde sie ihm nicht geben. Jedenfalls nicht freiwillig. Wie ein Kind, das sich vor dem schwarzen Mann versteckt, schloss sie unwillkürlich die Augen.

Fluchend kämpfte er sich durch das Unterholz zurück zu seinem Jaguar. „Schau nur, was du mit meinem Wagen angestellt hast“, rief er. Er ließ ein italienisches Schimpfwort folgen, das sie noch nie gehört hatte. Wahrscheinlich war es besser, dass sie die Bedeutung des Kraftausdrucks nicht kannte. „Kannst du dir vorstellen, was die Reparatur mich kosten wird?“

Vorsichtig erhob sie sich und zog ihre hochhackigen Schuhe aus. So unangenehm es auch war, im Wald barfuß zu gehen, es war immer noch besser, als einen verstauchten Knöchel oder einen Beinbruch zu riskieren. Denn dann wäre sie David völlig ausgeliefert. In strömendem Regen und fast völliger Dunkelheit setzte sie ihren Weg durch den Wald fort.

Sie fror entsetzlich und war schlammverschmiert. Im Stillen hoffte sie, dass der Dreck sie ein wenig tarnte. Zur Sicherheit streckte sie die Arme aus, um nicht gegen einen Baum zu laufen. Bei jedem Schritt trat sie auf abgebrochene Zweige und spitze Steine, gab aber trotz der Schmerzen keinen Laut von sich.

Sie wollte nicht so tief in den Wald hinein, damit sie später den Weg zur Straße zurückfand. Andererseits durfte sie auch nicht zu nahe bleiben, damit David sie nicht finden konnte. In der Ferne hörte sie, wie David den Jaguar anließ. Inständig hoffte sie, dass der Motor noch funktionierte, damit er davonfahren konnte.

Bitte fahr weg! Bitte, bitte!

Doch er dachte nicht daran. Stattdessen fuhr er ein Stück in den Wald hinein, um im Licht der aufgeblendeten Scheinwerfer besser nach ihr suchen zu können. Sie versteckte sich hinter einem dicken Baumstamm und hörte, wie David die Autotür öffnete, ausstieg und sie wieder zuschlug. Im hellen Strahl der Scheinwerfer setzte er seine Suche fort.

Zitternd und an die harte Rinde des Baums gepresst stand Gianna da. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie fror. Vorher hatten offenbar die Furcht und das Adrenalin dieses Gefühl überdeckt. Als sie für eine Sekunde hinter den schützenden Baum hervorspähte, sah sie mit Schrecken, dass er sich genau auf sie zubewegte. Konnte er sie sehen? Oder spüren? Hatte er vielleicht ihre Spuren im Unterholz entdeckt? In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nicht solche Todesangst gehabt. Bitte gib die Suche auf und fahr weg! dachte sie.

Plötzlich hörte sie von ferne ein großes Fahrzeug nahen, vielleicht einen Lastwagen. Das konnte ihre Rettung sein! Sicher sah man von der Straße aus den beschädigten Jaguar. Hoffentlich würde der Fahrer anhalten, um Hilfe zu leisten.

Auch David hatte das Geräusch gehört und war offenbar zu dem gleichen Schluss wie sie gekommen, denn er begann plötzlich heftig zu fluchen. „Na, schön, meinetwegen kannst du im Wald verrotten, du Miststück“, rief er und machte sich zurück auf den Weg zum Auto. „Aber für den Schaden am Jaguar zahlst du, hörst du? Und für so manches andere auch!“

Er ist wirklich völlig verrückt geworden, schoss es ihr durch den Kopf. Zu ihrer Erleichterung hörte sie dann, wie die Autotür zuschlug und David mehrfach den Motor aufheulen ließ. Schließlich fuhr er los. Ein schepperndes Geräusch war zu hören; offenbar hatte sie bei ihrem Manöver die Stoßstange beschädigt. Kaum war David davongefahren, raste auch der Lkw vorbei. Von dieser Seite hatte sie also keine Hilfe zu erwarten.

Noch immer wagte sie sich nicht hinter dem Baum hervor, aus Angst, David könnte zurückkommen. Sie wartete bange Momente, die ihr wie eine Ewigkeit erschienen, aber kein verdächtiges Geräusch war zu hören. Plötzlich fiel ihr das Handy wieder ein. Doch ihre Handtasche war weg. Offenbar hatte sie sie unbemerkt während ihrer Flucht fallen lassen, wahrscheinlich, als sie gestürzt war. Verzweifelt begann sie danach zu suchen.

Mit bloßen Händen tastete sie den Waldboden ab und fror dabei erbärmlich, durchnässt, wie sie war. Am liebsten hätte sie aufgegeben, sich zusammengekauert und wie ein Schlosshund geheult. Doch das durfte sie nicht. Wenn sie jetzt die Beherrschung verlor, konnte sie gleich alle Hoffnung aufgeben. Also riss sie sich zusammen und suchte weiter. Zähflüssig verrann die Zeit.

Als sie bereits der Verzweiflung nahe war, fühlte sie plötzlich das glatte Leder der Handtasche. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie drei Anläufe brauchte, bis es ihr endlich gelang, den Verschluss zu öffnen. Ihr fiel es schwer, das Handy überhaupt festzuhalten, und jetzt eine Nummer zu wählen war ein Ding der Unmöglichkeit. Obendrein musste sie feststellen, dass David das Gerät offenbar ausgeschaltet hatte, während sie bewusstlos gewesen war. Mit höchster Konzentration gelang es ihr, es wieder betriebsbereit zu machen – doch in diesem Moment ertönte ein warnendes Piepen: Akku schwach!

Nein, nein, nicht das jetzt auch noch! Das durfte nicht wahr sein. Wenn der Akku jetzt seinen Geist aufgab, konnte sie alle Hoffnung fahren lassen. Schon oft hatte sie vergessen, ihr Handy aufzuladen – und nun schwor sie sich, das würde ihr nie wieder passieren. Vielleicht würde der Akku gerade noch für einen Anruf reichen. Es war eine Ironie des Schicksals, dass David durch das Ausschalten – sicher damit kein Klingeln sie aus ihrer Betäubung riss – die allerletzte Akkukraft bewahrt hatte.

Mit zitternden Händen betätigte sie die Rückruftaste. Constantine antwortete sofort.

„Gianna?“

Sie brach in Tränen aus. „Hilf mir! Bitte, bitte, hilf mir!“

4. KAPITEL

Mit kreischenden Bremsen hielt Constantine seinen Porsche vor der Tankstelle an.

Suchend blickte er sich um. Nichts. Niemand.

Mitten im Gespräch hatte Giannas Handy seinen Geist aufgegeben, und er konnte nur hoffen, dass er die richtige Tankstelle auf der richtigen Straße gefunden hatte. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, aber das änderte nichts daran, dass sie irgendwo da draußen war, durchnässt und frierend.

Schnell stieg er aus und rief: „Gianna? Wohl steckst du, piccola?“

Gerade als er zum Wald hinüberblickte, tauchte Gianna aus dem Unterholz auf. Sie wollte seinen Namen rufen, aber selbst dazu fehlte ihr die Kraft. Nur ein leises Wimmern entwich ihrer Kehle. Sie hob ihr durchnässtes, zerrissenes Kleid an und lief über die regennasse Straße, ohne auf die Pfützen zu achten, in die ihre bloßen Füße immer wieder platschten. Einerseits war er unendlich erleichtert, sie zu sehen, doch ihr erbärmlicher Anblick schockierte ihn zutiefst.

Sie war kaum wiederzuerkennen. Keine Spur mehr von der eleganten, gepflegten Frau, die sie noch am Abend gewesen war. Jetzt war sie ein verschmutztes, zerkratztes, hilfsbedürftiges Häufchen Elend. Ihn wunderte es, dass sie überhaupt noch laufen konnte. Vielleicht war es eine Art Schock, der sie ihre Schmerzen vergessen ließ.

Er lief auf sie zu, und als sie sich am Straßenrand trafen, flüchtete sie sich in seine Arme, und er hielt sie ganz fest. Die Hauptsache war, dass sie lebte. Zitternd und unter Tränen versuchte sie ihm etwas zu sagen, aber er verstand kein Wort. Sie musste völlig unterkühlt sein.

Mit einem gewandten Griff nahm er sie auf den Arm und trug sie zum Auto. „Wir müssen dich unbedingt aufwärmen“, sagte er. „Und du musst aus den nassen Klamotten raus.“

Sie schien vor Erschöpfung und nervlicher Anspannung seinen Worten kaum folgen zu können. Er stellte sie wieder auf die Beine, und sie zuckte zusammen, als ihre geschundenen Füße den Erdboden berührten. Leise fluchte er vor sich hin. Dieser Dreckskerl von d’Angelo würde für jeden einzelnen Kratzer an Giannas Körper bezahlen – und zwar teuer bezahlen. Als er ihr Kleid an der Rückenpartie öffnen wollte, gelang es ihm nicht gleich. Daher entschied er sich für die einfachste Lösung – und riss es ihr einfach vom Körper.

„Ganz ruhig, piccola, ganz ruhig“, redete er besänftigend auf sie ein. „Ich will dir nur helfen, dass dir wieder warm wird.“

Schnell streifte er sich sein Jackett und sein Hemd ab und zog sie ihr an. Dann verfrachtete er sie ins Wageninnere, ließ den Motor an und stellte die Heizung auf die höchste Stufe.

„Danke“, murmelte sie. „Danke für alles, Constantine.“

„Geht es dir gut?“, erkundigte er sich. „Dumme Frage, wirklich. Ich meine: D’Angelo – hat er dich … hat er dir wehgetan?“

Er wollte das Wort Vergewaltigung nicht aussprechen, aber an ihrem Gesichtsausdruck erkannte er, dass sie auch so verstand, was er meinte. Immer noch zitternd, hielt sie ihre Finger vor das warme Gebläse. Sie seufzte tief.

„Nein, in der Hinsicht bin ich unversehrt. Ich konnte flüchten, bevor er …“

Ihm war klar, dass er sie in dieser Situation nicht mit weiteren Fragen behelligen sollte, aber er musste einfach alles wissen. „Wie hast du das nur geschafft? Ich meine zu fliehen? Ich hätte damit gerechnet, dass du die ganze Zeit bewusstlos bist.“ Fragend sah sie ihn an. Woher wusste er …? Er zuckte mit den Schultern. „Mir ist klar, dass d’Angelo dir Drogen untergejubelt hat. Er hat so eine Nummer schon mal durchgezogen. Mindestens einmal.“

Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an. Diese Enthüllung schockierte sie zutiefst. „Wahrscheinlich wäre ich auch bewusstlos gewesen“, murmelte sie. „Damit hatte David auf jeden Fall gerechnet. Aber ich hatte meinen Champagner nicht ganz ausgetrunken, weil er so komisch schmeckte. Deshalb hatte ich nicht die ganze Dosis von dem Zeug, was immer es auch gewesen sein mag.“

„Das nenne ich Glück. Wann bist du denn aufgewacht?“

„Kurz bevor er tanken wollte. Sein Plan war, mich … mich in eine moralisch so verfängliche Situation zu bringen, dass Primo auf einer Heirat bestanden hätte.“

Sie hatte genau dieselbe Hemmung wie Constantine, das, was David ihr antun wollte, beim Namen zu nennen. Es war einfach noch zu früh und das Wort zu hässlich. „Wahrscheinlich hätte der Plan sogar funktioniert, wenn ich nicht meine Chance zur Flucht ergriffen hätte.“

Es war alles verflixt knapp gewesen. Hätte sie ihren Champagner ausgetrunken, wäre sie erst viel zu spät wieder erwacht. Hätte David kein Benzin gebraucht, hätte er vor der Jagdhütte keinen Zwischenstopp zum Tanken mehr eingelegt. Wäre Gianna zu verängstigt gewesen, um einen klaren Gedanken zu fassen und instinktiv zu handeln, wäre sie nicht geflohen. So hatte sie wirklich noch einmal Glück im Unglück gehabt.

„Ich schätze, wir sollten jetzt losfahren“, schlug er vor.

„O ja, bitte“, erwiderte sie zaghaft lächelnd.

Als sie auf dem Weg zurück in die Stadt waren, fiel ihm plötzlich etwas ein. „Wir müssen unbedingt Luc anrufen und ihm sagen, dass du in Sicherheit bist. Er ist sicher schon ganz krank vor Angst.“

„Mein Handy geht nicht mehr.“

Er zog seins aus der Tasche und gab es ihr. Sie rief ihren Bruder an und beruhigte ihn, verheimlichte ihm aber, was wirklich geschehen war. Stattdessen sprach sie von einem „unglücklichen Missverständnis“. Als sie das Gespräch beendet hatte, blickte Constantine sie missbilligend an. Sie wich seinem Blick aus.

„Warum hast du ihn angelogen?“

„Das kannst du dir doch wohl denken“, erwiderte sie seufzend. „Hätte ich Luc erzählt, was wirklich passiert ist, dann würden meine Brüder David Stück für Stück auseinandernehmen.“

„Das passiert so oder so.“

„Aber …“

„Warum zum Teufel nimmst ihn in Schutz?“, fragte Constantine verärgert.

Tränen standen ihr in den Augen. „Ich nehme ihn nicht in Schutz.“ Sie brauchte einen Moment, um sich zusammenzureißen. „Du kannst dir doch vorstellen, was passiert, wenn ich zur Polizei gehe. Ich habe keine Beweise. Nicht für das, was passiert ist, und natürlich erst recht nicht für das, was er vorhatte. Sein Wort stünde gegen meins. Und wenn die Geschichte an die Öffentlichkeit dringen würde …“ Sie konnte nicht weitersprechen, ihre Mundwinkel zitterten. Nachdem sie eine Zeit lang aus dem Fenster geblickt hatte, sagte sie: „Immerhin habe ich seinen Jaguar ganz schön beschädigt. Das verschafft mir eine gewisse Genugtuung.“

„Wie hast du denn das angestellt?“

„Gegen einen Baum gedonnert.“

„Ich dachte, du fährst nicht Auto.“

„An sich nicht. Bei meinem ersten heimlichen Fahrversuch habe ich ja gleich Lucs heiß geliebten Ferrari geschrottet. Danach wollte ich mich nie mehr ans Steuer setzen. Ich hatte Angst, dass so etwas noch mal passiert.“ Der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Lippen. „Und so ist es mit Davids Jaguar dann ja auch gekommen.“

„Zweimal am Steuer – und zweimal Schrott produziert …?“

„Wenn schon, denn schon.“

Constantine nahm sich vor, seine Vollkaskoversicherung zu überprüfen – und vorsichtshalber aufzustocken. „Wie bist du überhaupt ans Lenkrad gekommen?“

„Ich habe meine Chance genutzt, als er gerade beim Tanken war. Sicher, sehr weit hat es mich nicht gebracht. Aber immerhin weit genug, dass ich in den Wald flüchten konnte, bevor er mich einholte.“

Constantine lachte laut. „Du bist ja eine richtige kleine Superheldin. Ehrlich, du verblüffst mich immer wieder.“

„Trotzdem hätte ich mir einen ruhigeren Abend gewünscht.“

„Nicht nur du.“ Erleichtert stellte er fest, dass sie nicht mehr zitterte. „Klapp doch den Sitz zurück und schlaf ein bisschen. Danach geht’s dir sicher besser.“

Erschrocken zuckte sie zusammen. „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich lieber wach bleiben.“

„Natürlich macht es mir nichts aus.“

„Es ist nur, weil …“ Unwillkürlich schüttelte sie sich. „Ich kann jetzt nicht schlafen. Nicht nach dem, was passiert ist – und fast passiert wäre …“

Als ihm klar wurde, wie schockiert und verängstigt sie immer noch war, krampfte er seine Hände um das Steuer. Egal was es ihn kostete, egal wie lange es dauern würde – er würde dafür sorgen, dass d’Angelo für seine Untaten zahlte. Dass er nie wieder die Möglichkeit bekommen würde, einer anderen Frau ein Leid anzutun. Beim ersten Mal hatte ihm dazu die Möglichkeit gefehlt, doch jetzt hatte er genug Geld und obendrein die Familie Dante auf seiner Seite. Auf jeden Fall würden die Dantes auf seiner Seite stehen, sobald sie die Wahrheit erfuhren.

Gianna dachte einen Moment nach, dann sagte sie: „Irgendetwas an dieser ganzen Geschichte wurmt mich.“

„Mich wurmt alles an dieser Geschichte.“

„Nein, ich meine, etwas ist mir nicht klar. Warum ist David so versessen darauf, mich vor den Traualtar zu zerren?“

Constantine runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht ganz.“

„Er hat mir gesagt, dass er mich …“ Sie zögerte kurz. „Dass er mich kompromittieren wollte, damit ich gezwungen bin, ihn zu heiraten. Sicher, seine Mannesehre war verletzt, und so hätte er mich dir weggeschnappt, aber das allein kann es nicht gewesen sein. So durchgeknallt ist nicht mal er. Da muss noch etwas anderes dahinterstecken.“

„Ist doch ganz klar“, wandte Constantine ein. „Es muss um Geld gehen.“

Bedächtig schüttelte Gianna den Kopf. „Nein, das kann nicht sein. David ist schwerreich und seine Familie noch viel mehr.“

„Sei dir da nicht so sicher. Ich habe vorhin mit meinem Vater telefoniert, und er meinte, es gebe da so Gerüchte, was den Reichtum der Familie d’Angelo angeht.“

„Was, tatsächlich? Was sind das für Gerüchte?“

„Bisher weiß ich noch nicht viel. Aber ich finde es heraus.“

„Irgendwie witzig“, sagte sie plötzlich.

Erstaunt sah er sie an. „Du findest an der Sache etwas witzig?“

„Irgendwie schon. Wenn du recht hast, wollte David mich nur heiraten, weil ich Geld habe.“ Sie schloss erschöpft die Augen. „Und genau aus diesem Grund wolltest du mich nicht heiraten.“

„Das war nicht der einzige Grund, piccola“, erwiderte er sanft.

Sie antwortete nicht, weil sie eingeschlafen war. Constantine fand ihren Anblick wunderschön, obwohl sie zerzaust und zerkratzt war.

Einige Meilen weiter schreckte sie plötzlich mit einem Aufschrei aus ihrem unruhigen Schlaf hoch. „Alles ist gut“, beruhigte er sie. „Du bist in Sicherheit.“

„War ich eingeschlafen?“

„Du hast den Schlaf sicher gebraucht“, gab er zurück. „Wir kommen jetzt in die Stadt. In ein paar Minuten bist du zu Hause.“

Wenig später hielt Constantine vor ihrem Reihenhaus an. „Ich weiß ja, dass du kein Auto hast“, sagte er, „aber zu dem Haus gehört doch sicher eine Garage. Kann ich meinen Porsche da reinfahren, oder hast du sie mit Gerümpel vollgestellt?“

Verständnislos blickte sie ihn an. „Wie bitte?“

„Ich bleibe über Nacht bei dir und will nicht die nächsten Stunden damit verbringen, nach einem Parkplatz zu suchen“, erklärte er ihr geduldig. „Also, kann ich meinen Wagen in deine Garage fahren?“

Er konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Gehirn arbeitete. „Das ist nicht nötig“, meinte sie schließlich.

„Pass mal auf. D’Angelo ist irgendwo da draußen, und ich vermute mal, dass er ziemlich sauer auf dich ist. Wir können nicht riskieren, dass er dich heute Nacht heimsucht. Es gibt also nur wenige Möglichkeiten.“ Er hielt einen Finger hoch. „Erstens: Wir fahren in die Notaufnahme und lassen dich untersuchen. Du hast einige üble Kratzer und Schnitte abbekommen.“

Entschieden schüttelte sie den Kopf. „Ach, das sind wirklich nur Kratzer. Es geht mir gut. Und von der Droge habe ich ja nicht die volle Dosis abbekommen.“

Diese Ausflüchte ließ er nicht gelten. „In Wirklichkeit geht es dir doch um etwas anderes. Wenn du den Ärzten erzählst, was passiert ist, verständigen sie bestimmt die Polizei. Und das willst du nicht.“

„Da könntest du recht haben“, gab sie seufzend zu.

„Könnte ich nicht nur, habe ich. Aber wenn die Schnitte gefährlich aussehen, bringe ich dich zur Notaufnahme, ob du willst oder nicht.“ Jetzt hielt er zwei Finger in die Höhe. „Die zweite Möglichkeit: Ich bringe dich zu einem deiner Verwandten. Zu welchem, kannst du dir aussuchen, und du bleibst die Nacht dort.“

Sie schüttelte den Kopf. „Du weißt doch genau, was dann passiert.“

Das konnte er sich lebhaft vorstellen. „Es gibt eine Riesenaufregung. Und sie werden unbedingt die Polizei informieren wollen.“

„Oder, noch schlimmer, sie werden die Sache selbst in die Hand nehmen wollen. Das kann ich nicht riskieren, das darf auf keinen Fall passieren.“

Und doch wird es passieren, dachte er. Sie ahnt es nur nicht. Noch nicht. Jetzt hielt er drei Finger in die Höhe. „Die dritte Möglichkeit: Ich komme mit rein und verbringe die Nacht bei dir. Es muss jemand bei dir sein – für den Fall, dass sich dein Zustand plötzlich verschlechtert und du ins Krankenhaus musst. Außerdem besteht wie gesagt das Risiko, dass d’Angelo dir einen unerwarteten Besuch abstattet. Und dann brauchst du jemanden, der mit ihm fertig wird.“ Er legte eine kurze Pause ein. „Damit meine ich übrigens mich.“

„Das hätte ich mir fast gedacht“, erwiderte sie seufzend.

„Schön, dass wir uns verstehen. Also – welche Möglichkeit ist dir die liebste?“

„Die Nummer drei“, gab sie widerwillig zu. Sie kramte in ihrer Handtasche. „Hier ist der Garagenschlüssel.“

Nachdem er das Auto in die Garage gebracht hatte, folgte er ihr ins Haus. Wie er feststellte, war es sehr geschmackvoll eingerichtet, mit lebhaften Farben – lebhaft wie sie – und einer harmonischen Mischung von Antiquitäten und modernen Möbeln.

Sorgfältig durchsuchte er jedes Zimmer, ob sich dort jemand versteckt hielt. „Glaubst du wirklich, dass David unter meinem Bett auf mich lauert?“, fragte sie sarkastisch.

„Begreifst du den Ernst der Lage nicht? Der Kerl ist unberechenbar.“

„Ja, du hast recht. Entschuldige bitte.“

Sie war immer noch sehr blass und bot einen mitleiderregenden Anblick, der seinen Beschützerinstinkt weckte.

„Willst du noch kurz duschen, bevor du ins Bett gehst?“, fragte er. „Das würde dir sicher guttun. Und dann sehe ich mir erst mal deine Füße an, ob du nicht vielleicht doch eine Verletzung hast, die genäht werden muss.“

„Keine Sorge, meine Füße sind so weit in Ordnung, sonst könnte ich nicht auftreten. Eine Dusche könnte ich allerdings schon gebrauchen. Ich habe das Gefühl, der halbe Wald ist an mir kleben geblieben. Aber anschließend ins Bett … das möchte ich nicht.“

Er unterdrückte ein Lächeln. Sie klang wie ein störrisches fünfjähriges Kind. „Ich verstehe schon, du hast Angst zu schlafen. Aber du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Ich beschütze dich.“

Tränen traten ihr in die Augen, und sie flüchtete in seine Arme. „Das war alles verflixt knapp, Constantine.“

„So knapp nun auch wieder nicht“, tröstete er sie, obwohl er wusste, dass sie recht hatte. „Ich war euch ja relativ dicht auf den Fersen. Ich wusste schon, dass d’Angelo in der Nähe von Calistoga eine Jagdhütte hatte, und mein Vater hat daran gearbeitet, die genaue Adresse herauszubekommen.“

„Du hast wirklich Vittorio angerufen? Er weiß, was passiert ist?“

„Ich hätte sogar den Papst angerufen, wenn der mir die Adresse hätte geben können. Zum Glück besitzt mein Vater exzellente Kontakte. So oder so wäre ich auf jeden Fall rechtzeitig gekommen.“

Ihre Mundwinkel zuckten. „Vielen, vielen Dank.“

„Schon in Ordnung.“ Er entließ sie aus seiner Umarmung und führte sie in Richtung Badezimmer. „So, jetzt mach dich frisch. Aber versuch, nicht in der Badewanne einzuschlafen.“

Zehn Minuten später war sie geduscht und verließ in einen flauschigen Morgenmantel gehüllt das Badezimmer. Sorgfältig untersuchte er nun ihre Füße, aber sie hatte nur kleinere, ungefährliche Kratzer und Schnitte davongetragen. Anschließend begab sie sich in ihr Schlafzimmer, und er folgte ihr. Als sie den Morgenmantel auszog, stand sie in einem hauchdünnen Nachthemd da. Sie sah ungeheuer verführerisch aus. Schnell schlüpfte sie unter die Bettdecke.

„Das Licht möchte ich lieber anlassen“, sagte sie und zog sich die Decke bis unters Kinn hoch.

„Kein Problem.“ Er deutete auf einen Sessel. „Ich bin hier, falls du mich brauchst.“

Nachdenklich legte sie die Stirn in Falten. „Das geht doch nicht, Constantine. Darauf kannst du nie im Leben schlafen. Benutz doch das Gästezimmer.“

„Nichts da, ich bleibe hier. Du kannst beruhigter schlafen, wenn jemand in deiner unmittelbaren Nähe ist. Und ich schlafe auch besser, wenn ich weiß, dass ich dir jederzeit zu Hilfe kommen kann.“

Skeptisch beäugte sie den Sessel. „Bist du sicher?“

„Absolut sicher.“

Wieder traten ihr Tränen in die Augen. „Nochmals vielen Dank, Constantine“, flüsterte sie. „Du kannst dir gar nicht vorstellen …“ Sie beendete den Satz nicht und schüttelte stumm den Kopf.

„Doch, kann ich.“ Vorsichtig trat er auf sie zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Er musste sich zusammenreißen, um nicht mit den Lippen ihren verführerischen Mund zu suchen. „Und jetzt versuch zu schlafen.“

Tatsächlich schlief sie sofort ein, was Constantine sehr beruhigte. Eine Zeit lang verfolgte er noch ihre ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge, dann schlich er sich aus dem Zimmer und führte ein Telefonat auf seinem Handy. Anschließend ging er zurück ins Schlafzimmer und betrachtete die schlafende Gianna nachdenklich. In diesem Moment schwor er sich etwas.

Egal was es ihn kosten würde, er würde diese Frau immer beschützen. Ihm war bewusst, dass ein Teil dieses Beschützerinstinkts durch das Inferno ausgelöst wurde, das sie untrennbar miteinander verband, aber da war noch mehr. Wenn sie Schmerzen empfand, empfand auch er Schmerzen. Wenn sie Hunger hatte, wollte er ihr Essen geben. Ihre und seine Bedürfnisse waren eins.

Einerseits verursachte diese Erkenntnis ein warmes, wohliges Gefühl in seinem Inneren, andererseits irritierte sie ihn. Er fürchtete um seine Unabhängigkeit. Und schließlich hatte er sich ja nicht gewünscht, dass das Inferno zuschlug! Obwohl er Gianna begehrte, wollte er nicht, dass sie die Oberhand über ihn bekam. Das widersprach seinem Naturell.

Aber es würde sich schon richtig einpendeln. Dafür würde er sorgen.

Was David d’Angelo eingefädelt hatte, würde passieren – nur mit einem anderen Mann. Nicht d’Angelo würde moralisch verpflichtet sein, Gianna zu heiraten, sondern Constantine. Wahrscheinlich würde seine zukünftige Braut das als miesen Trick ansehen. Aber sie hatte ihm ja keine Wahl gelassen. Erst hatte sie ihm das Inferno aufgezwungen, und dann hatte sie die Dreistigkeit besessen, ihre Meinung zu ändern und es zugelassen, dass d’Angelo ihr nahekam. So nahe, dass er ihr fast ein Leid angetan hätte.

Tja, und die Konsequenzen ihres Handelns musste sie jetzt tragen. Den Rest würde gewissermaßen automatisch ihre Familie übernehmen. Sie würde sie beide zwingen, vor den Altar zu treten – ob es beiden Beteiligten nun recht war oder nicht.

So würde er das Inferno unter Kontrolle bekommen. Er würde schon einen Weg finden, das Feuer zu löschen. Und selbst wenn er es nicht vollständig löschen konnte, würde er auf jeden Fall in der Lage sein, es zu beherrschen.

Einige Stunden später schreckte Gianna plötzlich aus dem Schlaf hoch. Im Traum hatte sie noch einmal die furchtbaren Geschehnisse der vergangenen Nacht durchlebt. Doch sofort war Constantine bei ihr, setzte sich auf ihr Bett und schloss sie schützend in die Arme.

„Keine Angst“, beruhigte er sie mit leiser Stimme. „Du bist bei mir, du bist sicher. Er kann dir nichts tun.“

Voller Mitgefühl hielt er sie fest. Doch Mitgefühl war ihr eigentlich zu wenig. Sie wollte etwas anderes spüren als Angst. Während sie den Kopf an seine Brust gedrückt hielt, beruhigte sie sein ruhiger, gleichmäßiger Herzschlag.

„Ich hatte einen Albtraum“, erklärte sie fröstelnd. „Einen ziemlich schlimmen.“

„Das hatte ich mir schon gedacht.“ Sanft gab er ihr einen tröstenden Kuss auf die Stirn, und es durchrieselte sie warm. „War ja nur ein Traum“, besänftigte er sie.

„Ja, ich weiß. Hat mir trotzdem einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ Sie schmiegte sich noch enger an ihn, und zu ihrer Erleichterung ließ er es sich gefallen, obwohl sie spüren konnte, dass er in einem inneren Widerstreit stand. Aber das war ihr egal. Sie war verängstigt und allein, und das wollte sie beides nicht sein. Es war auch nicht so, dass sie nur irgendeine Schulter zum Anlehnen brauchte. Nein, es musste Constantines Schulter sein.

„Bleib bei mir“, flüsterte sie.

Er fluchte auf Italienisch leise vor sich hin. „Gianna, das könnte verflixt gefährlich werden.“

„Ich bitte dich ja nicht, mit mir zu schlafen.“

„Aber vielleicht … kann ich mich nicht beherrschen.“

„Du bist doch nicht David.“

„Nein, ganz bestimmt nicht. Aber ich bin auch nur ein Mann. Und du bist momentan sehr anlehnungsbedürftig und trägst nur ein dünnes Nachthemd. Gib’s doch zu, das ist eine gefährliche Mischung.“

Das konnte sie nicht leugnen, aber in ihren Augen änderte das nichts. „Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich deine Lage nicht ausnutzen werde.“ Zu ihrer Erleichterung quittierte er ihr Versprechen mit einem Lachen. „Aber ich brauche jetzt einfach jemanden, der mich ganz festhält.“

Gequält seufzte er. „Ich hätte dich doch lieber zu deinen Eltern bringen sollen.“

„Wahrscheinlich“, gab sie zu. „Aber du hast es nicht getan, und deshalb hast du mich jetzt am Hals.“

Nach einigem Nachdenken nickte er. „Na schön. Leg dich hin.“

Sie tat, wie ihr geheißen. Zu ihrer Überraschung deckte er sie bis zum Kinn zu, während er außerhalb der Decke blieb.

„Meinst du das ernst?“, fragte sie.

„Völlig ernst. Jetzt versuch zu schlafen. Es wird schon bald wieder hell.“

„Würdest du noch etwas für mich tun?“

„Hast du Hunger? Oder Durst?“

„Nein.“ Verführerisch kuschelte sie sich an ihn. „Ich möchte, dass du mir einen Gutenachtkuss gibst.“

„Gianna, führe mich nicht in Versuchung.“

„Ist es dir lieber, dass David der letzte Mann ist, der mich geküsst hat?“

Das hätte sie jetzt nicht sagen dürfen!

Er murmelte auf Italienisch etwas vor sich hin und fuhr sich nervös mit der Hand übers Gesicht. Dann riss er urplötzlich die Decke weg und betrachtete sie eingehend. Ihr dünnes Nachthemd enthüllte mehr, als es verbarg. Das Wenige, das nicht zu sehen war, machte ihren Anblick umso verführerischer.

Doch er bewahrte die Beherrschung. Schließlich ergriff sie seine Hand und legte sie auf ihren Körper. „Berühr mich“, flüsterte sie. „Berühr mich so, wie ein Mann eine Frau berühren sollte.“

Autor

Anne Marie Winston
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