Bianca Extra Band 119

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EIN HAUS, EIN HUND – EIN HERZENSMENSCH von MELISSA SENATE
Das Haus verkaufen, dann so schnell wie möglich weg aus Spring Forest: Das war Bethanys Plan. Doch dann trifft sie ihren Highschoolschwarm Shane wieder, jetzt Single Dad und Hundeflüsterer. Er, sein Söhnchen und ein liebesbedürftiger Hund – drei gute Gründe, für immer zu bleiben?

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  • Erscheinungstag 07.02.2023
  • Bandnummer 119
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516808
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Melissa Senate, Allison Leigh, Christine Rimmer, Stella Bagwell

BIANCA EXTRA BAND 119

1. KAPITEL

Schon vor vielen Jahren hatte Bethany Robeson das Heilmittel entdeckt, das jeden Kummer vertrieb. Wenn sie schlecht gelaunt war, einen schlimmen Tag hatte, von alten Erinnerungen überrollt wurde oder zu viele Rechnungen bezahlen musste, brauchte sie nur nach einem Hund Ausschau zu halten. Und da sie bis vor Kurzem in einem Tierheim gearbeitet hatte, war dieses Heilmittel immer zur Stelle – vom reinrassigen Vierbeiner bis zur Promenadenmischung, vom Zwergpudel bis zum riesigen Neufundländer. Flauschiges Fell und ein wedelnder Schwanz erwärmten ihr Herz und munterten sie wieder auf.

Genau so etwas brauchte sie auch in diesem Moment. Sie saß in ihrem Auto auf einem Parkplatz in der Main Street – die Scheiben heruntergekurbelt, um die kühle Frühlingsluft hereinzulassen – und beobachtete einen Beagle, der neben seinem Herrchen über den Gehweg trottete. Der niedliche Hund schnupperte an einem Grasbüschel, das vor einem Coffeeshop am Straßenrand wucherte. Bethany schmunzelte, als er den Kopf hob und ein freudiges Jaulen hören ließ. Auuuuuu!

Der Beagle war in diesem Augenblick sehr hilfreich. Bethany war gerade in Spring Forest angekommen – dem Ort, den sie vor zwölf Jahren Hals über Kopf verlassen hatte. Sie fühlte sich nicht gut, niedergeschlagen und ziemlich nervös angesichts dessen, was sie erwartete.

Fragen. Gerüchte. Alte Klassenkameraden. Vor allem alte Klassenkameraden.

In ihrer Heimatstadt hatte Bethany als das schwarze Schaf gegolten. Dabei war sie stets ruhig, eifrig und zurückhaltend gewesen und erst im letzten Schuljahr zum ersten Mal geküsst worden. Dennoch war ihr der Ruf vorausgeeilt, lebenslustig und leichtsinnig zu sein – und das alles nur wegen ihrer Mutter. Falsche Behauptungen über sie machten die Runde, es wurden Lügen verbreitet und voreilige Schlüsse gezogen.

Kaum hatte Bethany das Auto verlassen, wäre sie am liebsten sofort wieder eingestiegen und zurückgefahren. Was natürlich nicht möglich war. Sie musste sich hier ja um einige unangenehme Dinge kümmern. Aber dann würde sie sofort wieder abreisen. Höchstens ein paar Tage wollte sie in Spring Forest verbringen. Abgesehen davon erinnerte sich in der kleinen Stadt in North Carolina wohl kaum noch jemand an sie und ihre „Vergangenheit“.

Oder etwa doch?

Denn als sie die Wagentür schloss, hörte sie Stimmen. Sie flüsterten ihren Namen.

„Himmel, ist das nicht Bethany Robeson?“

„Hast du gehört, dass sie Elliot Bradleys Haus geerbt hat?“

Ein hörbarer Atemzug. „Er war also tatsächlich ihr Vater?“

Bethany seufzte. Ihr wollt mich wohl provozieren, dachte sie, während sie zu den beiden Frauen – tatsächlich ehemalige Klassenkameradinnen – ging, die vor dem Coffeeshop an einem runden Tisch saßen. „Erstens“, begann sie, „ich kann euch hören. Zweitens, mein Leben geht euch nichts an. Das ist euch damals in der Schule nichts angegangen und tut es heute erst recht nicht.“

Ohne auf die gestammelten Entschuldigungen oder Proteste zu warten, betrat sie mit hoch erhobenem Kopf den Coffeeshop. Die alte Bethany, die nicht für sich einstehen konnte, gab es nicht mehr. Sie mochte diese neue Version von sich selbst. Die Zeit, die Erfahrung und die Jahre weit weg von Spring Forest hatten dazu beigetragen. Sie bestellte einen Eiskaffee und blickte aus dem Fenster. Die beiden Klatschtanten standen auf und drehten sich mehrfach nach ihr um, während sie davongingen. Einige Dinge änderten sich nie. Doch Bethany hatte sich verändert.

Natürlich wollte Bethany auch wissen, ob sie Elliot Bradleys Tochter war. Ihre Mutter war lange Zeit seine Geliebte gewesen, und obwohl sie sich sehr diskret verhalten hatten, schien die ganze Stadt über ihre Affäre im Bild gewesen zu sein. Elliot hatte die Wohnung erst betreten, wenn Bethany bereits schlief, und war nie über Nacht geblieben. Dennoch hatte sie sie ein paarmal beobachtet. An einen Moment erinnerte sie sich noch ganz genau: Sie war zwölf gewesen und hatte mitbekommen, wie die beiden sich an der Tür mit einem leidenschaftlichen Kuss verabschiedeten – wie es Liebespaare in Filmen taten. Die Beziehung zu ihrer Mutter war immer kompliziert gewesen, aber in diesem Moment war ihr eines klar geworden: Ihre Mutter liebte Elliot. Und er liebte sie.

Diese Liebe änderte natürlich gar nichts. Sie hintergingen Elliots Frau – jahrelang. Solange Bethany denken konnte. Bis ihre Mutter starb. Doch irgendetwas an der Tiefe ihrer Gefühle füreinander hatte Bethany beeindruckt – sowohl im positiven als auch im negativen Sinn.

Menschen waren kompliziert. Das Leben war kompliziert. Und die Liebe erst recht.

Man sollte keine ewige Treue schwören. Vielleicht war das der Grund, warum Bethany nie geheiratet hatte. Sie hatte kein Vertrauen in Partnerschaft und Ehe. Vielleicht war das auch nur eine Ausrede. Ein paarmal hatte sie es ja versucht. Mit achtzehn war ihr Herz zum ersten Mal gebrochen worden, und zwar nicht einmal von ihrem Freund – wie gesagt, es ist kompliziert! –, und seitdem war sie allen Beziehungen gegenüber misstrauisch gewesen.

Überraschenderweise hatte sie Shane Dupree vertraut. Als Siebzehnjährige hatte sie bereits viele Jahre der Demütigungen hinter sich. „Abschaum“ – so hatte man sie genannt, da war sie gerade mal zwölf gewesen. Drei Jahre später hatte jemand auf ihren Spind in der Schule und ihr Pult die Worte „Schlampe“ gekritzelt. Wie oft war sie während ihrer Schulzeit auf die Toilette gerannt, damit niemand ihre Tränen sah. Einmal stand an der Wand geschrieben: Bethany Robeson ist eine Hure. Wie die Mutter, so die Tochter.

Sie hatte diese Zeit mit viel Lernen und zahlreichen Teilzeitjobs verbracht – alles, um sich abzulenken. Wenn sie sich mal in einen Jungen verguckt hatte, behielt sie das für sich aus Angst davor, mies behandelt zu werden. Er hätte ja denken können, dass an den Gerüchten etwas dran sei. Außerdem hatte sie jedem Jungen, der mit ihr ausgehen wollte, einen Korb gegeben. Diejenigen, denen das nicht gefiel, taten so, als hätte sie deren Einladung angenommen und erzählten hinterher, was sie alles mit ihr hatten anstellen können. Deshalb war sie mit siebzehn immer noch nicht geküsst worden – und hatte dennoch den schlechten Ruf.

Im letzten Schuljahr war dann alles anders geworden – dank der Freundschaft mit Shane Dupree. Der gut aussehende Junge saß im Geschichtsunterricht neben ihr, und er war der Mann ihrer Träume geworden. Alles, was sie sich jemals gewünscht hatte.

Denk nicht an ihn, befahl sie sich, als sie mit ihrem Eiskaffee den Coffeeshop verließ. Konzentriere dich auf das Haus, dass Elliot Bradley dir vererbt hat – und darauf, es loszuwerden.

War er ihr Vater? Das Gerücht hatte Bethany ihr ganzes Leben lang begleitet. Auch jetzt, mit dreißig, hatte sie noch keine Gewissheit. Die Erbschaft schien dafür zu sprechen. Sie hatten einander kaum gekannt. In all den Jahren hatten sie vielleicht zehn Worte gewechselt – und auch nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ.

Dem Begräbnis ihrer Mutter war er ferngeblieben. Das hatte sie in dem Glauben bestärkt, er sei nicht ihr Vater.

Vielleicht gab es niemanden sonst, dem er das Haus hätte hinterlassen können – außer der Tochter seiner Geliebten, mit der er fünfundzwanzig Jahre lang ein Verhältnis gehabt hatte. Er hatte keine Familie. Seine Frau war vor vier Jahren gestorben – ein Jahr nach Bethanys Mutter –, und Kinder hatte er auch nicht. Abgesehen von ihr. Vielleicht. Von ihrer Mutter hatte sie nie eine klare Auskunft bekommen – nicht, als Bethany ein Kind war und sie oft danach gefragt hatte, und auch nicht an dem Tag, als sie starb. Möglicherweise war ihre Mutter sich selbst nicht sicher gewesen. Vor Elliot hatte sie einige andere Partner gehabt, ehe der smarte Anwalt in ihr Leben getreten war. Ein Jahr, nachdem sie sich kennengelernt hatten, war Bethany geboren worden. Sie war entweder sein Kind – oder das eines früheren Freundes. Die Ungewissheit hatte sie so frustriert, dass sie irgendwann beschlossen hatte, um ihres Seelenfriedens willen nicht länger darüber nachzudenken.

Doch dann hatte Elliot, dessen Ruf durch die außereheliche Affäre und dank der herrschenden Doppelmoral kein bisschen beschädigt worden war, alles wieder aufgewühlt, als er Bethany sein prächtiges Haus im Kolonialstil in der Oak Street vermachte.

Direkt neben dem der Familie Dupree.

Ein weiteres Problem …

Vermutlich wohnten die Duprees immer noch dort. Das Haus gehörte der Familie seit drei Generationen. Wenn sie sich erst einmal mit ausreichend Koffein gestärkt hatte, würde Bethany zu Elliots Haus fahren. Mit etwas Glück – das hatte sie manchmal wirklich – würde sie keinem der Duprees begegnen. Sie hatte vor, ihr Erbe bloß ganz kurz in Augenschein zu nehmen, um zu sehen, wie schnell sie es verkaufen konnte.

Und danach wollte sie Spring Forest nur noch im Rückspiegel sehen.

Sie warf den leeren Pappbecher in einen Abfallkorb und eilte zu ihrem Wagen. Dabei wäre sie fast mit einer Frau zusammengestoßen, die einen Basset spazieren führte. Auf seinem Rücken prangte eine Binde mit der Aufschrift: „Adoptiere mich.“ Die Frau hatte das Logo des Tierheims „Fellknäuel fürs Leben“ auf ihrem Sweatshirt. Die Einrichtung kannte Bethany nur zu gut. Der Hund mit den treuherzig blickenden braunen Augen und einem Bauch, der fast die Straße berührte, war einfach zu niedlich.

Bethany fragte, ob sie ihn streicheln dürfe. Die Frau lächelte. „Gern. Möchten Sie Meatball vielleicht adoptieren? Er ist schon zu lange bei uns und braucht ein liebevolles Heim.“

Wie konnte man einen Hund bloß „Fleischklops“ nennen? Bethany hockte sich neben ihn. Das weiche Fell fühlte sich so gut an, und es versetzte ihr einen unerwarteten Stich ins Herz, als er sie treuherzig anblickte.

Vielleicht war es auch gar nicht so unerwartet. Ja, Hunde heiterten sie immer auf, aber sie empfand auch stets Mitleid mit ihnen, insbesondere, wenn ihre Lebensumstände nicht die besten zu sein schienen. Meatball war übergewichtig, sehr schüchtern und offenbar schon im Rentenalter. All das sprach dafür, dass es nicht einfach war, ein Heim für ihn zu finden. Bethany war Spezialistin auf dem Gebiet für schwer vermittelbare Hunde. Bis vor zwei Wochen hatte sie selbst noch als stellvertretende Leiterin eines Tierheims drei Stunden südlich von Spring Forest gearbeitet, aber wegen ausbleibender Spenden musste das Heim geschlossen werden. Vergeblich hatte sie alle Hebel in Bewegung gesetzt und so viele Überstunden geleistet, um Geld aufzutreiben. Als sich das als hoffnungslos entpuppte, hatte sie all die Energie, die ihr noch geblieben war, darauf verwendet, die Tiere entweder bei neuen Besitzern oder in anderen Heimen unterzubringen.

Wäre der Anruf von Elliots Anwalt wegen des Hauses nur zwei Wochen früher gekommen, hätte sie das Heim im Alleingang retten können. Aber jetzt war es zu spät; das Gebäude war bereits verkauft und abgerissen worden, um ein Einkaufszentrum an der Stelle zu errichten – einem Ort, an dem die Mitarbeiter und die freiwilligen Helfer ihr Herzblut gelassen hatten.

Sie streichelte Meatball, sodass er sie dankbar anschaute. „Ich bin nur auf Besuch hier“, erklärte sie der Frau und entdeckte den Hinweis unter dem Tierheim-Logo: Freiwillige. Genau wie Bethany eine gewesen war, ehe sie die Stadt verlassen hatte.

Ein Paar mit einem aufgeregten Kind näherte sich der Frau und dem Hund und überschütteten sie mit Fragen. Lächelnd eilte Bethany zu ihrem Wagen.

Wie könnte dir jemand widerstehen, Meatball? überlegte sie und startete den Motor. Ein Hund wie dieser bestärkte sie in ihren Zukunftsplänen. Sie würde Elliot Bradleys Haus verkaufen und mit dem Erlös ein eigenes Tierheim zu Hause in Berryville eröffnen, um sich um Hunde und Katzen zu kümmern, die niemand haben wollte.

Auf keinen Fall wollte sie Elliots Geld für sich behalten. Sondern es in einen Ort für heimatlose Tiere investieren. Jeder Cent wäre dort gut angelegt.

Unterwegs rüstete sie sich für den Anblick von Elliots Haus. Sie konnte sich nicht dazu überwinden, es als ihr eigenes zu bezeichnen. Langsam rollte sie am Grundstück der Duprees vorbei. Genau in diesem Moment wurde dort die weiße Haustür geöffnet. Mit klopfendem Herzen bog sie in Elliots Einfahrt ein und rutschte tiefer in ihren Sitz.

Bitte lass jetzt bloß nicht Shanes Mutter aus dem Haus kommen. Die Frau, die mich vor zwölf Jahren aus der Stadt getrieben hat, als ich gerade einen Grund gefunden hatte zu bleiben.

Verstohlen schaute Bethany zum Nachbargrundstück hinüber.

Dort stand nicht Anna Dupree.

Die Person, die das Haus verließ und einen zimtbraunen Chihuahua an einer rosafarbenen Leine führte, war mindestens einen Meter neunzig groß. Schlank und sportlich. Mit etwas längerem blondem Haar. Echt sexy.

In einer blau-weißen Trage auf der Brust saß ein Baby, das neugierig über die Oak Street schaute.

Jetzt schlug Bethany das Herz bis zum Hals.

Shane Dupree war Vater?

Das sollte sie nicht überraschen. Er war dreißig, so wie sie. Und hatte sich schon immer eine große Familie gewünscht, oder?

Sie rutschte noch tiefer in ihren Sitz, ohne den Blick abwenden zu können.

Das Herz hämmerte ihr in der Brust. Sie schaute nach links in die entgegengesetzte Richtung. Vielleicht bemerkte er sie nicht.

„Grrr. Wau, wau! Grrr.“

Bethany drehte den Kopf. Der Chihuahua rannte zu ihrem Wagen und bellte sich die Seele aus dem Leib.

O je!

„Princess Dupree!“, vernahm sie eine vertraute Stimme.

Unwillkürlich musste Bethany grinsen. Shane Dupree nannte seinen Hund Prinzessin!

Vielleicht hatte seine Frau diesen Namen ausgesucht.

„Wau! Wau!“ Der Hund hörte nicht auf zu bellen.

„Sie wird also bei ihrem vollen Namen gerufen, wenn sie unartig ist?“ Bethany lehnte sich zum Seitenfenster hinaus, als Shane näher kam. Sie wusste selbst nicht, woher sie auf einmal den Mut nahm, ihn anzusprechen. Und dabei auch noch witzig klang.

Wie vom Donner gerührt, blieb er stehen.

Und starrte sie an. Entgeistert.

„Bethany?“

Verflixt! Diese blauen Augen! Mit diesen blauen Augen hatte er sie vor zwölf Jahren sechs Monate lang angeschaut und Hoffnung in ihr wachsen lassen. Sechs Monate, die ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt hatten. Ihr Blick auf sich selbst und die anderen hatte sich komplett geändert. Und die Möglichkeiten, die sich auf einmal ergeben hatten …

Doch dann war alles vorbei, und sie hatte diese Augen nie wiedergesehen.

Bis jetzt.

Sie holte tief Luft und stieg aus dem Wagen, blieb allerdings auf der Fahrerseite. Sie brauchte den SUV als Trennwand zwischen sich und ihm. „Ja, ich bin’s“, bestätigte sie von der anderen Seite des Wagendachs.

Er starrte sie immer noch an. Dann schien er sich an den freilaufenden Hund zu erinnern und kniete sich hin, um ihn wieder anzuleinen. „Sie hat sich vom Halsband befreien können“, erklärte er und erhob sich. „Meine Mutter besteht darauf, es ziemlich locker zu lassen.“

Bitte lass Anna nicht aus dem Haus kommen. Sie war noch nicht bereit für eine Begegnung mit ihr. „Der Hund gehört also deiner Mutter?“

Über den Hund zu reden war leichter, als sich nach dem Baby zu erkundigen – Name, Alter, wie lange Shane schon verheiratet war …

Verstohlen betrachtete sie seine Hand. Kein Ring am Finger.

Shane nickte. „Ich passe auf Princess auf, bis meine Mutter aus dem Wellnessurlaub mit ihrer Schwester zurückkommt. Heute ist der fünfte Tag. Ich frage mich schon, ob ich das überlebe. Dabei bin ich ausgebildeter Hundetrainer.“ Lächelnd schüttelte er den Kopf. Das Lächeln, das sie immer so fasziniert hatte.

Die Erleichterung darüber, dass sie seiner Mutter nicht begegnen musste, wurde von seiner letzten Bemerkung fast vollkommen verdrängt. „Hundetrainer? Du bist nicht Arzt geworden?“

„Nein“, erwiderte er ohne weitere Erklärung.

Was war wohl passiert? Er war doch fest entschlossen gewesen, Medizin zu studieren. Sein Traum war eine Landarztpraxis, um den Menschen zu helfen, die weitab von der nächsten Stadt und dem nächsten Krankenhaus lebten.

Einen Moment lang sahen sie einander nur an. Sie konnte kaum glauben, dass sie hier stand und sich mit Shane unterhielt. Nach all den Jahren!

Er kam um den Wagen herum. Als sie ihn in voller Größe vor sich sah – den Mann, in den sie so vernarrt gewesen war –, wurden ihr fast die Knie weich.

„Und der kleine Kerl hier“, sagte er mit einem Blick auf das Baby an seiner Brust, „ist Wyatt. Sieben Monate alt. Er kriegt gerade seinen ersten Zahn. Wyatt, das ist Bethany Robeson. Eine alte Freundin von Daddy.“

„Er ist reizend.“ Lächelnd betrachtete sie das Gesichtchen. Der Zahn lugte durchs Zahnfleisch. Der Kleine sah Shane sehr ähnlich.

„Ich erinnere mich – du wolltest doch fünf Kinder“, sagte sie. „Der wievielte ist denn der Süße?“ Noch immer staunte sie über sich selbst. Wie schaffte sie es bloß, so locker mit Shane Dupree zu plaudern – als würden sie einander täglich begegnen?

„Der Einzige“, erwiderte er. „Ich war verheiratet … aber es hat nicht funktioniert.“

„Das tut mir leid.“ Sie meinte es aufrichtig. Sie selbst war nie verheiratet gewesen, aber sie wusste, wie sich Liebeskummer anfühlte. Und eine Scheidung musste noch schlimmer sein. Trotzdem war sie erleichtert, dass sie ihm nicht mit seiner Frau begegnen musste. Das wäre zu schmerzhaft gewesen.

Einen Moment lang schaute er in die Ferne, während er Wyatts braunes Haar streichelte. Dann wandte er sich wieder an sie. „Ich habe gehört, dass Elliot dir das Haus vermacht hat. Ich hasse Klatsch, und ich weiß, dass du ihn auch nicht magst. Aber es wird nun mal drüber geredet.“

Bethany zweifelte nicht daran, dass die ganze Stadt im Bilde war. Sie betrachtete das luxuriöse Haus im Kolonialstil mit der roten Tür und den schwarzen Fensterläden. Fast schon ein Klassiker. Jedes Mal, wenn sie Shane besucht hatte, war ihr Blick auf Bradleys Haus gefallen, und sie hatte sich gefragt, wie so ein schrecklicher Mensch in einem so hübschen Gebäude leben konnte.

„Ja, ich wollte mir anschauen, was daran zu tun ist, bevor ich es zum Verkauf anbiete“, erklärte sie. „Aber beim Gedanken hineinzugehen, wird mir regelrecht übel.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Er räusperte sich. „Falls du Unterstützung brauchst – Princess, Wyatt und ich helfen gern.“

„Wau!“

Bethany warf dem winzigen braunen Hund ein Lächeln zu. „Ist das ein Ja, Princess?“

Der Hund sah sie nur an, ohne mit dem Schwanz zu wedeln. Er knurrte nur ein wenig und machte den Eindruck, als wollte er Bethany ins Bein beißen.

Aber Bethany würde die Oberhand behalten. Das war schließlich ihr Job. Oder war es gewesen. Jedenfalls hatte sie genug Erfahrung, die Furchtsamen oder Unerzogenen für sich einzunehmen. Und sie vermutete, dass Princess Dupree einfach nicht erzogen war.

„Ich habe fünf Tage, um den Hund hinzubekommen“, erklärte Shane. „Und mit hinbekommen meine ich, dass sie gehorcht, ohne dass es allzu viel Stress gibt. Meine Mutter behauptet, Princess gehorcht ihr aufs Wort, und möchte nicht, dass ich sie erziehe. Und trainieren schon gar nicht. Dabei habe ich ihr Dutzende Male erklärt, wie ein Hundetraining funktioniert, aber …“

Bethany nickte lächelnd. „Das kenne ich. Ich habe jahrelang mit Tieren gearbeitet.“

„Sieht so aus, als hätten wir beide unsere ursprünglichen Pläne an den Nagel gehängt.“

Mein ursprünglicher Plan war, nichts wie weg aus Spring Forest. Aber dann habe ich dich kennengelernt und konnte mir nicht mehr vorstellen zu gehen. Bis …

Alte Geschichten, an die sie nicht länger denken wollte.

„Komm“, schlug er vor. „Ich begleite dich hinein.“

Sie biss sich auf die Lippe und betrachtete das Haus erneut. Sie wollte es auf keinen Fall allein betreten. Bis zu diesem Moment war ihr nicht klar geworden, wie schwer ihr das fallen würde.

Angesichts der Art und Weise, wie man mit ihr und ihrer Mutter in der Stadt umgegangen war – Erinnerungen, die wie aus dem Nichts unvermittelt auftauchten –, wollte sie nur das Schild „Zu verkaufen“ im Garten aufstellen und so schnell wie möglich wieder verschwinden.

Aber in Gegenwart von Shane hatte sie sich immer stark gefühlt. Und selbstsicherer.

„Danke“, erwiderte sie. „Und danke, Princess. Du bist zwar klein, aber ich sehe schon, dass du zäh bist. Und ich brauche zähe Typen, die mit mir da reingehen.“

Princess schaute sie an. Noch immer wedelte sie nicht mit dem Schwanz, aber wenigstens knurrte sie nicht mehr. Hey, das war doch für den Anfang schon mal ganz gut!

Bethany kramte den Schlüssel hervor, den der Anwalt ihr geschickt hatte, und stieg die Stufen hinauf. Shane, Wyatt und Princess folgten ihr auf dem Fuße. Sie konnte Shanes Shampoo riechen – ein frischer Duft nach Zitrone. Sie spürte seine Gegenwart, seine Größe, seinen muskulösen Körper. Er trug verwaschene Jeans und eine braune Lederjacke.

Zwölf Jahre. Und jetzt stand er hier, nur wenige Zentimeter von ihr entfernt.

Und sie hatte geglaubt, das Haus wäre die Herausforderung!

2. KAPITEL

Bethany Robeson. Zurück in der Stadt. Zwölf Jahre hatten nichts geändert, er reagierte noch immer auf sie wie damals.

Er folgte ihr ins Haus. Der Duft ihres blumigen Parfüms stieg ihm in die Nase. Shane hatte Bethany immer sehr hübsch gefunden, aber inzwischen war sie noch schöner geworden. Sie war groß, etwa einen Meter siebzig, hatte goldfarbene Strähnen im seidigen braunen Haar, das ihr über die Schulter fiel und länger war als damals, als er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Und den Blick von ihren grünen Augen zu wenden war ihm fast unmöglich gewesen. In ihrer engen Jeans und dem Pullover, der ihre Rundungen betonte, sah sie verdammt sexy aus.

Ihre kurze Romanze im letzten Schuljahr war heftig gewesen. Es hatte ganz langsam begonnen, und dann – peng! Er wusste zwar, was man sich über Bethany erzählte, aber davon ließ er sich nicht beirren. All die Gerüchte passten überhaupt nicht zu dem Mädchen, das er von Tag zu Tag besser kennenlernte. Shane hatte zwei Wochen gebraucht, bis er sie zum ersten Mal küssen durfte. Und der Blick in ihren Augen, als sie … sie hatte so überrascht und glücklich ausgesehen. Niemandem, der sie ansah, konnte entgehen, wie süß und faszinierend sie war.

Die ganzen Jahre über hatte er sie nicht vergessen können …

Das Mädchen, das davongelaufen war. Vielleicht hatte es daran gelegen.

Gott sei Dank, hatte seine Mutter geseufzt, als er ihr erzählte, dass Bethany die Stadt verlassen hatte – einfach so. Ist auch besser so, hatte sie leise hinzugefügt.

Er hatte es trotzdem gehört. Ganz deutlich. Daraufhin hatte Shane, der damals achtzehn gewesen war und gerade die Schule abgeschlossen hatte, kein Wort mehr mit ihr gesprochen – bis sie sich entschuldigte. Er hatte seiner Mutter vergeben, aber ihre Worte nie vergessen. Und obwohl er sie weiterhin liebte, hatte ihr Verhalten einen Riss in ihrem Verhältnis zueinander hinterlassen. Er hatte sich von ihr entfernt, mehr und mehr. Die Familie war durch eine schwierige Phase gegangen – sein Vater hatte finanzielle Probleme, Shanes Pläne, die er jahrelang geschmiedet hatte, waren zunichte geworden …

Schnee von gestern …

Inzwischen spielte Wyatt die Hauptrolle in seinem Leben. Alles, was er tat, tat er für diesen kleinen Menschen, den er so sehr liebte, dass es ihm manchmal den Atem raubte. Er hatte seinen Sohn, er hatte sein Unternehmen namens Barkyard Boarding – und das war das Wichtigste für ihn. Natürlich war er froh, dass sein Geschäft gut lief. Tatsächlich war er einer der erfolgreichsten Hundetrainer weit und breit. Mit dem, was er verdiente, konnte er sich das absurd große Haus leisten, in dem seine Ex-Frau unbedingt wohnen wollte. Dabei brauchte er weder das Riesenhaus noch das Geld.

Nein. Sein Sohn und seine Arbeit – das war ihm wirklich wichtig. Alles andere nahm er, wie es kam. Als seine Ehe in die Brüche ging, wünschte er Nina alles Gute und war froh über eine recht unkomplizierte Scheidung, bei der sie sich schnell einig wurden, was die Betreuung ihres gemeinsamen Kindes anging. Sie hatte einen netten Freund, der Wyatt mochte und ihn regelmäßig in ihr noch größeres Haus holte. Shane freute sich für sie. Er hegte keinen Groll und trauerte der Vergangenheit nicht nach.

Aber jetzt war Bethany plötzlich aufgetaucht. Ein Stück seiner Vergangenheit war in sein Leben zurückgekehrt und hatte ihn so durcheinandergebracht, wie er es schon lange nicht mehr gewesen war.

Nein, danke. Bloß keine Achterbahnfahrt der Gefühle. Nicht als alleinerziehender Vater mit einem Baby, um das er sich die halbe Woche und jedes zweite Wochenende kümmern musste.

„Hm“, sagte Bethany. „Das Haus ist heruntergekommener, als ich erwartet habe. Und mit dieser altmodischen Küche kann ich bestimmt keinen ordentlichen Preis erzielen. Ich muss hier einiges an Arbeit reinstecken.“

Sehr viel Arbeit sogar. Die Tür zum Esszimmer hing aus den Angeln. Und Elliots Zigarren hatten für vergilbte Wände gesorgt.

Das Bad im Obergeschoss war in einem noch erbärmlicheren Zustand als die Küche. Shane hatte mit einem Blick festgestellt, dass die Renovierungen mindestens ein paar Wochen dauern würden, ehe man das Haus zum Verkauf anbieten konnte.

Seufzend betrachtete Bethany das von Haarrissen durchzogene Waschbecken und die rosafarbene Badewanne, an deren Rändern die Fugen zerbröckelten. „Ich habe kein Geld für Reparaturen.“ Frustriert schüttelte sie den Kopf. „Ich glaube, ich muss es in dem Zustand anbieten.“

„Oder du redest mit Harris Vega“, schlug Shane vor. „Er verkauft Häuser. Wenn du nicht flüssig bist, streicht er ein paar Prozent vom Erlös ein – für Material und Arbeitsstunden. Du würdest staunen, was er mit einem begrenzten Budget auf die Beine stellen kann.“ Er holte seine Brieftasche hervor, die mit Visitenkarten vollgestopft war, und reichte ihr eine. „Hier.“

„Danke.“ Sie warf einen Blick auf die Karte. „Ich werde ihn anrufen.“

Sie gingen wieder nach unten. „Und ich könnte dir helfen“, sagte er, noch ehe er lange darüber nachgedacht hatte. „Ich kann mich um die kleineren Reparaturen kümmern und die Möbel entsorgen. Ich glaube kaum, dass die Sitzgarnitur im Wohnzimmer verkaufsfördernd ist.“

„Das brauchst du aber nicht. Ich glaube, mit deinem Laden und Wyatt hast du genug zu tun.“

„Ich komme viermal täglich zum Haus meiner Mutter und kümmere mich um den Hund. Ich bin also ohnehin hier.“ Und ich möchte dir helfen. In ihrer Gegenwart hatte er sich immer wie ein Ritter gefühlt, der sie unterstützen und beschützen wollte. „Und du bist nicht alleine mit dem ganzen Gerümpel.“ Von dem es eine Menge gab.

„Du hast dich wirklich nicht geändert“, stellte sie fest. „Immer noch der nette Kerl.“

„Glaub mir, ich habe mich geändert. Aber es war bestimmt nicht leicht für dich hierherzukommen – in die Stadt und in dieses Haus. Also helfe ich dir. Keine Widerrede!“

Sie lächelte. „Danke. Das weiß ich zu schätzen“, antwortete sie zögernd, als ob sie sich zwingen müsste, sein Angebot anzunehmen. Er sah, dass sie sich unbehaglich fühlte. Genau wie er. „Ich wollte gar nicht lange bleiben, aber da ich den Verkauf nicht so schnell hinbekomme, wie ich gehofft habe, kann ich mir ein Motel nicht leisten. Also bleibe ich hier. Es ist ja nur ein Haus. Und nicht von Geistern heimgesucht.“

„Es ist wirklich nur ein Haus“, bestätigte er ihr.

„Ich bin überrascht, wie runtergekommen es ist“, fuhr sie fort. „Elliot war doch ein wohlhabender Anwalt.“

„Ja, er hat die Dinge schleifen lassen. Als er allein war, hatte er kaum noch Kontakte, keine Leute mehr ins Haus gelassen, keine Einladungen angenommen …“

„Vielleicht Schuldgefühle“, mutmaßte Bethany. „Obwohl er die während der Affäre mit meiner Mutter nicht zu haben schien.“

„Ja, vielleicht war es wirklich die Einsamkeit.“

Sie schlang die Arme um die Brust. „Nun ja …“

Er wartete auf einen Kommentar von ihr, aber sie schwieg.

Mit hängenden Schultern stand sie im Zimmer. Am liebsten hätte er sie in den Arm genommen. Aber dann hätte er Wyatt zerdrückt. Und wahrscheinlich auch sein eigenes Herz. Er war besser darin, seinen Sohn zu beschützen als sich selbst. Besonders wenn der Drang, Bethany zu trösten, so groß war.

Aber er würde sich hüten, etwas mit ihr anzufangen. Mit Romantik hatte er nichts mehr am Hut. Wenigstens so lange, wie Wyatt ein Baby war. Und er so viel am Hals hatte.

In seiner Trage begann Wyatt zu maunzen. Bethany trat näher und streichelte ihm über die Wange. Die Geste traf ihn mitten ins Herz.

Ja, er steckte wirklich in Schwierigkeiten.

Als Bethany die Tür hinter Shane und seinem Baby schloss, sank sie erschöpft gegen die Wand. Das war alles zu viel für sie. Das Haus. Shane. Zu erfahren, dass er geschieden war, ein Kind hatte und noch in der Stadt wohnte.

Und jeden Tag im Nachbarhaus zu tun hatte.

Sie ließ sich auf das Ledersofa sinken, stand aber sofort wieder auf und trat ans Fenster. Sie wollte nicht daran denken, dass Elliot Bradley und seine Frau auf diesen Möbeln gesessen hatten. Seit sie das Haus betreten hatte, schwirrten ihr Hunderte Fragen durch den Kopf. Fragen, von denen sie nicht sicher war, ob sie überhaupt Antworten darauf wollte.

Sie musste weg von hier. Wäre Shane nicht zufällig aus dem Haus seiner Mutter gekommen, wäre sie wahrscheinlich schon nach einer Minute wieder davongelaufen.

Um sieben komme ich noch mal und kümmere mich um Princess, hatte er beim Abschied gesagt. Wie wär’s, wenn ich eine Aufstellung von den Dingen mache, um die ich mich kümmern kann?

Fast hätte sie geantwortet, dass sie seine Hilfe nicht brauchte und dass alles in Ordnung sei.

Aber nichts war in Ordnung. Das Haus überwältigte sie in jeder Hinsicht. Abgesehen davon hatte sie zwei linke Hände. Und dann war da noch die unangenehme Wahrheit, dass sie Shane wiedersehen wollte.

Innerhalb kürzester Zeit waren all die Erinnerungen, die sie zwölf Jahre lang verdrängt hatte, wieder da. Seine Freundlichkeit, ihre Beziehung, die Leidenschaft, die Gefühle, die er in ihr erzeugte – und der Gedanke, dass alles möglich war. Damals war er ein süßer Teenager gewesen. Und jetzt war er ein richtiger Mann.

Und Vater. Als sie Wyatt in der Trage an seiner Brust gesehen hatte, war ihr das Herz aufgegangen. Weil Shane deine erste Liebe war und du den verpassten Möglichkeiten hinterhertrauerst. Auf der Fahrt nach Spring Forest hatte sie überlegt, ob Shane verheiratet war, Kinder hatte, vielleicht weggezogen war. Natürlich hatte sie überhaupt nicht damit gerechnet, ihn zu treffen – ungebunden und mit einem Baby. Er schien jedoch nicht auf der Suche nach einer Frau zu sein, was gut war. Solche Gedanken waren tabu. Jedenfalls wenn es um Shane ging.

Sie nahm ihre Tasche vom Couchtisch und eilte zur Tür. Sie wusste, was sie jetzt brauchte. Das „Fellknäuel fürs Leben“. Sie brauchte die Wärme und das Verständnis von Birdie und Bunny Whitaker. Und sie brauchte die Tiere. Bestimmt gab es Hunde, die Gassi geführt werden mussten; Katzen, mit denen sie spielen konnte; Zwinger, die gesäubert werden mussten.

Das Tierheim war Bethanys Rettung während der Schulzeit gewesen. Der Ort, die Arbeit, die warmherzigen und klugen Schwestern, die Fellknäuel fürs Leben gegründet hatten – das alles war für sie eine Zuflucht gewesen. Bis zu dem Tag, an dem sie fortgegangen war, hatte sie dort gearbeitet.

Die Fahrt zur Little Creek Road dauerte kaum fünf Minuten. Sie parkte auf dem Kiesweg und betrachtete das einstöckige Haus, das jetzt hellgelb gestrichen war und nicht mehr grau, wie sie es in Erinnerung hatte.

Kaum hatte sie das Gebäude betreten, spürte sie wieder diese altvertraute Ruhe. An den blau getünchten Wänden hingen Bilder von Katzen und Hunden, die von Künstlern aus der Gegend gemalt worden waren und zum Verkauf angeboten wurden.

Birdie betrat die Lobby und strahlte übers ganze Gesicht, als sie Bethany erkannte. Sie war inzwischen Mitte sechzig, hatte sich allerdings kaum verändert. Immer noch groß und schlank, immer noch die gleichen grauen, kurz geschnittenen Haare. Sie trug ein T-Shirt mit dem Logo des Tierheims.

„Bethany! Wie schön, dich zu sehen. Wie lange ist das jetzt her?“ Sie umarmte die Besucherin.

„Du hast bestimmt schon gehört, dass ich Elliot Bradleys Haus geerbt habe?“, sagte sie, als die beiden Frauen sich voneinander gelöst hatten.

Birdie schnitt eine Grimasse. „Ich hasse Klatsch, aber ja, ich habe es gehört. Bist du deshalb nach Spring Forest gekommen?“

Bethany nickte.

„Und wie lange bleibst du?“

„Ein paar Wochen, denke ich, denn das Haus ist ziemlich renovierungsbedürftig. Ich muss ein bisschen was machen, bevor ich es verkaufen kann.“ Sie schaute sich um. „Lass uns nicht nur rumstehen. Kann ich dir irgendwie helfen? Hier gibt’s doch immer was zu tun.“

„Richtig“, bestätigte Birdie. „Ich wollte gerade nach den Hunden schauen.“

Hunde waren gut. Hunde würden sie ablenken. Auf dem Weg zu den Zwingern konnte Bethany Gebell hören. Die Tiere waren immer aufgeregt, wenn jemand kam – mit einer Mahlzeit, für einen Spaziergang oder einfach nur zum Spielen.

„Wie fühlt es sich denn an, wieder zurück zu sein?“, wollte Birdie wissen. „Es ist viele Jahre her, nicht wahr?“

Bethany nickte.

„Vielleicht falle ich jetzt mit der Tür ins Haus“, begann Birdie. „Aber …“ Sie unterbrach sich.

„Was denn?“ Erwartungsvoll sah Bethany sie an.

Birdie nahm ihre Hände. „Könntest du dir vorstellen, Fellknäuel fürs Leben vorübergehend zu leiten? Meine Nichte Rebekah Winter, die sich in den letzten beiden Jahren darum gekümmert hat, musste ihre Stunden nach der Geburt ihrer Zwillinge reduzieren. Richard und ich arbeiten zwar mit einigen freiwilligen Helfern, aber es läuft nicht so rund …“

„Richard?“, wiederholte Bethany. Birdies Angebot bedeutete, dass sie in Spring Forest würde bleiben müssen, bis Rebekah entweder wieder Vollzeit arbeitete oder Birdie einen Ersatz für sie fand. Das wäre etwas anderes, als „nur ein paar Wochen“ zu bleiben, um ein Haus für den Verkauf vorzubereiten.

Aber wie konnte Bethany eine Bitte von Birdie Whitaker abschlagen? Außerdem wäre es nicht nur ein guter Grund, in Spring Forest zu bleiben – und viel Zeit mit ihren geliebten Tieren zu verbringen –, es würde ihr auch leichter fallen, die Angelegenheit mit dem Haus zu regeln.

„Ja, Richard“, erwiderte Birdie lächelnd. „Ich meine Doc J.“

Doc J, Richard Jackson, war der Tierarzt, der sich um die Schützlinge von Fellknäuel fürs Leben kümmerte, solange Bethany denken konnte. Aber sie hatte noch nie gehört, dass Birdie ihn Richard nannte. Und mit dem Lächeln in ihrem Gesicht sah sie aus wie eine verliebte Frau.

Bethany schmunzelte. „Ich habe tatsächlich eine Menge verpasst.“

Birdie drückte ihre Hand, während sie ihren Weg zum Hundezwinger fortsetzten. „Nun, Richard und ich sind seit einer Weile zusammen. Wir wohnen sogar gemeinsam im Farmhaus.“

Spontan umarmte Bethany die Frau. „Das ist ja toll. Ich freue mich so für dich. Richard – Doc J – ist wirklich ein feiner Kerl und ein leidenschaftlicher Tierarzt. Und wie geht es Bunny?“

„Oh, meine Schwester erlebt ihr eigenes Liebesabenteuer. Sie macht Campingurlaub mit ihrem Schatz. Er heißt Stew Redmond, und sie haben sich vor Jahren im Internet kennengelernt. Ich weiß gar nicht, wann sie nach Hause kommt – oder ob überhaupt. Sie ruft oft an und klingt sehr glücklich.“

„Ich freue mich wirklich für euch beide“, wiederholte Bethany.

„Und was ist mit dir?“, wollte Birdie wissen. „Hast du deinen Traumprinzen gefunden?“

Wieso musste sie sofort an Shane Dupree denken?

„Bislang nicht. Ich hatte ein paar Bekanntschaften, aber der Richtige war nicht dabei. Ich habe auch nicht damit gerechnet. Ich war schon immer eine Einzelgängerin.“

Birdie tätschelte ihre Hand. „Das habe ich auch jahrelang über mich behauptet. Aber man muss sich einfach öffnen. Der Liebe, meine ich. Es ist nicht einfach, wenn man sich sein ganzes Leben lang bedeckt hält.“

Wem sagst du das?

Bethany runzelte die Stirn. „Ich war gerade fünf Minuten in der Stadt, da habe ich bereits zwei Frauen, ehemalige Klassenkameradinnen, über mich tuscheln gehört. ‚Ist sie die Tochter von Elliot Bradley? Hat er ihr deshalb das Haus vermacht?‘“ Kopfschüttelnd verzog sie das Gesicht.

„Achte nicht auf diese Klatschtanten. Du bist die Beste, Bethany Robeson. Und ich bin eine ausgezeichnete Menschenkennerin.“

Bethany schmunzelte. Das stimmte. Am liebsten hätte sie Birdie gefragt, ob sie die Wahrheit kannte und was der Grund sein mochte, warum er ihr das Haus hinterlassen hatte. Aber Birdie war nicht der Typ, der Mutmaßungen anstellte. Sinnlos, darüber zu jammern, was sein könnte, bis du weißt, dass es so ist, pflegte sie zu sagen.

„Hätte ich dir sonst den Job als Leiterin von Fellknäuel fürs Leben angeboten?“, fuhr sie fort.

„Ich helfe gerne“, antwortete Bethany und reichte ihr die Hand.

„So, jetzt muss ich dich noch mal umarmen.“ Birdie setzte ihre Ankündigung sofort in die Tat um. Dann legte sie ihr einen Arm um die Schultern. „Komm. Ich zeige dir die Hunde und Katzen und die anderen Tiere, und dann stelle ich dich den Mitarbeitern vor. Wir sind ein tolles Team. Vielleicht kannst du schon morgen anfangen?“, fügte sie mit einem hoffnungsvollen Lächeln hinzu.

„Ich kann“, bestätigte Bethany.

Erleichterung machte sich auf Birdies Miene breit. Sie führte Bethany durch das Tierheim. Vor einem Zwinger blieb Bethany wie angewurzelt stehen.

„Meatball!“, rief sie, als sie den Basset in seinem Korb entdeckte.

„Du kennst den süßen Kerl?“

„Ich habe ihn heute in der Stadt getroffen. Er ist wirklich reizend.“

Birdie nickte. „Ich weiß, aber es ist nicht einfach, ein Zuhause für ihn zu finden. Man muss viel Zeit für seine Ernährung aufwenden. Schließlich darf er nicht noch mehr zunehmen. Damit fühlen sich die meisten überfordert.“

„Ich könnte das hinkriegen“, versicherte Bethany. „Als neue Leiterin werde ich ein Auge auf ihn haben.“

„Fantastisch.“ Birdie beugte sich zu dem Basset hinunter. „Hast du das gehört, Meatball? Bethany wird dich mit ihrer Liebe überschütten.“

Eine halbe Stunde später hatte Bethany das gesamte Team von Fellknäuel fürs Leben kennengelernt. Anschließend wollte sie ihr neues Büro in Augenschein nehmen. Auf dem Weg dorthin wurde die Eingangstür geöffnet, und ein abgemagerter Schäferhund trottete herein. Am anderen Ende der Leine war niemand anderes als Shane Dupree.

„Schön, dich zu sehen, Shane“, begrüßte Birdie ihn und wandte sich an Bethany. „Du fängst zwar erst morgen offiziell an, aber macht es dir was aus, dich darum zu kümmern? Ich habe noch was anderes zu tun.“

Bethany war Birdies Schmunzeln nicht entgangen. Ohne auf ihre Antwort zu warten, eilte sie aus der Lobby.

„Sieht so aus, als würden wir uns heute öfter über den Weg laufen“, meinte Shane.

Bethany kniete sich neben den Hund und legte eine Hand unter seinen Kopf. Der Hund schnupperte zögernd an ihren Fingern, doch als sie seine Kehle kraulte und beruhigend auf ihn einredete, schmiegte er sich geradezu an ihre Hand. „Er scheint ziemlich verängstigt zu sein“, meinte sie. „Wo hast du ihn gefunden?“

Shane kniete sich ebenfalls hin und tätschelte den Hund. „Jemand hat ihn auf dem Gelände von Barkyard Boarding zurückgelassen. Hunde werden oft dort ausgesetzt. Warum die Leute sie nicht einfach hierherbringen, verstehe ich nicht.“

„Ach, Tiere werden öfter ausgesetzt, als du denkst“, erwiderte Bethany.

„Ich muss mit jemandem vom Tierheim sprechen, damit sie ihn aufnehmen.“

„Das tust du bereits. Ich habe vorübergehend die Leitung hier übernommen.“

„Ein Haus und einen Job an nur einem Nachmittag?“ Er lächelte. „Willkommen in Spring Forest, Bethany Robeson.“

„Die Betonung liegt auf vorübergehend“, erwiderte sie. „Wenn das Haus erst mal fertig zum Verkauf ist, wird entweder Rebekah ihren Job hier wieder aufnehmen, oder Birdie findet jemand anderen. Und was den kleinen Kerl hier angeht …“ Bethany tätschelte ihn noch einmal und erhob sich. „Fellknäuel fürs Leben nimmt grundsätzlich alle Tiere auf, die kein Heim haben. Ein paar Zwinger stehen gerade leer. Ich werde gleich mit ihm zu Doc J gehen, um ihn untersuchen zu lassen.“

„Ich komme mit dir.“ Shane war über sein eigenes Angebot überrascht. „Irgendwie fühle ich mich verantwortlich für den Kerl, weil er auf meinem Grundstück ausgesetzt wurde. Außerdem scheint er mich zu mögen. Ich wünschte, ich könnte ihn selbst adoptieren, aber ich habe leider zu viel mit den Trainingskursen zu tun, um mich ausgiebig um ihn kümmern zu können.“

Bethany lächelte, als der Hund sich neben Shane setzte und sich an seinen Schenkel schmiegte. „Ich sage nur Birdie kurz Bescheid. Bin gleich zurück.“

Als sie wieder durch die Tür trat, trug sie ein Sweatshirt mit dem Tierheim-Logo, und Shane wurde kurz von Erinnerungen überwältigt. Als er Bethany kennengelernt hatte, trug sie genau so ein Sweatshirt. Prompt hatte er sich vorgenommen, sich dort als freiwilliger Helfer zu bewerben. Leider hatte es nicht geklappt; aufgrund der finanziellen Situation in seiner Familie war er gezwungen gewesen, einen Teilzeitjob anzunehmen und den größten Teil seines Verdienstes zu Hause abzuliefern.

„Wir bringen dich jetzt zum nettesten Tierarzt im ganzen Land“, versprach Bethany dem Hund. „Und er hat seine Praxis direkt am Ende des Flurs. Aber erst gehen wir noch mal mit dir Gassi.“

Eine gute Idee. Streunende Hunde mussten sich erst ein wenig an ihre neue Umgebung und neue Menschen gewöhnen, ehe man sie einem Arzt überlassen konnte, der sie überall abtastete und untersuchte.

Ausgelassen tobte der Hund draußen auf der umzäunten Wiese umher und apportierte die Stöcke, die beide ihm zuwarfen. Dabei stellte Shane mit einem verstohlenen Blick fest, dass Bethany keinen Ring am Finger trug. Erinnerungen an ihren ersten Kuss schossen ihm durch den Kopf. An den Moment, als sie beide ihre Jungfräulichkeit verloren – in einem Zelt, das sie in einem Wald aufgeschlagen hatten. Sehr romantisch.

„Wie ist es dazu gekommen, dass du mit Hunden arbeitest?“, wollte Bethany wissen und riss ihn aus seinen schönen Erinnerungen.

„Nachdem ich die Schule beendet hatte, ist meine Familie praktisch auseinandergebrochen. Mein Dad hat uns verlassen. Ich wusste, dass es zwischen meinen Eltern nicht mehr gut lief; sie stritten sich nur noch. Außerdem waren wir ziemlich pleite.“

„Oh, Shane, das tut mir leid. Ich erinnere mich, dass du hin und wieder finanzielle Probleme erwähnt hast.“

Er nickte. „Mein Dad hatte alles verspielt – auch das Geld, das ich verdient und zu Hause abgegeben habe. Er hatte auch die Rücklagen für mein Studium verzockt. Also konnte ich die Uni vergessen. Ich musste weiter Geld verdienen.“

„Schrecklich.“ Bethany sah bestürzt aus. „Ich wünschte, ich hätte für dich da sein können.“

Er erstarrte mitten in der Bewegung, einen Stock in der Hand. „Warum warst du das nicht, Bethany? Wieso bist du auf einmal nicht mehr da gewesen?“ Endlich hatte er die Frage gestellt, auf deren Antwort er zwölf Jahre lang gewartet hatte.

„Ich wollte dir nicht bei deinen Träumen und Plänen im Weg stehen“, antwortete sie, den Blick zu Boden geheftet.

„Wie bitte?“ Entgeistert starrte er sie an.

„Am Morgen nach der Abschlussfeier ist deine Mutter zu mir gekommen. Du hättest die Blicke sehen sollen, mit denen sie unsere Wohnung über der Kneipe angeschaut hat. Sie sagte: ‚Sieh dich doch um, Bethany. Das hier bist du. Das hier ist deine Mutter. Sechs Monate seid ihr zusammen, und plötzlich redet Shane davon, einen Vollzeitjob anzunehmen, anstatt aufs College zu gehen.‘“ Sie holte tief Luft. „Wenn du mir wirklich etwas bedeuten würdest, sagte sie noch, dann würde ich dir bei der Erfüllung deiner Träume nicht im Wege stehen. Und das sei bestimmt nicht irgendein lausiger Job und eine Ehe und ein Kind, bevor du neunzehn wärst. Sie hat nicht mehr aufgehört, auf mich einzureden.“ 

Er schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. „Himmel, Bethany. Das tut mir so leid. Davon hatte ich keine Ahnung.“

Plötzlich ergab der Anruf, den er von Bethany noch erhalten hatte, einen Sinn. Sie hatte ihn nicht einfach verlassen. Sie war dazu gedrängt worden. Von seiner Mutter. Sie hatte Bethany überredet, aus der Stadt zu verschwinden. Für nichts und wieder nichts.

Gut, dass sie weg ist, hatte er seine Mutter leise sagen hören. Ihre Beziehung war danach nie mehr dieselbe gewesen. Er fragte sich, wie es wohl gelaufen wäre, hätte er gewusst, dass sie der Grund für Bethanys Weggang war. Sie hätten wahrscheinlich kein einziges Wort mehr miteinander gewechselt. Fassungslos schüttelte er den Kopf. Er hatte nur diese eine Mutter. Und diese Mutter hatte nur dieses eine Kind. Und ein Teil von ihm war sogar dankbar, dass er von all dem nichts geahnt hatte.

„Es ist schon so lange her“, fuhr Bethany fort. „Aber ja, es hat mich beinahe umgebracht. Dich zu verlassen war das Schwerste, was ich jemals tun musste. Und ich habe eine Menge schwerer Dinge tun müssen“, fügte sie mit einem freudlosen Lachen hinzu.

Er ergriff ihre Hand. „Es tut mir wirklich so leid. Meine Mutter hatte damals eine schlimme Zeit durchgemacht. Das soll keine Entschuldigung sein. Sie war am Ende ihrer Kräfte.“

„Nun ja, das Gute an der Sache – du hast deine wahre Passion gefunden, und ich ebenfalls“, schloss Bethany. „Du wolltest mir erzählen, wie du dazu gekommen bist, bevor wir das Thema gewechselt haben.“

Ein besseres Thema. Auf jeden Fall ein leichteres. „Damals habe ich als Hundesitter gearbeitet und festgestellt, dass ich das wirklich gut konnte. Ich habe die Tiere erzogen, und irgendwann hatte sich herumgesprochen, dass ich dazu ein gewisses Talent hatte. Und plötzlich bin ich von allen möglichen Leuten gebeten worden, mich um ihre Hunde zu kümmern. Also habe ich ein Stück Land draußen in Kingdom Creek gepachtet und Barkyard Boarding gegründet, und nach der Hochzeit haben meine Frau und ich dort ein Haus gebaut. Als das Grundstück dann wegen der vielen Tiere, mit denen ich gearbeitet habe, zu klein wurde, habe ich was in der Stadt gekauft und bin mit meinem Unternehmen hierhergezogen.“

„Fällt es dir schwer, allein in Kingdom Creek zu leben, wenn Wyatt nicht bei dir ist?“, wollte sie wissen.

„Anfangs hat es sich schon seltsam angefühlt. Nina und ich haben geheiratet, weil sie schwanger war. Zuvor waren wir nur ein paar Monate zusammen gewesen und kannten uns nicht wirklich. Aber wegen des Babys wollten wir es miteinander versuchen – und wir haben uns wirklich große Mühe gegeben. Aber kurz vor der Geburt hat sie mir gestanden, dass wir einen Fehler gemacht hätten. Du kannst dir also vorstellen, dass wir beide ziemlich unglücklich waren. Also haben wir uns in aller Freundschaft getrennt und Vereinbarungen wegen des Sorgerechts getroffen. Manchmal kommt mir die kurze Ehe wie ein Traum vor, als ob es sie gar nicht gegeben hätte. Nur Wyatt ist der Gegenbeweis dafür.“

„Wo ist der Kleine denn jetzt?“

„Meine Nachbarin Sally passt auf, wenn ich einen Babysitter brauche. Sie hat zwei Enkel, aber die wohnen weit weg. Und sie liebt Wyatt. Ich kann von Glück sagen, sie zu haben.“

„Und wie ist deine Mom als Babysitterin?“

„Wirklich fantastisch. Großmutter des Jahres. Hingebungsvoll, liebevoll. Sie befolgt Ninas Anweisungen minutiös, auch wenn sie manchmal nicht ihrer Meinung ist.“

„Das ist doch gut.“ Bethany wandte sich ab und schaute dem Hund hinterher.

Anna Dupree war auf jeden Fall eine Hilfe. Sie war eine tolle Großmutter und von Anfang an für Nina da gewesen, obwohl sie sie auch nicht besonders mochte.

„Okay, lassen wir mal den Hund untersuchen“, schlug Bethany vor. Sie klang ein wenig atemlos. Der Spaziergang war anstrengender geworden als gedacht.

„Mikey“, rief Shane und kniete sich. „He, Mikey. Ich hab was für dich.“ Er hielt ein Leckerli in der Hand. Sofort kam der Hund angerannt. „Guter Junge. Ich weiß nicht, wieso er Mikey heißt, aber das passt.“ Er tätschelte den Vierbeiner liebevoll.

Bethany lächelte. „Ja, das passt.“

Eine halbe Stunde später hatte Doc J den Hund untersucht und geimpft. „Wie wäre es jetzt mit einem warmen Bad?“, fragte Bethany das Tier, als sie die Praxis verlassen hatten. „Du wirst nach Lavendel riechen, und niemand wird dir widerstehen können. Die Leute werden sich darum reißen, dich zu adoptieren.“

Shane schmunzelte. „Ich helfe dir. Ich habe noch ein bisschen Zeit, bis Sally mit Wyatt aus dem Park zurückkommt.“

„Du hast eine Schwäche für Mikey, stimmt’s?“, stellte Bethany fest.

Ja. Und für dich auch.

Und das macht mir eine Heidenangst.

3. KAPITEL

Bethany schloss die Haustür auf und blieb an der Schwelle stehen. Es ist nur ein Haus. Keine Geister. Keine Krabbeltiere. Alles wird gut, redete sie sich ein. Du hast schon Schlimmeres geschafft. Von diesem Haus würde sie sich nicht kleinkriegen lassen. Es würde sie weder verängstigen noch einschüchtern oder aus der Stadt vertreiben. Fürs Erste würde sie hierbleiben müssen, aber damit kam sie klar. Außerdem würde es hier schon bald ganz anders aussehen.

Dennoch spürte sie beim Eintreten einen Kloß im Magen. Ihr Blick schweifte zum Kaminsims, auf dem ein paar Nippesfiguren standen. Aber keine Fotografien. Sie schaute sich um. Es gab überhaupt wenig Persönliches im Zimmer. Gut so.

Sie legte ihre Handtasche auf den Couchtisch und ging hinauf ins Gästezimmer, wo sie schlafen würde. Ein Doppelbett, ein Frisiertisch, ein Läufer, ein Foto von irgendeinem Strand an der Wand. Ein nichtssagendes Zimmer, wie man es in zahlreichen Hotels finden konnte. Genau das Richtige für sie. Sofort fühlte sie sich ein wenig besser.

Der Klingelton ihres Handys kündigte eine Textnachricht an. Habe vergessen zu erwähnen, dass ich einen niedlichen Helfer – achtzehn Pfund schwer – mitbringe. Er kann mich dabei unterstützen, eine Liste der Dinge zu machen, die erledigt werden müssen. Bis später.

Das war offenbar Shanes Nummer. Sie hatte ihm ihre gegeben, als sie sich vorhin voneinander verabschiedet hatten. Sie speicherte sie und schrieb zurück: Großartig. Bis gleich. Vielleicht war es ja wirklich großartig. Shane als Vater zu erleben würde sie davon abhalten, zu viel an ihn zu denken. Zwei Duprees im Paket. Doppelter Liebeskummer, wenn sich ihnen etwas in den Weg stellte. Und das würde es, davon war sie überzeugt. Seine Mutter hatte zwar keinen Einfluss mehr auf sie, aber zwölf Jahre hatten sie selbst und Shane ganz gewiss verändert. Er war nicht mehr der Junge von achtzehn Jahren, und sie war nicht mehr dasselbe Mädchen. Unmöglich, dort wieder anzuknüpfen, wo sie aufgehört hatten. Jetzt waren sie zwei sehr unterschiedliche Menschen, deren Leben in verschiedene Richtungen führten.

Als es Punkt sieben Uhr klingelte, fuhr sie in die Höhe. Sie ging schnell zur Tür und öffnete sie. Vor ihr stand Shane. Er sah umwerfend aus. Auf der Ablage von Wyatts Kinderwagen transportierte er einen Pizzakarton.

„Bama“, machte Wyatt und lachte verschmitzt.

„Selber bama.“ Bethany lachte. Er war wirklich süß. Ein Mini-Shane. Sie öffnete die Tür weiter, und vorsichtig schob Shane den Kinderwagen herein.

„Oh, das kommt auch auf die Liste“, sagte er mit einem Blick auf das schief hängende Namensschild unter der Klingel. „Die Haustür muss ausgebessert und gestrichen werden. Die Wände ebenfalls, aber darum kann Harris Vega sich kümmern. Ebenso um die Küche und die Bäder.“

„Ich habe ihn bis jetzt noch nicht erreicht“, erwiderte Bethany. „Ich versuch’s gleich noch mal. Schau dich inzwischen um.“ Shanes Gegenwart überwältigte sie. Daher floh sie in die Küche und wählte Harris Vegas Nummer.

Dieses Mal antwortete er nach dem ersten Klingeln. Sie erklärte ihm, woher sie seine Nummer hatte, dass sie ein Haus geerbt hatte und seine Hilfe benötigte, ihr Budget allerdings begrenzt sei.

„Oh, ich kenne Elliots Haus“, antwortete Harris. „Er hat mich vor einiger Zeit um ein paar Renovierungen gebeten, aber am Ende wollte er dann doch nichts machen lassen. Die Vergangenheit soll bleiben, wie sie ist, hat er gesagt. Daher ist das Bad noch immer rosa und die Küche unmodern.“

Bethany unterdrückte einen Seufzer. Sie würde viel darum geben, wenn sie die Vergangenheit ändern könnte. Zum Beispiel ihren schlechten Ruf und wie sehr sie darunter gelitten hatte. Die Verachtung von Shanes Mutter, die sie gedrängt hatte, Shane zu verlassen. Die Einsamkeit und die schmerzvollen Erinnerungen jener ersten Jahre, als sie allein war und nach einem Platz für sich suchte. Den hatte sie glücklicherweise gefunden – das Tierheim in Berryville hatte einen „belastbaren Helfer“ gesucht, der Tiere liebte und keine schmutzige Arbeit scheute. Die Arbeit hatte sie von ihrem Kummer abgelenkt, und dank der Hunde und Katzen hatte sie sich weniger allein gefühlt.

„Das ist erst ein paar Monate her“, fuhr Harris fort. „Ich weiß also, was zu tun ist. Ich mache Ihnen ein Angebot. Ich erledige die Arbeit, und Sie geben mir dafür ein paar Prozent vom Verkaufserlös.“ Er nannte eine vernünftige Zahl, und Bethany stimmte zu.

In letzter Zeit war sie gar nicht mehr daran gewöhnt, dass die Dinge so liefen, wie sie geplant hatte. Und dass sie das Geld erst später zu zahlen brauchte, war eine große Erleichterung. „Vielen Dank, Mr. Vega.“

„Harris“, verbesserte er. „Ich bin heute mit einem Auftrag fertig geworden und sollte eigentlich ein paar Tage außerhalb arbeiten, aber das hat sich zerschlagen. Ich könnte also übermorgen bei Ihnen anfangen. Wie wäre es, wenn ich am Mittwoch um sieben Uhr bei Ihnen auftauche? Ich fange gerne früh an. Ich hoffe, das ist okay für Sie.“

„Auf jeden Fall. Ich kann Ihnen nicht genug danken.“

Sie ging ins Wohnzimmer und berichtete Shane von den guten Nachrichten. „Und er kann schon übermorgen anfangen.“

„Dann wird es höchste Zeit, mit einer Pizza zu feiern“, erwiderte er und schob sein Handy in die Tasche. „Wyatt hat schon ein bisschen Rührei und Gemüse gegessen – fast so gut wie eine Pizza. Wo möchtest du essen? Wohnzimmer? Küche?“

„Auf jeden Fall in der Küche. Von dort aus kann man in den Garten sehen und die Bäume, die gerade zu blühen anfangen. Wir haben schließlich Frühling.“

„Gott sei Dank. Princess hasst die Kälte. Bei weniger als zehn Grad möchte meine Mutter sie nicht ohne diese albernen Pullover auf die Straße lassen.“

Bethany lachte, während sie sich vorstellte, wie Shane mit einem in Rosa kostümierten Hund Gassi ging. „Ist doch süß, wie sehr sie sich um den Hund kümmert.“

„Oh ja“, sagte er und verdrehte die Augen. Er schob den Kinderwagen in die Küche. Wyatt gähnte ausgiebig. „Ich glaube, einer deiner Gäste wird gleich einschlafen.“

„Schau dir nur seine blauen Augen an“, sagte sie, als Wyatt sie weit aufriss im Versuch, wach zu bleiben. „Die hat er von dir.“

Shane schmunzelte und öffnete den Pizzakarton. „Ja, er ist zweifellos eine Miniaturausgabe von mir.“

Mit einem seltsamen Flattern im Bauch durchsuchte Bethany die Schränke und holte schließlich zwei Teller mit Goldrand heraus. In einem anderen Schrank entdeckte sie Papierservietten.

„Ich habe Mineralwasser mitgebracht“, erklärte Shane. „Ich wusste ja nicht, was im Kühlschrank ist.“

Ihr Blick fiel auf das alte Gerät. Es musste mindestens dreißig Jahre alt sein. „Ich hab noch gar nicht reingeschaut. Ich werde ihn später ausräumen.“

Er schraubte seine Flasche auf, und als sie es ihm nachtat, hob er die Flasche zum Toast. „Aufs Durchhalten.“

Erstaunt schaute sie ihn an. „Das ist dein Trinkspruch?“ Sie lachte. „Deine weisen Worte?“

„Genau die richtigen, findest du nicht?“ Er biss in ein Stück Pizza.

„Sicher.“ Sie nahm sich ebenfalls ein Stück. „Ich mag deine Aufrichtigkeit, Shane. Ich finde es gut, wenn die Leute nicht um den heißen Brei herumreden.“

„Nun, wenn du nichts gegen eine direkte Frage hast, würde ich sie gern stellen. Wie fühlst du dich denn hier in dem Haus? Ist es merkwürdig?“

„Geht so“, antwortete sie. „Ich schlafe im Gästezimmer, das ist okay für mich. Irgendwann werde ich wohl ins Schlafzimmer umziehen müssen. Aber immerhin noch nicht heute. Und Elliots Büro muss ich ebenfalls ausräumen.“

„Ich kann mir schon vorstellen, wie seltsam das für dich sein muss“, entgegnete er.

„Sehr seltsam. Wenigstens gibt es im Wohnzimmer keine Familienfotos. Es gibt überhaupt nichts Persönliches im ganzen Haus. Vielleicht hat er das alles weggepackt, als er spürte, dass er zu krank wurde.“

„Er ist an einem Herzinfarkt gestorben“, erklärte Shane. „Ganz plötzlich.“

„Oh, wie schrecklich.“ Sie legte ihre Pizza auf den Teller. „Dann war er vielleicht kein sentimentaler Mensch. Ich meine, wie hätte er das auch sein können – ein verheirateter Mann, der jahrelang eine Affäre hatte?“

„Die Fotos von sich und seiner Frau hat er vor etwa einem Monat weggepackt“, sagte Shane.

„Ach ja?“ Woher wusste Shane das?

„Ja. Ich war mit Princess unterwegs, da hat er mich ins Haus gebeten, weil er Probleme hatte, ein Glas mit Gewürzgurken zu öffnen. Als wir in der Küche standen, ist er plötzlich in Tränen ausgebrochen.“

„Wirklich?“

„Es war ihm schrecklich peinlich, aber ich habe ihm gesagt, es sei okay, alles rauszulassen, und dann stand er heulend in der Küche mit einem Handtuch vorm Gesicht. Die Verluste seien einfach zu viel für ihn gewesen, sagte er – erst seine ,liebe Freundin‘ Kate Robeson, so hat er sie genannt, und dann kaum ein Jahr später seine Frau. Deshalb habe er jetzt alle Fotos von ihm und seiner Frau weggepackt. Seine Emotionen hätten ihn überwältigt, und er habe keine Erinnerungen an sein ‚unehrliches Leben‘ haben wollen. Das waren seine Worte.“

Irgendwie tat Bethany der Mann leid, der schluchzend in seiner Küche gestanden hatte. Aber dann dachte sie an ihre Mutter, die mitten in der Nacht verschwunden war und ihre kleine Tochter in der Obhut gelangweilter Babysitter gelassen hatte. An Elliot, der seine Frau betrog. Mehr als zwanzig Jahre lang. Und trotzdem in der ganzen Stadt als angesehener Anwalt galt.

„Ich frage mich, ob er ein schlechtes Gewissen hatte, weil er seine Frau betrogen hat oder meine Mutter als seine ‚andere‘ Frau betrachtete, egal wie sehr das ihrem und meinem Ruf geschadet hat. Er musste doch wissen, wie die Leute über uns geredet haben.“

„Wenn du meine Meinung hören willst – ich glaube, Elliot hat deine Mutter sehr geliebt, und das dominierte in seinem Leben. Damit will ich ihn nicht entschuldigen, sondern nur erklären, wie er die Dinge sah.“

Bethany schaute ihn entgeistert an. „Warum hat er sich dann nicht scheiden lassen und meine Mutter geheiratet? Leute lassen sich scheiden. Leute heiraten wieder. Wer hat schon eine Affäre, die über zwanzig Jahre dauert?“

„Als er heulend in der Küche stand, hat er erzählt, er habe seiner Frau versprochen, dass er sie niemals verlassen würde und sie ihm im Gegenzug alle Freiheiten lassen würde, solange er dabei diskret wäre.“

Ihre Kehle schnürte sich zu. „Ich möchte nicht mehr darüber reden“, erwiderte sie.

Er nahm ihre Hand und drückte sie. Sie fühlte sich gut an – warm und stark. Wäre ihre Selbstkontrolle nicht so stark gewesen, hätte sie sich ihm in die Arme geworfen. Birdies Umarmung war schön gewesen, aber in Shanes Armen zu liegen und den Kopf an seine kräftige Brust zu schmiegen war alles, was sie sich in diesem Moment wünschte.

Wyatt gähnte vernehmlich. Beide schauten zu ihm hin. Shane ließ ihre Hand los, und Bethany fragte sich, wie sie hierhergekommen war. Vor zwölf Jahren hatte sie geglaubt, Shane nach dem Studium zu heiraten und nach seinem Assistenzjahr ein Baby mit ihm zu bekommen. Jetzt saß sie in dem Haus, das Elliot ihr hinterlassen hatte – entweder weil er keinen anderen Erben hatte, oder weil sie seine Tochter war –, zusammen mit Shane Dupree, dessen Leben ebenso wenig wie ihr eigenes nach Plan verlaufen war. Abgesehen von dem Baby. Ein Baby, das er mit einer anderen bekommen hatte.

„Glaubst du, Elliot hat mir das Haus vermacht, weil ich tatsächlich seine Tochter bin?“, fragte sie. „Hat er irgendetwas darüber gesagt?“

„Er hat dich mir gegenüber nie erwähnt“, antwortete Shane. „Ich glaube, er wusste gar nicht, dass wir mal zusammen waren. Ich meine, es hat ja auch nur sechs Monate gedauert, und du warst bloß ein paarmal bei mir.“

Nur sechs Monate. Aber diese sechs Monate hatten ihre Welt, ihr ganzes Leben verändert. „Deine Mutter war eiskalt mir gegenüber. Ich bin immer noch erstaunt darüber, dass ich mehr als einmal bei euch zu Hause war.“

„Es tut mir leid, Bethany. Alles, was du durchgemacht hast. Es war verdammt unfair.“

„Elliots Anwalt hat mir erzählt, dass er mich als seine Tochter bezeichnet hat. Das ist etwas anderes als zuzugeben, dass er mein Vater ist.“

„Glaubst du, dass er es ist?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe oft darüber nachgedacht. Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie viele Männerbekanntschaften hatte, bevor sie Elliot traf. Dann hat sie sich verliebt. Die anderen Freunde hat sie danach nicht mehr gesehen. Kurz darauf wurde ich geboren. Wir haben nie darüber geredet, aber ich hatte den Eindruck, sie wusste nicht, wer mein Dad war. Vor dreißig Jahren waren DNA-Tests noch nicht so einfach wie heute.“

Shane seufzte. „Vielleicht findest du irgendeinen Beweis im Haus. Dokumente oder andere Unterlagen in seinem Büro.“

„Daran habe ich auf der Fahrt hierher auch schon gedacht. Aber vielleicht will ich es auch gar nicht wissen.“

„Wieso nicht?“, hakte er nach.

„Weil ich den Gedanken hasse, dass meine Mutter einen Betrüger liebte. Fünfundzwanzig Jahre lang hat sie einen Typen geliebt, der seine Frau hintergangen hat. Möchte ich diesen Mann wirklich als Vater haben?“

„Vielleicht hatte er noch andere Qualitäten.“

„Nein“, konterte sie entschieden.

„Na ja, ich begebe mich auf ein Gebiet, auf dem ich nichts zu suchen habe. Du hast gerade drei Stücke Pizza gegessen“, lenkte er ab. „Lass uns über etwas reden, das dir nicht den Appetit verdirbt. Zum Beispiel über Mikey. Glaubst du, dass er und Meatball sich unterhalten? Woher sie kommen und wieso sie im Fellknäuel fürs Leben gelandet sind?“

Obwohl ihr zum Heulen zumute war, musste sie lächeln. „Das hoffe ich doch sehr.“

Erneut streckte er seine Hand aus. „Du schaffst das schon, Bethany Robeson. Du bist eine starke Frau, couragiert und entschlossen. Und ich bin für dich da, okay?“

Ja, sie war stark, couragiert und entschlossen. Aber sie war sich nicht sicher, dass sie damit klarkommen würde, wenn Shane auf einmal „für sie da war“.

Kaum waren Shane und Wyatt gegangen, erinnerte Bethany sich daran, dass sie noch die Wäsche in den Trockner stopfen musste. Anschließend ging sie hinaus zu ihrem Wagen, um den großen Koffer zu holen, in den sie Kleidung für eine Woche gepackt hatte. Während sie den Koffer aus dem Auto hob, fiel ihr Blick auf das Haus der Duprees, und sie fragte sich, wie Princess wohl allein zurechtkam. Vielleicht sollte sie Shane eine SMS schicken und ihm anbieten, nach dem Chihuahua zu sehen.

Vielleicht.

Vielleicht mischte sie sich aber auch ein wenig zu sehr in das Leben dieses Mannes ein.

Es würde noch eine Weile dauern, bis die Wäsche getrocknet war und sie ins Bett gehen konnte. Daher beschloss sie, sich noch ein wenig im Haus umzusehen und zu schauen, wie viel Arbeit auf sie wartete. Es gab eine Menge auszuräumen, ehe Harris Vega mit dem Renovieren anfangen konnte. Er würde besser arbeiten können, wenn nicht so viel Gerümpel in den Zimmern herumstand.

Sie begann in der Küche, wo sie eine Schublade nach der anderen öffnete, und entdeckte Besteck, Geschirr, Gläser, Essensvorräte. Im Kühlschrank stand nicht viel – Milch, Orangensaft, Butter, einige Lebensmittel, säuberlich in Plastikdosen verpackt. Morgen wollte sie das alles entsorgen und neue Sachen kaufen.

Elliots Arbeitszimmer befand sich zwischen der Küche und dem Wohnzimmer. Eine sehr männliche Einrichtung – riesiger Schreibtisch aus Kirschholz mit einem passenden Stuhl, auf dem ein schwarzes Kissen lag. Sie öffnete eine Schublade. In der oberen entdeckte sie Büromaterial, in der unteren einige Aktenmappen.

Steuerbescheide. Nebenkostenabrechnungen. Aufstellungen über Vermögenssteuer. Spendenquittungen.

Kate Robeson.

Bethany Robeson.

Fast hätte Bethany einen Satz zurück gemacht. Eine Mappe mit ihrem Namen darauf? Vielleicht hatte sie etwas mit dem Haus zu tun, das sie geerbt hatte. Eine Urkunde möglicherweise. Oder vielleicht enthielt sie Dokumente über die Vaterschaft.

Sie schloss die Schublade.

Und öffnete sie erneut.

Wie konnte man etwas wissen wollen und es gleichzeitig nicht wissen wollen?

Sie betrachtete den Ordner mit dem Namen ihrer Mutter. Was mochte wohl darin liegen? Liebesbriefe? Fotografien?

Zu viel. Zu viel für einen Tag – und ihren allerersten Tag in der Stadt. Im Haus zu wohnen und mit den Dupree-Jungs zu Abend zu essen war schon mehr als genug, um ihr Gedankenkarussell in Gang zu setzen. Mehr konnte sie nicht aushalten. Erst einmal schlafen. Morgen nach der Arbeit war sie vielleicht bereit, sich mit den Mappen zu beschäftigen.

Oder auch nicht.

4. KAPITEL

„Soso“, sagte Birdie, während sie und Bethany die Näpfe mit dem Hundefutter füllten. „Du hast mit Shane und seinem Sohn zu Abend gegessen, und er hilft dir mit dem Haus. Klingt, als ob ihr beide euch wirklich umeinander kümmern wollt.“

Bethany griff nach einem Futternapf. „Das hat sich einfach so ergeben. Ich meine, er ist zufällig aus dem Haus seiner Mutter gekommen, als ich vor Elliots Haus stand. Und dann hat er sich auch noch angeboten, für uns Pizza zu besorgen.“

„Weißt du, wie meine Schwester Bunny das nennen würde? Schicksal.“ Birdie selbst war eher Realistin.

„Und wie würdest du das nennen?“

Birdie schmunzelte. „Jetzt, da ich verliebt und glücklicher bin als jemals zuvor? Ich nenne es ein Zeichen.“

Bethany lachte. „Hast du dich jetzt auf die Seite der Esoteriker geschlagen?“

Birdie tätschelte ihre Hand. „Na ja, ich habe mich wohl tatsächlich ein bisschen verändert.“

„Ich habe nichts gegen Veränderungen. Man sollte sich sowieso nicht so sehr an die alten Sachen klammern. Aber es ist alles so … angsteinflößend. Der Grund, warum ich das Haus geerbt habe. Wieder hier in der Stadt zu sein. Und dass Shane wieder in mein Leben getreten ist. Ich habe sein Baby im Arm gehalten.“

„Shane ist ein guter Kerl“, bestätigte Birdie mit einem energischen Nicken. „Er war immer zur Stelle, wenn wir mal Hilfe gebraucht haben – wenn irgendwas am Haus oder am Zwinger zu reparieren war, wenn wir mit einem Hund nicht zurechtgekommen sind –, und er hat nie etwas dafür genommen. Und wenn ich mal keine Freiwilligen habe, die mit den Hunden spazieren gehen, kommt er sofort.“

„Er war schon immer ein feiner Mensch“, stimmte Bethany ihr zu. Fast spürte sie Tränen in den Augen. „Aber für mich ist er eben nur ein Freund und nicht mehr. Du glaubst nicht, wie lange ich gebraucht habe, um über ihn hinwegzukommen … Das möchte ich nicht noch einmal durchmachen.“

Sie stellten die Schüsseln auf ein großes Tablett und gingen zu den Zwingern.

„Aber du kannst auch nicht vor den besten Dingen im Leben davonlaufen, Bethany. Menschen zu vertrauen und sie zu lieben, ist nicht einfach, das weiß ich. Aber sich allem und allen verschließen? So kann man auch nicht leben.“

„Selbst wenn ich mir einen zweiten Versuch vorstelle – er hat ein Baby und wünscht sich eine große Familie. Ich bin nicht diejenige, die ihm das geben kann. Abgesehen davon fahre ich sowieso wieder weg, sobald das Haus verkauft ist. Und dann kommt entweder Rebekah zurück, oder du findest jemand anderen für die Leitung.“

Birdie seufzte. „Bethany, du hattest nur einen Traum in deinem Leben, nämlich Spring Forest zu verlassen. Davon hast du schon geredet, als wir uns kennengelernt haben. Aber dann hat Shane deine Pläne durcheinandergebracht. Und vergiss nicht – er war es nicht, der Schluss gemacht hat. Es muss ihn genauso hart getroffen haben wie dich. Das solltest du nicht vergessen. Beziehungen aus dem Weg zu gehen ist irgendwie modern geworden. Aber manchmal muss man die Dinge auch einfach so nehmen, wie sie kommen.“

Birdies Worte versetzten Bethany einen Stich ins Herz. „Meat­ball sieht hungrig aus“, versuchte sie, vom Thema abzulenken.

Birdie lächelte. „Du erinnerst mich an mich selbst. An die alte Birdie. Aber vielleicht erinnerst du mich ja bald an die neue Birdie.“

„Nun ja, die alte Birdie habe ich auch geliebt. Deshalb habe ich auch kein Problem, wie sie zu sein.“ Sie konnte sich glücklich schätzen, dass sie die Frau zum Reden hatte, die so voller Klugheit, Mitgefühl und Lebenserfahrung war und ihr so gute Ratschläge geben konnte. Birdies Worte hatten Gewicht – seit jeher.

Bethany öffnete Meatballs geräumigen Zwinger und setzte sich neben seinen Fressnapf. „Hallo, Meatball. Hier kommt ein köstliches Frühstück. Wenig Kalorien, damit du Gewicht verlierst. Versuch’s mal.“

Der Hund hob den Kopf und schaute zwischen ihr und dem Fressnapf hin und her. Er schnüffelte daran, nahm aber nichts davon.

„Na los, Meatball“, forderte sie ihn auf. „Lass es dir schmecken.“

Sie tätschelte ihn aufmunternd, und er begann tatsächlich zu fressen.

„Ihr beide scheint euch ja wirklich gut zu verstehen“, meinte Birdie. „Wenn du möchtest, kannst du ihn mit in dein Büro nehmen.“

„Hast du das gehört, Meatball? Dann kann ich dich da füttern. Und in der Mittagspause machen wir zusammen einen Spaziergang. Ich kenne die schönsten Plätze in der Stadt.“

Birdie lachte. „Ich glaube, Meatball wird sehr bald reif für eine Adoption sein.“

Nachdem sie sämtliche Futternäpfe verteilt hatten, gingen sie in ihre Büros zurück. Bethany nahm Meatballs Decke und Spielzeug und legte die Sachen in eine Ecke, die sie von ihrem Schreibtisch aus im Blick hatte. Er musterte sie ein wenig schüchtern, dann legte er sich auf die Decke und rollte sich zusammen.

„So ist’s richtig. Mach es dir bequem.“ Bethany tätschelte das Tier. „Ich muss jetzt zu meinem ersten Meeting. Bis später.“

Eine halbe Stunde später fühlte Bethany sich bereits wie zu Hause und hatte das Gefühl, ihrem neuen Job vollkommen gewachsen zu sein. Auch Rebekah Whitaker, die nur noch stundenweise im Tierheim arbeitete, war zu dem Treffen gekommen und hatte ihre süßen Zwillinge mitgebracht, Lily und Lucas, ein halbes Jahr alt.

Nach der Besprechung gingen Rebekah und Bethany in ihr Büro, wo Rebekah sich auf den Boden setzte und Meatballs Ohren kraulte, während sie über die Arbeit sprachen.

„Ich muss dir etwas sagen.“ Rebekah biss sich auf die Lippen, ehe sie fortfuhr. „Du solltest wissen, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich noch mal Vollzeit arbeiten werde. Meine Schwägerin Josie hilft mir zwar beim Babysitten, aber mir fällt es immer noch schwer, mich von den Zwillingen zu trennen – und sei es nur für ein paar Stunden.“ Sie schob sich das lange braune Haar über die Schultern.

„Ich kann mir vorstellen, dass das nicht leicht für dich ist“, erwiderte Bethany verständnisvoll.

Rebekah schien erleichtert über Bethanys Reaktion. „Ich bin hin- und hergerissen“, gestand sie. „Manchmal denke ich, meine Karriere kommt an erster Stelle. Dann wieder sage ich mir, die Zwillinge sind wichtiger. Ich wünschte, ich könnte beiden Seiten voll gerecht werden, aber ich habe gemerkt, dass ich mich nicht zerreißen kann.“

„Das verstehe ich vollkommen“, sagte Bethany.

„Ein Tierheim zu leiten ist nämlich nicht einfach nur ein Job, sondern fast schon eine Berufung, und er fordert dich rund um die Uhr.“

„Das kann man wohl sagen“, pflichtete Bethany ihr bei. „Aber ich versichere dir: Solange ich hier bin, werde ich mich voll und ganz Fellknäuel fürs Leben widmen.“

„Ich weiß.“ Rebekah trank einen Schluck Kräutertee. „Hast du Kinder?“

Bethany schüttelte den Kopf und nahm ebenfalls einen Schluck aus ihrer Tasse, um weitere Erklärungen zu vermeiden. Rebekah schien den Wink zu verstehen.

„Ich lass dich jetzt mal wieder arbeiten.“ Rebekah erhob sich. „Wenn du was brauchst, schick mir einfach eine SMS.“

„Das mache ich.“

Als Rebekah hinausging, drang eine vertraute männliche Stimme an Bethanys Ohr.

Shane.

Jetzt klopfte er an die Tür. In seinen engen Jeans und dem Henley-Shirt sah er richtig sexy aus. „Ich bin auf dem Weg nach Bark­yard Boarding und wollte nur mal schauen, wie Mikey sich anstellt.“

„Dem geht’s prima. Leider hat sich auf den Hinweis auf unserer Website niemand gemeldet, der ihn vermisst. Deshalb werden wir ihn in ein paar Tagen zur Adoption anbieten.“

„Er wird bestimmt ein schönes Zuhause finden.“ Er wandte sich zur Tür und zögerte. Offenbar schien er noch etwas auf dem Herzen zu haben.

Wollte er ein weiteres gemeinsames Pizzaessen vorschlagen? Was war mit seinem Angebot, ihr bei den Reparaturen im Haus zu helfen? Sie hatten noch keinen Termin vereinbart.

Sie wusste also nicht, wann sie ihn wiedersehen würde. Sie wusste nur, dass sie es unbedingt wollte.

Als Shane am Abend gegen halb acht vor dem Haus seiner Mutter parkte, fiel sein Blick als Erstes auf das Nachbargrundstück. Im Haus brannte Licht. Am liebsten hätte er den Babysitz mit dem schlafenden Wyatt genommen und an die Tür geklopft, aber er wusste, dass das keine gute Idee war. Nicht, wenn er auf Distanz bleiben wollte. Er war ja bereits im Tierheim gewesen. Natürlich nur, um nachzuschauen, wie es Mikey ging … aber eigentlich war es ihm hauptsächlich darum gegangen, Bethany wiederzusehen.

Kümmere dich um Princess! Deswegen bist du schließlich gekommen!

Er stieg aus dem Auto und platzierte den Kindersitz so vorsichtig in den Kinderwagen, dass Wyatt nicht aufwachte. Die Augen fest auf das Haus seiner Mutter gerichtet, lief Shane die Einfahrt hinauf.

Er war an diesem Tag schon zwei Mal hier gewesen, um mit Princess Gassi zu gehen. Nachdem er erfahren hatte, was seine Mutter Bethany angetan hatte, fiel es ihm immer schwerer, ihr Haus zu betreten. Der Hund konnte allerdings nichts dafür.

Er schloss die Haustür auf, doch der kleine Chihuahua kam nicht, wie erwartet, angerannt. „Princess, Zeit für den letzten Spaziergang.“ Im Haus blieb es still. Er rief sie erneut und schaute in jedem Zimmer und im Garten nach ihr. Keine Spur von dem Hund.

Er schickte Bethany eine SMS. Seltsam! Princess ist verschwunden. Kannst du mir vielleicht suchen helfen?

Sekunden später kam die Antwort. Bin gleich da.

Kaum war er im Haus, klopfte sie bereits an der Tür. Sein Puls ging schneller, und er öffnete. Sie trug graue Leggings und einen schwarzen Pullover. Das Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ziemlich sexy! In der Hand hielt sie ein Stück Mozzarella am Stiel, dem nur wenige Hunde widerstehen konnten. Wenn er sich zu einer Frau hingezogen fühlte, die ein Stück Käse in der Hand hielt, dann stand es schlimmer um ihn, als er sich jemals hätte träumen lassen.

„Sie muss doch irgendwo hier sein“, vermutete Bethany.

Shane ging in die Küche, um nach Wyatt zu sehen. „Er schläft tief und fest. Wir können ihn kurz allein lassen. Vielleicht versteckt Princess sich oben irgendwo.“

Sie gingen in die obere Etage. Mitten auf der Treppe blieb Bethany plötzlich stehen und betrachtete die Fotos an der Wand. Die meisten zeigten Shane als Kind; auf einigen war er als Teenager zu sehen.

„Ich schaue mir unsere Fotos kaum noch an“, meinte sie. „Ich habe eine Menge Selfies von uns. Aber hier sehe ich dich so, wie ich mich an dich erinnere.“

„Ich habe die Selfies auch noch“, gestand er. Nachdem sie gegangen war, hatte er die Bilder immer wieder angeschaut, doch diese Erinnerungen an ihre kurze schöne Zeit machten es für ihn nur noch schlimmer, das Alleinsein zu ertragen. Er hatte ziemlich lange gebraucht, bis er über sie hinweggekommen war.

Doch war er das wirklich?

Sein Blick fiel auf die Schlafzimmertür seiner Mutter, die nur angelehnt war. „Vielleicht versteckt Princess sich da drin.“

Er betrat das Zimmer mit den bauschigen Gardinen und den Rüschendeckchen auf dem Nacht- und dem Frisiertisch, hockte sich hin und schaute unters Bett. Tatsächlich lag Princess dort und nagte an einem Spielzeugknochen.

„Hast du mich nicht rufen gehört?“, fragte er den Hund streng. Er erhob sich und schaute zu Bethany, die an der Tür stehen geblieben war. „Ich glaube, sie hat keine Lust mehr, sich sagen zu lassen, was sie tun soll.“

Bethany lachte. „Bestimmt.“

„Letzter Rundgang für heute, Princess“, verkündete Shane. „Du gehst doch gerne Gassi.“

Der Chihuahua rührte sich nicht vom Fleck. Na gut, dann würde er eben morgen mit dem Hund gehen.

„Ich habe es zumindest versucht“, sagte er.

Bethany kam näher und hockte sich ebenfalls hin, um das Tier mit dem Mozzarella hervorzulocken. „Schau mal, Princess, was ich hier für dich habe.“

Sofort kam der Hund angeschossen und nahm Bethany den Käse aus den Fingern. Danach verkroch er sich wieder unters Bett.

Shane lachte. „Kluger Hund. Okay, Princess, wenn du noch mal rausmusst, nimm die Hundeklappe in der Küchentür. Du weißt ja, wo’s langgeht. Wir sehen uns morgen früh.“

Der Chihuahua regte sich nicht.

Shane knipste das Licht aus, und sie gingen hinunter in die Küche. Wyatt schlief immer noch. Shane schob den Kinderwagen zur Tür.

„Hier sieht nichts mehr so aus, wie ich es in Erinnerung habe.“ Bethany schaute sich um. „Aber ich war ja auch nicht oft hier, nicht wahr? Deine Mutter hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich nicht willkommen war.“

„Ich versuche, möglichst nicht an das Gespräch zu denken, das ich mit meiner Mutter führen werde, wenn sie aus dem Urlaub zurück ist“, sagte er. „Aber es wird eines geben.“

Wie sähe sein Leben aus, wenn Bethany geblieben wäre? Sie hätten geheiratet, daran zweifelte er nicht im Geringsten.

Natürlich würde es dann Wyatt nicht geben. Und das mochte Shane sich auch nicht vorstellen.

Er holte tief Luft. „Es erscheint dir so fremd, weil meine Mutter alles umdekoriert und neu eingerichtet hat. Ich habe ihr dabei geholfen. Um die alten Erinnerungen loszuwerden.“

„Aha. Ich verstehe.“

„Wie läuft’s denn nebenan?“

„Ich gewöhne mich immer mehr daran. Ich habe mittlerweile den Kühlschrank und die Speisekammer ausgeräumt und neu bestückt. Im Supermarkt haben mich ein paar Leute angeglotzt, als würden sie fragen: ‚Ist das Bethany Robeson?‘ Und jemand anderes habe ich sagen hören: ‚Sie hat Elliot Bradleys großes Haus geerbt. Ich habe ja schon immer gewusst, dass sie seine Tochter ist.‘“ Sie schüttelte den Kopf. „Schon erstaunlich, dass sich nach so langer Zeit noch jemand an mich erinnert oder diese alten Geschichten ausgräbt. Aber je kleiner die Stadt, umso länger das Gedächtnis, vermute ich.“

Es tat ihm leid, dass sie mit diesen Dingen konfrontiert wurde. Klatschtanten!

„Das stimmt“, pflichtete er ihr bei. „Über meine Familie haben sie sich auch die Mäuler zerrissen, nachdem mein Vater abgehauen war. Es gab jede Menge Gerüchte, aber einige Geschichten stimmten auch. Immer wenn ich diesen Tratsch gehört habe, hätte ich am liebsten eine Wand eingeschlagen. Aber stell dir nur vor, ich müsste mit einem kaputten Arm mit einem Neufundländer Gassi gehen. Der würde eher mit mir gehen als ich mit ihm.“

Sie lächelte mitfühlend. „Wie hast du diese Zeit überstanden?“

„Die Hunde haben mir geholfen.“

Einen Moment lang sah sie ihn nur schweigend an. Dann trat sie zu ihm und umarmte ihn. „Mir auch“, flüsterte sie.

Ihm stockte der Atem. Dann erwiderte er ihre Umarmung. Niemals im Leben hätte er damit gerechnet, Bethany noch einmal in den Armen zu halten. Aber jetzt war sie hier, ganz nahe bei ihm, den Kopf an seine Brust geschmiegt. Es war, als hätte es die letzten zwölf Jahre nicht gegeben.

Erinnerungen schossen ihm durch den Kopf. Ihre Spaziergänge im Wald, wie sie einander bei den Händen gehalten, über alles geredet und manchmal auch nur geschwiegen hatten. Es hatte ihnen gereicht, einfach nur beisammen zu sein. Der erste Kuss. Wie er sie umarmt hatte. Die erste gemeinsame Nacht.

Gerade wollte er ihr übers Haar streichen und versichern, dass alles gut werden würde, als sie einen Schritt zurücktrat.

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich. „Ich habe mich ein wenig hinreißen lassen.“

„Wovon?“

„Es gab mal eine Zeit, da waren wir beide auf derselben Wellenlänge. Wir haben uns so gut verstanden. Und jetzt, da es offenbar Hunde sind, die uns durch die schwerste Zeit unseres Lebens helfen …“ Sie verstummte, aber er verstand sie.

„Dieselbe Verbindung“, sagte er.

„Genau“, flüsterte sie. Sie holte tief Luft und wandte sich ab. Er spürte, wie sie sich zusammenriss. „Ich sollte besser zurückgehen. Harris wollte früh vorbeikommen, um das Haus anzuschauen und einen Termin für die Renovierung zu machen.“

„Klar. Eine Tasse Kaffee wäre schön“, erwiderte er lächelnd.

Sie kniff die Augen zusammen. „Habe ich was von Kaffee gesagt? Obwohl – ich habe tatsächlich heute frischen besorgt – und einen Kürbiskuchen.“

„Ich liebe Kürbiskuchen.“

Den mochten beide.

„Ich fühle mich ein bisschen schuldig, wenn Wyatt nichts von dem Kürbiskuchen abkriegt, weil er noch schläft“, gestand sie. „Andererseits – mit sieben Monaten ist es wohl eh noch ein bisschen zu früh für ihn mit Kuchen.“

Irgendwie fühlte er sich erleichtert. Denn er hätte sie in diesem Moment nur ungern allein gelassen. Andererseits war da noch ein Gefühl, das er nicht so recht beschreiben konnte.

Wahrscheinlich bildete er sich das nur ein, beruhigte er sich. Obwohl er sich geschworen hatte, auf Distanz zu bleiben, fing er an, sich allzu sehr um sie zu kümmern.

Hatte sie sich ihm wirklich an den Hals geworfen? Ja, das hatte sie, und sie war froh darüber, denn es hatte sich sehr gut angefühlt. Und dass er sich zu ihr eingeladen hatte. Sie wusste, dass es ihm weniger um Kaffee ging, sondern um sie beide – dass sie eine Schulter hatte, an die sie sich anlehnen konnte, und dass sie nicht allein war.

Sie sollte sich allerdings nicht zu sehr auf seine Schulter verlassen.

Bethany goss eine Kanne herrlich duftenden Kaffee auf und schnitt den Kuchen an, von dem sie zwei Stücke auf den Tisch stellte. Wyatt schlief noch immer in seinem Wagen. Sie warf ihm einen geradezu verzückten Blick zu.

„Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass du noch keine eigenen hast“, bemerkte Shane, während er sie betrachtete. Sie zuckte zusammen.

„Schon als Kind war mir klar, dass ich keine Kinder haben würde“, entgegnete sie. „Das wusstest du doch.“ Allerdings hatte sie sich eine Zeit lang durchaus vorstellen können, Mutter zu werden – nämlich als sie mit Shane zusammen war. „Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem mir klar wurde, dass ich keinem Kind auf der Welt zumuten würde, das zu erleben, was ich erlebt habe. Ich war zehn; die Babysitterin beachtete mich überhaupt nicht, es gab nur eine ekelige aufgetaute Pizza zu essen, keine Hilfe bei den Schularbeiten, ich war sauer wegen irgendetwas, das in der Schule passiert war, und hatte niemanden, mit dem ich darüber hätte reden können. Und ich habe mich lange gefragt, warum sich die Leute über meine Mom das Maul zerreißen.“ Aus Angst, dass ihr die Tränen in die Augen steigen könnten – was nicht selten passierte, wenn sie an ihre Kindheit dachte –, machte sie sich an der Kaffeemaschine zu schaffen.

„Du musstest ziemlich schnell erwachsen werden“, stellte er fest.

„Weißt du, was seltsam ist? Egal was damals passiert ist – ich wusste, dass meine Mutter mich geliebt hat. Sie war einfach nur nicht wie andere Mütter. Und obwohl ich sie auch geliebt habe, war ich verletzt, weil sie mich in diese Situation gebracht hatte – dass sie sich ganz und gar ihrem Freund angepasst und meine Bedürfnisse vernachlässigt hatte. Als ich dreizehn war und mehr verstehen konnte, habe ich für mich beschlossen, dass es besser ist, keine Kinder zu haben, als das Risiko einzugehen, dass mein Kind mir mein Verhalten eines Tages auf die gleiche Weise übelnehmen könnte.“

„Nichts spricht dagegen, seine Meinung zu ändern. Das weißt du doch, oder? Eine Entscheidung, die du als Kind oder Teenager getroffen hast, kann nicht deine ganze Zukunft bestimmen.“

„Natürlich kann sie das“, widersprach sie. „Woher soll ich wissen, ob ich eine gute Mutter bin? Warum so ein Risiko eingehen?“

Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch dann biss er sich auf die Lippen und schwieg.

„Mein Dad war auch nicht gerade der Vater des Jahrhunderts“, erzählte er. „Aber ich versuche, der beste Dad zu sein, den ich mir gewünscht hätte. Darauf kommt es an. Und nicht darauf, wie ich groß geworden bin.“

Sie brachte Kaffee und Zucker an den Tisch. Mit einem Blick auf Wyatt bemerkte sie: „Du bist ein großartiger Vater, Shane.“ Du bist überhaupt großartig.

„Schön, dass du das sagst. Trotzdem frage ich mich dauernd, ob ich alles richtig mache. Als Ehemann habe ich versagt – und wenn ich dabei auch versage?“ Er schaute zu Wyatt hinüber. „Was ist wichtiger, als sein Vater zu sein?“

„Du nimmst deine Verpflichtung und diese Verantwortung sehr ernst. Daher wird nie etwas wichtiger sein. Ich glaube nicht, dass du dir irgendwelche Sorgen machen musst.“

„Das Gleiche könnte ich von dir sagen, Bethany. Gute Eltern sein heißt nachsichtig, mitfühlend, geduldig und immer da zu sein. Es geht darum, diesen kleinen Menschen so sehr zu lieben, dass du dich manchmal einfach hinsetzen musst, weil dich dieses Gefühl umhaut.“

„Aber manche Menschen haben dieses Gen vielleicht gar nicht“, wandte sie ein.

„Man wird Eltern. Man wird nicht als Eltern geboren.“ Er goss Milch in seinen Kaffee und gab zwei Zuckerwürfel dazu.

Sie setzte sich und faltete die Hände um ihren Becher. „Gestern Abend habe ich in Elliots Schreibtisch zwei Aktenmappen gefunden – eine mit meinem Namen und eine mit dem meiner Mutter. Ich habe mich nicht getraut hineinzuschauen.“

„Du musst auch gar nichts sofort tun“, entgegnete er. „Aber irgendwann solltest du es. Wenn es Antworten gibt, und je nachdem, wie sie ausfallen, wirst du endlich die Wahrheit wissen.“

„Will ich das überhaupt? Dass mein Vater ein Mann war, der seine Frau fünfundzwanzig Jahre lang betrogen hat? Der meine Mutter und mich zum Gespött der ganzen Stadt gemacht hat? Ich sage nicht, dass er allein daran die Schuld trägt. Meine Mutter hat freiwillig eine Affäre mit einem verheirateten Mann angefangen, ist bei ihm geblieben und hat mich in der Stadt großgezogen, in der sich jeder über uns das Maul zerrissen hat. Aber wenigstens war sie da – manchmal jedenfalls. Er dagegen nie. Und wenn ich herausfinde, dass er nicht mein Vater ist? Dann bin ich das Ergebnis eines unbekannten Flirts, für den drei Männer infrage kommen. Ich kenne nicht einmal ihre Namen.“

„Das tut mir leid, Bethany. Ich weiß, dass es so oder so schwer für dich ist. Aber es ist besser, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und seinen Frieden zu finden, als dass dir die Ungewissheit auf ewig zu schaffen macht.“

„Mir macht gar nichts zu schaffen.“

„Echt jetzt? Es hat dein Leben ziemlich beeinflusst. Vielleicht kannst du endlich loslassen, wenn du die Wahrheit kennst.“

„Vielleicht“, gab sie zu. „Oder ich fühle mich noch viel schlechter.“

Er ergriff ihre Hand. „Ich bin für dich da, das weißt du.“

Autor

Melissa Senate

Melissa Senate hat viele Romane für Harlequin Enterprises und andere Verlage geschrieben, inklusive ihres ersten veröffentlichten Romans „See Jane Date“, der für das Fernsehen verfilmt wurde. Unter dem Pseudonym Meg Maxwell war sie auch Autorin von sieben in der Harlequin Special Edition-Reihe erschienenen Büchern. Ihre Romane werden in über...

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