Bianca Arztroman Band 43

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

HEIRATE NIE EINEN ARZT von CAROLINE ANDERSON

Ein berauschendes Erlebnis ist Schwester Allies erste Liebesnacht. Ihr glücklicher Lover, der angehende Allgemeinarzt Mark, will sie auf der Stelle heiraten. Doch Allie sagt Nein. Sie möchte keinen Mann, der sich in seinem Job völlig aufreibt. Wie kann Mark sie nur umstimmen?

GIB UNS EINE CHANCE, MEGAN von ANNE HERRIES

Zärtlich liebt der einfühlsame Arzt Dr. Philip Grant die hübsche Schwester Megan, die nach zehn Jahren wieder in sein Leben getreten ist. Für immer soll sie nun bei ihm bleiben. Aber sie zögert. Etwas quält sie sehr. Warum gesteht sie ihm nicht, dass sie Angst hat, an einer schrecklichen Krankheit zu leiden?

EIN BABY FÜR DR. JAKE von FIONA MCARTHUR

Wie Feuer und Wasser sind die temperamentvolle Hebamme Poppy und der konservative Kinderarzt Dr. Jake Sheppard. Trotzdem sind sie verrückt nacheinander. Als sie ein Baby erwartet, ist sie glücklich, er aber sorgenvoll. Er fürchtet, dass es bei der Geburt schwere Komplikationen gibt!


  • Erscheinungstag 14.12.2012
  • Bandnummer 0043
  • ISBN / Artikelnummer 9783954461059
  • Seitenanzahl 351
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Image

Caroline Anderson

Heirate nie einen Arzt

1. KAPITEL

Allie hörte leise Schritte hinter sich.

“Da bist du ja”, sagte sie. “Ich dachte, du kommst überhaupt nicht mehr. Anna, wir müssen den Dienstplan regeln. Ich brauche das Wochenende vom … Hey!”

Sie fasste mit den Händen nach den Fingern, die ihre Augen bedeckten – kräftige, feste, männliche Finger, die zu jemandem mit einem sexy Lachen und einem ausgeprägten Sinn für Humor gehörten.

“Rate mal”, sagte eine Stimme, und Allie hielt sofort inne. Die Stimme klang seltsam vertraut. Das konnte doch nicht sein, oder?

“Mark?”, fragte sie ungläubig, und die Hände lösten sich.

“Verdammt. Du hast es erraten.”

Sie fuhr herum und lachte freudestrahlend. “Du bist es wirklich!”, rief sie und fand sich in einer herzlichen Umarmung wieder.

Dann schaute sie erfreut zu ihm auf. “Du hinterlistige Ratte! Woher wusstest du, wo ich bin? Von meiner Mutter?”

Er lächelte, sodass seine schönen grauen Augen aufblitzten und kleine Fältchen in den Augenwinkeln erschienen. “Ich fürchte ja”, gestand er.

“Und, was machst du hier?”

“Ich bin gekommen, um dir zum Geburtstag zu gratulieren”, erwiderte er schmunzelnd.

“Was, den ganzen Weg von London?”

Er lachte. “Nein. Eigentlich nur den ganzen Weg von Andrew Barretts Klinik. Ich mache dort Assistenz in der Pädiatrie. Heute habe ich angefangen.”

“Tatsächlich? Das ist ja nicht zu fassen, wir werden miteinander arbeiten. Oh, Mark, das ist ja toll! Wir haben uns so lange nicht gesehen …”

“Fünf Jahre.”

“Wirklich?”, meinte Allie erstaunt. “Ja, stimmt. Damals war ich achtzehn, und heute werde ich dreiundzwanzig. Oh, Mark, es ist so schön, dich zu sehen. Wir haben uns bestimmt viel zu erzählen. Wie wärs mit Mittagessen? Ach, verflixt, nein, das geht nicht. Da bin ich schon mit meinen beiden Mitbewohnerinnen zu einem Drink verabredet. Aber du könntest ja mitkommen”, schlug sie hoffnungsvoll vor.

“Ich möchte dich lieber für mich allein haben. Wir wärs mit heute Abend? Hast du da schon was vor?”

“Nein. Beth und Lucy müssen beide heute Abend arbeiten. Deshalb treffen wir uns zum Lunch.”

“Kein vielversprechendes Rendezvous?”

“Gar kein Rendezvous”, gab sie ironisch zurück. “Heute Abend wäre prima.”

“Wo wohnst du?”

“In einem kleinen Reihenhaus, gleich hinter dem Krankenhaus. Und du?”

“Ich habe ein Zimmer im Krankenhaus – eins von diesen grässlichen Dingern wie im Studentenwohnheim. Aber es könnte schlimmer sein, schätze ich. Es hat ein Bad und Bäume vorm Fenster, aber ansonsten ist es ziemlich schrecklich.”

“Du solltest dir eine Wohnung suchen.”

“Eigentlich möchte ich ein Haus kaufen. Ich brauche nur etwas Zeit, um mich umzuschauen. Mein nächster Job wird auch hier in dieser Gegend sein. Deshalb dachte ich, ich könnte gleich etwas kaufen. Warum nicht? Nach letzter Nacht würde ich sagen je früher, desto besser. Was für ein Krach.”

“Du wirst allmählich alt”, meinte Allie neckend, und er lachte.

“Wem sagst du das?” Mark warf einen Blick auf die Uhr und seufzte. “Ich muss los. Sollen wir uns um sieben am Hintereingang treffen?”

“Ja, gut. Ich freue mich. Wohin gehen wir?”

Er zuckte die Achseln. “Keine Ahnung. Ich bin erst gestern Abend in dieser Stadt angekommen. Such dir was aus! Ich mach alles mit.”

“Okay. Bis später.”

“Bis dann.” Er winkte ihr kurz zu, riss die Tür auf und lief mit langen Schritten den Korridor entlang. Allie blickte ihm mit einem verträumten Lächeln hinterher.

“Wer war das denn?”

Sie sah zu Anna, die Mark mit unverhohlener Neugier nachschaute, und lachte. “Ein alter Freund. Mark Jarvis. Er macht gerade eine Assistenz in der Pädiatrie. Er wollte mir nur zum Geburtstag gratulieren.”

“Du hast heute Geburtstag?”

“Ja. Und zur Feier des Tages darf ich Darrens Stuhlbeutel entleeren. Willst du mir dabei helfen?”

Anna lachte. “Ich komme mit und feure dich an. Also, sag schon, woher du diesen tollen Typen kennst, du Glückliche!”

Achselzuckend meinte Allie: “Er hat vor fünf Jahren für ein paar Wochen bei uns gewohnt, weil er bei meinem Vater ein klinisches Praktikum für Allgemeinmedizin gemacht hat.”

“Und sonst weißt du nichts von ihm? Zum Beispiel, ob er verheiratet ist oder so?”

War Anna wirklich an ihm interessiert? Was für ein Gedanke! Und zudem noch auf merkwürdige Weise beunruhigend …

“Ich weiß eigentlich gar nichts weiter über ihn”, antwortete Allie, und das stimmte. Sie wusste nichts, außer dass er ein charmanter und reizender Hausgast gewesen war. Ihre Mutter war von ihm begeistert gewesen, und ihr Vater hatte ihn für einen sehr vielversprechenden Medizinstudenten gehalten.

“Ich muss mich wohl mal über ihn informieren”, meinte Anna nachdenklich. “Es sei denn, du willst ihn dir selbst vorbehalten?”

“Das glaube ich kaum”, lachte Allie. “Ich denke nicht, dass er an mir interessiert ist, zumindest nicht so. Damals war ers jedenfalls nicht.”

Auf dem Weg in die Notaufnahme pfiff Mark lächelnd leise vor sich hin. Allie Baker war also erwachsen und noch viel schöner geworden. Wer hätte das gedacht?

Er drückte die Tür auf und strebte direkt auf den Tresen in der Mitte der geschäftigen Notaufnahme zu.

“Hi. Ich bin Mark Jarvis, Assistenzarzt der Pädiatrie. Sie wollten mich sprechen?”

Die Schwester schaute auf und lächelte. “Oh, hi. Ja, wir haben hier ein Mädchen mit einem klassischen Blinddarm. Können Sie bitte die Aufnahme machen und dem OP-Team Bescheid sagen?”

Er grinste ein wenig verlegen. “Ich kanns versuchen. Ich habe heute Morgen gerade erst angefangen. Noch bin ich kein Pädiatrie-Experte, fürchte ich, und was die Krankenhausformalitäten betrifft …”

Lächelnd rutschte sie von ihrem Hocker. “Kommen Sie. Ich zeige es Ihnen.”

Es war nicht schwer, sobald er begriffen hatte, wie die Dinge im Audley-Memorial-Krankenhaus gehandhabt wurden. Es bestand kein großer Unterschied zu den anderen Krankenhäusern, in denen er bereits gearbeitet hatte. Zunächst war er auf der Chirurgischen Station tätig gewesen, und danach hatte er mehrere kürzere Assistenzzeiten durchlaufen, in denen er all diejenigen Bereiche der Medizin abgedeckt hatte, die ihm nützlich sein würden, wenn er in einigen Monaten seine Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin begann.

Dennoch war sein ungeregelter Lebensstil der letzten Jahre anstrengend gewesen. Es wäre herrlich, dachte Mark mit einem stillen Seufzer, wenn man sich mal an einem Ort niederlassen und dort länger bleiben könnte als nur drei oder sechs Monate.

Er erledigte die Aufnahmeformalitäten für das Mädchen mit dem Blinddarm, ehe er auf die Station zurückkehrte. Doch Allie war nirgends zu sehen, und eine rothaarige Kollegin von ihr warf ihm interessierte Blicke zu. Oh je …

“Hi, ich bin Anna Long, und Sie sind Dr. Jarvis, nicht wahr? Wir kennen uns noch nicht. Wie kommen Sie zurecht?”, erkundigte sich die Schwester mit einem herausfordernden Lächeln.

“Gut. Wieder eine neue Verfahrensweise, aber ich denke, ich komme klar. Ich heiße übrigens Mark.”

Anna lächelte wieder, und er blickte sich um. “Ist das Mädchen mit der Blinddarmentzündung schon hier?”

“Sie ist unterwegs. Allie bezieht gerade das Bett für sie.” Sie sah ihn von der Seite her an. “Ich habe gehört, dass Sie und Allie sich kennen?”

Er nickte. “Ja. Ich habe vor ein paar Jahren eine Zeit lang bei ihren Eltern gewohnt. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen. Da gibt es sicherlich viel zu erzählen.”

Das Mädchen mit der Blinddarmentzündung wurde gebracht. Mark füllte noch weitere Unterlagen aus und sprach mit ihren Eltern. Dann kam der Stationsarzt der Chirurgie, untersuchte die neue Patientin und sagte, dass sie in Kürze operiert werden würde.

Mark wollte gerade gehen, da erhaschte er einen Blick auf einen Schopf hellblonder Haare, als Allie vorbeieilte. Er folgte ihr.

“Allie.”

Sie fuhr herum. “Du hast mich vielleicht erschreckt!”, sagte sie lachend. “Wie geht es deiner neuen Patientin?”

“Gut. Na ja, den Umständen entsprechend. Sie wird gleich operiert. Ich habe bereits einen Teil des Papierkrams erledigt. Und jetzt muss ich mir den Jungen mit dem künstlichen Darmausgang ansehen. Darren Soundso?”

“Forsey. Er liegt hier in dem Einzelzimmer. Kommst du klar?”

Er lachte leise. “Das nehme ich an. Hast du zu tun?”

Sie nickte mit einem raschen Blick auf die Uhr. “Ich habe immer zu tun. Ich muss mich beeilen. Jede Menge Arbeit. Wir sehen uns dann um sieben.”

“Na gut.” Er schaute ihr nach, betrachtete ihren Hüftschwung, der selbst in der hoffnungslos uneleganten Uniform äußerst sexy wirkte, und spürte, wie sich ein altvertrautes Verlangen in ihm regte. Sieben Uhr schien noch sehr weit zu sein.

Ich muss verrückt gewesen sein, dachte Allie. Ein Lunchtreffen mit Mark wäre doch viel besser gewesen, dann hätte es nicht so sehr nach einer Verabredung ausgesehen. Schließlich wollte er nur ein bisschen plaudern, und nun hatte sie einen Tisch in einem Bistro reserviert.

Nachdem sie sich zurechtgemacht hatte, schlüpfte sie in ihren Mantel, steckte den Hausschlüssel in die Tasche und trat hinaus in den kühlen Abend. Zum Wohnheim war es nur ein kurzer Weg, und alles war gut beleuchtet. Dennoch beschlich sie dabei jedes Mal ein ungutes Gefühl. Man konnte ja nie wissen, ob nicht irgendein Süchtiger dort lauerte, der die Schwestern erpressen wollte, ihm Drogen oder Nadeln zu besorgen.

Als Allie den Hintereingang erreichte, kam Mark gerade heraus.

“Perfektes Timing”, meinte sie fröhlich, wobei sie sich fragte, ob ihr Herz jedes Mal zu hämmern anfangen würde, wenn sie ihn in der nächsten Zeit zu Gesicht bekam.

Verflixt, dieses Kribbeln von damals war wieder da!

Marks Lächeln schien sie gegen den kalten Wind zu wärmen. “Mein Wagen steht da drüben. Oder laufen wir?”

“Oh, wir können laufen. Es ist hier gleich um die Ecke, und parken ist dort immer schwierig”, erwiderte sie. “Ich habe einen Tisch in dem kleinen Bistro reserviert. Die Preise dort sind sehr moderat, und es ist ganz nett. Es sei denn, du möchtest lieber in einen Pub gehen?”

“Nein, gar nicht. Ein Bistro klingt hervorragend. Ich habe einen Riesenhunger.”

Rasch gingen sie die Straße entlang, die Köpfe gegen den schneidenden Wind eingezogen. Da dies eine Unterhaltung erschwerte, sprachen sie kaum miteinander, ehe sie in dem Lokal Platz genommen hatten.

Dann lehnte Mark sich zurück und lächelte Allie an. “Also, jetzt erzähl mir alles über dich. Wie lange bist du schon examiniert? Ein Jahr? Zwei?”

“Gerade ein Jahr”, antwortete sie. “Und du? Du musst inzwischen siebenundzwanzig sein – schon ganz schön alt!”

Er grinste. “Du sagst es. Es ist schon lange her, nicht wahr? Und was hast du in dieser Zeit so alles getrieben?”

“Abgesehen von meinem Schulabschluss und der Ausbildung als Kinderkrankenschwester, nicht viel.”

“Du bist nicht verheiratet?”

Sie schüttelte den Kopf. “Nein. Weder verheiratet noch sonst wie liiert. Nur ich allein. Na ja, nicht ganz. Ich wohne mit zwei anderen Krankenschwestern zusammen, die zu den unterschiedlichsten Zeiten arbeiten, sodass oft nur einer von uns zu Hause ist. Und was ist mit dir? Bist du verheiratet?”

Lächelnd lehnte er sich zurück und knabberte an einer Brotstange. “Nein, ich bin auch weder verheiratet noch liiert. Ich bin Single, so wie du.”

Allie empfand unvermittelt eine ungeheure Erleichterung, der sie jedoch lieber nicht allzu genau auf den Grund gehen wollte.

“Und was macht die Karriere?”, erkundigte sie sich. “Willst du immer noch Allgemeine Chirurgie machen?”

“Nun, eigentlich …”

“Guten Abend. Wissen Sie schon, was Sie bestellen möchten?”

Lächelnd blickte Allie zu dem Kellner auf. “Was ist denn die Empfehlung des Kochs heute Abend? Darauf kann man sich meistens verlassen.”

“Tagliatelle Carbonara”, erklärte er stolz. “Die sind ausgezeichnet, reichhaltig und cremig. Die Soße schmeckt wunderbar, und als Beilage gibt es einen knackigen Salat dazu. Glauben Sie mir, Madam, es wird Ihnen schmecken.”

Sie lachte. “Schon überredet. Das nehme ich, hört sich köstlich an.”

“Und Sie?”

Mark klappte die Speisekarte zusammen. “Für mich dasselbe. Und eine Flasche vom Rotwein des Hauses. Ist dir Rotwein recht, Allie?”

Sie nickte. “Ja, sehr gut. Danke.”

Wieder nahm Mark eine Brotstange und spielte damit herum. “Erzähl mir von deinen Eltern. Geht es ihnen gut? Ich habe neulich nur kurz mit ihnen gesprochen.”

“Ja, es geht ihnen gut. Mein Vater wird vorzeitig in den Ruhestand gehen – die Anstrengung seiner Praxis als Allgemeinmediziner. Er ist fast fünfundfünfzig, und nach Weihnachten hört er auf. Er sagt, dass sie viel auf Reisen gehen werden, aber ich mache mir Sorgen um ihn. Ich glaube, er leidet unter der Belastung. Oder vielleicht ist da noch etwas anderes, worüber er nicht mit uns sprechen will. Ich meine, warum würde er sonst so früh aufhören?”

Mark lachte leise. “Früh? Mit fünfundfünfzig? Mein Vater ist mit achtundfünfzig gestorben. Er wollte erst in den vorzeitigen Ruhestand gehen, hat es sich dann aber anders überlegt. Wenn er es getan hätte, wäre er womöglich noch am Leben. Und außerdem hast du doch gesagt, dass es deinem Vater gut geht.”

“Ja, das stimmt auch”, gab sie zu. Vielleicht machte sie sich ja wirklich unnötige Gedanken. “Das mit deinem Vater tut mir leid. Das muss schrecklich gewesen sein. Mum hat es mir geschrieben, aber ich hatte deine Adresse nicht und konnte mich deshalb nicht melden. Kam es sehr plötzlich?”

“Ziemlich. Es war sein Herz. Er dachte, er hätte Verdauungsstörungen. Ich meine, er war schließlich Arzt. Er hätte es besser wissen müssen.”

Der Kellner kehrte zurück, stellte schwungvoll die Teller vor sie hin und wünschte ihnen guten Appetit. Dadurch wurde ihr etwas melancholisches Gespräch unterbrochen, und während des Essens berichtete Allie von ihrer Arbeit im Krankenhaus.

“Es ist ein gutes Krankenhaus. Mir gefällt es dort”, sagte sie, drehte die Tagliatelle auf ihre Gabel und leckte sich die Soße vom Mund.

Mark tat das Gleiche, und auf einmal blieb ihr Blick an seiner Zunge hängen, als er damit etwas Soße von der fein geschnittenen Unterlippe aufnahm. Unvermittelt empfand sie ein heißes, nie gekanntes Verlangen, das sie mitten in die Magengrube traf.

“Das Essen ist gut”, bemerkte er, ehe er wieder herzhaft zulangte.

Allie holte tief Luft und lächelte. “Freut mich, dass es dir schmeckt.”

Da klingelte ihr Mobiltelefon. “Entschuldige bitte”, murmelte sie und holte es aus der Handtasche. “Ja, hallo?”

“Schatz, alles Liebe zum Geburtstag”, sagte ihre Mutter. “Hattest du einen schönen Tag? Ich habe versucht, dich zu Hause zu erreichen, aber du bist anscheinend unterwegs. Ich hoffe, es ist schön da?”

Allie begegnete Marks Blick und schmunzelte. “Ja. Ich sitze gerade in einem Bistro, zusammen mit Mark Jarvis. Du bist ja ganz schön hinterhältig”, erklärte sie lachend. “Ich ruf dich später zurück. Wir sind gerade beim Essen.” Sie verstaute das Handy wieder in ihrer Tasche und sah Mark an.

“Übrigens, das hier war meine Idee. Deshalb teilen wir uns die Rechnung.”

Er schnaubte. “Kommt nicht infrage. Soviel ich mich erinnere, habe ich vorgeschlagen, dass wir heute Abend zusammen ausgehen.”

“Aber ich habe die Reservierung gemacht …”

“Und hast einen exzellenten Geschmack bewiesen. Trotzdem bist du eingeladen.”

Allie verdrehte die Augen und lachte. “Hör zu, wir sollten fair bleiben.”

“Ich finde, du bist viel zu unabhängig”, gab Mark zurück. “Wenn ich mit dir ausgehen und dich verwöhnen möchte, werde ich das auch tun. Was ist daran verkehrt?”

Sie seufzte. “Gar nichts. Solange du es nicht übertreibst …”

“Klingt spannend”, erwiderte er in diesem rauen, tiefen Tonfall, der so sexy wirkte. “Wann sollen wir damit anfangen?”

Lachend schlug sie nach seiner Hand, als er nach einer weiteren Brotstange griff. Belustigt brach er ein Stück davon ab und hielt es ihr an den Mund.

“Alles Gute zum Geburtstag, Allie”, sagte er leise, und sie verschluckte sich beinahe daran.

Diese Augen …!

Selbstverständlich übernahm Mark die Rechnung für das Essen. Sie ließen sich genüsslich Zeit bei dem sündhaften Dessert, das aus Schokolade, Sahne und Likör bestand. Danach gab es noch einen Brandy und einen aromatischen dunklen Kaffee mit Minzpralinen, und dabei erzählte Allie, was sie über das Krankenhauspersonal wusste.

“Ich habe das Gefühl, dass Anna auf der Pirsch ist”, bemerkte Mark, der eine weitere dünne Minzschokolade aus dem Papier schälte und sie Allie an den Mund hielt.

Mit den Zähnen nahm sie sie, begegnete seinem Blick und spürte, wie ein plötzliches, elektrisierendes Prickeln sie durchströmte.

“Anna?”, murmelte sie und räusperte sich. “Hm, kann sein. Sie hat mich über dich ausgefragt.”

“Und was hast du ihr gesagt?”

“Dass ich nichts von dir weiß. Und das stimmt ja auch.”

Sein Lächeln enthielt ein Versprechen, das sie schwindelig machte. “Dann müssen wir dringend etwas dagegen unternehmen.” Er winkte dem Kellner. “Könnten wir bitte zahlen? Oder möchtest du noch etwas, Allie?”

Belustigt schüttelte sie den Kopf. “Oh nein. Ich hatte mehr als genug. Ich bin nicht imstande, noch irgendetwas zu essen oder zu trinken.”

Es war eine kühle klare Nacht, doch der Wind hatte nachgelassen. Daher gingen sie nun ohne Eile Arm in Arm durch die schwach beleuchteten Straßen hinter dem Krankenhaus.

“Wo wohnst du?”, fragte Mark. “Ich bringe dich nach Hause. Ich kann es nicht zulassen, dass du um diese Zeit allein hier durch die Gegend läufst.”

“Und was ist mit dir?”, meinte Allie sachlich. “Du könntest genauso gut überfallen werden wie ich.”

Er lachte. “Das glaube ich kaum. Ich bin schließlich um einiges größer und schwerer als du.”

Lächelnd gab sie auf. “Ich wohne da drüben.”

Sie ging ihm voran bis zur Haustür, wo er stehen blieb und im Schatten der Veranda auf sie hinuntersah. “So. Sicher zu Hause angekommen.”

“Danke für diesen schönen Abend”, sagte Allie leise. “Es war wundervoll.”

“Freut mich”, meinte er und blickte ihr weiter in die Augen, bis er schließlich lächelte. “Ohne Geburtstagskuss kann ich dich aber nicht gehen lassen.” Damit senkte er den Kopf, sodass er das gelbe Licht der Straßenlaterne verdeckte.

Seine Lippen berührten ihre, und Allie musste beinahe lächeln. So hatte er sie vor fünf Jahren auch geküsst, und sie hatte eine Woche lang wie auf Wolken geschwebt.

Einen Augenblick lang blieb es dabei, dann machte Mark eine kleine Kopfbewegung und bedeckte Allies Mund und Kinn mit zahllosen kleinen Küssen. Ein leiser Laut entrang sich ihr, und mit einem Stöhnen zog er sie enger an sich und drang mit der Zunge in ihren Mund ein. Er schmeckte nach Schokolade, Kaffee und einem Hauch von Brandy, was allein schon eine berauschende Wirkung hatte. Unwillkürlich schlang Allie die Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss.

Es war unglaublich. Marks Zunge fühlte sich an wie rauer Samt, suchte und liebkoste und erforschte die verborgenen Stellen ihres Mundes. Als Mark endlich nach einer halben Ewigkeit den Kopf hob, atmete er schwer, und in seinen Augen lag ein Lächeln.

“Wow”, sagte er.

Allie lachte leise. “In der Tat. Wow.”

Er schmiegte sie an sich, legte ihr das Kinn auf den Kopf und hielt sie fest an seine Brust gedrückt.

“Sorry, seit fünf Jahren war ich neugierig darauf”, murmelte er.

“Wie bitte?” Den Kopf in den Nacken gelegt, blickte sie fragend zu ihm auf. “Was meinst du damit?”

Mark lächelte ein wenig selbstironisch. “Die letzten fünf Jahre habe ich mich immer gefragt, wie es wohl wäre, dich zu küssen. Und zwar richtig, nicht nur so ein kleiner Abschiedskuss.”

“Du hast mich doch gar nicht bemerkt!”, protestierte sie.

“Nein, ich habe versucht, dich zu ignorieren. Das ist ein großer Unterschied. Du warst die Tochter meines Gastgebers. Du warst erst siebzehn, vollkommen unschuldig und viel zu süß für das, was ich im Sinn hatte.”

“Ich hatte Pickel und Babyspeck”, erklärte Allie.

Er schmunzelte. “Quatsch. Du warst entzückend. Du warst einfach nur sehr jung, und ich war Gast im Haus deiner Eltern.”

“Und jetzt?”

Sein Lächeln wurde weich. “Jetzt, denke ich, tummeln wir uns auf dem gleichen Spielfeld. Wir sind beide erwachsen, wir sind beide Single. Warum lassen wir es nicht auf uns zukommen und sehen, was passiert?”

Aufregung pulsierte durch ihre Adern, und die Knie drohten unter ihr nachzugeben.

Mark neigte den Kopf und streifte noch einmal leicht ihre Lippen. Dann zwinkerte er ihr zu. “Geh lieber rein, bevor ich vergesse, dass ich ein Gentleman bin.”

Auch wenn die Versuchung groß war, steckte Allie ihren Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür.

“Gute Nacht, Mark. Und nochmals vielen Dank für den wunderbaren Abend.”

“War mir ein Vergnügen.” Er warf ihr eine Kusshand zu, drehte sich um und ging mit weit ausgreifenden Schritten den Gartenpfad hinunter und über die Straße zum Krankenhaus hinüber.

Sobald er außer Sichtweite war, schloss Allie die Haustür hinter sich und lehnte sich seufzend dagegen.

“Na, das war ja ein zärtlicher Abschied”, sagte Lucy, die aus dem Wohnzimmer kam.

Heiße Röte stieg Allie in die Wangen. “Spionierst du mir etwa hinterher?”, fragte sie lachend.

“Nein. Hätte ich das tun sollen? Habe ich was verpasst?”

“Ja, eine echte Augenweide”, warf Beth ein, die hinter Lucy in die Diele herauskam. “Ich habe ihn gerade gesehen, als er die Straße runtergegangen ist. Wo in aller Welt kommt der denn her?”

Allie lachte verlegen. “Ich kenne ihn schon lange. Er hat vor fünf Jahren ein Praktikum bei meinem Vater gemacht.”

“Dann war er ein wohl gehütetes Geheimnis”, brummelte Lucy auf dem Weg zur Küche.

“Er war kein Geheimnis. Ich habe ihn seitdem nie wiedergesehen. Erst heute. Da ist er plötzlich auf der Station aufgetaucht.”

“Eine aufblühende Romanze! Wie schön!”

“Beth, du hast eine lebhafte Fantasie.”

“Sind deshalb deine Lippen so rot?”, gab diese nachsichtig zurück.

Hastig fuhr Allie mit der Hand zum Mund, und die beiden anderen lachten sie neckend aus.

“Nur zu, Schätzchen”, meinte Lucy weise. “Es wurde allmählich Zeit.”

Wahrscheinlich hat sie recht, dachte Allie, als sie mit einem dampfenden Becher Tee nach oben ging. Ich bin dreiundzwanzig, stehe am Anfang meiner beruflichen Karriere und bin immer noch unberührt. Das war nicht unbedingt ihre Absicht gewesen, doch sie war von Natur aus anspruchsvoll. Und von ihren Freundinnen hatte sie so schauerliche Geschichten über das erste Mal gehört, dass sie nie Lust gehabt hatte herumzuexperimentieren. Außer bei Mark, aber er war außerhalb ihrer Reichweite gewesen. Allie hatte zwar während ihrer Ausbildung Beziehungen mit einigen jungen Männern gehabt, doch ihre Gefühle hatten niemals ausgereicht, um den entscheidenden Schritt zu vollziehen.

Die Erinnerung an Marks damaligen Abschiedskuss hatte sie verfolgt, und nichts und niemand hatte damit konkurrieren können. Als Mädchen hatte sie sich nach der Berührung von Marks Händen gesehnt, nach seinen Lippen, seinem Körper. Und offenbar war dies noch immer so.

Vorsichtig tastete Allie die zarte, geschwollene Haut ihrer Lippen ab und rief sich den Kuss von vorhin ins Gedächtnis zurück. Ein tiefes, sehnsüchtiges Verlangen flammte in ihr auf. Unbewusst hatte sie so lange auf Mark gewartet. War es das wert gewesen? War es möglich, dass sie die Liebe ihres Lebens in Mark finden könnte, oder war dies lediglich Wunschdenken?

Sie hatte ihre Freundinnen von einem Mann zum nächsten schwirren sehen, unausgefüllt und unglücklich, und so etwas wollte sie selbst auf keinen Fall. Wenn sie sich verliebte, dann für immer. Ob Mark dasselbe empfand? Zwar mochten sie sich inzwischen altersmäßig auf dem gleichen Spielfeld tummeln, aber würde Allie kein gebrochenes Herz riskieren, falls sie sich auf ihn einließ?

“Nun mach aber mal einen Punkt!”, schimpfte sie vor sich hin, während sie sich bettfertig machte. “Du bist mit ihm schließlich bloß in ein kleines italienisches Lokal gegangen. Jetzt machst du eine viel zu große Sache daraus. Du kennst den Mann doch kaum.”

Aber sie wollte ihn kennenlernen, und das flößte ihr Furcht ein. Schon lange hatte sie etwas Derartiges nicht mehr empfunden. Seit … ja seit sie sich damals zum ersten Mal begegnet waren und oft nächtelang zusammengesessen und miteinander geredet hatten. Sie hatten über alles gesprochen – Religion, Politik, Musik, medizinische Ethik und auch darüber, dass Allies Vater wollte, dass sie Ärztin werden sollte, sie dagegen lieber Krankenschwester werden wollte.

Mark hatte sie dabei unterstützt und ihr einen sehr vernünftigen Rat gegeben. “Bleib dir selber treu!”, hatte er gesagt. “Das ist das Wichtigste. Wenn du nicht zu dem stehst, was du willst, kannst du auch zu keinem anderen Menschen stehen, weil alles auf einer Lüge aufgebaut wäre.”

Das hatte ihr Mut gemacht, mit ihrem Vater zu sprechen und ihm zu erklären, dass die Tatsache, dass sie intelligent genug war, um Ärztin zu werden, nicht bedeutete, dass sie dies auch als ihren beruflichen Weg wählen müsste. Und im Laufe der nächsten Wochen hatte ihr Vater nach und nach Verständnis für ihren Wunsch gezeigt.

Dafür stand Allie tief in Marks Schuld. Sie hatte geglaubt, ihn nie wiederzusehen. Aber nun war er wieder in ihr Leben getreten, und sie wollte so viel wie möglich über ihn erfahren, über seine Vorlieben und Abneigungen, seinen Musikgeschmack, seine Lieblingsgebiete in der Literatur. In seiner Gesellschaft heute Abend hatte sie sich wohler gefühlt als in all den vergangenen fünf Jahren.

Hoffentlich hat er dieselben Gefühle wie ich, dachte sie, während sie es sich mit ihrem Becher Tee im Bett gemütlich machte. Hoffentlich ist es nicht nur einseitig. Bitte, gib uns eine Chance …

2. KAPITEL

Auf der Station war viel los, als Allie am nächsten Morgen um sieben zur Arbeit kam. Sie hatte geglaubt, sie würde nicht schlafen können, war aber dann sofort eingeschlafen, sobald sie das Kissen berührt hatte.

Die Kinder mussten zum Frühstück fertig gemacht werden, und Allie war beschäftigt wie alle anderen auch. Nachdem Anna die Übergabe von der Nachtschwester erledigt hatte, kam sie zu Allie, die in dem kleinen Einzelzimmer den Stuhlbeutel von Darren erneuerte.

Der Zwölfjährige war mit einem Rektalabszess eingeliefert worden, der mit Fieber und starken Schmerzen verbunden war. Dieser war die Folge chronischer Verstopfung aufgrund einer äußerst schlechten Ernährung. Damit die Entzündung abheilen konnte, war ihm noch kurz vor der Operation vorübergehend ein künstlicher Darmausgang gelegt worden. Und für die nächsten Wochen musste der Junge sich wohl oder übel damit abfinden, dass ihm ein unwürdiger Beutel vor dem Bauch hing.

Aber wenigstens ist es nicht für immer, dachte Allie, die sorgfältig den alten Beutel abnahm und versiegelte. Dabei lächelte sie Anna zu.

“Morgen.”

“Morgen. Hi, Darren, wie geht es dir?”, erkundigte sich Anna und plauderte kurz mit ihm, bevor sie sich aufs Bettende setzte und Allie bei der Arbeit zusah. “Ein kleines Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du gestern Abend mit Mark zum Essen ausgegangen bist, du schlaues Biest”, murmelte sie.

“Wir waren nur in dem Bistro”, entgegnete Allie. “Immerhin hatte ich Geburtstag. Kannst du dein T-Shirt ein bisschen weiter hochhalten, Darren? Danke, so ists gut.”

“Und, hast du uns etwa Kuchen mitgebracht?”, hakte Anna nach, und es war offensichtlich, dass sie Allie gegenüber nicht im Geringsten grollte, weil diese sich den attraktivsten Mann geschnappt hatte, den die Station seit Jahren gesehen hatte. “Nein, hast du nicht. Ich hoffte, du hättest heute welchen dabei.”

Allie lächelte bedauernd. “Tut mir leid. Ich hatte keine Zeit, um zum Bäcker zu gehen. Außerdem macht Kuchen dick, stimmts, Darren?”

“Genau, und wenn ich keinen haben darf, kriegen Sie auch keinen.” Er schnitt eine Grimasse. “Ich hätte so gerne ein Stück Torte. Es ist ja so langweilig, dass ich nichts Anständiges zu essen kriege. Könnten Sie nicht jetzt gleich mal schnell zum Bäcker gehen?”

“Nein. Du weißt ganz genau, dass du keine Torte essen darfst”, erklärte Allie mit gespielter Strenge. “Dein Magen braucht noch einige Tage Ruhe und soll nicht mit unnötigen Sachen überlastet werden. Und zweitens ist mein Geburtstag heute vorbei.”

Er streckte ihr die Zunge heraus, und Allie befestigte schmunzelnd den neuen Beutel. “So, das wars. Ich schaue nachher noch mal nach dir. Oder willst du ins Spielzimmer und dort mit den anderen Kindern fernsehen?”

Er schüttelte den Kopf. “Jetzt noch nicht. Vielleicht morgen.”

“Okay.” Sie lächelte, umarmte ihn und schob dann den Wagen zurück in den Behandlungsraum, wo sie die Utensilien reinigte.

“Er findet es grässlich”, meinte sie zu Anna.

“Ich weiß. Für ein Kind muss ein künstlicher Darmausgang die Hölle sein, auch wenn es nur vorübergehend ist. Hoffentlich heilt der Abszess möglichst schnell ab.”

“Ja, aber wenigstens hat Darren jetzt nicht mehr solche Schmerzen. Vor allem muss er lernen, die richtigen Sachen zu essen. Ganz bestimmt keine Torte, egal wie sehr er sich langweilt.”

“Womit wir wieder bei deinem Geburtstag und dem gut aussehenden Mark Jarvis wären.”

Allie lachte und warf den alten Beutel in den Abfalleimer. “Wir haben doch nur zusammen gegessen. Es war nichts Besonderes”, schwindelte sie.

“Was war nichts Besonderes?”

Ihr sank das Herz. Dass er aber auch ausgerechnet in diesem Augenblick auftauchen musste!

“Nichts.”

“Entschuldigen Sie mich”, meinte Anna und schlüpfte rasch hinaus, wobei sie Allie vielsagend zuzwinkerte.

“Was war nichts Besonderes?”, wiederholte Mark, und Allie wandte sich seufzend zu ihm um.

“Unser Essen gestern Abend. Sie war neugierig, und ich habe das nur gesagt, um sie loszuwerden.”

Nachdenklich sah er sie an. “Wirklich? Oder hast du es ernst gemeint?”

Sie blickte ihm in die Augen. “Nein. Ich habe es nicht ernst gemeint.”

“Dann ist es ja gut.” Er lächelte. “Was machst du gerade?”

Allie schrubbte sich die Hände und trocknete sich dann gründlich ab. “Ich habe gerade Darren Forseys Stuhlbeutel erneuert.”

“Oh, welche Freude. Ich wette, das hat Spaß gemacht. Er ist einer der Patienten, die ich mir anschauen wollte. Wie geht es ihm?”

“Er ist genervt. Es geht ihm zwar besser, aber er muss noch einige Wochen lang mit der Kolostomie und den ständigen Zäpfchen leben. Ich denke, es ist ihm fürchterlich peinlich. Dein Mädchen mit dem Blinddarm ist heute aber lebhaft und munter.”

Mark lachte. “Schon wieder obenauf? Kinder sind schon erstaunlich.” Sein Lächeln schwand, während er erst Allie ansah, dann den Blick auf seine Hände senkte und wieder aufschaute. “Wie sieht es heute Abend bei dir aus?”

Ihr Herz tat einen Sprung. “Inwiefern?”

“Ich dachte, vielleicht hättest du Lust auf einen Drink? Wir könnten auch was Kleines essen. Man hat mir von einem Pub in einem Dorf ein paar Meilen außerhalb erzählt, der sehr nett sein soll. Und das Essen dort soll auch gut sein.”

Allie lächelte. “Hört sich gut an. Wann?”

“Wieder um sieben? Ich kann dich abholen. Jetzt weiß ich ja, wo du wohnst.”

“Anna wird vor Neugier sterben.”

“Sie braucht dringend einen Lover”, stellte Mark fest.

“Mmm. Ich glaube, sie hatte eigentlich dich dafür vorgesehen.”

Sein Nacken wurde plötzlich rot. “Pech”, murmelte er. “Tja, ich muss weitermachen. Ist Darren in seinem Zimmer?”

“Ja. Er liegt in dem Einzelzimmer, direkt gegenüber der Säuglingsstation. Kommst du klar?”

“Das fragst du mich jedes Mal. Kein Vertrauen”, bemerkte er trocken, und Allie, die ihm nachsah, unterdrückte einen träumerischen Seufzer.

Mark war in der Tat ein attraktiver Mann. Sie betrachtete sein weiches volles Haar. Es war hellbraun und an manchen Stellen von der Sonne gebleicht. Am liebsten hätte sie die Finger darin vergraben …

Reiß dich gefälligst zusammen, ermahnte sie sich und ging zu einem weinenden Baby. Die kleine Amy Fulcher war hier zur Beobachtung wegen starker Unterleibsschmerzen ohne klare Ursache.

Da ihre Mutter zu einem kurzen Spaziergang an die frische Luft gegangen war, nahm Allie das achtzehn Monate alte Baby auf, um es zu trösten. Sie ging auf und ab und sprach liebevoll auf die Kleine ein, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

Mark kam herbei, als das Kind gerade sein Köpfchen an Allies Schulter gelegt hatte, und er strich ihm zart übers Haar. “Armes kleines Ding. Sie wollen sie nachher noch einmal röntgen”, sagte er. “Sie vermuten anscheinend, dass sie irgendwelche Schäden im Darmbereich hat.”

In diesem Moment würgte die Kleine und spuckte grüne Galle auf Allies Uniform.

“Danke, Schatz. Wie nett von dir. Schsch, Süße, es ist alles gut”, besänftigte Allie das Baby. Als es ruhig war, legte sie es in sein Bettchen und wischte ihm behutsam den Mund ab.

Zumindest hatte die Kleine aufgehört zu weinen. Mark schaute Allie über die Schulter. “Nun, es scheint funktioniert zu haben. Sie fühlt sich jetzt offenbar besser”, meinte er.

“Na toll. Freut mich, dass es wenigstens einem von uns so geht.”

Belustigt klopfte er ihr auf die andere Schulter. “Du duftest fantastisch.”

“Herzlichen Dank”, gab sie mit einem breiten, aufgesetzten Lächeln zurück.

“Hat jemand auf Sie gespuckt, Schwester?”, fragte ein Junge, der gerade auf seinen Krücken vorbeikam und ihre Uniform mit unverhohlener Schadenfreude betrachtete.

“Nur ein bisschen. Wie gehts deinem Bein?”

“Super. Vielleicht kann ich heute nach Hause gehen, wenn das Röntgenbild in Ordnung ist.”

“Oh, das ist schön.” Gesunde Jungen mit gebrochenen Gliedmaßen waren ausgesprochen schwer ruhig zu halten.

“Sie sind doch bloß froh, wenn Sie mich los sind”, gab er mit Trauermiene zurück, und Allie lachte.

“Erraten, Tim.”

Tim grinste ihr zu und lief weiter.

“Dürfte ich vielleicht einen Vorschlag machen?”, sagte Mark mit einem amüsierten Zucken um die Mundwinkel.

“Dass ich mich umziehen soll?”

“Du kannst Gedanken lesen.”

Allie schnaubte verächtlich, rümpfte ausdrucksvoll die Nase und begab sich in die Wäschekammer, um sich einen frischen Kittel anzuziehen.

Als sie zurückkehrte, schnüffelte Mark probeweise. “Viel besser.”

“Gehört alles mit zum Job”, meinte Allie schmunzelnd. “Ich schau mal nach Amy. Arme kleine Maus.”

“Ich habe Anna zu ihr geschickt.”

“Danke.” Sie warf ihm ein dankbares Lächeln zu und ging zu der Kleinen. Anna war gerade im Begriff, sie umzuziehen.

“Ihre Mutter ist schon auf dem Rückweg hierher”, teilte sie Allie mit. “Ich habe in der Cafeteria angerufen und darum gebeten, dass man ihr Bescheid sagt. Der Stationsarzt von der Chirurgie kommt gleich runter. Ich könnte mir vorstellen, dass sie sie gleich heute Morgen operieren.”

Allie nickte. “Sie ist noch nüchtern. Es gibt also keine Verzögerung.”

Es war bereits nach vier, ehe Allie Schluss machen konnte, obwohl ihre Schicht normalerweise um drei Uhr zu Ende gewesen wäre.

Danach ging sie in den Waschsalon um die Ecke und war daher erst um halb sieben zu Hause. Dort musste sie mit Lucy um das Badezimmer kämpfen und war deshalb spät dran. Das ärgerte sie, denn das bedeutete, dass Lucy diejenige wäre, die Mark die Tür öffnen würde.

Als Allie schließlich ins Wohnzimmer kam, meinte sie entschuldigend: “Hi. Tut mir leid, dass ich so spät dran bin. Ich musste noch dringend in den Waschsalon.”

“Kein Problem.” Lächelnd erhob er sich. “Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Lucy”, meinte er, nahm Allie beim Arm und ging mit ihr hinaus.

Sein Wagen stand vor der Tür. Mark öffnete ihr die Beifahrertür, ehe er sich selbst ans Steuer setzte.

“Bereit?”, fragte er mit einem Lächeln, und sie nickte.

“Wohin fahren wir?”

“Nach Pulham St. Peter.”

Pulham war nicht weit. Allie lehnte sich in dem bequemen Sitz zurück und beobachtete Mark aus dem Augenwinkel. Innerhalb weniger Sekunden war sie völlig entspannt, denn er stellte sich als ausgezeichneter Fahrer heraus, und sie fühlte sich sicher bei ihm.

Der Pub war laut und voll, doch irgendwie gelang es ihnen dennoch, einen Ecktisch zu ergattern, wo sie zunächst die Speisekarte studierten.

Mark sah Allie an. “Hast du dich schon entschieden?”

“Scampi und Pommes frites. Und ich zahle für mich selbst.”

Er lachte leise. “Ich habs geahnt.”

Er ging zur Bar, nahm ihr Geld mit, gab die Bestellung auf und händigte ihr dann das Wechselgeld aus. “Da, bitte, du eigensinnige, unabhängige junge Frau.”

Lächelnd steckte sie das Geld ein. Sie wollte Mark nichts schuldig sein. Nicht dass er es ausnützen würde, aber Allie hatte in der Vergangenheit doch das eine oder andere Mal erlebt, wo ein Mann geglaubt hatte, ein Anrecht auf ihren Körper zu haben, nur weil sie sich von ihm hatte einladen lassen.

“Ich wüsste jetzt zu gerne, was du denkst”, meinte er.

Sie lachte. “Keine Chance. Was nimmst du?”

“Dasselbe wie du.”

Ihre Blicke begegneten sich, und Allie schaute weg. Ihr Herz pochte wie verrückt. Oh je, es wäre so leicht, sich in ihn zu verlieben. Schnell suchte sie nach einem möglichst neutralen Gesprächsthema.

“Erzähl mir von deiner Arbeit”, meinte sie. “Wie kommt es, dass du noch immer Assistenzarzt bist? Ich hätte angenommen, dass du inzwischen Stationsarzt wärst.”

Mark machte ein Gesicht. “Das wäre ich auch, aber ich habe das Fach gewechselt. Du weißt ja, dass ich Allgemeine Chirurgie machen wollte wie mein Vater?”

“Ja. Du warst sehr darauf erpicht.”

“Das stimmt. Bis ich wirklich damit angefangen habe. Dann fühlte ich mich seltsam abgeschnitten von allem. Die Patienten kommen mit einem Problem ins Krankenhaus, das jemand anders entdeckt hat, und danach gehen sie wieder. Du siehst sie nie wieder und erfährst nie, wie es ihnen geht, außer wenn noch Schwierigkeiten auftauchen.”

“Aber das ist doch gut. Wenn du sie nicht wiedersiehst, hast du deinen Job gut gemacht.”

Kopfschüttelnd antwortete er: “Mag sein, aber das ist nicht der Job, den ich gerne machen würde. Ich möchte das Problem erkennen, sie zur Behandlung wegschicken und dann zu Hause die Nachsorge übernehmen.”

“Aber das ist die Aufgabe eines Hausarztes.”

“Genau.”

Verblüfft starrte sie ihn an. “Aber du willst doch Chirurg werden.”

“Nein, jetzt nicht mehr. Deshalb mache ich ja Pädiatrie, und habe auch schon Geburtshilfe, Gynäkologie, Notfall- und Allgemeinmedizin sowie Geriatrie gemacht …”

“Du willst Hausarzt werden?”, meinte Allie langsam, bei der endlich der Groschen fiel.

Mark lächelte. “Ja, warum nicht?”

Sie dachte an den Stress, dem ihr Vater sein Leben lang unterworfen gewesen war, – an seinen Praxispartner, dem die Anstrengung zu viel geworden war, und der sich deshalb das Leben genommen und seine Frau und zwei Kinder zurückgelassen hatte.

“Warum nicht?”, wiederholte sie fassungslos. “Weil es ein schreckliches Leben ist, darum. Es ist furchtbar. Deswegen kriegen sie auch niemanden, der Hausarzt werden will. Es ist mit entsetzlich viel Papierkram verbunden, die Arbeitszeiten sind grauenvoll, und es ist eine undankbare Aufgabe …”

“Nein, ist es nicht. All die anderen Dinge mögen ja stimmen, aber es ist bestimmt keine undankbare Aufgabe, und die Arbeitszeiten sind mittlerweile auch wesentlich besser geworden. Fast alle Allgemeinmediziner arbeiten in Gemeinschaftspraxen, sodass ihre Rufbereitschaft viel besser organisiert und längst nicht mehr so stressig ist.”

Allie schnaubte. “Sprich mal mit meinem Vater darüber.”

“Das habe ich schon getan. Er ist meiner Meinung.”

“Das kann ich mir nicht vorstellen. Was glaubst du wohl, weshalb er frühzeitig in den Ruhestand geht?”

Achselzuckend erwiderte Mark: “Um den Rest seines Lebens zu genießen, solange er das noch kann?”

Wieder schnaubte sie. “Mein Vater doch nicht. Der ist arbeitssüchtig. Nein, es ist der Stress, da bin ich mir ganz sicher.”

“Nun, wie dem auch sei, jedenfalls ist es das, was ich machen möchte, Allie”, sagte er ruhig und glättete den Rand seines Bierdeckels. “Ich bin für ein Leben als Krankenhausarzt nicht geschaffen. Das weiß ich jetzt.”

Sie war wie betäubt. Geistesabwesend nippte sie an ihrem Drink. Die Frau an der Theke rief eine Nummer, und Mark stand auf und kehrte gleich darauf mit ihrem Essen zurück.

“Hier, sieht gut aus.”

Die heißen Pommes frites und gegrillten Scampi dufteten wunderbar. Allie stieß einen leisen Seufzer aus, streute Salz über ihre Pommes frites und ließ es sich schmecken.

Ein Hausarzt, ausgerechnet …

“Allie?”

Sie blickte auf. “Ja?”

“Was ist los?”

War sie so leicht zu durchschauen? Sie zuckte die Achseln. “Ich dachte nur … ich weiß nicht. Ich dachte immer, dass du Chirurg wirst.”

Er grinste schelmisch. “Werde ich aber nicht. Glaub mir, ich war auch erst geschockt. Du wirst darüber hinwegkommen. Die Scampi sind hervorragend. Möchtest du etwas von der Tartar-Soße?”

Sie nickte, riss eine Ecke des Päckchens auf und drückte die Soße heraus. Zu den Scampi schmeckte sie wirklich ausgezeichnet. Entschlossen verbannte Allie jeden Gedanken an Marks Beruf und konzentrierte sich stattdessen aufs Essen und auf seine Gesellschaft. Aber etwas in ihr war plötzlich erloschen.

Erst später, nachdem er sie nach Hause gebracht hatte und sie vor der Haustür wieder glühende Küsse ausgetauscht hatten, wurde ihr bewusst, was es war.

Sie hatten keine gemeinsame Zukunft, denn unter gar keinen Umständen war Allie bereit, ihr Leben mit jemandem zu teilen, der Hausarzt werden wollte. Sie konnte keine Kinder in die Welt setzen, in dem Bewusstsein, dass ihr Vater sie womöglich verlassen würde. Sie hatte mit ansehen müssen, welches Unglück dies im Leben einer Frau anrichten konnte, und sie hatte nicht die Absicht, sich einem solchen Schicksal auszusetzen.

Aber das ist doch albern, schalt sie sich dann. Sei nicht so voreilig, Allie Baker. Du bist gerade zweimal mit ihm ausgegangen. Also tu nicht so, als ob er dir einen Heiratsantrag gemacht hätte!

Damit schlüpfte sie fröstelnd unter die kalte Bettdecke und wartete vergeblich auf den Schlaf.

Am folgenden Tag bekamen sie ein kleines Mädchen auf die Station, das bereits seit seiner Geburt an Mukoviszidose litt und einmal mehr eine heftige Entzündung der Atemwege hatte. Allie begrüßte sie und ihre hochschwangere Mutter herzlich. In den wenigen Monaten, die Allie auf der Kinderstation arbeitete, wurde Claudia Hall schon zum zweiten Mal eingeliefert. Beim letzten Mal musste bei ihr eine Gastrostomie durchgeführt werden, sodass sie nachts über eine Pumpe Spezialnahrung zugeführt bekommen konnte. Denn sie hatte nur wenig Appetit und aß nicht genug. Durch diese Infektion hatte Claudia jedoch wieder an Gewicht verloren.

“Wo komme ich diesmal hin?”, fragte sie und schaute sich auf der ihr nur allzu vertrauten Station um.

“In ein hübsches Bett am Fenster. Würde dir das gefallen?”, meinte Allie liebevoll.

Claudia nickte und krabbelte auf das Bett hinauf, was einen so starken Hustenanfall zur Folge hatte, dass sie sich übergeben musste. Doch Allie war vorbereitet und hielt eine Pappschale bereit.

“In den letzten Tagen ist es ihr immer schlechter gegangen”, berichtete ihre Mutter Jayne. “Diesmal hat sie eine Lungenentzündung.”

Allie nickte. “Ja, sie soll Gentamicin dagegen bekommen. Damit müssten wir es in den Griff kriegen. Wir können doch nicht zulassen, dass es dir so schlecht geht, nicht wahr?”, lächelte sie Claudia zu, die erschöpft in den Kissen lehnte.

“Sie hat nicht viel geschlafen”, sagte ihre Mutter, und an den Schatten unter ihren Augen konnte Allie erkennen, dass Jayne auch nicht viel Schlaf bekommen hatte.

“Wann kommt das Baby?”, erkundigte sie sich.

“In drei Wochen, aber ich weiß nicht, ob ich es so lange durchhalte. Ich habe zu lockere Bänder in meinem Becken, und das ist sehr schmerzhaft. Ich muss einen Gurt um die Hüften tragen, um den Bauch zu stützen, und das wird mittlerweile ziemlich beschwerlich. Es könnte also sein, dass sie die Wehen früher bei mir einleiten.”

Als ob die arme Frau nicht schon genug Probleme hatte. “Bald haben Sies geschafft”, meinte Allie tröstend und wandte sich dann wieder Claudia zu. “Alles in Ordnung, Schätzchen? Fühlst du dich besser?”

Sie nickte, aber nur aus Höflichkeit, und Allie hätte sie am liebsten in die Arme genommen.

“Dr. Jarvis wird gleich hier sein, um dich zu untersuchen und den Tropf anzulegen. Dann wird es dir bald wieder besser gehen.” Sie holte den Bogen mit den Etiketten hervor, die auf alles geklebt wurden, was mit dem jeweiligen Patienten zu tun hatte. “Stimmen Ihre Angaben noch? Adresse, Telefonnummer und so weiter?”

Jayne nickte. “Ja, da hat sich nichts geändert.”

“Gut.” Allie klebte Claudias Etiketten auf das Krankenblatt, befestigte es am Fußende des Bettes und kontrollierte dann Temperatur und Blutdruck. Danach fragte sie Jayne: “Möchten Sie eine Tasse Tee?”

“Oh ja, sehr gerne. Kann ich ihn mir selbst machen?”

“Nein. Sie bleiben hier sitzen und ruhen sich aus. Ich lasse Ihnen welchen bringen – schwach, ohne Milch und Zucker, nicht wahr?”

“Daran erinnern Sie sich noch?” Jayne war den Tränen nahe.

“Ich habe ein hervorragendes Gedächtnis für nutzlose Informationen”, erwiderte Allie lächelnd und machte sich auf die Suche nach Pearl, der jamaikanischen Stationshilfe. “Kannst du Jayne Hall bitte einen Tee machen? Sie sitzt da drüben. Schwach, ohne Milch und Zucker.”

“Ich weiß, keine Sorge. Ich kenne Jayne sehr gut. Manchmal hat man den Eindruck, sie wohnt hier. Klar, ich bringe ihr den Tee. Ich wollte sie gerade selbst danach fragen.”

Pearl war ein wahrer Segen für die Station. Sie war eine mollige, mütterliche Frau von unendlicher Güte und Geduld, und sie war fähig, gelangweilte oder übermütige Kinder mühelos unter Kontrolle zu halten. Sie wurde von allen geliebt, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Als Stationshilfe musste sie den Kindern nie irgendetwas Unangenehmes zumuten, und daher war es leichter, ihr zu vertrauen.

Allie schaute bei Amy Fulcher vorbei, die gestern operiert worden war. Die Kleine sah schon viel besser aus, und ihre Mutter schlief erschöpft in einem großen Sessel an ihrem Bett.

Bei einem Blick zu Claudia hinüber stellte Allie fest, dass Mark bei ihr war. Er saß halb auf der Bettkante und plauderte mit Mutter und Tochter. Er kann gut mit Kindern umgehen, dachte Allie, die immer noch erschrocken über seine Offenbarung war. Sie musste sich mit der bitteren Tatsache abfinden, dass zwischen ihr und Mark nichts Dauerhaftes entstehen konnte.

Sie schluckte schwer und suchte sich eine Arbeit am anderen Ende der Station, aber es dauerte nicht lange, da kam er und bat sie, ihm zu assistieren, während er den Schlauch für Claudia legte. Er wollte einen langen Katheter legen, der von der Ellenbeuge bis hinauf in die Brust führte. Damit wurde ein ständiger Austausch von Kanülen vermieden.

Es war das erste Mal, dass Allie sah, wie Mark eine Behandlung durchführte, und sie war beeindruckt. Claudia weinte natürlich, aber nur wenig. Mark ging äußerst sanft und freundlich mit ihr um, und das Ganze war schnell vorbei. Allie klebte das Ende des Schlauches oben an der Brust fest und vergewisserte sich, dass die Schiene, die den Arm gerade halten sollte, für Claudia bequem war. Und dann bekam sie ihre erste Dosis an Antibiotika intravenös zugeführt.

“Ist jetzt wieder alles okay?”, erkundigte sich Mark, der seine Arbeit noch einmal überprüfte, und lächelte dem Mädchen zu.

Claudia nickte. Sie sah blass und angestrengt aus. “Darf ich jetzt ins Spielzimmer gehen?”, fragte sie, und Allie stimmte zu:

“Ja, wenn du willst. Aber nimm eine Pappschale mit, falls du dich übergeben musst. Soll ich dich den anderen Kindern vorstellen?”

Die Kleine schüttelte den Kopf. “Schon okay”, erklärte sie sachlich. “Mach ich selbst.”

“Sie ist so selbstständig”, meinte Jayne bewundernd und sank auf den großen Sessel am Bett. “Man sollte annehmen, dass sie klammert, aber das tut sie nicht. Sie macht einfach immer weiter, egal, wie schlimm es ist. Sie ist so tapfer …”

Jayne brach ab und presste die Lippen zusammen. Allie fragte sich, wie es wohl sein musste, ein Kind mit Mukoviszidose zu haben und zu wissen, dass die Chancen eins zu vier standen, dass auch das nächste Baby diese furchtbare Krankheit hatte.

Sie drückte Jayne in einer tröstenden Geste die Schulter und ließ sie dann allein, damit sie sich in den wenigen kostbaren Momenten des Alleinseins etwas ausruhen konnte.

Zum Mittagessen ging Allie in die Cafeteria. Mit einer Tasse Tee vor sich saß sie in einem gemütlichen Stuhl in der Ecke, als Beth zu ihr geschlendert kam.

“Er ist toll”, sagte sie ohne Einleitung. “Ich habe ihn heute bei den ambulanten Patienten gesehen, wo ich einspringen musste. Er ist einfach zum Vernaschen.”

“Ich weiß”, meinte Allie düster.

Beth ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen und sah sie neugierig an. “Was ist los? Ich sollte diejenige sein, die ein langes Gesicht macht. Wenigstens ist er an dir interessiert. Bei mir würde er es nicht mal merken, wenn ich sechs Beine hätte!”

Allie lachte. “Beth, was für ein Quatsch.” Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: “Er will Allgemeinmediziner werden.”

“Wie schön. Von denen gibt es da draußen viel zu wenige.”

“Ich möchte aber nicht, dass er Allgemeinmediziner wird. Das ist viel zu stressig.”

“Solltest du diese Entscheidung nicht lieber ihm überlassen?”, gab Beth zurück. “Außerdem, was macht das schon? Er ist jetzt da, er sendet die richtigen Signale aus. Du müsstest verrückt sein, das zu ignorieren. Na ja, verrückt oder tot oder absolut asexuell.”

Beth hatte recht. Allie trank ihren lauwarmen Tee aus und stellte die Tasse ab. ‘Glücklich bis an ihr Lebensende’ – das war wahrscheinlich ohnehin nur eine schöne Fantasie. Aber im Augenblick zählte nur die Gegenwart. Wo stand geschrieben, dass jede Beziehung zu einer Heirat führen musste?

Strahlend lächelte sie Beth an. “Du bist ein Schatz. Wir sehen uns später.” Und in wesentlich heiterer Stimmung als zuvor kehrte sie an ihre Arbeit zurück.

3. KAPITEL

Es dauerte bis zum Wochenende, ehe Mark sie um eine weitere Verabredung bat, und Allie fragte sich schon, ob sie nicht doch vielleicht mehr in ihre Beziehung hineingelesen hatte, als vorhanden war. Wenn man es denn überhaupt eine Beziehung nennen wollte.

Möglicherweise war der Grund für sein Interesse an ihr auch nur der gewesen, dass Mark sich in Audley einsam fühlte und niemand anders hier kannte. Also stürzte Allie sich in die Arbeit und bemühte sich, es nicht zu bemerken, wenn er in der Nähe war. Doch das war zwecklos. Ihre Antenne wollte sich einfach nicht ausschalten lassen, und sie war sich jeder seiner Bewegungen bewusst, wenn er auf die Station kam.

Aber die Patienten waren eine willkommene Ablenkung.

Die kleine Claudia Hall nahm die Antibiotika gut an, auch wenn ihr oft übel war. Ihre Eltern hatten die Therapie übernommen und verabreichten ihr die nötigen Dosen durch den Katheter in ihrem Arm. Das ersparte den Schwestern Arbeit, und Claudias Eltern waren bereits an die Pflege ihrer Tochter gewöhnt, sodass sie absolut zuverlässig waren. Zudem kannten sie sich mit der Krankheit vermutlich besser aus als der größte Teil des Krankenhauspersonals. Wie so viele Eltern heutzutage wollten sie alles wissen und über die Behandlung nicht im Dunkeln gelassen werden. Und sie erklärten Claudia alles sorgfältig, sodass sie das Gefühl hatte, die Kontrolle über das zu haben, was mit ihr geschah.

Jayne sagte: “Vor allem ist sie erst einmal Claudia, und dann erst ist sie krank. Bei ihrer Behandlung geht es nicht um die Mukoviszidose, sondern um Claudia. Sie muss es verstehen, damit einverstanden sein und es akzeptieren. Es ist ihr Körper, weder Ihrer noch meiner. Sie muss die Wahl haben, und wenn man ihr etwas die Kontrolle überlässt, hilft es ihr, besser damit umzugehen.”

Jeden dritten Tag mussten ihr Blutproben entnommen werden, um sicherzugehen, dass ihr instabiler Organismus das Medikament auch vertrug. Das Blut wurde der Kleinen aus den Händen entnommen, und zwar von derjenigen, die sie selbst für geeignet befunden hatte. Dann rieb sie sich an der entsprechenden Stelle mit der ‘Zaubercreme’ ein, einer anästhetischen Salbe, sodass der Nadelstich nicht so schmerzte.

Sie war ein zähes kleines Mädchen, und ihr Humor und ihr Mut waren auf der Station allgemein bekannt.

Obwohl Darren Forseys Abszess gut verheilte, blieb der Junge schweigsam und zurückgezogen und wollte wegen seines Stuhlbeutels nicht zu den anderen Kindern gehen. Gleichgültig wie oft ihm Allie sagte, dass dieser weder roch noch unter seinem Bademantel überhaupt zu sehen war, fühlte er sich trotzdem schrecklich befangen.

Schließlich gelang es Mark, ihn dazu zu überreden, sein Zimmer zu verlassen. Er erzählte ihm von einem Ansager des Kinderfernsehens und einer Sängerin, von denen er gehört hatte, dass sie beide dasselbe hatten wie Darren.

“Wenn sie nicht aus dem Haus gingen, würden sie nicht besonders weit kommen, stimmts?”, meinte Mark.

Darren dachte eine Weile darüber nach, und am Freitag sagte er zu Allie, dass er doch mal ins Spielzimmer gehen wolle.

Sie wartete, bis er sich seinen Bademantel angezogen hatte und dabei peinlich darauf achtete, dass er die kleine Wölbung des Beutels gut verbarg. Dann begleitete sie ihn zum Spielzimmer hinunter. Die Kinder dort spielten lebhaft miteinander und nahmen kaum Notiz von Darren.

“Der da drüben mit den roten Haaren, das ist Peter. Und der Junge mit der Armschlinge ist Adrian. Und das Mädchen dort ist Claudia. Soll ich dich ihnen vorstellen?”

Er schüttelte den Kopf, und sie ließ ihn allein. Während Allie zur Tür hinausging, blickte sie über die Schulter zu ihm zurück und stieß daher mit Mark zusammen.

Er fing sie auf und schenkte ihr dieses überwältigende Lächeln, bei dem ihr Herz jedes Mal Purzelbäume zu schlagen schien. “Ich habe dich gesucht.”

“Da bin ich”, erwiderte sie ein wenig atemlos.

“Hast du heute Abend schon was vor?”

Sie blinzelte überrascht. “Heute Abend? Nein, ich glaube nicht.” Allie wusste genau, dass dem nicht so war, doch sie fand, es könne nicht schaden, sich ein wenig vage auszudrücken. “Wieso?”

Mark grinste jungenhaft. “Ich dachte, es wäre an der Zeit, um Luft zu schnappen. Die beiden letzten Abende habe ich nur gearbeitet und gelernt, und jetzt brauche ich mal einen freien Abend. Hättest du Lust, mich zu begleiten?”

“Wohin? Wozu?”

“Egal”, sagte er achselzuckend. “Du kannst dir was aussuchen. Essen gehen, Tanzen, Kino, Pub, ein ruhiger Abend vor dem Fernseher. Alles, nur keine Lektüre von medizinischen Fachbüchern!”

“Tja, das lässt uns ja einen großen Spielraum”, lachte sie. “Ja, ich bin dabei. Ich überleg mir, was wir unternehmen könnten. Vielleicht hat eine meiner Mitbewohnerinnen eine Idee. Ich werde Beth wahrscheinlich nachher zum Lunch treffen. Sie weiß meistens recht gut darüber Bescheid, was man in dieser Stadt für interessante Dinge tun kann. Sie hat darin mehr Übung als ich.”

“Armes Häschen”, neckte er sie, und Allie hätte sich am liebsten selbst einen Fußtritt dafür verpasst, dass sie so ehrlich gewesen war.

“Es gibt Leute, die gehen abends ins Bett”, erklärte sie schnippisch, und das amüsierte Glitzern in Marks Augen verstärkte sich.

“Klingt immer besser”, murmelte er, woraufhin sich eine sanfte Röte von ihrem Hals aus über ihr gesamtes Gesicht ausbreitete.

“Du weißt, was ich meine”, entgegnete sie noch schnippischer, und er musste lachen.

“Leider ja. Es ist die Geschichte meines Lebens. Hör zu, warum holst du mich nicht ab, wenn du dich entschieden hast, was wir machen, und dann ziehe ich mich entsprechend an. Ich bin in Zimmer achtzehn und werde wahrscheinlich ab halb sechs dort sein. Einverstanden?”

Sie nickte. “Gut, dann komme ich vorbei.”

“Herein!”

Allie öffnete die Tür und stand Mark gegenüber, der lediglich mit Jeans bekleidet war. Er war barfuß, und um den Hals hatte er ein Handtuch geschlungen.

“Hi”, begrüßte er sie lächelnd. “Ich komme gerade aus der Dusche. Also, was machen wir?”

Sie zuckte mit den Schultern, abgelenkt von dem Anblick der festen, muskulösen Brust. Sein Körper war noch immer feucht von Wassertröpfchen, und ein Tropfen rann langsam über die Brust, durch das feine gekräuselte Haar und weiter hinab bis zu seinem Hosenbund.

Mühsam riss Allie ihren Blick los und schaute zu Mark auf, wobei sie leicht errötete. “Äh … ich weiß nicht. Beth war nicht da, und Lucy habe ich auch nicht gesehen. Also konnte ich sie auch nicht um Rat fragen.”

Er lehnte sich ans Fensterbrett, die Beine gekreuzt, und hielt mit beiden Händen die Enden des Handtuchs umfasst. Es war eine natürliche, entspannte Haltung, die unglaublich sexy wirkte und Allies Blutdruck steil in die Höhe schießen ließ.

“Also, worauf hättest du Lust?”, fragte Mark, und sie schluckte unwillkürlich.

Komm wieder runter, Mädchen, ermahnte sie sich. ‘Das’ hat er jedenfalls nicht gemeint. “Ach, es ist mir eigentlich gleich.” Doch dann setzte sie aus einem Impuls heraus hinzu: “Beth und Lucy sind heute Abend auf einer Party. Wenn du willst, kannst du mit zu mir kommen, und ich koche was für uns.”

Ein Lächeln erhellte seine Augen. “Hausmannskost, welch Luxus. Das hört sich toll an. Bist du dir sicher?”

“Ja”, antwortete sie so beiläufig wie möglich, wobei sie fieberhaft überlegte, was sie denn zubereiten sollte. Da die Speisekammer leer war, musste sie noch schnell einkaufen gehen.

“Möchtest du irgendwas Besonderes?”, fragte sie und hoffte inständig, dass es etwas war, was sie kochen konnte. Denn Kochen war nicht gerade ihre Stärke.

“Was immer du willst. Außer Leber, Nieren oder Baked Beans. Ansonsten esse ich alles.”

Allie nickte und zog sich in Richtung Tür zurück. “Halb acht?”, schlug sie vor.

Mark griff nach dem Türrand und lächelte. Er war nur wenige Zentimeter von ihr entfernt, sodass sie den Puls an seinem Hals erkennen konnte.

“Ja, gut. Ich freu mich.” Damit beugte Mark sich vor und strich ihr sanft über die Lippen.

Hitze flammte in ihr auf, und mit einem schnellen Lächeln drehte sie sich um und flüchtete den Korridor hinunter. So viel Sexappeal, der gleich zum Abendessen zu ihr kam, und sie würde ganz allein mit ihm sein!

Mark läutete zum zweiten Mal, eine Weinflasche in der Hand, und fragte sich, was Allie aufhalten mochte. Da hörte er, wie hinter ihm jemand die Straße entlanggelaufen kam. Er wandte sich um, gerade als sie den Weg zum Haus erreichte. Sie hatte eine kleine Tüte in der Hand.

Zerstreut lächelte Allie ihn an, während sie nach ihrem Schlüssel suchte. “Hi. Entschuldige. Bist du schon lange da? Ich hatte Sahne für die Soße vergessen. Komm rein.”

Sie war außer Atem und vom Wind zerzaust, ihre Wangen rot vor Kälte und vom Laufen, ihre Augen glänzten, und sie sah einfach zum Anbeißen aus.

Aus der Küche duftete es verlockend, und Allie ging Mark voran.

“Kann ich irgendwas helfen?”, fragte er, nachdem er die Weinflasche auf den Tisch gestellt hatte.

“Oh, ja bitte. Du könntest den Tisch decken. Oh, Wein! Danke, aber du hättest dir doch keine Umstände machen sollen.”

“Wieso nicht? Hast du ja auch”, erwiderte er und deutete auf den Herd.

Allie lächelte. “Danke.”

Ihre raue Stimme brachte seine Nerven zum Vibrieren. Lieber Himmel, sie ist umwerfend. Mark spürte, wie seine Jeans auf einmal an einer bestimmten Stelle eng wurden, und räusperte sich.

“Wo ist das Besteck?”

“Da drin.” Allie zog eine Schublade neben sich auf, und als er zu ihr kam, nahm er durch das köstliche Aroma der Soße einen schwachen Duft wahr. Seife? Parfum? Haut?

Hastig griff Mark nach dem Besteck und zog sich zur Sicherheit hinter den Tisch zurück, um weder sich noch Allie in Verlegenheit zu bringen. Sie gab ihm einen Korkenzieher und zwei Gläser. Während sie am Herd herumhantierte, öffnete Mark den Wein, einen schön gekühlten Chardonnay, füllte die Gläser und schob ihr eines davon über den Tisch hinweg zu.

“Hier, trink.”

Lächelnd nahm sie einen Schluck. “Mmm, der ist gut. Vielen Dank.”

“Gern geschehen”, murmelte er und hob sein Glas. “Auf unser Wiedersehen – und auf uns”, sagte er sanft, woraufhin Allie unwillkürlich errötete.

Nach dem Essen stapelte sie die Teller in die Spüle, stellte die Kaffeemaschine an und lotste Mark ins Wohnzimmer, um ihn vom Abwaschen abzuhalten. Dort drückte sie ihn aufs Sofa hinunter. Er packte ihr Handgelenk und zog daran, sodass Allie schließlich lachend neben ihm landete, an seine warme Brust gepresst. Und ehe sie noch wusste, wie ihr geschah, gab er ihr einen schnellen Kuss und lächelte.

“Das war ein wundervolles Essen. Danke.”

Das Herz schien ihr gegen die Rippen zu hämmern. “Freut mich.” Sie rückte ein wenig von ihm ab, um sich am anderen Ende des Sofas mit untergeschlagenen Beinen hinzusetzen. Durch den Abstand fühlte sie sich ein wenig sicherer.

“Das ist wie früher”, meinte sie. “Vor fünf Jahren haben wir stundenlang so zusammengesessen und die Welt verbessert.”

“Ich weiß. Aber das ist uns nicht besonders gut gelungen, oder?”

Sein sexy Lächeln ließ Allie den Atem stocken, und sie lachte ein wenig verlegen. “Ich war schrecklich. Ich habe dich stundenlang wach gehalten”, meinte sie, den Blick auf ihre Hände gesenkt. “Ich habe dich nie in Ruhe gelassen.”

“Du warst entzückend. Das bist du immer noch. Und ich habe unsere Gespräche damals genossen.”

Sie lachte wieder. “Du warst sehr geduldig und ein ausgezeichneter Zuhörer. Ich fand dich toll”, gestand sie.

“Hast du mich deshalb angemacht?”

“Oh je, war das so offensichtlich?” Allie wurde rot. “Ich habe eigentlich gar nicht gemerkt, dass ich das getan habe. Ich war so naiv. Tut mir leid.”

“Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen. Hast du überhaupt eine Ahnung davon, wie gern ich dein Angebot angenommen hätte?”

Wieder errötete sie. “Mir war gar nicht klar, dass ich irgendwie auffordernd gewirkt habe. Wenn du kein solcher Gentleman gewesen wärst, wäre ich vermutlich vor Angst gestorben.”

Mark schmunzelte. “Ich glaube, ich habe in der ganzen Zeit kaum geschlafen. Immer wieder habe ich mir vorgestellt, was sich wohl unter diesem züchtigen Bademantel verbarg, und hatte deshalb ein furchtbar schlechtes Gewissen.”

“Das wusste ich nicht”, sagte Allie reumütig. “Auch als du mir einen Abschiedskuss gegeben hast, dachte ich, du wolltest mir damit nur einen Gefallen tun.”

Er lachte trocken auf. “Oh nein. Ich musste dich einfach küssen, und es hat mir ganz und gar nicht gut getan, sondern meine Fantasie jahrelang gequält. Und als ich dich neulich endlich richtig geküsst habe, – was soll ich sagen? Das übertraf selbst meine lebhaftesten Fantasien.”

Hitze schien sich zwischen ihnen zu entzünden, und Allie konnte kaum atmen. Ihr Herz pochte heftig, ihre Augen wurden von seinen festgehalten, und als Mark die Arme nach ihr ausstreckte, war sie vollkommen hilflos.

Sie hob die Hand, er schloss die Finger darum und zog sie behutsam an sich. Allie fiel halb quer über seinen Schoß, ihre Haare hingen über seinem Arm. Und dann lag sie auf dem Rücken und schaute empor in seine wunderbaren grauen Augen, die aussahen wie Kiesel im Bett eines klaren Bergbaches, mit granitfarbenen Sprenkeln und Lichtpunkten darin.

“Oh, Allie”, murmelte er, und sanft senkte sich sein Mund auf ihren. Es war eine langsame, zärtliche Berührung ihrer Lippen. “Du schmeckst so gut”, meinte er und hob den Kopf. “Hast du was dagegen, wenn ich zu dir komme?”

Sie schüttelte den Kopf, und Mark stand auf, streifte sich die Schuhe ab und legte sich neben sie aufs Sofa. Mit einem tiefen Seufzer nahm er sie erneut in die Arme, und wieder fand er ihren Mund mit seinen Lippen, neckend, knabbernd und forschend, bis Allie von einem solchen Verlangen erbebte, wie sie es sich niemals erträumt hatte.

Mark schob einen seiner kraftvollen Oberschenkel zwischen ihre Beine, und ein tiefes Stöhnen entrang sich seiner Brust. Allie drängte sich an ihn und hielt seine Schultern umklammert, während sie von einer Woge köstlicher Empfindungen überflutet wurde. Er fühlte sich so gut an, so groß und stark und richtig.

Dann hob er den Kopf, schaute ihr in die Augen und strich ihr sanft das Haar aus der Stirn, ehe er sie noch einmal küsste.

Nichts, aber auch gar nichts hätte Allie jemals auf diesen Kuss vorbereiten können. Er ließ ihren gesamten Körper dahinschmelzen, löschte jeden Gedanken aus ihrem Gehirn. In seinen Armen war sie hilflos. In diesem Augenblick hätte sie alles für ihn getan. Sie wäre ohne Fallschirm in zehntausend Metern Höhe aus einem Flugzeug gesprungen, wenn er sie darum gebeten hätte.

Doch Mark küsste sie nur, bis sie weich wie Wachs war, schmiegte dann ihren Kopf an seine Brust, sodass sie seinen Herzschlag hören konnte, und wartete, bis sie beide wieder etwas ruhiger atmeten.

“Hast du vorhin nicht Kaffee gemacht?”, fragte er leise.

“Mmm. Der ist bestimmt schon längst fertig.”

“Ich hole ihn.”

Als Mark nach einigen Minuten zurückkehrte, brachte er ein Tablett mit zwei Kaffeebechern und einem Päckchen Minzpralinen mit.

“Wo kommen die denn her?”, wollte Allie wissen, die sich aufsetzte.

“Aus meiner Manteltasche.”

“Das sind meine Lieblingspralinen”, sagte sie fast vorwurfsvoll.

“Ich weiß. Du hast am Montag im Bistro Hunderte von den Dingern gegessen.”

Sie lachte. “Daran hast du dich erinnert?”

“Bei dir erinnere ich mich an alles”, antwortete er und riss das Päckchen auf. Obwohl er es leichthin gesagt hatte, wusste Allie, dass es ernst gemeint war.

Sie nahm einen Becher von ihm entgegen, tauchte die dünnen Schokoladenblätter in den Kaffee und saugte daran.

“Das ist grauenhaft”, meinte Mark liebevoll. “Du hast schon immer alles eingestippt.”

“Mmm. Probiers mal, so schmecken sie am besten.”

“Auf keinen Fall. Ich bevorzuge sie kalt und knackig.”

Autor

Caroline Anderson
<p>Caroline Anderson ist eine bekannte britische Autorin, die über 80 Romane bei Mills &amp; Boon veröffentlicht hat. Ihre Vorliebe dabei sind Arztromane. Ihr Geburtsdatum ist unbekannt und sie lebte die meiste Zeit ihres Lebens in Suffolk, England.</p>
Mehr erfahren
Fiona Mc Arthur
<p>Fiona MacArthur ist Hebamme und Lehrerin. Sie ist Mutter von fünf Söhnen und ist mit ihrem persönlichen Helden, einem pensionierten Rettungssanitäter, verheiratet. Die australische Schriftstellerin schreibt medizinische Liebesromane, meistens über Geburt und Geburtshilfe.</p>
Mehr erfahren
Anne Herries
Anne Herries ist die Tochter einer Lehrerin und eines Damen Friseurs. Nachdem sie mit 15 von der High School abging, arbeitete sie bis zu ihrer Hochzeit bei ihrem Vater im Laden. Dann führte sie ihren eigenen Friseur Salon, welchen sie jedoch aufgab, um sich dem Schreiben zu widmen und ihrem...
Mehr erfahren