Bianca Extra Band 107

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KÜSS MICH NOCH EINMAL, KATE von NANCY ROBARDS THOMPSON
Verschlafen blinzelt Kate – und ist plötzlich hellwach. Denn neben ihr im Hotelbett liegt Aidan Quindlin, den sie offenbar letzte Nacht in Las Vegas geheiratet hat! Sie muss diese Ehe sofort annullieren lassen. Denn schon in der Highschool hat Aidan ihr das Herz gebrochen …

… UND EINE PRISE LEIDENSCHAFT von BRENDA HARLEN
Chefkoch Kyle findet die hübsche Kellnerin Erin einfach hinreißend, und eines Abends kocht die Leidenschaft zwischen ihnen hoch. Aber dann muss Erin zu einem Familiennotfall am anderen Ende des Landes. Erst zehn Monate später sieht Kyle sie wieder – mit einem Baby auf dem Arm …

TRÄNEN, TRÄUME – TRAUALTAR? von MARIE FERRARELLA
Harpers letzter Job als Nanny endete in einer mittleren Katastrophe. Jetzt wagt sie es erneut – und verliebt sich auf den ersten Blick in den Vormund ihrer kleinen Schützlinge! Wie soll sie nur ihre Gefühle für Brady Fortune unterdrücken, wenn sie Tag und Nacht mit ihm zusammen ist?

DIE SINGLE-MOM UND DER MILLIONÄR von MELISSA SENATE
Schwanger, arm, aber voller Lebensmut – Mikayla ist entschlossen, in Rust Creek Falls neu zu beginnen. Und zwar ohne Mann. Doch ihr strenger Vorsatz gerät ins Wanken, als ihr ausgerechnet der sexy Millionär Jensen Jones einen verführerischen Vorschlag macht!


  • Erscheinungstag 08.03.2022
  • Bandnummer 107
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507783
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nancy Robards Thompson, Brenda Harlen, Marie Ferrarella, Melissa Senate

BIANCA EXTRA BAND 107

NANCY ROBARDS THOMPSON

Küss mich noch einmal, Kate

Kann er die freiheitsliebende Kate überzeugen, verheiratet zu bleiben? Es muss Aidan gelingen! Denn so spontan ihre Hochzeit in Las Vegas auch war, so richtig fühlt es sich an. Jedenfalls für ihn …

BRENDA HARLEN

… und eine Prise Leidenschaft

Wie soll sie Chefkoch Kyle sagen, dass ihre verboten heiße Begegnung in der Küche süße Folgen hatte? Gar nicht, beschließt Erin. Aber manche kleinen Geheimnisse lassen sich sehr schlecht verbergen …

MARIE FERRARELLA

Tränen, Träume – Traualtar?

Das Ende einer tragischen Nacht: Plötzlich ist Brady der Vormund für die Zwillinge seiner verstorbenen Freunde. Er braucht dringend eine Nanny – und findet die ebenso schöne wie geheimnisvolle Harper …

MELISSA SENATE

Die Single-Mom und der Millionär

Für immer – das ist nichts für Millionär Jensen Jones. Bis er im Diner einer Frau begegnet, die ihn magisch anzieht. Er muss sie haben, um jeden Preis! Als sie aufsteht, sieht er: Sie ist hochschwanger …

1. KAPITEL

Es war eindeutig schlimmer als das doofe Gefühl der Scham am Morgen danach: in einem Bett in Las Vegas aufzuwachen, festzustellen, verheiratet zu sein – und sich nicht daran erinnern zu können, wie es dazu gekommen war.

Mit dem linken Daumen rieb Kate Clark über ihren Ringfinger. Als sie das kühle Metall spürte, das Aidan Quindlin, mit dem sie in der Highschool mal befreundet, mal verfeindet und dann wieder befreundet war, ihr am Abend zuvor vermutlich übergestreift hatte, rollte sie sich wie ein Embryo unter der Bettdecke zusammen. Wenn sie sich nur klein genug machte, würde sie vielleicht auf wundersame Weise verschwinden, ehe Aidan, der tief und fest neben ihr schlief, aufwachte.

Kates gesamte Familie war nach Las Vegas gekommen, um eine Woche lang die Hochzeit ihrer Großmutter Gigi mit ihrer langjährigen Liebe Charles Weathersby zu feiern. Es war eine tolle Party gewesen – mit üppigem Buffet und reichlich Alkohol.

Kate war nicht betrunken gewesen. Sie hatte nur ein paarmal an einem Love Potion No. 9 genippt, den sich das Brautpaar als seinen speziellen Hochzeitscocktail ausgesucht hatte – eine ekelhaft süße Plörre, die nach einer Mixtur aus Grapefruitsaft, Hustenmedizin und Toilettenreiniger geschmeckt hatte. Nicht, dass sie Letzteren jemals probiert hätte – aber sie hatte eine gewisse Vorstellung davon.

Deshalb hatte sie nur zwei Schlucke davon genommen.

Davon konnte man unmöglich betrunken werden.

Es sei denn, das Gesöff hatte einen unfassbar hohen Alkoholanteil. Eher unwahrscheinlich … aber warum konnte sie sich dann kaum an Einzelheiten vom Abend zuvor erinnern?

Kate rollte sich auf den Rücken, öffnete die Augen und blinzelte an die Decke. In ihrem Magen rumorte es, aber sie hatte keine Kopfschmerzen. Vorsichtig schielte sie nach rechts. Aidan lag immer noch neben ihr. Selbst im Schlaf sah er umwerfend aus. Sie kniff die Augen wieder zusammen und versuchte herauszufinden, was sie nur geträumt hatte und was tatsächlich geschehen war. Denn sie hatte ein paar verrückte Träume gehabt mit wahnwitzigen Szenen. In einer von ihnen wurde ihr plötzlich ein Ring an den Finger gesteckt.

Sie erinnerte sich auch an einen schlaksigen Pfarrer, der als Elvis Presley verkleidet war und der, nachdem er feierlich verkündet hatte: „Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau“, eine gefühlvolle Version von „Jailhouse Rock“ anstimmte.

Ebenso erinnerte Kate sich daran, dass sie gesagt hatte, dies sei nicht ihr Hochzeitslied. Daraufhin schnulzte der schlaksige Elvis „Don’t Be Cruel“.

Bestimmt war das ein Teil ihres Traums gewesen. In welcher Kirche würde man so etwas beim Auszug der Brautleute und ihrer Gäste anstimmen? Eine Kirche, wohl gemerkt, die ganz auf Elvis getrimmt war.

Es musste ein Traum gewesen sein, denn sie erinnerte sich auch daran, herumgewirbelt worden zu sein und Aidan gesucht zu haben, der auf einmal auf einem Podium stand und „It’s Now or Never“ sang.

Offenbar war es ihr schlechtes Gewissen gewesen, das ihr „Jetzt oder nie“ eingeflüstert hatte. Und sie wollte Aidan nicht im Regen stehen lassen. So, wie sie es zuvor oft genug getan hatte. Allerdings wollte sie auch nicht verheiratet sein.

Dabei lag es nicht einmal an Aidan, diesem guten, freundlichen und zuverlässigen Menschen.

Sondern es lag ausschließlich an ihr.

Panik kroch in ihr hoch. Warum hatten sie das getan?

Warum? Weil Gigis und Charles überbordende Freude so ansteckend gewesen war. Zumindest daran erinnerte sie sich noch. Wer würde nicht ein wenig sentimental werden, wenn die fünfundachtzigjährige Großmutter endlich mit der Liebe ihres Lebens vereint wurde?

Verschwommen sah Kate tanzende Paare vor ihren geschlossenen Augen vorbeiziehen. Sie tanzten zur Musik von „Love Potion No. 9“, dem Song von den Searchers, der dem Drink seinen Namen gegeben hatte. Ihr schauderte bei der Erinnerung.

Was um alles in der Welt hatten sie in diesen Cocktail gemixt? Was immer es gewesen sein mochte – es hätte mit einem Warnhinweis versehen sein müssen. Dass schon ein paar Schlucke ausreichten, den Verstand zu verlieren.

Und jetzt lag sie hier wach in einem Hotelbett und war verheiratet.

Kate erinnerte sich außerdem daran, dass sie Gigi und Charles lange angeschaut und plötzlich befürchtet hatte, irgendwann ganz allein zu enden. Sie durfte nicht länger davonlaufen. Einen Besseren als Aidan Quindlin würde sie wohl sowieso kaum finden. Deshalb musste sie sich ihm an den Hals geworfen und beschlossen haben: Jetzt mache ich ihm einen Antrag. Und gebe mein Leben dem Schicksal in die Hände. Offenbar hatte er Ja gesagt, und das wiederum bedeutete, dass es keinen Grund gab, an seiner Liebe zu zweifeln.

So musste es gewesen sein.

Daran war jedenfalls nicht zu rütteln.

Ebenso wenig wie an dem Augenblick, als sie und Aidan den Ballsaal verließen. Kate hatte ihn am Ärmel gezogen. Lächelnd hatte er sich zu ihr gedreht. Sein Blick sagte bereits Ja, noch ehe sie die Frage gestellt hatte.

Sie stöhnte innerlich und presste die Arme auf die Augen.

Atme einfach weiter. Und denke logisch.

Es bestand natürlich immer noch die Chance, dass Aidan genauso entsetzt war wie sie, wenn er aufwachte und feststellte, dass er mit ihr verheiratet war.

Sie atmete ein paarmal tief ein und aus und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.

Offenbar gehörte der Elvis mit seinen Schnulzen zu dem wahren Teil ihrer Erinnerungen. Einer musste sie ja schließlich getraut haben. Sie war sich nur nicht sicher, wer es getan hatte.

War diese Verbindung überhaupt rechtlich bindend, wenn sie sich nicht daran erinnern konnte, Ja gesagt zu haben? Wenn ihr immer noch nicht klar war, wie der Rest ihres Lebens verlaufen würde?

Sie setzte sich auf, zog sich das Laken fester um den Oberkörper, lehnte sich gegen das Kopfende des Bettes und zog die Knie an die Brust.

Auf dem Nachttisch neben ihr lag ein kleines weißes Buch, das wie ein Fotoalbum aussah. Sie nahm es zur Hand und öffnete es. Auf der ersten Seite stand eine Art Hochzeitsformel:

Ich (Name), nehme dich (Name) zu meinem Mann/zu meiner Frau in der Gewissheit, dass du für immer mein Lebenspartner sein wirst …

Da kam noch mehr, aber die Buchstaben verschwammen bereits vor ihren Augen. Sie konnte es nicht fassen, dass ihre Namen noch nicht einmal eingetragen waren. Es war so austauschbar.

Sie blätterte um und entdeckte die Heiratsurkunde. Hier standen nicht nur ihre Namen; sie konnte sogar ihre Unterschrift identifizieren – auch wenn sie sich nicht daran erinnerte, sie geleistet zu haben.

Sie klappte das Buch zu. Ihr Magen hob sich, und Panik drohte sie einzuhüllen wie eine feuchte Decke. Sie legte den Kopf auf die Knie und verdrängte den Anflug von Übelkeit. Doch genauso wie der goldene Ehering ihren Finger wie eine Fessel einschnürte, wurde das Gefühl noch beklemmender.

„Guten Morgen, Mrs. Quindlin.“

Beim Klang von Aidans Stimme zuckte sie zusammen. Sie drehte sich zu ihm um. Er stützte sich auf einen Ellbogen und hatte den Kopf in die Hand gelegt. Mit der anderen streichelte er ihr Gesicht und kam näher, um sie zu küssen.

Sie vergötterte seine Lippen. Aber sie wollte nicht mit ihnen verheiratet sein.

„Guten Morgen.“ Mühsam presste sie die Worte hervor.

„Alles in Ordnung mit dir?“, wollte er wissen.

Nein! Es ist überhaupt nichts in Ordnung. Wie kann das in Ordnung sein? Nichts wird jemals wieder in Ordnung sein. Verstehst du das nicht?

Nicht, ehe sie das hier geregelt hatten. Und das konnten sie nur, wenn sie wieder entheiratet wurden. Kate ließ den Blick durch die luxuriöse Suite schweifen. Sie fühlte sich wie ein Tier im Käfig, das unbedingt in die Freiheit wollte.

Wahrscheinlich hatten eine Menge Leute, die sich von diesem schlaksigen Elvis in Las Vegas trauen ließen, am nächsten Morgen einen Hochzeitskater. Das war ja auch kein Wunder. Es musste doch irgendeine Auflösungsklausel geben. Man hatte schließlich neunzig Tage Zeit, um einen Toaster zurückzugeben, der einem nach dem Kauf doch nicht mehr gefiel. Und so etwas Großes wie eine Hochzeit musste doch erst recht mit einer Umtauschgarantie versehen sein.

Das Problem war nur – Aidan schien ihr Entsetzen nicht zu teilen.

Und er hatte sie Mrs. Quindlin genannt. Das fiel ihr jetzt erst auf.

„Sag doch was“, forderte er sie auf. Aidan setzte sich aufrecht hin.

„Aidan – was haben wir getan?“

„Wir haben geheiratet.“ Er schob ihr eine rote Haarsträhne hinters Ohr und fuhr mit dem Finger über ihre Wange.

„Und wie fühlst du dich dabei?“, wollte sie wissen. Vielleicht sagte er ja, dass alles ein Irrtum war. Doch auf seinem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus, und Kates Hoffnungen schmolzen dahin.

„Ich bin glücklich, Kate. Was sonst?“

Eine bedrückende Stille lastete zwischen ihnen.

Er lachte ein wenig unbehaglich. „Vielleicht sollte ich dich fragen, wie du dich fühlst, nachdem du mich geheiratet hast. Das scheint dich ja zu beschäftigen.“

Er lächelte zwar, doch seine Augen blickten wachsam. Er sah so gut aus. Jede Frau würde bei seinem Anblick dahinschmelzen – diese braunen Augen, das verwuschelte braune Haar, das ein bisschen zu lang, aber wahnsinnig sexy war. Jeder musste sie für die glücklichste Frau auf der Welt halten, weil jemand wie Aidan Quindlin sie liebte.

Doch liebte er sie wirklich? Über Liebe hatten sie nie gesprochen. Und sie konnte sich auch nicht erinnern, ob einer von ihnen in der vergangenen Nacht etwas von Liebe gesagt hatte. Aber so etwas würde sie doch bestimmt nicht vergessen?

Jede andere Frau hätte jetzt wilden, leidenschaftlichen Sex mit dem Mann neben ihr und feierte ihre Hochzeit, anstatt auf dem Bett zu sitzen, sich mit dieser Übelkeit herumzuplagen und am Boden zerstört zu sein über diese Wendung, die ihre Beziehung genommen hatte.

„Aidan, wir hätten das nicht tun dürfen.“ Ihre Augen wurden feucht. „Du hast etwas viel Besseres verdient als …“ Sie konnte den Satz nicht beenden.

„Besser als was, Kate? Was kann es Besseres geben, als mit dir verheiratet zu sein?“

„Aber du liebst mich doch gar nicht.“

Erstaunt schaute er sie an. „Warum sagst du das?“

„Weil du nie gesagt hast Ich liebe dich, Kate.“

„Das sind doch nur Worte.“

„Ja. Aber vier große Worte.“

„Ich glaube, ich bin eher ein Mann der Tat als ein Mann der Worte.“

Er klang ein wenig pikiert. Mit verschränkten Armen über der nackten Brust lehnte er sich gegen das Kopfende. Kate umklammerte ihre Knie noch fester. Sie hasste sich dafür, alles vermasselt zu haben, und versuchte zu ignorieren, dass er nicht sagte, dass er sie liebte – selbst nachdem sie es herausgefordert hatte.

Hatte sie es wirklich nötig, sich ihm dermaßen an den Hals zu werfen? Fast schämte sie sich ein wenig dafür.

„Aidan, du hast etwas Besseres verdient als so eine spontane, alkoholselige Hochzeit in Las Vegas.“

Er runzelte die Stirn. „Ich war nicht betrunken. Du etwa?“

„Nein. Ähm … ich habe nur ein bisschen von diesem schrecklichen Cocktail getrunken. Aber ich weiß nicht … die letzte Nacht liegt wie in einem Nebel.“

Er kniff die Augen zusammen. „Willst du mir damit sagen, dass du dich nicht mehr an gestern Abend erinnerst?“

Kate rieb sich über die Augen, als könnte sie damit den Schleier vertreiben, durch den sie alles nur verschwommen sah. „Doch, doch. Zumindest an einiges. Ich glaube, wir haben uns von der Stimmung mitreißen lassen. Dieses Getränk war auch mit daran schuld. Ich glaube, das hat mich umgehauen. Was war da überhaupt drin?“

„Ein bisschen Saft und sehr viel Alkohol.“

„Sehr viel Alkohol? Kein Wunder, dass ich einen solchen Kater habe. Das fühlt sich ja schon an wie eine Alkoholvergiftung. Gut, dass ich nur daran genippt habe. Wahrscheinlich hat es mich deshalb so umgehauen, weil ich ja sonst kaum trinke.“

Die Erinnerung daran ließ sie schaudern.

Aidan legte einen Arm um sie und zog sie näher. Sie spürte die Wärme seines Körpers, atmete an seiner Brust, sog seinen Duft ein – ein Hauch von Aftershave und jener männliche Geruch, der so typisch für ihn war. Einen Moment lang wünschte sie sich, dass sie immer so beisammen sein könnten. Nur sie beide, weit weg von der rauen Alltagswelt. In solchen Augenblicken passten sie wirklich gut zusammen. Kein Stress. Keine Heiratsurkunden.

„Ich hole uns ein wenig Kaffee aufs Zimmer. Du brauchst wahrscheinlich auch etwas Wasser. Dann fühlst du dich wieder besser.“

Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Und wenn du schon mal unten bist – kannst du in einem Aufwasch auch die Eheschließung für ungültig erklären lassen?

„Wie kommt es, dass du den Alkohol so gut verträgst?“, wollte sie wissen. „Ich fühle mich absolut mies. So habe ich mir den Morgen nach meiner Hochzeit nicht vorgestellt. Ehrlich gesagt habe ich ohnehin nie damit gerechnet, jemals zu heiraten. Und jetzt ist es doch passiert.“

Er rieb ihren Rücken, und sie spürte, wie er sich bei ihren Worten ein wenig verkrampfte. Sie wünschte, sie hätte sie für sich behalten. Glücklicherweise hatte sie nicht gesagt, dass sie sich ihre Hochzeit ohnehin ganz anders vorgestellt hätte – falls sie jemals heiraten würde.

„Nun, vielleicht war es doch nicht so viel Alkohol“, sagte er jetzt. „Immerhin war auch viel Eis im Glas; das verwässert ja auch ganz schön. Ich jedenfalls war ganz klar im Kopf, als ich die Heiratsurkunde in Empfang genommen habe. Ich wusste genau, was ich tat. Und du hast auch so ausgesehen, als wäre alles in Ordnung. Sonst hätte ich dir vorgeschlagen, noch ein wenig zu warten. Ich würde dich niemals mit einer Heirat überrumpeln, Kate. Das glaubst du mir doch, oder?“

Sie hob den Kopf in der Hoffnung, dass diese Bewegung die Übelkeit verjagen würde. Keine Chance.

„Hast du mir etwas in meinen Drink getan?“ Es sollte ein Witz sein, aber er ging ziemlich daneben. Aidan runzelte die Stirn und stand auf.

„Selbstverständlich nicht. So etwas würde ich nie tun. Ich würde dich nicht unter Drogen setzen und vor den Altar schleppen. Wofür hältst du mich?“

„Aidan, das sollte ein Witz sein. Abgesehen davon – wenn ich mich recht erinnere, war ich es doch, die dir den Antrag gemacht und dich zum Altar geschleppt hat.“

Über seine Schulter warf er ihr einen Blick zu. Dann fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar und räusperte sich. „Nur fürs Protokoll: Ich bin freiwillig vor den Altar getreten. Sind wir noch mit Elle und Daniel zum Brunch verabredet?“

Stimmt. Das auch noch!

Sie wollten sich mit ihrer Schwester und ihrem Schwager, der zufälligerweise Aidans Bruder war, im Restaurant treffen.

Gigi und Charles waren bereits auf dem Weg nach Paris, wo sie ihre Flitterwochen verbringen wollten. Ihre Mutter Zelda wurde im Forsyth Galloway Inn erwartet, dem Bed & Breakfast, das seit sechs Generationen in Familienbesitz war. Jane, ihre älteste Schwester, war mit ihrem Mann Liam nach New York geflogen – zu einer Veranstaltung in seinem Edelrestaurant La Bula.

Kate und Aidan wollten mit Elle und Daniel am Abend nach Hause fliegen.

Elle, ihre vollkommene Schwester, war die letzte Person, die Kate jetzt sehen wollte. Kate und Aidan hatten noch einiges zu besprechen, ehe sie sich mit anderen Leuten trafen. Was sollten sie ihnen sagen? „Guten Morgen, wir sind verheiratet?“

Sie betrachtete Aidans breiten, braun gebrannten Rücken. Er sah so gut aus, dass sie ihn einfach berühren musste. Doch sobald er ihre Finger spürte, zuckte er zusammen, und ihr wurde noch übler. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, sprang aus dem Bett und eilte ins Badezimmer.

„Alles in Ordnung?“, fragte Aidan durch die geschlossene Badezimmertür. Rauschendes Wasser war die Antwort auf seine Frage. Er öffnete die Tür. Kate hing über dem Waschbecken. Sie hatte den Hotelbademantel übergestreift und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Er trat neben sie und strich ihr die langen roten Locken aus dem Gesicht. Halb rechnete er damit, dass sie ihn auffordern würde zu verschwinden. Ihre Unberechenbarkeit war einer jener Charakterzüge, die ihn immer schon an Kate fasziniert hatten.

Sie drehte den Wasserhahn zu und schaute auf, kreideweiß im Gesicht. Aidan ließ ihre Haare los und stellte einmal mehr fest, dass sie die schönste Frau auf der Welt war – selbst in diesem Moment.

„Alles in Ordnung?“, fragte er noch einmal.

Sie zuckte nur mit den Schultern und sah aus, als würde sie am liebsten sofort wieder ins Bett kriechen.

„Könnte es eine Lebensmittelvergiftung sein?“, wollte er wissen.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe keine Magenkrämpfe. Dabei habe ich nur ein bisschen Alkohol getrunken. Trotzdem ist mir übel. Vielleicht habe ich mir auf dem Flug etwas eingefangen. Oder vielleicht bin ich einfach nur müde.“

Sie war mit ihren Schwestern und ihrer Mutter eine Woche zuvor von Savannah nach Las Vegas geflogen, um alles für die Hochzeit von Gigi und Charles zu organisieren. Durchaus möglich, dass sie auf dem Flug etwas gegessen hatte, was ihr nicht bekommen war. Obwohl er natürlich nicht wollte, dass sie sich schlecht fühlte, war ihm das als Ursache tausend Mal lieber als der Gedanke, dass die Übelkeit damit zu tun hatte, dass sie auf einmal mit ihm verheiratet war.

„Komm, leg dich wieder hin“, schlug er vor. Sie ließ sich von ihm ins Schlafzimmer zurückführen. Er zog ihr den Bademantel aus und deckte sie sorgfältig zu. „Ich lege dir ein feuchtes Tuch auf die Stirn. Das hilft immer, wenn einem schwindelig ist. Und dann besorge ich dir ein paar Tabletten gegen die Übelkeit. Versuch inzwischen, ein wenig zu schlafen. Wenn ich zurückkomme, rufe ich Elle und Daniel an und sage unsere Verabredung ab. Sie haben bestimmt Verständnis dafür.“

Ob sie geschlafen hatte, wusste sie nicht. Vielleicht hatte sie auch nur gedöst. Jedenfalls saß Aidan neben ihr auf dem Bett, als sie die Augen aufschlug. Er hielt ein Glas Wasser in der einen und eine Tablette in der anderen Hand.

Sie nahm einen Schluck Wasser. Das tat gut.

„Seltsam“, sagte sie. „Mir geht es schon besser. Obwohl ich die Tablette noch gar nicht genommen habe.“

„Prima. Dann trink noch mehr Wasser. Die Tablette kannst du später immer noch schlucken.“

Er füllte ihr Glas erneut und reichte es ihr.

„Ich habe Daniel und Elle noch nicht angerufen. Fühlst du dich denn fit für einen Brunch? Oder soll ich doch lieber absagen?“

Plötzlich knurrte Kates Magen, und sie verspürte einen Riesenhunger. Seltsam. Gerade hatte sie sich noch gefühlt, als würde sie eine Grippe bekommen, und jetzt war sie schon wieder fit. Der Gedanke an Essen erschien ihr auf einmal sehr verlockend. Ganz abgesehen davon, dass sie unter anderen Menschen nicht andauernd an die Hochzeit denken musste. Sie brauchte Elle und Daniel ja nicht auf die Nase binden, was am Abend zuvor geschehen war.

„Ich glaube, ich schaffe das“, erwiderte sie. „Aber lass uns noch nichts von der Hochzeit erzählen. Du kennst doch meine Familie. Wenn ich es einem erzähle, sind alle anderen beleidigt, weil sie es nicht zuerst erfahren haben. Außerdem möchte ich Gigi und Charles nicht die Schau stehlen. Das ist ihre Feier. Auch wenn sie jetzt vermutlich schon in Paris sind.“

„Heißt das, du willst es ihnen irgendwann erzählen?“

Kate nahm einen Schluck Wasser, um Zeit zu gewinnen. Aidan sah sie erwartungsvoll an.

„Aidan, wir müssen noch mal darüber nachdenken. Und vor allem reden. Diese Hochzeit würde alles ändern, und ehrlich gesagt …“

Er hob eine Hand, um sie zu unterbrechen. „Du hast recht. Es gibt einiges zu bedenken. Und ich will auch ehrlich sein: Als ich dir eben die Tabletten geholt habe, ist mir einiges klar geworden.“ Kate stellte fest, dass er ganz und gar nicht glücklich wie ein frischgebackener Ehemann aussah, der sie mit einem Kuss geweckt hatte. „Ich muss ja auch an Chloe denken.“

„Himmel, natürlich!“ Kate schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Sie muss es selbstverständlich als Erste erfahren.“

Kate liebte Chloe, Aidans sechsjährige Tochter aus erster Ehe, als wäre sie ihr eigenes Kind. Sie mussten es ihr behutsam beibringen. Wie würde sie auf die Nachricht reagieren?

Nach Aidans Motorradunfall hatte Kate sich hingebungsvoll um Chloe gekümmert. Das hatte sie und Aidan, den sie oft im Krankenhaus besucht und später während seiner Reha begleitet hatte, wieder nähergebracht.

Mit Hochzeiten sollte man nicht spaßen. Natürlich konnte man sie jederzeit annullieren lassen – obwohl sie in der vergangenen Nacht die Ehe mehrmals vollzogen hatten. Und das nicht zum ersten Mal. Schließlich kannten sie sich schon seit mindestens zehn Jahren.

Nachdem Aidan sich einigermaßen von seinem Unfall erholt hatte, hatte er ein paarmal gesagt, Sex mit Kate sei die beste Therapie für ihn gewesen und dafür verantwortlich, dass er so schnell genesen war. Und Kate hatte ihn nur allzu gern dabei unterstützt.

Wenn sie sich jetzt wieder scheiden oder die Ehe annullieren ließen, würde ihre Beziehung beträchtlichen Schaden nehmen. Dessen war Kate sich sicher. Ganz zu schweigen davon, dass Chloe darunter leiden würde. Natürlich hatten sie noch nicht darüber gesprochen – wie auch und wann? –, aber Kate spürte es instinktiv. Unter Umständen bedeutete es sogar das Ende ihrer Freundschaft.

Einen Moment lang überlegte Kate, wie es wohl wäre, wenn sie einfach verheiratet blieben. Immerhin hatten sie im vergangenen Jahr schon sehr viel Zeit miteinander verbracht; so ungewohnt würde die Situation also für keinen der drei sein. Sie hatten zwar weiter in ihren Wohnungen gelebt, und ihm war es wichtig gewesen, dass Chloe sie für Freunde und nicht für ein Liebespaar hielt. Kate konnte sich nicht vorstellen, wie das kleine Mädchen reagieren würde, wenn sie plötzlich in die Zweierbeziehung von Vater und Tochter hineinplatzte.

Es bedeutete auch, dass einer von ihnen sein Haus aufgeben müsste, damit sie zusammenleben konnten. Dieses Szenario lief gerade wie im Zeitraffer vor ihrem inneren Auge ab.

Plötzlich fiel es ihr schwer zu atmen.

„Lass uns erst zu Hause darüber reden, okay?“, schlug Aidan vor. „Und da wir heute vermutlich erst ziemlich spät ankommen werden, sollten wir vielleicht einfach noch einmal darüber schlafen und alles Weitere morgen besprechen.“

Aidan hatte recht. Sie würden erst spät in Savannah eintreffen. Morgen war auch noch ein Tag. Und jetzt war es das Beste, Elle und Daniel zu treffen und so zu tun, als wäre nichts passiert.

2. KAPITEL

„Ich habe noch nie eine schönere Braut gesehen“, schwärmte Elle. „Gigi sah umwerfend aus. Und Charles ebenfalls.“

Elle trug ein rosafarbenes Sommerkleid und hatte ihr langes blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Verträumt nippte sie an ihrem Mimosa-Cocktail, während die anderen die Speisekarte studierten.

Bei deren Lektüre drehte sich Kate der Magen um. Sie klappte die Karte zu und schob sie beiseite.

„Ja, sie war wirklich wundervoll“, stimmte sie zu. „Sie sahen so glücklich aus. Ich bin froh, dass alles so gut gelaufen ist. Vor allem wenn man bedenkt, wie kurzfristig das alles geplant war.“

„Stimmt. Aber bei der dritten Hochzeit innerhalb von weniger als drei Jahren haben wir ja schließlich Übung darin“, entgegnete Elle. „Was nimmst du denn zum Frühstück? Ich kann mich nicht entscheiden.“

„Ich nehme nur einen Toast“, antwortete Kate. „Ich bin nicht besonders hungrig.“

„Alles in Ordnung mit dir?“, wollte ihre Schwester wissen. „Du bist heute Morgen so anders.“

Kate machte eine vage Handbewegung. „Du weißt, dass ich nie die große Frühstückerin war.“

„Ich sterbe vor Hunger. Ich kann mich nicht zwischen French Toast und einem traditionellen Frühstück entscheiden. Am liebsten würde ich beides bestellen.“

„Tu es doch und iss, was dir davon gefällt“, schlug Daniel vor. „Oder Kate bestellt das eine und du das andere, und ihr teilt.“

„Nein, nein, ein Toast reicht mir.“ Kate nahm einen Schluck Tee und wechselte sicherheitshalber das Thema. „Ich bin so froh, dass Gigi und Charles endlich die Gelegenheit ergriffen haben, ihr Leben gemeinsam zu verbringen. Sie haben wirklich ein Happy End verdient.“

Elle schaute auf ihre Uhr. „Inzwischen müssten sie in Paris gelandet sein. Daniel, eines Tages möchte ich auch mal nach Paris. Wir sollten uns jetzt schon um einen Termin kümmern. Du weißt doch, was man immer so sagt: Aufgeschoben ist meist aufgehoben. Und dein Leben lang sagst du dann: „Eines Tages fahre ich nach Paris.“

Daniel legte seinen Arm um Elle. „Von mir aus gern. Aber wir müssen auch an Maggie denken. Ich weiß nicht, ob ihr der Eiffelturm in diesem Alter so viel Spaß macht.“

Elle seufzte. „Ja, du hast wahrscheinlich recht. Aber glaub bloß nicht, dass ich lockerlasse.“

Sie warf ihrem gut aussehenden Mann ein Lächeln zu, und er beugte sich zu ihr, um sie zu küssen. Ihr Verhalten machte Kate einmal mehr bewusst, wie zurückhaltend sie und Aidan sich benahmen. Er studierte immer noch die Speisekarte, und sie saß mit verschränkten Armen neben ihm. Doch den anderen fiel das überhaupt nicht auf.

Kate seufzte. Bei Elle und Daniel war es nicht Liebe auf den ersten Blick gewesen, im Gegenteil. Elle hatte ihn zunächst überhaupt nicht ausstehen können, weil sie glaubte, er habe ihren Verlobten ermutigt, sie nicht zu heiraten. Doch das hatte sich als großer Irrtum herausgestellt. Und danach war alles ganz schnell gegangen.

Die beiden verband eine große Liebesgeschichte. Was man von Aidan und Kate nicht gerade behaupten konnte. Seit der Schulzeit war ihre Beziehung eine Achterbahn der Gefühle gewesen. Aidan hatte Veronica geheiratet, aber der Ehe war keine lange Dauer beschieden. Kurz nach der Geburt ihrer Tochter Chloe hatte seine Frau ihn und ihre Tochter sitzen lassen.

Und jetzt war Kate Aidans Frau.

Das Herz wurde ihr schwer, als sie sich vorstellte, dass ihre Ehe genauso enden könnte. Sie warf ihm einen Blick zu und stellte fest, dass er sie aufmerksam betrachtete. Rasch schaute sie in eine andere Richtung und tat so, als bewundere sie die üppige Einrichtung des luxuriösen Restaurants.

Aidan hatte etwas Besseres verdient, als sie ihm zu geben imstande war. Er und Chloe. Das kleine Mädchen wusste nicht einmal, dass die beiden was miteinander hatten. Nicht, dass sechsjährigen Mädchen Beziehungen zwischen Erwachsenen überhaupt etwas bedeuteten. Kate war einfach immer da gewesen. Sie hatten Chloe erzählt, dass sie Freunde waren. Ob sie es als seltsam empfinden würde, wenn sie als Ehepaar aus Las Vegas zurückkehrten?

Kate schüttelte den Kopf. Nein, das würde nicht passieren. Sobald sie wieder zu Hause waren, würden sie sich um eine Annullierung der Ehe kümmern. Bis dahin konnte sie sich ja allmählich von Aidan entwöhnen.

Nun ja, einen Haken hatte die Sache schon: Ihre Schwester Elle war mit Aidans Bruder verheiratet. Also war Elle auch Chloes Tante. Und damit gehörte Aidan auch irgendwie zur Familie und würde bei allen Feiern dabei sein. Und das wiederum bedeutete, dass sie Aidan immer wieder begegnen würde.

Konnte diese Geschichte wirklich noch unangenehmer werden, als sie bereits war?

Der Kellner kam, um ihre Bestellung entgegenzunehmen.

Als Kate um Toast und noch mehr Tee bat, beugte Aidan sich zu ihr. „Es tut mir leid, dass du dich immer noch nicht gut fühlst. Wir können eine Lunchbox bestellen – für später.“

„Ist er nicht ein Schatz, Kate?“, gurrte ihre Schwester.

Kate hatte gar nicht bemerkt, dass Elle sie beobachtete.

„Jetzt, da Jane und ich verheiratet sind, wird Gigi sich wahrscheinlich auf euch stürzen“, fuhr sie fort. „Passt bloß auf.“

Kate und Aidan lachten. Kate fragte sich, ob es für Elle und Daniel genauso nervös klang wie für sie selbst.

„Hat die Hochzeit euch nicht inspiriert?“, neckte Elle sie.

„Lass das, Elle“, antwortete Kate. Sie vermied es, in Aidans Richtung zu schauen.

„Schatz, lass die beiden in Ruhe“, schaltete Daniel sich ein. „Ich weiß, dass du alle Menschen glücklich sehen möchtest. Aber wenn es bei den beiden so weit ist, wirst du bestimmt die Erste sein, die es erfährt, nicht wahr?“

Kate blieben die Worte im Hals stecken. Sie brachte nur ein merkwürdiges Krächzen zustande.

Doch Elle ließ sich nicht beirren. „Aidan, da meine Schwester unmöglich ist, muss ich mit dir reden. Wenn irgendjemand sie zähmen kann, dann bist du das. Es ist doch offensichtlich, dass ihr zwei verliebt seid. Warum tut ihr es nicht einfach? Warum packt ihr den Stier nicht bei den Hörnern?“

Niemand sagte etwas. Also ergriff Elle erneut das Wort. „Wie spät ist es?“ Sie schaute auf ihr Handy. „Noch nicht einmal Mittag. Gehen wir doch zu einer von diesen süßen kleinen Hochzeitskapellen, und ihr zwei macht Nägel mit Köpfen.“

Kate wusste nicht, ob es der Vorschlag ihrer Schwester oder der Essensgeruch war, der vom Nachbartisch herüberwehte. Auf einmal konnte sie nicht länger sitzen bleiben.

„Ich … ich muss an die frische Luft“, stieß sie mühsam hervor, sprang auf und eilte zum Ausgang.

Am nächsten Morgen stand Kate im Schlafzimmer vor ihrer Frisierkommode und hielt den Ehering zwischen den Fingern. Er glitzerte im Sonnenlicht, das durch das Fenster hineinfiel.

Sie drehte den Ring hin und her, während sie ihn anstarrte. Nach einer ruhigen Nacht im eigenen Bett konnte sie immer noch nicht begreifen, was genau zu ihrer Hochzeit geführt hatte.

Die Erinnerungen an jenen Abend verschwammen immer mehr. Sie hatte mit Aidan getanzt und wahrscheinlich auch ein paar Freudentränen über Gigis und Charles Hochzeit vergossen. Zusammen mit Aidan hatte sie den Ring mit dem Diamanten ausgewählt, auch das wusste sie noch. Er hatte darauf bestanden, dass sie sich für diesen entschied. Lumpen ließ er sich jedenfalls nicht. Doch der Rest war wie unscharfe Bilder aus einem vor langer Zeit gesehenen Film, in dem ein Schauspieler und eine Schauspielerin einen Ring aussuchten und von einer Elvis-Imitation getraut wurden.

Wenn es nicht so herzzerreißend gewesen wäre, hätte sie darüber lachen können. Das alles war so absurd. Seufzend steckte sie den Ring zurück in die Schachtel, die sie dann in ihrer Schmuckschatulle verstaute. Dabei hatte sie das Gefühl, die Büchse der Pandora wegzuschließen. Denn genau das war sie, wenn ihre Familie Wind davon bekommen würde – der Anfang einer Menge von Problemen.

Natürlich würden sie ihr raten, verheiratet zu bleiben. Alle mochten Aidan. Und sie würden nicht verstehen, dass sie es für einen kolossalen Fehler hielt.

Auf dem Rückflug am vorherigen Abend war Aidan eher zurückhaltend gewesen. Nach der Landung hatte er sich, ganz Kavalier, um ihr Gepäck gekümmert und sich mit ihr die ganze Zeit unterhalten. Und dennoch glaubte Kate eine gewisse Distanziertheit zu spüren. Während der Fahrt hatten sie vereinbart, sich am nächsten Tag zu treffen, um über das Schicksal ihrer Ehe zu reden. Und vor ihrer Haustür hatte er sich mit einem schon fast platonischen Kuss von ihr verabschiedet.

Als sie später an sein zurückhaltendes Benehmen dachte, wurde Kate ganz nervös. Wie sollte es nun mit ihnen weitergehen? War sie wirklich bereit für eine Ehe – eine Entscheidung, über die man normalerweise lange, vielleicht sogar sehr lange nachdachte, ehe man zu einem Entschluss kam? Sie dagegen hatte überhaupt nicht nachgedacht. Sie war ins Bett gegangen, und als sie wieder aufwachte, hatte sie einen Ring am Finger.

Das Klingeln ihres Handys ließ sie zusammenzucken. Ein Foto ihrer Schwester Elle erschien auf dem Display. Sie wollten sich zum Tee im Forsyth Inn treffen. Zusammen mit Zelda, ihrer Mutter, wollten sie über eine Willkommensparty für Gigi und Charles sprechen.

Mit einem Blick auf die Uhr stellte Kate fest, dass sie spät dran war. Statt den Anruf entgegenzunehmen, schickte sie eine Nachricht:

Bin unterwegs und gleich bei euch.

Kritisch musterte sie sich im Spiegel. Sie sah gestresst aus. Sie fühlte sich auch so – und viel älter als ihre sechsundzwanzig Jahre. Sie war kaum achtundvierzig Stunden mit Aidan verheiratet, und die Flitterwochen waren schon vorbei.

Zugegeben, das war nicht fair. Von Flitterwochen konnte keine Rede sein. Dafür hatten sie schließlich gar keine Zeit gehabt.

Sie musste sich allerdings auch eingestehen, dass sie für eine Heirat nicht bereit war. Sie hatte sich an ihr freies Leben gewöhnt. Wenn ihr danach war, am Wochenende irgendwohin zu fliegen, dann tat sie es. Wenn ihr Kühlschrank leer war – kein Problem. Sie war Single, sie konnte ausgehen, sich etwas zu essen bestellen – oder vielleicht sogar gar nichts essen. Und wenn sie Appetit auf eine Packung Schokoladeneis hatte, dann wäre das eben ihre Mahlzeit.

Sie war niemandem gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet.

Und sie hatte sich ihre Freiheiten sehr wohl verdient. Unter der Woche arbeitete sie von morgens bis abends in dem Friseursalon, dessen Leiterin sie war und in dem sie täglich zahlreiche Stammkundinnen begrüßen konnte. Sie war zwar nicht reich, verdiente aber immerhin so viel Geld, um sich ein eigenes Haus leisten zu können. Und am Ende des Monats blieb immer noch genug übrig, um in ihrer Freizeit auf Reisen zu gehen.

Wirklich frei war sie allerdings nicht, wie sie sich beim Verlassen des Hauses eingestehen musste. Ihre Beziehung zu Aidan war auch schon vor der Hochzeit ziemlich eng gewesen – und ebenso die zu seiner reizenden Tochter Chloe.

Bis jetzt hatte sie sich allerdings nicht an Aidan gefesselt gefühlt. Tatsächlich hatte ihr die Beziehung sehr gut gefallen. Auch wenn natürlich nicht immer alles eitel Sonnenschein gewesen war …

Als sie das Forsyth Inn erreichte, hatte sie sich so weit gesammelt, dass sie in der Lage war, sich das Gefühlschaos in ihrem Inneren nicht anmerken zu lassen. Nicht jetzt. Und nicht vor Elle und ihrer Mutter. Sie parkte ihren alten roten Thunderbird vor der Küchentür. Das B&B auf der Whitaker Street befand sich seit mehr als hundertfünfzig Jahren im Familienbesitz.

Kate und ihre Schwestern waren in dem gelb getünchten viktorianischen Herrenhaus mit den schmiedeeisernen Balkongittern und den knarzenden Mahagonifußböden aufgewachsen. Alle drei hatten ihre eigenen Träume von einem erfolgreichen Berufsleben verwirklicht, aber sie kehrten immer wieder gerne nach Hause zurück.

Während Kate das imposante Gebäude betrachtete, kam sie sich plötzlich wie eine Ausbrecherin vor. Mit ihrer Familie hatte sie zahllose Stunden in der Küche verbracht und endlose Gespräche über Gott und die Welt geführt. Heute jedoch konnte Kate sich keinen Rat von den Frauen geben lassen, denen sie am meisten vertraute.

Sie konnte ihnen nicht erzählen, dass sie verheiratet war. Und wenn sie sich auch bemühte, sie liebte Aidan nicht so sehr, wie sie es gerne getan hätte – jedenfalls nicht so, wie ihre Schwestern ihre Ehemänner liebten. Sie konnte ihn nicht lieben, wie es eine Ehefrau tun sollte. Nicht so, wie er es verdiente, geliebt zu werden. Und zwar für den Rest seines Lebens.

War diese fehlende Liebe vielleicht auch eine Art Selbstschutz? Er hatte ihr nie gesagt, dass er sie liebte. Stattdessen hatte er stets behauptet, die drei Worte seien so wohlfeil und abgedroschen, weil fast alle sie von sich gaben, wenn sie heiraten wollten.

Doch in einer lieblosen Ehe wollte sie den Rest ihres Lebens auf keinen Fall verbringen. Bei dieser Vorstellung spürte sie einen Kloß im Hals.

Sie wünschte sich, dass sie einander lieben würden. Warum konnten sie das nicht? Sie mochte ihn so sehr. Aber das reichte vermutlich nicht aus. Wenn diese Hochzeit zur Unzeit nicht passiert wäre, hätten sie sich vermutlich ohnehin irgendwann getrennt. Tränen traten ihr in die Augen – Tränen der Wut und der Enttäuschung. Wie hatte sie nur so dumm sein und so etwas geschehen lassen können? Und Tränen des Mitleids, weil sie Aidan nicht verletzen wollte.

Eine Minute lang ließ sie diesen Tränen freien Lauf.

Dann schnäuzte sie sich und richtete ihr Make-up.

Um noch ein wenig Zeit zu gewinnen, benutzte sie nicht den Kücheneingang, sondern ging um das Haus herum, stieg die Stufen zur Veranda hinauf und schloss die Tür auf. Ein paar Gäste standen in der Lobby. Sie zwang sich ein freundliches Lächeln ins Gesicht. Mit dem Forsyth Inn hatte Kate nicht so viel zu tun wie ihre Schwestern. Elle, die als Grundschullehrerin gearbeitet und ihren Job verloren hatte, bot Malkurse an und machte Stadtführungen mit dem Schwerpunkt auf Kunst und Kultur. Die Besichtigungen sowie die Malkurse waren ihre Idee gewesen, und sie hatten sich als ausgesprochen erfolgreich entpuppt. Vermutlich warteten diese Männer und Frauen auf Elle und eine weitere Führung.

Jane, ihre andere Schwester, kümmerte sich als Patissière um den Teesalon im Haus, den sie im vergangenen Frühjahr eröffnet hatten. Auf diese Weise war es Zelda und Gigi gelungen, zwei ihrer Töchter beziehungsweise Enkelinnen in den Familienbetrieb zurückzuholen. Für Kate hatte Zelda ebenfalls einen Plan: Sie wollte einen Wellnessbereich einrichten, den Kate führen sollte. Wenn dann alle drei Töchter wieder bei ihr waren und mit ihr unter einem Dach zusammenarbeiteten, hätte sie ihr Ziel erreicht.

Das Problem war nur: Kate leitete bereits einen sehr gut gehenden Friseursalon. Mit dieser Aufgabe war sie mehr als ausgelastet. Etwas anderes wollte sie gar nicht, zumal sie gut damit verdiente. Außerdem genoss sie ihre Unabhängigkeit. Sie konnte sich ihre Zeit einteilen und musste niemandem Rechenschaft ablegen.

Zelda dagegen ließ nicht locker, wenn es darum ging, Kate für ihre Idee zu gewinnen. Dieses Spa bedeutete ihr so viel. Kate hatte auch schon darüber nachgedacht. Einige Kundinnen würde sie im Haus bedienen können; für den Salon würde sie noch ein paar Mitarbeiterinnen einstellen. Und für den Wellnessbereich bräuchte sie Masseure, Kosmetikerinnen, Fußpflegerinnen und was immer die Kunden und Kundinnen in einem Spa erwarteten.

Dabei hatten sie noch nicht einmal über die Kosten geredet. Bisher hatte Kate es noch nicht übers Herz gebracht, ihre Mutter aus ihren schönen Träumen zu reißen und sie mit den harten Tatsachen zu konfrontieren.

Ganz abgesehen davon war Kate der Gedanke, sich so fest an das Forsyth Inn zu binden, genauso unangenehm wie der Gedanken an eine Ehe.

Was zum Teufel war nur los mit ihr?

Sie hielt kurz inne und schaute sich um. Wie oft hatte sie das Haus schon betreten, normalerweise immer in Eile? Jetzt wurde ihr klar, dass sie sich schon lange nicht mehr Zeit genommen hatte, um sich wirklich umzuschauen.

Was sie sah, war altvertraut – und trotzdem erschien es ihr wie neu. Ein riesiger Schirmständer stand neben der Eingangstür; das Ticken einer alten Standuhr schallte aus einer Ecke herüber. Überall stand Nippes auf Kaminsimsen und in Regalen – ein Miniatureiffelturm, eine Ballerina in einem langen Kleid, Teetassen und Teekannen, künstliche Blumen, Bilder, die Elle gemalt hatte, und einige historische Ansichten von Savannah.

„Hallo! Arbeiten Sie hier?“ Die Stimme kam von hinten.

Nein, ich arbeite nicht hier, aber …

Die Worte lagen ihr auf der Zunge, doch ehe sie sie aussprach, drehte sie sich um. Vor ihr stand ein Mann mit einem riesigen Blumenstrauß aus weißen und rosafarbenen Rosen, Pfingstrosen und Ranunkeln.

Sie liebte Blumen.

Wenn Geld keine Rolle spielte, hätte sie in jedem Zimmer ihres Hauses eine Vase mit frischen Blumen stehen. Ein schöneres Geschenk konnte man sich selbst nicht machen.

Noch schöner waren sie nur, wenn sie als Präsent daherkamen. Von einem Mann.

Ob sie wohl von Aidan waren?

Bei dem Gedanken schlug ihr Herz prompt schneller. Was für eine romantische Geste!

Doch sofort sagte sie sich, dass die schönsten Blumen keine Garantie für eine funktionierende Ehe waren.

„Irgendwie schon“, beantwortete sie die Frage des Botenjungen. „Meiner Familie gehört das Hotel. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Der Mann drehte den Blumenstrauß um und schaute auf die Karte, die mit einer Plastikklammer befestigt war.

„Die sind für Zelda Clark. Wohnt sie hier?“

Blumen für meine Mutter? Von wem?

Wer schickte ihrer Mutter einen so üppigen Strauß?

Ein wenig zu üppig für einen Lieferanten, der auf gute Geschäfte mit ihr hoffte, oder für einen Gast, der sich für den Aufenthalt im Hotel bedanken wollte.

Kate räusperte sich und schluckte die Enttäuschung hinunter, dass Aidan sie ihr nicht geschickt hatte, aber wie hätte er auch wissen sollen, dass sie sich gerade hier aufhielt? Er hätte sie eher in den Friseursalon liefern lassen.

Der Mann hielt Kate einen Empfangszettel unter die Nase. Nachdem sie unterschrieben hatte, drückte er ihr die Blumen in die Hand.

Rosenduft hüllte sie auf dem Weg in die Küche ein. Als sie die Flügeltüren aufstieß, war sie bereit für die Inquisition. Ihre Mutter saß mit Elle am Tisch. Sie tranken Tee und, ihrem Kichern nach zu urteilen, amüsierten sich prächtig. Sofort drehten sie den Kopf in Kates Richtung.

„Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen“, juxte Ellen.

„Wo kommen die denn her?“, wollte Zelda wissen.

„Genau das habe ich mich auch gefragt, Mom.“ Kate legte den Strauß vor ihre Mutter auf den Tisch. „Die sind für dich.“

Elles Mund formte sich zu einem O. „Wer schickt dir denn Blumen, Mom? Die sind ja herrlich.“

Verwirrt zupfte Zelda den Umschlag von der Folie und zog die Lasche heraus. Beim Lesen verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln. Die Blumen waren garantiert nicht von einem Lieferanten.

Schließlich schob sie die Karte in den Umschlag zurück, verschränkte die Finger und legte die Hände auf den Brief, als ob sie ihn unsichtbar machen wollte.

„Wo waren wir?“, fragte sie.

Elle und Kate warfen sich einen Blick zu, ehe sie wieder ihre Mutter anschauten.

„Hallo?“, sagte Kate. „Du kannst doch nicht so tun, als sei nichts passiert. Wer hat dir die Blumen geschickt, Mom?“

„Ein Freund“, antwortete Zelda ausweichend und noch immer lächelnd. Der sehnsüchtige Blick in ihren Augen ließ keinen Zweifel daran, dass sie mit ihren Gedanken ganz woanders war.

„Keiner meiner Freunde hat mir jemals einen solchen Blumenstrauß geschenkt“, bemerkte Elle. „Deine?“

Kate schüttelte den Kopf. „Und ich kann mich auch an keinen Freund von mir erinnern, der jemals für einen solchen Ausdruck in meinem Gesicht gesorgt hat.“

Das schien Zelda aus ihren Träumen zu reißen. „Ich habe keine Ahnung, wovon ihr redet. Die Blumen sind fantastisch. Ich habe sie nur bewundert.“

Stumm betrachtete Kate ihre Mutter, der sie kein Wort glaubte. Ihre Miene strafte ihre Sätze nämlich Lügen. Jedes Mal, wenn sie die Karte las, wurde ihr Blick verträumt. Und dann schnupperte sie erneut an den Blumen, die ihr der geheimnisvolle Verehrer geschickt hatte.

Unvermittelt wurde Kate klar: So muss wahre Liebe aussehen, wenn sie solche Reaktionen hervorruft. Und deshalb war ihre überstürzte Heirat mit Aidan eine schlechte Idee gewesen.

Zwar konnten Aidan und sie wunderbar miteinander, und auch im Bett klappte es immer ausgezeichnet. Aber da war kein Zauber zwischen ihnen. Oder zumindest nicht jene Art von Zauber, den ihre Mutter gerade zu erleben schien. Kate wusste natürlich, dass in einer Beziehung nicht ständig ein Feuerwerk gezündet wurde. Das gab es nur zu Beginn einer Romanze, und mit der Zeit wurde es immer weniger. Doch selbst am Anfang ihrer Beziehung sprühten bei ihnen keine Funken, und auch diese besondere Chemie war nirgendwo zu spüren. Wie sollte es dann erst werden, wenn die Flitterwochen vorbei waren?

Für Kate bestand kein Zweifel daran, dass sie ihre Ehe annullieren lassen mussten. Und zwar je früher, desto besser.

Wenn Aidan an diesem Abend zu ihr kam, würde sie ihm ihren Entschluss mitteilen.

„Ihr zwei habt doch noch bestimmt eine Menge zu tun“, sagte Zelda nun. „Wollen wir nicht über die Willkommensparty für Gigi und Charles sprechen? Lass uns endlich einen Plan schmieden und schauen, was jeder dazu beitragen kann. Einverstanden?“

„Einverstanden“, sagte Kate.

Elle griff zu einem Kugelschreiber. „Als Erstes müssen wir eine Gästeliste zusammenstellen. Dann reden wir über die Dekoration, Speisen und Getränke. Und wir müssen dafür sorgen, dass es auch wirklich eine Überraschungsparty wird“, fügte sie hinzu. „Ich werde Daniel bitten, die beiden vom Flughafen abzuholen.“

Sie schrieb seinen Namen auf die Liste.

„Jane und Liam sollten sich um das Essen kümmern“, schlug sie vor, während sie weiterschrieb. „Willst du dich mit Aidan um die Dekoration kümmern?“

Wenn sie dann überhaupt noch miteinander redeten! Die Annullierung ihrer Ehe konnte ihre Beziehung oder auch ihre Freundschaft nämlich nachhaltig beschädigen.

„Ich fürchte, Aidan hat im Moment eine Menge zu tun“, erwiderte Kate. „Wollen wir beide uns nicht um die Dekoration kümmern?“

Zu ihrer Erleichterung stimmte Elle sofort begeistert zu. „Aber gern. Bleiben nur noch die Gästeliste und die Einladungen. Das klingt doch nach einer Aufgabe wie für dich gemacht, Mom. Hättest du Lust?“

„Klar. Gigis Adressbuch liegt in ihrem Büro. Ich schau es durch und suche ihre engsten Freunde raus. Die Party soll doch klein und überschaubar bleiben, oder?“

Während Elle und ihre Mom über die ideale Anzahl von Gästen diskutierten, dachte Kate darüber nach, wie sie Aidan die Situation erklären konnte.

Egal was sie beide beschließen würden – sie müssten das Spiel noch eine Weile weiterspielen, um die Party von Gigi und Charles nicht zu ruinieren. Wenn sie beide ihre Rollen perfekt beherrschten, würde niemand etwas von dem riesigen Fehler bemerken, den sie in Las Vegas begangen hatten.

3. KAPITEL

„Bist du so weit?“, fragte Aidan, nachdem Kate sich aus seiner etwas linkischen Umarmung zur Begrüßung befreit hatte. Er hatte geahnt, dass es kein leichter Abend werden würde. Wie sollte er auch – wenn sie über ihre Hochzeit beziehungsweise deren Annullierung reden wollten?

Im Stillen hatte er gehofft, dass Kate ihre Meinung geändert hatte. Ihrer Reaktion nach zu urteilen war das jedoch nicht der Fall. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Er würde jedenfalls alles tun, um die Lage, in die sie beide sich gebracht hatten, so normal wie möglich erscheinen zu lassen. Und wenn es sein musste, würde er es eben allein hinkriegen.

Sie war es nämlich wert.

„Ich dachte, wir gehen zum Essen ins Hitch. Hast du Lust dazu?“

Er wusste, wie sehr Kate das plüschige Lokal in der Drayton Street liebte. Seit sie ein Paar waren, war es zu ihrem Lieblingsrestaurant geworden. An diesem Abend wäre es neutrales Terrain, auf dem sie alles ausdiskutieren konnten. Und dennoch war es ein Ort, der für sie als Paar eine symbolische Bedeutung hatte.

Vielleicht würde er sie daran erinnern, dass sie trotz aller Höhen und Tiefen in ihrer Beziehung gut zusammenpassten. Schließlich hatten sie allen Problemen zum Trotz immer wieder zusammengefunden. War das nicht die Hauptsache? Am Ende konnten sie es nicht ertragen, voneinander getrennt zu sein.

„Ich bin nicht hungrig, Aidan“, entgegnete sie. Ihre roten Locken fielen ihr über die Schultern. Ihre elfenbeinfarbene Haut war blasser als sonst. Oder lag das nur an dem schwarzen Pullover? Aber auch ihren wunderschönen seegrünen Augen fehlte das übliche Funkeln. Also lag es nicht am Gegensatz von Elfenbeinfarben und Schwarz.

„Wenn du nichts dagegen hast“, fuhr sie fort, „möchte ich nirgendwohin gehen.“

Bei seiner Ankunft hatte er ziemlichen Hunger gehabt. Aber nun war ihm der Appetit gründlich vergangen. „Geht es dir immer noch nicht gut?“, erkundigte er sich, während er ihr ins Wohnzimmer ihres Bungalows folgte.

Sie drehte sich zu ihm um, verschränkte die Arme und blieb ernst. „Das ist nicht der Grund. Es fällt mir nicht leicht, es dir zu sagen. Ich will nicht lange drum herumreden. Den ganzen Tag habe ich heute über unsere Situation nachgedacht. Und mir ist immer nur eine einzige Lösung für unser Problem eingefallen: Wir müssen unsere Ehe für ungültig erklären lassen.“

Sein Herz rutschte ihm in die Hose. Doch er schaffte es, sein Pokerface aufrechtzuerhalten.

„Können wir nicht in Ruhe darüber reden, Kate?“, bat er. „Ich weiß, dass du zu einem Entschluss gekommen bist. Aber habe ich nicht auch ein Wörtchen mitzureden? Es geht ja schließlich auch um meine Zukunft.“

„Natürlich hast du das, Aidan, aber ich glaube nicht, dass es noch allzu viel zu sagen gibt. Weißt du nicht mehr – das letzte Mal, als wir uns übers Heiraten unterhielten, sind wir beide übereingekommen, dass wir nicht dafür geeignet sind.“

Diese Worte trafen ihn wie ein Boxhieb in die Magengrube. Denn so war ihr Gespräch ganz und gar nicht verlaufen. Sie hatte ihm erzählt, dass die Ehe nichts für sie sei. Und dass die Vorstellung, ein Leben lang an einen Menschen gebunden zu sein, sie zu Tode erschreckte. Er hatte ihr zwar zugehört, aber nicht zugestimmt. Obwohl seine erste Ehe ein Fehler gewesen war, sollte ihn diese Erfahrung nicht daran hindern, doch noch die Richtige zu finden, um sein Leben mit ihr zu teilen.

Und mehr denn je war er zu der Überzeugung gelangt, dass Kate die Richtige war.

„Nein. Als wir uns das letzte Mal übers Heiraten unterhalten haben, waren wir auf einmal verheiratet“, entgegnete er. „Selbst wenn du dich nicht mehr daran erinnern solltest: Du warst diejenige, die mir einen Antrag gemacht hat. Nachdem Gigi und Charles geheiratet hatten, hast du beschlossen, dass wir endlich Nägel mit Köpfen machen sollten. Wir sollten mit dem ewigen Nachdenken aufhören und es einfach tun, denn ich sei die Liebe deines Lebens. Das hast du mir jedenfalls gesagt. Und dass du nicht warten willst, bis du fünfundachtzig bist wie Charles und Gigi, ehe wir ein gemeinsames Leben beginnen.“

Das stimmte. Sie hatte es gesagt.

„Und da ist noch etwas, von dem ich nicht sicher bin, ob du dich daran erinnerst. Aber als du zum ersten Mal über deinen verrückten Plan gesprochen hast, habe ich Nein gesagt. Ich war ganz und gar nicht dafür. Jedenfalls zuerst nicht. Und als ich Nein gesagt habe, hast du mir praktisch ein Ultimatum gestellt. Du hast gesagt: Jetzt oder nie. Das weißt du auch nicht mehr, oder?“

Sie ließ sich aufs Sofa fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. „Ich erinnere mich nicht“, antwortete sie kopfschüttelnd. „Ich erinnere mich an überhaupt nichts mehr, Aidan.“

Er setzte sich ihr gegenüber, und eine Weile – es erschien ihr wie eine Ewigkeit – sagte keiner von beiden ein Wort.

Schließlich fragte sie: „Was denkst du?“

Aidan zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Spielt es überhaupt eine Rolle, was ich denke? Es sieht so aus, als hättest du für uns beide entschieden. Und ich habe nicht den Eindruck, dass dir meine Meinung wichtig ist.“

„Selbstverständlich ist sie das. Ich möchte deine Meinung hören.“ Plötzlich liefen ihr Tränen übers Gesicht. Sofort wurde Aidans entschlossener Gesichtsausdruck weich. Er setzte sich neben sie und nahm sie in die Arme. Sofort schmolz ihr Widerstand wie Schnee in der Sonne, und sie schmiegte sich an ihn.

„Hey“, flüsterte er. „Ich will nicht, dass du dich schlecht fühlst.“

Sie schaute auf zu ihm. In ihren Augen glitzerten mehr Tränen. „Dann stimmst du also zu?“

Nein. Er stimmte überhaupt nicht zu. Aber er wusste, dass er seine Worte sorgfältig wählen musste.

„Aidan, du musst doch zugeben, dass das keine Art und Weise ist, wie eine Ehe beginnen sollte.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was du mir sagen willst, Kate. Ist es die Tatsache, dass du mit mir verheiratet bist, die dich in Angst und Schrecken versetzt? Oder die Art, wie es passiert ist? So eine spontane Las-Vegas-Hochzeit?“

Sie löste sich von ihm und schaute auf einen imaginären Punkt irgendwo in der Ferne. Er versuchte nicht, sie erneut zu umarmen.

„Denn du warst es, die am Samstagabend heiraten wollte“, erinnerte er sie erneut. „Ich weiß nicht, ob du dich von der Stimmung des Augenblicks hast mitreißen lassen oder ob du zu viel getrunken hattest. Aber diese Heirat in Las Vegas war deine Idee.“

Er wusste, dass es besser gewesen wäre, nicht weiter darauf herumzureiten. Aber er hatte schon einmal im falschen Moment den Mund gehalten – und deshalb steckten sie nun in dieser Situation. Sie hob den Kopf, blinzelte und schaute ihm das erste Mal an diesem Abend in die Augen.

„Ich war nicht betrunken“, antwortete sie. „Ich habe ein paarmal an einem Drink genippt. Dieser Love Potion No. 9. Du kennst mich. Ich trinke nicht viel, und ich hatte noch nie einen Filmriss. Aidan, es macht mir Angst, dass ich mich kaum erinnere, was in dieser Nacht passiert ist. Ich weiß, dass ich mit dir getanzt habe. Ich weiß auch, dass wir uns Ringe angeschaut haben. Aber das ist auch schon alles. Ich weiß noch, dass Elvis irgendwie eine Rolle gespielt hat. Und das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass wir verheiratet in einem Hotelzimmer aufgewacht sind. Du musst doch zugeben, dass das nicht der beste Start eines gemeinsamen Lebens ist.“

Oder vielleicht doch? „Klar, so, wie es passiert ist, war nicht gerade ideal. Aber braucht man wirklich eine Trauungszeremonie für eine Ehe?“ Denn wie sie es auch drehte und wendete: Sie kamen ausgezeichnet miteinander klar.

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wusste er, dass er es besser nicht getan hätte. Manchen Frauen war die Trauungszeremonie durchaus wichtig.

Vielleicht war es ja auch gar nicht die Hochzeit, gegen die sie etwas hatte, sondern die Art und Weise, wie sie stattgefunden hatte. Natürlich hätte er ihr einen Antrag gemacht. Früher oder später …

Bisher war jeder von ihnen einfach zu sehr mit dem eigenen Leben beschäftigt gewesen.

Zwei ihrer Schwestern sowie ihre Großmutter hatten sich verlobt und geheiratet. Elle und Daniel hatten ein Baby bekommen.

Aidan hatte sich nicht dazwischendrängen und auch nichts überstürzen wollen. Die Hochzeit mit Kate sollte etwas Besonderes sein und nicht im Schatten anderer Ereignisse stehen.

Das war der Grund gewesen, warum er ihr bislang keinen Antrag gemacht hatte. Und nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Plötzlich wusste er, was er zu tun hatte. Er würde ihr einen förmlichen Antrag machen – vor ihr hinknien, ihre Hand ergreifen, ihr den Ring überstreifen – und dann würden sie eine richtige Hochzeit feiern.

Wenn sie nicht schon verheiratet gewesen wären, hätte er bei ihrer Familie um ihre Hand angehalten. Doch solche Überlegungen waren inzwischen irrelevant. Wenn es ihr Herzenswunsch war, würde sie eine Hochzeit mit allem Drum und Dran bekommen. Die Zeremonie in Las Vegas wäre dann sozusagen nur die Generalprobe gewesen und würde ihr Geheimnis bleiben, wenn sie es so wünschte. Oder eine witzige Episode, über die sie alle würden lachen können, wenn ihre Kinder erst einmal alt genug waren.

„Wenn wir die Hochzeit annullieren lassen, könnten wir doch weitermachen wie bisher?“, überlegte Kate laut und riss ihn aus seinen Überlegungen. „Es muss sich doch gar nichts zwischen uns ändern, oder?“

Aidan schaute sie an, als hätte sie zwei Köpfe. „Eine Annullierung würde alles ändern, Kate. Wenn wir das täten, warum sollten wir dann so weitermachen wie bisher? Ich glaube, jetzt bin ich mal an der Reihe mit einem Ultimatum. Wir sind verheiratet. Was mich angeht, stehen wir dazu und leben ab sofort wie ein Ehepaar – oder wir machen Schluss. Und zwar für immer.“

Kate zuckte zusammen. Ihre Reaktion brach ihm fast das Herz. Aidan wusste, dass seine Worte sie wie eine Ohrfeige getroffen haben mussten.

Ihm gefiel die Situation genauso wenig wie ihr. Es war nicht die Ehe, an der er sich stieß, im Gegenteil: Nichts wäre ihm lieber, als wenn sie bei ihrem Entschluss blieben. Vielmehr störte es ihn, wie sie darauf reagierte, mit ihm verheiratet zu sein. Sie schien nicht einmal daran interessiert zu sein, es mit der Ehe versuchen zu wollen. Das tat weh.

Wenn sie nun tatsächlich darauf bestand, die Ehe für ungültig erklären zu lassen, dann wäre es das für ihn – das Ende ihrer Beziehung.

Sie konnte nicht das eine und das andere haben. Ihre Beziehung steckte schon seit längerer Zeit in einer Sackgasse, aus der sie endlich herausfinden mussten. Vielleicht würde eine Dosis kalte Realität sie wachrütteln.

Doch er hütete sich, allzu deutlich zu werden. Er wollte nicht, dass die Situation zwischen ihnen so verfahren war. Nichts wünschte er sich mehr, als sie als seine Braut nach Hause zu führen, über die Schwelle zu tragen und endlich den Rest ihres gemeinsamen Lebens zu beginnen. Warum waren die simpelsten Dinge manchmal so verdammt schwer?

„Ich habe mich über Eheannullierungen erkundigt“, sagte sie jetzt. „Es ist nicht ganz einfach, aber auf einer Website habe ich gelesen, dass es möglich ist, die Ehe aufzulösen, wenn wir einander noch nicht beigewohnt haben. Ich weiß, das klingt ziemlich blöd, aber …“

Er klammerte sich an dem Wort möglich fest. Obwohl sie nicht zusammenlebten, hatten sie natürlich schon oft Sex gehabt. Sehr diskret zwar – wegen seiner Tochter. Was sich im Nachhinein als Glück herausstellte, weil es so aussah, als ginge ihre Beziehung gerade in die Brüche.

Obwohl er sich bis über beide Ohren in Kate verliebt hatte, lag die Liebe zu seiner Tochter sozusagen in seinem Blut. Wenn Kate nicht wollte, dass sie ein Leben wie eine richtige Familie führten, dann stand Chloe für ihn doch stets an erster Stelle. Seine kleine Tochter hatte ihre Mutter nie kennengelernt. Veronica hatte sich entschlossen, kein Teil ihres Lebens zu werden. Wie jemand sein Kind im Stich lassen konnte, war ihm unbegreiflich. Veronica hatte ihre eigenen Probleme und Dämonen, die sie verfolgten, doch wenigstens war aus ihrer Verbindung ein süßes Mädchen hervorgegangen.

Dafür war Aidan unendlich dankbar.

Ebenso wenig konnte er verstehen, dass eine Frau wie Kate den Mann verlassen konnte, den sie zu lieben vorgab. Und er hatte geglaubt, sie zu kennen. War er wirklich ein so schlechter Menschenkenner? Vielleicht hatte er auch nur eine masochistische Ader. Zwei Ehen – und zwei Katastrophen. Die erste nach der Geburt eines Kindes. Die zweite war bereits zu Ende, noch bevor sie Las Vegas verlassen hatten.

Er hatte keine Ahnung, ob ihre körperliche Beziehung, die sie intensiv gepflegt hatten, einer Annullierung im Wege stehen würde. Aber wenn Kate die Hochzeit für einen Fehler hielt, dann würde er sie ganz gewiss nicht zum Bleiben zwingen.

„Ist es das, was du willst, Kate? Die Annullierung in die Wege leiten?“

Sie hielt den Kopf gesenkt. „Ich weiß nicht, was ich will, Aidan. So, wie ich es verstanden habe, wird es umso schwerer, je länger wir damit warten.“

„Ich habe von all dem keine Ahnung, denn ich war noch nie in einer solchen Situation. Aber ich glaube, wir haben bessere Chancen, wenn du behauptest, du wärst in diesem Moment nicht Herrin deiner Sinne gewesen, um eine so wichtige Entscheidung treffen zu können.“

Der böse Blick, den sie ihm zuwarf, irritierte ihn kolossal. Er stand auf und ging zu seinem Sessel zurück.

„Was willst du, Kate?“

„Das klingt so unvernünftig. Nicht Herrin meiner Sinne gewesen zu sein, um eine so wichtige Entscheidung zu treffen. So bin ich doch überhaupt nicht, Aidan. Und das weißt du ganz genau.“

„Natürlich weiß ich das, aber genau so, wie du es darstellst, ist es doch passiert. Du bist diejenige, die sich an nichts erinnert. Du willst die Annullierung. Also bist du auch diejenige, die den Antrag stellen muss, denn ich weiß ganz genau, was ich tat, als ich dich geheiratet habe. Im Gegensatz zu dir.“

Ihre Gesichtszüge wurden sanft. „Du willst diese Ehe immer noch?“

Natürlich will ich sie.

Er zuckte mit den Schultern. „Macht das einen Unterschied?“

„Vielleicht. Ich weiß es nicht, Aidan.“

„Wir haben uns ewige Treue geschworen. Und du bist sicher, dass du dich überhaupt nicht daran erinnerst?“

Sie schloss die Augen. Offenbar versuchte sie, sich mit aller Kraft an den Abend zu erinnern. Doch dann seufzte sie, und es klang, als würde die gesamte Last der Welt auf ihren Schultern liegen.

„Das ist genau der Grund, warum ich nicht trinke“, antwortete sie. „Ich hatte noch nie einen Filmriss. Aber mein Vater war Alkoholiker – hast du das gewusst? Vielleicht ist das der Grund, warum ich kaum trinke.“ Ihr kam ein Gedanke. „Oder meinst du, das könnte in der Familie liegen – und ich habe die Krankheit von ihm geerbt?“

Das Schweigen hing wie eine dunkle Wolke zwischen ihnen.

„Ich verstehe allerdings nicht, warum sie ausgerechnet an diesem Abend zum ersten Mal ausgebrochen ist.“

Nach wie vor verstand er nicht, dass sie so versessen darauf gewesen war, ihn zu heiraten, doch dass der Gedanke, seine Frau zu sein, sie nun abschreckte. Aber diese Überlegungen behielt er lieber für sich.

Eine Woche später – es war der Montag, an dem Charles’ und Gigis Willkommensparty stattfinden sollte – schwebten Kate und Aidan noch immer in einem Zustand zwischen Ehe und Nicht-Ehe.

Sie hatten einen Anwalt beauftragt, die nötigen Dokumente auszufüllen. Er hatte ihnen gesagt, dass es ein paar Wochen dauern könnte, bis der Bundesstaat einer Annullierung zustimmen würde. Allzu große Hoffnungen machte er ihnen allerdings nicht, weil sie schon vor ihrer Spontan-Hochzeit eine Beziehung gehabt hatten.

Da sie nun alles in die Wege geleitet hatten, konzentrierte sich Kate auf ihre Arbeit im Friseursalon und die Vorbereitungen für die Überraschungsparty. Deshalb blieb ihr nicht viel Zeit, sich über ihre Situation Gedanken zu machen.

Natürlich würde Aidan an der Party teilnehmen. Ihre Familie würde ihn auf jeden Fall einladen. Denn sie mochten ihn.

Als Kate das Forsyth Inn betrat, war Aidan bereits da, um Zelda und Elle bei den Vorbereitungen zu helfen. Das Herzlich-willkommen-Schild hatte er schon aufgehängt, und als die Gäste nach und nach eintrafen, ließen er und Kate sich überhaupt nichts anmerken. Sie mischten sich unter die Leute, unterhielten sich mal hier und mal dort, und wenn ihre Blicke sich trafen, warf Aidan ihr quer durch den Saal ein Lächeln zu.

Irgendwann kam er mit zwei Gläsern Rotwein in den Händen auf sie zu. „Na, alles in Ordnung mit dir?“ Er reichte ihr ein Glas.

Sie nahm es entgegen. „Danke. Ja, alles bestens. Und danke auch für deine Unterstützung bei den Vorbereitungen für die Party. Ich weiß nicht, wie wir es ohne dich geschafft hätten.“

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen.

Er warf ihr einen verdutzten Blick zu und öffnete den Mund, als ob er etwas erwidern wollte. Dann entschied er sich doch dagegen und klappte ihn wieder zu. Dabei sah er ziemlich frustriert aus.

Sie wusste genau, was er hatte sagen wollen.

Du brauchst das nicht ohne mich zu tun. Du brauchst überhaupt nichts mehr ohne mich zu tun. Aber das Thema war an diesem Abend fehl am Platz.

Vom anderen Ende des Saales warf ihre Schwester Jane ihr einen Blick zu und deutete auf die Küchentür. Sie und ihr Ehemann Liam waren vor ein paar Tagen aus New York zurückgekehrt, wo sie sich um ihr Restaurant La Bula gekümmert hatten. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie ein üppiges Menü für die Willkommensfeier zusammengestellt.

„Entschuldige mich bitte, Aidan. Jane braucht mich in der Küche.“ Kate war geradezu glücklich über die Unterbrechung.

„Klar. Sag mir Bescheid, wenn ihr noch mehr Hilfe benötigt.“

„Tut mir leid, dass ich euch unterbrochen habe“, sagte Jane, als Kate vor ihr stand. „Aber wir haben hier alle Hände voll zu tun. Ich möchte das Essen angerichtet haben, bevor Charles und Gigi hier sind.“

Kate goss den Wein in den Ausguss und spülte ihr Glas. Nur ungern verschwendete sie guten Wein, aber sie fühlte sich immer noch nicht richtig wohl. „Wann kommen sie denn an?“

„Gegen halb sieben. Daniel ist zum Flughafen gefahren, um sie in Empfang zu nehmen. Er will Elle eine Nachricht schicken, wenn sie auf dem Weg sind.“ Jane schaute auf ihre Uhr. „Dann bleibt uns noch etwa eine Stunde. Kannst du mir mit den Vorspeisen helfen?“

„Klar. Was soll ich tun?“

Jane drückte ihr einen Vorspeisenteller in die Hand. Die Amuse-Gueules dufteten so verführerisch, dass Kate am liebsten eines probiert hätte. Zum ersten Mal an diesem Tag verspürte sie den Wunsch, etwas zu essen.

Sie ging zum Buffet und stellte ihn auf einen freien Platz. Die Party fand im privaten Speisesaal der Familie statt, der von der Lobby nur durch eine Tür getrennt war. Davor hatten sie ein Schild aufgestellt: Wegen Privatfeier geschlossen.

Als Kates Blick auf die Blumensträuße fiel, die auf der Tafel und den Beistelltischen standen, musste sie wieder an das Bouquet denken, das ihre Mutter erhalten hatte. Den Namen des Absenders hatte sie noch immer nicht verraten. Kate war davon überzeugt, dass sie von einem Mann stammten, der damit keine geschäftlichen Interessen verfolgte. Wäre es nämlich tatsächlich jemand gewesen, mit dem Zelda lediglich geschäftlichen Kontakt hatte, hätte sie es unumwunden zugegeben.

Hinzu kam, dass Zelda in letzter Zeit viel öfter als sonst mit ihrem Handy beschäftigt war. Wann immer sie ihrer Mutter über den Weg lief, telefonierte sie oder schrieb eine Nachricht. Und jedes Mal, wenn ihr jemand zu nahe kam, drehte sie sich beiseite, damit niemand aufs Display sehen konnte.

Kate nahm sich vor, ihre Mutter nach der Party einem Kreuzverhör zu unterziehen. Ob Gigi vielleicht mehr wusste? Sie wäre sicher entzückt, wenn jetzt auch ihre Tochter einen Lover hätte. Auf ihrer Geburtstagsparty hatte sie nur über ihre Enkelinnen gesprochen. Ihr sehnlichster Wunsch sei es, hatte sie verkündet, dass alle drei mit ihren Traumprinzen glücklich wurden. Elle hatte ihr den Wunsch zuerst erfüllt, als sie Daniel geheiratet hatte. Und Jane hatte sich in Liam verliebt.

Blieb nur noch Kate als Einzige übrig.

Wobei – sie war doch verheiratet! Bei dem Gedanken setzte ihr Herz einen Schlag lang aus. Umso heftiger pochte es danach. Manchmal, wenn Kate vom Alltag abgelenkt war, vergaß sie nämlich ihre unglückliche Situation. Und dann – peng! – stand alles wieder wie ein unüberwindbarer Berg vor ihrem geistigen Auge, dass sie fast verzweifelte.

Gigis Geburtstagswunsch machte die Sache noch komplizierter: Was, wenn ihre Familie von der Spontan-Hochzeit in Las Vegas erfuhr? Und was würden sie erst sagen, wenn sie ihnen erzählte, dass sie sich um eine Annullierung der Ehe bemühte?

Energisch schüttelte sie den Kopf. Heute Abend wollte sie nicht darüber nachdenken. Dieser Abend gehörte Gigi und Charles, der wahren Liebe und ewiger Glückseligkeit.

Gigi und Charles hatten keine Geschenke gewollt. Ihr einziger Wunsch war, dass die ganze Familie bei den Vorbereitungen der Hochzeit in Las Vegas mithalf und mit ihnen feierte. Und das würden sie heute noch einmal tun. Natürlich war Kate dabei, um ihrer Großmutter den Wunsch zu erfüllen. Und sie würde sich nichts von ihrem Dilemma anmerken lassen.

Kate schaute auf ihre Uhr. Mittlerweile waren alle vierundzwanzig geladenen Gäste eingetroffen. Sie ging noch einmal in die Küche, wo Liam seinen Angestellten, die sich an diesem Abend ein kleines Extrageld verdienen konnten, letzte Anweisungen gab.

Jane war Patissière und hatte eine fantastische, dreistöckige Hochzeitstorte gebacken, die aussah, als käme sie geradewegs aus einer französischen Konditorei. Kate verspürte einen leisen Stich von Eifersucht, als sie sah, wie sehr Liam und Jane sich anstrengten, um aus dieser Feier etwas ganz Besonderes zu machen.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, was sie und Aidan getan hatten, nachdem Elvis sie zu Mann und Frau erklärt hatte. Bei dem Gedanken röteten sich ihre Wangen. Sie hatten einander nicht einmal Kuchen in den Mund gesteckt.

Ein bisschen schämte sie sich dafür, dass sie alles vergessen hatte. Und dass es keine Hochzeitstorte gegeben hatte.

Jedes Brautpaar verdiente eine Hochzeitstorte.

„Holst du den Kaviar aus dem Kühlschrank? Er liegt auf dem zerstoßenen Eis.“ Mit dem Kopf deutete Jane zum Kühlschrank, denn in den Händen trug sie einen schweren Topf. „Ist das da das Käsefondue?“

„Ich weiß nicht“, begann Kate, aber Jane hatte gar nicht sie, sondern einen der Köche gefragt.

„Stell es auf das Rechaud auf dem Buffet.“

Gehorsam nahm der Souschef das Käsefondue und verschwand aus der Küche.

„Ich liebe es, wenn du die Chefin raushängen lässt“, sagte Liam grinsend. Dann nahm er sie in den Arm und küsste sie vor aller Augen auf den Mund.

Das ist es, dachte Kate sehnsüchtig. Das wünschte sie sich. Diese Leidenschaft. Dieses Feuer. Sie wollte genau das, was Jane und Liam hatten. Sie wollte, was Charles und Gigi hatten. Sie wollte das, was Elle mit Daniel hatte und was ihre Mutter mit ihrem geheimnisvollen Bewunderer hatte.

Dabei gab es überhaupt nichts an Aidan auszusetzen. Er würde einen fantastischen Ehemann abgeben.

Aber nicht ihrer.

Nun ja, jedenfalls nicht mehr lange.

4. KAPITEL

„Es ist so reizend von dir, uns heute Abend zu helfen, Aidan“, bedankte Zelda sich bei ihm, während sie Kate hinterherschaute, die in der Küche verschwand.

„Das mache ich doch gern“, erwiderte er. „Ich freue mich immer, wenn ich euch helfen kann – egal womit.“

„Wirklich egal?“ Zeldas Augen blitzten schelmisch, und er hatte das Gefühl, einen Köder geschnappt zu haben, den er so schnell nicht mehr loswerden würde.

„Nun ja“, versuchte er einzuschränken. „Schon …“

„Kannst du mir einen professionellen Rat für das Hotel geben?“

„Selbstverständlich.“ Für Kates Mutter würde er alles tun.

„Elles Malkurse und ihre Kunst-Stadtführungen werfen allmählich einiges ab. Auch der Teesalon wird immer erfolgreicher. Ich denke, wir könnten allmählich damit anfangen, den Wellnessbereich zu planen.“

„Was denkt Kate denn darüber?“, wollte Aidan wissen.

Stirnrunzelnd verschränkte Zelda die Arme vor der Brust. „Du weißt, dass sich die Welt nicht nur um meine Kate dreht. Selbst wenn sie das manchmal gerne hätte.“

Er lächelte, hütete sich jedoch, ihre Bemerkung zu kommentieren. Es war allgemein bekannt, dass Kate einen Dickschädel hatte. Sie wusste genau, was sie wollte, und ließ sich kaum davon abbringen.

Das war eine der Eigenschaften, die er so attraktiv an ihr fand.

„Heißt das, ihr macht jetzt Nägel mit Köpfen?“, wollte er wissen.

Zelda nickte.

„Notfalls auch ohne Kate? Wollt ihr sie nicht in die Planungen mit einbeziehen?“

Zelda spitzte die Lippen und sah aus, als überlegte sie ihre Antwort sorgfältig. „Ich glaube, Kate möchte das mehr, als ihr klar ist“, erwiderte sie schließlich.

Aidan zuckte mit den Schultern. „Kate hat ihren eigenen Kopf. Ihr werdet sie nicht zu etwas überreden können, was sie nicht möchte. Das wissen wir doch beide.“

Zelda schien nicht überzeugt zu sein. Ihr Handyton verkündete eine neue Nachricht. Sie nahm das Telefon zur Hand und tippte lächelnd eine Antwort, ehe sie sich wieder an Aidan wandte.

„Kate ist eine komplizierte Frau, Aidan. Meine Tochter ist so dickköpfig, dass sie sich manchmal selbst im Weg steht.“ Zelda schüttelte den Kopf. „Ich mag alle meine Töchter gleich gern, aber um sie mache ich mir die meisten Sorgen. Ich weiß, dass sie klug ist und eine Menge erreicht hat und noch erreichen wird, und sie glaubt auch, niemanden zu brauchen, aber ich habe das Gefühl, dass sie das mit der Unabhängigkeit ein wenig übertreibt. Sie hält sich die Leute vom Leib. Irgendwann wird sie das bereuen.“

Hört, hört!

„Deshalb ist sie sich selbst ihr ärgster Feind“, fuhr Zelda fort. „Elle ist die intuitive, mitfühlende Tochter, Jane ist die stärkste, die sich nichts bieten lässt. Und dann ist da Kate. Viele halten sie für stark, weil sie nach außen so wirkt, aber sie kennen sie nicht so wie ich. Kate glaubt, sie sei eine Insel. Das liegt vielleicht auch an ihrem Vater, zu dem sie ein sehr kompliziertes Verhältnis hatte.“ Zelda seufzte. „Aber das ist lange her, und darüber will ich heute Abend ganz bestimmt nicht reden. Schließlich möchte ich uns die Feier nicht verderben. Aber Aidan, ich danke dir dafür, dass du meine Tochter liebst – mit all ihren Macken und Eigenheiten. Du siehst wirklich nur das Beste in ihr.“

Zeldas Worte versetzten Aidan einen Stich. Er versuchte, Kate so sehr wie möglich zu lieben, aber auch für ihn gab es Grenzen. Lange würde er sich nicht mehr hinhalten lassen. Irgendwann würde er das nicht mehr aushalten.

Trotz allem glaubte er nach wie vor, dass sie ein gutes Paar abgeben würden. Gäbe Kate ihm doch nur den geringsten Hinweis, dass sie ebenso dachte. Dann würde er alles Mögliche unternehmen, dass aus dem Weg, auf den sie unfreiwillig geraten waren, genau der richtige wurde.

Allerdings hatte auch er seinen Stolz. Wenn Kate ihn nicht wollte, würde er nicht darum betteln, bei ihr bleiben zu dürfen.

Lange würde er diese Ungewissheit nicht mehr ertragen.

Als Gigi und Charles den Speisesaal betraten und alle wie aus einem Mund „Überraschung, Überraschung“ riefen, schmolz Kates Herz dahin. Die Augen ihrer Großmutter strahlten, und sie legte vor Rührung die Hand auf ihre Perlenkette, als sie den Jubel ihrer Freunde und Familie hörte.

„Meine Güte“, sagte sie, ehe sie sich an Charles wandte. „Hast du etwas davon gewusst?“

„Ich?“ Charles schüttelte sein graues Haupt. „Wie kommst du darauf, dass ich etwas mit dieser wunderbaren Überraschung zu tun haben könnte? Das ist wirklich eine fantastische Idee. Vielen Dank an euch alle, die ihr meiner Braut und mir ein so herzliches Willkommen bereitet.“

„Ja, das ist wirklich toll von euch“, pflichtete Gigi ihm bei. „Danke, vielen Dank euch allen.“

Zelda und Elle traten als Erste vor, um Gigi zu umarmen. Charles stand neben seiner Frau und hatte die Hand auf ihren Rücken gelegt. Er sah aus wie ein Zauberer, dem soeben ein besonders magischer Trick gelungen war, obwohl er genauso ahnungslos wie sie gewesen war, was diese Überraschungsparty anging.

Als Kate vor ihre Großmutter trat, um sie zu begrüßen, schlang Gigi die Arme ganz fest um ihre Enkelin. „Mein liebes Mädchen. Wie geht es dir? Diese Party trägt ganz und gar deine Handschrift. Vielen Dank, Schätzchen. Und wo ist dein gut aussehender Freund?“

Kate schluckte. „Du meinst Aidan?“

Gigi nickte. „Natürlich meine ich Aidan. Wen denn sonst?“

„Er ist hier irgendwo.“ Kate machte eine vage Handbewegung.

Gigi drückte Kate erneut und stellte die unvermeidliche Frage. „Wann werden wir denn eure Verlobung feiern können, Herzchen? Hoffentlich bald. Ich lebe schließlich nicht ewig, weißt du.“

„Oh Gigi, sag das nicht. Vor allem nicht an einem solch schönen Abend. Und dieser Abend gehört nicht mir. Sondern dir und Charles.“

„Nun, du bist die Nächste, mein Schatz, und ich kann es kaum erwarten, für dich eine ebenso tolle Party zu geben. Wenn die letzte meiner Enkelinnen heiratet, wird das ein Fest, das alle anderen in den Schatten stellt.“

Kate wurde das Herz schwer, als sie daran dachte, dass sie in nächster Zukunft bestenfalls eine Annullierungsparty würde feiern können. Und die würde wirklich alle anderen Feste in den Schatten stellen. Wenn auch anders, als Gigi sich das vorstellte.

„Gigi, ich dachte immer, du wolltest uns alle gleich behandeln. Elle und Jane dürfte es nicht gefallen, wenn meine Feier die schönste von allen werden soll.“

Gigi wischte ihre Bemerkung mit einer Handbewegung fort. „Du weißt doch, wie ich das meine. Wie ich an meinem fünfundachtzigsten Geburtstag gesagt habe, möchte ich alle meine drei Enkelinnen glücklich verheiratet sehen – genauso glücklich, wie Charles und ich es sind.“

Gigi wandte sich an ihren Mann und schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. In diesem Moment wirkte sie wie eine junge Braut.

Obwohl Gigi sich alle drei unter der Haube wünschte, wäre sie bestimmt am Boden zerstört, wenn sie erfuhr, dass Kate und Aidan ihre Hochzeit quasi nebenbei erledigt hatten. Gigi wollte eine große Feier.

Und es bestand kein Zweifel daran, dass ihre Großmutter ihr niemals vergeben würde, sollte sie die Ehe für ungültig erklären lassen. Nicht nur war Aidan in Gigis Augen der Beste, den sie sich für ihre Enkelin vorstellen konnte; sie vergötterte ihn geradezu.

Eine kurzlebige Ehe war gewiss nicht, was Gigi sich zu ihrem Geburtstag gewünscht hatte.

Kate überlegte, ob es etwas nützen würde, ihre Großmutter daran zu erinnern, dass sie sich eine glückliche Ehe gewünscht hatte. Glücklich war das Schlüsselwort.

Ob Gigi sich jemals Gedanken darüber gemacht hatte, dass die Vorstellung, verheiratet zu sein, Kate ganz und gar nicht glücklich machte? Im Gegenteil – eine Ehe verursachte bei ihr ein Gefühl von Platzangst und setzte ihren Fluchtinstinkt in Gang.

Glücklicherweise verteilten Jane und Liam in diesem Moment die Sektkelche, um einen Toast auf Charles und Gigi auszusprechen, sodass ihre Großmutter fürs Erste abgelenkt war. Kate ergriff ein Glas, aber sobald ihr der Geruch des Alkohols in die Nase stieg, begann sich ihr Magen zu drehen.

Zelda ergriff das Wort. „Mama und Charles“, begann sie. „Wenn es jemals zwei Menschen gegeben hat, die füreinander bestimmt sind, dann seid ihr das. Ihr seid ein Vorbild und eine Inspiration für uns alle. Ihr habt so lange gewartet, um euch zu finden, aber ihr seid auch der lebende Beweis dafür, dass wahre Liebe immer einen Weg findet – und dass sie wirklich existiert. Selbst wenn wir fünfundsechzig Jahre darauf warten müssen, bis der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist. Auf euch beide!“

Zelda hob ihr Glas, und alle folgten ihrem Beispiel. Kate spürte Aidans Blicke auf sich ruhen. Als sie in seine Richtung schaute, hob er auch sein Glas, um ganz persönlich auf sie anzustoßen. Wollte er ihr damit mitteilen, dass er auch so lange zu warten bereit war, wie sie benötigte? Der romantische Gedanke ließ ihr Herz schneller schlagen.

Doch sofort wurde dieses hoffungsvolle Gefühl von Traurigkeit und Scham verdrängt. Solche Überlegungen auch nur anzustellen, war ziemlich unfair.

Und es war egoistisch und falsch, sich die Frage zu stellen, ob sie eines Tages vielleicht wieder zueinanderfinden würden, wo sie doch die ganze Zeit darüber nachdachte, diese Ehe zu beenden.

Warum konnte sie ihn nicht einfach lieben? Warum konnte sie sich nicht dazu durchringen und endlich einsehen, dass der perfekte Mann für sie direkt vor ihr stand?

Er war ihr Ehemann. Es gab ziemlich vernünftige Argumente dafür, warum eine Ehe mit Aidan eine gute Sache war. Aber ihr Herz und ihr Selbsterhaltungstrieb waren noch lange nicht davon überzeugt.

Ihr Herz war sogar schon auf der Flucht.

Das Szenario war offensichtlich: Sie würde ihn verlieren, und eine andere, viel vernünftigere Frau würde ihn sich angeln und …

Kate wandte den Blick von Aidan.

Sie sollte nicht jetzt darüber nachdenken. Es war, wie es war, und sie sollte aufhören, sich in Selbstmitleid zu suhlen. Es war nicht möglich, zwei Wege zu gehen, die in verschiedene Richtungen führten.

Kate stellte ihr fast unberührtes Champagnerglas auf einen Tisch und schlüpfte unbemerkt aus dem Saal. Sie wollte hinaus auf die Veranda, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Vielleicht würde das ihren Magen beruhigen. Es würde sie schon niemand vermissen. Denn alle hatten sich um Gigi und Charles geschart und waren damit beschäftigt, den beiden zu gratulieren.

Kate atmete tief durch. Die Nacht war mild und sternenklar. Kurz darauf hörte sie Schritte, und ihr Puls ging ein wenig schneller, denn sie befürchtete, Aidan könnte ihr gefolgt sein. Vorsichtshalber drückte sie sich ein wenig tiefer in den Schatten, um unsichtbar zu werden.

„Kate?“ Es war Elles Stimme. „Bist du hier draußen?“

Also hatte sie doch jemand vermisst.

„Ja.“ Sie trat einen Schritt vor.

„Was machst du hier? Ist alles in Ordnung?“

Elle war die Schwester mit dem feinsten Gespür für die Stimmungen und Befindlichkeiten ihrer Mitmenschen. Kein Wunder, dass sie auch Kates Verschwinden sofort bemerkt hatte.

„Ja. Ich brauche nur ein wenig frische Luft. Irgendwas stimmt mit meinem Magen nicht.“

„Oh, das tut mir leid. Ja, mir ist aufgefallen, dass du deinen Champagner kaum angerührt hast. Dabei ist er hervorragend. Jane und Liam haben keine Kosten gescheut. Vielleicht hilft dir sogar ein kleiner Schluck?“

„Nein danke. Wie gesagt – mein Magen macht mir immer noch ein wenig zu schaffen.

„Glaubst du, es ist eine Magen-Darm-Grippe?“

„Keine Ahnung. Mal ist mir übel, mal nicht. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich momentan ein bisschen viel Stress habe. Doch darüber möchte ich jetzt nicht sprechen.“

„Du bist doch nicht etwa schwanger?“

„Um Himmels willen, nein! Damit macht man keine Scherze. Ein Baby ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann.“

Kate lachte nervös. Wie kam Elle bloß darauf? Außerdem konnte das überhaupt nicht sein, denn sie und Aidan hatten immer gut aufgepasst. Schließlich sollte ihre Beziehung nicht noch komplizierter werden, als sie ohnehin schon war.

Abgesehen davon war das Einzige, was ihr mehr Angst machte, als eine Ehefrau zu sein, die Vorstellung, Mutter zu werden.

Kate hatte soeben eine Kundin zu Ende frisiert und hielt ihr den Spiegel zur Begutachtung des Ergebnisses an den Hinterkopf, als ihr Blick in den Eingangsbereich des Salons fiel. Aidan stand vor dem Tresen und schaute lächelnd in ihre Richtung.

Prompt reagierte ihr Körper so, wie er bei seinem Anblick immer reagierte. Ihr Herz begann zu klopfen, und zwischen den Schenkeln spürte sie ein köstliches Ziehen. Sie begleitete die Kundin zur Kasse, nahm das Geld entgegen und verabschiedete sich von ihr. Kaum war die Tür hinter der Frau ins Schloss gefallen, wandte Kate sich an Aidan.

„Was machst du denn hier? Ist etwas passiert?“, fragte sie ihn.

„Alles bestens“, versicherte er ihr. „Ich bin vorbeigekommen, um dich zu fragen, ob du vielleicht mit mir zu Mittag essen willst.“

Kate blinzelte erstaunt. Es war das erste Mal überhaupt, dass er unangemeldet in ihrem Salon auftauchte. Insgeheim musste sie sich eingestehen, dass sie es ziemlich sexy fand. Denn normalerweise meldete er sich immer an, wenn er zu ihr kam, um nicht ungelegen bei ihr aufzukreuzen. Er war eben ein durch und durch rücksichtsvoller Mensch.

Kate ließ ihren Blick durch den Salon schweifen. Ihre beiden Kolleginnen waren noch beschäftigt, aber der Wartebereich war leer. Ihre nächste Kundin würde erst in einer Stunde kommen.

„Okay, gern“, sagte sie. „Wo wollen wir denn hin?“

„Ich hatte ans Pig and Whistle gedacht“, sagte er, während er die Tür öffnete und ihr den Vortritt ließ. Das kleine Restaurant, eher ein Schnellimbiss, lag direkt um die Ecke.

Es war noch relativ früh, sodass nicht viel Betrieb herrschte. Die Kellnerin führte sie an einen Tisch für zwei und reichte ihnen die Speisekarte.

Die Tür zur Küche öffnete sich, und ein Geruch von irgendetwas Gebratenem durchzog den Raum. Kates Magen fuhr Achterbahn. Instinktiv hielt sie sich die Hand vor den Mund.

„Was ist los?“, erkundigte Aidan sich.

Kate holte tief Luft durch die Nase, ehe sie antwortete. „Ich weiß nicht. Ich fühle mich noch immer nicht so richtig. Keine Ahnung, was mit mir los ist. Vielleicht habe ich mir ein Magen-Darm-Virus eingefangen. Jedes Mal, wenn ich glaube, über den Berg zu sein, geht’s wieder los.

„Kann ich dir irgendwas besorgen? Vielleicht ein Glas Wasser?“ Er klang besorgt.

„Danke, Aidan, aber unser Kellner kommt ja gleich.“

„Und da bin ich schon.“ Ein hoch aufgeschossener, dürrer Junge, der aussah, als ginge er noch zur Schule, hatte ihre letzten Worte mitbekommen. „Ich bin Jesse. Alles in Ordnung bei Ihnen?“

„Können Sie uns zuerst etwas Wasser bringen?“, bat Aidan. „Sie ist möglicherweise ein bisschen dehydriert. Also erst ein Glas Wasser, und dann schauen wir in die Speisekarte.“

„Und heißen Tee“, fügte Kate hinzu. „Schwarzer Tee. Kein Zucker, keine Zitrone.“

„Kommt sofort“, sagte Jesse. Kaum eine halbe Minute später stellte er zwei Gläser mit Eiswasser vor sie hin.

Nachdem Kate ein paar Schlucke getrunken und einen Eiswürfel im Mund hatte schmelzen lassen, ließ ihre Übelkeit ein wenig nach. Sie gaben ihre Bestellung auf und saßen eine Weile schweigend gegenüber.

„Geht’s dir besser?“, erkundigte Aidan sich schließlich.

„Ja.“ Obwohl sie das Schweigen als unangenehm empfand. „Das ist so merkwürdig. Es kommt und geht. Vielleicht habe ich mir das Virus auf dem Flug nach Las Vegas zugezogen. Es ist bestimmt bald vorbei.“

„Wenn nicht, solltest du besser zum Arzt gehen“, schlug Aidan vor. „Dann könntest du ihm auch von deinem Filmriss erzählen.“

„Es war kein Filmriss“, konterte Kate verärgert. „Ich habe keine Blackouts, wenn ich trinke. Vor allem nicht, wenn es so wenig ist.“

„Okay, du hast zwei Schlucke von einem starken Drink genommen und erinnerst dich nicht daran, mich geheiratet zu haben. Aber es war kein Filmriss.“

„Pst.“ Kate schaute sich um. „Das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist jemand, der uns belauscht – und es möglicherweise Mom und Gigi erzählt.“

„Ich sage ja nur, dass ein Doktor nicht schaden könnte, wenn du dich immer noch schlecht fühlst. Warum willst du dich unnötig quälen?“

Sie zog eine Grimasse. „Ja, vielleicht habe ich ein Problem mit meinem Gehirn. Das würde erklären, dass ich Gleichgewichtsstörungen habe und mich nicht erinnern kann, wie du sagst.“

Aidan zuckte mit den Schultern. „Entschuldige. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Ich hoffe nur, dass es nichts Ernstes ist.“

Da hatte er recht. Es war nicht normal. Ebenso wenig wie die Übelkeit, die immer wieder auftrat. Und dass sie sich nicht an ihre eigene Hochzeit erinnern konnte, war ebenfalls nicht normal. Vielleicht sollte sie sich wirklich einmal durchchecken lassen. Wenn die Übelkeit bis morgen nicht verschwunden war, würde sie einen Termin bei ihrer Ärztin machen. Die würde ihr ja wohl helfen können.

Vielleicht war sie ja wirklich schwanger.

Nein!

Sie erinnerte sich an das Gespräch mit Elle vom Tag zuvor.

Sie konnte unmöglich schwanger sein, denn sie und Aidan waren immer vorsichtig gewesen. Darauf hatte sie großen Wert gelegt, denn sie war noch nicht bereit für ein Kind.

Jesse brachte das Essen, und sie unterhielten sich über belanglose Themen. Kate verschlang ihr Sandwich mit Speck, Salat und Tomaten, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen. Und es schmeckte besser als alles, was sie in letzter Zeit zu sich genommen hatte.

Nachdem sie fertig gegessen hatten, blieben sie noch eine Weile sitzen. Kate hatte noch ein wenig Zeit bis zu ihrem nächsten Termin, und Aidan schien es ebenfalls nicht eilig zu haben. Schließlich räusperte er sich. „Ich muss noch etwas mit dir besprechen.“

Kate wartete, bis er fortfuhr.

„Ich habe noch mal mit dem Anwalt über unsere Situation gesprochen“, sagte er. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er keine guten Neuigkeiten. „Dir wird nicht gefallen, was ich dir zu berichten habe.“

„Was hat der Anwalt denn gesagt? Wir haben doch noch nicht einmal einen Antrag auf Annullierung gestellt. Müssen wir damit nicht einen Monat warten?“

„Das hat er auch gesagt. Und auch, dass Annullierungen in Georgia nur sehr schwer durchzusetzen sind. Außerdem hat er die Meinung von einigen Kollegen eingeholt, die ihm bestätigt haben, dass unser Fall nicht vielversprechend aussieht. Natürlich können wir unsere Eingabe machen, aber der Anwalt glaubt, die einzige Möglichkeit, Erfolg zu haben, besteht darin zu behaupten, dass du geistig nicht zurechnungsfähig warst, als wir geheiratet haben.“

Autor

Nancy Robards Thompson
Nancy Robards Thompson, die bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, lebt in Florida. Aber ihre Fantasie lässt sie Reisen in alle Welt unternehmen – z. B. nach Frankreich, wo einige ihrer Romane spielen. Bevor sie anfing zu schreiben, hatte sie verschiedene Jobs beim Fernsehen, in der Modebranche und in der...
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