Bianca Extra Band 143

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  • Erscheinungstag 14.12.2024
  • Bandnummer 143
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523561
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Brenda Harlen

1. KAPITEL

2:14

Hope Bradford blickte von der Zeitanzeige auf ihrem Armaturenbrett zu dem mit Schindeln verkleideten Haus, dessen Fenster alle dunkel waren.

Natürlich waren sie dunkel. Schließlich war es mitten in der Nacht.

In ihren Augen brannten plötzlich Tränen. War das Erleichterung? Oder Bedauern?

Vielleicht auch einfach nur Erschöpfung.

Sie war gerade neun Stunden lang durchgefahren – mit nur einer Pause zum Tanken und für einen Snack.

Wieso hatte sie nicht vorher daran gedacht, dass sie mitten in der Nacht bei ihrer Großmutter ankommen würde? Aber mit dem klaren Denken haperte es schon eine ganze Weile – zumindest, seit sie wissentlich ihre Karriere torpediert hatte. Aber daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern.

Und deshalb hatte sie gerade die fast tausend Kilometer von Sherman Oaks in Kalifornien nach Haven in Nevada in einem Rutsch zurückgelegt. Diese Kleinstadt war immer noch ihr Zuhause, auch wenn sie ihr vor so langer Zeit den Rücken gekehrt hatte.

Als sie am Vortag mit ihrer Großmutter Edwina telefoniert hatte, hatte diese ihr versichert, dass bei ihr immer ein Zimmer für Hope frei war, wenn sie eins brauchte.

Und sie brauchte eins.

Dringend.

Allerdings konnte sie wohl kaum um zwei Uhr in der Frühe ihre Großmutter aus dem Schlaf reißen.

Wie lange war es her, dass sie das letzte Mal hier gewesen war? Drei Jahre? Vier?

Sie hatte die Schuld für ihr langes Fernbleiben immer auf ihre Karriere geschoben, und sie war tatsächlich ziemlich beschäftigt gewesen. Aber in Wahrheit hatte sie sich gedrückt. Sie wollte sich nicht an das Mädchen erinnern, das sie hier gewesen war. An den Jungen, den sie damals geliebt hatte.

Und jetzt in Erinnerungen zu schwelgen war auch keine gute Idee.

Stattdessen stellte sie den Sitz, so weit es ging, nach hinten und machte für die nächsten fünf Stunden die Augen zu. Edwina war immer um Punkt sieben wach – eine Angewohnheit aus der Zeit, in der sie bei der Post gearbeitet hatte. Bis dahin musste Hope eben warten.

Sie war gerade eingedöst, als ein Klopfen an der Scheibe sie zusammenzucken ließ. Instinktiv griff sie nach ihrem Handy und wollte gerade den Notruf wählen, als sie erkannte, wer da in ihren Wagen schaute.

Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, und diesmal konnte sie sie nicht zurückhalten.

Edwina öffnete die Tür, sobald Hope von innen aufgeschlossen hatte, und Hope warf sich ihr praktisch in die Arme. Selbst um diese Uhrzeit umgab ihre Großmutter ein Hauch Chanel No 5, ein tröstlicher Duft aus der Vergangenheit.

„Ich dachte schon, du willst die Nacht in deinem Auto verbringen“, sagte Edwina, während sie Hope in die Arme schloss.

„Ich wollte dich nicht wecken“, erwiderte Hope und setzte hinzu: „Wieso bist du um diese Uhrzeit überhaupt wach?“

„Meine Einfahrt ist kameraüberwacht. Ich bekomme eine Benachrichtigung, wenn der Bewegungsmelder ausgelöst wird.“

„Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Das wollte ich gerade vermeiden.“

„Ich habe nicht wirklich geschlafen“, sagte Edwina. „Ich habe auf dich gewartet.“

„Aber ich habe doch gesagt, dass ich morgen komme. Also eigentlich heute, aber viel später eben.“

„Ich weiß, aber ich habe an deiner Stimme gehört, dass du gleich losfahren wolltest.“

„Da hattest du Recht“, gab Hope zu. Es fühlte sich gut an, zu wissen, dass ihre Großmutter sie immer noch so gut kannte.

„Na, dann komm“, sagte Edwina. „Dein Bett ist schon frisch bezogen.“

Hope griff nach ihrer Reisetasche auf dem Rücksitz, in die sie das Nötigste gepackt hatte. Die Koffer im Kofferraum konnten warten.

„Du hast bestimmt tausend Fragen“, sagte sie, als sie das Auto abschloss.

„Reden können wir morgen.“ Edwina hielt die Tür auf und bedeutete ihr einzutreten. „Jetzt musst du erst mal schlafen.“

Hope nickte, auch wenn sie nicht viel Hoffnung hatte, dass sie wirklich schlafen konnte. In den letzten Wochen hatte sie oft lange wach gelegen und war am Morgen nach unruhigen Träumen so müde und rastlos aufgewacht, wie sie ins Bett gegangen war.

Oder nicht so sehr rastlos wie richtungslos. Denn wenn sie nicht Lainey Howard aus der Serie Rockwood Ridge war, wer war sie dann?

Mit dieser Frage hatte sie sich seit dem letzten Treffen mit ihren Produzenten und dem letzten Telefonat mit ihrer Agentin Tag und Nacht herumgeschlagen.

Oder vielleicht sollte sie Jenny Stanwyck ihre ehemalige Agentin nennen – denn wozu brauchte man einen Agenten, wenn man keinen Job mehr hatte?

Nach einer weiteren festen Umarmung stieg Hope die Treppe zu ihrem früheren Kinderzimmer hinauf. Und obwohl ihre Gedanken immer noch rasten, war sie eingeschlafen, bevor sie sich richtig hingelegt hatte.

Michael Gilmore – von seinen Freunden MG genannt – ignorierte das ständige Zirpen seines Handys, das ihm innerhalb kurzer Zeit mindestens fünf Textnachrichten verkündete. Er war dabei, den großen Stall auf der Circle G Ranch auszumisten, und dabei wollte er sich nicht stören lassen. Es war ein wenig schwieriger, den Vibrationsalarm in seiner Hosentasche auszublenden, der die nun folgenden Anrufe meldete, aber auch das gelang ihm gut. Er holte das Handy nicht mal raus, um nachzuschauen, wer ihn da bombardierte – das wusste er auch so.

Bernie, sein fast fünfzig Kilo schwerer Bernhardiner, bellte missbilligend. Offenbar hatte der Hund das Handy auch gehört und fand es nicht gut, dass sein Herrchen nicht ranging.

„Ich bin nicht in der Stimmung, mit jemandem zu reden“, erklärte MG, wobei ihm die Ironie, dass er stattdessen mit seinem Hund sprach, nicht entging. „Jedenfalls nicht mit jemandem, der auch was sagt“, setzte er hinzu.

Wieder bellte Bernie.

„Du musst auch immer das letzte Wort haben, was?“, murmelte Michael, während er die Schubkarre anhob und aus dem Stall schob.

Dabei biss er die Zähne zusammen, um den Schmerz zu unterdrücken. Dieses feuchte Wetter war Gift für sein Bein. Wenn man das Wetter am Schmerz in seinen Knochen ablesen konnte, fühlte man sich wirklich alt – dabei war er erst vor Kurzem fünfunddreißig geworden.

Noch dazu hatten die Folgen seiner Verletzung dazu geführt, dass er nur noch die einfachsten – und unerfreulichsten – Aufgaben auf der Ranch erledigen konnte, was er wieder mal verfluchte, als er die Schubkarre am Misthaufen auskippte. Aber immerhin konnte er dreißig Minuten später frisches Stroh in die letzte der Boxen streuen. Draußen bellte Bernie wieder – diesmal war es ein freudiges Bellen.

Noch vor einem halben Jahr hatte er gelacht, wenn Eltern behaupteten, sie könnten am Schreien ihres Babys erkennen, ob es hungrig oder nass war oder einfach nur Aufmerksamkeit brauchte. Doch seit Bernie in sein Leben getreten war – zwei Monate nach dem Unfall, der es fast beendet hatte – war er eines Besseren belehrt worden.

Der bald zwei Jahre alte Bernhardiner war ein Geschenk seiner Cousine Skylar gewesen, die beschlossen hatte, dass er die nötige Motivation brauchte, seinen selbstmitleidigen Hintern (ihre Worte) jeden Morgen aus dem Bett zu schwingen. Diesen Job erledigte Bernie sehr gewissenhaft – und war MG darüber hinaus ein unkomplizierter Freund und Begleiter. Viel unkomplizierter als jeder Mensch.

Das freudige Bellen verriet ihm, dass Paige Gallagher angekommen war. Sie war seit fast drei Jahren seine feste Freundin und arbeitete als Physiotherapeutin im örtlichen Krankenhaus. Offenbar hatte sie aus der Tatsache, dass er ihre Nachrichten und Anrufe ignorierte, nicht geschlossen, dass er nicht in der Stimmung für Gesellschaft war.

Durchs Stallfenster sah er ihren silbernen SUV. Bernie rannte los, um die Besucherin zu begrüßen. MG dagegen blieb, wo er war, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und versuchte, nicht von Paiges Übergriffigkeit genervt zu sein.

Er wusste, dass er ihr dankbar sein sollte für alles, was sie für ihn getan hatte. Und das war er ja auch. Er war dankbar und genervt.

Sie war es gewesen, die ihn gefunden hatte, nachdem er im Januar spät in der Nacht mit seinem Snowmobil einen Unfall gebaut hatte. Sie hatte einen Krankenwagen gerufen und Erste Hilfe geleistet. Ohne sie wäre er gestorben – und das war keine Übertreibung: Mit einem offenen Oberschenkelbruch überlebte man bei minus zehn Grad nicht lang.

Er hörte ihre weiche Stimme, als sie Bernie begrüßte. Bestimmt rollte sich der riesige Hund wieder auf den Rücken, damit sie ihm den Bauch kraulte, was er liebte.

Ein paar Minuten später betrat Paige den Stall, doch als sie mit MG sprach, klang ihre Stimme gar nicht mehr so liebevoll wie vorher bei Bernie.

„Du bist heute Morgen nicht zur Physio gekommen.“

MG verstreute weiter frisches Stroh. „War das heute?“

„Du weißt verdammt gut, dass das heute war“, erwiderte Paige. „Du hast jeden Dienstag und Donnerstag zur selben Zeit einen festen Termin.“

Was schon besser war als die drei Termine pro Woche, die er nach seinem Unfall verordnet bekommen hatte – weshalb er zu der Zeit auch mit Paige in ihrer Stadtwohnung gewohnt hatte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte er dort auch bleiben können, als er nur noch zwei Termine brauchte, doch er hatte es kaum abwarten können, wieder auf der Ranch zu wohnen. Er brauchte einfach seinen Freiraum.

Und sagte das nicht schon alles über ihre Beziehung aus?

„Kenzie meinte, einmal die Woche wäre genug“, wandte er ein.

„Wenn es weiterhin eine stetige Verbesserung gibt.“

„Wie du siehst, komme ich gut klar.“

„Und warum lässt dich dein Vater dann immer noch Ställe ausmisten?“

„Das musst du wohl ihn fragen.“

„Mache ich.“

MG seufzte. „Na gut, ab und zu habe ich Schmerzen, aber insgesamt geht es mir viel besser.“

„Wenn du willst, dass dein Bein wieder voll einsatzfähig wird, darfst du die Physio nicht schleifen lassen.“

„Du hast recht. Bitte sag Kenzie, dass es mir leidtut, dass ich sie heute versetzt habe.“

„Das kannst du ihr am Donnerstag selbst sagen.“

MG umfasste seine Harke fester – um den Schmerz zu unterdrücken und seiner Frustration Herr zu werden. „Natürlich. Ich werde es ihr am Donnerstag selbst sagen.“

Paige nickte. „Gut. Und jetzt muss ich wieder zur Arbeit.“

„Du bist wirklich den ganzen Weg hier rausgefahren, um mich damit zu nerven, dass ich einen Termin verpasst habe?“

„Wenn du auf meine Nachrichten geantwortet hättest oder ans Telefon gegangen wärst, hätte ich das nicht müssen.“

„Wann hast du denn geschrieben? Oder angerufen?“

Ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen, während sie den Kopf schüttelte. „Du bist ein ganz schlechter Lügner, MG.“ Dann stellte sie sich auf Zehenspitzen, um einen Kuss auf seine Lippen zu hauchen. „Das ist eine deiner besseren Eigenschaften.“

„Ich habe mehr als eine?“

Sie zuckte die Achseln. „Kommt auf die Tagesform an.“

„Autsch.“

„Pack dir Eis auf dein Bein, wenn du fertig bist“, sagte sie. „Und vergiss nicht, deine Übungen zu machen.“

Er griff nach ihrer Hand, als sie sich zum Gehen wandte, und sie blieb stehen und drehte sich mit fragendem Blick um.

„Tut mir leid“, sagte er.

Sie hob die Augenbrauen. „Für was genau entschuldigst du dich jetzt?“

„Ich weiß, dass ich schwierig bin – schwieriger als normal –, seit ich den Unfall hatte.“

„Dem kann ich nicht widersprechen“, erwiderte sie. „Zu deinem Glück liebe ich dich trotzdem.“

„Ich habe wirklich Glück“, gab er zu. Wie so oft beschlichen ihn leise Schuldgefühle, weil er wusste, dass Paige einen so viel besseren Mann als ihn verdient hätte. Aber irgendwie konnte er sie auch einfach nicht freigeben.

Sie schenkte ihm ein warmes und echtes Lächeln. „Ich dachte mir schon, dass du irgendwann zu dieser Erkenntnis kommen würdest.“

Er zog sie zu sich und küsste sie noch einmal. „Wir sehen uns am Freitag.“

„Du meinst Donnerstag?“

Diesmal musste auch er lächeln. „Ja, am Donnerstag zu meinem Termin und am Freitag zu deinem Geburtstag.“

„Ich war mir nicht sicher, ob du dran denken würdest.“

„Habe ich je deinen Geburtstag vergessen?“

„Nein. Aber in den letzten acht Monaten hattest du auch mehr als genug anderes im Kopf.“

„Du solltest nicht so verständnisvoll sein. Ich war schließlich selbst schuld.“

„Es war ein Unfall“, erklärte sie mit Nachdruck.

Nun ja. Natürlich hatte er nicht vorgehabt, in eine Schneewehe zu fahren und das Schneemobil umzukippen, aber er hätte auch nicht nachts im Dunkeln herumfahren sollen, wenn er in Gedanken ganz woanders war.

Paige wusste allerdings nicht, dass er abgelenkt gewesen war – und wovon. Vermutlich war es auch nicht so klug, ihr zu sagen, dass er an eine andere Frau gedacht hatte.

An die eine, die sich davongemacht hatte.

Die eine, die sich, laut Internet, am Tag seines Unfalls zum fünften Mal verlobt hatte.

Ob Hope Bradford ihren neuesten Verlobten tatsächlich heiraten würde, hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht festgestanden, aber die Tatsache, dass sie den Antrag eines anderen Mannes angenommen hatte, zeigte MG – wieder einmal –, dass sie bereit war, ihr eigenes Leben zu leben. Ein Leben ohne ihn.

„Ich hole dich um sieben ab“, sagte er zu Paige.

Denn wie hieß es doch so schön in dem bekannten Song: If you can’t be with the one you love, love the one you’re with – wenn du nicht bei der sein kannst, die du liebst, liebe die, bei der du bist.

2. KAPITEL

Als Hope am nächsten Morgen aufwachte, wusste sie zuerst nicht, wo sie war. Es dauerte einen Moment, bis sie sich orientiert hatte, denn das Zimmer, in dem sie schlief, hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem aus ihrer Highschoolzeit. Bei ihrem letzten Besuch war alles unverändert gewesen, doch jetzt sah es ganz anders aus. Sie stand auf und blickte sich neugierig um.

Die vormals pflaumenblauen Wände waren hellgrau gestrichen und hatten nur hier und da ein paar lavendelfarbene Akzente. Sie hatte auch nicht in einem schmalen Bett geschlafen, sondern, wie ihr jetzt erst auffiel, in einem Doppelbett mit einer cremefarbenen Tagesdecke und bunten Kissen, die sie letzte Nacht einfach beiseitegeschoben hatte. Statt ihrer schwarzen Chiffonvorhänge hingen weiße Bambusrollos an den Fenstern, und der alte Teppichboden war entfernt worden, sodass jetzt die weiß gekalkten Kieferndielen zu sehen waren.

Offenbar hatte Edwina seit Hopes letztem Besuch einige größere Renovierungen an dem alten Haus vorgenommen, die Hope letzte Nacht, müde wie sie war, einfach übersehen hatte. Auch das Bad, das sich ihrem Zimmer anschloss, war brandneu. Es gab eine große Badewanne, eine separate Dusche, der Waschtisch hatte eine Marmorplatte und an der Decke hing ein Kronleuchter.

Gern hätte sie die neue Dusche mit der Regenbrause gleich ausprobiert, doch die Sehnsucht nach einem Kaffee war größer. Also putzte sie sich nur schnell die Zähne und zog sich ihren Frotteebademantel über das T-Shirt und die Boxershorts, in denen sie schlief.

Als sie nach unten ging, bemerkte sie ein wenig enttäuscht, dass die Stufen nicht wie früher knarrten. Warum hatte ihre Großmutter so viel renoviert?

In Gedanken versunken bemerkte Hope erst am Fuß der Treppe, dass aus der Küche nicht nur Kaffeeduft, sondern auch Stimmen drangen. Dass es nicht das Radio war, erkannte sie daran, dass Edwina plötzlich kicherte. Sie hoffte jedenfalls, dass es ein Kichern war, denn so einen Laut hatte sie von ihrer Großmutter noch nie gehört.

„Hör auf damit, Dennis.“

Dennis?

Wer zum Teufel war Dennis?

„Womit soll ich aufhören?“ Die männliche Stimme war ein tiefer Bass.

„Das weißt du ganz genau.“

Wieder ließ Edwina dieses Kichern hören.

Wie erstarrt stand Hope im Flur. Sie sehnte sich nach diesem Kaffee, aber sie wollte auch nicht stören, was immer da in der Küche zwischen ihrer Großmutter und Dennis ablief.

Schließlich entschied sie sich für Zweiteres und wollte die Treppe wieder hinaufgehen, was den Dielenboden im Flur laut knarzen ließ. Offenbar war der noch ganz der Alte.

„Bist du das, Hope?“, rief Edwina aus der Küche.

„Ich komme später wieder“, erwiderte sie. Viel später.

„Unsinn.“ Ihre Großmutter erschien in der Tür, griff nach Hopes Arm und zog sie in die Küche.

„Ich wusste nicht, dass du Gesellschaft hast“, protestierte Hope. „Ich wollte euch nicht unterbrechen.“

„Du unterbrichst hier gar nichts. Ich war gerade dabei, dir deinen Lieblingspfannkuchen zu machen. Mit Schokostückchen.“

„Ach ja, das hast du gerade gemacht?“, fragte Dennis, offenbar amüsiert.

Edwina warf ihm einen tadelnden Blick zu, stellte eine Pfanne auf den Herd und schaltete das Gas an.

Hope warf einen vorsichtigen Blick in Richtung des Mannes. Er grinste und schien Spaß zu haben. Außerdem kam er ihr irgendwie bekannt vor. Er sah fast so aus wie ihr … Direktor auf der Highschool?

„Mr. Kirk?“

Er nickte. „Es ist lange her, Hope. Ich war nicht sicher, ob du mich wiedererkennen würdest.“

„Achtzehn Jahre“, erwiderte sie.

„Und jetzt hast du mir die Gelegenheit genommen, dich vorzustellen und dabei zu erwähnen, dass du drei Mal den Emmy als beste Schauspielerin gewonnen hast“, sagte ihre Großmutter etwas enttäuscht.

„Ja, das erwähnt sie immer wieder gern“, bestätigte Mr. Kirk.

„Es ist schon eine Ehre, wenn man nur nominiert wird“, sagte Hope.

„Was auch schon fünf Mal der Fall war“, fügte Edwina stolz hinzu. Sie reichte Hope eine volle Kaffeetasse. „Milch und Zucker stehen auf dem Tisch.“

„Danke, ich trinke ihn schwarz.“

Edwina verzog das Gesicht.

„Die Kamera macht einen fünf Kilo schwerer“, erklärte Hope. „Milch und Zucker sind unnütze Kalorien.“

„Das hätte deine Mutter auch gesagt.“

„Und sie hätte ja auch Recht damit.“

„Nun ja, hier gibt es keine Kameras“, versicherte Edwina.

Dafür war Hope dankbar, doch sie hoffte (vielleicht ein wenig zu optimistisch), dass sie in nicht allzu ferner Zukunft wieder vor Kameras stehen würde. Allerdings gab es auch Momente, wo sie sich fragte, ob sie jemals wieder nach Los Angeles zurückkehren konnte.

Doch die Kollegen vor und hinter der Kamera bei der Serie Rockwood Ridge waren in den letzten acht Jahren zu mehr als Freunden geworden. Aus der Serie herausgeschrieben zu werden, war damit ein noch härterer Schlag, als einfach einen Job zu verlieren, den sie noch dazu wirklich liebte. Plötzlich abgesägt zu werden fühlte sich an, als hätte man sie aus der Familie verbannt.

Vielleicht hätte sie bleiben sollen, um ihre Seite der Geschichte darzulegen. Denn wegzurennen bedeutete natürlich auch, dass jetzt das Studio bestimmte, wie man ihr Verschwinden aus der Serie der Öffentlichkeit erklärte – was sicherlich bald passieren würde. Aber sie war einfach zu fertig gewesen, um zu bleiben.

„Jetzt behaupte nur noch, dass du auch keinen Ahornsirup und Schlagsahne auf deinen Pfannkuchen willst.“

Edwinas Bemerkung riss Hope aus ihren Gedanken.

„Ehrlich gesagt möchte ich nicht mal Pfannkuchen“, erwiderte sie. „Aber danke dir.“

„Du musst doch was essen“, beharrte ihre Großmutter und legte den ersten Pfannkuchen auf einen Teller neben dem Herd. „Du bist ja nur noch Haut und Knochen.“

Ganz so schlimm war es vermutlich nicht, aber sie hatte tatsächlich abgenommen. Der Stress der letzten Wochen hatte ihr zugesetzt, und ihre Kleidung saß sehr locker.

Aber darüber wollte sie nicht reden. Jetzt noch nicht. Und bestimmt nicht vor Dennis. Stattdessen wandte sie sich dem Besucher zu und fragte betont beiläufig:

„Und was bringt Sie zu so früher Stunde hierher, Mr. Kirk?“

„Du bist nicht mehr auf der Highschool, Hope. Du kannst mich Dennis nennen.“

„Auch gut – also was machst du zu so früher Stunde hier, Dennis?“

Statt zu antworten, blickte er zu Edwina hinüber. „Möchtest du die Frage vielleicht beantworten?“

„Sollte ich wohl“, erwiderte diese und stellte einen Teller mit Pfannkuchen vor ihm ab.

„Ich dachte nicht, dass es eine besonders schwierige Frage ist“, bemerkte Hope.

„Ist es auch nicht“, stimmte Edwina zu. „Also sage ich es dir ganz geradeheraus: Dennis hat nicht heute früh vorbeigeschaut, er hat heute Nacht hier geschlafen. Und die Nacht davor auch. Und viele davor.“

Hopes Verstand weigerte sich, das Offensichtliche zu akzeptieren. Stattdessen fragte sie: „Vermietest du wieder Zimmer?“

Das hatte Edwina in den letzten Jahren manchmal gemacht – um ein zusätzliches Einkommen zu haben, aber vermutlich auch, weil sie einfach gern Gesellschaft hatte.

„Nein, er hat nicht in einem der Gästezimmer geschlafen, sondern bei mir.“

Dennis schob seinen Stuhl zurück und stand auf. „Ich denke, ich frühstücke im Wohnzimmer weiter.“

Edwina lächelte ihm zu. „Ach, du magst deine Pfannkuchen nicht mit einem Schuss heikler Familiengespräche?“

„Da ich nicht zur Familie gehöre, verzichte ich dankend.“

„Kann ich auch verzichten?“, fragte Hope, als Dennis draußen war.

„Stört es dich, dass deine Großmutter einen Liebhaber hat?“, fragte Edwina.

„Es stört mich nicht, ich bin nur überrascht“, gab Hope zurück.

„Überrascht, dass eine Zweiundsiebzigjährige Sex hat?“

„Überrascht darüber, dass wir das am Frühstückstisch besprechen.“

„Da du das Frühstück abgelehnt hast, ist es nur ein Tisch.“

„Na gut, vielleicht nehme ich einen Pfannkuchen“, entschied Hope.

Schmunzelnd legte Edwina zwei Pfannkuchen auf einen Teller und reichte ihn ihr. Hope setzte sich, griff nach dem Ahornsirup und träufelte ihn großzügig über ihr Frühstück.

Nachdem Paige weg und MG endlich mit seinen Aufgaben fertig war, setzte er sich hinter den Schreibtisch im Büro am anderen Ende der Scheune. Erleichtert entlastete er sein schmerzendes Bein in dem bequemen Chefsessel aus Leder und schaltete den Computer ein. Natürlich würde er niemals zugeben, dass es ein Fehler gewesen war, die heutige Physio ausfallen zu lassen, doch er nahm ein paar Schmerztabletten, bevor er die Fleurop-Webseite aufrief und Blumen bestellte, die Paige am Freitag geliefert werden sollten. Danach reservierte er einen Tisch im angesagtesten Restaurant der Stadt. Das war der einfache Teil. Jetzt kam das Schwierige: das Geschenk.

Zuerst surfte er zur Webseite des örtlichen Juweliers, in der Hoffnung, dort etwas zu finden. Bei der Arbeit trug sie nie viel Schmuck, weil er dort störte, doch wenn sie ausgingen, sah er sie immer mit auffälligen Ohrringen, Ketten oder Armbändern. Und die paar Male, wo er ihr etwas anderes als Schmuck geschenkt hatte, war sie nicht sehr beeindruckt gewesen.

Er hatte ihr schon Ohrringe, Armbänder, eine auffällige Kette und sogar eine Armbanduhr gekauft. Das eine, was er nie in Betracht zog – und was sie laut seiner Schwester Olivia wirklich wollte – war ein Verlobungsring. Er öffnete die entsprechende Seite und betrachtete die Ringe.

Den nächsten Schritt zu machen hatte er lange hinausgezögert. Doch in den letzten acht Monaten war er schließlich zu der Erkenntnis gekommen, um die er sich so lange herumgedrückt hatte – er würde Paige Gallagher letztendlich heiraten.

Es gab keinen Ausweg mehr.

Denn wie machte man mit der Frau Schluss, die einem nicht nur das Leben gerettet hatte, sondern auch seine ganzen Macken und Launen klaglos ertrug?

Wenn er das gewusst hätte, hätte er es vermutlich schon längst getan. Doch so musste er einsehen, dass es keinen vernünftigen Grund gab, Paige nicht zu heiraten.

Außer den, dass er sie nicht liebte.

Nicht lieben konnte.

Denn ihm war vor langer Zeit das Herz gebrochen worden und es war nie wieder ganz verheilt. Es schien ein Fluch der Gilmores zu sein, dass sie sich nur einmal und dann für immer verliebten.

Achtzehn Jahre nach dem Tag, an dem er sich von der Frau verabschiedet hatte, von der er geglaubt habe, sie wäre die erste und einzige Liebe seines Lebens, sah er endlich ein, dass es Zeit für einen Neuanfang wurde.

Warum also sollte er Paige nicht endlich das geben, was sie wollte?

Warum sollte er ihr nicht einen Ring mit einem großen Diamanten kaufen und sie fragen, ob sie ihn heiraten wollte?

Weil du sie nicht liebst.

MG ignorierte die warnende Stimme in seinem Kopf. Denn selbst wenn es stimmte, dass er sie nicht von ganzem Herzen liebte – so, wie er einst Hope Bradford geliebt hatte –, war er ja auch nicht mehr derselbe Mensch wie damals. Damals war er noch ein halber Junge gewesen, der sich leicht von der Anziehung und Zuneigung beeindrucken ließ, die er für das schönste Mädchen auf der Welt empfunden hatte. Ein Junge, der viel zu lange mit einem gebrochenen Herzen herumgelaufen war.

Doch irgendwann waren die Stücke wieder zusammengewachsen, und er hatte festgestellt, dass es eine ganze Menge interessanter und ansehnlicher Single-Frauen in der Stadt gab. Frauen, die ihm vorher nie aufgefallen waren, weil seine Gefühle für Hope ihn blind für solche Dinge gemacht hatten. Nachdem er sie einmal bemerkt hatte, hatte er angefangen, mit ihnen auszugehen, weil es einfach Spaß machte. Allerdings blieb er mit keiner zu lange zusammen, weil er ihnen keine falschen Hoffnungen machen wollte. Er wusste ja schon, dass er sich nie wieder verlieben würde.

Dann hatte er Paige kennengelernt. Sie schien genauso viel Freude an ihrem Zusammensein zu haben wie er und sie hatte niemals irgendwelche Forderungen gestellt. Und so waren aus Wochen ganz unauffällig Monate geworden, dann zwei Jahre. In diesen zwei Jahren hatten seine Schwester und sein Bruder ihre großen Lieben gefunden und geheiratet.

Paige war mit ihm auf den Festen gewesen und hatte bei der Gelegenheit ein paar Bemerkungen fallen lassen, dass sie sich Hoffnung auf eine Zukunft mit ihm machte. Doch sie hatte ihm nie ein Ultimatum gestellt. Offenbar setzte sie darauf, dass er von selbst merken würde, dass sie füreinander geschaffen waren – worüber sie sich anscheinend vollkommen sicher war.

Vielleicht hatte sie recht.

Vielleicht war es tatsächlich an der Zeit, dass er es einsah.

„Schaust du dir etwa wirklich gerade Verlobungsringe an?“

MG drehte sich um und sah seine Schwester hinter seinem Stuhl stehen. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er sie gar nicht gehört hatte.

„Was machst du denn hier mitten am Tag? Solltest du nicht in der Schule sein?“

„Es sind Ferien. Die Schule geht erst nächste Woche wieder los. Du willst Paige also endlich einen Antrag machen?“

„Es wird vermutlich langsam Zeit.“

Olivia runzelte die Stirn. „So sollte man die Sache aber nicht betrachten. Bei einer Verlobung geht es doch darum, dass man den anderen so sehr liebt, dass man sich gar nicht vorstellen kann, ohne ihn zu sein.“

„Wenn du irgendwann nicht mehr als Lehrerin arbeiten willst, kannst du bestimmt Texterin für Glückwunschkarten werden.“

„Ich meine es ernst, MG.“

„Ich auch.“ Er klickte auf einen Solitärring mit einem Prinzessschliff, sodass Olivia das vergrößerte Bild sehen konnte. „Was hältst du von dem hier?“

„Ich denke, du überstürzt die Dinge.“

„Sagt die, die nach dem ersten Date verlobt war und ein paar Wochen später geheiratet hat.“

„Den Mann, den ich geliebt habe, seit ich fünfzehn war.“

„Tja, das Glück hat eben nicht jeder.“

„Stimmt. Aber bei uns Gilmores ist es eben so. Mom und Dad. Mitch und Lindsay. Ich und Adam.“

„Und worauf willst du damit hinaus? Oder wolltest du mir nur Vorträge halten?“

„Ich bin gekommen, weil ich heute was gehört habe, was du vielleicht auch wissen solltest.“

„Mich interessiert der Kleinstadt-Tratsch nicht.“

„Oh doch, dieser schon.“

Er hob eine Augenbraue. „Na dann, schieß los.“

„Hope Bradford ist wieder in Haven.“

MG schaffte es, sich jegliche äußere Reaktion zu verkneifen, doch er konnte nicht leugnen, dass sein Herz bei der Neuigkeit ein paar Schläge ausgesetzt hatte.

Nach achtzehn Jahren hätten die Erinnerungen ja eigentlich ein wenig verblasst sein sollen, doch allein die Erwähnung von Hopes Namen brachte alles zurück – in Farbe und 3-D.

Das Bild einer Siebenjährigen mit blonden Zöpfen und blauen Augen, die kurz vor Thanksgiving in seine Klasse gekommen war. Das Gefühl ihrer seidigen Haare, die seine Wange kitzelten, wenn sie sich zu ihm beugte, um ihm etwas zuzuflüstern. Der beruhigende Druck ihrer Hand, wenn er zu einem Vortrag an die Tafel musste. Ihr süßes Lächeln.

Das war natürlich ganz am Anfang gewesen, als ihre Freundschaft kindlich und unschuldig war. Doch sie hatten sich immer nahegestanden. Und dann, in der siebten Klasse, als er sich gewünscht hatte, irgendwo anders zu sein als beim Valentinsball der Unterstufe, hatte Hope ihn mutig um einen Tanz gebeten.

Bis heute musste er jedes Mal, wenn er „You Were Meant For Me“ hörte, an diesen Tanz und an Hope denken. Und jedes Mal vermisste er sie und hasste sie gleichzeitig.

Denn die besten Zeiten seines Lebens hatte er mit ihr gehabt – und er hatte wirklich geglaubt, dass sie ihn ebenso sehr liebte wie er sie. Sich von ihr zu verabschieden war furchtbar gewesen – weil es ihm zeigte, dass ihre Liebe zu ihm nicht so stark war wie ihr Wunsch, im Rampenlicht zu stehen.

Dennoch freute er sich für sie, dass sie bekommen hatte, was sie wollte, auch wenn das für ihn nicht galt. Denn alles, was er je gewollt hatte, war sie.

„Ja und?“

Er blickte betont beiläufig wieder auf den Bildschirm mit den Verlobungsringen, als wolle er seiner Schwester zeigen, dass er nicht nur von ihren Neuigkeiten unbeeindruckt, sondern auch bereit war, den Rest seines Lebens mit einer anderen Frau als Hope Bradford zu verbringen.

Oliva kniff die Augen zusammen. „Das war gut gespielt, aber ich weiß, dass es dir nicht egal ist.“

„Vielleicht. Aber das mit Hope ist wirklich sehr lange her.“

„Und jetzt willst du Paige einen Antrag machen, um das zu beweisen?“

„Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“

„Das hoffe ich“, sagte Olivia, noch immer misstrauisch. „Denn keine Frau hat es verdient, der Trostpreis zu sein.“

„Ist sie nicht“, versicherte MG ihr.

„Na ja, wie auch immer. Jedenfalls wollte ich dich nur vorwarnen wegen Hope.“

Er lächelte. „Wenn sie mir im Dunkeln begegnet, werde ich sicher mit ihr fertig.“

„Das werden wir dann sehen. Ich reite jetzt mit Dolly aus.“

Sie küsste ihn auf die Wange und ging. MG widmete sich wieder den Ringen. Er war ein wenig überrascht und sehr erleichtert gewesen, dass Olivia ihn nicht gefragt hatte, warum er einen Ring kaufen wollte, wo er doch den handgearbeiteten Platinring seiner Großmutter hatte, mit dem er einer Frau einen Antrag machen konnte. Aber von diesem umwerfenden Ring mit einem Diamanten im Altschliff, der auf jeder Seite von drei kleineren Steinen akzentuiert wurde, wusste seine Schwester vielleicht gar nichts.

Sicherlich würde auch Paige dieser Ring gut gefallen. Aber er war ihm vermacht worden, als er mit Hope zusammen gewesen war. Damals war er sich ganz sicher gewesen, dass er ihr diesen Ring irgendwann an den Finger stecken würde.

Und obwohl er sich da wohl mächtig geirrt hatte und obwohl er völlig über Hope hinweg war, brachte er es einfach nicht über sich, diesen Ring irgendeiner anderen Frau zu geben.

„Willst du heute nicht mal in die Stadt gehen?“, fragte Edwina, als Hope am Freitag vorsichtig die Küche betrat.

Hope zuckte die Achseln. „Wohin sollte ich gehen? Ich genieße es, hier meine Ruhe zu haben.“

„Du versteckst dich.“

Hope nahm sich eine Tasse aus dem Schrank, um sich Kaffee einzugießen.

„Vielleicht.“

„Ganz sicher. Und ich werde nicht zulassen, dass es so weitergeht.“

„Was soll das heißen? Wirfst du mich raus?“

„Nur für ein paar Stunden.“

„Du meinst das ernst.“ Als Hope das klar wurde, breitete sich Panik in ihr aus.

„Und wie. Es ist ein herrlicher Sommertag. Mach einen Spaziergang zu The Daily Grind, hol dir einen dieser Lattes, die du so magst, schnapp etwas frische Luft und lass dir die Sonne ins Gesicht scheinen.“

Ein Spaziergang klang wirklich nicht schlecht. Die Panik ließ etwas nach. Wenn sie einen Hut und Sonnenbrille trug, würde sie vermutlich niemand erkennen. Wenn sie in L.A. durch die Straßen ging, gab es immer jemanden, der sie als Lainey Howard aus Rockwood Ridge erkannte. Aber das hier war nicht L.A. und niemand in Haven rechnete damit, einer halb-berühmten Hollywoodschauspielerin über den Weg zu laufen.

Und obwohl Edwinas Kaffee nicht schlecht war, vermisste Hope tatsächlich ihren täglichen Latte. Als sie in Haven aufgewachsen war, hatte sie nicht mal gewusst, was das ist – und die Angestellten im örtlichen Café vermutlich auch nicht. Doch während ihrer Abwesenheit war aus Cal’s Coffee Shop „The Daily Grind“ geworden, und jetzt gab es dort ein langes Menü spezieller Heißgetränke – einschließlich eines Skinny Vanillelatte, den sie bei ihrem letzten Besuch entdeckt hatte.

„Na gut“, erklärte sie. „Ich mache einen Spaziergang.“

„Prima Idee“, erwiderte ihre Großmutter trocken.

Hope ging zurück in ihr Zimmer und tauschte ihren Schlafdress gegen eine Dreiviertelhose von Alice + Olivia und ein elfenbeinfarbenes Seidentop von Gucci. Als sie in den Spiegel schaute, stellte sie fest, dass das für einen Brunch in Los Angeles vollkommen angemessen war, für einen Latte im örtlichen Coffeeshop aber vermutlich völlig overdressed.

Erfolglos durchwühlte sie ihren Koffer nach einer Alternative – ihre mitgebrachte Garderobe eignete sich einfach nicht für eine Kleinstadt. Auf gut Glück öffnete sie die unterste Schublade ihrer alten Kommode und fand dort tatsächlich drei sehr alte Jeans und einen Haufen Leggins in verschiedenen Farben. Sie schlüpfte in eine der Jeans und fischte aus der Schublade darüber ein blaues T-Shirt mit tiefem Rundhalsausschnitt. Etwas entsetzt stellte sie fest, dass sie tatsächlich einen Gürtel brauchte, damit die Jeans, die sie mit siebzehn getragen hatte, nicht rutschten. Aber das hatte auch was Gutes – so brauchte sie wenigstens kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie jeden Morgen Edwinas leckere Pfannkuchen genoss.

Auch das T-Shirt saß sehr locker, aber immerhin rutschte es ihr nicht von den Schultern. Die Haare band sie zu einem Pferdeschwanz, den sie durch die Öffnung ihrer alten Dodgers Baseballkappe zog. So würde sie niemandem, dem sie in der Stadt begegnete, auffallen, wie sie beim Blick in den Spiegel zufrieden feststellte. Aber sie sah blass aus, also tuschte sie sich noch die Wimpern und legte etwas Lipgloss auf, bevor sie das Haus verließ.

Auf dem Weg ins Stadtzentrum sagte sie sich, dass es Unsinn war, nervös zu sein. Vermutlich erinnerte sich in Haven niemand an sie, und selbst wenn, wusste ja niemand, warum sie hier war. Bisher hatte die Presse nicht mal Wind davon bekommen, dass sie die beliebte Serie verlassen hatte, was aber vermutlich nicht mehr lange so bleiben würde.

Und Edwina hatte recht – es war ein herrlicher Tag. Sonnig, aber nicht so unerträglich heiß wie in L.A. Auf den Straßen und in den Einfahrten spielten Kinder. Auf dem Rasen eines Vorgartens rannte ein Kleinkind juchzend durch die Fontänen eines Rasensprengers, spielerisch verfolgt von seiner jungen Mutter.

Es versetzte Hope einen kleinen Stich. Sie hatte nie groß darüber nachgedacht, ob sie Kinder wollte, bis ihre Freundin und Kollegin Bethany schwanger geworden war. Die Autoren hatten ihre Schwangerschaft in die Serie eingearbeitet und sie hatte das Kind später auch zum Dreh mitgebracht, wo sie es in den Pausen stillen und mit ihm spielen konnte.

Da hatte Hope zum ersten Mal etwas neidisch festgestellt, dass sie das auch wollte – einen Ehemann und ein Kind. Allerdings hatten ihre drei Verlobungen sie nicht zu diesem Ziel geführt, weil sie zwar gern Zeit mit Marcus (und dann Justin und dann Seth) verbrachte, aber sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, den Rest ihres Lebens mit ihnen zu verbringen. Und sie wollte auf keinen Fall wie ihre Mutter werden, die mit dreiundfünfzig sechs Mal verheiratet gewesen war.

Als sie beim Café ankam, schob Hope ihre melancholischen Gedanken beiseite und atmete tief den Duft nach frisch gemahlenem Kaffee und süßem Gebäck ein. Doch als sie dran war, bestellte sie nur den Skinny Vanilla Latte.

Die Frau hinter dem Tresen würdigte sie nicht mal eines zweiten Blickes, als sie bezahlte, und Hope entspannte sich etwas, während sie auf ihre Bestellung wartete. Es gab viele freie Tische, doch Hope entschied sich für den Außenbereich und setzte sich an einen der kleinen Bistrotische auf dem Bürgersteig, um ihr Getränk zu genießen.

Mehrere Kunden kamen und gingen, ohne ihr auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, sodass sie schließlich sogar die Sonnenbrille abnahm, um auf ihrem Handy die Klatschnachrichten zu lesen.

Eine Gruppe von vier Teenagerinnen, alle schlank und hübsch in Trägertops und sehr kurzen Shorts, ging an ihr vorbei ins Café. Sie redeten und lachten und genossen offenbar die letzten Ferientage.

So ein Mädchen war sie auch mal gewesen. Jung und unbeschwert, fröhlich mit ihren Freundinnen, optimistisch und mit großen Träumen.

Tja, die Zeiten ändern sich, dachte Hope und trank noch einen Schluck.

Ein paar Minuten später kamen die Mädchen wieder aus dem Café. Das erste – mit dunkler Haut und glatten schwarzen Haaren, die ihr offen über den Rücken fielen – blieb unvermittelt stehen, worüber sich ihre Freundinnen halblaut beschwerten.

„Was ist denn jetzt los?“, fragte die Blondine mit den Zöpfen hinter ihr.

„Das ist Lainey Howard“, sagte die Erste.

„Was?“, quiekte die Brünette mit den üppigen Locken, während die Vierte im Bunde, ebenfalls blond, gleichzeitig „Wer?“ fragte.

Hope blickte wieder auf ihr Handy und tat so, als ob sie die Vier nicht höre.

„Ich glaube nicht, dass sie das ist.“

„Was sollte sie auch in Haven?“

„Sie ist hier aufgewachsen.“

„Und wenn schon. Wenn du es aus diesem Nest schaffen würdest, würdest du dann jemals zurückkommen, Tori?“

Die Mädchen kicherten.

„Entschuldigen Sie?“

Hope blickte auf.

„Sind Sie Lainey Howard – aus Rockwood Ridge?“, fragte die Brünette.

Natürlich hätte sie verneinen können, dann wären die vier einfach weitergegangen. Aber sie freute sich immer, Fans zu treffen, und sie fand es auch wichtig, dass diese Fans sahen, dass Schauspieler auch nur Menschen waren.

„Eigentlich heiße ich Hope Bradford. Aber ja, im Fernsehen spiele ich Lainey Howard.“

„Ich hab’s euch doch gesagt“, trumpfte die Erste, die die anderen mit Tori angesprochen hatten, auf.

Ihre blonde Freundin mit den Zöpfen wirkte eher verärgert als beeindruckt.

„Sie sind Thorne Chesterfields Frau?“, fragte sie Hope.

„Nur in der Serie“, erwiderte diese leichthin.

Aus dem Augenwinkel sah sie einen großen, breitschultrigen Mann mit kurzem dunklen Haar auf dem Bürgersteig.

Obwohl die Mädchen, die sie umringten, sie daran hinderten, einen richtigen Blick auf ihn zu erhaschen, war der Sprung, den ihr Herz machte, Beweis genug für seine Identität.

Michael Gilmore.

„Sie sind mit Thorne verheiratet, aber Sie haben mit Forrest geschlafen!“

Der anklagende Tonfall lenkte Hopes Aufmerksamkeit wieder auf das Mädchen mit den Zöpfen.

„Wer ist Forrest?“ Die andere Blondine kannte die Serie offenbar nicht.

„Thornes Bruder.“

„Oh.“

Hope hatte einige Erfahrung mit Fans, die Schwierigkeiten hatten, zwischen den Schauspielern und den Rollen, die sie spielten, zu unterscheiden, und das blonde Mädchen mit den Zöpfen gehörte offenbar zu genau dieser Sorte.

Hope hätte anführen können, dass die Geschichte von Autoren entwickelt wurde und die Schauspieler kein Mitspracherecht hatten, oder sie hätte – ganz ehrlich – sagen können, dass sie nie wirklich mit Forrest geschlafen hatte, doch sie nahm an, dass die Teenagerin ihr nichts davon glauben würde.

Stattdessen sagte sie: „Das war wirklich nicht besonders schlau von Lainey.“

„Sie sind eine verlogene und ehebrecherische Schla…“

„Missy!“, rief eins der anderen Mädchen schockiert.

„Du verstehst das nicht! Sie hat ihm das Herz gebrochen!“ In Missys Augen standen echte Tränen.

„Nein!“, rief Tori und versuchte, ihre Freundin aufzuhalten, die ausholte und kurz davor war, ihren Eiskaffee nach Hope zu werfen.

Hope machte sich schon auf die kalte Dusche gefasst, doch dann stellte sich jemand vor sie.

Michael.

Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie seinen Namen laut ausgesprochen hatte, bis er sich zu ihr umdrehte. Sein Hemd war durchnässt von dem Eiskaffee, und auf seinem so unglaublich attraktiven Gesicht zeichnete sich Ärger ab.

Das schmerzlich vertraute Gesicht des einzigen Mannes, den sie je wirklich geliebt hatte.

3. KAPITEL

„Ohmeingott, es tut mir so, so leid, Mr. Gilmore.“

Missy Sutherland konnte sich gar nicht genug entschuldigen. „Ich wollte Ihnen nicht meinen Eiskaffee aufs Hemd schütten.“

Leider half die sicherlich ernst gemeinte Entschuldigung des Mädchens kein bisschen gegen das unangenehm kalte, nasse, klebrige Gefühl auf seiner Haut, an der sein durchnässtes Hemd klebte.

„Du hast ihn nicht verschüttet“, erwiderte er kühl. „Du hast ihn geworfen.“

„Aber ich wollte nicht Sie treffen“, versicherte sie.

„Du wolltest Ms. Bradford treffen.“

„Sie hätte es auch verdient“, beharrte Missy, die sich offenbar nicht für ihre Handlung schämte, sondern nur dafür, dass sie den Falschen getroffen hatte.

Wenn MG nicht so sauer – und nass – gewesen wäre, hätte ihn der Gegensatz ihres Verhaltens ihm und Hope gegenüber vielleicht amüsiert. Denn auch wenn seine Verflossene eine Hollywood-Größe war – die Gilmores waren in Haven so was wie Könige.

„Und womit hätte sie es verdient?“, fragte er Missy.

Sie wurde rot und senkte den Blick. „Sie hat mit Forrest geschlafen.“

„Und Forrest ist dein Freund?“, fragte er, als kenne er die Antwort nicht.

Die Wangen des Mädchens wurden noch eine Spur röter. „Nein, er ist …“ Sie schluckte. „Er ist Thornes Bruder.“

„Sie sind beide Charaktere in einer Fernsehserie namens Rockwood Ridge“, erklärte Tori hilfsbereit.

Das wusste er natürlich. Aber er würde weder diesen Teenagerinnen noch der Frau, die ihm das Herz gebrochen hatte, auf die Nase binden, dass er hin und wieder Rockwood Ridge schaute. Genauer gesagt jeden Mittwochabend um neun.

„Wie alt bist du, Missy?“

Sie runzelte die Stirn. „Warum?“

„Nur weil ich mich frage, ob der Sheriff dich als Jugendliche oder Erwachsene anklagen wird.“

„Mich anklagen?“ Ihre Stimme klang schrill. „Weil ich meinen Kaffee verschüttet habe?“

„Weil du deinen Kaffee nach jemandem geworfen hast“, sagte er fest. „Das ist Körperverletzung.“

„Das glaube ich nicht“, widersprach Missy, doch sie klang nicht sehr überzeugt.

„Brenna Flaherty ist doch deine Tante, oder? Am besten fragst du sie, wenn sie dir nach der Verhaftung einen Anruf erlauben.“

Missys Augen füllten sich wieder mit Tränen. „Sie rufen doch nicht wirklich den Sheriff, oder?“

Das hatte er natürlich nicht vor, er wollte nur, dass das Mädchen verstand, dass ihre Handlungen Konsequenzen hatten. Allerdings war das nicht seine Entscheidung. Widerwillig drehte er sich zu Hope um.

„Du warst das Ziel des Anschlags, was meinst du?“

Sie erwiderte seinen Blick sehr lange, während eine ganze Reihe von Ausdrücken über ihr Gesicht huschten, von denen er keinen deuten konnte. Oder vielleicht wollte er das auch nur nicht. Ihre gemeinsame Vergangenheit war kompliziert. Nein, falsch. Ihre Trennung war kompliziert.

Davor war ihre Beziehung eigentlich recht einfach gewesen. Sie waren zwei Teenager – jung, verliebt und voller Pläne für die Zukunft.

Hope war zwar in der Schule in der Theater-AG gewesen, aber sie hatte nie darüber gesprochen, dass Schauspielerin ihr Berufswunsch war. Im Gegenteil, sie hatte nie Interesse signalisiert, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten, für die nur ihre Karriere wichtig gewesen war.

Doch dann hatte Hope die Chance bekommen, für eine Rolle in Hollywood vorzusprechen, und alles hatte sich geändert.

„Ich denke, Missy sollte auf jeden Fall deine Reinigungskosten bezahlen“, antwortete Hope auf seine Frage.

„Wenn ich meine Jeans und Hemden in die Reinigung geben würde“, erwiderte er mit ironischem Unterton.

„Und vielleicht sollte sie etwas weniger fernsehen“, fügte Hope hinzu. „Da sie offenbar zwischen Realität und Illusion nicht mehr unterscheiden kann.“

Missy blickte ihre Freundinnen böse an, die leise kicherten.

„Missy ist in der Theater-AG in der Schule“, erzählte Tori hilfsbereit. „Sie wird mal ein großer Hollywood-Star.“

„Sogar ein größerer als Sie“, sagte Missy an Hope gerichtet. Offenbar war sie immer noch verärgert über Dinge, die sich ganz klar nur in ihrer Fantasie abspielten.

Bevor Hope darauf antworten konnte, kam die Barista aus dem Café geeilt. „Ich habe gerade gehört, was passiert ist. Geht es Ihnen gut, Mr. Gilmore?“

„Alles bestens“, erwiderte er.

„Und Ms. Bradford.“ Donna machte fast einen Knicks vor Hope. „Ich habe Sie drinnen mit der Sonnenbrille nicht erkannt.“

„Das war meine Absicht.“

„Bitte akzeptieren Sie meine Entschuldigung für das ganze Drama. Ich bin sicher, dass Sie nach Haven gekommen sind, um sich genau davon für eine Weile zu erholen.“

„Schon gut“, versicherte Hope.

Donna wandte sich an die Mädchen, während eine andere Angestellte mit einem Wischmopp kam, um den Bürgersteig zu putzen.

„Missy Sutherland, du hast dreißig Tage Hausverbot im Daily Grind.“

„Was? Warum das denn?“

„Weil Handlungen Konsequenzen haben“, erklärte MG.

„Aber …“

„Ich kann auch sechzig daraus machen“, warnte Donna sie.

„Ich bin eine zahlende Kundin“, protestierte Missy, während Tori gleichzeitig zischte: „Jetzt halt doch endlich den Mund, Missy.“

Missy stampfte mit dem Fuß auf. „Das ist nicht fair.“

„Soll ich sechzig draus machen?“

Das Mädchen drehte sich um und stapfte davon.

Ihre Freundinnen wechselten Blicke.

„Ihr könnt gehen“, sagte Donna.

Die drei eilten Missy hinterher.

„Ihr Eiscafé muss legendär sein“, bemerkte Hope. „Missy schien sich mehr darüber aufzuregen, dass sie Hausverbot hat, als über Michaels Drohung, den Sheriff zu rufen.“

Donnas Lippen zuckten. „Das hast du echt gemacht?“

Michael zuckte die Achseln.

Donna wandte sich wieder Hope zu. „Das ganze Chaos tut mir wirklich leid. Ich hoffe, es hält Sie nicht davon ab, wiederzukommen.“

„Keine Sorge, ich bin ein Fan Ihres Vanilla Lattes. Ich werde Stammkundin.“

Donna lächelte. „Dann freue ich mich darauf, Sie wiederzusehen.“

„Ebenso.“

„Vanilla Lattes, ja?“ MG konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, als Donna wieder hineingegangen war. „Sogar dein Kaffeegeschmack ist jetzt wohl ganz Hollywood.“

Hope griff nach ihrer Sonnenbrille und setzte sie auf. „Soll das ein Seitenhieb sein? Denn Latte gibt es inzwischen auf der ganzen Welt – und sogar hier in Haven, offensichtlich.“

„Ich muss gar nicht fragen, ob das ein Seitenhieb war.“

Sie wurde rot. „Tut mir leid.“

„Nein, lass es ruhig raus. Sag mir, was du wirklich darüber denkst, wieder zu Hause zu sein.“

„Tatsächlich hat es mir bis vor zehn Minuten richtig gut gefallen.“

„Als ich aufgetaucht bin oder als Missy den Kaffee nach dir geworfen hat?“

„Als Missy den Kaffee geworfen hat.“

„Sie war immer schon eine kleine Dramaqueen, aber das war selbst für sie ein starkes Stück.“

„Hört sich an, als ob du sie gut kennst.“

„Nicht wirklich. Aber ich kannte ihre Mom. Du übrigens auch. Damals hieß sie Nina Conley. Jetzt ist sie mit Dallas Sutherland verheiratet.“

Hope runzelte die Stirn, als ob sie Mühe hätte, mit dem Namen ein Gesicht zu verbinden. Was ihn vermutlich nicht hätte überraschen sollen, schließlich hatte sie fast zwanzig Jahre lang Haven nur bei Stippvisiten besucht. Trotzdem war es ein Schlag ins Gesicht – als hätte Hope einfach all ihre Freunde vergessen, als sie nach Hollywood gegangen war.

Zugegeben, Nina und sie waren niemals Freundinnen gewesen. Und immerhin hatte sie ihn sofort erkannt.

„Ihr wart beide in der Theater-AG“, half er ihr auf die Sprünge.

„Stimmt, sie war die Zweitbesetzung für die Julia im Abschlussjahr.“

Er nickte. „Und sie ist niemals darüber hinweggekommen, dass du die Hauptrolle bekommen hast, die sie wollte. Als die Leute hier anfingen, über Rockwood Ridge zu reden, hat sie jedem der es hören oder nicht hören wollte, erzählt, dass sie die Lainey Howard spielen würde, wenn ihr Mrs. Newman auf der Highschool die Rolle der Julia gegeben hätte.“

„Was völlig außer Acht lässt, dass der Hollywood-Regisseur, der mich in dem Stück gesehen hat, nur hier war, weil er meine Mom begleitet hat. Und die wäre nie aufgetaucht, wenn ich nicht die Hauptrolle gespielt hätte.“

Er nickte. „Ich weiß. Ich wollte dir nur ein wenig Kontext vermitteln.“

„Vielen Dank“, sagte sie und fragte ihn dann zu seiner Überraschung völlig übergangslos: „Und wieso weißt du eigentlich so viel über die rechtlichen Folgen von Körperverletzung?“

„Ich habe in meinen jüngeren Jahren vielleicht ein paar Mal das Gesetz übertreten“, gab er zu.

„Ich habe die meisten Zeit deiner jüngeren Jahre mit dir verbracht.“

„Und dann warst du weg.“

Sie zuckte fast unmerklich zusammen.

„Wurdest du wirklich verhaftet?“

„Ja. Ich wurde im Digger’s in eine Prügelei verwickelt. Hat mir eine Nacht im Gefängnis eingebracht.“

„Und mit wem hast du dich geprügelt?“

„Mitch.“

„Dein eigener Bruder wollte, dass du ins Gefängnis kommst?“

Sie klang empört.

„Duke hat dafür gesorgt, dass wir beide ins Gefängnis kommen“, stellte er klar.

Ihre Empörung legte sich wieder. „Was haben deine Eltern dazu gesagt?“

„Na ja, sagen wir mal, sie haben sich nicht gerade beeilt, uns wieder rauszuholen.“

Sie lächelte leicht – und darin entdecke er endlich eine Spur des Mädchens, das er gekannt hatte.

Des Mädchens, das er geliebt hatte.

„Ich muss dann mal wieder“, sagte er.

„Warte. Darf ich dir wenigstens einen Kaffee spendieren, bevor du gehst?“

„Was?“

„Warst du nicht auf dem Weg ins Café, als du Missys Attentat vereitelt hast?“

„Ja, war ich. Aber jetzt fahre ich zu meinem Bruder. Da bekomme ich sowohl einen Kaffee als auch ein sauberes Hemd.“

„Mitch wohnt nicht mehr auf der Ranch?“, fragte sie überrascht.

„Nein. Er ist in die Stadt gezogen, nachdem er und Lindsay geheiratet haben.“

„Lindsay Delgado?“

„Ja.“ Tatsächlich war Lindsays Nachname Thomas gewesen, als sie Mitch geheiratet hatte, weil sie zuerst mit seinem besten Freund verheiratet gewesen war. Aber das interessierte Hope bestimmt nicht, und er wollte vor allem aus seinem nassen Hemd rauskommen.

„So sehr ich unsere Unterhaltung genieße, ich muss mir jetzt wirklich umziehen, damit ich meine Besorgungen erledigen kann.“

Ganz abgesehen davon, dass Bernie im Auto wartete – und je länger man ihn allein ließ, desto mehr Sabber musste man nachher von den Sitzen wischen.

„Natürlich.“ Sie nickte.

„Hat mich gefreut, dich zu sehen, Hope“, sagte er und meinte es auch so. Fast.

„Ebenso, Michael.“

„MG“, verbesserte er sie. „Nur meine Mutter nennt mich Michael.“

„Ich habe dich immer Michael genannt“, erwidere sie, als ob sie ihn daran erinnern müsste.

„Das ist lange her“, gab er lapidar zurück.

„Stimmt.“ Wieder lächelte sie dieses wehmütige Lächeln.

Als er ging, verbot er sich, darüber nachzudenken, ob sie etwas bereute. Er hatte mit sich selbst genug zu tun.

Nachdem Michael gegangen war, schlenderte Hope die Hauptstraße hinunter und betrachtete die Schaufenster. Havens Einkaufsstraße war natürlich kein Vergleich mit der Melrose Avenue, aber alles, was man für den Alltag brauchte, gab es durchaus. Und fast jedes Geschäft weckte in ihr Erinnerungen an früher. An ihre Zeit mit ihm.

In Cal’s Coffee Shop, jetzt The Daily Grind, hatten sie heiße Schokolade getrunken. Im Digger’s hatte sie oft Chicken Wings gegessen und danach im Kino bei einem Film Händchen gehalten. Sie hatten die Regale im Buchladen durchstöbert, in der einzigen etwas schickeren Boutique die Auslagen bewundert und sich bei The Trading Post die Taschen voller Snacks gepackt, wenn sie längere Reitausflüge planten.

In der Highschoolzeit waren sie praktisch unzertrennlich gewesen. Und dennoch hatte Hope die Gelegenheit, Haven zu verlassen, sofort ergriffen, als sie ihr geboten worden war.

„Was heißt das, du gehst weg?“, hatte Michael fassungslos gefragt, als sie ihm ihre Neuigkeiten erzählt hatte.

„Der Freund meiner Mutter meint, dass ich in einem Film, den er dreht, eine Rolle bekommen kann.“

„Aber du hast nie was davon gesagt, dass du Schauspielerin werden willst.“

„Vielleicht, weil ich nie gedacht hätte, dass das überhaupt möglich ist.“

„Also wirst du diesem Traum nachjagen – wie deine Mutter?“

„Ich muss“, hatte sie erwidert. „Wenn ich es nicht tue, werde ich mich den Rest meines Lebens fragen, was gewesen wäre, wenn.“

„Du klingst wie deine Mutter.“

„Na ja, vielleicht hatte sie ja gar nicht so unrecht damit.“

„Und was ist mit unseren Träumen und Plänen?“

„Die gebe ich ja nicht auf“, hatte sie versprochen. „Ich muss nur vorher das hier machen.“

„Nein.“

„Wie, nein?“, hatte sie verwirrt gefragt.

„Nein, ich werde nicht hier rumsitzen und auf dich warten. Wenn du nach L.A. gehen willst, dann tu das. Aber erwarte nicht, dass wir einfach da weitermachen können, wo wir aufgehört haben, wenn du zurückkommst.“

„Aber ich liebe dich, Michael.“

„Liebst du mich auch genug, um hierzubleiben?“

Sie hatte ihn dafür gehasst, dass er ihr diese Frage stellte. Weil er sie damit vor eine Wahl stellte, die sie einfach nicht treffen konnte und wollte.

Es war die Wahl zwischen dem Jungen, den sie liebte, und einer möglichen, aber nicht sicheren Hollywood-Karriere. Die Wahl zwischen dem Jungen, den sie liebte, und der Mutter, deren Liebe ihr immer verweigert worden war. Zum ersten Mal überhaupt zeigte Debra Bradford nicht nur Interesse an ihr, sondern bot Hope die Chance, eine echte Beziehung aufzubauen.

Hope riss sich von dem Schaufenster los, in das sie gestarrt hatte, ohne etwas zu sehen.

Nein, ihr Leben war nicht so, wie sie es sich einst vorgestellt hatte.

Aber auf mancherlei Art war es viel, viel besser.

Und wenn sie manchmal Wehmut verspürte, wenn sie zu einer Hochzeit eingeladen war oder das Baby einer Freundin auf dem Arm hielt, sagte sie sich einfach...

Autor

Shannon Stacey
Mit ihrem Mann und zwei Söhnen lebt die Bestsellerautorin Shannon Stacey in New England, das für seinen farbenprächtigen Indian Summer bekannt ist, aber auch für sehr kalte Winter. Dann macht sie es sich gerne zu Hause gemütlich. Leider weigern sich Shannons Katzen hartnäckig, auf ihrem Schoß als Wärmflasche zu dienen,...
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