Bianca Exklusiv Band 323

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MÄNNLICH, ZÄRTLICH - UNWIDERSTEHLICH von BRENDA HARLEN

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  • Erscheinungstag 22.05.2020
  • Bandnummer 323
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748760
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Brenda Harlen, Kara Lennox, Marie Ferrarella

BIANCA EXKLUSIV BAND 323

PROLOG

Paige Wilder hatte nicht die geringste Erfahrung mit Kindern. Aber als Olivia Lowell, ihre Freundin und Kollegin bei Wainwright, Witmer & Wynne, sie bat, ihr bei der Entbindung zur Seite zu stehen, konnte sie es der alleinstehenden Mutter in spe nicht abschlagen. Trotz ihrer anfänglichen Bedenken war Emmas Geburt für sie eins der faszinierendsten Erlebnisse ihres Lebens.

Deshalb sagte sie auch sofort zu, als Olivia sie einige Monate später fragte, ob sie über Nacht auf das Baby aufpassen könne. Ashley und Megan – ihre Cousinen und besten Freundinnen – waren schwanger, da war dies eine gute Gelegenheit, sich als Babysitter zu versuchen.

Als sie Emma um fünf Uhr morgens in ihre Wiege legte und sich auf das Bett in Olivias Gästezimmer fallen ließ, hatte Paige ihre Entscheidung bereits bitter bereut. Gegen Mitternacht hatte sie die Scheidungsvereinbarung, an der sie gerade arbeitete, in ihre Aktentasche gesteckt und beschlossen, schlafen zu gehen. Doch genau dann erwachte das sonst so ruhige Baby und begann laut zu weinen. Das wiederholte sich zu jeder vollen Stunde.

Die anstrengende Nacht machte Paige mal wieder bewusst, warum sie nie ein eigenes Kind hatte haben wollen. Sie bewunderte Eltern, die nachts ein weinendes Baby trösten mussten und es trotzdem schafften, am nächsten Morgen pünktlich aufzustehen und zur Arbeit zu gehen.

Als sie endlich einschlief, war sie heilfroh, dass sie ihre Freundin nur eine Nacht lang vertreten musste.

Drei Tage später erfuhr Paige, dass das Schicksal es anders wollte.

Owen Wynne war der Seniorpartner der Kanzlei, in der sie seit sechs Jahren als Anwältin arbeitete. Er legte das Dokument, aus dem er gerade vorgelesen hatte, zur Seite und hob den Kopf.

Schockiert starrte Paige ihn an. Hatte er ihr gerade mitgeteilt, dass ihre Freundin bei einem Verkehrsunfall getötet worden war? Sie versuchte zu begreifen, was sie gerade gehört hatte. „Aber was bedeutet das?“

„Es bedeutet, dass Sie jetzt Emma Jane Lowells gesetzlicher Vormund sind“, erklärte er geduldig.

„Das kann nicht sein“, erwiderte sie verzweifelt und ungläubig zugleich.

Owen runzelte die Stirn. „Hat Olivia denn nicht mit Ihnen über ihr Testament gesprochen?“

Paige schüttelte den Kopf.

„Nun ja, dann haben Sie natürlich das Recht, ihre Bitte abzulehnen.“

Sie wusste, was passieren würde, wenn sie das tat – die neun Monate alte Emma würde vom Jugendamt in eine Pflegefamilie vermittelt werden. Vielleicht hatte sie Glück und kam zu einem Paar, das sie wie ein eigenes Kind liebte. Ansonsten würde sie von einer Familie zur nächsten wandern, bis sie alt genug war, um aus der staatlichen Obhut entlassen zu werden.

In beiden Fällen würde Olivias Tochter nie etwas über ihre Mutter erfahren. Niemand würde ihr erzählen, wie sehr sie geliebt worden war.

Paige zögerte noch immer. „Ich weiß nichts über Kinder.“

„Ging mir genauso, als ich das erste Mal Vater wurde“, gab Owen zu.

„Was ist mit Emmas Vater? Sind Sie sicher, dass Olivia seinen Namen nie erwähnt hat?“

„Mir gegenüber nicht.“

Paige wusste auch nur, dass Olivia, seit sie schwanger war, keinen Kontakt mehr zu ihm hatte. Sie vermutete, dass Olivia so verschlossen gewesen war, weil der Mann schon eine Familie hatte.

„Sie müssen sich ja nicht heute entscheiden“, sagte der Seniorpartner.

Paige würde nie verstehen, warum ihre Freundin ausgerechnet sie ausgesucht hatte, aber Olivia hatte die Entscheidung bereits für sie getroffen und ihren Letzten Willen konnte sie nicht ignorieren.

„Doch, das muss ich. Allein schon Emmas wegen.“

Sie wollte dafür sorgen, dass Olivias Baby die Geborgenheit bekam, die sie selbst nie gekannt hatte.

Doch als die Papiere unterschrieben waren und sie mit Emma im Arm Owens Büro verließ, war sie nicht mehr so sicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.

1. KAPITEL

Fünf Monate später

Als kleines Mädchen hatte Paige sich nirgendwo zu Hause gefühlt. Ihr geschiedener Vater war Colonel gewesen und häufig versetzt worden. Mit fünfzehn war sie zu seiner Schwester und deren Familie gekommen. In den ersten sechs Monaten weigerte sie sich, ihre Sachen auszupacken, weil sie sicher war, dass sie schon bald wieder ausziehen würde.

Aber aus den sechs Monaten waren erst ein Jahr, dann zwei geworden, und ihre Cousinen Ashley und Megan wurden ihre besten Freundinnen.

Trotzdem hatte Paige sich immer wie eine Besucherin gefühlt, und selbst ihr erste eigene Wohnung in Syracuse war für sie nicht mehr als ein Dach über dem Kopf. Aber in der Chetwood Street in Pinehurst stand das Haus, das Ashley und Megan einige Jahre zuvor gekauft hatten. Dort hatte Paige sich so wohl gefühlt wie an keinem anderen Ort, und deshalb fuhr sie nach Pinehurst, als ihr Leben aus den Fugen geriet.

Sie hatte ihre Cousinen angerufen und gefragt, ob sie eine Weile dort wohnen dürfe. Megan war im Vorjahr ausgezogen, als sie Gary Richmond geheiratet hatte. Erst vor einem Monat hatte Ashley es ihrer Schwester gleichgetan und lebte jetzt mit ihrem Ehemann Cameron Turcotte zusammen. Die beiden wollten das Haus verkaufen, hatten jedoch noch keinen Makler beauftragt, deshalb hatte Paige vorgeschlagen, es für den Sommer zu mieten.

Sie war nicht sicher, wie lange sie bleiben würde. Sie wusste nur, dass sie gründlich darüber nachdenken musste, was sie aus ihrem Leben machen wollte.

Bis vor fünf Monaten hatte sie nur ein Ziel gehabt – sie wollte Partnerin in der Kanzlei werden. Darauf hatte sie sechs Jahre lang hingearbeitet. Aber dann hatte sie an einem Mittwoch Emma bei ihrer Tagesmutter abgeholt, und plötzlich war ihr klar geworden, wie sehr das Kind, das sie von Herzen liebte, alles verändert hatte.

Jetzt war sie seit einer Woche in Pinehurst und wusste noch immer nicht, ob sie die angestrebte Karriere mit der Verantwortung für Emma vereinbaren konnte – oder wollte. Es war schlimm genug, dass Emma nie ihre Mutter oder ihren Vater kennenlernen würde, aber Paige hatte auch Schuldgefühle, weil sie sie die meiste Zeit in die Obhut einer Tagesmutter geben musste, wenn sie ihren Job behalten wollte.

Darüber zerbrach Paige sich auch am Donnerstagabend den Kopf, als es laut an der Haustür klopfte. Ein Blick auf die Uhr zeigte erst zwölf Minuten nach acht, aber weil Emma so lange zum Einschlafen gebraucht hatte, kam es ihr viel später vor.

Vorsichtig stand sie aus dem Sessel auf, um das Baby auf ihrem Arm nicht zu wecken, und ging nach vorn. Ashley und Megan hatten einen Schlüssel, also musste es jemand anderes sein.

Sie öffnete die Tür, bevor der ungebetene Gast erneut dagegen hämmern konnte.

Seine Augen fielen ihr als Erstes auf. Sie waren strahlend blau, intensiv und auf seltsame Weise vertraut. Und als ihre Blicke sich trafen, wurde ihr heiß, und sie fühlte ein Kribbeln, das sie nicht fühlen wollte.

Dann bemerkte sie die Uniform und erstarrte.

„Sind Sie Paige Wilder?“

Seine Stimme war tief und sexy, und wieder spürte sie das Kribbeln. Sie ignorierte es.

„Ja, die bin ich“, antwortete sie. „Aber ich frage mich, warum ein Lieutenant Colonel der United States Air Force sich für meine Person interessiert.“

Dass sie ihm seinen Offiziersrang ansah, schien ihn zu überraschen. Er zog die Brauen hoch, und erst jetzt registrierte sie, zu was für einem markanten Gesicht die ausdrucksvollen Augen gehörten. Das dunkle Haar war kurz geschnitten und schimmerte selbst im Halbdunkel vor der Haustür. Er war groß – fast eins neunzig, schätzte sie – und hatte breite Schultern, schmale Hüften und lange Beine.

Sein Anblick erfreute jede Frau, und Paige war keine Ausnahme. Offenbar hatten selbst fünfzehn Jahre als Soldatenkind es nicht geschafft, sie gegen die Wirkung eines attraktiven Uniformträgers immun zu machen. Aber nach fünf Jahren als Anwältin war sie klug genug, um sich nicht von Äußerlichkeiten beeindrucken zu lassen.

„Ich bin nicht in offizieller Eigenschaft hier“, versicherte er.

„Warum dann?“

„Ich bin Sam Crawford.“ Er warf einen Blick auf das Baby an ihrer Schulter, bevor er sie wieder ansah. „Emmas Vater.“

Emmas Vater.

Die Worte hallten in Paiges Kopf wider, und obwohl es ein warmer Abend im Mai war, fror sie plötzlich, als hätte ein eisiger Windstoß sie getroffen. Instinktiv legte sie die Arme fester um das Baby und wich einen Schritt zurück.

Der Mann auf der Veranda deutete es als Einladung und wollte hereinkommen. Sie schüttelte den Kopf und verstellte ihm den Weg.

„Emma hat keinen Vater“, sagte sie.

Seine Augen glitzerten belustigt.

Plötzlich wusste Paige, woher sie sie kannte. Es waren Emmas Augen.

Verzweifelt wehrte sie sich gegen die Erkenntnis.

„Verstehen Sie wirklich so wenig von Biologie, Mrs. Wilder?“, fragte er mit spöttischem Unterton.

„Olivia hat mir erzählt, dass Emmas Vater kein Interesse an seinem Kind hat.“

„Dann hat sie gelogen“, erwiderte er unverblümt.

Paige schüttelte den Kopf. „Sie hat mich zu Emmas Vormund bestimmt, weil sie keine Angehörigen hatte. Weil Emma keine hat.“

„Das stimmt auch nicht ganz.“

Sie konnte es nicht glauben – sie wollte es nicht glauben. Warum hätte Olivia ihr das verschweigen sollen? Und noch wichtiger, was bedeutete das Auftauchen dieses Mannes für das kleine Mädchen, das in ihren Armen schlief?

„Ich sehe Ihnen an, wie überrascht Sie sind“, fuhr er fort. „Bestimmt haben wir beide viele Fragen, und wenn Sie mich hereinlassen, müssen wir die nicht unter den Augen der Nachbarn klären.“

Ein Blick über die Straße bestätigte, dass Melanie Quinlan, frisch geschieden und auf der Suche nach Ehemann Nummer zwei, in ihrem Vorgarten stand. Allerdings starrte sie gerade gebannt auf den uniformierten Fremden und wässerte daher nicht die Blumen, sondern die Hauswand.

„Gehen Sie, wenn ich Nein sage?“, fragte Paige ihn.

„Nein.“

Seufzend machte sie den Weg frei. „Ich muss Emma hinlegen.“

Zu ihrer Erleichterung protestierte er nicht.

Dass er das Kind nicht halten oder wenigstens genauer betrachten wollte, erstaunte sie. Sie spürte seinen Blick, als sie die Treppe hinaufging. Im Kinderzimmer legte sie Emma vorsichtig in die Wiege, gab ihr einen Gutenachtkuss auf die Wange und atmete den Duft des Babyshampoos ein. Plötzlich brannten Tränen in ihren Augen. Dieses abendliche Ritual war ihr zur Gewohnheit geworden. Aber der Fremde, der unten auf sie wartete, drohte damit, ihr diesen Moment zu nehmen. Und die Zukunft, die sie sich für sie beide ausgemalt hatte.

An ein eigenes Kind hatte sie nie gedacht, dazu war sie viel zu sehr mit ihrer Karriere beschäftigt gewesen. Ihre Kollegin Karen Rosario hatte ihr Baby erst bekommen, nachdem sie Partnerin in der Kanzlei geworden war – mit zweiundvierzig. Und dann hatte Karen ein Kindermädchen eingestellt, das das Kind großzog, das sie sich angeblich so sehr gewünscht hatte.

Als Jurastudentin hatte Paige sich keine Gedanken darüber gemacht, ob sich ihr Beruf irgendwann mal mit einer Familie vereinbaren lassen würde. Darüber hatte sie erst nachgedacht, als Olivia verkündete, dass sie schwanger war. Ihre Freundin musste alle Opfer bringen, während der Mann, von dem sie das Baby bekam, einfach vor seiner Verantwortung davongelaufen war.

Das machte Paige so wütend, dass sie ihn am liebsten aufgespürt und mit einer Vaterschaftsklage dazu gebracht hätte, wenigstens seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.

„Bist du ganz sicher, dass du es allein schaffen willst?“, fragte sie Olivia. „Vielleicht ist der Vater …“

„Nein“, unterbrach Olivia sie. „Das hier geht ihn nichts an.“

„Du bist Anwältin wie ich und weißt, dass es auch sein Baby ist. Das bedeutet, er hat sowohl Rechte als auch Pflichten.“

„Er trägt auch so schon genug Verantwortung. Ich will ihn nicht mit einem Kind belasten, das keiner von uns geplant hat.“

„Ist er verheiratet?“, fragte Paige.

Ihre Freundin lachte. „Nein, er ist nicht verheiratet. Und er ist nicht der Typ, der seine Frau betrügen würde, wenn er es wäre.“

„Aber er ist der Typ, der die Frau, die sein Kind bekommt, im Stich lässt?“

Olivia wich ihrem Blick aus. „Hör auf, Paige. Bitte.“

Sie hatte das Thema gewechselt und nicht mehr über Emmas Vater erfahren. Nicht mal seinen Namen. Was bedeutete, dass sie eine Menge Fragen an Lieutenant Colonel Sam Crawford hatte.

Fest entschlossen, einige Antworten darauf zu bekommen, ging sie nach unten.

Sam Crawford stand noch immer dort, wo Paige ihn zurückgelassen hatte. Als sie in die Küche ging, folgte er ihr. Sie hatte Stunden darin verbracht, meistens mit Ashley oder Megan oder beiden, und nie war ihr der Raum klein vorgekommen. Aber etwas an Sams Gegenwart … ließ das Zimmer schrumpfen. Sie war sich seiner Nähe viel zu bewusst – seiner Größe, der athletischen Figur, der überwältigenden Männlichkeit.

Als sie die leere Kanne aus der Kaffeemaschine nahm, schaute sie kurz über die Schulter – direkt in seine atemberaubend blauen Augen. Hastig wandte sie sich ab und schluckte. Dass sie diesen Mann so attraktiv fand, verblüffte und ärgerte sie zugleich.

Mussten ihre Hormone ausgerechnet jetzt verrückt spielen? Es war lange her, dass sie mit jemandem geschlafen hatte, aber Sam Crawford war ganz sicher nicht der Mann, mit dem sie die Auszeit beenden würde. Nicht nur wegen der Uniform, sondern auch weil er mit einer ihrer besten Freundinnen intim gewesen war.

Vielleicht hatte Olivia ihr nichts über ihn erzählt, weil er Soldat war. Weil sie gewusst hatte, dass Paige sie davor warnen würde, sich mit einem Mann einzulassen, dem sein Beruf immer wichtiger sein würde als seine Familie.

„Möchten Sie einen Kaffee?“, fragte sie Sam.

„Sehr gern. Ich bin seit null-fünfhundert unterwegs.“

Auch sie war seit null-fünfhundert – fünf Uhr morgens für Zivilisten – auf und wäre lieber ins Bett gegangen, anstatt sich mit Koffein aufzuputschen. Aber sie wusste, dass sie kein Auge zubekommen würde. Erst musste sie Antworten auf die Fragen bekommen, die sie quälten, seit Sam Crawford die zwei Worte ausgesprochen hatte, die noch immer in ihrem Kopf widerhallten.

Emmas Vater.

Wenn das stimmte, wenn er tatsächlich der Mann war, von dem Olivia das Baby bekommen hatte, änderte das alles.

Nachdenklich löffelte Paige den Kaffee in den Filter. Sie konnte verstehen, warum Olivia ihn attraktiv gefunden hatte. Er sah nicht nur blendend aus, er besaß auch eine Ausstrahlung, die jeder Frau ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gab.

Sie nahm zwei Becher aus dem Schrank und füllte sie.

„Sahne? Zucker?“

„Schwarz, bitte.“

Sie gab ihm einen Becher und goss Milch in den anderen.

Er wartete, bis sie am Tisch im Esszimmer saß, und nahm ihr gegenüber Platz.

„Sie und Olivia waren Kolleginnen bei Wainwright, Witmer & Wynne?“

Paige nickte.

„Sie waren auch befreundet?“

„Seit dem Jurastudium.“

„Sie hat Sie nie erwähnt.“

„Sie auch nicht“, erwiderte Paige. „Sie hat nie etwas über Emmas Vater erzählt.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Überhaupt nichts?“

„Nur dass er nicht daran interessiert ist, im Leben seines Kindes eine Rolle zu spielen.“

Sam runzelte die Stirn. „Vielleicht wäre ich nicht gerade begeistert gewesen, wenn sie mir erzählt hätte, dass sie schwanger ist. Aber sie musste doch wissen, dass ich mein Kind niemals im Stich lassen würde.“

„Wenn Olivia Ihnen nichts von der Schwangerschaft erzählt hat, wie haben Sie es herausgefunden? Und woher wissen Sie, dass Sie Emmas Vater sind?“

„Na ja, hundertprozentig sicher kann ich natürlich nicht sein“, gab er zu. „Aber ich habe einen Brief von Olivia, in dem steht, dass ich es bin. Und ich habe keinen Grund, ihr nicht zu glauben.“

„Sie haben gerade behauptet, dass Olivia gelogen hat.“

„Sie hat Sie belogen, wenn sie behauptet hat, dass ich mein Kind nicht kennenlernen will“, erklärte er. „Denn ich wusste nichts von dem Baby. Den Brief, den sie mir hinterlassen hatte, habe ich erst nach meiner Rückkehr vom Auslandseinsatz gefunden.“

„Olivia ist vor fünfeinhalb Monaten gestorben.“

Ein Schatten verdunkelte die strahlend blauen Augen einige Sekunden lang. Trauer? Oder Reue? Dann war es vorbei, und er nickte. „Ich erfuhr von dem Unfall, als ich mich in der Kanzlei nach ihr erkundigte. Mein Vermieter informierte mich, dass eine junge Frau an meiner Tür geläutet hat. Er hat ihr gesagt, dass ich in Übersee bin, und sie hinterließ einen Brief.“

„Haben Sie den Brief dabei?“

Er nahm ihn aus der Jackentasche und schob ihn über den Tisch.

Mit zitternden Fingern zog Paige ihn aus dem Umschlag.

Sam,

bestimmt wunderst du dich darüber, dass ich mich nach so langer Zeit bei dir melde. Zumal ich diejenige war, die den Kontakt abgebrochen hat. Deshalb komme ich sofort zur Sache. Du hast eine Tochter …

Paige stockte der Atem, denn Olivias Zeilen bestätigten den Anspruch des Fremden auf das kleine Mädchen in ihrer Obhut. Am liebsten hätte sie Sam Crawford zusammen mit dem Brief aus dem Haus geworfen, aber sie zwang sich weiterzulesen.

Als sie fertig war, steckte sie den Brief wieder in den Umschlag und schob ihn zurück. Sie griff nach ihrem Kaffeebecher und stellte ihn ab, ohne zu trinken. Ihr war übel.

„Ich habe nicht vor, auf das Sorgerecht für Emma zu verzichten, nur weil Sie hier mit einem Brief auftauchen, in dem steht, dass Sie ihr Vater sind.“

„Mit einem Brief, den ihre Mutter geschrieben hat“, ergänzte er.

Da sie die Handschrift ihrer Freundin nicht kannte, konnte sie nicht absolut sicher sein, dass der Brief tatsächlich von Olivia war.

„Olivia hat Sie nicht als Vater in die Geburtsurkunde eintragen lassen.“

„Hat sie jemand anderen eintragen lassen?“

Paige ignorierte die Frage. „Ich bin mit ihr zum Schwangerschaftskurs gegangen und war bei der Entbindung dabei. In der ganzen Zeit hat Olivia kein einziges Mal Ihren Namen erwähnt. Sie hat behauptet, dass der Vater von der Schwangerschaft weiß, aber mit seinem Kind nichts zu tun haben will.“

„Das war gelogen.“

Sie gab nicht auf. Wenn er ihr Emma wegnahm, würde es ihr das Herz brechen.

„Trotzdem finde ich, Sie sollten einen Vaterschaftstest machen.“

Er stand auf und füllte seinen Becher nach. „Wie schnell geht das?“

„Ich rufe gleich morgen an. Aber wahrscheinlich bekommen Sie erst in der nächsten Woche einen Termin.“

Seine Miene verfinsterte sich.

„Und Sie werden einen Anwalt brauchen.“

„Sie sind doch Anwältin.“

„Ja, aber ich vertrete Sie nicht.“

„Warum um alles in der Welt muss ich mich vertreten lassen?“

„Weil …“ Paige zögerte. Sie wollte ihn nicht auf die Idee bringen, vor Gericht um das Sorgerecht zu kämpfen. Vielleicht wollte er Emma gar nicht zu sich nehmen, sondern sie nur kennenlernen. „Weil Sie sich über Ihre Rechte und Pflichten im Klaren sein sollten.“

„Das bin ich“, versicherte Sam. „Und ich will meiner Tochter ein Vater sein.“

Die Antwort verriet ihr nicht, ob er das volle Sorgerecht, ein elterliches Besuchsrecht an jedem zweiten Wochenende oder nur gelegentliche Besuche in seinem Urlaub wollte.

„Für wie lange?“, fragte sie.

„Was meinen Sie?“

„Wann müssen Sie sich wieder zum Dienst melden?“

„Am siebten Juli.“

Das war später, als sie erwartet hatte, aber viel zu früh, um eine ernsthafte Beziehung zu seiner Tochter zu entwickeln. „Warum sind Sie überhaupt hier?“

„Ich verstehe nicht.“

„Warum haben Sie den weiten Weg auf sich genommen und tun so, als wären Sie an dem Kind interessiert, das angeblich von Ihnen ist, wenn Sie in ein paar Wochen wieder verschwinden?“

„Ich tue nicht so, als wäre ich interessiert“, widersprach er. „Ich bin es. Und ich ‚verschwinde wieder‘, weil das mein Beruf ist.“

„Und falls Emma wirklich Ihre Tochter ist, wer kümmert sich um sie, während Sie Ihren Beruf ausüben?“

Sam zuckte zusammen. Nicht nur wegen Paiges Frage, die bewies, wie wenig er nachgedacht hatte, bevor er hierher aufgebrochen war. Viel mehr traf ihn ihr vorwurfsvoller Ton.

Denn er war fest entschlossen, das Richtige zu tun. Und das bestand darin, seiner Tochter ein guter Vater zu sein.

„Ich weiß es nicht“, gab er zu. „Aber ich werde dafür sorgen, dass sie betreut wird.“

„Von einer Tagesmutter.“

„Sie haben sie doch auch zu einer Tagesmutter gegeben.“

„Olivia hat eine gefunden, die in der Nähe der Kanzlei wohnt. Emma fühlt sich bei ihr sehr wohl.“

„Das freut mich“, sagte Sam. „Aber ich lebe in New Jersey.“

Paige senkte den Kopf. Doch bevor ihr das kupferfarbene Haar ins Gesicht fiel, sah er die Tränen in ihren Augen.

Sam verfluchte sich. Diese Frau zog Emma seit fünfeinhalb Monaten groß. Sie kümmerte sich um sein Kind, und er hatte gerade mit ein paar achtlosen Worten gedroht, es ihr für immer wegzunehmen.

Ohne zu überlegen, legte er eine Hand auf ihren Arm.

Die unerwartete Berührung ließ sie zusammenzucken. Oder war es der Funke, der zwischen ihnen übergesprungen war?

Sie sah ihn an, und in den Tiefen ihrer braunen Augen nahm er sowohl Vorsicht als auch Überraschung wahr. Sie hatten die Farbe von kräftiger, dunkler Schokolade, und jeder Blick war eine einzige Verführung. Er schaute auf ihren Mund, auf die rosigen, anmutig geschwungenen Lippen und fragte sich unwillkürlich, wie sie sich an seinen anfühlen würden.

Was fiel ihm ein?

Diese Frau war der gesetzliche Vormund seiner Tochter. Er kannte sie keine zwei Stunden. Mit ihr zu flirten oder ihr sogar Avancen zu machen würde ihm weder ihr Vertrauen noch ihre Sympathie einbringen.

Sicher, er war anderthalb Jahre in Übersee und noch länger mit keiner Frau zusammen gewesen. Seit dem letzten Wochenende mit Olivia … an dem er vermutlich ihre Tochter gezeugt hatte.

Der Gedanke erinnerte ihn daran, warum er hier war, und er nahm die Hand von Paiges Arm.

„Ich will nicht, dass wir Gegner sind“, sagte er leise.

„Wie können wir etwas anderes sein, wenn Sie vorhaben, Emmas Leben auf den Kopf zu stellen?“

„Ich will meine Tochter kennenlernen. Was ist denn daran so schlimm?“

„Sie stellen ihr Leben auf den Kopf, wenn Sie so abrupt daraus verschwinden, wie sie darin aufgetaucht sind.“

Sie klang vollkommen überzeugt, deshalb vermutete er, dass sie mit einem Vater aufgewachsen war, der wenig Zeit für sie gehabt hatte. Gegen ihre Vergangenheit konnte er wenig ausrichten. „Vielleicht sollten wir dieses Gespräch morgen fortsetzen“, schlug er vor.

„Warum?“

„Weil ich erst gestern Abend nach Hause gekommen bin. Ich habe Olivias Brief heute Morgen gelesen, bin von Trenton über Syracuse nach Pinehurst gefahren und habe die ganze Zeit versucht zu begreifen, dass ich ein vierzehn Monate altes Kind habe. Ein Kind, von dem ich bis heute nichts wusste.“

„Ich dachte, Sie fahren morgen nach New Jersey zurück. Vielleicht sogar früher.“

„Sie meinen, Sie haben es gehofft.“

Paige bestritt es nicht.

„Ich bleibe hier, bis wir eine Lösung gefunden haben“, sagte Sam.

„Es sei denn, die Pflicht ruft.“

„Ich habe fast zwei Monate frei.“

Ihr skeptischer Blick bewies, dass sie ihm das Versprechen nicht abnahm. „Dann sehen wir uns morgen.“

„Wann passt es Ihnen?“

„Nicht um null-fünfhundert.“

Er lächelte. „Wie wäre es mit null-neunhundert?“

„Einverstanden.“

Sam wünschte ihr eine gute Nacht und ging zur Haustür.

Seine erste Begegnung mit Paige Wilder war nicht so verlaufen, wie er gehofft hatte. Aber seit er vor achtundzwanzig Stunden auf der McGuire Air Force Base gelandet war, schien sein Leben immer mehr aus den Fugen zu geraten. Erst hatte er durch Olivias Brief erfahren, dass er Vater war. Und jetzt löste die Frau, die sich um seine Tochter kümmerte, in ihm etwas aus, das er nicht empfinden durfte.

Doch als er zu seinem Geländewagen ging, stellte er verblüfft fest, dass er vor sich hin pfiff und sich auf morgen freute.

Sam stieg in einer kleinen Frühstückspension ab. Zum Glück hatte er immer eine kleine Reisetasche mit Sachen zum Wechseln und dem Notwendigsten dabei. Eigentlich hatte er nur nach Syracuse fahren und mit Olivia reden wollen, nachdem er sie weder im Festnetz noch auf ihrem Handy erreicht hatte. Dann erfuhr er von ihrem früheren Vermieter, dass sie ausgezogen war. In der Anwaltskanzlei, in der sie arbeitete, erzählte Louise Pringle, die Empfangssekretärin, ihm mit Tränen in den Augen, dass Olivia vor über fünf Monaten bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

Der Schmerz und das Schuldgefühl schnürten ihm die Kehle zu, und er musste schlucken, bevor er nach dem Baby fragen konnte.

„Der kleine Engel war bei Paige, als es passierte“, antwortete Louise. „Dem Himmel sei Dank.“

Die Erleichterung war so gewaltig, dass seine Knie weich wurden. Er wollte sein Kind kennenlernen. Er wollte seiner kleinen Tochter ein Vater sein.

„Paige?“

„Paige Wilder. Eine unserer Anwältinnen. Sie hat jetzt das Sorgerecht für Emma.“

„Kann ich Mrs. Wilder sprechen?“

„Sie ist nicht in der Stadt.“ Die Sekretärin schaute auf ihren Computer. „Aber ich könnte Ihnen einen Termin bei Victoria Lawrence geben. Morgen gegen vierzehn Uhr.“

„Danke, aber ich muss Mrs. Wilder sprechen. Haben Sie eine Nummer, unter der ich sie erreichen kann?“

Louise ließ den Blick über seine Uniform wandern. „Das darf ich leider nicht. Aber wenn Sie Ihren Namen, eine Telefonnummer und den Grund Ihres Gesprächswunsches hinterlassen, könnte ich Paige bitten, sich bei Ihnen zu melden.“

„Es ist privat.“

Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich, doch als sie ihm wieder ins Gesicht sah, wurden ihre Augen groß. „Oh. Jetzt verstehe ich.“

„Was verstehen Sie?“

„Sie sind Emmas Vater.“

„Wie kommen Sie darauf?“, hatte Sam überrascht entgegnet.

„Sie hat Ihre Augen.“

„Crawford-Blau“ nannte seine Mutter die Augenfarbe, die alle ihre Kinder vom Vater geerbt hatten.

Aber er konnte nicht sicher sein, ob auch Emma „Crawford-blaue“ Augen hatte, denn sie hatte geschlafen, als er bei Paige Wilder gewesen war. Er hatte nicht genau genug hingesehen, um zu wissen, ob es noch andere Ähnlichkeiten gab. Vielleicht hatte er es nicht gewollt. Wenn Emma tatsächlich von ihm war, würde er sie nicht im Stich lassen. Aber Sam war ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass die Vaterschaft ihn völlig unvorbereitet traf.

Er war jetzt siebenunddreißig. In dem Alter hatten andere Männer längst eine Familie gegründet. Manche waren bereits in zweiter oder dritter Ehe verheiratet. Da war Sam sein Single-Dasein lieber.

Aber wenn er wirklich ein Kind gezeugt hatte, würde er sich seinen Vaterpflichten stellen.

Und deshalb hatte er den Zettel mit der Adresse genommen, den Louise ihm unauffällig zugeschoben hatte, und sich auf den Weg zu Paige Wilder und Emma gemacht.

Er hatte seine Tochter gefunden.

Und als er sie in Paiges Armen gesehen hatte, hatte er schlucken müssen.

In seinen Jahren bei der Air Force hatte er einige unglaubliche Dinge erlebt und mit keiner Wimper gezuckt. Aber der Anblick des kleinen, so verletzlichen und hilflosen Mädchens war ihm ans Herz gegangen.

Paige stand vor Emmas Wiege, und Tränen liefen ihr übers Gesicht. Natürlich konnte sie sich mit allen juristischen Mitteln gegen Sam Crawford wehren, aber sie wusste, dass sie damit nur das Unausweichliche hinauszögern würde. Er war der Vater, und irgendwann würde ein Gericht ihm das Sorgerecht zusprechen.

Emma zu verlieren würde ihr das Herz brechen.

Warum hast du das getan, Olivia? Warum hast du mir nichts von dem Mann gesagt?

Aber ihre Freundin konnte nicht mehr antworten. Plötzlich fühlte Paige sich schuldig, weil sie einer Frau Vorwürfe machte, die so jung gestorben war – einer Frau, die zwar ihre beste Freundin gewesen war, die sie aber vielleicht gar nicht richtig gekannt hatte.

Hätte sie von Sam Crawford gewusst, wäre sie darauf vorbereitet gewesen, dass er eines Tages auftauchen würde. Stattdessen hatte sie dieses Kind lieb gewonnen, ohne damit zu rechnen, dass man es ihr wieder wegnehmen würde.

Aber vielleicht war Emma ja gar nicht von ihm. Vielleicht hatte Olivia sich getäuscht. Denn abgesehen von der Augenfarbe gab es gar nicht so viele Ähnlichkeiten zwischen Sam und Emma. Der Mann war das absolute Gegenteil zu dem Kind. Er war groß und kräftig und …

Sie sah ihn so deutlich vor sich, dass ihr Herz zu klopfen begann. Verärgert schüttelte Paige den Kopf. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die bei einem attraktiven Mann weiche Knie bekamen, und durfte nicht zulassen, dass die Fantasie mit ihr durchging. Es wäre nicht nur sinnlos – es wäre gefährlich.

Ich will nicht, dass wir Gegner sind.

Aber genau das waren sie. Allein daran sollte sie denken und nicht daran, dass der Offizier in ihr etwas weckte, das sie lange nicht mehr gefühlt hatte.

2. KAPITEL

Sam träumte normalerweise nicht. Genauer gesagt, er erinnerte sich selten an seine Träume. Doch als er am nächsten Morgen aus dem Schlaf hochfuhr, sah er jede Einzelheit deutlich vor sich, und sein Herz klopfte heftig vom Adrenalin, das ihn noch immer durchströmte.

Blinzelnd rieb er sich das Kinn, bis ihm bewusst wurde, dass er nur geträumt hatte.

Aber es hatte sich unglaublich und erschreckend real angefühlt.

Er flog in einem F-22 Raptor über feindliches Gebiet, als der Kampfjet plötzlich ins Trudeln geriet. Er bekam die Maschine nicht unter Kontrolle und verlor schnell an Höhe. Fluchend tastete er nach dem Hebel des Schleudersitzes.

Doch er verspürte keine Erleichterung, als er die Maschine unter sich sah, sondern nur wachsende Panik, denn der Fallschirm entfaltete sich nicht. Er schaute an sich hinab. Auf seinem Schoß saß ein Baby, ein winzig kleines Mädchen, das ihn mit großen blauen Augen vertrauensvoll ansah. Und er konnte nicht mehr tun, als sie festzuhalten und zu beten, während sie vom Himmel fielen.

Kopfschüttelnd stand Sam auf. Er ging ins Bad, drehte die Dusche auf und stellte sich unter den kalten Strahl.

Er brauchte keinen Psychiater, um zu wissen, was den Albtraum ausgelöst hatte. Zu erfahren, dass er Vater war, hatte ihn zutiefst erschüttert. Aber vielleicht war der Traum ein Omen – eine Warnung, dass sein plötzliches Auftauchen in Emmas Leben auch eine Bedrohung für sie sein konnte. Dass der Vater, den sie nicht kannte, sie aus der Sicherheit und Geborgenheit reißen konnte, die ihr gesetzlicher Vormund ihr jetzt bot.

Und plötzlich sah Sam Paige Wilder vor sich.

Das schimmernde kupferrote Haar, die schokoladenbraunen Augen und die aufregende Figur. Doch schon an ihrer Haustür hatte ihn mehr als nur Verlangen durchzuckt. Er hatte gespürt, dass diese Frau ihm Emma nicht kampflos überlassen würde. Sie hatte Olivias Tochter als ihre eigene angenommen und würde sie beschützen wie eine Bärenmutter ihre Jungen.

Aber das kleine Mädchen war auch seine Tochter, da war er sicher. Und er vermutete, dass Paige es wusste und auf Zeit spielen würde. Wahrscheinlich setzte sie darauf, dass er zu einem Einsatz gerufen wurde, bevor er Emma zugesprochen bekam.

Falls sie das hoffte, würde sie eine Überraschung erleben, denn Sam würde ohne seine Tochter nirgendwohin gehen.

Emma schlief noch fest, als die Sonne aufging, aber Paige stand trotzdem auf. Sam Crawford kam erst um „null-neunhundert“, aber vorher wollte sie ihre Cousinen zu einer schnellen Frühstückskonferenz bitten.

Ashley war Grundschullehrerin und hatte ihre Jugendliebe geheiratet. Jetzt war sie die Stiefmutter seiner kleinen Tochter und bekam in drei Monaten ihr eigenes Baby. Megan leitete die Forschungsabteilung von Richmond Pharmaceuticals, war mit dem Sohn des Firmenchefs verheiratet und im neunten Monat schwanger.

Auch deshalb war Paige nach Pinehurst zurückgekehrt – weil die beiden Frauen sie besser kannten als jeder andere, ihre Träume und Hoffnungen teilten und verstehen würden, wie verwirrend und widersprüchlich ihre Gefühle jetzt waren.

Als der Kaffee fertig und Emma aufgewacht war, stand Ashley mit ihrer siebenjährigen Stieftochter vor der Tür.

„Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich Maddie mitgebracht habe. Ich dachte mir, sie kann sich um Emma kümmern, während wir reden. Und danach fahren wir von hier aus zur Schule.“

„Natürlich nicht. Im Gegenteil“, erwiderte Paige, denn sie hatte auch Maddie längst lieb gewonnen. „Magst du arme Ritter?“

Das Mädchen nickte freudig.

„Dann bekommst du die erste Scheibe“, versprach Paige, während sie den Toast ins Eigelb tauchte und in die heiße Pfanne legte.

„Mmm, ich rieche arme Ritter“, sagte Megan, als sie kurz darauf die Küche betrat.

„Ich habe euch doch zum Frühstück eingeladen“, erinnerte Paige sie.

„Stimmt. Aber du weißt, wir wären auch so gekommen.“

Mit Tränen in den Augen wendete Paige die Scheibe. Sie hatte ihre Cousinen gestern Abend angerufen, und bestimmt brannten die beiden vor Neugier. Aber sie wusste, dass Ashley und Megan sie nicht bedrängen würden. Stattdessen teilten sie sich die Arbeit. Paige machte arme Ritter, Ashley versorgte die Kinder und Megan kochte den Kräutertee für ihre Schwester. Sie selbst trank einen Kaffee mit viel Milch für das Baby in ihrem Bauch.

Als Maddie satt war, ging sie mit Emma ins Wohnzimmer, und die drei Frauen setzten sich mit ihren Tellern an den Küchentisch.

„Geht es um den Mann, mit dem Melanie dich gestern Abend gesehen hat?“, fragte Ashley.

„Wann hast du mit Melanie gesprochen?“, entgegnete Paige.

„Welcher Mann?“, wollte Megan wissen.

„Melanie war mit ihrem Hund draußen, als Maddie und ich hier ankamen. Sie hat mir erzählt, dass du gestern Abend einen hochgewachsenen, dunkelhaarigen und äußerst attraktiven Besucher hattest. Und dass er nicht länger als auf einen Kaffee geblieben ist.“

Paige tauchte ein Stück Toast in den Sirup, aß es jedoch nicht. Selbst der Kaffee, den sie morgens so dringend wie Sauerstoff brauchte, schien ihrem Magen nicht gutzutun.

„Der Mann ist Lieutenant Colonel Sam Crawford von der United States Air Force. Er behauptet …“

Sie hatte gehofft, es ohne Tränen erzählen zu können, aber ihre Augen wurden feucht.

„Er behauptet, dass er Emmas Vater ist.“

„Emmas Vater?“, wiederholte Ashley schockiert.

Paige nickte.

„Kann er es beweisen?“, fragte Megan.

„Er hatte einen Brief … von Olivia.“

Megan drückte Paiges Hand. „Olivia hat dich als Emmas Vormund eingesetzt.“

„Aber wenn er wirklich ihr Vater ist …“ Sie sprach es nicht aus.

Das brauchte sie auch nicht. Als Ashley nach ihrer anderen Hand griff, wusste Paige, dass ihre Cousinen sie verstanden. Die beiden wussten, dass sie mit Olivia zum Schwangerschaftskurs gegangen war, ihr bei der Entbindung beigestanden und das Baby als Erste in den Armen gehalten hatte.

Wenn Emma jetzt weinte, wusste Paige sofort, ob sie Hunger hatte, müde war, eine frische Windel brauchte oder einfach nur gehalten werden wollte. Sie liebte das Baby, als wäre es ihr eigenes.

„Wenn er vor fünf Monaten aufgetaucht wäre, hätte ich ihm Emma wahrscheinlich gern überlassen. Aber jetzt kann ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.“

„Du bist die Expertin für Sorgerechtsfragen“, erinnerte Ashley sie. „Sag uns, was du brauchst, wir sind für dich da.“

„Das sind wir“, bestätigte Megan.

„Danke. Aber im Moment weiß ich nicht, was ich brauche“, gestand Paige. „Ich weiß auch nicht, was er vorhat. Ich glaube, er hat Olivias Brief gefunden, als er von einem Auslandseinsatz nach Hause kam, ist sofort nach Syracuse aufgebrochen und hat dort erfahren, dass sie tot ist und ich das Sorgerecht für das Baby habe. Dann ist er nach Pinehurst gerast, ohne richtig darüber nachzudenken, was er tun will.“

„Armer Kerl“, murmelte Ashley mitfühlend und sah Paige an. „Nein, ich bin nicht auf seiner Seite. Natürlich nicht. Ich denke nur, die Nachricht muss ihn umgehauen haben.“

„So wie Paige, als sie hörte, dass Olivia sie als Emmas Vormund eingesetzt hat?“, fragte Megan.

Ashley nickte. „Aber Paige wusste wenigstens, dass es das Baby gibt. Der Mann hatte keine Ahnung, dass er Vater ist.“

„Wenn sie von ihm ist“, warf Paige ein.

„Du glaubst es nicht?“

„Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich frage mich, warum Olivia niemandem von ihm erzählt hat. Jedes Mal, wenn ich etwas über den Vater ihres Kindes herausbekommen wollte, hat sie gemauert. Anscheinend hat sie es sich anders überlegt, sonst hätte sie ihm nicht den Brief geschrieben. Sie wollte wohl doch, dass er am Leben ihrer Tochter teilnimmt.“

„Und was willst du?“, frage Ashley sanft.

„Ich will, dass auch er es sich anders überlegt – dass er heute Morgen aufwacht, sich klarmacht, dass er nicht bereit ist, Verantwortung als Vater zu übernehmen und so plötzlich verschwindet, wie er aufgetaucht ist.“

Aber sie wusste, dass das nicht passieren würde.

Und sie behielt recht. Denn als sie sich einige Minuten später von Ashley und Maddie verabschiedete, hielt Sam Crawfords Geländewagen in ihrer Einfahrt.

Ihre Cousine zögerte. Offenbar wollte sie ihn kennenlernen. Doch Maddie zog an ihrer Hand, sie winkte noch einmal, und dann waren die beiden fort.

Leider war Megan noch im Haus. Aber da Paige Sam eingeladen hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn hereinzubitten.

Als sie ihn und Megan miteinander bekannt machte, hörte sie die Hände des Babys auf den Bodenfliesen. Es krabbelte auf die vertrauten Stimmen zu. Emma kam um die Ecke und sah Paige. Sofort leuchteten die großen blauen Augen auf, und der Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln.

Sam hielt hörbar den Atem an.

Emma entging es nicht. Sie erschrak und wich zurück. Das kleine Mädchen, das bisher kaum Männern – und schon gar nicht einem so großen – begegnet war, begann zu weinen.

Paige wollte sie auf den Arm nehmen und ihr sagen, dass der große Fremde wieder gehen und alles gut werden würde. Aber das wäre ein Versprechen, das sie nicht halten konnte, deshalb blieb sie wie angewurzelt stehen und beobachtete hilflos, wie Sam vor dem weinenden Kind in die Hocke ging.

Er flüsterte ihr etwas zu, so leise, dass Paige es nicht verstand. Aber Emma ignorierte es und krabbelte zu ihr, zog sich an einem Bein hoch und versteckte sich dahinter.

Seufzend richtete Sam sich auf.

„Sie hat ein wenig Angst vor Fremden“, erklärte Paige.

Er schien zu begreifen, dass er zwar Emmas Vater, aber für sie auch ein Fremder war.

„Aber die legt sich schnell“, sagte Megan und strich Emma über die weichen Locken. „Stimmt’s, Em?“

Das kleine Mädchen schaute zu ihr hoch und lächelte scheu. Dann krabbelte es ins Wohnzimmer zurück.

„Ich möchte den Vaterschaftstest so bald wie möglich machen“, sagte Sam zu Paige.

„Natürlich“, erwiderte sie, obwohl sie ihn am liebsten zum Teufel gewünscht hätte.

Megan warf ihr einen warnenden Blick zu, bevor sie Sam ansah. „Und was wollen Sie bis dahin tun?“

„Eigentlich wollte ich morgen nach Kalifornien fliegen, aber ich habe meine Pläne geändert.“

„Wenn man die Verantwortung für ein Kind hat, ändert sich alles“, sagte Paige leise.

Er nickte. „Genau deshalb habe ich mich entschieden, in Pinehurst zu bleiben, bis die Vaterschaft feststeht.“

Das ist nicht gut, dachte Paige.

„Das ist großartig“, verkündete Megan.

Paige runzelte die Stirn.

„Die Verantwortung für Emma ist für Paige allein eine ziemliche Belastung“, fuhr ihre Cousine fort.

„Ich helfe gern. Wie immer ich kann“, versicherte Sam.

Paige brauchte und wollte seine Hilfe nicht. Sie warf ihm einen eisigen Blick zu, aber er sah nicht sie, sondern Megan an.

„Und für Emma ist es bestimmt gut, wenn sie Sie häufiger sieht.“ Megan lächelte. „Sie spielt im Wohnzimmer. Vielleicht möchten Sie zu ihr gehen.“

„Darf ich?“, fragte er Paige, als könnte sie es ihm verbieten.

Sie rang sich ein Lächeln ab. „Nur zu.“

Paige wartete, bis er die Küche verlassen hatte. „Ich kann nicht glauben, dass du das getan hast“, fuhr sie Megan an.

„Sam Crawford soll mit eigenen Augen sehen, wie liebevoll du mit Emma umgehst und wie sehr sie an dir hängt. Er soll kapieren, wie grausam es wäre, euch beide zu trennen.“

„Du hast es also für mich getan?“

„Du weißt, dass Ashley und ich das Baby auch lieben. Vielleicht nicht so wie du, aber keiner von uns will, dass du Emma verlierst.“

„Du hast den Feind gerade eingeladen, sein Lager hier aufzuschlagen.“

„Du kannst ihn nicht zwingen, die Stadt zu verlassen“, sagte Megan. „Und auf diese Weise könnt ihr beide kooperieren, anstatt einander zu bekämpfen.“

„Wenn er wirklich Emmas Vater ist, kann er sie mir wegnehmen. Ich will nicht mit ihm kooperieren.“

Megan seufzte. „Du warst immer einer der vernünftigsten Menschen, die ich kenne. Warum bist du es jetzt nicht?“

„Etwas an ihm löst bei mir einen Alarm aus.“

Ihre Cousine zog die Augenbrauen hoch. „Einen Ich-traue-diesem-Kerl-nicht-Alarm? Oder einen Ich-traue-mir-selbst-nicht-Alarm?“

Paige antwortete nicht.

„Ich bin zwar glücklich verheiratet“, begann Megan und schaute auf ihren Bauch hinab, „und im neunten Monat schwanger, aber selbst mir ist nicht entgangen, dass Sam Crawford ein extrem heißer Typ ist.“

„Er ist Lieutenant Colonel in der United States Air Force.“

„Was ihn für viele Frauen nur noch reizvoller macht. Der Mann hat nicht nur einen Körper wie eine griechische Statue, sondern auch einen starken Charakter. Und mutig ist er auch noch.“

„Nichts davon qualifiziert ihn dazu, sich um ein vierzehn Monate altes Baby zu kümmern. Nicht mal, wenn es seine Tochter ist.“

Megan nickte langsam. „Jetzt begreife ich.“

„Was begreifst du?“

„Es geht gar nicht um Sam.“

„Natürlich nicht. Es geht um Emma.“

„Das kann sein“, bestätigte ihre Cousine. „Aber vielleicht geht es auch darum, dass Colonel Phillip Wilder ein respektierter Offizier war, aber als Vater komplett versagt hat.“

„Es geht mir allein um Emma“, beharrte Paige.

Sam blieb den ganzen Vormittag und sah Emma beim Spielen zu. Obwohl das kleine Mädchen ihm immer wieder einen neugierigen Blick zuwarf, achtete es sorgfältig darauf, dem Fremden nicht zu nahe zu kommen.

Paige registrierte anerkennend, dass Sam Emma nicht bedrängte, sondern sich im Hintergrund hielt. Natürlich war es albern, aber sie hatte das Gefühl, dass er genau beobachtete, wie sie mit Emma umging. Als sie Hunger bekam, bot Paige aus Höflichkeit auch ihm etwas zu essen an. Er reagierte so dankbar, dass sie sich dafür schämte, es so widerwillig getan zu haben.

Sie kauten an ihren Sandwiches, während Emma sich gekochte Nudeln und Gemüse schmecken ließ, obwohl sie erst sechs Zähne hatte.

„Nach dem Essen schläft sie immer“, sagte Paige, als sie den Tisch abräumte.

Ein Wink mit dem Zaunpfahl, dachte Sam. „Dann sollte ich wohl gehen.“

„Meistens nutze ich die Gelegenheit, um meine E-Mails zu lesen und berufliche Dinge zu erledigen.“

„Ich dachte, Sie haben Urlaub.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin gewissermaßen vom Dienst suspendiert.“

„Warum das denn?“

„Weil die Seniorpartner meiner Kanzlei es nicht gern sehen, wenn eine Anwältin vor Gericht das Schlussplädoyer mit einem Baby im Tragetuch hält.“ Noch vor kurzer Zeit hätte sie nicht im Traum daran gedacht, so etwas über eine ihrer Armani-Kostümjacken zu hängen. Aber fast sechs Monate mit Emma hatten ihre Perspektive verändert – und ihre Prioritäten.

Sam lächelte. „Das haben Sie getan?“

„Ich hatte keine Wahl“, erklärte sie. „Die Tagesmutter war krank, und da ich sonst niemanden hatte, musste ich Emma in die Verhandlung mitnehmen.“

„Was hat der Richter gesagt?“

„Der Richter und der gegnerische Anwalt waren sehr verständnisvoll. Emma hat die ganze Zeit geschlafen. In der Verhandlung ging es übrigens um das Sorgerecht für vier Kinder. Meine Mandantin hat es bekommen, und ihr mieser Ex-Mann darf sie nur unter Aufsicht sehen.“

„Wo war dann das Problem?“, fragte Sam erstaunt.

„In der Kanzlei hat Emma sich nicht so wohlgefühlt. Ich war gerade im Sekretariat, um ein paar Akten für zu Hause zu holen. Im Konferenzraum saß Carson Wainwright mit dem Vorstandschef unseres wichtigsten Klienten. Zufällig ist der Mann der liebevolle Großvater von sieben Enkelkindern. Er ging sofort zu Emma, als er sie weinen hörte.“

„Und das kam bei Mr. Wainwright nicht gut an“, erriet er.

„Am nächsten Morgen saß ich allen drei Seniorpartnern gegenüber. Sie waren der Ansicht, dass ich meine Prioritäten überdenken sollte, wenn ich eine Zukunft bei Wainwright, Witmer & Wynne haben will.“

„Sie haben gedroht, Sie zu feuern?“

„Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Owen Wynne hat mich gebeten, in Ruhe über alles nachzudenken. Und das tue ich gerade. Ich überlege, ob ich meine beruflichen mit meinen privaten Verpflichtungen vereinbaren kann – oder es überhaupt will.“

„Sie meinen, Sie scheiden vielleicht aus der Kanzlei aus?“

„Ich habe noch keine Entscheidung getroffen.“ Paige nahm Emma aus dem Hochstuhl.

Sam stand auf. „Da wir gerade von Entscheidungen reden – Sie haben mir noch nicht gesagt, wo und wann ich den Vaterschaftstest machen lassen soll.“

Emma rieb das Gesicht an ihrer Schulter.

„Ich arbeite meistens mit dem PDA-Labor.“

Er zog die Augenbrauen hoch, und sie errötete. „Ich bin Anwältin“, erinnerte sie ihn rasch. „Für Familienrecht.“

„Und wie geht es vor sich?“

„Wir müssen einen Arzt finden, der den Test vornimmt, und das Labor bitten, ein Test-Kit in die Praxis zu schicken. Eine Speichelprobe von Ihnen, eine von Emma, und dann warten wir auf das Ergebnis“, erklärte sie.

„Kennen Sie Ärzte in Pinehurst?“

„Cameron Turcotte, der Ehemann meiner Cousine Ashley, ist einer.“

Er nickte. „Wie schnell können wir es machen lassen?“

„Ich rufe ihn und das Labor noch heute Nachmittag an.“

Er schien zu spüren, wie schwer es ihr fiel. „Wollen Sie denn nicht auch so schnell wie möglich wissen, dass ich Emmas Vater bin?“

Paige hatte große Angst vor dem Ergebnis des Tests, aber wenn Sam Crawford wirklich Emmas Vater war, würde sie sich auf keinen Fall still aus dem Leben des kleinen Mädchens zurückziehen. Über Emmas Zukunft durfte nicht ihre DNA bestimmen. Es kam allein darauf an, was für sie das Beste war.

„Die Vaterschaft zu bestimmen ist erst der Anfang“, warnte sie ihn.

Auf der Rückfahrt zu seiner Pension dachte Sam über Paiges Worte nach.

Sie hatte natürlich recht. Zu bestätigen, dass er Emmas Vater war, war nur der erste Schritt. Keiner von ihnen konnte für die Zukunft planen, bevor das feststand.

Er wusste noch nicht, welche Pläne er hatte und wie ein Kind in sein Leben passte, aber er war sicher, dass er einen Weg finden würde. Paige hatte auf einem Test bestanden, um ganz sicher zu sein, dass das kleine Mädchen tatsächlich von ihm war. Er hatte sich dazu bereit erklärt, um ihr entgegenzukommen. Dabei brauchte er keine Speichelprobe, um das zu bestätigen, was er längst wusste – Emma war seine Tochter. Und er hatte nicht vor, sie im Stich zu lassen und sich vor seiner Verantwortung als Vater zu drücken.

Vielleicht hatten Olivia und er nicht alles übereinander gewusst, doch das hatte ihr klar sein müssen, als sie schwanger geworden war. Sicher, sie waren nur ein paar Wochen zusammen gewesen, aber sie hatten viel Zeit miteinander verbracht.

Als er ihren Brief mit der Behauptung, dass er der Vater war, gelesen hatte, war er versucht gewesen, es als Lüge abzutun. Schließlich war er, was Verhütung anging, nie unvorsichtig gewesen und hatte auch bei Olivia darauf geachtet. Aber noch während er daran dachte, hörte er die mahnende Stimme seines Vaters. Es gibt nur eine einzige Verhütungsmethode, die hundertprozentig sicher ist, und das ist Abstinenz. Wer sich vergnügt, muss damit rechnen, dass er dafür bezahlen muss.

Er wusste nicht mehr, wie oft er diese Warnung als Teenager gehört hatte. Abstinent war er nicht immer gewesen, aber jedes Mal vorsichtig.

Offenbar nicht vorsichtig genug.

Dass es Emma gab, hatte ihn überrascht. Aber er würde nie behaupten, dass ihre Zeugung ein Unfall oder ein Fehler war. Denn er war überzeugt, dass es für alles, was passierte, einen Grund gab. Auch wenn der Grund für einen normalen Menschen nicht gleich zu erkennen war. Jedenfalls sah er keinen für den Verkehrsunfall, der Olivia das Leben gekostet und einem kleinen Mädchen die Mutter geraubt hatte.

Doch selbst nach ihrem Tod hatte Olivia dafür gesorgt, dass ihre Tochter in guten Händen war. Natürlich fragte er sich, warum sie ausgerechnet Paige Wilder zu Emmas Vormund ernannt hatte, aber er konnte nicht bestreiten, dass sie eine gute Wahl getroffen hatte. Denn er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie liebevoll und einfühlsam die junge Rechtsanwältin mit Emma umging. Sie war eine gute Mutter – und eine Frau, die mit allen Mitteln um das kleine Mädchen kämpfen würde.

Aber er würde ihr beweisen, dass er bereit war, die Verantwortung für sein Kind zu übernehmen. Und wenn er dazu einige Zeit mit Paige verbringen musste, wäre das alles andere als ein Opfer.

Am nächsten und übernächsten Morgen kam Sam wieder. Er drängte sich nicht auf und mischte sich nicht ein, aber Paige wusste, dass er sie bei jedem Schritt beobachtete.

Es war nicht zu leugnen, dass seine Nähe etwas in ihr bewirkte. Aber sie waren und blieben Gegner, denn er wollte Emmas Vater sein und sie würde nicht zulassen, dass er ihr das kleine Mädchen wegnahm.

Sie hatte bei PDA angerufen, und man hatte ihr zugesagt, ein Test-Kit in Dr. Turcottes Praxis zu schicken und die Speichelproben so schnell wie möglich auszuwerten, auch wenn sie darauf nicht wirklich erpicht war.

Am vierten Tag nach seiner Ankunft in Pinehurst rief Sam an und fragte, ob er ausnahmsweise erst nach dem Mittagessen vorbeikommen durfte. Doch als es an der Tür läutete, nachdem Paige Emma hingelegt hatte, stand nicht er, sondern Megan auf der Veranda.

„Das ist eine Überraschung.“

„Ich hoffe, es macht dir nichts aus.“ Megan kam herein. „Ich bin heute Nacht ein paarmal mit Rückenschmerzen aufgewacht. Gary wollte eine wichtige Besprechung absagen. Ich habe ihm versprochen, den Nachmittag bei dir zu verbringen, damit er in die Firma kann.“

„Es macht mir überhaupt nichts aus“, versicherte Paige. „Im Gegenteil, ich bin froh, dass du gekommen bist.“ Ihre Cousine konnte als Puffer dienen, wenn Sam auftauchte.

„Rieche ich etwa Kaffee?“ Megan steuerte die Küche an.

„Ich dachte, du trinkst keinen mehr, seit du schwanger bist.“

„Das stimmt, abgesehen von der halben Tasse am Morgen. Aber ich darf den herrlichen Duft einatmen.“

Paige lächelte. „Ich kann dir einen Tee machen.“

„Das wäre toll.“ Schwerfällig setzte Megan sich auf einen Hocker am Frühstückstresen, während Paige Wasser aufsetzte. „Wo ist Em?“

„Sie schläft.“

„Und ich komme ausgerechnet dann, wenn es hier ruhig ist.“

„Manchmal ist es zu ruhig.“

„War Sam schon hier?“, fragte Megan.

„Er kommt heute Nachmittag, um Emma und mich bei unserem täglichen Gang in den Park zu begleiten.“

„Ich weiß, du bist nicht begeistert, dass er hier ist. Aber du musst zugeben, dass der Mann sich Mühe gibt.“

„Ja, das tut er“, bestätigte Paige. „Und Emma taut langsam auf. Gestern hat sie ihm einen Bauklotz an den Kopf geworfen.“

Ihre Cousine lachte. „Das nennst du Auftauen?“

„Bis dahin hat sie ihn völlig ignoriert.“

„Dann ist es wohl ein Fortschritt.“

„Lass uns nicht über Sam reden.“ Sie dachte auch so schon viel zu oft an ihn. „Erzähl mir von deinen Rückenschmerzen.“

Megan zuckte mit den Schultern. „Es zwickt seit ein paar Tagen. Kein Wunder, was? Bei dem Gewicht, das ich mit mir herumschleppe. Außerdem ist das Baby seit drei Tagen überfällig.“

Lächelnd goss Paige das heiße Wasser über den Teebeutel und stellte der werdenden Mutter den Becher zusammen mit Zitronenkeksen hin.

„Habe ich gerade etwas von Übergewicht gesagt?“, fragte Megan, griff aber schon nach einem Keks.

„Hast du. Aber zufällig weiß ich, dass das die Lieblingskekse deines Babys sind.“

Sie plauderten eine Weile. Megan nippte an ihrem Tee und schaute immer wieder sehnsuchtsvoll auf Paiges Kaffee. Plötzlich glitt sie vom Hocker.

„Alles in Ordnung?“, fragte Paige besorgt.

„Ich kann nicht so lange sitzen … oder stehen. Ich werde schnell rastlos und … oh.“

Paige sprang auf und stützte ihre Cousine. „Meg, was hast du?“

Megan war blass, die Augen geweitet. „Ich glaube … das Fruchtwasser … ist gerade abgegangen.“

„O mein Gott.“

Megan nickte nur.

Paige hatte das mit Olivia durchgemacht, aber in diesem Moment wusste sie nicht mehr, was sie sagen oder tun sollte. „Okay. Was machen wir jetzt?“

„Ich weiß nicht, was du machst“, erwiderte Megan erstaunlich ruhig. „Ich rufe Gary an.“

„Oh. Richtig. Gute Idee.“ Paige wollte das Telefon vom Tresen nehmen, hielt jedoch inne, als Megan ihren Arm umklammerte. „Eine Wehe?“

Ihre Cousine nickte.

„Weißt du, was du tun musst?“

Wieder nickte Megan.

Und dann läutete es an der Tür.

Sie gab Megan das Telefon, bevor sie nach vorn ging und öffnete.

„Oh, Sam. Es tut mir leid, aber dies ist kein guter Zeitpunkt.“

„Aber Sie haben doch gesagt …“

„Ja, aber da stand meine Cousine nicht in meiner Küche und ihre Wehen hatten noch nicht eingesetzt. Ich muss Emma wecken, damit wir Megan ins Krankenhaus bringen …“

„Ich könnte bei ihr bleiben“, bot er an.

„Bei Megan?“

Er lächelte. „Bei Emma.“

„Natürlich.“ Aber sie zögerte.

Es wäre die einfachste Lösung. Doch noch war sie nicht bereit, diesem Mann das kleine Mädchen anzuvertrauen – selbst wenn er Emmas Vater war.

„Paige!“

Sie drehte sich zu Megan um.

Sam kam herein. Paige ignorierte ihn und konzentrierte sich auf ihre Cousine.

„Gary kommt so schnell wie möglich ins Krankenhaus, aber es wird eine Weile dauern.“

Megans Ehemann liebte seine Frau über alles und freute sich riesig auf das Kind. „Warum?“, fragte Paige überrascht.

„Er ist in Manhattan.“

„Manhattan?“

Megan nickte. Ihr kamen die Tränen. „Er sollte doch dabei sein.“

„Das wird er“, versprach Paige. Von Manhattan hierher waren es nur dreieinhalb Stunden, und so schnell würde das Baby nicht kommen. „Jetzt bringen wir dich erst mal ins Krankenhaus.“

„Ich brauche meine Tasche.“

„Die hole ich, wenn du im Krankenhaus bist.“

„Ich muss die Tasche mitnehmen“, beharrte Megan.

Paige wusste, dass es ihrer Cousine nicht wirklich um die Tasche ging. Megan wollte nicht ohne Gary ins Krankenhaus, weil sie ihn an ihrer Seite haben wollte, wenn sie das Baby bekam. Paige nahm ihre Hände und drückte sie behutsam.

„Atme tief durch“, befahl sie, als Megan den Kopf hob.

Megan gehorchte.

„Besser?“

Die werdende Mutter nickte. „Aber ich will trotzdem meine Tasche.“

„Honey, es wäre ein viel zu weiter Umweg.“

„Ich könnte Megan ins Krankenhaus fahren, und Sie holen die Tasche, wenn Emma aus ihrem Mittagsschlaf erwacht.“

Paige hatte ganz vergessen, dass Sam da war. „Das ist nicht nötig.“

„Macht es Ihnen bestimmt nichts aus?“, fragte Megan hoffnungsvoll.

„Natürlich nicht“, versicherte Sam.

„Ich laufe aus“, warnte Megan ihn.

Sam wurde nur einen Hauch blasser. „Ich habe Ledersitze“, erwiderte er gelassen.

„Danke.“ Megan sah Paige an. „Meine Tasche ist neben der Tür zum Kinderzimmer. Hast du den Schlüssel und die Zahlenkombination für die Alarmanlage?“

„Ja, aber …“

„Großartig.“

„Es ist nicht großartig“, widersprach Paige, doch ihre Cousine ging bereits mit Sam zu seinem Jeep. Aus dem Babyfon drangen leise Laute. Sie ging zu Emma. Sobald das Baby versorgt war, würde sie Megans dämliche Tasche holen.

Als Paige eine Stunde später im Krankenhaus eintraf, lag Megan noch immer nicht im Bett. Stattdessen ging sie mit Sam im Warteraum hin und her. Sofort schlug Paiges Herz schneller. Es war nicht nur sein Aussehen, es war vor allem die sanfte Art, in der dieser große, starke Mann mit ihrer hochschwangeren Cousine umging.

Sie konnte nicht hören, was die beiden zueinander sagten, aber sie sah, wie Megan ihn anlächelte. Doch dann verblasste das Lächeln, und sie musste sich an der Wand abstützen, als die nächste Wehe einsetzte. Sam nahm ihre Hand und sprach beruhigend auf sie ein.

Paige blieb in der Tür stehen und wunderte sich über die Diskrepanz zwischen dem, was Olivia ihr über den Kindsvater erzählt hatte und dem, was sie in nur wenigen Tagen von ihm kennengelernt hatte. Wie anders Olivias und Emmas Leben wohl verlaufen wäre, wenn er von der Schwangerschaft gewusst hätte.

Vorausgesetzt, er war tatsächlich Emmas Vater.

Sie rückte das schläfrig blinzelnde Baby zurecht und fragte sich, warum sie sich so hartnäckig weigerte, daran zu glauben. Alle anderen schienen zu akzeptieren, dass Emma seine Tochter war. Aber ohne konkreten Beweis würde sie ihn nicht die Vaterrolle übernehmen lassen. Sie würde um das kleine Mädchen kämpfen, das sie von ganzem Herzen liebte.

Kurz nach Paige erschien Gary im Krankenhaus. Entweder war er schon auf der Rückfahrt gewesen, als Megan ihn angerufen hatte, oder er hatte einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt, um seiner Frau zur Seite zu stehen. Nachdem Megan sich endlich hatte aufnehmen lassen, kamen auch noch Garys Eltern und Ashley mit Maddie.

Paige hielt sich im Hintergrund und las Emma aus ihren Lieblingsbüchern vor. Diese Situation kannte sie nicht. Sie und Olivia waren allein gewesen, als bei ihrer Freundin die Wehen eingesetzt hatten. Keine Angehörigen hatten sie unterstützt, und Besuche hatte sie erst am Tag nach Emmas Geburt bekommen. Damals hatte Paige nicht darüber nachgedacht, aber jetzt machte es sie traurig, wie einsam Olivia gewesen war.

Sie lächelte Cameron zu, als er den Warteraum betrat und ein paar aufmunternde Worte zu seiner Schwägerin sagte, bevor er seine heftig protestierende Tochter zu ihren Großeltern brachte. Ashley blieb, denn sie freute sich auf die Geburt ihrer Nichte oder ihres Neffen fast so sehr wie auf die ihres eigenen Babys.

Da der Warteraum überfüllt war und Megan noch immer keine Anstalten machte, die Entbindungsstation aufzusuchen, ging Paige mit Emma in die Cafeteria. Obwohl sie Sam nicht dazu einlud, folgte er ihnen in den Fahrstuhl. Nachdem er so freundlich zu Megan gewesen war, brachte sie es einfach nicht fertig, ihn wegzuschicken.

Natürlich bestand er darauf, ihren Kaffee und Emmas Snack zu bezahlen, und Paige schämte sich noch mehr dafür, dass sie ihn hatte loswerden wollen.

„Warum sind Sie noch hier, Sam?“, fragte sie, als sie am Tisch saßen.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin neugierig.“

„Worauf?“

„Wie es abläuft. Ich war bei Olivias Schwangerschaft und Entbindung nicht dabei, weil ich nicht wusste, dass sie ein Baby bekam.“

„Und hätten Sie es gewusst, wären Sie trotzdem in Übersee gewesen, während sie in Syracuse Ihre Tochter zur Welt brachte.“

„Ich hätte um Sonderurlaub bitten können.“

„Aber es wäre nicht sicher gewesen, ob Sie ihn bekommen, oder?“

„Nein“, gab er zu und klang so betrübt, dass es Paige ans Herz ging.

„Sie lag neunzehn Stunden in den Wehen“, erzählte sie ihm.

„Stimmt ja – Sie waren dabei.“

Sie nickte. „Ich war überrascht, dass Sie mich ausgesucht hat. Wir kannten uns seit dem Jurastudium, und sie war meine beste Freundin, aber ich hätte gedacht, dass es jemanden gab, der ihr näherstand.“

„Sie war Einzelkind. Ihre Eltern haben sie spät bekommen“, sagte Sam. „Und sie hat die beiden im Jahr nach ihrem Abschluss verloren.“

Warum wunderte es sie, dass er das wusste? Offenbar hatten Olivia und er nicht nur miteinander geschlafen, sondern auch viel geredet. Aber daran wollte sie lieber nicht denken, denn Sam mit Sex in Verbindung zu bringen war erregender, als gut für sie war.

Sie war sehr lange mit keinem Mann mehr zusammen gewesen und kannte keinen, der so viel Testosteron verströmte wie Sam Crawford. Doch sie durfte dem, was er in ihr auslöste, nicht nachgeben. Es wäre falsch – und selbstzerstörerisch. Hastig konzentrierte sie sich wieder auf ihre Unterhaltung.

„Zuerst habe ich gezögert“, erinnerte sie sich. „Ich hatte Angst, einen Fehler zu machen. Aber dann habe ich doch zugesagt, und sie hat sich jedes Mal, wenn wir zum Schwangerschaftskurs gingen, bei mir bedankt und gesagt, dass ich ihr einen riesigen Gefallen tue.“

„Für Olivia war es einer.“

„Das mag sein. Aber als Emmas Geburt näher rückte, wurde mir klar, dass ich ihr dankbar sein sollte. Denn jede Schwangerschaft ist ein Wunder, und ich war froh, dieses Wunder miterleben zu können.“

„Wusste Olivia, dass sie ein Mädchen bekam?“

„Ja. Sie mochte keine Überraschungen. Sie wollte vorbereitet sein.“

Sam trank seinen Kaffee aus. „War sie glücklich?“

„Überglücklich.“

„Das freut mich, aber es überrascht mich auch“, gestand er. „Sie war so ehrgeizig und wollte es als Anwältin weit bringen. Sie hat mir gegenüber mit keinem Wort erwähnt, dass sie ein Baby wollte.“

„Ich glaube, das ist ihr erst bewusst geworden, als sie schwanger war. Aber sie war eine wunderbare Mutter.“ Paiges Augen wurden feucht. „Sie war so sanft und geduldig. Sicher, manchmal war sie überfordert, aber sie hat es nie an Emma ausgelassen. Sie hat ihr kleines Mädchen über alles geliebt.“

„Erzählen Sie mir von Emmas Geburt“, bat er.

„Sie wollen wirklich Einzelheiten hören?“

„Ja.“

Paige zuckte mit den Schultern. „Das Fruchtwasser ging um drei Uhr morgens ab, aber sie wollte erst duschen und sich die Beine rasieren – als ob der Geburtshelfer sich an den Stoppeln stören würde.“

„Ja, so war Olivia“, sagte er lächelnd.

„Sie hat sich in den Knöchel geschnitten, weil sie den Rasierer in der Hand hatte, als die erste Wehe einsetzte.“

Er verzog das Gesicht. „Autsch.“

„Und das war nur der Anfang.“

„Wann hat sie Sie angerufen?“

Paige dachte kurz nach. „Gegen vier, glaube ich. Sie hatte es geschafft, zu duschen und sich anzuziehen, aber inzwischen kamen die Wehen alle fünfzehn Minuten, und sie wusste, dass sie nicht allein ins Krankenhaus fahren konnte.“

„Hatte sie das etwa vor?“

„Ja. Zum Glück wohnte ich ein paar Querstraßen entfernt, daher waren wir vor fünf in der Klinik. Ihr Arzt kam erst gegen sieben und wollte sie noch nicht aufnehmen, weil sie nicht weit genug war. Emma wurde am Abend geboren. Um kurz nach zehn.“

„Warum habe ich das Gefühl, dass Sie viel ausgelassen haben?“

„Weil Sie bestimmt nicht hören wollen, wie die Wehen irgendwann aussetzten, das Baby in Lebensgefahr geriet und mit einem Kaiserschnitt geholt werden musste.“

Und weil Paige nicht an derartige Komplikationen denken wollte, während Megan schwanger war. Aber ihre Cousine hatte alles über Schwangerschaft und Entbindung gelesen, was sie in die Hände bekam. Vermutlich konnte sie inzwischen selbst dem Arzt noch etwas beibringen.

„Ja, ich will mir lieber nicht ausmalen, was Olivia durchgemacht hat. Und Sie auch.“

„Olivia war sehr tapfer und hat nie die Nerven verloren. Aber nachdem sie das Baby endlich geholt hatten, haben wir beide mit Emma geweint.“

„Danke“, sagte Sam leise.

Erstaunt sah Paige ihn an. „Wofür denn?“

„Dafür, dass Sie es mir erzählt haben. Aber vor allem dafür, dass Sie für Olivia und Emma da waren.“

„Es war unbeschreiblich, Emma in den Armen zu halten, als sie erst ein paar Minuten alt war.“ In ihr regte sich das schlechte Gewissen, als hätte sie ihm diesen wunderbaren Moment gestohlen. Aber dann fiel ihr ein, dass er in Übersee gewesen war und vielleicht gar nicht hätte kommen können.

Hätte Olivia ihm erzählt, dass sie schwanger war, hätte er jetzt das Sorgerecht für Emma. Vielleicht wäre ihre Freundin noch am Leben, denn sie hätte nicht nach New Jersey fahren müssen, um es ihm zu erzählen, weil er längst Bescheid gewusst hätte. Dann wäre der Unfall nicht passiert. Aber es war sinnlos, darüber zu spekulieren. Sam und sie mussten nach vorn schauen, auch wenn keiner von ihnen genau wusste, wo vorn war.

Emma begann in ihrem Hochstuhl zu zappeln. Rote Götterspeise war auf dem Tablett und dem Fußboden verteilt. Paige schaute auf die Uhr und runzelte die Stirn. „Ich kann sie nicht die ganze Nacht hierbehalten.“

„Ich könnte …“, begann Sam und verstummte abrupt.

Sie seufzte. „Ich weiß, ich bin unvernünftig. Aber ich kann nichts dagegen tun.“

„Und ich weiß nicht, wie ich Ihnen die Angst nehmen kann, dass ich einfach mit ihr verschwinde.“

Paige zögerte. „Würden Sie mir Ihren Jeep anvertrauen?“, fragte sie schließlich.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Gibt es einen Grund, warum ich es nicht tun sollte?“

Sie nahm ihre Wagenschlüssel heraus. „Lassen Sie mir Ihren Wagen hier und bringen Sie Emma mit meinem nach Hause. Das ist einfacher, als den Kindersitz umzuladen“, erklärte sie. „Außerdem ist mein Wagen mit einem Anti-Diebstahl-Sender ausgestattet, und die Polizei würde Sie mühelos aufspüren.“

„Danke für das Vertrauen“, erwiderte er trocken und nahm das Tablett vom Hochstuhl.

Froh, endlich wieder frei zu sein, warf Emma sich nach vorn. Sam schien damit gerechnet zu haben, denn er hielt sie mit einer Hand fest. Das kleine Mädchen runzelte die Stirn und wollte protestieren, doch bevor sie einen Laut von sich geben konnte, hob er sie aus dem Stuhl und stellte sie auf die Füße. Dankbar schaute Emma zu ihm hinauf und machte ein paar Schritte auf Paige zu.

„Paak?“, fragte sie hoffnungsvoll.

Das war ihr neues Lieblingswort, denn in der Nähe ihres Hauses in der Chetwood Street gab es einen Park, in den Paige nach jedem Mittagsschlaf mit ihr ging.

„Du fährst jetzt mit Sam nach Hause“, sagte Paige zu ihr.

Emma warf ihm einen verstohlenen Blick zu und schüttelte den Kopf. „Paak“, wiederholte sie.

„Ich kann heute nicht mit dir in den Park gehen“, erwiderte Paige.

„Aber ich“, warf Sam ein.

Wieder sah Emma ihn an, aber sie klammerte sich noch immer an Paige.

„Was magst du im Park am meisten?“, fragte er. „Schaukel oder Rutsche?“

Emma schien zu verstehen, was er sagte. Offenbar war ihre Liebe zum Park stärker als die Angst vor diesem fremden Mann, der so plötzlich in ihr Leben getreten war, denn diesmal sah sie ihm offen ins Gesicht. „Paak?“

Er nickte.

Emma ließ Paige los und streckte die Arme nach Sam aus.

3. KAPITEL

Als Paige in den Warteraum der Entbindungsstation zurückkehrte, war auch Garys Bruder Craig mit seiner Frau Tess da. Außerdem saßen im Raum noch zwei ältere Paare, vermutlich die werdenden Großeltern eines anderen Babys.

Sie setzte sich zu Ashley und Cameron. Der Kopf ihrer Cousine lag an seiner Schulter, seine Hand auf ihrem Bauch. Das Baby musste ihn getreten haben, denn er zuckte zurück. Ashley lachte.

„Man sollte meinen, dass ich mich inzwischen daran gewöhnt habe“, murmelte er.

„Ja, das sollte man“, bestätigte seine Frau.

Paige spürte einen unerwarteten Anflug von Neid. Sie freute sich für Ashley, auch wenn sie selbst nie eine Familie hatte gründen wollen. Die Nachricht, dass sie Emmas gesetzlicher Vormund war, hatte bei ihr Panik ausgelöst. Sie war so sicher gewesen, dass sie auf keinen Fall die Verantwortung für ein Baby übernehmen wollte.

Das hatte sich gründlich geändert. Jetzt konnte sie sich ein Leben ohne das kleine Mädchen nicht mehr vorstellen, und manchmal träumte sie sogar davon, einen Bruder oder eine Schwester für Emma zu bekommen.

„Wo ist Emma?“, fragte Ashley.

„Sie ist mit Sam nach Hause gefahren.“ Paige lächelte unsicher. „Bitte sag mir, dass ich keinen Fehler gemacht habe.“

„Das hast du nicht.“

Die Antwort beruhigte sie nicht. Sie knabberte am Daumennagel, wie sie es immer tat, wenn sie besorgt war. Erst als Ashley behutsam die Hand nach unten drückte, wurde es Paige bewusst.

„Er war noch nie mit ihr allein“, sagte sie leise.

„Dann war es an der Zeit.“

„Sie will bestimmt bald essen. Und ich habe ihm nicht erzählt, was er ihr geben soll.“

„Ich bin sicher, er kommt zurecht“, warf Cam ein.

„Erinnerst du dich daran, wie du das erste Mal auf Emma aufgepasst hast?“, fragte Ashley.

Paige nickte. „Ich hatte von nichts eine Ahnung.“

„Und Emma konnte dir nicht sagen, ob sie hungrig, durstig oder einfach nur müde war.“

„Sie sagt noch immer nicht viel.“

„Sam scheint mir ein Mann zu sein, der auch so weiß, was er tun muss. Aber warum fährst du nicht auch nach Hause, wenn du dir Sorgen machst?“

„Weil ich hier sein will, wenn Megans Baby zur Welt kommt.“

„Dann hör auf, Nägel zu kauen“, bat Ashley. „Du machst mich nervös.“

Errötend nahm Paige die Hand vom Mund.

Babyschritte, sagte Sam sich, als er Emma auf die kleine Rutsche setzte.

Er musste geduldig sein und Paige und Emma genug Zeit lassen, ihn besser kennenzulernen. Aber vielleicht brauchten sie mehr Zeit, als er hatte.

Es hatte ihm fast das Herz gebrochen, als das kleine Mädchen ihn das erste Mal ansah und zu weinen begann. Obwohl es lächerlich war, hatte er es als Zurückweisung empfunden. Als die letzte in einer langen Reihe.

Heather war die Erste gewesen. Sicher, er war viel jünger und verletzlicher gewesen. Sie war ein atemberaubend hübsches Model gewesen, und sein Verlangen hatte ihn blind gemacht. Zwei Jahre waren sie zusammen gewesen, und sie hatte ihm sogar gesagt, dass sie ihn liebte. Doch als sein erster Auslandseinsatz kam, hatte sie ihm den Laufpass gegeben.

Heather zu verlieren hatte ihm eine schmerzhafte, aber wertvolle Lektion erteilt.

Natürlich hatte er andere Frauen gekannt, aber wegen seines Berufs hatte es nie sehr lange gedauert. Auch die Beziehung mit Olivia war nur kurz gewesen, trotz des Babys, das daraus hervorgegangen war. Dennoch tat es weh, dass sie ihn zurückgewiesen und ihm verschwiegen hatte, dass sie schwanger war.

Na gut, sie hatte es sich anders überlegt – viele Monate später. Doch das besänftigte ihn nicht. Gegen seinen Willen empfand Sam Zorn auf Olivia, weil sie nicht gewollt hatte, dass er Emma zu sich nahm.

Mit strahlendem Gesicht und leuchtenden blauen Augen rutschte sie nach unten. Und als sie fröhlich lachte, war es der glücklichste Laut, den er je gehört hatte. Und als er auf das wunderschöne kleine Mädchen schaute, das Olivia ihm geschenkt hatte, verflog sein Zorn, und die Liebe raubte ihm den Atem.

Er fing sie auf und ließ sie erst wieder los, als sie zappelte. Er wollte sie an sich drücken und nachholen, was er in den ersten vierzehn Monaten ihres Lebens versäumt hatte. Er wollte ihr zeigen, wie sehr er sie liebte. Aber vorher musste er Emmas Fremdeln und Paiges Misstrauen überwinden. Eindeutig keine einfache Aufgabe.

Aber er war noch nie vor einer Herausforderung zurückgeschreckt.

Es sei denn, die Herausforderung besteht in einem Anruf von meiner Schwester, dachte er, als das Handy in seiner Tasche wieder läutete und er es auch diesmal ignorierte.

Er würde es ihr niemals ins Gesicht sagen, aber er vermisste sie sehr und hatte sich darauf gefreut, nach Kalifornien zu fliegen und nicht nur Hayden, sondern auch seine ganze Familie wiederzusehen. Das hatte er verschieben müssen, aber viel länger wollte er nicht warten.

Emma hatte eine Familie, die ihren neuesten Zuwachs unbedingt kennenlernen wollte.

Jedenfalls wäre es so, wenn er endlich wusste, wie er ihnen beibringen sollte, dass er Vater war.

Es war schon nach Mitternacht, als Paige das Krankenhaus verließ. Obwohl sie sich freute, dass es ihrer Cousine und dem Neugeborenen gut ging, fühlte sie sich angespannt, als sie nach Hause fuhr. Erst als sie ihren Wagen in der Einfahrt stehen sah, wurde ihr bewusst, dass sie die Angst um Emma nur verdrängt hatte.

Sie eilte hinein. Das kleine Mädchen lag an einem Ende der Couch, eine winzige Hand um ihre Lieblingsdecke, den Daumen der anderen im Mund. Sam saß auf dem Boden, mit dem Rücken an der Couch. Er hatte die Beine ausgestreckt und eine Hand lag beschützend auf dem schlafenden Baby. Eigentlich hätte die anrührende Szene Paige ans Herz gehen sollen, doch dazu war das Chaos um die beiden herum zu groß.

Langsam sah sie sich um. Na gut, sie hatte sich gefragt, wie er mit dem kleinen Mädchen zurechtkommen würde, und vielleicht sogar gehofft, dass Emma es ihm leicht machen würde. Aber sie hatte nicht erwartet, dass ihr Wohnzimmer danach aussehen würde, als wäre ein Wirbelsturm hindurchgefegt.

Aber genau so wirkte es auf Paige. Überall lagen Spielsachen, Plastikschüsseln, Trinkbecher, Kleidungsstücke und – hoffentlich saubere – Windeln herum. Sie musste laut geseufzt haben, denn Sam erwachte schlagartig und sprang auf. Er war so groß, so kräftig und so unglaublich männlich, dass das Chaos eine Sekunde lang verblasste und es nur ihn gab.

Als ihre Blicke sich trafen, schien die Luft plötzlich zu knistern, und Paige fühlte ein Kribbeln auf der Haut. Dass sie so intensiv auf ihn reagierte, verblüffte sie. Hastig schaute sie zur Seite, weg von den faszinierend blauen Augen und auf das Chaos, in das sie geraten war.

„Was um alles in der Welt ist hier passiert?“, fragte sie leise, um das schlafende Kind nicht zu wecken und ihre Hormone wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Sam schaute sich ebenfalls um und verzog das Gesicht, als hätte er das Wohnzimmer eben erst betreten. „Wirbelsturm Emma“, murmelte er.

Fast hätte sie über seine Antwort gelächelt, obwohl ihr eher zum Weinen zumute war. Sie schüttelte den Kopf. „Ich brauche einen Kaffee.“

„Warten Sie.“

Paige blieb stehen. „Sie wollen mir sagen, dass es in der Küche genauso schlimm aussieht, richtig?“

„Wahrscheinlich schlimmer.“

„Hauptsache, ich finde die Kaffeemaschine.“

Sam umfasste ihre Schultern, und sie zuckte zusammen, als hätte sie einen Stromschlag bekommen. Er ließ die Hände sinken. „Was halten Sie davon, wenn ich Kaffee koche, während Sie Emma zu Bett bringen?“

Das war vermutlich ein guter Rat. Sie ignorierte, was seine Berührung in ihr ausgelöst hatte, ging zur Couch und nahm das noch schlafende Baby auf den Arm.

Oben sah sie nach, ob Emma trocken war, und legte sie behutsam in die Wiege. Als sie in die Küche kam, lief der Kaffee bereits durch.

„Junge oder Mädchen?“, fragte Sam und gab ihr einen Becher.

Sie lächelte. „Junge. Marcus Allan Richmond. Nach Megan und Garys Vätern. Kerngesund. Blaue Augen. Wunderschöne blonde Locken.“

„Und wie geht es der Mutter?“ Er goss ihnen Kaffee ein.

„Sehr gut. Sie ist überglücklich. Und Gary hat sich so sehr gefreut, dass er geweint hat.“

„Ich wette, Sie auch.“

„Nur ein bisschen“, gab Paige zu.

„Wann ist Marcus Allan gekommen?“

„Viertel vor zwölf.“

Sam sah auf die Uhr. „Sie sind nicht mehr lange geblieben.“

Autor

Marie Ferrarella

Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...

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Kara Lennox
Kara Lennox hat mit großem Erfolg mehr als 50 Liebesromanen für Harlequin/Silhouette und andere Verlage geschrieben.
Vor ihrer Karriere als Liebesromanautorin verfasste sie freiberuflich Hunderte Zeitschriftenartikel, Broschüren, Pressemitteilungen und Werbetexte. Sogar Drehbücher hat sie geschrieben, die das Interesse von Produzenten in Hollywood, New York und Europa weckten.
Wegen ihrer bahnbrechenden, sehr...
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Brenda Harlen
Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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