Bianca Extra Band 67

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PRINZESSIN - VERLIEBEN VERBOTEN von WILSON, TERI
Einen Fremden heiraten? Niemals! Überstürzt flieht Prinzessin Aurélie nach New York. Hofjuwelier Dalton Drake soll ihr das normale Leben zeigen, nach dem sie sich so sehnt. Doch der attraktive Einzelgänger weckt in ihr noch ein ganz anderes Verlangen …

GEMMAS TRAUM VOM GLÜCK von WARREN, WENDY
Eine Zweckehe einzugehen, um das Sorgerecht für seinen kleinen Neffen zu behalten - das war Ethans Plan. Doch schon bald verliert der Footballstar sein Herz an die bezaubernde College-Lehrerin Gemma. Wird sie ihn noch lieben, wenn sie sein dunkelstes Geheimnis erfährt?

SCHON IMMER WOLLTE ICH NUR DICH von HARLEN, BRENDA
Vor zwölf Jahren hat er sie ein Mal geküsst und ihr das Herz gebrochen. Jetzt wird Tristyn auf Josh Slaters drei kleine Nichten aufpassen, zwei Monate lang, gemeinsam mit ihm in einem Wohnmobil. Unmöglich, so dem Charme des Playboys zu widerstehen, den sie noch immer heimlich begehrt …

NUR KÜSSE SIND SÜßER ALS RACHE von SOUTHWICK, TERESA
Die Stadt ist nicht groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen. Will Fletcher weiß: April ist noch immer wütend auf ihn, weil er sie verlassen hat! Doch als sie sich wiedersehen, nimmt sie seine Entschuldigung überraschend an - und flirtet sogar mit ihm. Hat Will doch noch eine Chance?


  • Erscheinungstag 12.02.2019
  • Bandnummer 0067
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736682
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Teri Wilson, Wendy Warren, Brenda Harlen, Teresa Southwick

BIANCA EXTRA BAND 67

TERI WILSON

Prinzessin – verlieben verboten

Sie ist ungestüm und unvernünftig. Hofjuwelier Dalton Drake weiß: Er sollte Prinzessin Aurélie schnellstens nach Hause zurückschicken. Warum ist die entlaufene Schönheit nur so unwiderstehlich?

WENDY WARREN

Gemmas Traum vom Glück

Gemma will eine Familie! So sehr, dass sie eine Zweckehe mit Footballstar Ethan eingeht, der um das Sorgerecht für seinen Neffen kämpft. Bald ist Gemmas Herz in Aufruhr, obwohl Ethan die Liebe ablehnt …

BRENDA HARLEN

Schon immer wollte ich nur dich

Frau und Kinder? Nicht für Womanizer Josh Slater. Er ist glücklicher Single. Doch da treten seine drei Nichten und ihre Nanny in sein Leben, und schon bald hat die bezaubernde Tristyn ihm den Kopf verdreht …

TERESA SOUTHWICK

Nur Küsse sind süßer als Rache

Will Fletcher ist zurück! Endlich bekommt April ihre Rache. Sie wird ihn verführen und ihn dann verlassen, so wie er es damals mit ihr gemacht hat. Leider fühlt es sich verdammt gut an, ihn zu küssen …

1. KAPITEL

Es waren die Perlen, die Dalton Drake einen ersten Hinweis gaben. Er erkannte Südseeperlen auf den ersten Blick, selbst wenn sie wie in diesem Fall zum Großteil unter dem steifen Kragen eines schwarzen Jacketts verborgen waren.

Er stand in der Tür zu seinem Büro und starrte auf den Rücken der in Armani gehüllten Gestalt. Die fraglichen Perlen waren von einem leuchtenden Goldton, nur eine Nuance dunkler als perlender Veuve Clicquot. Die Feinsten vom Feinen. Wertvoller als die Hälfte der glitzernden Juwelen in den Vitrinen von Drake Diamonds, dem illustren Familienunternehmen, das er zusammen mit seinem Bruder Artem führte.

Er war mit Perlen aufgewachsen. Sie lagen ihm ebenso im Blut wie Diamanten. Allerdings konnte er sich nicht erklären, warum so ein unschätzbares Schmuckstück um den Hals eines besseren Botenjungen drapiert war. Oder warum besagter Kurier eine derart schmale Taille und kurvige Figur besaß.

Dalton hatte ein kleines Vermögen für ein Privatflugzeug hingeblättert, das einen gewissen Monsieur Oliver Martel den weiten Weg vom Königreich Delamotte an der französischen Riviera nach New York hätte bringen sollen. Mit den zwölf unschätzbar wertvollen Schmuckeiern des Königshauses Marchand im Gepäck.

Was ist da schief gelaufen? Es brauchte keine besondere Geistesleistung, zu erkennen, dass es sich trotz des Herrenanzugs nicht um einen Monsieur handelte. Zarte, perfekt manikürte Fingerspitzen lugten unter den überlangen Ärmeln hervor, glänzendes blondes Haar unter dem weichen Filzhut.

Die Person sank auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch – mit katzenhafter Anmut, die nicht nur feminin, sondern majestätisch wirkte. Viel zu majestätisch für eine kleine Angestellte, selbst für die Bedienstete eines königlichen Haushalts.

In meinem Büro ist eine Mogelpackung gelandet, und das ist eindeutig nicht die Perlenkette. Dalton schloss die Tür hinter sich, räusperte sich und bemerkte ironisch: „Monsieur Martel, nehme ich an.“

„Non. Je suis désolé“, antwortete die Frau in makellosem Französisch. Dann straffte sie die Schultern, stand auf und drehte sich langsam um. „Ich bin untröstlich, aber es gab eine kleine Planänderung.“

Ihr Anblick verschlug ihm die Sprache. Er erkannte sie auf Anhieb. Denn seit Monaten befasste er sich erschöpfend mit dem Königshaus Marchand und dessen Leihgabe. Er konnte sämtliche Schmuckeier detailgetreu aus dem Gedächtnis zu Papier bringen und jedes Familienmitglied auf Anhieb benennen – bis zurück zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als der königliche Juwelier das allererste verzierte Ei erschaffen hatte.

Mühsam verbarg Dalton seine Verblüffung. Denn er hielt es für angebracht, behutsam vorzugehen, solange er nicht wusste, wie und warum es die Kronprinzessin eines winzigen Fürstentums an der französischen Riviera in die Fifth Avenue in New York verschlagen hatte.

Natürlich hatte er genügend Fotos von besagter Prinzessin gesehen, um zu wissen, dass sie wunderschön war. Dennoch befand er sich nun in einem höchst seltenen Zustand der Fassungslosigkeit. Er bezweifelte, dass es möglich gewesen wäre, sich in irgendeiner Form für eine Begegnung mit Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Aurélie Marchand in natura vorzubereiten.

Fotos wurden ihrer Schönheit nicht gerecht. Die zarten Gesichtszüge ließen sich durchaus auf Film bannen – die leichte Stupsnase, die herzförmigen Lippen, die unglaublich großen Augen vom Grün eines feinen kolumbianischen Smaragds. Aber kein zweidimensionales Bild konnte das Feuer in diesen Augen oder die Zartheit der Porzellanhaut einfangen, die ebenso lieblich schimmerte wie die Perlenkette um den graziösen Hals.

Dalton schluckte schwer. Er mochte Überraschungen nicht. Noch weniger mochte er die Empfindungen, die ihn beschlichen, als sie seinen Blick gefangen nahm. Faszination. Anziehung. Zuneigung. Solche Dinge hatten keinen Platz in seinem Geschäftsleben. Oder überhaupt in seinem Leben. Nicht mehr. „Eine Planänderung.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Das sehe ich, Eure Hoheit.“

Ihre Augen weiteten sich ein wenig. „Sie wissen, wer ich bin?“

„Allerdings. Bitte nehmen Sie Platz, Eure Hoheit.“ Er wartete, bis sie der Aufforderung folgte, bevor auch er sich setzte.

Zu ihren Füßen stand eine große schwarze Truhe, die vermutlich eine kostbare Fracht enthielt – die Schmuckeier, die in einer Woche im Showroom von Drake Diamonds ausgestellt werden sollten. Allerdings gab es keinen ersichtlichen Grund, warum Aurélie Marchand die Lieferung vornahm, obwohl mit äußerster Sorgfalt ein anderer Transport arrangiert worden war. Verbunden mit der Tatsache, dass sie einen Herrenanzug trug, der ihr mindestens drei Nummern zu groß war, befürchtete Dalton Scherereien. Einen wahrhaft majestätischen Haufen Probleme.

„Gut. Das erleichtert die Dinge vermutlich.“ Sie nahm sich den Hut ab und enthüllte dichte goldene Locken.

Oh Gott, sie ist umwerfend. Sich gesetzt zu haben, erwies sich als gute Entscheidung. Eine Welle der Erregung schoss durch seinen Körper, so feurig wie ein leuchtend roter Rubin. Was keinerlei Sinn ergab. Ja, sie war wunderschön. Und ja, sie hatte etwas Bezauberndes an sich. Aber sie war gekleidet wie ein Bodyguard. Das Einzige, was Dalton in Anbetracht dessen empfinden sollte, war Beunruhigung. Auf gar keinen Fall Verlangen.

Zur Stärkung atmete er tief durch. Bleib sachlich. Es geht um die Eier. In seinem gesamten Berufsleben hatte er sich nie zuvor ermahnen müssen, bei der Sache zu bleiben. „Bitte erklären Sie, Eure Hoheit.“

„Nennen Sie mich nicht so.“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Sagen Sie Aurélie zu mir.“

Wider besseres Wissen nickte er. „Wie Sie wünschen.“

„Vielen Dank.“

Ein leichtes Zittern in ihrer Stimme versetzte ihm einen unerklärlichen Stich. „Sagen Sie mir bitte, Aurélie, welchem Umstand verdanke ich das Vergnügen eines Besuchs von einem Mitglied der königlichen Familie?“

„Ja, also …“

Erneut hörte er dieses Zittern in ihrer Stimme. Nervosität? Verzweiflung? Sicherlich nicht. Was könnte eine Prinzessin schon zur Verzweiflung treiben?

„Gemäß der Übereinkunft zwischen Drake Diamonds und der Monarchie von Delamotte habe ich die Sammlung der Marchand-Schmuckeier geliefert. Soweit ich weiß, wird Ihr Geschäft die Eier vierzehn Tage lang ausstellen.“

„Das ist korrekt.“

„Wie gesagt, es ist zu einer kleinen Planänderung gekommen. Ich werde während der Dauer der Ausstellung in New York bleiben.“ Ihre zarten Gesichtszüge nahmen eine offensichtlich geschulte Miene der majestätischen Gelassenheit an.

Zu gelassen für Daltons Geschmack. Irgendetwas stimmte da nicht. Eigentlich stimmte vieles nicht. Die Kleidung. Das unerwartete persönliche Auftauchen eines Mitglieds des Königshauses, nachdem er sich monatelang mit der Palastbürokratie hatte herumschlagen müssen. Die bemerkenswerte Abwesenheit von Sicherheitspersonal …

Wollte man ihn wirklich glauben machen, dass eine Kronprinzessin in offizieller Mission mit einer Truhe voll unschätzbarer Familienjuwelen um die halbe Welt geflogen war? Ohne einen einzigen Bodyguard im Schlepptau?

Und dann war da das Verhalten der Prinzessin. Obwohl sie mit einem höflichen Lächeln auf dem Gesicht vor ihm saß, spürte er etwas unter der Oberfläche brodeln. Eine kaum verborgene Aufregung. Etwas Wildes in ihrem Blick ließ sie wie eine Person wirken, die bereit war, sich von der nächsten Klippe zu stürzen. Und er hatte das furchtbare Gefühl, dass von ihm erwartet wurde, sie aufzufangen, falls etwas schiefging.

Was immer sie im Sinn haben mochte, er wollte nichts damit zu tun haben. Zum einen hatte er sich um wichtigere Dinge zu kümmern, als Babysitter bei einer verwöhnten Prinzessin zu spielen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass diese Konstellation eine krasse Verletzung der Übereinkunft mit dem Palast bedeutete. Und er wollte den Deal mit den Schmuckeiern nicht riskieren. Pressemeldungen waren herausgegeben worden. Einladungen zur Gala befanden sich in der Post. Es war das bedeutendste Event, das der Flagship-Store ausrichtete, seit er 1940 seine Türen in der Fifth Avenue geöffnet hatte.

„Ich verstehe.“ Dalton griff zum Telefon. „Ich rufe schnell im Palast an, um die neue Vereinbarung bestätigen zu lassen.“

Aurélie streckte eine Hand aus und legte sie ihm auf den Unterarm. „Lieber nicht.“

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Erzählen Sie mir doch, warum Sie hier sind, und danach entscheide ich, ob ich den Anruf tätige oder nicht.“

„Es ist ganz einfach: Ich will einen Urlaub. Nicht als Prinzessin, sondern als normale Person. Ich will Hotdogs auf der Straße essen. Ich will im Central Park spazieren gehen. Ich will auf einer Decke im Gras sitzen und ein Buch aus der Bibliothek lesen.“ Ihre Stimme wurde ganz sanft, ganz sehnsüchtig. „Ich will für drei Wochen eine gewöhnliche New Yorkerin sein und brauche dafür Ihre Hilfe.“

„Sie wollen mit meiner Hilfe Hotdogs essen?“, hakte er trocken nach. Das kann nicht ihr Ernst sein.

„Genau. Das ist doch nicht so befremdlich, oder?“

Doch, eigentlich schon. „Aurélie …“

Weiter kam er nicht. Sie plapperte ohne Punkt und Komma drauflos. Über Open-Air-Busse und die Subway und riesige Brezeln.

Woher stammt diese Besessenheit für Streetfood? „Aurélie“, setzte er erneut an und unterbrach damit einen Monolog über Pizza.

„Oh.“ Sie zuckte ein wenig zusammen. „Ja?“

„Diese Vereinbarung, die Sie vorschlagen, klingt ein wenig unorthodox.“

Sie zuckte mit einer Schulter. „Ich habe Ihnen die Eier gebracht. Als Gegenleistung bitte ich Sie lediglich, mich ein bisschen herumzuführen. Und mich hierbleiben zu lassen, ohne den Palast oder die Presse zu benachrichtigen. Das ist alles.“

Sie wollte also ein Versteck. Und einen Touristenführer. Und sein Schweigen. Das ist alles? Nein. Darüber hinaus sollte er den Zorn des Palastes riskieren – und somit die Rücknahme der Schmuckeier, noch bevor die Ausstellung öffnete. Auf keinen Fall! „Ich müsste verrückt sein, um Ihrem Vorschlag zuzustimmen. Das ist Ihnen doch klar, oder?“

„Nicht verrückt. Nur ein bisschen abenteuerlustig.“

Ihr Blick wurde wieder wild. Er sah eine geheime Welt in ihren smaragdgrünen Augen. Sie beugte sich näher zu ihm, hüllte ihn in einen betörenden blumigen Duft. Orchideen, Rosen und noch etwas, das er nicht deuten konnte. Veilchen vielleicht.

„Genießen Sie das Leben ein bisschen, Mr. Drake.“

Sie klang wie sein Bruder. Und seine Schwester. Und so ziemlich jeder andere in seinem Leben. „Das zieht bei mir nicht, Eure Hoheit.“

Sie sagte nichts, lächelte nur und zwirbelte sich eine Locke um einen Finger.

Flirten zieht bei mir auch nicht. Er ignorierte ihre verführerische Geste, so gut es ging, und warf ihr einen kühlen Blick zu. „Die Eier sind hier, wie vereinbart. Nennen Sie mir einen triftigen Grund, warum ich den Palast nicht anrufen sollte.“

Sie musste wahnhaft oder zumindest total verzogen sein. Glaubte sie allen Ernstes, dass er Zeit hatte, alles stehen und liegen zu lassen und eine Prinzessin zu hüten? Er hatte eine Firma zu führen. Eine Firma, die einen Neustart brauchte.

Er fixierte die Cartier an seinem Handgelenk und wartete. Er wollte der Prinzessin zwei Minuten gewähren. Das ist alles.

Allmählich glaubte Aurélie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Einen sehr großen Fehler.

Zugegeben, das ganze Abenteuer war nicht richtig durchdacht. Planung zählte einfach nicht zu ihren Stärken. Oliver Martel zu feuern und seinen Anzug zu ergattern, um in seine Rolle des Kuriers zu schlüpfen, war ihr nicht schwergefallen. Er war ein anmaßender Schuft und hatte ihr im Laufe seiner Tätigkeit für den Palast durch unzüchtige Annäherungsversuche genügend Druckmittel gegen ihn geliefert.

Einen königlichen Kurier zu verkörpern, hatte sich ebenfalls als Kinderspiel erwiesen. Der Pilot hatte ihr erschreckend wenig Aufmerksamkeit geschenkt und durch sie hindurchgesehen, als wäre sie ein Geist statt einer lebendigen Person.

Davon abgesehen lebte Aurélie schon ihr Leben lang wie in einem Goldfischglas. Sie war es gewohnt, jede Sekunde beobachtet zu werden. Darum ging es bei dieser ganzen Scharade. Neugierigen Blicken zu entgehen, solange es noch möglich war. In wenigen Wochen sollte sich ihr ganzes Leben ändern. Und wenn mein Vater seinen Kopf durchsetzt, bietet sich mir nie wieder so eine Chance.

Sie bereute nicht eine Sekunde lang, ihren royalen Pflichten den Rücken gekehrt zu haben. Ihr Vertrauen in Dalton Drake zu setzen, erwies sich möglicherweise als weniger gute Idee. Sie hatte nicht erwartet, dass er so attraktiv war. So jung. So gut aussehend. So streng. So anziehend.

Es war wirklich beunruhigend. Wie sollte sie überzeugende Argumente vorbringen, wenn ihre Gedanken um sein markantes Kinn oder um die geheimnisvollen grauen Augen kreisten? Und diese Stimme – tief und eindringlich und unglaublich maskulin. Selbst wenn er bloß eine Bedienungsanleitung vorliest, liegt ihm bestimmt jede Frau in Manhattan zu Füßen …

Doch es war vor allem seine Haltung, die Aurélie aus dem Gleichgewicht brachte. Sie war es nicht gewohnt, unter Druck gesetzt zu werden. Mit einer beachtlichen Ausnahme: ihrem Vater.

Das war allerdings nicht anders zu erwarten. Er führte ein kleines Land. Dalton Drake dagegen führte lediglich ein Juweliergeschäft. Sie war davon ausgegangen, dass er sich leicht überreden ließ.

Offensichtlich hatte sie sich geirrt. Aber er wird nachgeben. Er muss einfach. Weil ich während der letzten einundzwanzig Tage in Freiheit nicht die Wände des Palastes anstarren werde.

Sie schluckte schwer. Ihr Herz klopfte wild, als sie Daltons Blick begegnete. „Mr. Drake, es gibt tatsächlich einen sehr guten Grund, aus dem Sie und ich zu einer Einigung kommen sollten.“

Erneut guckte er auf seine Armbanduhr. „Bitte gehen Sie ins Detail, Eure Hoheit.“

„Ich zeige es Ihnen besser.“ Sie bückte sich nach der butterweichen Birkin-Bag zu ihren Füßen, holte eine schwarze Samtschachtel heraus und stellte sie mitten auf den Schreibtisch.

Dalton wurde ganz still. Es war ihr gelungen, seine volle Aufmerksamkeit zu fesseln. Lange starrte er auf die Schachtel mit dem in Silber geprägten M obendrauf, das für Marchand stand. „Eines der Eier, nehme ich an?“

„Ja.“ Sie schenkte ihm ihr lieblichstes Prinzessinnen-Lächeln. „Und nein.“ Sie griff nach dem Behälter und klappte den Deckel auf. Auf einem Bett aus weißem Satin ruhte ein Ei. Überzogen mit blassrosa Emaille, verziert mit unzähligen glitzernden Diamanten und winzigen schimmernden Perlen.

Aurélie hatte es unzählige Male betrachtet, und doch raubte der Anblick ihr jedes Mal von Neuem den Atem. Es funkelte im Schein der Deckenlampe. Ein lückenlos blendendes Schmuckstück. Ihr kostbares unvergleichliches Geheimnis.

Sie hatte nicht geahnt, wie seltsam es ihr erschien, es mit jemandem zu teilen. Wie verletzlich sie sich fühlte, als hätte sie eine Schatztruhe geöffnet und diesem fremden Mann ihr Herz geboten. Welch absurder Gedanke!

„Das verstehe ich nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe dieses Ei noch nie gesehen.“

Sie erkannte den Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen, und als er sie anblickte, sah sie das funkelnde Ei im kühlen Grau seiner Augen reflektiert. Und da wusste sie, dass er allem zustimmen würde, worum sie ihn bat.

„Bisher hat es niemand gesehen.“ Sie wusste nicht, wie sie es schaffte, so ruhig, so beherrscht zu sprechen, obwohl sie der einen Sache, die sie sich schon so lange ersehnte, so aufregend nahe war. Der Freiheit. Wie flüchtig auch immer.

Dalton zog eine Augenbraue hoch. „Niemand?“

„Niemand außerhalb der Familie Marchand.“

„Es gibt also ein dreizehntes Ei? Das ist ja unglaublich!“

„Glauben Sie es ruhig, Mr. Drake. Mein Vater hat meiner Mutter dieses Ei am Tag ihrer Hochzeit geschenkt. Außer dem Palastjuwelier wusste niemand, dass es existiert.“

Ein vertrautes bittersüßes Gefühl stieg in Aurélie auf. Sie liebte den Gedanken, dass ihre Eltern ein so intimes Geheimnis geteilt hatten. Die Hochzeit, die Verlobung, ja sogar die Phase des Kennenlernens war von der ganzen Welt verfolgt worden. Doch es war ihnen gelungen, ein kleines Geheimnis nur füreinander zu bewahren. Wie mag es sein, so geliebt zu werden? Jemandem so bedingungslos zu vertrauen? Das werde ich wohl nie erfahren, ob mein Vater seine Pläne nun durchsetzt oder nicht.

Allerdings war die märchenhafte Romanze ihrer Eltern nicht so echt, wie Aurélie früher einmal geglaubt hatte. So ist es nun mal mit Märchen. „Ich habe es geerbt, als meine Mutter vor drei Jahren gestorben ist.“ Sie schluckte schwer. „Selbst ich war überrascht zu erfahren, dass ein dreizehntes Ei existiert.“

Viele Dinge hatten sie damals überrascht, aber nichts so sehr wie die schockierenden Details aus der Ehe ihrer Eltern. Wann haben sich die Dinge zwischen ihnen so drastisch geändert? Oder war die größte royale Romanze der letzten fünfzig Jahre von Anfang an eine Lüge?

Aurélie senkte die Lider. Vor ihrem geistigen Auge zogen Erinnerungen vorüber. An ihre Mutter und ihren Vater beim Tanz unter funkelnden Kronleuchtern. An das Surren von Paparazzi-Kameras. An den scheinbar heiteren Ausdruck auf den zarten Zügen ihrer Mutter. An ihr Lächeln, das nie ganz die Augen erreichte. Wieso ist mir das früher nie aufgefallen?

Ihre Mutter war von ihnen gegangen, und Aurélie war nichts geblieben als das Ei, ein Buch mit goldgeränderten Seiten und ein Vater, den sie nicht wirklich kannte. Und Fragen. So viele Fragen.

Sie hob die Lider und stellte fest, dass Dalton sie aufmerksam beobachtete.

„Warum zeigen Sie mir dieses Ei, Aurélie?“

Aurélie. Nicht Prinzessin. Nicht Eure Hoheit. Nur ihr Vorname, gesprochen mit dieser tiefen verführerischen Stimme. Ihr schwindelte ein wenig. Konzentrier dich. „Weil ich möchte, dass Sie es in Ihre Ausstellung aufnehmen.“

„Sind Sie sicher?“

„Absolut. Unter einer Bedingung.“

„Nur einer?“

„Schenken Sie mir mein Abenteuer, Mr. Drake. Zu meinen Bedingungen. Ohne Bodyguards, ohne Benachrichtigung des Palastes, ohne Presse. Das ist alles, worum ich bitte.“

Und es war viel verlangt. Sie hatte genug gegen den Kurier in der Hand, um sicher zu sein, dass er sie nicht verpetzen würde. Aber irgendwer würde irgendwann ihr Verschwinden entdecken. Sie wusste nur nicht, wann. Es wäre ein Wunder, wenn ich damit durchkäme. Aber ich muss es versuchen.

Sie stand auf und streckte ihre Hand aus. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie die Hand eines Mannes geschüttelt. Ganz gewiss nicht die Hand eines Bürgerlichen. In Delamotte wäre es Dalton nicht gestattet gewesen, sie zu berühren. Das höfische Protokoll hätte von ihm verlangt, sich aus züchtiger Entfernung von drei Schritten vor ihr zu verbeugen. „Haben wir einen Deal?“

„Ich denke, ja.“ Er stand auf und umfasste ihre Hand mit festem Griff.

Und Delamotte war ihr nie so weit entfernt erschienen.

Artem Drake, Daltons jüngerer Bruder, musterte das Schmuckei, das mitten auf dem kleinen Konferenztisch in seinem Büro stand, und zog eine Augenbraue hoch. „Du sagst allen Ernstes, dass bisher niemand dieses Ei zu Gesicht bekommen hat?“

Dalton spähte über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass die Tür hinter ihm fest geschlossen war. Denn von der Belegschaft sollte niemand von dem Ei erfahren. Dessen Enthüllung musste sorgfältig geplant werden; nichts durfte vorzeitig durchsickern.

Überzeugt davon, dass die Privatsphäre gewahrt war, drehte er sich wieder um. Sein Blick fiel auf die riesige freie Stelle an der Wand hinter dem Schreibtisch. Die Stelle, an dem das Porträt ihres Vaters über dreißig Jahre lang gehangen hatte.

Die Entfernung des Gemäldes hatte ihn verwundert, da Artem nichts davon erwähnt hatte. Außerdem stand Drake Diamonds nicht für Veränderungen, sondern für Tradition, von dem begehrten Standort in der Fifth Avenue bis hin zu den kleinen blauen Schächtelchen, für die das Geschäft so berühmt war. Drake-Blau. Die Farbe stand für Klasse, Stil und auch für Dalton. Es war die Farbe des flauschigen Teppichs unter seinen Füßen, der Seidenkrawatte um seinen Hals und vermutlich auch des Blutes, das durch seine Adern floss.

Doch die Zeit änderte vieles, sogar an Orten, wo Tradition vorherrschte. Geoffrey Drake, ihr Vater, war tot. Das Büro gehörte nicht länger ihm, sondern seinem Sohn Artem – obwohl die beiden nie etwas füreinander übriggehabt hatten. Obwohl Dalton seit seinem Abschluss an der Harvard Business School für den Chefsessel gedrillt worden war.

Es erleichterte ihn aber auch, dass das Porträt fort war. Nun musste er sich nicht länger zusammenreißen, um sein Whiskyglas nicht dagegenzuschleudern, wenn er sich abends nach Ladenschluss allein im Geschäft aufhielt. Was oft geschah. Sogar meistens.

Er wandte sich von der leeren Wand ab. Es hatte keinen Sinn, über die Ungerechtigkeit des väterlichen Testaments nachzugrübeln. Geoffrey war nicht für seine Fairness bekannt gewesen. Er hatte nicht im Ruf eines liebenden Familienvaters gestanden. Er war schlau gewesen. Berechnend. Brüsk. Wie alle männlichen Drakes, einschließlich Dalton, seit Bräutigame ihren Bräuten begehrte Drake-Diamanten an den Finger steckten. Imperien sind nicht auf Nettigkeit gebaut.

Nun bestätigte Dalton: „Genau das sage ich. Niemand außerhalb der Familie Marchand weiß von der Existenz dieses Eis. Bis jetzt natürlich.“

Artem streckte eine Hand nach dem Ei aus.

„Moment!“ Dalton zog weiße Juwelierhandschuhe aus der Anzugtasche und warf sie auf den Tisch. „Zieh die an, wenn du es unbedingt anfassen musst.“

„Entspann dich, ja? Ein geheimes Schmuckei ist dir gerade in den Schoß gefallen. Du solltest Rückwärtssaltos zwischen den Verlobungsringen im Parterre vollführen.“

„Die Verlobungsabteilung befindet sich hier oben im zehnten Stock, nicht im Parterre“, warf Dalton trocken ein.

Es war eine unfaire Stichelei. Seit sie sich ausgesprochen und vereinbart hatten, sich die Geschäftsführung zu teilen, tauchte Artem regelmäßig im Geschäft auf. Dass er inzwischen mit der erstklassigen Schmuckdesignerin Ophelia Rose verheiratet war und sie ein Baby erwarteten, wirkte sich äußerst positiv auf seine Arbeitsmoral aus.

Artem reagierte mit dem Playboy-Lächeln – ein Relikt seines früheren ausschweifenden Junggesellenlebens. „Das weiß ich doch und darum geht’s nicht. Diese Sache ist geradezu fantastisch. Du solltest dich zur Abwechslung mal freuen.“

„Das werde ich tun, wenn die Enthüllung der Kollektion problemlos abläuft. Und wenn ich sicher bin, dass mir in Delamotte keine Gefängnisstrafe wegen Entführung der Prinzessin droht.“

„Sie ist aus freien Stücken hergekommen. Außerdem hast du meiner Ansicht nach ein ganz anderes Problem.“

„Und das wäre?“

„Dass du damit betraut wurdest, die entlaufene Prinzessin zu bespaßen.“ Artem schmunzelte. „Sorry, aber selbst du erkennst doch sicherlich die Ironie der Situation.“

Dalton wusste nur zu gut, dass er nicht als Komiker bekannt war. „Spaß wird allgemein überschätzt.“

Durch Spaß konnte er sein Penthouse in Lenox Hill nicht bezahlen. Spaß hatte ihn nicht fünf Jahre in Folge auf die Liste der vierzig erfolgreichsten Unternehmer unter vierzig im Fortune-Magazin gebracht. Und Spaß ließ ganz gewiss nicht tagtäglich Horden von Kunden zu Drake Diamonds strömen, die ganz versessen darauf waren, Schmuckstücke in blauen Schächtelchen mit nach Hause zu nehmen.

Artems Grinsen wurde noch breiter. „Nach allem, was du mir erzählt hast, teilt die Prinzessin deine Ansicht nicht. Ihre Königliche Hoheit scheint Spaß zu lieben.“

Ihre Königliche Hoheit. Aus irgendeinem unsinnigen Grund wartete eine Prinzessin darauf, dass Dalton sie auf eine große Abenteuertour führte, die sich um Hotdogs und öffentliche Transportmittel drehte. Wie derartige Dinge überhaupt als Spaß definiert werden konnten, erschloss sich ihm nicht. Seine Schläfen begannen zu pochen. „Aurélie“, murmelte er.

„Wie bitte?“

Er räusperte sich. „Sie hat mich gebeten, sie Aurélie zu nennen.“

„Tatsächlich? Diese Prinzessin klingt ziemlich interessant.“

„So kann man es auch ausdrücken, obwohl ich ein anderes Wort benutzen würde.“

„Zum Beispiel?“

Überraschend. „Impulsiv.“ Unbekümmert. „Flatterhaft.“ Atemberaubend. „Gefährlich.“

„Das sind drei Wörter“, stellte Artem sachlich fest. „Interessant. Die Prinzessin – entschuldige, Aurélie – muss gewaltig Eindruck auf dich gemacht haben. Du scheinst fasziniert von ihr zu sein. Würde ich dich nicht besser kennen, würde ich sogar sagen, dass du dich in sie verguckt hast. Aber mein Bruder mischt natürlich niemals Arbeit mit Vergnügen.“

Verdammt richtig. Dalton zog Vergnügen ohne Verpflichtungen vor. Sex gehörte für ihn ins Schlafzimmer, nicht in den Sitzungssaal. „Ich versichere dir, dass ich mich nicht verguckt habe. Ich habe keinerlei Gefühle für die Prinzessin – abgesehen von einem Verantwortungsgefühl.“

„Ach ja, das Abkommen.“ Artem nahm das Ei in die Hand und inspizierte es. Die Diamanten sprühten feurige Funken in alle Richtungen und ließen es lebendig wirken. Dynamisch. Brillant.

Dalton hatte nie etwas Ähnliches gesehen. Die anderen Marchand-Schmuckeier verblassten im Vergleich. Wenn wir dieses Stück ausstellen, rennen die Leute uns die Bude ein. Leute, die nicht ohne eine Drake-blaue Tüte nach Hause gehen werden.

Das spektakuläre geheime Ei war genau das, was Drake Diamonds brauchte. Geoffrey hatte das Familienunternehmen an den Rand des Bankrotts gebracht. Seinen Söhnen war es zwar gelungen, wieder zahlungsfähig zu werden, aber die ehemalige Glanzzeit war noch lange nicht wiederhergestellt.

Dalton beabsichtigte, das zu ändern. Mit dem Ei war es ihm möglich. Er wollte persönlich dafür sorgen, dass der Palast in Delamotte keinen Grund zur Sorge hatte. Er wollte Aurélie unter Verschluss halten. Dann, nach Ablauf der drei Wochen, wollte er sie persönlich mit ihrem Schmuckei ins Flugzeug setzen und geradewegs nach Hause schicken.

Artem legte das Ei zurück auf sein Bett aus glänzendem Satin, zog die Juwelierhandschuhe aus und warf sie auf den Tisch. „Welcher Art von Vergnügen geht die Prinzessin derzeit nach?“

„Sie sitzt in meinem Büro.“

„Oh ja, natürlich.“ Artem verdrehte die Augen. „Da kann man natürlich eine Menge Spaß haben.“

„Ich habe Mrs. Barnes gebeten, sie mit Champagner und Petits Fours aus der Verlobungsetage zu versorgen.“

„Du hast also absolut kein Interesse an der Frau und lässt ihr trotzdem einen Brautschmaus servieren?“

Bevor Dalton etwas dazu sagen konnte, klopfte es an der Tür. Schnell klappte er den Deckel auf das Schmuckei. „Herein!“

Seine Sekretärin trat mit alarmierter Miene ein. „Bitte entschuldigen Sie die Störung, aber Ihr Gast ist gegangen, Mr. Drake.“

Das musste ein Irrtum sein! Sicherlich war Aurélie nicht einfach ohne die Eier verschwunden, um ganz allein, ohne Sicherheitspersonal, in einer ihr fremden Stadt herumzulaufen, ohne an die möglicherweise desaströsen Konsequenzen zu denken. Oder etwa doch? Bei näherer Überlegung traute er ihr genau das zu. Genießen Sie das Leben ein bisschen, Mr. Drake.

„Soll ich auf der Damentoilette nachsehen?“, bot Mrs. Barnes an.

„Nein danke. Ich kümmere mich um ihren Verbleib. Das ist dann alles.“

„Sehr wohl, Sir.“ Sie nickte und zog sich zurück.

„Keine Sorge, Bruderherz“, beschwichtigte Artem. „Bestimmt ist sie nicht weit gekommen. Sie verschwindet nicht einfach ohne die Familienjuwelen.“

Dalton seufzte. „Hast du vergessen, dass sie in einer fremden Stadt ist? In einem fremden Land. Ganz allein.“

„Deswegen hat sie sich garantiert nicht weiter gewagt als bis zum Plaza. Komm, ich helfe dir suchen.“

„Nein danke. Du bleibst und schließt das Ei im Tresor ein. Ich werde Miss Marchand schon finden.“ Und dann werde ich einige Grundregeln für unseren Deal festlegen. Nachdem ich ihr klargemacht habe, dass ihr Verhalten völlig inakzeptabel ist.

„Wie du willst. Aber darf ich dir einen Rat geben?“

„Habe ich eine Wahl?“

Artem schüttelte den Kopf. „Was immer du tust, geh nicht mit ihr ins Bett.“ Er grinste. „Sofern du sie überhaupt findest.“

2. KAPITEL

Was bildet dieser Dalton Drake sich eigentlich ein?

Aurélie war nicht um die halbe Welt gereist, riskierte nicht den Zorn ihres Vaters, um in einem geschlossenen Raum im zehnten Stock von Drake Diamonds festzusitzen. Nicht, dass die Umgebung nicht opulent war. Im Gegenteil, die Räumlichkeit war von dem leuchtend blauen Teppich bis zu den geschmackvollen Deckenleisten von elegantem Luxus durchdrungen und wirkte eher wie ein Palast als ein Juweliergeschäft.

Und genau das war die Krux bei der ganzen Sache. Aurélie wollte nicht in dieser grandiosen Institution feststecken. Dafür war sie nicht derart hohe Risiken eingegangen. Auf ihrem Handy waren bereits drei verpasste Anrufe aus Delamotte zu verzeichnen. Zum Glück keiner von ihrem Vater. Es wird Tage oder gar Wochen dauern, bis er überhaupt merkt, dass ich verschwunden bin. Der Regent hat sich um Wichtigeres zu kümmern als die Flucht seiner einzigen Tochter.

Aber das Personal war ein Kapitel für sich. Es beobachtete jeden ihrer Schritte und nahm kein Blatt vor den Mund, was ihr Verhalten anging. Oder ihren Modegeschmack. Oder ihre Frisur. Oder ihr Liebesleben. Darüber hatte es eine Menge zu sagen.

Wie in aller Welt soll ich diese Sache durchziehen? Was passiert, wenn mein Vater nach mir suchen kommt? Sie seufzte. Daran wollte sie jetzt nicht denken. Außerdem war sie völlig verloren in dem Labyrinth aus leuchtendem Blau und funkelnden Diamanten. Wie sollte sie sich in New York zurechtfinden, wenn sie nicht einmal im Gebäude von Drake Diamonds zurechtkam?

Ein Raum sah wie der andere aus. Überall funkelten unzählige Diamanten hinter schimmerndem Glas. Ohrgehänge, Halsketten mit kunstvollen Anhängern, Armreife mit verschiedensten Amuletten. Verlobungsringe.

Aurélie blickte sich um und stellte fest, dass sie von Pärchen umgeben war, die einander umarmten, Händchen hielten, sich mit Champagner zuprosteten. Ringsumher bekamen Bräute mit Tränen in den Augen Solitärringe angesteckt.

Plötzlich fühlte sie sich seltsam hohl. Betäubt. Leer. Allein.

Es war total absurd, aber in diesem Moment erinnerte sie sich ausgerechnet an Daltons Händedruck zur Besiegelung ihres Deals. Seine Hände waren stark. Die Hände eines Mannes, der es gewohnt war, seinen Willen durchzusetzen. Was er derzeit wollte, war natürlich ihr geheimes Ei. Sie hatte es ihm auf einem Silbertablett präsentiert.

Und nun war er verschwunden.

Ihr Handy vibrierte in ihrer Tasche. Wieder einmal. Ohne auf das Display zu sehen, schaltete sie es ab und nahm die SIM-Karte heraus, weil sie irgendwo gelesen hatte, dass dadurch keine Ortung per GPS möglich war. Ich hätte mir einen besseren Fluchtplan überlegen sollen. Oder überhaupt einen Plan.

Ihr Blick fiel auf ein silbernes Schild an der Wand, auf dem in schwarzen Lettern stand:

Willkommen in der Drake Diamonds Verlobungswelt

Aurélie verdrehte die Augen, marschierte schnurstracks zum Aufzug und drückte die Ruftaste.

Während sie wartete, veranlasste sie irgendein Impuls, sich noch einmal umzudrehen. Ein perverser Drang, sich zu quälen. Vielleicht brauchte sie eine Gedächtnisstütze für den Grund ihrer Flucht aus Delamotte. Vielleicht wollte sie testen, ob sie es schaffte, inmitten all der romantischen Glückseligkeit die Contenance zu wahren. Oder vielleicht hatte sie einfach den Rest ihrer Würde in ihrem Heimatland zurückgelassen.

Sie starrte zu den glücklichen Pärchen und wurde von dem Gefühl übermannt, sich aufzulösen. Ein Niemand zu werden. Mit der geschmackvollen cremefarbenen Tapete zu verschmelzen.

Wie gern würde ich glauben, dass Happy Ends möglich sind, dass Liebe andauern kann, dass die Ehe mehr als nur eine Transaktion, ein Geschäftsabschluss, ein Kuhhandel ist.

Aber sie wagte nicht, an Märchen zu glauben. Denn dann hätte sie zugeben müssen, dass ihr etwas entging, das wertvoller war als tiefrote Rubine, grüne Smaragde aus Brasilien und sämtliche Marchand-Eier zusammen.

Warum braucht der Fahrstuhl so lange? Sie drückte wiederholt die Ruftaste und zuckte trotzdem vor Schreck zusammen, als ein Klingeln die Ankunft der Kabine ankündigte.

Die Türen glitten auf, und Aurélie stolperte halb hinein.

Eine Hand stützte sie am Ellbogen. „Ist alles in Ordnung, Miss?“

Sie blickte den Fahrstuhlführer an, der einen stylishen schwarzen Anzug und ein strahlend weißes Hemd trug. Seine Fliege war von demselben Blau wie die Krawatte um Dalton Drakes muskulösen Hals. Unwillkürlich dachte sie daran, wie der Windsorknoten dessen markantes Kinn betonte. „Ja, danke.“

Der Aufzug schloss sich und fuhr hinunter, fort von all den Verlobungsringen und der stillen Abgeschiedenheit in Daltons Büro.

Der Liftboy lächelte sie an. „Brauchen Sie eine Orientierungshilfe?“

Sie schüttelte den Kopf, obwohl sie sich überhaupt nicht in New York auskannte. Sie wusste nicht, wie sie ein Taxi anhalten oder Subway fahren sollte. In ihrer edlen Handtasche befand sich kein einziger amerikanischer Dollar. Ihr Portemonnaie war voll von Euros, aber sie kannte nicht einmal den Wechselkurs.

Doch all das war nicht wichtig. Sie wollte nur fort von Drake Diamonds. Und zwar sofort.

Dalton wollte gerade unverrichteter Dinge umkehren, da entdeckte er Aurélie. Sie stand direkt gegenüber vom Plaza-Hotel am Eingang zum Central Park. Nicht mit einem Hotdog in der Hand, sondern mit einem richtigen Hund auf den Armen. Das Pochen in seinen Schläfen verstärkte sich.

Die Frau ist unmöglich!Was dachte sie sich nur dabei? Sie wollte nicht entdeckt werden, spazierte aber ungeniert in der Öffentlichkeit herum. Unbegleitet. Ungeschützt. Unverkleidet.

Er kniff die Augen gegen den Winterwind zusammen und stopfte die nackten Hände in die Hosentaschen. Er war panisch, voller Angst und Zorn aus dem Geschäft gestürmt und hatte darüber vergessen, einen Mantel mitzunehmen. Zu allem Überfluss hatte er zum wiederholten Male einen Straßenmusikanten vertreiben müssen, der sich mit Violine und Spendeneimer direkt vor dem Portal von Drake Diamonds zu postieren pflegte.

Nächstes Mal rufe ich die Cops. Mit diesem finsteren Gedanken im Kopf hatte er sich auf die Suche nach Aurélie gemacht und sie relativ schnell gefunden. Alles in allem waren kaum mehr als fünfzehn Minuten vergangen. Trotzdem, es war ihm wie die längste Viertelstunde seines Lebens erschienen, und nun, drei Häuserblocks später, fror er erbärmlich.

Wütend sprintete er über die Straße. „Aurélie!“

Sie hörte ihn nicht. Oder sie ignorierte ihn vorsätzlich.

Er joggte über den Bürgersteig zu ihr. „Aurélie.“

Neben ihr stand eine ältere Frau in einem Parka, mit einem Klemmbrett in den Händen und einem kleinen Laufstall voll jaulender Hundewelpen zu Füßen. Die Dame musterte ihn gründlich und runzelte die Stirn.

„Oh, wie schön, dass du hier bist!“, rief Aurélie ungeniert, ohne den Blick von dem zitternden Hund in ihren Armen zu lösen.

Das Tier starrte Dalton über ihre Schulter an. Er starrte zurück und befand, dass es mit Abstand die hässlichste Kreatur war, die ihm je unter die Augen gekommen war. Die riesigen Fledermausohren hätten vielleicht niedlich gewirkt ohne die Glupschaugen, die in verschiedene Richtungen guckten. Die Schnauze war breit und platt und aus ihr kamen scheußliche Schnüffelgeräusche.

„Hallo.“ Die Frau mit dem Klemmbrett nickte Dalton zu. „Sind Sie der Freund?“

Freund? Wohl kaum. Er öffnete den Mund, um zu verneinen, doch bevor er auch nur eine Silbe äußern konnte, bestätigte Aurélie: „Ja, hier ist er. Endlich.“

Er hatte keine Ahnung, was für ein Spielchen sie veranstaltete, und es war ihm auch egal. Wenn sie als Pärchen vor dieser Fremden auftreten wollte, die sie möglicherweise aus den Klatschblättern kannte, sollte es ihm recht sein. Obwohl die Vorstellung lächerlich war. „Ja, hier bin ich.“ Ihm wurde bewusst, dass er nicht lachte. „Endlich. Dir ist doch sicherlich klar, dass ich nach dir gesucht habe, Sweetheart.“

Schließlich begegnete Aurélie seinem Blick. Mit Schneeflocken an den Wimpern und rosigen windgeküssten Wangen sah sie eher wie eine Schneekönigin als eine Prinzessin aus. Und lieblicher denn je.

Die Natur stand ihr gut. Oder vielleicht war es der Winter im Besonderen. Die nackten Bäume und der taubengraue Himmel schienen den verlorenen Ausdruck in ihren Augen zu untermalen.

Fasziniert beobachtete Dalton, wie sie so dastand inmitten der anmutig-lautlos tanzenden Schneeflocken und den hässlichen Hund an sich drückte wie ein Kind seinen Teddybären.

Und in diesem Moment bekam er einen überraschenden Einblick in ihre Wahrheit.

Sie lief vor etwas davon. Deswegen war sie in Männerkleidung aufgetaucht und hatte ihn angefleht, nicht den Palast anzurufen. Sie war nicht da, um Urlaub zu machen. Sie war da, um in der Menge unterzutauchen.

„Wie lautet noch mal unsere Adresse?“ Sie stieß ein kleines Lachen aus. „Ich Dummerchen vergesse die immer.“

Er zwang sich zu einem neutralen Gesichtsausdruck. Sicherlich plante sie nicht, in sein Apartment einzuziehen. Schließlich gab es Hotels. Ungefähr 250 Stück in New York. Andererseits war nicht abzusehen, in welche Schwierigkeiten sie unbeaufsichtigt geraten konnte. Seine Kopfschmerzen verstärkten sich. „Unsere Adresse?“

„Natürlich, Darling. Du weißt schon, der Ort, an dem wir leben. Zusammen.“

Er rasselte die Adresse herunter. Die Frau mit dem Klemmbrett notierte sie.

Wer ist diese Person überhaupt? Er beugte sich näher und spähte auf das Formular, das sie ausfüllte. Ganz oben auf dem Blatt stand in großen Lettern Tierschutzbund und Haustier-Adoptionsvereinbarung.

„Moment mal. Ich …“ Er verstummte, weil ihm etwas Feuchtes ins Gesicht patschte, und wich zurück. Entsetzt erkannte er, dass es die Welpenzunge war. Er wischte sich mit einem Ärmel über die Wange und fixierte Aurélie mit finsterstem Blick. „Was hast du eigentlich vor?“

Wir adoptieren einen Hund, Darling.“

„Ich denke, das ist eine Angelegenheit, die wir zuerst besprechen sollten“, konterte Dalton mühsam beherrscht. Dabei stellte er sich unwillkürlich vor, wie er vergeblich zu arbeiten versuchte, während die furchtbare Kreatur in seinem Büro schnarchte wie ein Bär.

Oder schlimmer noch, in seinem Bett. Denn wenn Aurélie aus einer Laune heraus herrenlose Tiere adoptierte, sobald er sie aus den Augen ließ, musste er sie bei sich aufnehmen. Wer weiß, in welche Schwierigkeiten sie sich bringt, wenn ich sie in einem Hotelzimmer sich selbst überlasse?

Er hatte sich geirrt, als er sie Artem gegenüber als impulsiv bezeichnet hatte. Das Wort beschrieb sie nicht einmal annähernd. Sie ist total durchgeknallt.

„Wir haben doch darüber gesprochen. Heute Morgen.“ Ihre herzförmigen Lippen verzogen sich zu einem bezaubernden Lächeln, das seine Libido weckte, obwohl in seinem Kopf ohrenbetäubende Alarmglocken schrillten.

Sie war ungeheuer irritierend. Sie war viel zu eigensinnig für seinen Geschmack. Er hätte sich in keinster Weise zu ihr hingezogen fühlen dürfen. Und schon gar nicht sollte er sich ausmalen, wie sie ihr loses Mundwerk ganz andersartig aufregend einsetzte.

Sie legte ihm eine Hand auf den Oberarm und drückte fest zu. „Du erinnerst dich sicher an unsere Vereinbarung, oder?“

Unglaublich! Sie benutzte das geheime Ei, um ihn zu erpressen. Sie war nicht nur durchgeknallt. Sie war regelrecht gerissen.

Die Frau mit dem Klemmbrett verlangte zu wissen: „Also? Wollen Sie ihn oder nicht?“

Aurélie nickte heftig. „Unbedingt. Stimmt’s, Darling?“ Erwartungsvoll blickte sie Dalton an. So zuversichtlich. So überzeugt, dass er ihrem Willen nachgeben würde.

Er hatte große Lust, sich zu weigern und sie mit dem nächsten Flugzeug an die französische Riviera zurückzuschicken, zusammen mit dem Hund und sämtlichen Marchand-Juwelen. Seit Clarissa hatte er keine Frau mehr mit zu sich nach Hause genommen. Und das war lange her. Damals war ich ein ganz anderer Mensch.

Denk an das Ei und was es dem Geschäft einbringen kann. Eindringlich starrte er Aurélie an. Aus irgendeinem Grund kam ihm Artems Warnung in den Sinn. Was immer du tust, geh nicht mit ihr ins Bett.

Natürlich nicht. Im Gegensatz zu Artem hatte Dalton nicht mit der halben weiblichen Bevölkerung von Manhattan geschlafen. Seine Selbstbeherrschung war legendär. Doch ein Blick in Aurélies smaragdgrüne Augen entfachte etwas in ihm. Unwillkürlich malte er sich aus, wie ihr Körper unbekleidet, nur mit Perlen behangen, im silbrigen Mondschein aussehen mochte.

Völlig unbedacht sagte er: „Prima. Wir nehmen den Hund.“

Dalton schwieg beharrlich, seit er die Adoptionsgebühr bezahlt und Aurélie am Ellbogen in Richtung Drake Diamonds dirigiert hatte. Er ging so schnell, dass sie kaum mit ihm Schritt halten konnte.

Am liebsten wäre sie einfach ins Plaza-Hotel zum Fünfuhrtee verschwunden. Doch seine Körpersprache ließ sie befürchten, dass es sie teuer zu stehen gekommen wäre. Und da sie kein Geld und keine Kreditkarten bei sich trug, war sie total abhängig von dem äußerst mürrischen Dalton Drake.

Noch dazu spähte er alle paar Schritte über die Schulter, um sich von ihrem Gehorsam zu überzeugen. Das ging ihr ganz besonders gegen den Strich, zumal ein archaisches Gesetz den adeligen Frauen von Delamotte vorschrieb, sich in der Öffentlichkeit mindestens zwei Schritte hinter ihren Ehemännern zu halten.

Sie drückte den zitternden kleinen Hund fest an sich und beschleunigte, um Dalton einzuholen. Schließlich war sie nicht seine Untergebene. „Halt!“, rief sie und zerrte ihn am Ärmel.

Er rutschte mit seinen ledernen Schnürschuhen auf dem verschneiten Bürgersteig aus, fing sich jedoch wieder, ohne hinzufallen.

Wie schade!

Mit einem Stoßseufzer brachte er sein zerzaustes Haar in Ordnung und starrte sie finster an. „Was ist denn, Aurélie?“

Ein Schauer durchlief sie, und das lag nicht an der Kälte. Er ging ihr unter die Haut. Zum zigsten Mal wünschte sie sich, er wäre nicht so attraktiv.

„Was wollen Sie?“

Was wollte sie eigentlich? Jedenfalls nicht das kontrollierte Dasein, das sie schon so lange führte. Nicht das Leben, das an den fernen Küsten ihrer Heimat auf sie wartete. Was genau sie wollte, konnte sie nicht sagen. Sie wusste nur, dass ihr etwas fehlte. Ein namenloses schmerzliches Sehnen brannte in ihr, seit ihr Vater seine Pläne für ihre Zukunft dargelegt hatte.

Das disziplinierte Leben im Palast war ihr nie leichtgefallen. Schon als Kind hatte sie zu ausgelassen gespielt, zu laut gelacht, zu viel getobt. Dann war das kleine Mädchen zu einer Frau herangewachsen, die zu viel fühlte, zu viel erwartete, zu viel erhoffte. Die falschen Dinge. Genau wie meine Mutter …

Doch Aurélie hatte gelernt, sich royal zu verhalten. Es war Jahre her, dass sie übermütig durch den Palast getobt war oder hingebungsvoll getanzt hatte. Sie war zu einer Musterprinzessin geworden. Gehorsam. Höflich. Sittsam.

Seit dem Meeting mit dem Regenten und seinen Beratern vor einem Monat bröckelte ihre sorgsam konstruierte Fassade jedoch Stück für Stück ab.

Nun atmete sie tief die eiskalte Luft ein und bekam das Gefühl, von innen heraus zu erfrieren. „Sind Sie immer so mürrisch?“

„Sind Sie immer so verantwortungslos?“

„Verantwortungslos? Habe ich richtig gehört?“

Passanten drängten sich auf dem Bürgersteig an ihnen vorbei. Wolkenkratzer ragten zu beiden Seiten der Straße in den Himmel hinauf. Der Schnee fiel inzwischen ganz dicht – wie in einer Schneekugel, die heftig geschüttelt worden war.

„Allerdings“, bestätigte er.

„Ist Ihnen nicht klar, mit wem Sie reden, Mr. Drake?“

Bedeutungsvoll blickte er zu dem Hund in ihren Armen.

Der kleine Kerl jaulte; sie drückte ihn tröstend an sich. Sie versetzte sich an Daltons Stelle und konnte durchaus nachvollziehen, dass es ein wenig verantwortungslos wirken mochte, aus einer Laune heraus einen Hund zu adoptieren. Aber es war nicht nur eine Laune.

Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie haben gesagt, dass Sie einen Hotdog wollen. Von einer Französischen Bulldogge war keine Rede.“

Aurélie versuchte zu ignorieren, wie sein Bizeps den Anzugstoff spannte. Woher hat ein Mensch, der so viel Zeit im Büro verbringt, solche Muskeln? „Der Hotdog war nur eine Metapher, Mr. Drake.“

„Und was ist mit der Brezel? War das auch eine Metapher?“

„Nein. Ja. Ich meine … Was haben Sie eigentlich gegen Hunde?“

„Nichts. Ich habe allerdings ein Problem mit Ihrer kleinen Ausreißnummer.“

„Und ich habe ein Problem mit der Bevormundung durch Sie. Ich kann ohne Weiteres mein Ei einpacken und nach Hause zurückkehren, wenn Sie möchten.“

„Prima.“ Dalton zuckte die Achseln und ging weiter.

„Wie bitte?“

Er drehte sich zu ihr zurück. „Prima. Kehren Sie in Ihren Palast zurück. Und nehmen Sie den Köter mit.“

Sie straffte die Schultern und bemühte sich, das heftige Pochen ihres Herzens zu ignorieren. „Er hat einen Namen.“

„Seit wann? Fünf Minuten?“

„Er heißt Jacques.“ Aurélie strich dem Welpen über den Kopf. „Falls es Sie interessiert.“

Der Anflug eines Lächelns huschte über Daltons Gesicht. „Sehr französisch. Der Palast wird ihn lieben.“

Ob sein Lob aufrichtig oder sarkastisch gemeint war, wusste sie nicht. So oder so, es gab ihr einen angenehmen Kick, der sie maßlos irritierte. Warum kümmerte es sie, was er dachte? Er hielt sie für verwöhnt, töricht, verantwortungslos. In seinen Augen war sie lediglich eines: eine Prinzessin. Sie fragte sich, wie es sein mochte, unabhängig von ihrer Position wahrgenommen zu werden. „Jetzt mal im Ernst, Mr. Drake. Wir wissen beide, dass ich nicht weggehe. Sie wollen dieses Ei.“

Er trat einige Schritte näher. Zu nahe. Viel zu nahe. So nahe, dass sie seine Körperwärme spürte.

„Stimmt, das will ich“, bestätigte er. „Aber noch viel dringender wollen Sie dem entkommen, wovor auch immer Sie davonlaufen. Ich würde nicht zögern, den Palast anzurufen. Sagen Sie mir, Prinzessin, wovor haben Sie solche Angst?“

Als ob ich jemandem wie ihm irgendetwas Persönliches anvertrauen würde! Sie hatte nicht einen ganzen Ozean auf der Flucht vor einem herrischen Mann überquert, nur um sich einem anderen auszuliefern. „Mir macht gar nichts Angst, Mr. Drake. Schon gar nicht Ihre leeren Drohungen. Wenn Sie nicht bereit sind, Ihren Teil des Deals einzuhalten, dann werde ich tatsächlich gehen.“ Sie legte ein zuckersüßes Lächeln auf. „Allerdings werde ich mein Ei nicht zurück nach Delamotte bringen, sondern lediglich die Straße hinunter zu Harry Winston – Ihrem größten Konkurrenten.“

Dalton blickte sie eindringlich an. Während sich die Stille zwischen ihnen ausdehnte, fürchtete sie, dass er es tatsächlich darauf ankommen lassen würde.

Schließlich legte er ihr eine Hand auf den Rücken und murmelte: „Kommen Sie. Gehen wir nach Hause.“

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen erwachte Dalton mit dem Gefühl, dass sich ein warmer Körper an seinen kuschelte. Für einen bittersüßen Augenblick malte er sich aus, dass er irgendwie in die Vergangenheit gereist war. Zurück zu einer Zeit, als sein Leben sich nicht nur um die Arbeit gedreht hatte.

Dann ertönte ein unangenehmes Schniefen neben ihm, gefolgt von einem Niesen, das seinen ganzen Unterarm benetzte. Er öffnete ein Auge. Die Kreatur, die ihn anstarrte, war eindeutig keine Frau.

Er stöhnte. „Was machst du denn hier, du Köter? Ich dachte, wir wären uns einig, dass mein Schlafzimmer tabu ist.“

Der Welpe neigte den Kopf. Die Geste hätte vielleicht entzückend gewirkt, hätte er nicht eine Pfütze aus Sabber auf dem Daunenkissen hinterlassen.

Dalton verdrehte die Augen und ging mit großen Schritten in das angrenzende Bad. Das durchweichte Kissen war vielleicht die Strafe dafür, dass er die Prinzessin auf dem Sofa schlafen ließ. Er hätte ihr durchaus sein Bett überlassen, doch um ein Uhr morgens hatte sie noch immer im Schneidersitz auf der Couch gesessen und wie ein aufgedrehtes Kind durch die Hunderte von Kanälen gezappt, die seine Satellitenschüssel einfing.

Ihm war neu, dass er so viele Programme empfangen konnte. Er erinnerte sich nicht einmal daran, wann er das letzte Mal den Fernseher eingeschaltet hatte. In den letzten Jahren war es ihm zur Gewohnheit geworden, im Büro zu schlafen.

Allerdings wollte er dort nicht zusammen mit Aurélie übernachten. Zu groß war das Risiko, dass das Personal von Drake Diamonds davon Wind bekam und falsche Schlüsse zog. Ihre plötzliche Präsenz in seinem Leben dem Portier seines Apartmenthauses zu erklären, war schon heikel genug gewesen. Zumal sie sich bei ihm untergehakt und ihn Darling genannt hatte.

Dalton wusste selbst nicht, warum es ihm so gegen den Strich ging, bereits zum zweiten Mal mit ihr als Pärchen aufzutreten. Da es nicht infrage kam, sie als Prinzessin vorzustellen, war es eigentlich naheliegend, sie als seine Geliebte auszugeben.

Er drehte das Wasser in der Dusche auf und ließ sich die Schultern von dem heißen Strahl massieren. Sein gesamter Körper war verspannt. Er wollte nicht wahrhaben, dass es zum Teil an der Verwunderung des Portiers über Aurélies Anwesenheit lag. War die Vorstellung von einer Frau in seinem Leben tatsächlich so weit hergeholt? Ja, vermutlich. Er brachte grundsätzlich keine Frauen mit nach Hause. Zu viele Gespenster geisterten durch sein Penthouse.

Es ist bloß ein vorübergehendes notwendiges Übel. In absehbarer Zeit sollte sein Dasein wieder den vorhersehbaren geordneten Gang nehmen. Dann bekam er sein altes Leben zurück – allerdings deutlich verbessert, weil juwelenbesetzte Eier die Vitrinen im Showroom von Drake Diamonds füllen würden.

Er wusste auch schon genau, wo er das geheime Ei platzieren wollte. In dem Glaskasten, der einmal den verehrten Drake-Diamanten beherbergt hatte. Der Hundertdreißigkaräter hatte seit dem Tag der Eröffnung einen Ehrenplatz im Flaggschiffgeschäft innegehabt. Touristen waren in Scharen herbeigeströmt, nur um den Stein zu bewundern, den Daltons Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßvater 150 Jahre zuvor aus einer Mine in Südafrika geborgen und zu einem der berühmtesten Edelsteine der Welt geschliffen hatte.

Der Verlust des Diamanten drei Monate nach Geoffreys Tod bedeutete einen schweren Schlag. Artem hatte das Kleinod zwar für seine Frau Ophelia zurückkaufen können, doch es befand sich nun in ihrem Privatbesitz. Die Zentalvitrine im Showroom von Drake Diamonds blieb leer.

Nicht, dass Dalton sich aus sentimentalen Gründen an dem Anblick der leeren Vitrine störte. Die Drakes waren grundsätzlich nicht emotional veranlagt. Vielmehr stand sein Stolz auf dem Spiel. Seine Position im Familiengeschäft. Er wollte nicht nur an den früheren Erfolg anknüpfen. Vielmehr wollte er die ehemalige Pracht und somit seinen Vater übertrumpfen.

Den Drake-Diamanten zu verkaufen, war notwendig geworden, weil Geoffrey das Unternehmen klammheimlich in Schulden gestürzt hatte. Jahrelang hatte er Tag für Tag in seinem Büro gesessen und kein Wort über die Stilllegung der Diamantmine verloren, die den Betrieb sämtliche Rücklagen gekostet hatte.

Eigentlich war dieses Verhalten nicht weiter verwunderlich. Aufrichtigkeit war nie seine Stärke gewesen. Schon allein Artems Existenz war ein Beweis für die mangelnde Vertrauenswürdigkeit.

Eines schönen Tages war Geoffrey mit dem Fünfjährigen zu Hause aufgetaucht. Bis dahin hatte Dalton nichts von der Existenz eines Bruders geahnt, und seine Mutter hatte es ebenso überraschend getroffen. Nicht einmal ein Jahr später war sie gestorben. Bis heute schob Daltons Schwester Diana den Tod auf ein gebrochenes Herz.

Trotz der schmutzigen Vergangenheit hatten die beiden Halbbrüder zu guter Letzt Frieden miteinander geschlossen. Dalton sah ein, dass Artem die Firma durch den Verkauf des Drake-Diamanten vor dem Ruin gerettet hatte. Doch das bedeutete noch lange nicht, dass es ihm gefiel.

Ihm lag sehr viel daran, derjenige zu sein, der Drake Diamonds erneut zu Glanz und Gloria verhalf. Nur dadurch konnte er all die Jahre der blinden Hingabe an den Familienbetrieb vor sich selbst rechtfertigen.

Er stellte die Dusche ab und schnappte sich ein Handtuch. Normalerweise hätte er bereits eine Stunde an seinem Schreibtisch gesessen. In Windeseile zog er sich an. Bevor er sich ins Wohnzimmer wagte, um Aurélie zu wecken, musste er das schnarchende Ungeheuer aus seinem Bett entfernen. Er hob das Hündchen hoch und fragte sich, wie ein so winziges Wesen so viel Krach machen konnte. Dann landete sein Blick auf einem nassen Fleck mitten auf dem Laken. Das kleine Monster hat doch glatt ins Bett gepinkelt!

„Aurélie!“ Dalton stürmte ins Wohnzimmer. „Ihr Mündel braucht Aufmerksamkeit.“

Der Fernseher brüllte, doch Aurélie war nirgendwo zu sehen. Seine Schläfen begannen zu pochen. Ist sie schon wieder weggelaufen?

Das Hündchen zappelte in seinen Armen und jaulte, also setzte er es auf den Fußboden. Es flitzte zur Küche und stolperte dabei mehrfach über seine eigenen Pfoten.

„Mon petit chou!“

Dalton wusste nicht, ob er erleichtert oder verärgert auf Aurélies Stimme reagieren sollte. Verärgert wegen der Stubenunreinheit des Hundes. Verärgert wegen all der lächerlichen Aktionen, die sie unternommen hatte, seit sie vor kaum vierundzwanzig Stunden in sein Leben geschneit war.

Er entschied sich für Erleichterung – bis er dem Hund in die Küche folgte und Aurélie erblickte.

Sie trug nichts als ihre schimmernden goldenen Perlen und ein gestärktes weißes Smokinghemd. Sein Smokinghemd, wenn er nicht irrte. Doch es war nicht die Tatsache, dass sie in seinem makellos gebügelten formellen Kleidungsstück geschlafen hatte, die ihn aufwühlte. Vielmehr war es der Anblick der nackten gertenschlanken Beine, der Rundung ihrer Brüste unter dem dünnen weißen Stoff, der sinnlich vollen Lippen. Alles in allem.

Er wurde augenblicklich hart, und ihm kam in den Sinn, dass er selbst womöglich der einzige unruhige Geist war, der seit Jahren in dem Apartment umging. Was immer du tust, geh nicht mit ihr ins Bett.

Bonjour.“ Aurélie lächelte ihn an. „Oh! Sie sind ja schon fix und fertig für die Arbeit angezogen.“

Dalton schüttelte den Kopf. Er war so stark erregt, dass es beinahe wehtat. „Wir fahren nicht ins Büro.“

„Non?“

Non. Es gab Wichtigeres zu tun. Nämlich die unter seinem Dach wohnende Prinzessin einzukleiden, bevor er eine Riesendummheit beging. „Machen Sie sich fertig. Wir gehen shoppen.“ Finster beäugte er den Welpen auf ihren Armen. „Sobald Sie seine Hinterlassenschaft beseitigt haben.“

Nach langem Hin und Her gab Dalton sich schließlich geschlagen und willigte ein, auf seine Limousine mit Chauffeur zu verzichten und die U-Bahn zu nehmen.

Aurélie fragte sich, wie lange es her sein mochte, dass er irgendein öffentliches Transportmittel benutzt hatte. Zugegeben, er war reich. Das war offensichtlich und hatte sich durch eine Internetrecherche per Smartphone am vergangenen Abend bestätigt.

Laut Forbes war das Flaggschiffgeschäft in der Fifth Avenue die wertvollste Immobilie im ganzen Land. Das Gebäude und sein Inhalt waren mehr wert als Fort Knox, wo Amerikas offizielle Goldreserven lagerten.

Also ja, er war wohlhabend. Und wie er immer wieder betonte, war er auch sehr beschäftigt. Trotzdem, sie war davon ausgegangen, dass in New York jedermann die Subway nahm, selbst reiche Workaholics wie Dalton Drake.

Sie war sehr versucht, ihn zu fragen, wie lange es her war, dass er ein Gebäude betreten hatte, das nicht seinen Namen trug. Die diskrete Aufschrift The Drake auf den eleganten schwarzen Markisen seines Apartmentgebäudes war ihr nicht entgangen. Sein ganzes Leben schien sich ausschließlich in seinem weiträumigen Penthouse und dem Juweliergeschäft abzuspielen, wo sein Name überall prangte, einschließlich auf der Art-déco-Fassade aus Granit.

All das fragte sie ihn jedoch nicht. Stattdessen prägte sie sich zahlreiche Details wie das Klicken der Drehkreuze und die leuchtend orangefarbenen Sitze der Untergrundbahn ein. Der Zug raste von einer Haltestelle zur nächsten, um Leute aller sozialer Schichten aufzunehmen und zu entlassen. Studenten mit Rucksäcken. Junge Frauen mit Kleinkindern. Geschäftsleute mit Aktentaschen.

Allerdings wirkte kein anderer Geschäftsmann so eindrucksvoll wie der Mann, der neben Aurélie stand. Obwohl sie sich bemühte, ihn zu ignorieren, war sie sich seiner Gegenwart überdeutlich bewusst.

So sehr sie auch die Horden von New Yorkern, das geschäftige Treiben in den Stationen und das Gedränge im Zug faszinierten, glitt ihr Blick immer wieder zu Daltons breiten Schultern, seinem markanten Kinn, seinem sinnlichen Mund.

Zu allem Überfluss wurde sie beim hektischen Ein- und Aussteigen an einer Haltestelle angerempelt und an seine Brust gestoßen. Ihre Lippen waren nur wenige Zentimeter von seinen entfernt. Ihr stockte der Atem. Sie versteifte sich, konnte nur reglos dastehen und hoffen, dass er das hektische Pochen ihres Herzens nicht spürte.

Missbilligend starrte er sie an. Wieder einmal. Kein Wunder. Schließlich ist er der gewichtige Geschäftsführer und ich bin nichts weiter als eine verwöhnte verantwortungslose Prinzessin. Zur Kenntnis genommen.

„Wir sind da.“ Er legte ihr eine Hand auf den Rücken und steuerte sie schnell durch die Station und auf den verschneiten Bürgersteig.

Wie immer war er auf Mission und Aurélie lediglich mit von der Partie. Allerdings verlangsamte er den Schritt, sobald er ihre Faszination für die Schaufensterauslagen bemerkte.

Als sie stehen blieb, um eine Kleiderkollektion aus farbenfrohen Papierblumen zu bewundern, sah sie sein Spiegelbild in der Scheibe und bekam den Eindruck, dass er schmunzelte.

Dann trafen sich ihre Blicke im funkelnden Glas, und jede Spur von Belustigung schwand von seinem Gesicht. Er räusperte sich. „Wollen wir weitergehen?“

Diese Stimme! Der leise dunkle Klang sandte ihr einen Schauer über den Rücken. Hastig ermahnte sie sich zur Vernunft. Sie durfte sich nicht zu ihm hingezogen fühlen. Er übte auch so schon reichlich Druck auf sie aus. Außerdem gibt es schon genug Männer in meinem Leben. Mehr als genug.

„Natürlich.“ Sie sauste an Dalton vorbei, als wüsste sie genau, wohin er wollte.

„Aurélie?“ Er deutete über die Schulter. „Da geht’s lang.“ Diesmal grinste er unverhohlen.

Sie gingen schweigend weiter, bis sie eine riesige schlichte Fassade aus schwarzem Marmor mit der Aufschrift Bergdorf Goodman erreichten. Wie bei den beiden Gebäuden, die Daltons Namen trugen, war ein Türsteher vor dem Eingang postiert.

Ohne auch nur einen Fuß hineinzusetzen, erkannte Aurélie, dass dieser Laden elegant, geschmackvoll und teuer war. All das, was sie nicht wollte. Sie schüttelte den Kopf. „Non.“

„Wie bitte?“

„Nein danke. Ich möchte woanders hin.“

„Aber wir waren ja noch gar nicht drinnen.“

„Ich muss nicht erst reingehen. Ich sehe auch so, dass es kein Geschäft ist, in dem ich etwas kaufen möchte.“

„Aurélie, Sie brauchen Kleidung. Dieses Haus ist voll davon. Kleider, Blusen, Hosen.“ Er blickte bedeutungsvoll zu ihren Beinen. „Pyjamas.“

Pyjamas? Darum ging es also bei dieser ach so dringenden Shoppingtour! Er hatte sich daran gestört, sie in seinem Smokinghemd anzutreffen. „Ich gehe da nicht rein, Mr. Drake.“

Sie mochte zum ersten Mal in Amerika sein, aber sie hatte Pretty Woman gesehen. Mehrmals sogar. Sie wusste ganz genau, wozu ein Besuch in der exklusiven Boutique führen würde. Ich würde vom Scheitel bis zur Sohle wie eine Prinzessin aussehen, wenn ich in einer Stunde wieder herauskomme …

Dalton verschränkte die Arme vor der Brust und starrte sie zu lange und zu finster an. „Darf ich fragen, warum nicht?“

Plötzlich, sehr zu ihrem Verdruss, fühlte sie sich ganz atemlos. „Ich habe keine Lust, die Rolle der Julia Roberts zu Ihrem Part des Richard Gere zu spielen.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.“

Natürlich nicht. Wahrscheinlich hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nie einen Spielfilm angesehen oder irgendetwas anderes getan, das Spaß machte. „Ich möchte woandershin. Vielleicht in einen Vintage-Shop?“

Er lachte, aber es klang kein bisschen belustigt. „Sie gehören einem Königshaus an und wollen die abgelegten Kleider anderer Leute tragen?“

„Genau das will ich. Auch wenn Sie sich noch so sehr bemühen, es mir zu verleiden.“ Aurélie gefiel die Idee, in einem Vintage-Shop zu stöbern. Es würde mir einen Riesenspaß machen, wenn mich nicht der griesgrämigste Mann der Welt begleiten würde. „Kommen Sie, Mr. Drake. Wir wissen doch beide, dass Sie eine Vorliebe für alte Schätze haben.“ Wie Schmuckeier zum Beispiel.

„Nun gut. Aber wir nehmen diesmal ein Taxi.“ Er ging zum Kantstein und hob einen Arm.

Innerhalb von Sekunden tauchte ein gelber Sedan auf. Natürlich. Selbst der Verkehr in New York befolgt seine Befehle.

Er hielt den Wagenschlag auf. „Nach Ihnen.“

„Merci.“ Aurélie stieg ein. „Wohin fahren wir?“

„Williamsburg. Das ist in Brooklyn“, erklärte er, und schon ging es los.

Im Schneckentempo kroch das Taxi durch Manhattan. Noch nie hatte Aurélie so viel Trubel erlebt. In Delamotte führte die wenig befahrene Hauptverkehrsader an einer Steilküste entlang. Die meisten Leute benutzten keine Autos, sondern genossen die würzige Seeluft auf Rädern. In New York dagegen wälzten sich endlose Fahrzeugkolonnen durch die Straßen. Fahrradkuriere schlängelten sich zwischen den Autos hindurch. Musikanten spielten an Straßenecken. Kioske auf den Bürgersteigen boten Zeitungen und Souvenirs, Lederwaren und winterliche Strickwaren feil.

Inmitten wirbelnder Schneeflocken, unzähliger Leute und hupender Autos fühlte Aurélie sich wie in einem anderen, mysteriösen Universum. So viel Leben, so viel Bewegung – es machte sie schwindelig. An einem Ort wie diesem gab es keine Spur von diesem Stillstand, der sie so lange beherrscht hatte. Ihr ganzes Leben lang, wie ihr schien.

„Ist das nicht wundervoll?“, flüsterte sie beeindruckt.

Dalton musterte sie eindringlich, neugierig. „Was ist wundervoll?“

„Das alles.“ Mit einer ausladenden Handbewegung umfasste sie das Szenario außerhalb des Taxis, wo tanzende Schneeflocken auf das pulsierende Herz der City fielen.

Ohne den Blick von ihrem Gesicht zu lösen, sagte Dalton zum Fahrer: „Halten Sie bitte an.“

„Hier, Sir? Aber wir sind noch lange nicht in Brooklyn.“

„Ja, das weiß ich.“ Dalton wandte sich an Aurélie. „Bleiben Sie hier.“

Sie packte ihn am Arm. „Warten Sie! Wohin wollen Sie?“

Er starrte auf ihre Hand. „Lassen Sie mich los, Aurélie. Und könnten Sie ausnahmsweise tun, was ich sage, und sitzen bleiben? Ich bin gleich wieder da.“

Sie ließ seinen Arm los. „Prima.“

Er stieg aus und schloss die Tür hinter sich. Schneeflocken wehten ins Taxi und tanzten in der Luft wie Flaumfedern. Aurélie beobachtete, wie sie auf dem schwarzen Ledersitz landeten und zu Tröpfchen zerschmolzen.

Einen seltsamen Moment lang fühlte sie sich furchtbar allein. Plötzlich war ihr nach Weinen zumute. Ohne ersichtlichen Grund. Was war nur in sie gefahren? Sie hatte bekommen, was sie sich wünschte. Abenteuer. Unabhängigkeit. Freiheit. All die Dinge, die ihrer Mutter versagt geblieben waren.

Sie holte ihr iPhone aus der Birkin-Bag und steckte die SIM-Karte hinein, um die eingegangenen Mitteilungen zu checken. Das Display zeigte keinen einzigen verpassten Anruf, keine Textnachricht an. Wie ist das möglich?

Plötzlich durchbrach ein Klingeln die Stille im Taxi. Vor lauter Schreck ließ Aurélie das Handy beinahe fallen. Sie atmete tief durch, als sie ihre Befürchtung bestätigt sah. Der Anruf stammte von ihrem Privatsekretär.

Ihr Herz pochte so wild wie das eines Wildvogels, der in ein Fangnetz geraten war. Sie spähte aus dem Fenster auf der Suche nach Dalton, aber die City hatte ihn verschluckt. Sie räusperte sich, nahm das Gespräch an und meldete sich aus Versehen beinahe auf Englisch, was einen verräterischen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort bedeutet hätte. „Alló?“

„Bonsoir, Votre Altesse Royale.“

Bonsoir? Ihr wurde bewusst, dass es in Delamotte bereits Abend war, was die Entfernung irgendwie größer erscheinen ließ. Allerdings nicht groß genug.

„Haben Sie einen Moment für mich, um Ihren Terminplan für den Rest der Woche durchzugehen?“

Sie schluckte schwer. Hatte nicht einmal ihr eigenes Personal gemerkt, dass sie abhandengekommen war? „Natürlich.“

„Lord Clement wird übermorgen in den Palast kommen, um Sie zu fotografieren. Der Regent wünscht ein neues Foto für die bevorstehende Presseerklärung.“

Ihr Magen brannte. Lord Clement war der offizielle königliche Fotograf und einer der besten Freunde ihres Vaters. „Übermorgen ist kein guter Tag. Wir müssen umplanen.“

„Ich fürchte, das geht nicht. Die Bekanntmachung ist für nächsten Freitag anberaumt.“

Aurélies Magen drehte sich um. Sie hatte gehofft, die Dinge durch ihr Verschwinden irgendwie zu entschleunigen. Sie selbst fühlte sich schon nach anderthalb Tagen ganz anders. Trotzdem hatte sich eigentlich nichts verändert. Man hatte nicht einmal bemerkt, dass sie fort war. Ihr Leben in Delamotte ging wie geplant weiter. Mit ihr oder ohne sie.

„Der Fototermin ist für vier Uhr am Nachmittag im Ballsaal anberaumt. Der Regent möchte, dass Sie das Kleid aus Goldbrokat und die Tiara tragen.“

Ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Ich verstehe.“

Très bien. Ich gebe Lord Clement Bescheid, dass Sie den Termin bestätigt haben. Au revoir.

Die Verbindung wurde unterbrochen, bevor Aurélie reagieren konnte. Mit dem Telefon in der Hand saß sie reglos da. Vor Schreck fühlte sie sich gefangen wie in einer erstickend festen Umarmung. Was habe ich bloß getan?

Bisher mochte ihre Flucht unentdeckt geblieben sein, aber ihr Nichterscheinen zu einer Sitzung mit Lord Clement würde für Aufsehen sorgen. Ihr Vater würde davon erfahren und möglicherweise sogar die Presse. Auf den Titelblättern sämtlicher Zeitungen an der französischen Riviera würde ihr Gesicht erscheinen, unter der Schlagzeile: Prinzessin spurlos verschwunden!

Doch noch war es nicht zu spät, oder? Wenn sie das nächste Flugzeug nahm, konnte sie in achtundvierzig Stunden mit der Tiara auf dem Kopf im Ballsaal stehen. Dann werde ich nächste Woche aus einem ganz anderen Anlass Schlagzeilen machen.

Sie schaltete das Handy ab und nahm die SIM-Karte heraus, obwohl sie nicht wusste, warum sie sich die Mühe machte. Eine Heimkehr war das einzig Sinnvolle. Ihr Fortgang hatte nichts verändert. Sie konnte sich ihrem Schicksal nicht entziehen. Etwas anderes zu glauben, war ein naiver Irrtum. Meine Mutter konnte nicht entfliehen, und ich kann es ebenso wenig.

Die Tür ging auf. In einem Schwall Schnee und eisiger Luft kehrte Dalton mit einem weißen Papierpäckchen zurück.

Aurélie blieb reglos sitzen. Sie konnte ihn nicht ansehen. Sie war auch so schon verwirrt genug, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was er zu ihrem beabsichtigten Rückzug nach Delamotte zu sagen hatte. Nach allem, was sie ihm aufgebürdet hatte – ihr Verschwinden, die Adoption des Welpen, die ständigen Widerworte –, würde er vielleicht verärgert reagieren. Oder möglicherweise erleichtert. Sie wusste nicht, was besser war.

„Sehen Sie mich an.“ Er drehte ihr Gesicht zu sich um und zwang sie, seinem Blick zu begegnen. „Aurélie, stimmt etwas nicht?“

Genau. Gar nichts stimmt. „Doch, doch.“ Sie schenkte ihm ihr perfekt einstudiertes Prinzessinnen-Lächeln und konzentrierte sich darauf, ihre Tränen zurückzuhalten. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sonst wäre die Wahrheit aus ihr herausgesprudelt. Die ganze Wahrheit über die perfiden Pläne ihres Vaters. Wenn ich es laut ausspreche, wird es wahr für mich. Aber ich will glauben, dass es nicht real ist. Zumindest noch für eine kleine Weile.

Sie heftete den Blick auf seine Drake-blaue Krawatte. „Wo sind Sie gewesen?“

„Ich habe das hier für Sie besorgt.“ Er reichte ihr das Päckchen.

Es wärmte ihre Hände. „Sie haben mir ein Geschenk gebracht?“

„So würde ich es nicht nennen.“

„Es sieht aber so aus.“

„Das ist nichts weiter.“

Sie entfernte das Papier, blinzelte verwundert und brachte keinen Ton heraus. Er hat mir einen Hotdog geholt …

Dalton tat es mit einem Achselzucken als alberne kleine Geste ab. „Das ist bloß eine Metapher. Mit Senf.“

Für Aurélie war das Geschenk sehr bedeutungsvoll. Was als Nächstes passierte, verstand sie selbst nicht ganz. Vielleicht konnte sie nach dem Anruf vom Palast nicht klar denken. Vielleicht machte der Gedanke an ihren Rückzug etwas in ihr kaputt. Vielleicht war es ihr nicht mehr wichtig, was mit ihr passierte.

Denn obwohl sie wusste, dass es ohne Zweifel der schwerwiegendste Fehler ihres Lebens war, legte Ihre Königliche Hoheit Aurélie Marchand den Hotdog beiseite, packte Dalton Drake am Revers und küsste ihn, als wäre sie nicht einem anderen Mann versprochen.

4. KAPITEL

Die Verlobung war noch nicht offiziell vollzogen, doch die royale Trauung sollte bereits in knapp drei Monaten in der Kathedrale von Delamotte stattfinden. Das wurde allerdings vorerst streng geheim gehalten. Der Palast gedachte, die große Ankündigung in zwanzig Tagen vorzunehmen.

Nicht, dass Aurélie die Tage zählte. Im Gegenteil, sie bemühte sich, nicht daran zu denken. Die Tatsache, dass sie mit einem dreißig Jahre älteren Mann verheiratet werden sollte, dem sie noch nie begegnet war, ließ sich jedoch nicht so leicht verdrängen.

Dalton Drake zu küssen, erwies sich hingegen als bemerkenswerte Ablenkung. Durch die Berührung ihrer Lippen schien sich der ständige Kummer in ihrem Herzen aufzulösen. Sie nahm nichts mehr um sich herum wahr. So sehr war sie von bittersüßen Gefühlen beseelt, dass kein einziger Gedanke Platz in ihrem Kopf fand.

Seine Lippen waren kalt vom Schneesturm. Seine Zunge drang tief in ihren Mund ein. Forschend. Bezaubernd. Einen solchen Kuss hatte sie noch nie erlebt. Ihr stockte der Atem. Und diese wimmernden Laute – stammten die tatsächlich von ihr?

Sie hätte sich genieren sollen, doch sie empfand nichts als Verlangen. Genau solche Liebkosungen hatte sie dringend gebraucht. Aber nein, das stimmt nicht. Nicht seine Zärtlichkeiten, sondern ihn habe ich gebraucht. Dalton Drake.

„Oh, Aurélie“, murmelte er, und sein warmer Atem streifte aufreizend ihre Lippen. Er schob die Hände in ihr Haar und zog ihren Körper dicht an seinen.

Falls ihre Handlungsweise ihn überraschte, so ließ er sich nichts anmerken. Im Gegenteil. Sie hatte eher den Eindruck, dass er ebenso lange auf so etwas gewartet hatte wie sie selbst.

Aber das kann nicht sein. Er hatte deutlich klargestellt, dass er sie lediglich bis zur Ausstellung der Schmuckeier tolerierte. Und das war auch gut so, weil sie nicht in sein Leben gehörte und er nicht in ihres. Ihre Zeit in New York hatte nichts mit der Realität gemein.

Dagegen fühlte sich der Kuss äußerst real an. Viel realer als das weiße Gewand, in das sie in knapp einem Monat schlüpfen sollte. So wie jetzt sollte das Leben sein. Leidenschaftlich. Ungestüm. Abenteuerlich. Glühend. Und durch und durch falsch.

Würde ihr Ehemann sie jemals so küssen? Würde er sich den Perlenstrang um einen Finger wickeln und sie daran auf seinen Schoß ziehen, wie Dalton es gerade tat? Würde sie sich an seiner Erektion erfreuen, die sie deutlich durch die Kleidung spürte? Würde sie sich nur mit Mühe davon abhalten können, seine Hose zu öffnen und ihn anzuflehen, auf dem Rücksitz eines Taxis in sie einzudringen – in voller Sicht des Fahrers und halb Manhattans?

Niemals. Trotz ihrer Unerfahrenheit im Schlafzimmer wusste Aurélie, wie selten diese Art der Verbundenheit vorkam. Sie spürte ganz deutlich, dass kein anderer Mann sie je wieder so küssen würde. Als wäre sie ein wertvoller Edelstein, der irgendwo tief im Dunkeln geschlummert und darauf gewartet hatte, ans Tageslicht befördert zu werden. Nur dieser Mann konnte nur an diesem Ort und zu dieser Zeit durch einen stürmischen Kuss ihr leidenschaftliches Herz aufgehen lassen.

Er vertiefte den Kuss und stöhnte verlangend. Ihr Herz schlug höher bei der Erkenntnis, wie sehr er sie begehrte. Sie schloss eine Hand um seine Seidenkrawatte, als könnte sie damit den Augenblick festhalten.

Was würde er sagen, wenn er ihr Geheimnis wüsste? Was sollte er denken, wenn er nach ihrer Rückkehr nach Delamotte ein Foto von ihr und ihrem ältlichen Verlobten in der Zeitung sah? Was würde er fühlen, wenn er sie im Fernsehen an ihrem Hochzeitstag aus einer gläsernen Kutsche steigen sah?

Wahrscheinlich würde er sich ärgern und seine Ansicht bestätigt sehen, dass ich verwöhnt, rücksichtslos und verantwortungslos bin. Zumindest hoffte Aurélie auf diese Reaktion. Seinen Zorn könnte sie verkraften. Was sie nicht ertragen könnte, war sein Mitleid.

Ihr gefiel es, dass er in ihr einen seltenen exotischen Vogel sah und nicht eine erwachsene Frau, die unter der Fuchtel ihres Vaters stand. Allerdings wurde diese Einschätzung meist von verzweifelten oder empörten Blicken begleitet. Doch immer wieder, wenn Dalton sie mit seinen grauen Augen ansah, blühte sie förmlich auf. Wie eine Rose, die in der Hitze der Sommersonne ihre volle Pracht entwickelt.

Er sah ihre Persönlichkeit. Das machte den Unterschied. Vor Dalton Drake musste sie ihr wahres Wesen nicht verbergen. Trotz all der Geheimnisse, die sie vor ihm bewahrte, erkannte er, wer sie wirklich war. Das war mehr, als sie von dem gesamten Königreich Delamotte sagen konnte.

Eigentlich hätte sie die bevorstehende Verheiratung vorhersehen müssen. Seit Anbeginn der Zeit wurden Frauen in ihrer Position zu arrangierten Ehen gezwungen. Doch in ihrer Naivität hatte sie nicht bedacht, dass eine derart archaische und erniedrigende Praktik ihr bisher unbeschwertes Leben beeinträchtigen könnte.

Hätte Aurélie einen Tag nach der Beerdigung ihrer Mutter nicht deren Tagebuch gefunden, hätte sie niemals die Wahrheit erfahren. Manchmal wünschte sie, sie hätte das Buch mit den goldgeränderten Seiten nie aufgeschlagen. Dann könnte sie noch immer an das Märchen von einer glücklichen Partnerschaft glauben. In Wirklichkeit hatten sich ihre Eltern nie geliebt. Während ihre Mutter ein einsames Dasein gefristet hatte, war ihr Vater von einer Mätresse zur anderen geflattert. Es hatte sich um eine sorgsam arrangierte Vernunftehe gehandelt, um einen politischen Kuhhandel zur Machtgewinnung.

Und jetzt steht mir dasselbe bevor. Sie kniff die Augen zu. Mit jedem Atemzug, mit jeder Berührung ihrer Lippen flehte sie Dalton an, die royalen Pläne für ihre Zukunft zu durchkreuzen. Den Lauf der Dinge irgendwie zu stoppen, damit sie für immer diese kühne Frau bleiben konnte, die ihr Schicksal selbst in die Hand nahm. „Bitte …“ Oh weh! Habe ich das laut gesagt?

„Nicht hier, Darling.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, klang aber hinreichend zurückweisend, um Aurélie zur Vernunft zu bringen.

Sie schlug die Augen auf und stellte fest, dass er sie eindringlich anstarrte. Sie fühlte sich quälend verletzlich. Bloßgestellt. Beschämt. Nicht hier. Sie blickte an sich hinab und konnte kaum glauben, was sie sah. Sie saß rittlings auf seinem Schoß. Ihre Hände lagen auf seiner Brust. „Oh mein Gott.“ Erschrocken wich sie zurück.

Sie hörte ein Knacken, als ob etwas zerbrach. Für einen grotesken Moment glaubte sie, es sei ihr Herz. Bis sie erkannte, dass ihre Halskette noch immer um Daltons Finger gewickelt war. Nicht der ganze Strang, nur der halbe. Die restlichen Perlen fielen Stück für Stück von ihrem Hals in seinen Schoß.

Sie rang nach Atem und fasste sich an die Kehle.

Dalton fluchte und machte sich auf die Jagd nach den goldenen Kügelchen, die in alle Richtungen rollten, als suchten sie zu entkommen.

Aurélie erinnerte sich, irgendwo gelesen zu haben, dass Perlen als Symbol für Traurigkeit galten, dass jede für eine Träne stand. Bisher hatte sie nichts auf diese Mär gegeben. Doch nun konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren, dass es die Tränen ihrer Mutter waren, die sich im Wagen ergossen.

Was habe ich bloß angerichtet?!

Nach Daltons grober Schätzung rollten gerade Südseeperlen im Wert von 50000 Dollar zu seinen Füßen herum. Doch die Tatsache, dass Aurélies kostbare Halskette zerrissen war, stellte momentan sein kleinstes Problem dar – ein Beweis für das Ausmaß des Fehlers, den er soeben begangen hatte.

Was zum Teufel war in ihn gefahren? Hatte er wirklich mit einer Prinzessin auf dem Rücksitz eines Taxis herumgeknutscht, während ein völlig Fremder sie über die Brooklyn Bridge chauffierte? Offensichtlich ja. Und dem Ausmaß seiner Erektion nach zu urteilen, hatte er es mächtig genossen.

Aurélie sah sich mit benommener Miene um. Verstört. Entsetzt. Mit ungeweinten Tränen in den Augen.

Der Fahrer warf immer wieder neugierige Blicke in den Rückspiegel, während Dalton im Fußraum herumkroch, um die Perlen einzusammeln, und sich fragte, wie ein einfacher Kuss ein solches Chaos hervorrufen konnte.

Wem willst du was vormachen, du Trottel? An dem Kuss war nichts einfach. Er setzte sich auf und ließ eine Handvoll Perlen in seine Tasche gleiten. „Es tut mir leid, Aurélie.“

Er hatte genau das getan, was er sich zu unterlassen geschworen hatte. Nun, er war zwar nicht mit ihr ins Bett gegangen, aber dieses Treiben wog unter Umständen schwerer. Sie befanden sich an einem öffentlichen Ort. Jeder konnte sie durch die Autoscheiben sehen. Ganz zu schweigen von dem Taxifahrer. Was, wenn er mich erkennt? Was, wenn er sie erkennt?

„Nein, es war meine Schuld. Ich hätte nicht …“ Sie biss sich auf die weiche Unterlippe.

Dalton musste sich beherrschen, um ihren rosigen Mund nicht erneut zu küssen. „Ich bin es, dem es leidtut.“ Er atmete tief durch und konzentrierte sich auf die Perlen. Er musste Aurélies Blick meiden. Sonst hätte sie die Wahrheit erkannt, die ihm ins Gesicht geschrieben stand: dass es seinen letzten Rest an Selbstbeherrschung gebraucht hatte, das Tête-à-Tête zu beenden. Es wunderte ihn, dass es ihm überhaupt gelungen war.

Bitte. Dieses eine geflüsterte Wort hatte so sehnsüchtig-verheißungsvoll geklungen, dass es ihn noch immer quälte. Immer wieder glitten ihm die Perlen durch die Finger, so sehr zitterten seine Hände.

Bitte. Dieses Wort würde ihn in Tausenden kommenden Nächten heimsuchen – in gewisser Weise wie eine schmerzliche Erleichterung. Denn er war der Reue gänzlich überdrüssig, die seit der Nacht, in der Clarissa gestorben war, seine einzige Bettgefährtin darstellte.

Er hatte seine Verlobte nicht geliebt. Das war ihm in den Jahren seit ihrem Tod klar geworden. Natürlich hatte ihm viel an ihr gelegen. Sonst hätte er sie nie gebeten, ihn zu heiraten. Aber bei seinen Gefühlen hatte es sich weniger um romantische Liebe als vielmehr um eine Art brüderliche Zuneigung gehandelt, wie er sie für Diana empfand.

Andernfalls wäre Dalton in jener Nacht ans Telefon gegangen. Oder er wäre zu Hause geblieben, statt an seinem Schreibtisch zu sitzen. Clarissa wäre noch am Leben, und er würde nicht auf dem Rücksitz neben Aurélie sitzen und sich danach sehnen, sie zu berühren, zu küssen, zu kosten.

Die Verantwortung für das, was soeben passiert war, lastete schwer auf seinen Schultern. Er begehrte sie. Schon seit ihrer ersten Begegnung in seinem Büro, als ihre Augen so hoffnungsvoll wie feurige Smaragde geschimmert hatten.

Er hatte nicht gewusst, was sie sich so inständig wünschte. Er wusste es noch immer nicht. Aber die Sehnsucht in ihrem Blick war ihm unter die Haut gegangen, hatte eine Saite in ihm zum Klingen gebracht.

Ein Blick in Aurélies Gesicht hatte gereicht, um Erinnerungen an sein früheres Leben heraufzubeschwören, in dem Heiterkeit und Gefühle existiert hatten.

Wie mochte es sein, wieder etwas für eine Frau zu empfinden? Er wollte die Dinge begehren, die sie begehrte. Fühlen, was sie fühlte. Lebendigkeit. Sehnsucht. Liebe.

Nein. Nicht Liebe.

Er starrte stur aus dem Seitenfenster. Denn er konnte es nicht ertragen, das Leuchten zu sehen, das von Aurélie ausging wie von einem Brillanten. Nicht, solange der Geschmack ihrer roten Lippen auf seiner Zunge verweilte und er sich ersehnte, sich in ihr zu verlieren und ihren Körper unter seinem erschauern zu spüren.

Draußen huschte die City vorüber, in einer unscharfen Verschmelzung aus Schnee, Stahl und melancholischem Grau. Dalton ballte die Hände. Er hatte sich vergessen. Das durfte ihm nicht wieder passieren. Aurélie war tabu. Außerdem hatte er sich mit seinem Leben arrangiert. Mit seinem geordneten vorhersehbaren tristen Leben.

Doch trotz aller Bemühungen, sich zu beherrschen und in den Zustand der Gefühllosigkeit zurückzugleiten, konnte er das hastige Pochen seines Pulses nicht bändigen.

Bitte. Bitte. Bitte.

Am nächsten Morgen saß Dalton schon vor Sonnenaufgang an seinem Schreibtisch bei Drake Diamonds. Er hatte Aurélie die Nachricht hinterlassen, dass sie sich ins Geschäft chauffieren lassen sollte, wann immer sie wollte. Zugegeben, sie für längere Zeit allein zu lassen, barg ein gewisses Risiko. Doch nichts erschien ihm so gefährlich, wie den Morgen mit ihr allein in seiner Wohnung zu verbringen.

Nach der verhängnisvollen Fahrt im Taxi hatte sie in einem Vintage-Shop zahlreiche farbenfrohe Outfits anprobiert und einige gekauft, ohne ihm auch nur ein einziges vorzuführen. Er redete sich ein, dass es gut so war. Denn er war auch so schon sexuell frustriert wie nie zuvor. Wie war es möglich, dass sein Leben sich im Laufe weniger Tage derart verkompliziert hatte?

So durfte es nicht weitergehen. Er hatte zu arbeiten. Er musste die bevorstehende Gala arrangieren und die Frühlingskampagne entwerfen. Stattdessen blätterte er in einem Stapel Klatschzeitschriften und betete dabei, kein Foto vorzufinden, auf dem er sich mit Aurélie auf dem Rücksitz eines Taxis vergnügte.

Es klopfte an die Tür; Artem spazierte herein. „Guten Morgen, Bruder.“ Sein Blick fiel auf das aufgeschlagene Boulevardblatt auf dem Schreibtisch. „Interessante Lektüre.“

Dalton klappte das Magazin zu. „Guten Morgen.“

„Ich habe mich schon gefragt, ob du heute wohl auftauchst, nachdem du gestern geschwänzt hast. Ich kann mich nicht erinnern, dass du jemals einen Arbeitstag ausgelassen hast. Du weißt hoffentlich, dass morgen Dianas Reitturnier stattfindet?“

„Natürlich“, behauptete Dalton, obwohl es ihm entfallen war. „Setz dich doch.“

„Ich bin froh, dass du hier bist. Ich wollte dich fragen …“ Artem starrte zu Jacques, der zusammengerollt auf dem Sofa an der Rückwand lag. „Habe ich Halluzinationen oder ist das da ein Welpe?“

„Frag lieber nicht.“

„Ich kenne dich, seit ich fünf Jahre alt war, aber irgendwie ist mir entgangen, dass du ein Tierfreund bist. Wann hast du dir einen Hund zugelegt?“

Dalton guckte entnervt zu Jacques, der prompt mit dem ganzen Hinterteil wedelte. Das Tier war besessen von ihm. „Hab ich ja gar nicht.“

Artem sank auf das Sofa und streichelte den Hund, der schnüffelnde Geräusche von sich gab und ihm auf den Schoß rückte. „Wo kommt dann dieses Schätzchen her?“

„Es gehört Aurélie.“

Jacques ließ sich auf den Rücken fallen und sabberte prompt auf das Sofa, als Artem ihn am Bauch kraulte. „Und er ist hier bei dir im Büro, weil?“

„Er mag mich. Weiß der Himmel, warum. Das Gefühl beruht definitiv nicht auf Gegenseitigkeit.“ Dalton konnte kaum einen Schritt gehen, ohne über das Hündchen zu stolpern, was ihn gewaltig nervte. Andererseits garantierte dessen Anwesenheit, dass Aurélie irgendwann bei Drake Diamonds auftauchte. Sie würde nie ohne ihren petit chou davonlaufen. „Das hässliche kleine Ding hat in mein Bett gepinkelt und etliche Kissen zerkaut.“

„Soll das heißen, dass Aurélie bei dir wohnt?“

„Allerdings.“

Artem zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Mal sehen, ob ich richtig verstehe: Du warst anderthalb Tage nicht bei der Arbeit, Aurélie wohnt bei dir und du lässt dir von ihrem Hündchen deine Möbel ruinieren und dein Büro vollsabbern.“

„Mir ist klar, wie das aussehen muss.“

„Das glaube ich nicht. Es sieht nämlich so aus, als würdest du mit einer entlaufenen Prinzessin schlafen, während du planst, ihre gestohlenen königlichen Juwelen zu deiner persönlichen Bereicherung auszustellen.“

„Das ist eine grobe Verdrehung der Tatsachen. Erstens hat sie das Ei nicht gestohlen, sondern geerbt.“

Artem stand auf und spazierte zum Schreibtisch. „Und du glaubst, dass der Palast es auch so sehen wird?“

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. „Wenn alles wie geplant läuft, merkt man in Delamotte erst nach der Enthüllung des Eis, dass es fehlt. Dann wird Drake Diamonds bereits auf der Titelseite jeder Zeitung im Land stehen. Mission erfüllt“, erklärte Dalton zufrieden. „Und zweitens schlafe ich nicht mit ihr. Nicht, dass es dich etwas angeht.“

„Mach mit Aurélie, was du willst. Es geht mich wirklich nichts an. Aber wenn ich mein Haus mit der Prinzessin eines ausländischen Königshauses teilen würde, dessen kostbarste Juwelen derzeit im Tresor von Drake Diamonds lagern, hättest du einiges dazu zu sagen.“

Dem konnte Dalton nicht widersprechen.

„Während du außer Haus warst, ist übrigens ein Anruf eingegangen. Vom Palast in Delamotte.“

Großartig! Der Palast hatte Aurélies Verschwinden also bereits bemerkt. Wie konnte ich so dumm sein und glauben, dass sie damit durchkommt? „Wie schlimm ist es?“

„Nicht besonders. Da Mrs. Barnes dich nicht erreichen konnte, habe ich den Anruf entgegengenommen. Der Palast wollte sich vergewissern, ob die Eier angekommen sind. Offensichtlich ist Monsieur Martel nicht mehr zur Arbeit erschienen. Daher hat man befürchtet, dass er sich mit den royalen Juwelen abgesetzt haben könnte.“

Das hätte ich bedenken müssen. Ich hätte Aurélie nach dem Kurier fragen sollen, bevor ich auf ihre Bedingungen eingegangen bin. Dalton war einfach nicht mehr ganz bei Sinnen, seit sie in sein Büro spaziert war. Nun wurde es Zeit, sich selbst den Kopf zurechtzurücken. „Was hast du ihnen gesagt?“

„Ich habe versichert, dass die Ausstellungsstücke angekommen und sicher im Tresor verwahrt sind. Das Juwel, das du in deinem Apartment verwahrst, habe ich nicht erwähnt.“ Artem räusperte sich vielsagend. „Hast du dir überlegt, was du tun wirst, wenn ihr Verschwinden bemerkt wird?“

„Mit etwas Glück fällt es bis morgen niemandem auf. Ich setze Aurélie um Mitternacht in ein Flugzeug nach Delamotte.“ Den ganzen Vormittag hatte Dalton mit diesem Gedanken gespielt; die endgültige Entscheidung fiel erst in diesem Moment.

Sein Blick glitt zu Jacques, der auf dem Sofa eingeschlafen war. Was sollte aus dem Tier werden? Vergiss den Hund. Hier geht es nicht um ihn, sondern nur ums Geschäft.

„Was ist mit dem geheimen Ei?“, wollte Artem wissen.

„Sie kann es mitnehmen. Es ist das Risiko einfach nicht wert. Nicht mehr.“

„Was hat sich geändert?“

Dalton verharrte reglos, während vor seinem geistigen Auge Szenen seiner Erinnerung abliefen. Er sah, wie sich seine Finger in Aurélies seidigen Haaren vergruben. Er sah ihre Augen wie seltene Diamanten glitzern und ihre Lippen, feucht von seinen Küssen, um Erlösung flehen. Und er sah Perlen wie Tränen fallen und schneller davonkullern, als er sie auffangen konnte. Was sich verändert hat? Einfach alles.

Er zuckte mit einer Schulter. „Ich bin zur Vernunft gekommen. Mehr nicht.“

„Bist du sicher?“ Artem musterte ihn forschend. „Ich gebe dir Rückendeckung, was immer du entscheidest. Wir sind ein Team, wie du weißt.“

Von Kindesbeinen an – seit er zum ersten Mal über den Drake-blauen Teppich in der Fifth Avenue gelaufen war – hatte Dalton sich ausgemalt, Drake Diamonds eines Tages zu leiten. Allein, nicht an der Seite seines Bruders. Er ganz allein. Dalton Drake, der Firmenchef.

Er hatte sich nie als Teil eines Teams gesehen, hatte nie danach gestrebt. Doch inzwischen fand er die Konstellation gar nicht so schlecht. Eines Tages könnte ich mich vielleicht sogar daran gewöhnen.

„Unbedingt.“ Er nickte und schenkte seinem Bruder ein echtes, wenn auch trauriges Lächeln. „Ich habe meine Entscheidung getroffen. Die Prinzessin kehrt nach Hause zurück, wohin sie gehört.“

Autor

Wendy Warren

Wendy lebt mit ihrem Ehemann in der Nähe der Pazifikküste. Ihr Haus liegt nordwestlich des schönen Willamette-Flusses inmitten einer Idylle aus gigantischen Ulmen, alten Buchläden mit einladenden Sesseln und einem großartigen Theater. Ursprünglich gehörte das Haus einer Frau namens Cinderella, die einen wunderbaren Garten mit Tausenden Blumen hinterließ. Wendy und...

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