Bianca Extra Band 105

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VERFÜHRT VON SÜSSEN KÜSSEN von NANCY ROBARDS THOMPSON
Die hübsche Köchin Jane ist fassungslos: Liam Wright, der sie in New York wegen eines kleinen Fehlers fristlos entlassen hat, ist in Savannah ihr neuer Boss! Soll sie sofort kündigen? Stattdessen könnte Jane dem sexy Starkoch auch beweisen, was ihm entgangen ist …

DER COWBOY IHRER TRÄUME von CHRISTINE RIMMER
Alles würde Amy dafür geben, die Zeit zurückzudrehen! Denn als sie den attraktiven Rancher Derek bei einer Hochzeit wiedersieht, erkennt sie ihren Fehler: Sie hätte den Cowboy ihrer Träume, mit dem sie als Teenager heimlich verheiratet war, niemals gehen lassen dürfen …

DAS UNGESCHRIEBENE GESETZ DER ZÄRTLICHKEIT von ALLISON LEIGH
Nells Karriere ist ruiniert, ihre Welt in tausend Scherben zerbrochen. Da bekommt sie von unerwarteter Seite Hilfe: Ausgerechnet der smarte Archer, mit dem sie oft vor Gericht gestritten hat, bietet ihr einen neuen Job an. Nell ahnt nicht, was Archer schon lange will – sie!

WIE TREU IST DEIN HERZ? von BRENDA HARLEN
Lindsay war zehn, als sie Mitchell mit einem unschuldigen Kuss versprach, ihn später zu heiraten – und fünfundzwanzig, als sie mit seinem besten Freund vor den Altar trat. Nun kehrt sie verwitwet und mit zwei Kindern nach Haven zurück. Zu einem längst vergessenen Versprechen?


  • Erscheinungstag 11.01.2022
  • Bandnummer 105
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507769
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nancy Robards Thompson, Christine Rimmer, Allison Leigh, Brenda Harlen

BIANCA EXTRA BAND 105

NANCY ROBARDS THOMPSON

Verführt von süßen Küssen

Gibt es ein Rezept zum Verzeihen und Verlieben? Das braucht Promi-Koch Liam dringend! Denn Jane soll ihm vergeben, dass er sie damals gefeuert hat. Dann könnten sie beide einen Neuanfang wagen …

CHRISTINE RIMMER

Der Cowboy ihrer Träume

Tausend Mal hat Derek sich gesagt, dass seine Ehe mit Amy niemals eine echte Chance hatte. Aber als sie sich jetzt wiedersehen, denkt er zum tausendundersten Mal, wie falsch ihre Scheidung war …

ALLISON LEIGH

Das ungeschriebene Gesetz der Zärtlichkeit

Manchmal ärgert sich Anwalt Archer maßlos über seine Kollegin Nell, dann wieder begehrt er sie heiß. Doch unerwartet liegt Nells Zukunft in seinen Händen. Wie soll er sich entscheiden?

BRENDA HARLEN

Wie treu ist dein Herz?

Ein Kuss in der Silvesternacht beweist Mitchell: Er hat nie aufgehört, Lindsay zu lieben. Warum muss sein Herz nur so verdammt treu sein? Sie waren doch erst zehn, als sie sich versprachen zu heiraten …

1. KAPITEL

Jane Clark musste mitten in einem Albtraum stecken.

Warum sonst würde Liam Wright vor ihr stehen – in dem Restaurant in Savannah, das ihr Zufluchtsort geworden war, achthundert Meilen entfernt von den demütigenden Erfahrungen und schlechten Erinnerungen ihrer letzten Begegnung?

Normalerweise öffnete das Restaurant um fünf Uhr, aber Charles Weathersby, der Eigentümer des Wila, hatte das gesamte Personal zu einer morgendlichen Besprechung zusammengetrommelt. Und warum um alles in der Welt war Küchenchef Liam Wright mit dabei, der mit seinem permanenten Stirnrunzeln die Stimmung im Speisesaal des Restaurants drückte?

Jane ballte die Hände zu Fäusten, sodass sich ihre Fingernägel ins Fleisch bohrten.

Nein. Das war kein Albtraum. Sie war hellwach!

Himmel!

Und wenn das kein schlechter Traum war, war es zumindest ein schlechter Witz. Das war die einzig mögliche Erklärung dafür, dass Liam hier in Savannah war anstatt in seinem New Yorker Restaurant La Bula, wo er seine Untergebenen zu terrorisieren pflegte.

Jane ließ den Blick durch den Saal schweifen. Der schwarz-weiße Marmorboden und die schimmernden dunklen Holzwände kontrastierten mit dem Tageslicht, das durch die großen Fenster fiel, von den Spiegeln reflektiert wurde und sich in den Kristallleuchtern brach. Um diese Zeit hatte das Personal die Tische noch nicht für den Abend eingedeckt – mit den gestärkten weißen Tischdecken und dem edlen Geschirr sowie den Langhalsvasen mit einer einzelnen roten Rose auf jedem Tisch. Sie war so etwas wie das Markenzeichen des Wila geworden und zierte nicht nur die Werbeanzeigen, sondern auch die Speisekarten.

Die vertraute Atmosphäre im Wila empfand Jane als sehr beruhigend. Hier fühlte sie sich sicher und geborgen. Hier hatte sie sich auch schon bewährt. Die Fehler, die sie in der Vergangenheit gemacht hatte, kümmerten hier niemanden.

Dem Gemurmel ihrer Kollegen und Kolleginnen nach zu urteilen, die sich in dem kahlen Speisesaal versammelt hatten, wars sie nicht die Einzige, die sich über Liams Anwesenheit wunderte.

Charles klatschte in die Hände. „Jungs und Mädels“, begann er in seinem gedehnten Südstaatenakzent, „darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten?“

Als das Gemurmel verebbte, fuhr er fort: „Danke, dass ihr trotz der kurzfristigen Ankündigung alle gekommen seid. Bestimmt kennt ihr Liam Wright, den Besitzer und Küchenchef des La Bula in New York, Gewinner des renommierten Preises der Oscar-Hurd-Stiftung und einst Champion der ebenfalls preisgekrönten Fernseh-Kochshow America’s Best Chef.“

Liam schien sich in der Aufzählung seiner Leistungen zu sonnen, während er alle Anwesenden betrachtete – außer Jane. Sie wusste nicht, ob das etwas Gutes zu bedeuten hatte – oder ob er sie nicht erkannte. War es tatsächlich möglich, dass er sich nicht mehr an sie erinnerte? Wohl kaum. Vermutlich vermied er den Augenkontakt bewusst nach seinem Verhalten ihr gegenüber bei ihrem letzten Gespräch. Oder besser: bei ihrem letzten Streit.

Jane spürte Nadelstiche der Scham. Seitdem sie sich ernsthaft bemüht hatte, einen Schlussstrich unter ihr bisheriges Leben zu ziehen, war es ihr gelungen, das demütigende Gefühl zu ignorieren, das eine Zeit lang ihr ständiger Begleiter gewesen war. Charles war zufrieden mit ihrer Arbeit. Noch vor wenigen Tagen hatte er ihr mitgeteilt, dass nie zuvor so viele Desserts im Wila bestellt worden waren. Sogar der Savannah Morning News war dies ein Artikel wert gewesen. Der Leiter des Ressorts „Essen und Trinken“ hatte sie interviewt und auch einen Fotografen mitgebracht, der einige ihrer kulinarischen Kreationen abgelichtet hatte. Das war eine nicht zu unterschätzende PR für sie selbst und auch für das Restaurant.

Die Dinge liefen gut.

Jane holte tief Luft und versuchte, das Gefühl der Beklemmung zu ignorieren.

Denk lieber daran, wie weit du es gebracht hast. Konzentrier dich darauf.

Charles war ein alter Freund der Familie. Schon zu ihren Highschool-Zeiten hatte sie für ihn im Wila gearbeitet, und er hatte sie sofort wieder eingestellt, als sie auf der Suche nach einem neuen Job gewesen war. Er hatte nicht einmal wissen wollen, was in New York vorgefallen war, und deshalb hatte sie es ihm auch nicht erzählt.

Natürlich war es durchaus möglich, dass Liam nicht hergekommen war, um ihr Leben – noch einmal – zu ruinieren. Vielleicht war er zufällig in der Stadt und schaute nur auf einen Besuch bei Charles vorbei. Vielleicht würde er sogar im Wila zu Abend essen. Das wäre eine gute Gelegenheit für Jane, ihm ihren Rum Baba zu servieren. Zum einen könnte sie ihm damit zeigen, dass ihr seine Anwesenheit überhaupt nichts ausmachte. Und zum Zweiten könnte sie ihm damit beweisen, dass sie sehr wohl wusste, was sie konnte. Sie würde ihn so perfekt zubereiten, dass Liam total von den Socken wäre. Es würde das Eis brechen, und sie würden gemeinsam über das Rumkuchen-Debakel lachen, bei dem er im vergangenen Jahr dermaßen ausgerastet war, dass er sie hochkant rausgeworfen hatte.

„Viele von euch wissen, dass ich schon länger mit meinem Rückzug liebäugele“, drangen Charles Worte in Janes Gedanken. „Obwohl dieser alte Körper dringend eine Erholung bräuchte, habe ich beschlossen, mich dennoch nicht vollkommen zurückzuziehen. Jedenfalls bis auf Weiteres. Aber ich will ein bisschen kürzertreten. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, einen Partner mit ins Boot zu holen.“

Einen Partner?

In Janes Kopf überstürzten sich die Gedanken. Unvermittelt spürte sie einen Kloß im Magen.

Lieber Gott, nein. Nicht Liam Wright. Bloß der nicht!

Obwohl sie wusste, was Charles als Nächstes sagen würde, war sie auf die schreckliche Wahrheit noch nicht vorbereitet.

„Selbstverständlich wollte ich nicht irgendjemanden. Ich brauche einen kreativen Kopf, jemand, der sich mit guter Küche und dem dazugehörigen luxuriösen Ambiente auskennt. Das ist auch eine Chance, das Wila neu auszurichten und konkurrenzfähig zu halten, ohne seine Stammkunden zu verlieren und diese ganz besondere Atmosphäre zu zerstören, um die ich mich zeit meines Lebens bemüht habe. Insofern ist Liam Wright perfekt für diese Position. Ab sofort wird er hier Küchenchef und mein Partner sein und uns auf dem Weg in eine glorreiche Zukunft begleiten. Ab dem nächsten Monat wird er mit euch zusammenarbeiten, um die Speisekarte attraktiver zu machen und mit den Veränderungen, die wir für eine erfolgreiche Neuausrichtung vornehmen müssen, zu beginnen. Aus diesem Grund werden wir ab Sonntag für eine Woche schließen, damit er euch einweisen kann. Doch von seinen Plänen und Visionen für das neue Wila soll er euch selbst erzählen. Bitte heißt mit mir unseren neuen Küchenchef in Savannah willkommen.“

Charles begann zu applaudieren. Jane folgte seinem Beispiel, um nicht als unhöflich zu erscheinen. Außerdem war es der beste Weg, um Liam zu zeigen, dass sie über die Ereignisse in New York hinweg war und es ihr gut ging. Sehr gut sogar. Dennoch wollte sich der Kloß in ihrem Magen nicht auflösen, während sie Liam dabei beobachtete, wie er ein paar Worte mit Charles wechselte, ehe er sich an die Belegschaft wandte.

„Zum Teufel noch mal“, murmelte Joe Donoghue, der Souschef. „Hast du irgendwas davon gewusst?“

Jane schüttelte rasch den Kopf. Sie hatte keine Lust, mit ihm darüber zu diskutieren. Ihr Kollege stieß einen Fluch aus und murmelte unentwegt ein einziges Wort, als wollte er einen bösen Zauber vertreiben.

„Vielen Dank“, begann Liam. Er trug Jeans und ein schwarzes Henley-Hemd, das seine breiten Schultern und den muskulösen Brustkorb betonte. Er war genau der Typ Mann, der ihr gefiel: drahtig, aber doch mit so viel auf den Rippen, um unter Beweis zu stellen, dass er fit war, aber sowohl Diäten als auch Fitnessstudios aus dem Weg ging. Er war groß – etwa eins neunzig, vermutete sie – und hatte dunkles Haar und dunkle Augen. Egal was Jane von ihm hielt: Tatsache war, dass er ausgesprochen gut aussah.

Und das wusste er auch.

Er war berüchtigt für seine Vorliebe für Models. Darüber hinaus machte er auch kein Hehl aus seiner Meinung über sich – dass er sich nämlich für ausgesprochen attraktiv hielt. Irgendwie hatte sie das immer provoziert. Und es provozierte sie noch immer.

Charles’ Handy klingelte. Er schaute aufs Display. „Da muss ich rangehen. Bitte sorgt dafür, dass Liam sich bei uns wohlfühlt.“ Mit dem Telefon am Ohr verschwand Charles in der Küche.

„Es ist schön, hier zu sein“, ergriff Liam das Wort. „Savannah gehört zu meinen Lieblingsorten. Deshalb war ich auch sofort begeistert, als Charles mir vorschlug, im Team des Wila mitzuarbeiten. Und genau das werden wir sein – ein Team.“

Er machte eine Pause und ließ den Blick durch den Saal schweifen, ohne zu lächeln. An Jane blieb sein Blick hängen.

„Ich kenne auch schon eine von euch.“

Na toll. Um Himmels willen!

Ihr Mund wurde trocken, und ihr Herz machte einen Sprung. Liams Gesichtsausdruck war nicht vernichtend, aber er gab ihr auch nicht das Gefühl, dass sie unter seiner Leitung viele Möglichkeiten haben würde. Jane zog die Mundwinkel hoch in der Hoffnung, dass es wie ein zuversichtliches Lächeln aussah, mit dem sie einen guten Bekannten zu begrüßen pflegte.

Kein Grund, den Löwen zu wecken.

Vor allem nicht, wenn er ihr Boss sein würde.

Wieder.

Hoffentlich.

Denn wenn nicht, bedeutete dies, dass ihr erneut berufliche Turbulenzen bevorstanden, wo sie doch gerade erst sesshaft geworden war.

„Wenn ihr damit einverstanden seid“, fuhr Liam fort, „dann würde ich euch bitten, euch alle vorzustellen und mir von eurem Tätigkeitsfeld zu erzählen. Fangen wir doch mit Jane da drüben an.“

Er erinnerte sich an ihren Namen.

Plötzlich fiel Jane das Atmen schwer. Denn … nun ja, sie hatte Charles nicht belogen. Sie hatte ihm nur nicht erzählt, warum sie einen neuen Job brauchte, nachdem sie nach der Ausbildung in einem der angesagtesten Restaurants in New York gearbeitet hatte.

Es wäre zu demütigend gewesen. Sie hatte einen so dummen Fehler begangen, dass sie von sich selbst maßlos enttäuscht war. Und das war noch viel schmerzhafter gewesen, als von „Amerikas bestem Küchenchef“ vor die Tür gesetzt zu werden.

Nachdem sich der Staub ein wenig gelegt hatte, hatte sie sich nach einer neuen Arbeit umgesehen. Aber es war nicht einfach, als Chef-Patissière eine gleichwertige Stelle zu finden. Jobs auf diesem Niveau gab es schließlich nicht wie Sand am Meer. Und als Charles ihr dann sein Angebot gemacht hatte, war ihr keine andere Wahl geblieben, als nach Savannah zurückzukehren.

Sie war zwar dankbar für die Stelle, aber alles andere als begeistert darüber, nach Hause zurückzukommen. Denn zwischen New York und Savannah lagen Welten.

In gewisser Weise war sie genauso arrogant, wie sie es Liam zum Vorwurf gemacht hatte.

Aber in ihrem Fall war es etwas ganz anderes.

Trotzdem hatte der Rausschmiss an ihrem Selbstbewusstsein genagt.

Immerhin hatte Charles ihr die Möglichkeit gegeben, neue Dinge auszuprobieren. Es lief besser für sie, als sie erwartet hatte. Und sie war zu der Erkenntnis gekommen, dass sie Savannah mehr vermisst hatte, als sie es sich jemals hätte träumen lassen. Sie fühlte sich hier zu Hause. Dafür hatte sie kürzlich sogar zwei hochkarätige Jobangebote ausgeschlagen – eines in Hilton Head und eines in Atlanta –, denn dieser Job fühlte sich genau richtig an.

Es war erstaunlich, zu welchen Leistungen sie imstande war, wenn sie nicht befürchten musste, einen Fehler zu begehen. Diese Angst hatte im La Bula wie eine dunkle Wolke ständig über ihr geschwebt.

Und jetzt war der böse Wolf wieder aufgetaucht und drohte, das Leben, das sie sich aufgebaut hatte, aus der Bahn zu werfen. Doch zuerst wollte Liam, dass sie sich ihm erneut vorstellte. Vor der versammelten Belegschaft!

Beim letzten Mal hatte er sie vor ihren Kollegen vom La Bula bloßgestellt. Jedes seiner Worte war wahr gewesen. Aber was ihr noch mehr zu schaffen gemacht hatte als ihr Fehler, war die Art, wie er sie vor aller Augen in den Senkel gestellt hatte. Innerhalb von Sekunden war er in die Luft gegangen.

Und obwohl sie dieses Mal nichts falsch gemacht hatte, war sie erneut in eine Situation geraten, in der sie ihm wieder auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.

Die beste Methode, mit Liam Wright fertigzuwerden, bestand darin, den Stier bei den Hörnern zu packen – also einen kühlen Kopf zu bewahren und ihm in die Augen zu schauen.

Sie schluckte und riss sich zusammen. Niemand sollte bemerken, dass ihr speiübel war.

„Willkommen, Chef. Du kennst mich bereits, ich bin Jane Clark. Ich habe für dich in New York als Chef-Patissière gearbeitet.“

Bis du mich gefeuert hast.

„Jetzt bin ich wieder in meiner Heimatstadt und arbeite im Wila in der gleichen Position.“ Sie beendete ihren Satz mit einem Lächeln und war froh, dass ihre Stimme nicht gebebt hatte.

Liam nickte und musterte sie durchdringend. Herausfordernd hielt sie seinem Blick stand. Er sollte zuerst woandershin schauen.

Oder sie erneut auf die Straße setzen.

Schließlich blinzelte er unmerklich und wandte sich dem Souschef Joe zu.

Jane schob die Hände in die Taschen ihrer weißen Kochjacke und stellte fest, dass ihre Finger zitterten. Das Zittern hielt während der gesamten Vorstellungsrunde des Teams an. Die schien eine Ewigkeit zu dauern.

Als sich der letzte Kollege vorgestellt hatte, sagte Liam: „Ich freue mich, euch alle kennengelernt zu haben.“ Dann wandte er sich an Jane. „Und es ist nett, dich wiederzusehen, Jane … Ich bin sicher, dass ihr alle Expertinnen und Experten auf eurem Gebiet seid, aber bestimmt habt ihr auch Verständnis dafür, dass ich mit allen von euch noch Einzelgespräche führen möchte, was eure Arbeit angeht. Gibt es noch irgendwelche Fragen?“

Liam war wie vom Donner gerührt, als er den Saal betreten und Jane Clark entdeckt hatte. Und sie schien genauso überrascht zu sein, ihn wiederzusehen.

Inzwischen bereute er seinen Auftritt von damals, als er explodiert war und sie hinausgeworfen hatte. Nach seinem Tobsuchtsanfall war es in der Küche totenstill gewesen. Alle hatten ihn angesehen, als wäre er ein wildes Tier, das sich gleich ein weiteres Opfer suchen würde. Aber ihr Fehler hatte seinem Lebenswerk, für das er so hart gearbeitet hatte, beträchtlichen Schaden zugefügt.

Und hier waren sie wieder! Von allen Restaurants auf dieser Welt musste er ausgerechnet in ihres kommen. Wieso fiel ihm ausgerechnet jetzt diese kitschige Zeile aus „Casablanca“ ein? Schöne Grüße von Humphrey Bogart!

Er würde sich später mit ihr beschäftigen. Jetzt musste er sich erst einmal um die anderen Mitarbeiter kümmern, die ihn anschauten, als hätte er ihre Mütter beleidigt. Sich noch einmal um den eigenen Job zu bewerben war kein Vergnügen. Daran ließen die betretenen Mienen der Belegschaft keinen Zweifel. Aber eigentlich war es auch ganz einfach: Wenn sie gut in ihrem Job waren, würden sie keine Probleme haben. Engagement war alles. Doch die allgemeine Stimmung ließ gerade nichts Gutes ahnen.

„Irgendwelche Fragen?“, wiederholte er.

Totenstille.

„Ja?“

Diese Stille war nicht das respektvolle Schweigen von Menschen, die an seinen Lippen hingen. Diese Art von Anbetung war ihm ohnehin zuwider – er verachtete Schmeichler und Stiefellecker. Aber er hätte doch gerne eine andere Reaktion gehabt – etwas zwischen „Willkommen im Club“ oder „Na, das kann ja heiter werden“.

Doch nur eine einzige Frage schien in der Luft zu hängen: Wer zum Teufel bist du, dass du hier hereinschneist und alles auf den Kopf stellst?

Er hatte verstanden. Die meisten Menschen mochten keine Veränderungen. Vor allem nicht, wenn sie ihr eigenes Leben betrafen. Die Situation war allerdings noch unangenehmer, als er sich vorgestellt hatte.

„Ich verstehe, dass ihr nicht gerade glücklich seid über die Aussicht, mit mir zu reden. Aber ich bin kein böser Wolf.“

Er konnte selbst nicht glauben, dass er sich gezwungen sah, für sich werben zu müssen.

„Ich habe auch nicht vor, alles hier auf den Kopf zu stellen. Und ich werde auch nicht den eisernen Besen hervorholen. Ich möchte mich nur davon überzeugen, dass wir ein Team sein können. Man kann sehr gut mit mir auskommen – auch wenn ihr was anderes gehört haben solltet. Zeigt mir, wie ihr euch einfügt und was ihr könnt, und es wird keine Probleme geben. Verstanden?“

War das zu viel verlangt? Sicher nicht!

Sein Blick schweifte zu Jane. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass sie als Einzige nicht sauer zu sein schien. „Ich möchte nur, dass ihr alle einen guten Job macht“, fuhr er fort.

Himmel, was würde er nur mit Jane Clark anfangen? Normalerweise gewährte er niemandem eine zweite Chance. Aber als er mit Charles über ihre Partnerschaft verhandelt hatte, hatte dieser darauf bestanden, dass sein Team vollständig übernommen wurde. Schließlich hatten sie sich auf eine einmonatige Probezeit für alle geeinigt, in der jeder Koch und jede Köchin und jeder und jede im Service ihr Können unter Beweis stellen konnten. Dem hätte Liam gewiss nicht zugestimmt, wenn er gewusst hätte, dass Jane zur Mannschaft gehörte.

Und jetzt sah es ganz danach aus, als ob sie ihn mit dem trotzigen Ausdruck in ihrem Gesicht herausfordern wollte.

Ein sehr hübsches Gesicht übrigens. Aber das würde seine Entscheidung, ob er sie behalten würde oder nicht, nicht im Geringsten beeinflussen.

„Gut, wenn es keine weiteren Fragen gibt, dann werde ich eine Namensliste mit Gesprächsterminen in den Aufenthaltsraum hängen. Tragt euch bitte umgehend ein. Bis zum Wochenende will ich das erledigt haben.“

Er schaute sich noch einmal um und sah ausschließlich in abweisende bis beklommene Gesichter. Gerade als er sich umdrehte, um in die Küche zu gehen, schoss eine Hand nach oben.

„Ja?“, fragte Liam.

„Müssen wir uns Sorgen machen?“, wollte eine Frau wissen. „Ich meine, was unsere Jobs angeht?“

Ihr kaum verhohlener Ärger traf ihn unerwartet. Er wartete einen Moment mit der Antwort und durchbohrte die junge Frau mit seinen Blicken.

„Ich weiß nicht … ähm.“ Er zeigte in ihre Richtung. „Wie war noch mal dein Name?“

„Ich heiße Sally.“

„Ich weiß nicht, Sally. Aber du weißt doch selbst am besten, wie gut du in deinem Job bist. Also bist du auch die Einzige, die beurteilen kann, ob du dir Sorgen machen musst oder nicht. Ich will gute Leute haben. Mach deinen Job ordentlich, und du brauchst dir um nichts Sorgen zu machen. So einfach ist das.“

Ihm war klar, dass er ziemlich herablassend klang. Aber das war genau die Art von Fragen, die ihn auf die Palme brachten. Das musste Sally verstehen, wenn sie weiterhin im Wila arbeiten wollte.

„Gut. Ich freue mich auf die Gespräche mit euch.“

Kein guter Start.

Langsam leerte sich der Speisesaal. Nur Jane, stellte er fest, blieb stehen und lächelte ihn an.

Wieso fühlte sich dieses Lächeln, irgendwo zwischen Mitgefühl und Mitleid, an wie ein Rettungsring in rauer See? Das einzige freundliche Gesicht im Raum.

Normalerweise interessierte es ihn nicht, was andere Leute über ihn dachten. Diese Haltung hatte er sich nach dem Tod seiner Mutter angewöhnt, als er mit seinem Vater allein zurückgeblieben war. Malcom Wright hatte seine Frau verloren – den einzigen Menschen, den er jemals geliebt hatte. Und Liam hatte seine Mutter verloren – den einzigen Menschen, der zwischen ihm und seinem Vater zu vermitteln verstand.

Nachdem sie nicht mehr da war, hatten sich Vater und Sohn fast nur noch gestritten. Und Liam hatte sich einen Panzer zugelegt, um die Verletzungen, die ihm sein Vater zufügte, nicht mehr zu spüren. Der Polizist aus New York, ein harter Knochen, der weder Tod noch Teufel fürchtete, schämte sich dafür, dass sein Sohn Koch werden wollte. Ein Beruf für Weicheier, wie er verächtlich gesagt hatte.

Ja, sein Panzer hatte Liam oft geholfen. Und deshalb prallte auch jetzt die stumme Aggressivität einiger Mitglieder aus dem Team wirkungslos an ihm ab.

Mit einem leisen Fluch auf den Lippen wollte er in die Küche gehen.

„Chef!“, rief Jane ihm nach.

Er drehte sich um. „Ja?“

„Willkommen in Savannah. Sag Bescheid, wenn du irgendetwas brauchst.“

Liam blinzelte. Zweimal. Dreimal.

Schlagartig erschien vor seinem geistigen Auge ihr tief bestürzter Gesichtsausdruck an jenem Abend, als er sie gefeuert hatte.

Wenn jemand Grund hatte, besonders sauer auf ihn zu sein, war das Jane. Und ausgerechnet sie reichte ihm jetzt die Hand.

„Danke.“

Er brauchte zwar keine Freunde, aber warum sollte er ein solches Angebot ablehnen? In ihrem Lächeln lag etwas Beruhigendes. Etwas, das ihn daran erinnerte, dass er noch etwas lernen konnte. Dass beide etwas lernen konnten. Er würde eine Weile brauchen, um seine neuen Mitarbeiter kennenzulernen. Jeder Chef brauchte eine gewisse Zeit, um sich in einem Team so gut zurechtzufinden, dass es sich – mehr oder weniger problemlos – führen ließ. Es sollte nur nicht zu lange dauern, bis es reibungslos zwischen ihnen klappte.

„Jane, wir sollten kurz reden“, schlug er vor, als das Küchenteam begann, allmählich den Raum zu verlassen.

Ihr Lächeln erstarb. „Okay.“

„Lass uns einen Spaziergang machen“, schlug Liam vor.

Jane runzelte die Stirn. „Das wird doch nicht mein Einstellungsgespräch? Ich habe nämlich noch viel zu tun, ehe wir heute Abend öffnen. Falls du überhaupt ein solches Gespräch mit mir führen willst … Aber das hoffe ich sehr, weil es sonst nicht fair wäre. Ich habe hier gute Arbeit geleistet. Charles wird dir das bestätigen.“

„Nein, das ist nicht das Vorstellungsgespräch“, beruhigte Liam sie.

Der besorgte Ausdruck verschwand aus Janes Gesicht. Auf einmal wirkte sie entschlossen. Eine Entschlossenheit, die er im La Bula nie an ihr gesehen hatte. Dafür nahm er das lange braune Haar zur Kenntnis, die blaugrauen Augen, die hohen Wangenknochen und das hübsche, herzförmige Gesicht.

Warum hatte er noch nie bemerkt, wie schön sie war? Wahrscheinlich war er immer zu sehr mit seiner Arbeit beschäftigt gewesen.

„Würdest du mir eine Führung durch die Küche geben?“

Die Frage schien sie zu überraschen.

„Hat Charles dich nicht herumgeführt? Ihr seid doch Partner.“ In ihren Augen blitzte es fast angriffslustig. Die Frau hatte Courage. Das gefiel ihm – irgendwie.

„Er hat mir die Küche gezeigt“, entgegnete er. „Aber da hat niemand darin gearbeitet. Ich würde sie gerne mit deinen Augen sehen.“

Misstrauisch schaute sie ihn an. „Ich nehme an, du würdest mich nicht darum bitten, wenn du mich sofort feuern wolltest“, sagte sie. Wieder klang sie ein wenig aufsässig.

„Offenbar hast du mir eben nicht zugehört“, konterte er. „Ich werde erst einmal niemanden feuern. Nicht, bis ich mit jedem ein Gespräch geführt habe. Aber wenn du mich nicht herumführen möchtest, frage ich gern jemand anderen. Es ist deine Entscheidung.“

Er ließ seinen Blick durch den Speisesaal schweifen. Charles war ebenfalls bereits gegangen. Einige Kellnerinnen und Kellner hatten sich auf der anderen Seite des Raumes versammelt und beobachteten, wie Liam und Jane sich unterhielten. Als sein Blick sie streifte, schauten sie sofort in eine andere Richtung und taten beschäftigt. Eigentlich hätten ihm die Ohren klingen müssen, denn sie redeten gewiss über ihn. Und er war sicher, dass dabei nicht viel Gutes zur Sprache kam. Damit konnte er leben. Das war der Preis, den man zahlen musste, wenn man der Boss war und der böse Kerl, der unvermittelt auftauchte und alles auf den Kopf stellte.

„Nein, ich führe dich gerne herum“, sagte Jane in seine Gedanken. „Aber wir sollten schnell machen. Wegen der Versammlung bin ich ohnehin schon im Verzug. Für die Desserts fange ich meistens früher an zu arbeiten als die Kollegen. Solche Meetings kosten mich einfach zu viel Zeit.“

„Verstehe. Danke, dass du trotzdem teilgenommen hast. Es war nämlich wichtig.“

„Ja. Was für ein Teamplayer wäre ich denn, wenn ich mich gedrückt hätte?“

Zwischen den Zeilen las er ihre eigentliche Botschaft: Hatte ich denn eine Wahl?

Natürlich nicht. Deshalb war ja auch jeder gekommen, wie er festgestellt hatte. Einige sogar an ihrem freien Tag. Darauf hatte Charles ihn hingewiesen.

„Vor dem Meeting habe ich einen Teig angesetzt“, erzählte sie. „Wenn es dir nichts ausmacht, knete ich ihn ein bisschen, damit er gehen kann.“

„Kein Problem. Bietet ihr jeden Tag frisches Brot an?“

„Ja. Unsere Gäste würden uns etwas erzählen, wenn wir es nicht täten.“

„Gut zu wissen. Arbeitest du nach einem Hausrezept?“

Ihr Blick verriet ihm, dass sie die Frage überflüssig fand.

„Nein. Das sind alles meine Rezepte. Charles hat das Angebot an Brot und Desserts völlig umgekrempelt, nachdem ich an Bord gekommen bin.“

Anerkennend zog Liam die Augenbrauen hoch. Im La Bula arbeitete das gesamte Küchenteam nach bewährten Rezepturen. Nach Liams Ansicht war dies der einzige Weg, um eine gleichbleibende Qualität zu garantieren. Hier schien das nicht der Fall zu sein. Offenbar konnte Jane schalten und walten, wie sie wollte.

Beim Betreten der Küche deutete Jane auf eine Holztür und den Türstopper, der davor stand und sie offen hielt.

„Weißt du über die Speisekammer Bescheid?“

„Was müsste ich denn wissen?“

Sie grinste. „Es ist eine begehbare Speisekammer. Achte darauf, dass der Türstopper an Ort und Stelle ist, wenn du hineingehst. Sonst wirst du nämlich eingeschlossen. Innen fehlt die Klinke. Du kannst die Tür also nur von außen öffnen. Immer mal wieder vergisst das jemand – meistens die neuen Kollegen. Es ist eine Art Initiationsritus geworden.“

Liam runzelte die Stirn. „Wie lange geht das schon so?“

Jane zuckte mit den Schultern. „Das war schon so, als ich hier angefangen habe …“

Die Falten auf Liams Stirn wurden tiefer. „Und es hat noch keiner repariert?“

Abwehrend hob Jane die Hände. „Hey, ich überbringe nur die Botschaft. Kein Grund mich zu erschießen.“

Liam nickte. Er hatte nicht so barsch klingen wollen. „War nicht so gemeint. Ich werde mich darum kümmern.“

In der Küche herrschte bereits reges Treiben. Die Vorbereitungen für das Abendessen waren in vollem Gange.

Janes Arbeitsbereich war ein Edelstahltisch in der hinteren Ecke der Küche. Obwohl sie schon früh mit ihrer Arbeit begonnen hatte, sah alles so sauber aus, als hätte sie vor der Versammlung noch aufgeräumt.

Er sah ihr dabei zu, wie sie eine Metallschüssel auf den Arbeitstisch stellte, sich die Hände wusch, Mehl auf die Arbeitsplatte streute und die Plastikfolie von der Schüssel nahm. Dann holte sie den Teigklumpen aus der Schüssel und legte ihn auf die bestreute Fläche. Sie bohrte die Faust in den Teig, der auf halbe Größe zusammenschrumpfte. Erneut warf sie ihn auf den Tisch und begann, ihn rhythmisch zu kneten.

Während Liam sie schweigend beobachtete, versuchte er sich daran zu erinnern, ob irgendeines der Desserts, die sie im La Bula komponiert hatte, erinnerungswürdig gewesen war – abgesehen von dem Rum Baba, der allerdings aus den falschen Gründen erinnerungswürdig war.

Die Speisekarte im Wila wechselte täglich, weil Charles stets nur das servieren wollte, was frisch auf dem Markt war. Mit diesem Konzept konnte Liam nicht nur leben; er hatte auch vor, es zu übernehmen.

Sonntags und montags blieb das Restaurant geschlossen. Diese Zeit wollten Charles und Liam nutzen, um ihre Vorstellungen über die Zukunft des Wila zu besprechen. Am Samstag zuvor war Liam zum Abendessen gekommen. Charles hatte ihm versichert, dass niemand über seine Anwesenheit informiert war, sodass er sich ein unvoreingenommenes Bild über das Niveau der Küche machen konnte. Den verdutzten Gesichtern der Mitarbeiter nach zu urteilen, hatte bis zur Betriebsversammlung wirklich keiner gewusst, dass ihr neuer Chef schon zum Probeessen erschienen war.

„Was backst du denn heute sonst noch?“, wollte er nun von Jane wissen.

„Schokoladenkuchen ohne Mehl. Profiteroles. Heidelbeermuffins mit Obst aus der Region und selbst gemachtem Vanilleeis“, antwortete sie. „Und Rum Baba.“

Sie sagte es, ohne zu lächeln, und er überlegte, ob sie den seinetwegen auf die Karte gesetzt hatte. Er hoffte es inständig.

Aber er hütete sich, sie danach zu fragen.

2. KAPITEL

Jane blieb länger als gewöhnlich im Restaurant, um sicherzugehen, dass alles bereitstand, ehe sie die Stempeluhr drückte. Als sie im Forsyth Galloway Inn ankam, dem B&B, das seit sechs Generationen im Besitz ihrer Familie war und wo sie seit ihrer Rückkehr aus Savannah wohnte, war sie froh, ihre Schwester Elle anzutreffen.

Elle hatte gerade eine ihrer Malklassen beendet, die sie seit einiger Zeit leitete. Das Angebot war von den Gästen im Forsyth begeistert angenommen worden. An den Kursen konnten auch Leute aus dem Ort teilnehmen, sofern noch Plätze frei waren.

Elle war Kunstlehrerin an einer Grundschule in Atlanta gewesen, ehe sie nach Savannah zurückgekehrt war und hier die Liebe ihres Lebens geheiratet hatte. Seit ihrer Rückkehr arbeitete sie nicht mehr an einer Schule, sondern half ihrer Mutter und Großmutter im Forsyth Galloway Inn. Da Savannah eine so malerische Stadt war, hatten die drei Frauen die Idee gehabt, Kunstkurse und „Architek-Touren“, wie sie es nannten, durch die Stadt anzubieten. So hatten sie neue Gäste gewinnen können und setzten sich damit deutlich von anderen B&Bs in der Gegend ab. Bis jetzt klappte es ausgezeichnet. Und zwar so gut, dass ihre Mutter und Gigi, ihre Großmutter, den nächsten Schritt planten: die Eröffnung eines Teesalons.

Vorläufig wohnte Jane in einem der Gästebungalows im weitläufigen Garten des Hotels – sozusagen als Gegenleistung für ihre Hilfe beim Einrichten des Teesalons. Sie vermutete allerdings, dass ihre Mutter und Großmutter insgeheim hofften, dass sie dessen Leitung übernehmen würde – so wie Elle sich um die Kunstkurse und die Führungen kümmerte.

Eigentlich hatte Jane ganz andere Pläne gehabt. Aber sie brauchte ein regelmäßiges Einkommen, um ihren Studienkredit zurückzahlen zu können – und einige Schulden, die sich während ihrer Zeit in New York angehäuft hatten.

In einer Stadt wie New York zu leben war ihr vorgekommen wie ein Traum, der sich endlich erfüllt hatte. Aber die Stadt war teuer, und sie hatte nicht einen Cent sparen können. Sie war gerade so über die Runden gekommen. Das winzige Apartment im West Village hatte sie sich mit einer Mitbewohnerin geteilt. Nach ihrem Rausschmiss hatte sie sich überall nach einem Job umgesehen, aber nach drei Monaten Arbeitslosigkeit waren ihre dürftigen Ersparnisse aufgebraucht, und als Charles ihr eine Stelle im Wila anbot, war ihr nichts anderes übrig geblieben, als nach Hause zurückzukehren.

Tief in ihrem Herzen bedauerte sie es immer noch, das Leben in New York gegen das in Savannah eingetauscht zu haben. Kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag wieder genau an dem Ort zu sein, den sie für immer hinter sich hatte lassen wollen, war demütigend und frustrierend genug. Auf der anderen Seite hatte ihre Familie sie mit offenen Armen empfangen; Charles hatte ihr einen gut bezahlten Job gegeben, der es ihr sogar ermöglichte, ihren Studienkredit schneller zurückzuzahlen, als sie erwartet hatte. Eigentlich konnte sie sich glücklich schätzen.

Wenn da nicht Liam wäre. Er könnte ihr erneut Steine in den Weg legen. Wenigstens wäre er dieses Mal nicht in der Lage, ihr Leben vollkommen aus der Bahn zu werfen.

Zwar hatte sie zwischenzeitlich weitere Jobangebote erhalten. Doch für eine Arbeit, von der sie hätte leben können, hätte sie erneut umziehen und wieder ganz von vorn beginnen müssen. Charles hatte die Stelle einer Patissière in seinem Restaurant eigens für sie geschaffen. Und nachdem sie sich geschworen hatte, nicht mehr nach New York zurückzukehren, gewöhnte sie sich langsam an ihr neues Leben.

Doch es war wie verhext: Kaum hatte sie sich in ihrem neuen alten Leben eingerichtet, tauchte er auf der Bildfläche auf.

Aber sie wollte jetzt nicht über Liam nachdenken. Er sollte ihr nicht die Vorfreude auf den gemeinsamen Tee mit ihrer Schwester verderben. Und überhaupt empfand sie es als wohltuend, fürs Erste im Kreis einer liebevollen Familie zu sein.

Mit dem Teekessel in der Hand setzte Jane sich an den Küchentisch und füllte Elles Tasse. Etwas in ihrem Gesichtsausdruck irritierte sie. Hatte sie etwa schon von Liams unerwartetem Auftauchen gehört? Vielleicht hatte Charles es Gigi erzählt, und Elle wusste es von ihr. Neuigkeiten verbreiteten sich in ihrer Familie mit rasender Geschwindigkeit.

„Ist irgendwas?“, wollte Jane wissen.

„Daniel und ich haben über Namen nachgedacht“, antwortete Elle.

Fast hätte Jane den Tee verschüttet. „Wie bitte?“ Sie stellte die Kanne ab und musterte ihre Schwester aufmerksam. „Bist du …?“ Sie deutete auf Elles Bauch.

Als Elle nickte, sprang Jane auf und umarmte ihre Schwester. Gott sei Dank drehten sich nicht alle Gespräche im Forsyth Inn um ihren Job.

„Wir haben es gerade erst festgestellt. Du bist die Erste, die es erfährt. Sag Mom und Gigi bitte nichts. Und vor allem nicht Kate.“

„Auf keinen Fall“, versicherte Jane ihr. Kate war die jüngste Schwester und diejenige, die am allerwenigsten ein Geheimnis für sich behalten konnte. Schließlich hatte sie einen Friseursalon, den böse Zungen in Savannah nur „die Klatschbörse“ nannten. „Ich freue mich so für euch. Und am meisten freue ich mich darüber, dass ich die Erste bin, die es erfährt. Ich komme mir ganz besonders vor.“

Elle und Daniel bekamen ein Baby.

Elle war die mittlere Schwester. Im vergangenen Sommer hatte sie Daniel Quindlen geheiratet, die Liebe ihres Lebens. Ihre Beziehung war eine regelrechte Achterbahnfahrt gewesen, denn sie waren wie Hund und Katz, ehe sie ihre Gefühle füreinander entdeckt hatten. Seitdem wurde Elle nicht müde zu behaupten, dies sei der Beweis dafür, dass die Trennlinie zwischen Hass und Liebe sehr dünn sein konnte. Bei ihnen hatte die Liebe triumphiert. Und jetzt war ihr Glück praktisch vollkommen.

Auch wenn Elles Ehe und künftige Mutterschaft Jane einmal mehr vor Augen führte, dass sie selbst praktisch mit ihrem Job verheiratet war – und ihr Job ihr nicht immer die Treue gehalten hatte –, hieß das nicht, dass sie sich nicht für ihre Schwester freute. Obwohl sie einen kleinen Anflug von Neid nicht verleugnen konnte.

Elle trank einen Schluck Tee und hatte den typischen verträumten Blick einer werdenden Mutter. „Es war eine Überraschung. Aber wir sind überglücklich.“

„Was denn sonst?“, fragte Jane. „Ich kann es kaum abwarten, Tante zu werden. Wenigstens eine von uns wird Gigi glücklich machen. Besser du als ich.“

Gigi war ihre Großmutter und die Matriarchin der Familie. Sie und Jane hatten am selben Tag Geburtstag; Jane wurde dreißig, Gigi fünfundachtzig. Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als dass ihre Enkelinnen spätestens zu ihrem Fünfundachtzigsten verheiratet wären – und wenigstens eine sie zur Uroma machte. Es sah ganz so aus, als würde zumindest einer ihrer Wünsche in Erfüllung gehen.

Gigi brüstete sich gern damit, dass letztlich sie für Elles und Daniels Glück verantwortlich gewesen sei. Sie hatte nämlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um die beiden zusammenzubringen.

Bei Jane und Kate dagegen deutete nichts darauf hin, dass sie ihr Single-Dasein in absehbarer Zukunft beenden würden. Beide waren zwar schon seit Jahren auf der Suche nach dem Richtigen, wenn auch nur halbherzig. Dass sie ihn noch nicht gefunden hatten, versetzte allerdings keine der Schwestern in Panik.

Und Gigi zehrte noch von den Glücksgefühlen, die ihr ihre Rolle als Heiratsvermittlerin von Elle und Daniel beschert hatte. Was bedeutete, dass Jane unter die Haube zu bringen derzeit ein bisschen aus ihrem Fokus geraten war. Natürlich hatte ihre Großmutter ein paarmal versucht, Jane seit ihrer Rückkehr nach Savannah mit dem ein oder anderen jungen Mann zu verbandeln, aber bisher hatte es noch nicht geklappt. Jane hatte genug damit zu tun, sich in ihren neuen Job einzugewöhnen. Die Karriere war ihr momentan wichtiger als ihr Privatleben. Und nach allem, was sie in den nächsten Wochen im Wila erwartete, würde sich daran so bald auch nichts ändern.

Jane hatte schnell gemerkt, dass die Arbeit im Restaurant nur wenig Zeit für sie ließ – zu wenig, um eine romantische Beziehung zu beginnen, schon gar nicht, sie am Laufen zu halten. Selbst ihre Freunde sah sie kaum noch. Den ganzen Tag verbrachte sie in der Küche, während die anderen ihr Privatleben genossen. Und am Sonntag musste sie sich von der Arbeit erholen und ihre Batterien wieder aufladen. Das Letzte, was sie da gebrauchen konnte, war eine Beziehung, die ja auch mit Stress verbunden war. Jane hatte zwar zwei Anläufe gemacht, aber nach kurzer Zeit schon wieder aufgegeben – sehr zum Kummer ihrer Großmutter, die, nachdem sie Elle und Daniel „zusammengebracht“ hatte, wie sie gern erzählte, auch an Janes Seite gerne einen Mann gesehen hätte. Jane hatte ihre Großmutter nachdrücklich gebeten, nicht für sie zu „suchen“, und ihre Bitte sehr geschickt damit begründet, dass ihr dann kaum noch Zeit bliebe, sich um den Teesalon zu kümmern.

Das hatte gewirkt. Gigi hatte ihre Kuppelversuche umgehend eingestellt.

„Und welche Namen zieht ihr in Betracht?“, wollte Jane jetzt von ihrer Schwester wissen.

„Wenn’s ein Mädchen wird, soll es Willow heißen.“

Jane setzte ihre Teetasse an den Mund.

„Und wenn wir einen Jungen bekommen, Liam.“

Jane verschluckte sich an ihrem Tee.

Erstaunt schaute Elle ihre Schwester an, die sich mit der Stoffserviette das Kinn abwischte. Dabei sah sie aus, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen.

„Was ist los?“, fragte Elle. „Magst du den Namen Liam nicht?“

Jane schnaubte und schüttelte energisch den Kopf. Erneut nahm sie einen Schluck, um ihre gereizte Kehle zu beruhigen. Es half nichts – sie musste noch immer husten. Der Tee stieg ihr in die Nase.

„Sag’s mir“, drängte Elle sie. „Ich möchte nicht, dass das dauernd passiert, wenn du deinen Neffen siehst. Der Kleine wird ja ein Trauma kriegen.“

„Das hat doch damit nichts zu tun. Ich habe mich nur am Tee verschluckt.“

Elle musterte sie durchdringend. „Bist du sicher?“

„Wenn dir und Daniel der Name gefällt, dann nennt ihn so.“ Höchste Zeit, das Thema zu wechseln.

„Ist es eigentlich schwer, sich den passenden Namen auszusuchen? Ich könnte mir vorstellen, dass du als Lehrerin bestimmte Namen mit bestimmten Kindern assoziierst. Habt ihr da von vornherein ein paar von der Liste gestrichen?“

„Glaubst du, ich merke nicht, dass du das Thema wechseln willst? Erzähl – was passt dir an Liam nicht?“

„Gar nichts. Ich meine … ist doch okay.“

Elle runzelte die Stirn. „Ich habe den ganzen Abend Zeit. Aber ich hoffe doch sehr, dass du eine Schwangere nicht um ihren wohlverdienten Schlaf bringen willst. Und davon brauche ich zurzeit mehr als je zuvor.“

Jane wusste, dass sie ihrer Schwester nichts vormachen konnte. „Schon gut.“ Seufzend fuhr sie sich mit der Hand durchs Gesicht. „Der Name weckt bei mir schlechte Erinnerungen. Mehr nicht. Aber wenn euch beiden der Name gefällt …“

Elle verzog den Mund. „Ich kann mich nicht erinnern, dass du mal mit einem Liam zusammen warst.“

„Ich war auch nicht mit einem Liam zusammen“, konterte Jane.

Elle riss die Augen auf. „Hattest du mal einen One-Night-Stand mit einem Liam – und wenn du dich jetzt daran erinnerst, kommst du dir wie ein unartiges Mädchen vor?“

Das Bild von Liam nackt im Bett, am ganzen Körper tätowiert, schoss Jane durch den Kopf. Die Vorstellung ließ sie schaudern. Es war lächerlich. Sie wusste nicht, ob Liam Wright überhaupt tätowiert war.

Und sie wollte es auch gar nicht wissen. Eigentlich nicht …

Jane verdrehte die Augen. „Sei nicht albern.“ Obwohl sie sich mit dem Gedanken durchaus hätte anfreunden können. Natürlich ohne Liam. Leider war sie aber auch sonst bisher in ihrem Leben immer ein artiges Mädchen gewesen.

„Warum wirst du dann rot?“

„Weil du peinlich bist. Das ist peinlich!“ Der Gedanke an ihren Boss, der sie gefeuert hatte, der nicht im Traum daran denken würde, mit ihr auszugehen, weil er ausschließlich auf Models stand, war peinlich. Wie konnte sie ihm jemals wieder gegenübertreten, ohne all diese Gedanken zu vergessen?

„Nur zu deiner Information: Ich hatte noch nie im Leben einen One-Night-Stand“, versicherte Jane ihrer Schwester.

Ungläubig schaute Elle sie an. „Selbst in New York nicht?“

„Nein. Eine Zeit lang hatte ich einen Freund, aber dann wurde die Arbeit immer mehr, und mir blieb keine Zeit fürs Privatleben. Ein Job im Restaurant ist nicht gerade förderlich für soziale Kontakte.“

„Vielleicht müssen wir uns mal darum kümmern, dass du flachgelegt wirst“, überlegte Elle laut.

„Und wie willst du vermeiden, dass Gigi davon erfährt? Sie würde dann doch sofort die Hochzeitsglocken läuten hören. Oder noch lieber selber läuten.“

„Da hast du recht. Aber darum geht es auch gar nicht. Sag mir, warum dir der Name nicht gefällt, den wir uns für unseren Jungen ausgedacht haben.“

„So, wie ich unsere Familie kenne, wird es sowieso ein Mädchen.“

„Vielleicht auch nicht. Daniel hat einen Bruder. Und unser armes Baby keinen Namen.“

„Ach was!“ Jane stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und vergrub das Gesicht in den Händen. „Okay.“ Sie sah ihre Schwester an. „Du erinnerst dich wirklich nicht mehr?“

„Würde ich dich sonst fragen?“

Jane seufzte. „Das ist wirklich krass.“

„Was denn? Erzähl schon.“

Offenbar würde Elle nicht lockerlassen, bis sie mit der Wahrheit herausrückte.

„Erinnerst du dich an Liam Wright, dem das La Bula gehört?“

Verständnislos sah Elle sie an. Natürlich sagte ihr der Name nichts. Ebenso wenig wie Jane sich an den Namen der Schuldirektorin erinnerte, die Elle entlassen hatte. Ihre Schwester kannte sich in der Gastronomie-Szene nicht aus. Und sie schaute sich auch keine Kochsendungen im Fernsehen an. Dass Liam die Kochshow America’s Best Chef gewonnen hatte und danach oft im Fernsehen zu sehen war, war an ihr vorbeigegangen.

„Das ist der Kerl, der mich gefeuert hat. Der Grund, warum ich wieder hier bin.“

Elles Mund formte sich zu einem O, ehe sie ihn mit der Hand bedeckte. „Natürlich, Jane. Tut mir leid. Bitte entschuldige …“

Elle gehörte zu den wenigen Menschen, die die ganze Geschichte kannten, und Jane hatte ihr das Versprechen abgenommen, sie niemandem zu erzählen. Und an das Versprechen hatte sie sich offenbar gehalten.

„Es ist keine große Sache“, fuhr Jane fort. „Abgesehen davon, dass Liam Wright heute – ausgerechnet heute – im Wila aufgekreuzt ist.“

„Was?“ Elle blieb der Mund offen stehen. „Warum? Er lebt doch in New York? Was macht er dann hier?“

Jane schüttelte den Kopf. Insgeheim hoffte sie immer noch, dass das alles nur ein schlechter Traum gewesen war. „Er ist Charles’ neuer Geschäftspartner. Das haben wir heute Morgen bei einer Betriebsversammlung erfahren.“

„Das soll doch wohl ein Witz sein? Ich kann nicht glauben, dass Charles einen Geschäftspartner hat. Aber wichtiger ist doch: Was heißt das für dich?“ Elle verzog das Gesicht, als wappnete sie sich für schlechte Neuigkeiten.

„Wir müssen alle noch mal zum Vorstellungsgespräch antanzen. Liam hat zwar versprochen, dass sich einen Monat lang nichts ändern wird, aber … Offenbar war das eine der Voraussetzungen für die Partnerschaft mit Charles. Liam muss dem Personal eine Chance geben. Aber eben nur einen Monat lang. In der Zeit müssen wir beweisen, was wir können. Und danach muss er uns nicht weiterbeschäftigen.“

Jane bekam Magenschmerzen, während sie davon berichtete.

„Das tut mir leid“, erwiderte Elle mitfühlend. „Kein Wunder, dass dir der Name nicht behagt. Jetzt geht es mir genauso. Keine Sorge, wir werden einen anderen aussuchen.“

„Nein“, protestierte Jane. „Streicht ihn nicht von der Liste. Ich bin längst drüber hinweg. Wenn ihr euer süßes Baby Liam nennt, würdet ihr allen Liams dieser Welt einen riesengroßen Gefallen tun. Denn euer Sohn würde den Namen rehabilitieren, keine Frage.“

Elle seufzte. „Es war so gedankenlos von mir, mich nicht daran zu erinnern. Schließlich weiß ich nur zu gut, wie es sich anfühlt, den Job zu verlieren.“ Ihre Stelle als Kunstlehrerin war im Jahr zuvor ersatzlos gestrichen worden – aus Budget-Gründen. Zwar hatte sie, genau wie Jane, ein neues Jobangebot erhalten, aber da hatte sie sich bereits entschlossen, in Savannah zu bleiben – der Liebe wegen.

„Ich weiß dein Mitgefühl zu schätzen, Elle, aber bei mir ist es doch etwas anderes. Du hast dich gegen deinen Job entschieden. Ich bin gefeuert worden.“

Bei der Erinnerung wurden Janes Wangen rot. Sie war noch nirgendwo hinausgeworfen worden – bis Liam Wright auf der Bildfläche erschienen war und sie vor versammelter Mannschaft auf die Straße gesetzt hatte. Und das Schlimmste daran war: Es war noch nicht einmal ihr Fehler gewesen. Ihre Assistentin hatte Salz statt Zucker in den Rum Baba gestreut.

An jenem Abend war in der Küche die Hölle los gewesen. Jane hatte alle Hände voll damit zu tun, die Desserts pünktlich fertigzustellen, und darüber versäumt, den Teig zu probieren, den ihre Assistentin zubereitet hatte. Als der Nachtisch dann serviert wurde – nicht nur den Gästen, sondern auch Eduardo Sanchez, dem Chefredakteur der Zeitschrift Der Feinschmecker, hatte Jane das Desaster ausbaden müssen.

So gesehen hatte Jane tatsächlich versagt. Und sie hatte nicht nur sich selbst, sondern auch Liam blamiert. Denn einen solchen Eindruck wollte natürlich niemand bei dem Mann hinterlassen, der das wichtigste Magazin für Essen und Trinken in den USA herausgab. Eine Rezension in dieser Zeitschrift konnte das Renommee eines Restaurants in den Himmel katapultieren – oder in die Hölle stürzen.

Und als Chef-Patissière war Jane nun mal für alles verantwortlich, was ihren Bereich in der Küche anbetraf.

Es hätte auch nicht viel gebracht, ihre Assistentin zum Sündenbock zu machen. Trotzdem wäre es natürlich netter von Liam gewesen, sie nicht vor allen Kollegen in den Senkel zu stellen, bevor er sie aus seinem Restaurant warf.

„Trotzdem bin ich überrascht, dass ihr überhaupt Jungennamen in Betracht zieht. Schließlich ist es doch deine Pflicht, eine Erbin zur Welt zu bringen, um die Familientradition fortzusetzen und das Vermächtnis zu bewahren.“

Schon in sechster Generation stand das Forsyth Galloway Inn unter weiblicher Führung. Und sie alle kamen von Gigis Seite.

Meine Pflicht?“ Elle schnaubte verächtlich. „Ich kann mich nicht erinnern, dass du und Kate von dieser Aufgabe entbunden wurdet und ich die ganze Verantwortung übernehmen muss.“

„So wie das bei Kate und mir derzeit aussieht, musst du möglicherweise doch die ganze Verantwortung übernehmen, Elle. Lass uns bloß nicht hängen.“

„Ich tue mein Bestes, aber ich kann nicht garantieren, dass Daniel und ich ein Mädchen bekommen. Hast du dich schon mal gefragt, was passieren würde, wenn wir alle Jungs bekämen? Was wird aus dem Hotel, wenn wir keine weiblichen Erben liefern? Gigi würde nicht einmal im Traum an diese Möglichkeit denken.“

„Vermutlich besitzt sie einen Zaubertrank, den sie euch heimlich ins Essen kippt, damit es ein Mädchen wird.“

Elle zuckte mit den Schultern. „Das würde ich ihr sogar zutrauen. Aber mir wäre es auch egal. Mit Schwestern aufzuwachsen war gar nicht so schlecht. Ihr seid nicht nur Schwestern, sondern auch immer meine besten Freundinnen gewesen. Es hätte viel, viel schlimmer kommen können.“

Jetzt schwiegen beide eine Weile. Elle trank einen Schluck Tee.

„Glaubst du wirklich, Charles würde es zulassen, dass Liam dich feuert? Er war wie ein Großvater für uns. Ich meine … könnte Liam das wirklich tun? Wenn sie Geschäftspartner sind, ist Charles doch dein bester Fürsprecher. Er würde nicht zulassen, dass dich jemand so behandelt, wenn du bedenkst, wie er zu Gigi steht.“

Obwohl niemand jemals offen darüber gesprochen hatte, war es kein Geheimnis, dass Charles vernarrt in ihre Großmutter war.

„Sie sind keine gleichberechtigten Partner“, wandte Jane ein. „Ich kenne die Details ihres Vertrages nicht, aber offenbar hält Charles nur noch einen kleinen Anteil am Wila – gerade genug, um noch im Spiel zu bleiben. Liam ist Mehrheitseigner. Das heißt, mein Schicksal liegt erneut in seinen Händen.“

3. KAPITEL

Einen Brotteig zu kneten war für Jane fast schon eine Art Meditation. Es beruhigte ihre Nerven. Das war wichtig, denn ihr Gespräch mit Liam stand kurz bevor.

Wie würde es wohl verlaufen? Das hatte sie sich während der vergangenen Stunden immer wieder gefragt. Und sich vor allem für die Frage gewappnet, die er ihr gewiss stellen würde: Was war an jenem Abend im La Bula passiert?

Sie hatte beschlossen, nicht als Erste mit dem Thema anzufangen.

Sie zog den Teig auseinander, faltete ihn wieder zusammen und fuhr mit dem Kneten fort.

Damals hatte er sie nicht gefragt. Bestimmt wird er es jetzt tun.

Oder nicht?

Vielleicht wartet er auch, bis ich damit beginne.

Sollte sie?

Nein.

Das war Geschichte. Abgesehen davon würde sie diesen Fehler nicht ein zweites Mal begehen.

Am Abend zuvor hatte sie ein paar geradezu perfekte Rum Babas gebacken. Und sie hatte jeden Teig probiert, ehe sie ihn in den Ofen schob. Für alle Fälle.

Liam hatte den Rumkuchen ebenfalls gegessen. Zuvor hatte er ihn auseinandergebrochen und mit einem Finger die Konsistenz des Teigs geprüft. Zögernd hatte er ein Stück mit der Gabel abgeteilt und in den Mund gesteckt. In dem Moment hatte sie weggeschaut, um seinen Gesichtsausdruck nicht ansehen zu müssen.

Später hatte sie festgestellt, dass er nicht den kleinsten Krümel auf seinem Teller zurückgelassen hatte.

Den leeren Teller empfand sie als eine Art Kompliment.

Sie stellte den Teig beiseite und bedeckte ihn mit einem Tuch. Als sie sich die Hände wusch, sah sie aus den Augenwinkeln Liam in die Küche kommen.

Er trug ein dunkelblaues Button-down-Hemd, das er in seine Jeans gesteckt hatte. Das Haar war noch feucht von der Dusche. Als er sich ihr näherte, schoss ihr das Bild des tätowierten, nackten Liam durch den Kopf, der in ihrem Bett lag.

Sie seufzte. Das passte ja nun überhaupt nicht hierher. Was war bloß mit ihr los?

Sorgfältig trocknete sie ihre Hände ab – jeden Finger einzeln, um das Bild von Liam aus dem Kopf zu bekommen. Wie er im Bett war, spielte ja wohl kaum eine Rolle, wenn sie gleich ein ernstes Gespräch mit ihm führen würde.

„Guten Morgen“, begrüßte er sie.

„Morgen, Chef.“ Sie zwang sich, ihm ins Gesicht zu schauen.

„Danke, dass du dich als Erste zu einem Gespräch bereit erklärt hast.“

Meine Güte, warum sah er bloß so gut aus? Und warum fiel ihr das ausgerechnet jetzt auf? Schlimmer noch: Warum reagierte ihr Körper auf ihn, als fände sie ihn attraktiv?

Nein, nein! Hör auf damit!! Sofort!!!

Sie warf das Handtuch in den Wäschekorb, schob entschlossen das Kinn vor und stemmte die Hände in die Hüften. „Eine muss ja den Anfang machen. Warum also nicht ich? Möchtest du einen Kaffee? Ich habe gerade frischen aufgebrüht.“

„Sehr gern“, erwiderte er. „Woher wusstest du das?“

„Das ist eine meiner Begabungen.“ Sie goss ihm einen Becher ein und nahm sich auch noch einen – den vierten an diesem Morgen. Dann deutete sie auf die Mappe, die ihren Lebenslauf enthielt. „Ich hätte noch ‚Gedankenlesen‘ in die Rubrik ‚Besondere Fähigkeiten‘ eintragen sollen.“

„Dann muss ich ja besonders vorsichtig sein.“ Er warf ihr ein Lächeln zu, das alles Mögliche bedeuten konnte, ehe er sich umdrehte und ins Büro ging.

Bedeutet das nun etwas Gutes oder etwas Schlechtes?

Sein Lächeln hatte beinahe so gewirkt, als wollte er mit ihr flirten. Aber der Fehler, dessentwegen er mich hinausgeworfen hat, steht immer noch zwischen uns.

Halt! Erinnere dich lieber an all die brillanten Antworten, über die du in der letzten Nacht nachgedacht hast, anstatt zu schlafen.

Ihr Mund wurde trocken, als sie feststellte, dass sie sich an keine einzige mehr erinnern konnte.

Liam deutete auf den Stuhl auf der anderen Seite von Charles’ Schreibtisch. Gehorsam nahm sie Platz. Während er einen gelben Notizblock und einen blauen Kugelschreiber zur Hand nahm, trank sie einen Schluck Kaffee und versuchte sich zu konzentrieren.

Liam war ihr Chef. Er war lediglich daran interessiert, ob sie einen Brandteig von einem Mürbteig unterscheiden konnte und wie locker ihr die Profiteroles gerieten – und natürlich ein Rum Baba.

Hör doch endlich mit dem blöden Rumkuchen auf. Du hast doch gezeigt, dass du den kannst.

„Wie wäre es, wenn du mir zuerst etwas von dir erzählst?“

Das war die leichteste Übung. Sie wiederholte, was sie gestern bei der allgemeinen Vorstellung gesagt hatte – ergänzt um ein paar Kleinigkeiten.

Die folgenden beiden Fragen waren ebenfalls harmlos.

„Wo kaufst du denn dein Gebäck ein, wenn du es nicht selber machst?“

„Bei Leonie.“ Sie lobte Leonie in den höchsten Tönen und pries deren vorzügliche Bossche Bols.

„Was sind denn Bossche Bols?“

Sie schnurrte fast vor Vergnügen. Dann räusperte sie sich. „Sie sind die reinste Sünde. Praktisch Riesen-Profiteroles mit Sahnefüllung und einem Überzug von belgischer Schokolade. Sie auf der Zunge zu haben ist fast wie ein Orgas …“

Gerade noch rechtzeitig klappte sie den Mund zu, ehe sie das ganze Wort aussprach. Aber eigentlich waren Bossche Bols noch viel besser als Sex.

Ihre Wangen brannten.

Liam blickte von seinem Notizblock auf. „So toll sind sie?“

„Du kannst es dir nicht vorstellen …“

„Warum sind sie besser als deine?“

Erstaunt blinzelte sie ihn an. „Wie bitte?“

Er zog die Augenbrauen hoch und sah ein wenig irritiert aus. „Warum sind Leonies Bossche Bols besser als deine? Warum sollte ich dich behalten, wenn sie besser ist? Sollte ich sie einstellen?“

Plötzlich fiel ihr wieder ein, warum sie ihn nicht besonders gemocht hatte, als sie noch seine Angestellte war. Diese herausfordernde, arrogante, selbstgefällige, sexy …

Nein. Nicht sexy.

Nun ja, eigentlich ist er doch sexy.

Sie beugte sich ein wenig nach vorn. „Zunächst einmal stehen Bossche Bols nicht auf der Speisekarte des Wila. Zweitens kann ich dir nur viel Glück wünschen, wenn du mich durch Leonie ersetzen willst, denn Leonie ist keine Person, sondern der Name einer Konditorei. Sie gehört Doug Niedermeyer. Doug macht ganz fantastische Sachen. Er ist wirklich gut auf seinem Gebiet. Ich meine, du kannst ja versuchen, ihn anzuheuern. Aber ich gehe jede Wette ein, dass er dir einen Korb geben wird.“

„Wirklich?“

Sie nickte.

„Magst du Glücksspiele?“

„Was?“

„Du hast gesagt, du gehst jede Wette ein.“

Er trieb sie noch in den Wahnsinn. „Sei nicht lächerlich. Das habe ich nur so gesagt. Können wir mit unserem Gespräch weitermachen?“

Er lachte, und ihr fiel die Narbe an der linken Seite seiner Oberlippe auf. Sie fühlte erneut, wie ihre Wangen heiß wurden, und schrieb das dem Stress der Unterhaltung zu, die gerade nicht zu ihrer Zufriedenheit verlief.

Er notierte sich noch etwas auf seinem Zettel, ehe er sie wieder anschaute. „Eine Restaurantküche ist ein ziemlich stressiger Arbeitsplatz. Wie kommst du mit Stress klar, Jane?“

Sie erschauerte, als sie ihren Namen aus seinem Mund hörte.

Sie legte die Beine übereinander.

„Ich bin ziemlich ausgeglichen. Es braucht schon einiges, um mich aus der Ruhe zu bringen, was in einer solchen Umgebung ja durchaus von Vorteil ist. Wenn ich mal Dampf ablassen muss, dann mache ich mir Notizen. Ich schreibe meine Gedanken und Begutachtungen zu Rezepten und Zubereitungsmethoden auf. Ich komme damit am besten klar, wenn ich alles Schwarz auf Weiß habe.“

„Was ist der größte Fehler, den du jemals gemacht hast?“

Er musterte sie mit einem wissenden Blick.

Okay, jetzt geht’s los.

Mit dieser Frage hatte sie schon gar nicht mehr gerechnet. Er spielte auf den Vorfall mit dem Rum Baba an. Es war sozusagen sein Todesstoß nach dem unverfänglichen Geplänkel.

„Privat oder beruflich?“

Sie wusste nur zu gut, dass ihn ihr Privatleben nicht interessierte. Das hier war ein … Vorstellungsgespräch. Er erwartete eine Erklärung von ihr. Sie sollte bei ihm um Vergebung für diesen Vorfall betteln. Man musste kein Gedankenleser sein, um das zu erraten.

Vor allem jetzt, als er die Stirn runzelte. „Ich rede über Fehler, die du in der Küche gemacht hast. Oder im Restaurant.“ Er machte eine vage Handbewegung, die so viel bedeuten sollte wie Gestehe endlich.

Klar, sie hatte sich einen groben Schnitzer geleistet. Aber sie hielt es dennoch nicht für den größten Fehler, den sie jemals gemacht hatte.

Sie hielt seinem Blick stand. „Mein größter Fehler war, jemanden gefeuert zu haben, ohne ihm eine zweite Chance zu geben …“

Sein Seufzen irritierte sie.

„Ich bin noch nicht fertig“, fuhr sie fort. „Lass mich zu Ende reden.“

Er nickte kurz.

„Nachdem ich diesen Menschen hinausgeworfen habe, wurde mir klar, dass ich voreilig gehandelt hatte. Später hatte ich die Gelegenheit, ihm eine zweite Chance zu geben. Ich habe ihn wieder eingestellt, und von da an war er sehr erfolgreich.“

„Er war erfolgreich, weil du ihn wieder eingestellt hast?“

„Du kapierst nicht, was ich sagen will“, erwiderte Jane.

„Oder doch, ich kapiere sehr wohl.“ Erneut machte Liam sich einige Notizen. „Und ich habe dich sehr gut verstanden. Und ich habe dich nicht nach einem theoretischen Fall gefragt. Sondern nach einem tatsächlichen Fehler.“

„Es war Bruce Tremayne.“

Liam schaute hoch.

„Du hast Bruce Tremayne gefeuert?“ Seine Stimme klang gepresst.

„Ja. Das war, bevor ich bei dir im La Bula angefangen habe. Und ich habe ihn wieder eingestellt, weil er ein verdammt guter Patissier ist. Du weißt, dass er zu den erfolgreichsten seines Fachs …“

„Ich kenne Bruce sehr gut. Ich werde mich bei ihm erkundigen. Hast du ihn als Referenz angegeben?“ Liam nahm ihren Lebenslauf zur Hand und überflog ihn.

„Tu dir keinen Zwang an. Ich würde es sogar begrüßen, wenn du mit Bruce sprichst. Obwohl ich ihn nicht angegeben habe. Ich habe ja nicht für ihn gearbeitet. Er hat für mich gearbeitet. Weißt du was? Ich gebe dir gern seine Telefonnummer, falls du sie brauchst.“ Sie griff zu ihrem Handy.

„Ich habe seine Nummer“, erwiderte Liam. „Ich könnte ihn eigentlich sofort anrufen.“

Jane nickte. „Ich hoffe, du tust es.“

Er wandte den Blick nicht von ihr, als er zu seinem Handy griff. Glaubte sie etwa, er bluffe nur? Als sie nichts erwiderte, drückte er ein paar Tasten.

„Bruce? Liam Wright hier.“

Jane hörte eine gedämpfte männliche Stimme am anderen Ende der Leitung, Sie tauschten ein paar freundliche Floskeln aus. Da Liam das Handy nicht ans Ohr hielt, bekam sie den kameradschaftlichen Ton des Gesprächs mit, ohne jedoch jedes Wort verstehen zu können.

Nachdem sie eine Weile geplaudert hatten, sagte Liam: „Bruce, ich bin in Savannah, wo ich für ein neues Restaurant arbeite. Meine Chef-Patissière ist jemand namens Jane Clark. Sie hat mir erzählt, dass sie dich kennt.“

Liam machte eine Pause. Offenbar erwartete er die Rückfrage „Jane wer?“. Aber soweit Jane hören konnte, fragte Bruce nicht nach. Stattdessen schien er sich sehr freundlich und lobend zu äußern.

„Würdest du sie einstellen?“

Während der nächsten zwei Minuten bestritt Bruce das Gespräch. Er klang geradezu enthusiastisch. Sie war froh, dass Liam ihm nicht verraten hatte, dass sie ihm gegenübersaß. Er sollte frei und unbefangen reden. Und das tat er wirklich sehr überzeugend.

Ausgesprochen überzeugend.

Liam nickte. Seine Miene war wie versteinert.

Warum musste er nur so gut aussehen? Ihr Blick fiel erneut auf die Narbe oberhalb seiner Lippe. Sie fragte sich, woher er sie wohl hatte.

Sie wartete darauf, dass er sie anschaute, um ihm mit hochgezogenen Brauen zu verstehen zu geben Hab ich’s dir nicht gesagt? Aber er fixierte unentwegt eine Stelle hinter ihrer linken Schulter.

„Oh, sie hat dich gefeuert?“

Schließlich schaute er sie doch an.

Sie verschränkte die Arme und musterte ihn verärgert.

„Und du hast zwei Mal für sie gearbeitet?“ Noch mehr Nicken. „Prima, vielen Dank für deine Infos. Ich werde mir deine Worte merken. War schön, mit dir zu reden.“

Er beendete das Gespräch und konzentrierte sich wieder auf die Papiere vor ihm. Mit ausdrucksloser Miene machte er sich einige Notizen. Jane fragte sich, was er wohl denken mochte.

Da sie glaubte, nichts zu verlieren zu haben, fragte sie herausfordernd: „Und?“

Es dauerte eine Weile, bis er aufschaute.

„Wie organisierst du dich, wenn du mehrere Anfragen gleichzeitig nach verschiedenen Desserts bekommst?“

Ging er einfach zur nächsten Frage über?

„Moment mal“, antwortete Jane.

Sie hätte die Sache auf sich beruhen lassen sollen, aber der Telefonanruf hing ihr immer noch nach. Wenn er das Gespräch fortsetzte, als wäre nichts geschehen, bedeutete das ja wohl, dass Bruce nur Gutes über sie gesagt hatte. Liam würde sich keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn er es ihr erzählte.

„Wie bitte?“, fragte er verdutzt.

„Was hat Bruce gesagt?“

Er runzelte die Stirn. „Er sagte, du seist eine der besten Patissièren an der Ostküste. Und wenn ich dich nicht behalten würde, würde er dich sofort einstellen.“

Die frohe Botschaft traf sie wie ein Blitz, und sie musste sich in die Wangen beißen, um nicht triumphierend zu grinsen.

Eins zu null für mich!

„Tatsächlich?“, sagte sie nur.

Er nickte. „Wenn es hier nicht läuft, dann hast du immer noch einen Job in San Francisco.“

„Ich will gar nicht nach San Francisco“, antwortete sie. „Ich bin ganz glücklich in Savannah. Ich würde gerne bleiben.“

„Warum?“

Er legte den Stift beiseite und schaute sie an. Dieses Mal fühlte es sich anders an. So, als ob er sie wirklich ansah und nicht durch sie hindurchblickte.

„Ich bin hergekommen, nachdem …“ Gerade noch rechtzeitig klappte sie den Mund zu. Da er ihre fristlose Kündigung nicht erwähnt hatte, würde sie es auch nicht tun. Stattdessen würde sie ihm erzählen, warum sie hier glücklich war. „Wie gesagt, ich bin ganz gerne hier und würde auch gerne eine Weile bleiben. Das hier ist meine Heimatstadt. Der Wechsel gefällt mir.“

Er runzelte die Stirn, und einen Moment lang befürchtete sie, er könnte die Kündigung doch zur Sprache bringen. Doch er tat es nicht.

„Du bist von hier?“

Sie nickte.

„In New York war mir gar nicht bewusst, dass du aus Savannah kommst. Dann musst du mir mal einiges über die Stadt erzählen, damit ich mich hier besser zurechtfinde.“

In diesem Augenblick geschah etwas zwischen ihnen. Jane konnte allerdings nicht sagen, was genau es war.

Liam Wright eilte der Ruf voraus, ein übergroßes Ego zu besitzen. Aber war er wirklich so arrogant zu glauben, er könnte sie feuern, und dann darauf hoffen, dass sie ihn mit den Besonderheiten von Savannah vertraut machte?

„Ich kenne diese Stadt wie meine Westentasche, Chef. Savannah ist nicht wie andere Orte. Es ist eine ganz besondere kleine Großstadt – oder große Kleinstadt, je nachdem. Ich mache gerne den Fremdenführer für dich.“

„Schön zu wissen. Dann weiß ich ja, wen ich fragen kann, wenn ich mal etwas wissen möchte.“

„Heißt das, ich habe den Einstellungstest bestanden?“, wollte sie wissen. „Wenn ich dich mit den Besonderheiten von Savannah vertraut machen soll, dann wirst du mich ja wohl behalten müssen.“

Mit seinen braunen Augen, die so dunkel waren wie der Kaffee, den sie tranken, sah er sie durchdringend an. Aber seine Miene blieb ausdruckslos.

Ob er im Bett genauso interessant ist?

Schluss damit!

Sie fühlte ein warmes Ziehen zwischen ihren Schenkeln. Es kostete sie einiges an Willenskraft, das Gefühl zu ignorieren.

„Bruce ist der Zweite, der sagt, dass du die beste Patissière im Südosten bist. Charles behauptet, du seist die beste, die je im Wila gearbeitet hat.“

Wieder verkniff Jane sich ein Lächeln. Sie war die einzige Patissière, die das Wila jemals gehabt hatte. Charles hatte diese Position eigens für sie geschaffen.

„Offenbar hat er deinen Rum Baba noch nie probiert.“

„Wie bitte? Du hast meinen Rum Baba gestern Abend gegessen – bis zum letzten Krümel. Also muss er dir ja wohl geschmeckt haben.“

„Hat er auch. Ich wollte sagen, er hat dein Spezialrezept noch nicht kennengelernt.“

Sie musste sich sehr zusammenreißen, um ihm nicht umgehend zu sagen, dass die Verwechslung nicht ihre Schuld gewesen war. Sich jetzt selbst zu verteidigen würde überhaupt nichts bringen. Moment mal – hatte Liam gerade zugegeben, dass er ihren Kuchen genossen hatte?

„Du wirst ein bisschen mehr für mich machen müssen. Drei oder vier deiner Spezialitäten, die mich von deinen Fähigkeiten überzeugen. Vielleicht sogar diese Bossche Bols. Die anderen müssen auch ihre Kochkünste unter Beweis stellen. Glaube nicht, dass du eine Sonderbehandlung bekommst.“

Er schaute von seinem Notizzettel hoch. Um seinen linken Mundwinkel zuckte es, sodass sie die Narbe erneut sehen konnte.

Da war es wieder – dieses Gefühl. Diese seltsame Chemie zwischen ihnen, die sie ganz wirr im Kopf werden ließ. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihr Magen verknotete sich.

Sie war total durcheinander. Das konnte doch unmöglich sein. Sie hatte sich doch nicht etwa in Liam Wright verguckt?

Denn das wäre eine Rezeptur, die auf jeden Fall danebengehen würde.

Am Ende des Tages hatte Liam den Küchenchef des Wila verloren und musste diese Rolle nun selbst ausfüllen.

Obwohl die meisten Küchenchefs ihre eigene kulinarische Handschrift hatten, war es Liam wichtig, dass der Chef des Wila so kochte, wie Liam es wollte. Denn wenn sie das Restaurant wieder öffneten, würden die Leute kommen, um Liams Küche kennenzulernen.

Der Mann, der für Charles gearbeitet hatte, war zu selbstherrlich und aufbrausend gewesen. Seine erste Frage an Liam beim Gespräch hatte gelautet: „Warum hast du ein gut gehendes Restaurant gekauft, wenn du hier alles ändern willst?“ Von da an ging es nur noch bergab und endete mit seiner Kündigung.

Aus Solidarität folgten einige der Stationsköche ihrem Chef. Liam nahm es achselzuckend zur Kenntnis. Er war nicht als Babysitter engagiert worden und hatte auch nicht die Absicht, erwachsene Kollegen zu umgarnen. Die meisten Gespräche verliefen jedoch zufriedenstellend für beide Seiten.

Am meisten hatte ihn Jane Clarks Selbstbewusstsein überrascht. Nach seiner Ankunft am Tag zuvor hatte er eine ganz neue Seite an ihr kennengelernt. Als er sie gefeuert hatte, war sie am Boden zerstört gewesen. Sie hatte keine Erklärungen abgegeben und ihn auch nicht um eine zweite Chance gebeten. Sie hatte ihn nur mit ihren vor Bestürzung verschleierten blaugrauen Augen angeschaut, ihre Sachen zusammengepackt und war gegangen. So war es ihm am liebsten gewesen; das Letzte, das er gewollt hatte, waren langatmige Entschuldigungen. Denn in dem Moment hatte er alle Hände voll mit Schadensbegrenzung zu tun.

Eduardo Sanchez war gegangen. Natürlich brauchte er keinen Cent für das Essen zu bezahlen. Und Liams Verbindungen sowie einige ausgezeichnete Rum Babas, die er persönlich in der Redaktion des Feinschmeckers ablieferte, sorgten schließlich dafür, dass der Chefredakteur das verkorkste Dessert am Ende eines ansonsten vorzüglichen Dinners in seinem Artikel gnädigerweise zu erwähnen „vergaß“.

Vielleicht war Jane so selbstbewusst, weil sie sich auf heimischem Gebiet bewegte. Vielleicht hatte er auch einfach zu viel um die Ohren gehabt, um diese Jane Clark in New York wahrzunehmen. Aber ihm gefiel diese stärkere und beherztere Seite an ihr.

Vielleicht hatte sie recht. Manchmal war es eben doch sinnvoller, jemandem eine zweite Chance zu geben. Das würde er ja dann bald sehen.

Was er bereits jetzt schon sah: Jane war eine attraktive Frau. Nicht nur wegen ihres Tanktops, das ihre Rundungen aufs Vorteilhafteste zur Geltung brachte. Wer weiß, was sie darunter verbarg? Dazu hatte sie lange braune Haare, die ihr seidenweich über die Schulter fielen, und blitzende blaugraue Augen.

Außerdem war sie klug und schlagfertig.

Das gefiel ihm. Alles an ihr gefiel ihm. Die ganze Jane Clark – von oben bis unten.

Na ja, wer weiß …

Sie war ganz anders als die Frauen, die er normalerweise attraktiv fand. Trotzdem brachte diese Patissière eine Saite in ihm zum Klingen …

Und das war ein Problem. Bis jetzt hatte er es ignorieren können. Doch jetzt musste er feststellen, dass da … eine gewisse Chemie zwischen ihnen bestand.

Was ja noch nicht bedeutete, dass er in irgendeiner Weise darauf reagieren musste. Und es lag schließlich in seiner Hand zu bestimmen, wie es weitergehen sollte.

Nachdenklich klopfte er mit seinem Kugelschreiber auf den Schreibtisch.

Da Desserts nicht zu seinen Stärken gehörten, war er auf Janes Hilfe angewiesen, und er würde eng mit ihr zusammenarbeiten müssen. Also beschloss er, dass er sich ihr gegenüber distanziert verhalten würde.

Liam verließ sein Büro und ging in den Speisesaal, wo die gesamte Belegschaft – abzüglich der Mitarbeiter, die gekündigt hatten – auf ihn wartete. Er hatte sie noch einmal zusammengerufen, um ihnen mitzuteilen, wie es nun weitergehen würde. Jane stand in der ersten Reihe. Sie hatte ihre Kochjacke noch nicht über das enge Tanktop gezogen. Er zwang sich, nicht in ihre Richtung zu sehen.

„Ich mache es kurz, da wir eine Menge zu tun haben“, begann er. „Die Einzelgespräche waren sehr zufriedenstellend. Inzwischen habt ihr wahrscheinlich mitbekommen, dass wir ein paar Kollegen verloren haben. Es war ihre Entscheidung. Jedem, der nicht mit uns arbeiten wollte, stand es frei zu gehen. Und ihr, die ihr geblieben seid, wisst, dass eine Menge Arbeit vor uns liegt. Morgen habt ihr ja alle euren freien Tag. Aber am Montag erscheint ihr bitte um Punkt neun wieder zur Arbeit. Dann wollen wir unserer neuen Speisekarte den letzten Schliff geben. In der nächsten Woche werde ich dann jedes einzelne Gericht kochen, und ihr werdet es probieren. Ihr müsst schließlich wissen, was ihr, wenn das Restaurant offiziell wieder geöffnet hat, empfehlen könnt. Ich werde zunächst eng mit der Patissière zusammenarbeiten.“

Er schaute Jane an, und er spürte das gleiche Kribbeln, das ihr in diesem Moment über den Rücken lief. Daran würde er wohl noch arbeiten müssen!

„Jane, Desserts sind nicht gerade meine Stärke. Deshalb werden wir gemeinsam eine Auswahl erarbeiten. Und ich hoffe auf deine besten Vorschläge. Ich meinerseits steuere das bei, was im La Bula funktioniert hat. Und ihr alle kommt gut vorbereitet zur Arbeit. Wir werden das Wila nach meinen Vorstellungen umbauen. Habt ihr das alle verstanden?“

Er schaute sich um. Einige starrten ihn ungläubig an, andere wirkten verärgert, weil er den unnachgiebigen Boss heraushängen ließ. Doch niemand erwiderte etwas – nicht einmal ein verächtliches Schnauben war zu hören. Das wäre auch keine gute Idee gewesen. Das war allen klar. Alle Mienen wirkten versteinert. Zumindest glaubte er das. Denn er schaute nicht in Janes Richtung.

„Jeder hat jetzt einen Monat Probezeit“, fuhr er fort. „Und jeder und jede wird rechtzeitig erfahren, wenn er meine Erwartungen nicht erfüllt. Damit am Ende niemand sagen kann, er sei unfair behandelt worden.“

4. KAPITEL

Jane hatte am eigenen Leib erfahren, dass es besser war, nichts zu erwarten.

Erwartungen waren nämlich eine Einbahnstraße in Richtung Enttäuschung.

Deshalb hatte sie auch nicht damit gerechnet, dass Liam ihr eine zweite Chance geben würde.

Etwas zu erwarten war allerdings etwas anderes, als überrascht zu werden. Überraschungen hatten im Gegensatz zu Erwartungen etwas Aufregendes.

Eine zweite Chance von diesem Mann zu bekommen, der nur selten zweite Chancen gewährte, war eine schöne Überraschung und nicht zu vergleichen mit den düsteren Aussichten, mit denen sie am Tag zuvor noch gerechnet hatte.

Natürlich war ihr klar, dass sie das Charles zu verdanken hatte, der es zur Bedingung gemacht hatte, dass das ganze Team eine Bewährungszeit bekam. Aber sie hatte sich vorgenommen, Liam dieses Mal zu beweisen, was sie konnte.

Die fristlose Kündigung hatte sie stärker gemacht. Sie hatte ein paar Narben davongetragen, doch die musste sie ja niemandem zeigen. Diese zweite Chance war zwar eine Überraschung, aber sie knüpfte nicht allzu viele Erwartungen daran. Allerdings: Sie war harte Arbeit gewöhnt und würde jeden Tag ihr Bestes geben. Und an diesem Abend würde sie damit anfangen.

Die Küche hatte um Viertel nach zehn geschlossen. Das Team brauchte noch eineinhalb Stunden, um alles sauber zu machen. Die meisten waren froh, endlich rauszukommen und aus dem verbliebenen Samstagabend herauszuholen, was möglich war.

Im Gegensatz zu Jane. Sie gab nicht viel um Partys. Jetzt, da es ruhig geworden war im Restaurant, wollte sie ein neues Rezept ausprobieren, mit dem sie schon eine Weile herumexperimentierte. Das ging in der viel zu kleinen Küche des Forsyth Inn nicht. Von dort aus zogen die Gerüche durchs ganze Haus, und das konnte man den Gästen nicht zumuten. Dass das Inn keine Restaurantküche hatte, war auch eine Herausforderung, die sie angehen mussten, wenn sie den Teesalon eröffnen wollten.

Gigi konnte oder wollte auch nicht verstehen, warum das Gesundheitsamt ihnen niemals die Erlaubnis erteilen würde, in dieser Küche Gebäck und kleine Mahlzeiten für den Teesalon zuzubereiten. Sie wurde nicht müde darauf hinzuweisen, dass sie groß genug war, um das Frühstück für die Gäste zu machen. Listigerweise verschwieg sie dabei, dass der größte Teil davon servierfertig angeliefert wurde, sie brauchten es nur noch auf Teller und Platten anzurichten.

Eine richtige Restaurantküche war allerdings ohne umfangreiche Umbauarbeiten nicht zu haben – von den Kosten einmal ganz abgesehen. Daniel, Elles Mann, war Architekt, der sich auf das Restaurieren alter Häuser spezialisiert hatte. Er hatte auch das Forsyth auf Vordermann gebracht. Noch teurer würde es sein, die Küche zu vergrößern und zu modernisieren, hatte er gesagt.

Bei dem Gedanken wurde Jane ganz schwer ums Herz. Die Arbeit im Wila ließ sie die trüben Aussichten zumindest ein wenig vergessen.

Und sie sollte sich besser ohnehin darauf konzentrieren.

Liam hatte sie gebeten, für ihn einige Desserts vorzubereiten. Deren Verkostung war eine Art zweites Vorstellungsgespräch – sozusagen.

Auf dieses Gespräch, bei dem sie über die geplanten Desserts reden wollten, hatte sie sich intensiv vorbereitet.

Sie freute sich bereits darauf, denn sie hoffte, dieses Mal ihn überraschen zu können.

Während sie konzentriert arbeitete, überlegte sie, wie Liams geplante Veränderungen die Arbeit und die Atmosphäre im Restaurant beeinflussen und verändern würden. Er war gerade einmal zwei Tage hier und hatte den Laden schon ganz schön durcheinandergewirbelt. Sie legte die Zutaten für das Kräuterbrot zurecht, das sie an diesem Abend zum ersten Mal backen wollte. Etwas Neues auszuprobieren machte ihr am meisten Spaß, zumal sie mitunter selbst überrascht vom Ergebnis war. Während sie den Teig knetete, glaubte sie ein Geräusch zu hören. Sie hielt inne und lauschte. War es von der Hintertür gekommen? Hatte sie sich nur getäuscht?

Nein. Da war es wieder.

Sie hatte sich nicht vergewissert, dass die Hintertür verschlossen war, ehe sie mit ihrer Arbeit angefangen hatte. Sie hatte nicht einmal daran gedacht, denn sie brannte darauf, ihr Rezept auszuprobieren. Sie hatte schon öfter spät abends im Wila gearbeitet, wenn alle anderen nach Hause gegangen waren. Manchmal war sie bis weit in die Nacht geblieben. Die Küche hatte keine Fenster und war auch vom Speisesaal aus nicht einzusehen, sodass kein Licht nach draußen auf die Straße fiel.

Erneut hörte sie das Geräusch.

Jetzt war es eindeutig: Die Hintertür wurde geschlossen.

Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Hektisch sah sie sich um auf der Suche nach einem Messer oder irgendeinem Gegenstand, den sie zur Selbstverteidigung benutzen konnte.

Vorsichtshalber griff sie sie zu ihrem Handy und bereitete sich darauf vor, zum Haupteingang im Speisesaal zu laufen, als sie eine Stimme hörte. „Hallo! Ist da jemand?“

Liam tauchte im Türrahmen auf.

„Ich bin’s“, sagte sie. „Jane.“

Liam blinzelte erstaunt.

„Was machst du hier?“, fragte sie. „Du hast mich zu Tode erschreckt.“

„Du hast mich auch erschreckt“, konterte er. Er klang verärgert. „Ich hatte nicht damit gerechnet, jemanden hier anzutreffen. Warum bist du hier?“

Sie spürte Ärger in sich aufsteigen, der die Angst verjagte. Und mit ihr die Anziehungskraft, die sie einen Moment lang gespürt hatte. Mit einem vielsagenden Blick zeigte sie auf den Brotteig auf dem Tisch.

Liam kam näher, und sie konzentrierte sich erneut auf den Teig. Der war jetzt bereit zum Ruhen. Sie rollte ihn zu einem Ball und prüfte die Elastizität, indem sie ihn hochnahm und auf die bemehlte Marmorfläche warf.

„Das nenne ich Arbeitseifer“, meinte er halb amüsiert und halb anerkennend.

Ihr Lachen klang wie ein Schnauben. „Sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte, Chef“, antwortete sie mit zuckersüßer Stimme.

Seine Lippen verzogen sich zu einer Art schiefen Lächelns. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft sah er fast entspannt aus.

Fast.

Sie übergoss den Teig mit Olivenöl, legte ihn in eine Schüssel und bedeckte ihn mit einer Plastikfolie, sodass er gehen konnte.

Liam deutete auf die Schüssel. „Woran arbeitest du?“

„Ein neues Rezept für ein Kräuterbrot, das ich mir kürzlich ausgedacht habe.“

„Erzähl mir mehr darüber.“

„Es ist ein Brot aus einem Bierteig mit Kräutern und Käse. Ich wollte es heute zum ersten Mal backen.“

„Ah, deshalb riecht es hier nach Bier. Ich habe schon befürchtet, dich in den Alkoholismus getrieben zu haben.“

Er sagte es mit unbewegter Miene, aber Jane nahm an, dass er damit seine humorvolle Seite präsentieren wollte.

Dieses Spiel beherrschte sie auch.

„Offenbar hast du das schon.“ Sie nahm die Flasche Bier, die sie für sich aus dem Kühlschrank geholt hatte, schwenkte sie in seine Richtung und setzte sie an die Lippen.

„Was dagegen, wenn ich auch was trinke?“

„Heißt das, du willst eine Weile bleiben?“

„Wenn ich nicht störe.“

„Natürlich nicht. Das ist dein Laden.“ Sie machte ihm ein Zeichen, ihr zu folgen. „Charles hat ein System entwickelt, das es den Angestellten erlaubt, sich Getränke und Essen zu nehmen. Ich zeige dir, wie es funktioniert.“

Vor der Tür zur Speisekammer blieb er stehen, hielt sie mit einer Hand offen und bedeutete ihr einzutreten. Wäre sie nicht von seinen guten Manieren abgelenkt worden, hätte sie ihn daran erinnert, den Türstopper an der richtigen Stelle zu platzieren, damit die Tür nicht hinter ihnen zufiel und sie in der Speisekammer einsperrte. Doch sie war zu irritiert, um daran zu denken.

Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss.

„Nein!“ Jane machte einen Satz zur Tür, aber es war zu spät.

„Mist!“, fluchte Liam. „Ich habe das mit der Tür ganz vergessen. Aber wir kommen doch bestimmt irgendwie hier raus.“ Er suchte nach der Klinke, doch im schummerigen Licht der einzigen Glühbirne musste er feststellen, dass es keine gab.

Er sah auch Janes verdatterten Gesichtsausdruck.

Liam nahm sein Handy aus der Gesäßtasche und knipste die Taschenlampe an, um einen besseren Überblick zu bekommen. An der Stelle, wo die Klinke sitzen sollte, befand sich nur ein vorgebohrtes Loch, durch das Liam den Mechanismus des Schlosses sehen konnte.

Er steckte einen Finger in das Loch und rüttelte an der Tür, aber sie gab keinen Millimeter nach. Dann versuchte er, den Schließmechanismus zu betätigen. Wieder kein Erfolg.

„Vergiss es“, sagte Jane. „Wir kommen hier erst wieder raus, wenn jemand die Tür von der anderen Seite öffnet. Vielleicht sollten wir jemanden anrufen. Charles?“

Liam stieß ein paar Flüche aus. „Das ist doch verrückt. Das ist ein Sicherheitsrisiko. Warum ist die Tür nicht schon längst repariert worden?“

„Stellst du mir diese Frage?“ Janes Stimme klang sarkastisch. „In der Kochschule hatten wir keine Kurse, in denen das Knacken von Türschlössern unterrichtet wurde. Deshalb habe ich dich ja extra darauf hingewiesen, dass du aufpassen musst.“

Er hatte einen langen Arbeitstag hinter sich, aber er war zu unruhig gewesen, um tatenlos zu Hause zu sitzen. Deshalb war er noch einmal ins Restaurant gekommen, wo er die Stille genießen und über ein paar neue Rezepte nachdenken wollte. Natürlich hatte er nicht damit gerechnet, jemanden zu treffen – am allerwenigsten Jane.

Und jetzt waren sie hier gefangen an einem Ort, der alles andere als gemütlich war.

Nicht, dass er mit Jane an einem gemütlichen Ort hätte sein wollen.

Sie trug immer noch ihr Tanktop.

Er zwang sich, nicht darauf zu starren. Stattdessen beschäftigte er sich mit seinem Handy.

Nachdem er die Taschenlampe ausgeschaltet hatte, suchte er Charles’ Nummer in seinen Kontakten. Dass er sich in die Speisekammer eingeschlossen hatte, würde ihm sein neuer Partner ewig unter die Nase reiben, da war er sich sicher. Seufzend drückte er die Tasten.

Liam hielt das Handy ans Ohr und überlegte, was er sagen sollte, während er darauf wartete, dass der Anruf durchging. Aber nichts passierte. Es kam keine Verbindung zustande.

Liam schaute aufs Display. Es war schwarz. Er klopfte darauf. Nichts geschah. Es blieb auch schwarz, als er die Resettaste drückte. Der Akku war leer.

Den ganzen Tag war er so beschäftigt gewesen, dass er keinen Gedanken an sein Telefon verschwendet hatte. Das rächte sich nun.

Erneut stieß er ein paar deftige Flüche aus.

„Was ist los?“, wollte Jane wissen.

Liam hielt sein Handy hoch. „Der Akku ist leer.“

„Machst du Witze?“, fragte sie.

„Hast du dein Handy dabei?“

„Nein. Das steckt in der Ladestation. Na prima. Ist dir klar, dass bis Montag niemand herkommen wird?“

„Daran wollte ich gerade nicht denken.“

„Und das sagt ausgerechnet der Mann, der niemandem eine zweite Chance gibt?“

Er schwieg betroffen. Ihm fehlten die Worte. Sie hatte natürlich recht. Was konnte er entgegnen, da er nun selber im Glashaus saß und den Stein besser in der Hand behielt?

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich. „Das hätte ich nicht sagen sollen. Das war unangebracht.“

„Nein, du hast ja recht. Obwohl du mich ausdrücklich gewarnt hast, habe ich uns jetzt in diese Situation gebracht. Ich werde mir überlegen, wie wir herauskommen. Es muss doch eine Möglichkeit geben.“

Nicht auszudenken, wenn jemand aus dem Team ihn eingesperrt in der Speisekammer finden würde – zusammen mit der Patissière. Das war nun wirklich das Letzte, was er gebrauchen konnte! Das war alles andere als ein guter Neustart.

Noch einmal rüttelte er an der Tür, versuchte noch einmal, den Schließmechanismus mit einem Finger in Gang zu bringen. Aber weder mit dem einen noch dem anderen hatte er Erfolg.

„Lass uns mal eine Minute ganz entspannt darüber nachdenken“, sagte Jane zu seinem Rücken. „Setz dich und trink ein Bier.“

Er drehte sich um. Sie hielt zwei Bier in den Händen. Einen Arm hatte sie ausgestreckt – wie ein Friedensangebot.

Sie war wirklich in Ordnung. Er hatte sie gefeuert, und jetzt saßen sie eingesperrt in der Speisekammer zum ungünstigsten Zeitpunkt, den man sich denken konnte. Und sie bot ihm ein Bier an und blieb ganz gelassen.

Autor

Nancy Robards Thompson
<p>Nancy Robards Thompson, die bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, lebt in Florida. Aber ihre Fantasie lässt sie Reisen in alle Welt unternehmen – z. B. nach Frankreich, wo einige ihrer Romane spielen. Bevor sie anfing zu schreiben, hatte sie verschiedene Jobs beim Fernsehen, in der Modebranche und in der...
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