Bianca Extra Band 70

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NEUER MANN, NEUES LIEBESGLÜCK von KASEY MICHAELS
Den Glauben an die Liebe hat Claire Ayers nach ihrer Scheidung aufgegeben. Bis sie Singledad Nick trifft. Er ist so charmant und sexy, dass sie ihm nicht widerstehen kann. Aber als sie nach einer zärtlichen Nacht von mehr träumt, taucht seine Ex-Frau auf und bedroht ihr Glück …

LASS SONNE IN DEIN HERZ von TERESA SOUTHWICK
Erin treibt Bestsellerautor Jack Garner mit ihrem sonnigen Gemüt zur Weißglut! Wie will ausgerechnet sie ihm helfen, seine düsteren Gedanken aufzuschreiben? Doch nach ungeahnt süßen, verlockenden Küssen fragt Jack sich jäh: Ist gerade sie vielleicht die Richtige für ihn?

NUR EIN HEIßER FLIRT - ODER MEHR? von CARO CARSON
Heißer Flirt ohne Zukunft? Vom ersten Moment an knistert es unerwartet erregend, als Patricia bei einer Hilfsaktion mit dem sexy Feuerwehrmann Luke zusammenarbeitet. Doch auch wenn er ihr Herz berührt wie keiner zuvor, passt er auf Dauer nicht zu einer reichen Erbin wie ihr!

… UND PLÖTZLICH ZU FÜNFT von WENDY WARREN
Um sein geliebtes Zuhause nicht zu verlieren, muss Fletcher heiraten. Nur wen? Da passt es perfekt, dass die alleinerziehende Claire dringend Geld braucht. Kaum hat er sie allerdings zu einer Scheinehe überredet, verliebt er sich tatsächlich in sie. Bloß was empfindet Claire?


  • Erscheinungstag 07.05.2019
  • Bandnummer 0070
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736712
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kasey Michaels, Teresa Southwick, Caro Carson, Wendy Warren

BIANCA EXTRA BAND 70

KASEY MICHAELS

Neuer Mann, neues Liebesglück

Kaum lässt Singledad Nick sich auf eine zärtliche Liebesromanze mit der hübschen Claire ein, steht seine Ex-Frau plötzlich wieder vor der Tür – und er muss eine folgenschwere Entscheidung treffen …

TERESA SOUTHWICK

Lass Sonne in dein Herz

Der attraktive Bestsellerautor Jack Garner übt eine verwir-rende Anziehungskraft auf Erin aus. Dabei tut er alles, um sie zu vergraulen! Doch vergeblich, es prickelt immer erregender zwischen ihnen …

CARO CARSON

Nur ein heißer Flirt – oder mehr?

Dass Patricia ihm die kalte Schulter zeigt, fordert Luke erst recht heraus, sich um sie zu bemühen. Mit Erfolg: Sie beginnt heiß mit ihm zu flirten. Doch was, wenn sie erfährt, wer er wirklich ist?

WENDY WARREN

… und plötzlich zu fünft

Für ihre drei Kinder würde die junge Witwe Claire alles tun! Alles? Als sie sich bei dem gut aussehenden Rancher Fletcher Kingsley als Haushälterin bewirbt, schlägt er stattdessen eine Scheinehe vor!

PROLOG

Nick Barrington rutschte unbehaglich auf seinem Sitz herum. Das zierliche, mit geblümtem Chintz bezogene Sesselchen war eindeutig für eine Frau gemacht, nicht für einen eins neunzig großen Mann. Er kam sich in dem verspielt wirkenden Raum wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen vor. Eine falsche Bewegung, ein tiefer Atemzug könnte eine Kettenreaktion auslösen und das hübsche Ensemble ins Wanken bringen.

Der niedrige, zu den Sesseln passende Tisch stand mit seinen graziös geschwungenen Beinen auf einem Teppich mit Rosenmuster. Links von Nick befand sich eine Glasvitrine, angefüllt mit allem möglichen Krimskrams, den man anscheinend für eine Hochzeit brauchte – strassbesetzte Diademe, Satinhandschuhe, Strumpfbänder aus hauchzarter Spitze …

Um das Rundbogenfenster hinter ihm war weiße Gaze drapiert, die zu beiden Seiten von goldenen – wie hießen die Dinger doch gleich? ach ja: Troddeln zusammengehalten wurde.

Rechts von ihm stand eine Schaufensterpuppe, die nur mit einem Korsett und einem winzigen Slip ausstaffiert war und beinahe anstößig wirkte. Er versuchte, nicht zu auffällig in die Richtung zu blicken, während ihm unwillkürlich das Bild einer Bardame in den Sinn kam, die sich mit lasziven Bewegungen an einsame Geschäftsleute heranmachte.

Manchmal ging seine Fantasie mit ihm durch, obwohl er als Zeitungsjournalist eigentlich mehr für harte Fakten zuständig war. Vielleicht sollte er nebenbei reißerische Storys schreiben, um seine brachliegenden Talente auszuleben. Womöglich könnte er damit sogar Karriere machen.

In diesem Moment öffnete sich die mit Gold verzierte weiße Tür an der Rückwand, und Chessie Burton, die sich ihm zuvor als Ladenbesitzerin vorgestellt hatte, kam heraus.

„Ah, Sie sind ja immer noch da. Vielleicht sollte ich Buttons für Männer auslegen, so in der Art wie Kinder sie nach dem Zahnarztbesuch bekommen. Da könnte zum Beispiel draufstehen: ‚Ich war im Second Chance Bridal und hab’s überlebt‘.“ Sie öffnete eine seitlich neben der Tür stehende Anrichte, in der sich ein kleiner Kühlschrank verbarg, nahm eine kleine Flasche Mineralwasser heraus und reichte sie Nick.

„Hier, damit können Sie gleichzeitig Ihre Stirn kühlen, falls Sie Kopfweh bekommen. Es wird nicht mehr allzu lange dauern. Ich glaube, sie hat ihr Kleid gefunden, wir müssen nur noch was Passendes für den Kopf suchen, und ich glaube, hier habe ich es.“

Nick lächelte schief, als Chessie die Glasvitrine öffnete und einen Kranz aus pinkfarbenen Rosenknospen und weißen Bändern herausholte. Damit verschwand sie wieder hinter der goldverzierten Tür.

Als Nick die sprudelnde Flasche öffnete, spritzten ein paar Tropfen Wasser auf sein Hemd, doch zum Glück blieb der kostbare Teppich verschont.

Obwohl er sich in diesem Ambiente extrem unbehaglich fühlte, war er froh, Barb zuliebe mitgekommen zu sein. Seine Cousine hatte sechs schreckliche Jahre hinter sich, nachdem ihr Mann Drew im Irakkrieg gefallen war. Sie hatte sich so tief in ihrer Trauer vergraben, dass kaum noch etwas von der früher so lebenslustigen Barb übriggeblieben war. Doch dann war Skip gekommen und hatte sie mit seiner Liebe ins Leben zurückgeholt.

Nick war ihm dafür unermesslich dankbar. Skip hatte das Lächeln in Barbs Gesicht zurück gezaubert, und Nick war in diesem Moment erst bewusst geworden, wie sehr er dieses Lächeln all die Jahre vermisst hatte. Seine Cousine hatte ihn nicht nur gebeten, sie zum Altar zu führen, sondern sie auch zum Brautkleidkauf zu begleiten, und er hatte sich gerne dazu bereiterklärt.

„Nick?“ Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie Barb und Chessie aus dem Ankleidezimmer kamen. Vorsichtig stellte er die Wasserflasche auf dem fragilen Beistelltisch ab und stand auf.

Tinker-Barb hatte er seine Cousine genannt, als sie Kinder waren. Nach der Fee Tinker Bell aus Peter Pan, weil sie genauso klein und zierlich gewesen war. Ihre blonde Lockenmähne hatte beinahe zu schwer für ihren zarten Hals gewirkt. Nun war sie erwachsen, groß und schlank, wirkte aber immer noch zerbrechlich, und schön wie eine Märchenfee. Skip, der große, gutherzige Mann, war ihr Beschützer, und sie seine angebetete Prinzessin. Noch nie hatte Nick ein Paar gesehen, das so perfekt zusammenpasste.

„Skip wird aus den Latschen kippen, wenn er dich sieht“, scherzte Nick. Chessie hielt den langen Rock hoch, während Barb auf ein kleines Podest stieg, das vor einem dreiteiligen Spiegel stand.

Mit Kleidern kannte Nick sich nicht aus. Er könnte dieses Brautkleid niemals beschreiben, wenn man ihn darum bitten würde. Alles was er sah, war der hauchzarte, blassrosa Stoff, der seine Cousine umschmeichelte. Schimmernde weiße Bänder mit kleinen pinkfarbenen Röschen hingen an dem Kleid herunter, passend zu dem Kranz in Barbs Haar. Ihre blonden Locken waren kunstvoll hochgesteckt, bis auf ein paar gelockte Strähnchen, die ihr feenhaftes Gesicht umrahmten. Es fehlen nur die Flügelchen, dachte Nick, dann würde sie wie eine Elfe aussehen.

„Gefällt’s dir, Nicky?“, fragte Barb. „Ich … glaube, es ist ganz schön. Ja, ich finde es wunderschön. Chessie meint, es sei perfekt für eine Hochzeit im Rosengarten, wie wir sie vorhaben. Nicky? Sag doch was.“

Nick brachte zuerst keinen Ton heraus und hob nur hilflos die Hände, weil er so gerührt war. „Ach, Barb“, sagte er dann mit erstickter Stimme und nahm seine Cousine in die Arme.

„Sieht aus, als gefällt es ihm“, bemerkte Chessie lachend und wischte sich ebenfalls eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ihr Männer seid wirklich lustig. Oh – hi, Marylou, du kommst gerade richtig. Sieh dir unsere neueste Braut an.“

Nick ließ Barb los und trat beiseite, um Marylou nicht die Sicht zu versperren. Er lächelte Chessie an. „Sie haben den passenden Namen für Ihren Laden gewählt, Second Chance Bridal. Für meine Cousine ist es die zweite Chance, und das Kleid ist die Krönung ihres Glücks. Danke dafür.“

„Ist das nicht wunderhübsch gesagt?“, meldete sich Marylou zu Wort. Sie streckte Nick die Hand hin. „Hi, ich bin Marylou Smith-Bitters. Ich mag diesen Laden und kann es nicht lassen, immer mal wieder reinzuschneien. Kennen wir uns? Ich glaube, ich habe Sie schon mal gesehen. Nein, nichts verraten, lassen Sie mich nachdenken. Aber erst mal will ich dieses hinreißende Wesen betrachten. Sieht sie nicht aus wie aus einem Gemälde von Botticelli?“ Marylou ging um Barb herum, die nicht aufhören konnte zu lächeln.

„Danke, Mrs. Smith-Bitters“, sagte Barb und betrachtete sich selbst anerkennend im Spiegel.

„Ich danken Ihnen, dass Sie mir einen solchen Anblick gönnen. Chessie ist ein Genie, deshalb habe ich auch …“ Marylou wirbelte herum und deutete mit dem Finger auf Nick. „Jetzt fällt’s mir ein. Sie geben Abendkurse im Gemeindezentrum. Jeden Dienstag und Donnerstag. Habe ich recht? Natürlich habe ich recht.“

Nick fühlte sich nun nicht mehr wie ein Elefant im Porzellanladen, sondern wie ein von Marylous Adlerblick hypnotisiertes Kaninchen. Mrs. Smith-Bitters war sehr speziell, so viel stand fest. Sie sah aus wie Mitte vierzig, war groß und schlank, und ihr hellbraunes Haar war so perfekt frisiert, dass es vermutlich einem Hurrikan standhalten würde. Sie besaß diese gewisse Aura von Selbstsicherheit, die ein Gegenüber leicht einschüchtern konnte.

„Sie haben mich ertappt, Mrs. Smith-Bitters, ich unterrichte Immigranten in Englisch als Fremdsprache.“

„Das finde ich sehr lobenswert“, bemerkte Chessie, während sie Barb den Kopfschmuck abnahm.

„Da komme ich wenigstens nicht auf dumme Gedanken“, erwiderte Nick etwas verlegen.

Er wandte sich an Marylou. „Tut mir leid, aber ich habe Sie bisher noch nicht kennengelernt, Mrs. …“

„Marylou“, unterbrach sie ihn. „Früher fand ich, dass Smith-Bitters eine gute Tarnung wäre, aber ich hätte mir das besser überlegen sollen. Wie hört sich das denn an? Smith-Bitters. Klingt nach Hustenbonbon oder einer Schnapssorte. Ich hätte gern einen Smith-Bitters mit Eis und Zitronenscheibe. Und Sie haben mich noch nicht kennengelernt, weil ich erst seit einer Woche am Empfangstresen sitze. Da hat meine Vorgängerin nämlich ihr Baby bekommen, einen strammen Jungen von sieben Pfund. Sie hat ihn Rodrico Estaban Beinvenido genannt. Ist das nicht ein hübscher Name? Sie haben doch auch einen Sohn, nicht wahr? Hat er auch einen Kurs bei uns belegt? Oder arbeitet Ihre Frau abends, und Sie bringen ihn deshalb mit?“

Marylou Smith-Bitters’ Offenheit war entwaffnend. Sie würde eine prima Enthüllungsjournalistin abgeben, dachte Nick, und gab ihr bereitwillig Auskunft.

„Sean besucht einen Karatekurs. Das gefällt ihm sehr. Zum Glück, denn sonst müsste ich jedes Mal einen Babysitter engagieren, was er nur im äußersten Notfall akzeptiert. Und mit seinen neun Jahren will ich ihn noch nicht alleinlassen. Ich bin nämlich geschieden und alleinerziehend.“

Marylous Lachen klang wie ein vom Wind bewegtes Glockenspiel. „Gutaussehend, klug und Single. Sie haben Ihr Alter und Ihren Beruf vergessen, Nick, aber das kriege ich schon noch raus. Wir werden uns ja jetzt sicher öfters sehen.“

Chessie sah Marylou kopfschüttelnd an, bevor sie sich an Nick wandte. „Sie kann’s nicht lassen – das Verkuppeln, meine ich. Bitte nehmen Sie es ihr nicht übel, Nick. Ich glaube, es ist Zeit für ihre Pillen.“ Barb war inzwischen mit Chessies Assistentin wieder im Umkleideraum verschwunden.

„Kein Problem“, erwiderte Nick. „Was das betrifft, bin ich Kummer gewohnt. Meine Schwester – sie wohnt zum Glück in Cleveland – meldet mich ständig für irgendwelche Online Datings an. Außerdem habe ich noch eine Tante, die nichts unversucht lässt, um mich an die Frau zu bringen. Aber ich sage es gern immer wieder – danke, ich habe kein Interesse. Sean und ich sind ein tolles Team und kommen sehr gut alleine zurecht. Ups, mein Handy piept.“ Er griff in seine Hosentasche. „Bitte entschuldigen Sie mich, Marylou. Chessie, sagen Sie Barb, dass ich draußen auf sie warte? Und nochmals danke.“

Kaum hatte sich die Tür hinter Nick Barrington geschlossen, da blaffte Chessie Marylou an: „Lass es bitte sein!“

Marylou tat erstaunt. „Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon du sprichst.“ Sie holte sich eine Flasche Mineralwasser aus der Anrichte, öffnete sie und trank die Hälfte aus. „Ah, das ist gut. Besser als Whisky. Ich weiß überhaupt nicht, was Ted an Scotch findet.“

„Lenk nicht ab und lass Ted aus dem Spiel. Der ist ein Schatz von Ehemann, und du verdienst ihn gar nicht. Du weißt genau, was ich meine, Marylou. Lass die Finger von Nick Barrington.“

„Jetzt, wo du seinen Nachnamen sagst, fällt’s mir ein. Er ist Reporter beim Morning Chronicle. Vor ein paar Monaten hat er eine vierteilige Reportage über häusliche Gewalt herausgebracht. Großartig! Er schreibt sehr engagiert, als ob er wirklich hinter der Sache steht. Ja, der ist perfekt.“

„Kein Mann ist perfekt“, protestierte Chessie und ließ sich in den Sessel fallen, in dem Nick kurz zuvor gesessen hatte. „Ich bin Expertin, ich weiß, wovon ich rede.“

Marylou winkte lässig ab, wobei der Diamant an ihrem Ringfinger die Sonne einfing und kleine Regenbogen an die Wand zauberte. „Männer wie dein Verflossener zählen nicht. Der ist Abschaum, und wenn du …“

„Und wenn du mir George Clooney auf dem Tablett präsentieren würdest …“ Chessie grinste. „Okay für den schönen George würde ich vielleicht eine Ausnahme machen. Aber im Ernst, Marylou. Lass Nick Barrington in Ruhe, er sucht keine Frau.“

„Na, wenn die Richtige käme …“, trällerte Marylou.

„Bitte lass es sein.“

Marylou versuchte, die Stirn zu runzeln, was ihr aber nicht gelang, weil sie gerade wieder eine ihrer Botox-Spritzen bekommen hatte. „Hast du gesehen, Chessie? Er hat geweint, aber nicht wie ein sentimentaler Weichling, sondern weil er ehrlich und tief empfindet. Keine Frage – ein Mann, zu dem sich jede Frau beglückwünschen kann. Bald wird eine Frau mir sehr dankbar sein, dass ich nicht auf dich gehört habe.“

Chessie rieb sich über die gerunzelte, botoxfreie Stirn. „Ich komme noch in Verruf, weil die Leute denken, ich hätte dich auf Kundenfang geschickt.“

Marylou seufzte. „Was soll ich machen, wenn mir am Empfangstresen langweilig ist? Ich arbeite sehr gern ehrenamtlich, aber …“

„Ich glaube, du hast einfach zu viel Freizeit.“

„Mag sein. Vielleicht sollte ich mir noch den Po liften lassen.“ Sie drehte sich zur Seite, um ihr Hinterteil im Spiegel zu begutachten. „Mit fünfzig ist die Schwerkraft einfach stärker. Nicht dass ich wie fünfzig aussehe.“

„Sechsundfünfzig. Erinnerst du dich an Elizabeths Hochzeit? Da hast du’s mir gestanden.“

„Das war eine tolle Hochzeit, oder? Aber was meinst du? Soll ich mir den Po liften lassen?“

„Dazu sage ich lieber nichts. Ich will mir nicht dein Gejammer anhören, wenn du mit einem aufblasbaren Schwimmreifen unterm Arm ankommst, weil du nicht sitzen kannst. Komm, lass uns von was anderem reden. Eve steckt gerade den Saum von Barbs Kleid ab. Es muss nur ein bisschen gekürzt werden, ansonsten sitzt es perfekt. Da kommt sie schon. Lass mich nur eben den Auftrag fertigmachen, dann gehen wir zum Lunch.“

„Und dabei erzähle ich dir alles über Claire Ayers. Ein süßes Ding. Geschieden.“

„Und ich werde begierig zuhören. Weil ich nämlich genauso verrückt bin wie du.“

„Ich weiß, und dafür liebe ich dich.“ Marylou setzte sich gehorsam in einen Sessel, und während sie von ihrem Wasser trank, plante sie in Gedanken schon die weiteren Schritte hinsichtlich Nick Barrington …

1. KAPITEL

Claire Ayers fuhr auf den Parkplatz des Gemeindezentrums. Noch zehn Minuten, dann würde sie vor einem Klassenraum voller Eltern stehen, die etwas über die richtige Behandlung ihrer Kinder lernen wollten. Als medizinisch-technische Assistentin in der Kinderklinik ihres Bruders Derek hatte sie unentwegt mit besorgten Eltern zu tun, aber dieser Abendkurs war etwas anderes.

Die meisten der Anwesenden sprachen kaum Englisch, und viele hatten noch nie eine Arztpraxis von innen gesehen. Das bedeutete für Claire eine ganz neue Herausforderung. Immerhin hatten alle diese Eltern eines gemeinsam: Sie liebten ihre Kinder und wollten nur das Beste für sie.

Claire bewunderte diese Eltern. Sie selbst hatte keine Kinder und würde so bald wohl auch keine bekommen. Zu Beginn ihrer Ehe mit Steven hatte sie sich Kinder gewünscht, doch dieser Wunsch hatte sich bald verflüchtigt. Ihr Mann Steven war selbst viel zu kindisch und ichbezogen gewesen, um ein forderndes Baby neben sich zu ertragen.

Seit Monaten hatte sie nicht mehr an ihren Exmann gedacht, genauso wenig wie an Chicago und das Leben, das sie dort geführt hatte. Aber heute hatte Steven sie angerufen, um ihr mitzuteilen, dass er wieder heiraten wolle. Warum er ihr das erzählte, war ihr rätselhaft. Wollte er sich etwa damit brüsten, eine neue Frau gefunden zu haben? Nach dem Motto: Ich habe doch immer gewusst, dass es an dir lag und nicht an mir.

Aber vielleicht hatte er diesmal ja die Richtige erwischt, eine, die ausschließlich für ihn da war, und zwar rund um die Uhr. Als sie sich kennengelernt hatten, war Claire noch nicht aufgefallen, wie besitzergreifend Steven war. Das hatte sich schlagartig geändert, nachdem sie verheiratet gewesen waren. Kam sie abends später nach Hause, weil es in der Klinik, in der sie damals arbeitete, noch einen Notfall gab, war er beleidigt. Wollte sie ihm erzählen, was sie tagsüber alles erlebt hatte, hörte er nicht zu, und wenn sie seinen Trost gebraucht hätte, weil sie einem Elternpaar eine schreckliche Diagnose hatte mitteilen müssen, sagte er nur: „Hör auf, mir von deinem Job zu erzählen, du bist mit mir und nicht mit deiner Arbeit verheiratet.“

Andererseits wollte er aber, dass sie an seinen Problemen teilnahm. Hinzu kam, dass er krankhaft eifersüchtig war, sodass sie sich zunehmend eingeengt fühlte. Ständig musste sie sich Ausreden überlegen, wenn es in der Klinik einmal später wurde.

Sechs Monate hatte sie das ausgehalten, obwohl sie schon nach vier Wochen gemerkt hatte, dass die Ehe ein Reinfall war. Dann war der Moment gekommen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Auf dem Weg von der Klinik zum Supermarkt hatte sie sein Auto im Rückspiegel bemerkt. Er verfolgte sie! Am nächsten Tag, als er im Büro war, packte sie ihre Sachen und zog aus. Er konnte alles behalten, das Haus, die Möbel, die Hochzeitsgeschenke, sie wollte nur noch weg.

Vorher hatte sie ihren Bruder angerufen und einen Flug nach Allentown gebucht. Dort hatte sie sich eine möblierte Wohnung gesucht und in der Kinderklinik ihres Bruders zu arbeiten begonnen. Bei der Scheidung hatte sie auf Unterhaltszahlungen verzichtet und ihren Mädchennamen wieder angenommen.

Sie lebte wieder ihr eigenes Leben, mehr oder weniger erfolgreich. Und nun, drei Jahre später, kam diese Nachricht von Steven und brachte sie ins Grübeln. Sie selbst hatte noch keine neue Liebe gefunden.

Sie zuckte zusammen, als jemand an ihre Scheibe klopfte. Sie hatte beinahe vergessen, dass ihr Kurs gleich anfing. Sie lächelte Marylou Smith-Bitters an, die etwas zurücktrat, damit Claire die Tür öffnen und aussteigen konnte. Letzten Dienstag hatte Claire sie kennengelernt, als sie einem der Kursteilnehmer beim Ausfüllen seines Anmeldeformulars geholfen hatte. Zwar waren ihre Spanischkenntnisse dürftig, aber immer noch besser als die von Marylou, die sich auf Wein- und Paella-Bestellung beschränkten.

„Hi, Marylou, kleinen Moment noch.“ Claire öffnete den Kofferraum, um Susie, die Modellpuppe aus Dereks Praxis, herauszuholen.

Als Marylou die Puppe sah, formte sich ihr mit Botox aufgespritzter Mund zu einem Lächeln. Claire war die Verschönerungsmaßnahme gar nicht aufgefallen, aber Marylou hatte ihr gleich am ersten Tag davon erzählt. „Holt man die Babys neuerdings auch am Fußgelenk aus dem Auto?“, fragte Marylou.

„Ach, Susie macht das nichts aus“, erwiderte Claire. Die beiden Frauen gingen zum Eingang. „Es macht ihr noch nicht mal was aus, wenn die Schüler ihr beim Wiederbelebungsversuch die Rippen zusammenquetschen.“

Marylou lachte. Claire hatte die ältere Frau auf Anhieb gemocht. Marylou war reich und verwöhnt und machte kein Hehl daraus, sie machte sich im Gegenteil lustig darüber. Außerdem war sie in jeder Hinsicht großzügig, sowohl mit ihrer Zeit als auch mit ihrem Geld. Sie war wirklich an den Menschen um sie herum interessiert und hatte ein Talent, Leute zum Reden zu bringen. Claire hatte ihr sofort von ihrer Scheidung erzählt, obwohl sie sonst nicht gern über private Dinge redete.

Sie gingen durch den überfüllten Flur. „Oje“, sagte Marylou seufzend, „da ist schon eine Schlange vor dem Tresen. Weißt du was? Ted ist in Palm Springs zum Golfspielen. Hast du nicht Lust, nach dem Unterricht mit mir was zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen?“

Claire dachte an ihr kleines Apartment und ihren leeren Kühlschrank. „Ja gern.“

Marylou war mit ihrem Blick schon wieder woanders. „Super“, sagte sie zerstreut und schob Claire beiseite. „Entschuldige, aber da ist jemand, den ich erwischen will, bevor die Kurse anfangen. Dann bis später.“

Claire drehte sich um und sah Marylou auf einen Mann zugehen, der ihr letzte Woche schon aufgefallen war. Genau genommen hatte sie ihn jeden Dienstag und Donnerstag bemerkt. Einen Mann wie ihn übersah man nicht so leicht, selbst wenn man ihn nur nebenbei wahrnahm. Groß, blond, leicht zerzaustes Haar, das ihm in die Stirn fiel, und in Claire den Wunsch weckte, es ihm nach hinten zu streichen und dabei zu hoffen, dass es gleich wieder nach vorne fiel, damit sie erneut hineinfassen konnte.

Seine Kleidung war lässig. Eine Art von Lässigkeit, die sexy wirkte. Ebenso wie sein Lächeln, mit dem er Marylou begrüßte.

Was Claires Begeisterung etwas trübte, war der Junge neben ihm, obwohl sie keinen Ehering an seiner Hand entdecken konnte.

Wie auch immer, erstens ging sie schon lange nicht mehr mit Männern aus, zweitens war er bestimmt verheiratet, drittens, falls er alleinerziehender Vater war, würde er nach einer Mutter für seinen Sohn Ausschau halten. Sie würde sich doch nicht mit einem Mann einlassen, der sie nur auf ihre Muttertauglichkeit hin beurteilte.

Claire machte sich auf den Weg in ihr Klassenzimmer, wobei sie nur zweimal unauffällig auf Marylou und Mr. Lässig zurückblickte.

Nein, sie war wirklich nicht interessiert.

Das Bistro im Gemeindezentrum bot eine Vielzahl von Gerichten an, aber immer war es der Pizzaduft, der Claire verlockte. Obwohl sie nur ab und zu zum Essen herkam, fragte Ruth, die Frau hinter der Theke, jedes Mal lächelnd: „Das Übliche?“ Claire brauchte nur zu nicken und bekam sofort zwei große Stücke Pizza und eine Flasche Mineralwasser.

Da sie in einer Hand ihren Medizinkoffer trug, die Puppe Susie unter den Arm geklemmt, musste sie das volle Tablett mit einer Hand balancieren. Suchend blickte sie sich nach Marylou um.

„Claire! Hier!“

Marylou saß an einem Tisch in der Ecke, doch sie war nicht allein. Neben ihr saß Mr. Lässig.

Claires Lächeln gefror, doch sie tat, als würde es sie nichts angehen, und ging zielstrebig auf den Tisch zu. „Hi, ich bin ein bisschen spät dran.“ Sie stellte ihr Tablett auf dem Tisch ab, hängte ihre Tasche an den Stuhl und legte Susie auf den Platz neben sich. Die Puppe war süß und sehr nützlich, aber auch schwer.

„Hallo“, sagte sie zu dem Mann ihr gegenüber, nachdem sie sich gesetzt hatte.

Sie öffnete ihre Wasserflasche und goss sich ein Glas ein.

„Kennt ihr euch denn nicht?“, fragte Marylou erstaunt. „Ich hätte gedacht … gebt ihr beiden denn nicht seit Jahren hier Unterricht?“

„Drittes Semester“, antwortete Mr. Lässig, und Claire gleichzeitig: „Mein zweites Jahr.“

„Dann wird es ja Zeit, dass ihr euch kennenlernt“, sagte Marylou strahlend. „Darf ich vorstellen? Claire Ayers, Nick Barrington.“ An Nick gewandt, fügte sie hinzu: „Nick, meine Freundin Claire macht hier Elternberatung.“ Sie wandte sich an Claire. „Nick gibt Englischunterricht für Ausländer.“

Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck hob sie ihre Kaffeetasse und lächelte beide über den Rand hinweg an. „Das war doch ziemlich einfach, oder?“

„Hallo Nick“, sagte Claire und reichte ihm die Hand. „Nett, Sie kennenzulernen.“

„Ebenso“, sagte er und nahm ihre Hand. Er hatte grüne Augen, lachende Augen. Als ob er genau wüsste, was hier vor sich ging, und das Ganze sehr amüsant fände.

Claire versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was für seltsame Empfindungen Nicks Augen und die Berührung seiner Hand in ihrem Bauch ausgelöst hatten.

Marylou stellte ihre Tasse ab und rieb sich die Hände. „Nick hat einen Sohn, weißt du? Er heißt Sean und sitzt da drüben an dem großen runden Tisch mit den Kindern vom Karatekurs. Sehen sie nicht süß aus in ihren weißen Pyjamas?“

„Lassen Sie das Wort Pyjama bloß nicht vor den Kindern hören, Marylou“, warnte Nick. „Sean würde entrüstet rufen: ‚Das ist ein Karate-Gi.‘ Er kriegt bald seinen braunen Gürtel.“ An Claire gewandt, erklärte er: „Karate soll angeblich den Geist anspornen und Mut, Selbstvertrauen und Respekt fördern.“

„Wie alt ist Sean?“

„Neun, aber manchmal tut er, als sei ich das Kind und er der Erwachsene.“

„Irgendwo habe ich gelesen, dass Kinder von alleinerziehenden Elternteilen schneller erwachsen werden.“

Claire spürte Marylous Fuß an ihrem Knöchel. „Das musst du ja am besten wissen, Claire, schließlich hast du den ganzen Tag mit Kindern zu tun.“ An Nick gewandt, fügte Marylou hinzu: „Claire arbeitet nämlich in der Kinderklinik ihres Bruders und kennt sich sehr gut mit … medizinischen Dingen aus.“ Sie lächelte etwas verlegen, und als ihr Handy klingelte, griff sie danach wie nach einem Rettungsring.

Während Marylou etwas abseits in ihr Handy sprach – „Ja? Oh nein! Aber sicher, Chessie, ich komme sofort. Nein, kein Problem. Wenn deine Batterie leer ist, kannst du ja nicht fahren.“ – blickte Claire leicht befangen auf ihren Teller.

Marylou klappte ihr Handy zu und erklärte wortreich, warum sie jetzt ganz schnell weg müsse, aber sie beide sollten ruhig sitzenbleiben und fertig essen. Claire bemerkte Nicks amüsierte Miene, während er Marylou zuhörte. Beinahe hätte sie laut aufgelacht.

Marylou schnappte sich ihre Handtasche und ihre Jacke, verteilte zwei Luftküsse und trippelte auf ihren hohen Absätzen davon.

„Ganz schön raffiniert“, bemerkte Claire trocken.

„Ja, das ist mir auch aufgefallen, aber sie meint es gut, zumindest hoffe ich das.“

Sein Lächeln und seine Stimme bewirkten, dass Claire sich sofort entspannte. Wäre er einer von den drei Bären aus dem Märchen, dann wäre er der netteste, der mit der angenehm tiefen Stimme. Und wieso musste sie plötzlich an Märchen denken?

„Was macht Ihr Knöchel?“, fragte Nick.

Claire räusperte sich verlegen. „Gut.“

„Meiner auch, obwohl der letzte Tritt von ihr ziemlich hart war. Diese Schuhe von ihr sind Mordinstrumente.“

„Und dann klingelt praktischerweise ihr Handy, sodass sie uns alleinlassen muss. Aber Sie haben wahrscheinlich recht, sie meint es gut.“

„Ich habe Marylou letzte Woche kennengelernt, als meine Cousine ihr Brautkleid ausgesucht hat. Aber ich wusste nicht, dass sie ehrenamtlich hier arbeitet. Die Frau, die angerufen hat, war diese Chessie Burton aus dem Brautladen. Sie ist sehr nett, aber ich bin ziemlich sicher, dass sie gemütlich zu Hause auf dem Sofa sitzt und nicht mit leerer Batterie auf irgendeinem Parkplatz steht.“

Claire nahm ein Stück Pizza und biss herzhaft hinein. Ihr Appetit, der ihr zuvor vergangen war, war auf wundersame Weise zurückgekehrt. „Das glaube ich auch.“ Sie lächelte Nick an. „Sie unterrichten also Englisch für Ausländer. Muss man dafür auch Fremdsprachen können?“

„Es ist zumindest von Vorteil. Ich habe Spanisch studiert, und meine Mutter ist Französin und hat als Kind mit mir Französisch gesprochen. Ansonsten wursteln wir uns so durch. Der Unterricht findet jedenfalls in Englisch statt. Heute haben wir mit den Präpositionen gekämpft, und mir wird dabei jedes Mal klar, wie verzwickt die englische Sprache sein kann.“

Er strich sein Haar mit den Fingern zurück, und es fiel ihm sofort wieder in die Stirn, genau wie Claire es sich vorgestellt hatte. Einen Moment lang vergaß sie zu atmen, dann biss sie schnell wieder in ihre Pizza.

„Jedenfalls ist es manchmal gar nicht so einfach, die Regeln zu erklären, immer gibt es Ausnahmen, und oft kommt es den Schülern so unlogisch vor, dass sie völlig genervt sind. Aber es ist auch sehr lustig.“

Er erzählte ihr von den Rollenspielen, die er heute mit der Klasse gemacht hatte, und den witzigen Sätzen, die herauskommen, wenn die Präpositionen verwechselt werden.

Claire lachte laut auf, als er es ihr an einem Beispiel demonstrierte.

Er sah sie an. „Aber jetzt sind Sie dran. Was ich die ganze Zeit schon fragen wollte – was ist das für eine Puppe?“

Claire blickte auf ihre Tischnachbarin. „Susie ist keine Puppe“, erklärte sie mit gespielter Strenge, „sondern ein komplexes und hochsensibles Demonstrationsobjekt. Daran können die Eltern üben, wie sie ihre Kinder behandeln, Erste Hilfe leisten und solche Sachen. Und bei mir gibt es keine großen Verständigungsprobleme, aber drei Teilnehmer haben beim Wiederbelebungsversuch etwas heftig zugelangt und Susie beinahe zerquetscht. Bei Ivan mit seinen riesigen Händen ging sofort der Alarm los. Der Arme war am Boden zerstört.“

„Also ich rufe lieber gleich den Arzt an, wenn Sean krank ist, schon beim kleinsten Husten. Die Sprechstundenhilfen erkennen mich schon an der Stimme, ich brauche meinen Namen gar nicht zu nennen. Es ist aber auch ganz schön schwierig, allein für ein Kind verantwortlich zu sein.“

Das wäre die perfekte Gelegenheit, nach seiner Frau zu fragen, aber Claire traute sich nicht.

Offenbar spürte er ihre Neugier, was ihr etwas peinlich war. „Meine Exfrau hat uns verlassen, als Sean drei Jahre alt war.“ Mit ruhiger Stimme fuhr er fort: „Die Heirat war ein Fehler, wir haben einfach nicht zusammengepasst. Sandy hat in einer Band gesungen und war besessen von dem Gedanken, es in die Charts zu schaffen. Als sie schwanger wurde, haben wir geheiratet und dachten, wir kriegen es hin, aber sie hat es nicht ausgehalten. Wir haben praktisch keinen Kontakt mehr. Ich weiß nicht mal, wo sie wohnt. Vor ein paar Monaten kam eine Ansichtskarte aus Reno mit dem Foto eines Nachtclubs. ‚Hier haben wir gerade gesungen – super, oder?‘, stand auf der Rückseite. Nichts weiter.“

„Ist das nicht schlimm für Ihren Sohn?“, fragte Claire mitfühlend.

„Eine Zeitlang haben wir beide schrecklich gelitten, aber dann haben wir uns ganz gut arrangiert. Sean ist ein toller Junge. Übrigens wird es für uns Zeit, nach Hause zu fahren.“

„Oh, ja, natürlich.“ Claire trank rasch ihr Wasser aus und stellte die Sachen auf das Tablett zurück. „Ich fand es nett, Sie kennenzulernen.“

Nick legte ihr die Hand auf den Arm. „Ich fürchte, das reicht nicht.“

Plötzlich spürte Claire in einem Anflug von Panik etwas von der übergriffigen Art ihres Exmannes, aber Nick nahm seine Hand sofort wieder weg. „Was … was reicht denn nicht?“

„Wenn es bei dem einen Treffen bleibt, wird Marylou enttäuscht sein.“

„Wie meinen Sie das?“

„Na ja. Sie ist genau wie meine Tante Beatrice. Die versucht mit allen Mitteln, mich wieder unter die Haube zu bringen und wird erst Ruhe geben, wenn sie merkt, dass sich eine Romanze anbahnt.“

Claire spürte, wie sie rot wurde. „Ich … ich bin aber nicht an einer Romanze interessiert. Meine Arbeit füllt mich vollkommen aus.“

„Das ist gut, denn mir geht es genauso. Ich habe Sean, meinen Job bei der Zeitung und meine Abendkurse, damit bin ich völlig ausgelastet. Im Grunde bin ich ein fauler Mensch.“

Claire lächelte. „Tja, das Leben ist nicht immer einfach.“

Er seufzte. „Und in drei Wochen heiratet meine Cousine Barb. Dadurch habe ich übrigens Marylou kennengelernt, im Brautladen. Eigentlich wollte Barb gar kein Brautkleid mehr, es ist nämlich ihre zweite Hochzeit, aber wir haben sie überredet, Skip und ich – Skip ist ihr Verlobter –, und Chessie – das ist die Frau aus dem Brautladen – hat ein wunderschönes Kleid für Barb gefunden. Würden Sie … hätten Sie … ähm … Lust, mich zu der Hochzeit zu begleiten? Damit würden Sie mir einen großen Gefallen tun.“

Er ist wirklich süß, dachte Claire, so offen und natürlich. „Wird Tante Beatrice auch dabei sein?“, fragte sie mit schelmischem Lächeln.

„Ja, sie kommt tatsächlich. Jedenfalls würden Marylou und Beatrice überglücklich sein, wenn sie uns zusammen sähen, und vielleicht würden sie dann Ruhe geben. Anders kriegen wir sie vermutlich nicht vom Hals.“

Claire schloss seufzend die Augen. Sie fand das alles ziemlich nervig und hatte genau wie Nick keine Lust auf Marylous Verkupplungsversuche.

Sie nickte. „Das leuchtet mir ein.“ Nach kurzem Überlegen fügte sie hinzu: „Ja, warum nicht? Ich mag Hochzeiten – solange es nicht meine eigene ist.“ Sie lächelte. „Aber jetzt muss ich wirklich los. Ich wollte noch in der Klinik vorbeifahren und nach einem kleinen Patienten schauen.“

Nick nahm ihr das Tablett ab, sodass sie die Hände für ihre Tasche und Susie frei hatte.

„Dann bis Donnerstag“, sagte er und trug die beiden Tabletts zur Geschirrabgabe. Beim Hinausgehen sah sie, dass er Papier und Plastik in getrennte Behälter warf. Gewissenhaft und umweltbewusst war er also auch noch.

Nicht zu vergessen sein umwerfendes Lächeln.

2. KAPITEL

Am Donnerstag kurz vor sechs brachte Nick seinen Sohn zum Karatekurs und machte sich dann auf den Weg in seinen Unterrichtsraum. In der Halle blickte er sich um. Vielleicht würde er Claire noch sehen, dann könnte er ihr Hallo sagen.

Das wäre eine höfliche Geste, sagte er sich, was natürlich völliger Quatsch war. In Wahrheit hatte sie ihn am Dienstagabend ganz schön beeindruckt. Weshalb, konnte er nicht genau sagen. War es die leise Traurigkeit in ihren Augen? Oder ihr etwas wehmütiges Lächeln? Als ob in ihrem bisherigen Leben nicht nur alles eitel Sonnenschein gewesen war.

Vielleicht lag es auch nur an seinem Journalistenblick: immer auf der Suche nach einer guten Story.

Keins von beiden, musste er sich eingestehen. Sie hatte ihn schlicht und einfach auf sinnliche Weise berührt. Sie war schön, eine Frau, die einem sofort auffiel, wenn man einen Raum betrat, und die den Wunsch weckte, sie näher kennenzulernen.

Und wozu das Ganze? Nick fielen sämtliche Einwände ein, die er im Laufe der Jahre angesammelt hatte.

„Hi, Sie gucken ja gerade ziemlich angestrengt. Denken Sie wieder über die knifflige englische Grammatik nach?“

Nick wandte den Kopf und war erneut frappiert von ihrer Schönheit, ihrem gepflegten Aussehen und ihren warmherzigen Augen.

„Hi“, sagte er und lächelte sie an. Sie war groß, nur einen halben Kopf kleiner als er, gerade die richtige Größe, um ein perfektes Tanzpaar abzugeben, oder nebeneinander spazieren zu gehen, oder nebeneinander im Bett … „Na, heute ohne Susie?“

„Ja, heute bin ich solo. Haben Sie Marylou gesehen?“

„Nein, bisher bin ich ihr entkommen.“ Sie gingen nebeneinander den breiten, gefliesten Korridor hinunter. „Ach, übrigens, es war vielleicht etwas dreist von mir, Sie zu fragen, ob Sie mich zur Hochzeit meiner Cousine begleiten möchten. Falls Sie es sich anders überlegt haben, könnte ich das gut verstehen.“

„Ach ja? Und was ist mit Tante Beatrice?“

Er seufzte. „Ja, die wird mich jeder alleinstehenden Dame präsentieren, egal ob Highschool oder Altersheim. Aber das bin ich gewohnt. Ich wollte Ihnen nur Gelegenheit geben, meine Einladung zu überdenken.“

„Das habe ich. Ich habe sogar schon ein Kleid gekauft.“ Claire blieb vor der Tür ihres Klassenzimmers stehen. „Jetzt sollten Sie mal Ihr Gesicht sehen. Köstlich.“ Sie lachte. „Nein, ich habe noch kein Kleid gekauft und auch noch kein Kaffeeservice. Dafür bin ich vorhin tatsächlich Marylou über den Weg gelaufen. Sie hat schon wieder eine neue Idee. Wir könnten doch probeweise unsere beiden Klassen mal zusammenlegen, dann würden meine Schüler und Ihre sicher voneinander profitieren. Da habe ich ihr erzählt, dass wir zusammen zur Hochzeit Ihrer Cousine gehen – und weg war sie. Wahrscheinlich leckt sie sich irgendwo genüsslich die Lippen und schnurrt vor Behagen.“

Nick kratzte sich hinter dem Ohr. „Also müssen wir wohl oder übel selbst unsere Verabredungen treffen. Aus reinem Selbstschutz, um Marylou den Wind aus den Segeln zu nehmen.“

„Mir wird noch ganz schwindlig von dem ganzen Hin und Her“, sagte Claire und trat beiseite, um einer jungen Frau den Weg zur Klassentür freizumachen. Dabei kam sie Nick so nahe, dass er den zartblumigen Duft ihrer Haare wahrnahm. Sie hatte ihr hellbraunes Haar in einem eleganten Knoten am Hinterkopf zusammengesteckt, was ihre schöne Gesichtsform hervorhob. Das gefiel ihm. Es würde ihm auch gefallen, den Knoten zu lösen und zu sehen, wie lang ihr Haar war. Das könnte interessant sein.

Er riss sich zusammen. „Tut mir leid, ich war einen Moment lang abwesend. Kaum zu glauben, dass ich mein Geld mit Worten verdiene, oder?“

„Ach ja, Marylou hat mir erzählt, dass Sie Reporter sind. Das finde ich interessant. Ich habe sogar ein paar von Ihren Artikeln im Internet gelesen. Sehr gut.“

„Jetzt haben Sie mich vollends sprachlos gemacht. Danke.“

„Keine Ursache.“

Eine Weile standen sie stumm voreinander und sahen sich an.

Und jetzt? War er wirklich schon so lange solo, dass er die einfachsten Regeln nicht mehr beherrschte?

„Hätten Sie Lust … ähm … wollen wir uns nach dem Kurs wieder in der Cafeteria treffen?“, brachte er schließlich heraus. „Sean sitzt immer gern noch eine Weile mit seinen Freunden zusammen. Dann wird geübt, wer am meisten Schokoeis auf seinen weißen Karate-Anzug kleckern kann.“

Claire lachte. „Ja gern. Dann bis später.“

Nick sah ihr nach, wie sie in ihre Klasse ging, bevor er sich zu seinem eigenen Unterrichtsraum aufmachte. Sie musste ihn für vollkommen bescheuert halten. Jedenfalls kam er sich so vor.

„Hübsche Lady, Signore Barrington. Augen wie eine Madonna. Sie sollten sie, come si dice, aufgabeln.“

Nick sah den stämmigen, fröhlich aussehenden Mann an, der sich zu ihm gesellte. „Hi Salvatore, ich werd’ drüber nachdenken.“

Der junge Mann hatte noch seine weiße Bäckerkleidung an, als käme er direkt aus der Backstube. Er reichte Nick eine gefüllte Papiertüte.

„Hey, ich habe dir doch gesagt, dass du nichts mehr mitbringen sollst“, protestierte Nick.

„Aber Sie müssen meine leckere italienische Gebäck probieren. Ihr Junge, Sean, isst gerne, no?“

„Ja, allerdings.“ Etwas widerstrebend, aber doch bereitwillig, weil er selbst gerne die süßen Leckereien aß, nahm Nick die Tüte entgegen. „Wie geht es Ihrer Frau, Salvatore, und Ihrem kleinen Sohn?“, fragte er lächelnd.

In seinem gebrochenen Englisch beschrieb Salvatore enthusiastisch, wie glücklich er mit seiner kleinen Familie war, die hübscheste Frau und das wundervollste Baby. „Und er ist hundert Prozent Amerikaner. Meine Evelina und ich müssen noch viel Englisch lernen. Gut, dass wir Sie haben.“

Dieser Mann mit seinem breiten Lächeln, seiner Großherzigkeit und seinem Eifer, ein besseres Leben für seine Familie zu erreichen, beeindruckte Nick zutiefst. Er konnte überhaupt nicht verstehen, dass manche Leute ihn fragten, wieso er ehrenamtlich Unterricht gab. Am liebsten würde er sie alle einmal in seine Klasse mitnehmen – zu diesen wundervollen Menschen mit ihren Träumen und Hoffnungen. Dann würden sie ihre Meinung ändern.

„Danke, Salvatore“, sagte Nick beschämt. „Ich bin froh, dass ich euch helfen kann. Übrigens gibt Miss Ayers Kurse in Kinderbetreuung. Vielleicht hätte Ihre Frau daran Interesse.“

Salvatore nickte heftig. „Signora Smith-Bitters hat mir schon erzählt. Nächste Woche Evelina anfangen.“

„Und wer passt auf das Baby auf, wenn ihr beide hier seid?“

„Signora Smith-Bitters sagen, keine Sorgen machen, Stefano mitbringen, und sie wird einen Weg finden.“ Er sah Nick an. „Was heißt das, einen Weg finden?“

Nick sah am Ende des Korridors Marylou auf eine junge Frau einreden und ihr dabei das Halstuch kunstvoll um die Schultern drapieren. Er schüttelte den Kopf. Marylou war definitiv darauf aus, die ganze Welt in Ordnung zu bringen.

„Es gibt ein Sprichwort, Salvatore. Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul.“

Claire stand in der Damentoilette vor dem Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Ein paar winzige Strähnchen hatten sich aus ihrem Knoten gelöst, aber das sah eigentlich ganz süß aus. Sie fand es bei der Arbeit einfacher, und auch hygienischer, das Haar hochzustecken.

Sie könnte noch etwas frischen Lippenstift auflegen. Während sie in ihrer Handtasche kramte, trat plötzlich Marylou neben sie ans Waschbecken. Sie beugte sich zum Spiegel und tippte sich mit einem Papiertuch die Augenwinkel ab. Dann blinzelte sie ein paar Mal und lächelte ihrem Spiegelbild zu. „So ist es besser. Dieser Mascara taugt nichts.“ Sie griff nach Claires Lippenstift, als sie ihn gerade auftragen wollte. „Ein hübscher Farbton, aber er passt nicht zu deiner Bluse.“

Claire blickte auf ihr altrosa Oberteil und dann auf den eher rötlichen Lippenstift. „Mag sein.“

„Wir machen zuerst den Rest auf deinen Lippen ab, und ich gebe dir einen passenden. Aber vorher sollten wir vielleicht ein wenig Lidschatten auftragen, das würde dir gut stehen, Claire. Ein zartes Rotbraun, um deine hübschen braunen Augen zu betonen. Nur ein Hauch. Du hast noch Zeit genug, Nick in der Cafeteria zu treffen. Er ist gerade noch mit Salvatore beschäftigt.“ Während sie redete, zauberte Marylou Make-up-Pads, einen Lippenstift, eine Tube Lipgloss und eine Palette von Lidschatten aus ihrer Handtasche und legte sie auf die Ablagefläche.

„Darf ich?“, fragte sie und machte sich, ohne Claires Antwort abzuwarten, ans Werk. „So“, sagte sie drei Minuten später. „Ist das ein Unterschied?“

Claire sah in den Spiegel und konnte es nicht fassen. Früher hatte sie sich öfters geschminkt und wusste, wie es aussah, aber nach ihrer Scheidung hatte sie sich keine große Mühe mehr mit ihrem Aussehen gemacht. Ganz bewusst wollte sie unauffällig wirken. Nicht dass es wieder irgendein besitzergreifender Typ auf sie absah.

„Oh nein, Marylou, das ist nicht gut“, sagte sie, obwohl sie ihr Gesicht insgeheim bewunderte, besonders den Glanz in ihren Augen. „Er hat mich bisher nur ungeschminkt gesehen, er denkt bestimmt, ich wolle ihn … ich sei …“

„Eine Frau?“, fragte Marylou leicht spöttisch. „Was ist daran so schlimm?“

„Vor ein paar hundert Jahren hätte man dich als Hexe verbrannt, Marylou.“

Marylou lachte. „So, und jetzt viel Spaß. Ich will keine Klagen hören.“

Nachdem Marylou weg war, stand Claire zögernd vor dem Spiegel und überlegte, ob sie alles wieder wegwischen sollte. Doch dann entschied sie sich dagegen. Es sah wirklich gut aus. Beinahe sah sie aus wie die junge, unbeschwerte Claire von früher.

Seit letztem Dienstag hatte sie ziemlich oft an Nick Barrington denken müssen. Auch das war neu. Jahrelang hatte sie keinen Gedanken mehr an einen Mann verschwendet.

Sie machte sich auf den Weg zur Cafeteria und stellte sich in die Schlange vor der Theke. Vor ihr wartete eine Gruppe von Frauen in stylischer Sportkleidung. Die sind bestimmt aus dem Fitnesskurs, dachte Claire, alle schlank, fit und gebräunt. Sie beluden ihre Tabletts mit Obst, Jogurt und Fruchtsaft.

„Das Übliche?“, fragte Ruth und legte zwei große Stücke Pizza auf einen Pappteller.

„Danke, Ruth“, sagte Claire und nahm den Teller entgegen. Die junge Frau vor ihr kräuselte die Nase. „Na, wem’s schmeckt. Fünfhundert Kalorien pro Stück. Wenn man irgendwann einen Herzinfarkt bekommen will …“

„Meine Tante ist so dünn wie Sie“, hörte Claire sich sagen, „sie isst gesund, treibt wie wild Sport und hat einen Cholesterinspiegel von über sechshundert. Meiner liegt bei hundertfünfzig. Wie sieht’s denn bei Ihnen aus?“

Die junge Frau musterte Claire von oben bis unten und tänzelte dann zum Tisch ihrer Freundinnen.

Claire ärgerte sich über sich selbst, dass sie überhaupt auf die unverschämte Einmischung der Frau geantwortet hatte statt sie zu ignorieren oder sich darüber lustig zu machen. Aber wieso gaben die Leute neuerdings auch zu allem ungefragt ihre Kommentare ab?

Mit missmutigem Gesicht trug sie ihr Tablett zu dem Tisch, an dem Nick saß.

„Na, wer ist Ihnen denn auf den Fuß getreten?“, fragte er.

„Tut mir leid, dass man es mir ansieht.“

Nick sah zu dem runden Tisch hinüber, an dem die Fitnessfrauen schnatterten und lachten, und dann zurück zu Claire. „Solche Frauen schrecken mich ab. Sie treten immer in Horden auf und sehen alle gleich aus.“

„Wirklich?“ Claires Entrüstung verebbte, so schnell wie sie gekommen war. „Was schreckt Sie denn sonst noch ab?“, fragte sie kokett.

Er biss in sein Pizzastück, und Claire fragte sich, ob er absichtlich das Gleiche wie sie genommen hatte. Nicht so viel denken …

„Was schreckt mich noch ab?“ Er überlegte, während er kaute. „Zum Beispiel Leute, die immer alles besser wissen.“

„Geht mir genauso.“

„Aber fragen Sie mich bitte nicht nach meinen Fehlern, das gäbe eine lange Liste.“

Claire entspannte sich und lächelte Nick an. Man konnte sich mit ihm so angenehm unterhalten und Scherze machen. Sie hatte sich auf Anhieb wohl mit ihm gefühlt.

„Soll ich Ihnen verraten, was mich erschrickt? Wenn es nachts irgendwo poltert.“

Nick lächelte. „Glauben Sie etwa an Poltergeister?“

„Nein. Ich meine plötzliche, unerwartete Geräusche. Zum Beispiel wenn ein Ast gegen die Scheibe schlägt.“

„Sean hatte neulich Albträume, nachdem er bei einem Freund einen Horrorfilm geguckt hatte. Da lasse ich ihn so schnell nicht wieder hin. Ansonsten schläft er gut, zusammen mit unseren beiden Katzen. Angeblich sollen Kinder ja Haustiere haben, damit sie lernen, für jemand zu sorgen und Verantwortung zu übernehmen. Aber den Dreck muss ich wegmachen. Davon erzählen die schlauen Bücher einem nichts. Möchten Sie Samstagabend mit mir essen und danach ins Kino gehen?“

Claire brauchte einen Moment, um von Katzendreck auf Kinoabend zu kommen. „Wie bitte?“

Er sah sie zerknirscht an. „Tut mir leid, ich bin manchmal etwas sprunghaft. Aber mir war gerade eingefallen, dass Sean am Samstag auf einer Pyjamaparty eingeladen ist, und ich dachte, den freien Abend könnte ich mal zum Ausgehen nutzen. Haben Sie schon was vor?“

„Nein“, sagte sie spontan und wunderte sich über sich selbst. „Bis um vier habe ich Bereitschaftsdienst in der Klinik, aber danach bin ich frei. Wohin … in welchen Film …?“

Sein Grinsen war ziemlich frech, fand sie. „Psychothriller scheiden wohl aus, oder?“

„Da habe ich Ihnen ja einen Grund zum Lästern gegeben. Sie müssen mir auch noch was erzählen, wovor Sie Angst haben, damit ich mich über Sie lustig machen kann.“

Er murmelte etwas, aber sie verstand kein Wort, weil die Fitnesspüppchen am Nachbartisch lauthals loslachten.

„Was haben Sie gesagt?“

„Vorm Zahnarzt, habe ich gesagt. Vor dem habe ich eine Heidenangst.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“ Plötzlich sah er richtig blass aus. „Sie hätten mich sehen sollen, als ich zum ersten Mal mit Sean beim Zahnarzt war. Dabei musste ich vor ihm so tun, als wäre das alles vollkommen easy.“ Er sah sie an. „Sind wir jetzt quitt?“

Claires Neugier war geweckt, schließlich arbeitete sie in einer Arztpraxis, auch wenn sie mit Zähnen weniger zu tun hatte. „Hatten Sie als Kind ein schlimmes Erlebnis beim Zahnarzt?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, es musste nie gebohrt werden. Ich glaube, es ist, weil ich mich ausgeliefert fühle, sobald ich meinen Mund aufmachen muss und jemand mit den Fingern oder einem Gerät darin herumfuhrwerkt.“

„Sie Armer“, sagte Claire bedauernd, konnte sich aber das Lachen kaum verkneifen. „Wie soll das erst werden, wenn Sie mit vierzig die erste Prostatauntersuchung über sich ergehen lassen müssen.“ Sie schlug sich die Hand vor den Mund, als ihr klar wurde, dass sie hier nicht ihren Bruder oder einen anderen Medizinkollegen vor sich hatte, mit dem sie über solche Dinge scherzen konnte. „Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen.“

Aber Nick schien es nichts auszumachen. Er wirkte im Gegenteil eher belustigt. „Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, das gefällt mir. Ich finde das viel besser als diesen verkrampften Smalltalk bei den ersten Dates.“

„Das ist ja auch kein Date. Wir essen nur zusammen Pizza.“

„Ja, vielleicht liegt’s daran. Wir sind einfach Kollegen, die sich nach dem Kurs ein bisschen unterhalten. Meinen Sie, das wird durch einen Kinobesuch verdorben?“

„Keine Ahnung. Sollen wir’s riskieren?“ Sie sah, dass einer der Jungs am Karatetisch aufstand und zu ihnen herüberkam. „Ist das Ihr Sohn, der da kommt?“

Nick wandte den Blick erst von ihr ab, als Sean neben ihm stand. Er legte den Arm um ihn. „Hi, tapferer Krieger, hast du für heute genug?“ Er deutete auf die Erdbeerflecken auf Seans Anzug. „Gab’s heute kein Schokoeis?“

Sean war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Das gleiche sandfarbene Haar, die sanften grünen Augen, das breite Lächeln. Nicks Bemerkung war ihm in Anwesenheit Claires höchst unangenehm, das war deutlich zu sehen.

Nick stellte die beiden einander vor. Kurz darauf stand Claire auf und packte ihre Sachen zusammen.

„Dürfen wir mitkommen?“, fragte Nick.

„Klar, warum nicht? Schließlich gehen wir alle in dieselbe Richtung.“ Claire fragte sich, ob er nochmal auf Samstagabend zu sprechen käme. Wenn nicht, wäre es auch nicht schlimm. Zwar schade, aber vielleicht besser, vor allem, weil Sean sie die ganze Zeit so eindringlich musterte.

Als sie das Gebäude verließen, war es schon beinahe dunkel. Nicks Handy bimmelte. „Entschuldigung“, sagte er, sah stirnrunzelnd auf das Display und ging dann ein paar Schritte abseits. Claire und Sean standen plötzlich alleine da.

„Du nimmst also Karateunterricht“, sagte Claire und fand, dass es ziemlich lahm klang.

„Sieht man doch, oder?“, erwiderte Sean. Jedes einigermaßen clevere Kind hätte so geantwortet.

„Na ja, über irgendwas muss man ja reden“, verteidigte sich Claire. Von einem Neunjährigen würde sie sich doch nicht einschüchtern lassen. Sonst sollte sie ihren Job in der Kinderklinik besser aufgeben und im Altersheim arbeiten. „Aber wir können uns auch einfach nur anstarren, falls dir das lieber ist.“

Sean musterte sie noch ein paar Sekunden, dann zuckte er die Achseln. „Ich kann mit der Handkante ein Brett durchschlagen.“

„Wow, dafür braucht man ganz schön viel Konzentration, oder?“

„Ja, klar.“ Sean sah zu seinem Vater hinüber, dessen Stimme immer lauter wurde. „Dad?“

Nick hob die Hand und setzte sein Gespräch fort.

„Er klingt wütend, oder?“, fragte Sean, und Claire nickte. Sie hörten jetzt beide zu und gaben sich keine Mühe, diskret zu sein. Irgendwie war plötzlich etwas Verbindendes zwischen ihnen.

„Ja, ja, ich verstehe dich doch, Fred, schließlich bin ich lange genug im Geschäft“, rief er aufgebracht. „Ich weiß, dass das nicht bis morgen Zeit hat, aber lass mich doch wenigstens kurz überlegen. Ich stehe hier gerade mit Sean und einer Kollegin. Kann ich dich gleich zurückrufen? Halt die Frau solange an der Strippe. Du weißt nicht, was du mit ihr reden sollst? Sing ihr halt was vor. Oder erzähl ihr von deinem letzten Urlaub.“

„Was will Mr. Abernathy denn von dir, Dad?“, fragte Sean. „Musst du noch dringend arbeiten? Ich hab dir schon gesagt, ich kann allein zu Hause bleiben. Jimmy Peterson ist jeden Abend allein.“

„Wenn Jimmys Eltern das verantworten können, ich kann’s nicht. Ich lasse dich nicht allein zu Hause.“

„Gibt es ein Problem, Nick?“, fragte Claire. Wiederum eine überflüssige Frage.

Nick fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

„Ist Fred Abernathy Ihr Chef?“

„Der Chefredakteur des Chronicle. Verflucht, was soll ich sagen? Claire, würde es Ihnen was ausmachen, eine Stunde oder so auf Sean aufzupassen?“

Es gelang Claire, ihre Überraschung einigermaßen zu verbergen. „J-ja, warum nicht?“

„Im Moment fällt mir keine andere Lösung ein. Aber das Ganze ist wahnsinnig wichtig. Ich habe doch diesen vierteiligen Report über häusliche Gewalt geschrieben …“

„Ja, den habe ich gelesen“, unterbrach Claire ihn. „Ziemlich gut.“

„Danke. Es ist so, ich habe einige der Frauen, über die ich geschrieben habe, näher kennengelernt. Und jetzt ist eine am Telefon – oh Mann, dabei hatte ich sie angefleht, sich von dem Typen zu trennen …“

Claire fragte sich, ob es sich um die Frau namens Maria handelt, Mutter von drei Kindern, die von ihrem Mann regelmäßig übelst zugerichtet wurde. „Was ist mit der Frau?“

„Ihr Typ hat gerade die Wohnung verlassen, nachdem er sie wieder grün und blau geschlagen hat. Und jetzt will sie endlich in einem Frauenhaus Schutz suchen.“

„Und dazu braucht sie Ihre Hilfe?“

„Anscheinend ja. Ich habe ihr meine Nummer in der Redaktion gegeben und ihr gesagt, sie könne mich Tag und Nacht anrufen, falls sie meine Hilfe bräuchte. Und das scheint heute Abend der Fall zu sein.“

„Dann müssen Sie sofort hin“, sagte Claire entschlossen. „Nicht, dass sie nochmal einen Rückzieher macht.“ Sie sah ihn an. „Ich kann solange bei Sean bleiben.“

„Ich wäre Ihnen unendlich dankbar. Unsere Babysitterin ist gerade in Urlaub, wissen Sie …?“

„Kein Problem, Nick. Ich fahre Sean zu Ihnen nach Hause und bleibe bei ihm, bis Sie wiederkommen.“ Sie lächelte Sean an.

„Dad, kann ich nicht mit dir kommen?“, fragte Sean. Doch sein Vater beachtete ihn gar nicht. „Danke, Claire.“

„Ich brauche nur Ihre Adresse und wenn nötig, ein paar Verhaltensregeln. Braucht Sean noch einen Kindersitz?“

„Von wegen“, schnaubte der Kleine.

Fünf Minuten später saß er angeschnallt auf dem Rücksitz von Claires Auto, nachdem er zuvor protestiert hatte, er sei groß genug, um vorne zu sitzen.

Während sie durch die Dunkelheit zu Nicks Haus fuhr, fragte Claire sich, ob sie noch bei Sinnen war, sich auf so etwas einzulassen.

3. KAPITEL

Es war bereits nach Mitternacht, als Nick die schmale Straße zu seinem Haus hochfuhr. Das ehemalige Farmhaus aus weißgetünchtem Backstein stand auf einem parkähnlichen Gelände am westlichen Rand von Allentown. Mit dem bröckeligen weißen Verputz, den schieferblauen Holzfensterläden und – türen und den Efeuranken an der Mauer vermittelte es einen Vintage-Look, für den mancher viel Geld bezahlen würde.

Am Hang seitlich des Hauses führte eine terrassenförmige Gartenanlage zu einem kleinen Park mit schönen alten Bäumen, einem Fischteich und einem Gartenpavillon.

Nick hatte das Haus samt der schönen alten Möbel von seinen Eltern übernommen, als diese sich auf ihren Altersruhesitz in Florida zurückgezogen hatten. Zwar war ihm der Besitz praktisch in den Schoß gefallen, doch er musste eine Menge Zeit und Geld für die Instandhaltung aufwenden. Trotzdem liebte er das alte Haus mit seiner leicht angestaubten Gemütlichkeit. Es strahlte etwas von Tradition und Gediegenheit aus.

Sein altes Kinderzimmer über der ehemaligen Remise, die heute als Garage diente, hatte ihm immer besonders gefallen, vor allem wegen der hölzernen Außentreppe, die ihm als Jugendlicher freien Auslauf gewährt hatte. Wenn Sean in das Alter käme, würde Nick sich gut überlegen müssen, ob er ihm das Zimmer überlassen wollte.

Während er vor dem Haus anhielt, fragte Nick sich, was Claire Ayers wohl zu dem Familienbesitz sagen würde. Hoffentlich dachte sie nicht, er hätte den alten Charme absichtlich erzeugt.

Sandy hatte das antike Interieur gehasst und sich über die wuchtigen, geblümten Polstermöbel und die Küche mit den alten Bauernschränken lustig gemacht. Andererseits hatte sie aber auch keinerlei Interesse gezeigt, etwas zu verändern und den Ort für sich bewohnbar zu machen. Erst nachdem sie ausgezogen war, hatte Nick bemerkt, wie wenig Spuren sie hinterlassen hatte.

Sechs Jahre war das her, und seitdem hatte er niemals eine andere Frau mit ins Haus gebracht. Bis heute Abend.

Er stieg aus und ging durch das blumenumrankte schmiedeeiserne Spalier den schmalen Pfad hoch, der zum Haus führte, vorbei an den duftenden Bougainvillea- und Jasmin-Sträuchern, die seine Großmutter angepflanzt hatte. Sie war es auch gewesen, die den wunderbaren Garten angelegt und damit eine bleibende Erinnerung geschaffen hatte.

Er schloss die Haustür auf und blieb abrupt stehen. Hier roch es ja nach Hühnersuppe.

„Hi“, begrüßte ihn Claire, die aus der Küche kam. „Was für ein wunderschönes Haus Sie haben, Nick. Ich habe eine Suppe gekocht, weil Sean noch Hunger hatte. Es ist noch was da, falls Sie mögen …“

„Mhm, gern.“

Sie lächelte ihn an. Er sah, dass sie eine Schürze von seiner Mutter trug, die mit dem Rosenmuster. Als sie seinen Blick bemerkte, zog sie die Schürze rasch aus.

„Tut mir leid, dass es aussieht, als hätte ich mich hier eingenistet. Aber ich hatte vergessen, Sean zu fragen, wie man den Fernseher bedient, bevor er eingeschlafen ist. Also habe ich mich in der Küche beschäftigt. Das hat Spaß gemacht. Ich habe nur so eine mickrige kleine Kochnische, aber hier … Die Küche ist einfach himmlisch. Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich ein bisschen aufgeräumt habe.“

Nick hatte noch eine vage Vorstellung davon, wie die Küche ausgesehen hatte, als er mit Sean losgedüst war, um rechtzeitig im Gemeindezentrum zu sein. „Wow“, war alles, was ihm einfiel, als er das blankgeputzte Spülbecken, die aufgeräumte Arbeitsfläche und den leeren Küchentisch sah. Im Allgemeinen lagen und standen dort bunt durcheinander Zeitungen, Chipstüten, Cornflakes-Packungen, benutzte Müslischalen, Gläser und Tassen, dazwischen Superhelden-Figuren samt Ausrüstung. Auch der Boden war blitzblank, keine vertrockneten Reste von Katzenfutter, keine Krümel unter dem Tisch. Er war beeindruckt.

„Das hätten Sie wirklich nicht zu machen brauchen“, sagte er leicht beschämt.

Claire zuckte mit den Achseln. „So hatte ich wenigstens etwas zu tun, es fällt mir schwer, mich still hinzusetzen. Mein Bruder Derek findet das eine Schwäche von mir, aber so bin ich eben. Ich hole Ihnen schnell noch einen Teller Suppe, und dann verschwinde ich.“

„Aber vorher müssen Sie noch einen Kaffee mit mir trinken.“ Nick zog zwei Stühle unter dem großen Holztisch hervor. Den Tisch hatte sein Großvater gezimmert. „Wo haben Sie denn die Tischsets gefunden? Ich wusste gar nicht mehr, dass es die noch gibt.“

„Ich habe sie in einer Schublade entdeckt, als ich nach den Löffeln gesucht habe. Sie sehen aus wie selbstgenäht, passend zu den Vorhängen.“

„Ja, meine Mom hat gern genäht.“ Er ging zur Anrichte und schaufelte Kaffee in den Filter. Auch die Kaffeemaschine war blitzblank geputzt, wie er feststellte. „Sie würden sich wundern, was hier noch alles ungenutzt herumliegt.“

„Ich glaube, die wenigsten Männer interessieren sich für Tischsets“, bemerkte Claire, während sie eine Suppenschale füllte und zum Tisch trug. „Und Sie haben doch wahrscheinlich kaum Zeit, sich um dieses große Haus zu kümmern.“

Während er aß, erzählte er ihr von dem Haus und seiner langen Geschichte. Sie hörte aufmerksam und interessiert zu, und er hörte sich Dinge sagen, die er nie zuvor ausgesprochen hatte. „Meine Exfrau hat das Leben hier gehasst. Sie meinte, sie bekäme Erstickungsanfälle.“

Claire trank von ihrem Kaffee und sah sich in der Küche um. „Ich kann das einerseits verstehen. Wenn man als junge Frau mit dieser geballten Tradition konfrontiert wird, kann einen das schon einschüchtern. Wahrscheinlich hatte sie Angst, irgendetwas Wertvolles kaputt zu machen.“

„Eigentlich nicht. Sandy hatte einfach kein Interesse an diesen Dingen. Für sie war das alles unnötiger Ballast. Sie wollte frei sein, spontan die Koffer packen und wegfahren können. Bloß nirgendwo Wurzeln schlagen.“

„Aber sie hatte doch ein Kind.“

Nick trug die leere Suppenschale zum Spülbecken. „Sean … er war nicht geplant. Aber sie hat ihn geliebt und sich sehr bemüht, eine gute Mutter zu sein. Aber das Familienleben war einfach nicht ihr Ding.“

Claire stand ebenfalls auf und lehnte sich mit ihrer Kaffeetasse gegen die Anrichte. „Ich habe ein Foto von ihr auf Seans Nachttisch gesehen, als ich ihn ins Bett gebracht habe. Eine schöne Frau, voller Leben.“

Nick kannte das Foto nur zu gut. Es war auf einer Bühne aufgenommen, im Scheinwerferlicht sah Sandy immer besonders gut aus. Sie trug einen Minirock aus schwarzem Leder, dazu eine kurze schwarze Lederjacke, und ihre blonde Lockenmähne bildete eine Art Heiligenschein um ihr schönes Gesicht mit den vollen Lippen. Wie lebendig sie auf der Bühne wirkte! Wenn er das Foto ansah, wusste er genau, warum er sich damals in sie verliebt hatte.

„Nick?“

Er drehte sich zu Claire um. „Tut mir leid, ich war gerade abwesend.“

„Macht doch nichts.“ Sie stellte ihre Kaffeetasse in die Spüle. „Ich muss jetzt gehen, um neun muss ich in der Klinik sein. Trotzdem würde ich gern noch wissen, wie es heute Abend gelaufen ist. Haben Sie die Frau ins Frauenhaus bringen können? Und was ist mit den Kindern?“

„Sie sind jetzt alle erst mal dort in Sicherheit, man muss sehen, wie es weitergeht. Die Frau sah furchtbar aus, aber die Kinder machten einen ganz munteren Eindruck.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe für meine Reportage so viel recherchiert, aber ich werde nie verstehen, was einen Mann dazu bringt, die Frau, die er angeblich liebt, derart zu misshandeln.“

„Ich könnte mir vorstellen, dass dahinter mangelndes Selbstwertgefühl steckt.“ Claire griff nach ihrer Handtasche und suchte ihren Autoschlüssel. „Haben Sie denn die Männer mal gefragt?“

Nick sah sie überrascht an. „Die Männer? Nein, ich habe über die Frauen geschrieben, darüber, was die Männer mit ihnen machen. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen … wie sollte ich auch? Diese Männer sind doch Tiere, Brutalos, die nichts im Kopf haben. Können die überhaupt denken oder gar über sich reden? Und interessiert das jemanden?“

„Ich finde, es sollte die Leute interessieren, sonst gäbe es ja gar keine Hoffnung, dass diese Männer irgendwann zur Vernunft kommen. Sie sind auch Menschen, Nick. Vielleicht sind sie ganz nette Zeitgenossen, machen ihre Jobs gut, kümmern sich um andere. Manche sind vielleicht angesehene Bürger. Wer weiß schon, was hinter geschlossenen Türen vor sich geht. Es muss einen Grund geben, warum sie ihre Frauen schlagen, sie körperlich und seelisch misshandeln.“

„Der Mann der Frau von heute Abend ist Alkoholiker.“

„Mag sein, aber wieso ist er zum Alkoholiker geworden? Die meisten Menschen greifen zur Flasche, weil sie unglücklich sind. Sie suchen Vergessen im Alkohol. Vielleicht waren der Vater oder die Mutter bereits Alkoholiker. Hat der Vater vielleicht seine Frau vor den Augen des Sohnes verprügelt? Oder auch ihn selbst? Wer als Kind Misshandlung erfahren hat, wird oft selbst zum Täter.“

Nick fand Claire ganz schön hartnäckig. „Das ist keine Entschuldigung, Claire. Nichts rechtfertigt ein solches Verhalten.“

„Es gibt vielleicht keine Entschuldigung, aber Ursachen.“ Sie machte eine ausholende Geste. „All das hier ist Ihre Familientradition. Aber die Familientradition solcher Männer, oder auch der misshandelten Frauen, besteht vielleicht nur aus Gewalt. Die Frage ist doch, ob diese verhängnisvolle Tradition gebrochen werden kann. Es muss etwas geben, was diesen Männern gemeinsam ist, unabhängig von ihrem sozialen Status. Würden Sie nicht gern herausfinden, was es ist?“

Nick schüttelte den Kopf, und ein amüsiertes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Sie sind ziemlich speziell, Claire Ayers, wissen Sie das? Und verflucht clever und überzeugend. Jetzt haben Sie mich doch tatsächlich dazu gebracht, dass ich mich frage, ob meine Reportage nicht ein bisschen einseitig ist.“

Sie senkte den Blick, doch nicht rechtzeitig genug, um den schmerzenden Ausdruck in ihren Augen zu verbergen. „Ach, ich habe nur all die schlauen Sachen ausgespuckt, die ich in meinem Psychoseminar am College gelernt habe. Tut mir leid, ich hätte das lieber lassen sollen. Auf keinen Fall wollte ich Ihnen unterstellen, dass Sie Ihren Job nicht ordentlich machen.“

„Ich weiß, aber Sie haben Zweifel in mir geweckt. Bei meinen Recherchen habe ich viel gelesen und mit Gerichtspsychologen gesprochen. Es heißt, dass die meisten dieser Männer nach ihren Gewalttaten am Boden zerstört sind und hoch und heilig versprechen, es nie wieder zu tun. Vielleicht fahre ich morgen mal in der Wohnung der Frau vorbei.“

Claire sah ihn erschrocken an. „So habe ich das auf keinen Fall gemeint. Sie wollen doch nicht etwa allein mit diesem Mann reden? Womöglich schlägt er Sie zusammen. Solche Gespräche müssen in einem geschützten Rahmen stattfinden.“

Spontan streckte er die Hand aus und streichelte ihre Wange. „Das wäre nicht so schlimm. Ich kenne da eine MTA, die mich verarztet und mir sogar eine Hühnersuppe mit Nudeln kocht.“

„Das ist nicht lustig“, sagte Claire streng. Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche. „Hier. Falls Sie diesen Mann morgen wirklich besuchen, müssen Sie mich hinterher anrufen und erzählen, wie es gelaufen ist. Und falls er auf Sie losgeht, den Mund schützen, sonst müssen Sie womöglich zum Zahnarzt.“

Während Nick noch über ihre Anspielung lachte, beugte Claire sich vor und küsste ihn auf die Wange. „Sie sind ein sehr netter Mann, Nick Barrington, mit einem netten Sohn und einem netten Haus. Ich finde es schön, dass ich Sie kennengelernt habe.“

Nick stand in der offenen Tür und sah ihr nach, wie sie über den Gartenpfad zu ihrem Auto ging. Erst als ihre Rücklichter hinter der Wegbiegung verschwanden, ging er ins Haus zurück.

Drinnen lehnte er sich mit dem Rücken an die holzgetäfelte Wand und zog eine Grimasse. Das hast du auch schon mal besser gekonnt, schalt er sich. Wenigstens hätte er ihr zum Abschied ebenfalls einen Wangenkuss geben können. Aber sie einfach so wegfahren zu lassen … Er hatte sie nicht mal gefragt, wann und wo sie sich am Samstag treffen sollten. Galt das Date eigentlich noch?

Obwohl es so spät war, beschloss Claire beim Nachhausekommen, noch ein Bad zu nehmen. Das warme Wasser würde sie entspannen, zumal sie zwei Tassen Kaffee getrunken hatte. Vielleicht würde es auch die Gedanken wegspülen, die sie auf dem Nachhauseweg bedrängt hatten.

Was um alles in der Welt hatte sie dazu getrieben, gewalttätige Ehemänner zu verteidigen? Wo sie doch selbst in gewisser Weise ein Opfer war. Steven hatte sie zwar nicht körperlich misshandelt, aber auch seelische Grausamkeit war eine Art von Gewalt.

„Mach ein Ende, Claire, sofort“, hatte ihr Bruder Derek ihr eindringlich geraten, als sie nicht mehr weiter gewusst hatte. „Komm nach Allentown. Bei Vivien und mir ist Platz genug. Und du kannst in meiner Praxis arbeiten, das habe ich dir schon oft angeboten.“

Ihre Niederlage eingestehen zu müssen, war furchtbar schwer gewesen, denn sie war eher ein leistungsorientierter Mensch. Derek hatte ihr zwar immer wieder versichert, dass es allein Stevens Schuld war. Aber gab es in einer Beziehung überhaupt Schwarz und Weiß?

Vielleicht gab es einen Grund, warum Steven sich zu einer Frau hingezogen fühlte, die auf ihrer Eigenständigkeit beharrte. Und vielleicht gab es auch einen Grund, warum sie sich einen Mann ausgesucht hatte, der ein Heimchen am Herd wollte.

„Sie können einen Menschen nicht ändern, Claire“, hatte der Psychotherapeut ihr erklärt, bei dem sie zwei Jahre lang jede Woche ihre Sitzungen hatte. „Man kann nur sich selbst ändern.“

Sicher hatte Steven gehofft, sie zu der Frau umformen zu können, die er sich wünschte. Und sie hatte in ihrer anfänglichen Verliebtheit die Warnsignale ignoriert oder vielleicht auch geglaubt, das würde sich mit der Zeit schon einrenken.

Immerhin hatte sie aus dieser Niederlage gelernt. Sie hatte, auch durch die Therapie, viel über sich selbst erfahren und fühlte sich heute mit ihren neunundzwanzig Jahren als eine selbstsichere, zufriedene Frau. Sie hatte einen Beruf, den sie liebte, ihr eigenes Apartment, ein hübsches Auto und einiges Geld auf der Bank. Sie brauchte niemanden.

Während sie das dachte, kam ihr das lächelnde Gesicht Nick Barringtons in den Sinn, seine lachenden Augen. Sie fühlte sich wohl mit diesem Mann. Mit Steven hatte sie niemals auch nur annähernd solche Unterhaltungen geführt wie mit Nick bereits nach dem zweiten Treffen. Nick hatte Sinn für Humor und gleichzeitig Tiefgang, und er war erfrischend offen.

Ebenso wenig wie sie war er auf der Suche nach einem Partner. Sie waren beide unabhängige Menschen.

„Wir sind nicht einsam“, sagte sie laut, während sie aus der Badewanne stieg und sich in ein Badetuch hüllte. „Aber müssen wir deshalb allein sein?“

Sie hatte vorgehabt, zu Hause zu bleiben und die aufhellende Haartönung auszuprobieren, die in der Werbung angepriesen wurde. Ein paar blonde Strähnen in ihr Haar zaubern – für den Fall, dass Nick anrief und sie an das Date am Samstagabend erinnerte.

Heute war Freitag, und sie hatte einen freien Nachmittag, also Zeit für derart unnütze Dinge. Am Samstag hingegen würde sie bis um vier Uhr nachmittags Bereitschaftsdienst haben. Während sie noch überlegte, ob sie es wagen sollte, die Tönung anzuwenden – womöglich würde sie hinterher wie eine Vogelscheuche aussehen – läutete das Telefon.

Sie lief hin und schaute auf das Display. „Endlich“, seufzte sie und nahm ab. „Hallo, Nick. Muss ich den Erste-Hilfe-Kasten holen?“

Wie warm sein Lachen klang. Sofort entspannte sie sich und merkte dabei erst, wie angespannt sie die ganze Zeit gewesen war. „Sie sollten den andern sehen.“

„Das ist ein Scherz, oder?“, fragte sie leicht ängstlich.

„Kein guter, ich weiß. Nein, Claire, alles ist in Ordnung, und womöglich bekomme ich noch ein Verdienstabzeichen. Ich habe nämlich Ihren Rat befolgt.“

„Meinen Rat? Es war nicht meine Idee, dass Sie mit diesem Mann reden.“

„Aber Sie haben mich drauf gebracht, und es hat geklappt.“

Claire ließ sich in einen Sessel sinken. „Aha“, sagte sie etwas kraftlos.

„Sie haben mir vor Augen geführt, dass man nicht alle prügelnden Männer pauschal verurteilen darf. Dass sie immer noch Menschen sind und jeder seine eigene Geschichte hat. Ein Journalist sollte sein Thema objektiv behandeln. Danke, Claire, dass Sie mir die Augen geöffnet haben. Jedenfalls habe ich den Mann heute Morgen besucht, und in nüchternem Zustand ist er tatsächlich ein netter Typ. Er sagt, er liebe seine Frau und seine Kinder und leide schrecklich darunter, dass sie ihn verlassen haben.“

„Vielleicht ist er auch nur ein guter Schauspieler“, bemerkte Claire.

„Nicht so misstrauisch sein, Claire. Ich habe ihn zu einem befreundeten Richter mitgenommen und bewirkt, dass der Mann in ein Therapie-Zentrum eingewiesen wird. Er hat sich zu der Therapie bereit erklärt und die Einweisung unterschrieben. Vielleicht ist das eine Chance für ihn und seine Familie. Ich hoffe es. Jedenfalls fühle ich mich jetzt wesentlich besser. Nochmals danke, Claire.“

Claire musste mehrmals blinzeln, weil ihr die Tränen in den Augen brannten. „Ach, Nick.“

„Ist das alles? Ach, Nick? Heißt das: Toll haben Sie das gemacht, oder: Sie sind ein Träumer. Oder vielleicht: Dafür verdienen Sie einen dicken Kuss?“

Sie lachte. „Nichts von alledem. Wo sind Sie denn gerade? Müssen Sie heute noch arbeiten?“

„Nein, ich habe meinen Artikel schon in Druck gegeben, es ist der erste Teil einer Reportage über den Umbau des alten Stahlwerks. Da gibt es so manche Ungereimtheiten. Ich bin mit Sean zu einem Basketballspiel unterwegs und habe gerade festgestellt, dass wir gar nicht weit von Ihrer Wohnung entfernt sind. Ich dachte, Sie sind vielleicht zu Hause und haben Lust, mitzukommen. Also wie wäre es?“

„Hm, das kommt ein bisschen überraschend …“

„Ich weiß“, unterbrach er sie und senkte dann die Stimme: „Es war Seans Idee. Keine Ahnung, was Sie gestern Abend mit ihm angestellt haben, aber er scheint Sie ganz in Ordnung zu finden.“

„Da fühle ich mich aber geschmeichelt.“ Claire fuhr sich durch das offene Haar, das sie gerade mit hellen Strähnchen hatte verschönern wollen. Dann sah sie an sich herunter. Mit ihren alten Jeans und dem ausgeleierten T-Shirt war sie nicht gerade zum Ausgehen bereit. „Ich müsste mich erst noch umziehen.“

„Wir können in ungefähr zehn Minuten bei Ihnen sein, passt das?“

„Ja. Ich warte dann draußen“, sagte Claire knapp und legte auf.

Ihr T-Shirt flog aufs Bett, während sie unschlüssig ihren Kleiderschrank inspizierte. Sie entschied sich für einen leichten gelben Baumwollpullover. Nachdem sie auch die Jeans gewechselt hatte, lief sie ins Bad und putzte ihre Zähne. Dann erfrischte sie ihr Gesicht, cremte es ein und bürstete ihr Haar. Sie fand, dass es voll und glänzend aussah. Eigentlich waren blonde Strähnen ganz unnötig. Sie beschloss, es offen zu lassen. Bei einer Sportveranstaltung konnte man ruhig etwas lässiger auftreten.

Nein, an Nick dachte sie dabei ganz bestimmt nicht.

„Du machst dir was vor“, flötete sie ihrem Spiegelbild zu.

Im Flur schlüpfte sie in ihre Sisalsandalen, nahm ihre Handtasche und lief nach unten. Im selben Augenblick, als sie vors Haus trat, sah sie Nicks Wagen in die Einfahrt biegen. Sie hob die Hand und winkte.

„Perfektes Timing“, bemerkte er, als sie auf dem Beifahrersitz Platz nahm. „Schön sehen Sie aus mit dem offenen Haar.“

„Danke. Ich hatte keine Zeit zum Hochstecken.“

„Wie gesagt, perfektes Timing.“ Er schaltete den Rückwärtsgang ein und setzte zurück auf die Straße.

Flirtete er etwa mit ihr?

Sie hoffte, ihr Gesicht sah nicht rot aus, als sie sich zu Sean umdrehte. „Hi, Sean. Ich wusste gar nicht, dass du Basketball spielst. Danke für die Einladung.“

Der Junge blickte kurz von seinem Handheld-Videospiel hoch. „Du hast gesagt, du magst Sport, und Basketball ist ein Sport.“

„Ich weiß, in der Highschool habe ich auch Basketball gespielt. Aber für die College-Mannschaft war ich nicht gut genug. Auf welcher Position spielst du denn?“

„Point Guard“, antwortete Sean.

„Er ist ziemlich gut im Ballklauen“, ergänzte Nick.

„Bestimmt bist du schnell. Ich bin jedenfalls gespannt auf dein Spiel.“

Sean murmelte etwas Unverständliches und widmete sich wieder seinem Videospiel.

Später saß sie neben Nick auf der Tribüne und erkannte sich selbst nicht wieder. Unglaublich, wie sie sich von dem Spiel mitreißen ließ und mit Sean mitfieberte. Gerade war die gegnerische Mannschaft am Verlieren, und Claire geriet völlig aus dem Häuschen. Immer wieder sprang sie auf, um Seans Mannschaft anzufeuern. „Wie können Sie so ruhig dasitzen?“, fragte sie Nick verständnislos.

„Seit Sean sechs ist, bin ich bei allen Spielen dabei, Baseball, Fußball, Basketball, Karatewettkämpfe. Mit der Zeit stumpft man ab, aus reinem Selbstschutz, man will ja keinen Herzinfarkt oder ein Magengeschwür bekommen.“ Er griff nach Seans Sporttasche und reichte sie Claire. „Hier, da sind Müsliriegel und all so was drin. Wenn man kaut, kann man nicht schreien. Das hilft, ich hab’s selbst ausprobiert.“

„Nein danke“, sagte sie, nahm die Tasche aber trotzdem entgegen und warf einen Blick hinein. Neben Seans Jacke und einer Wasserflasche entdeckte sie Cracker, Käsewürfel, einen leicht angefaulten Apfel, Superman-Figuren sowie ein futuristisch aussehendes Plastikding, das sie interessiert in die Hand nahm.

Dabei ließ sie das Spielfeld nicht aus den Augen. „Ich glaube, jetzt kann nichts mehr schiefgehen“, sagte sie zufrieden.

Nick schüttelte nur lachend den Kopf.

„Was ist denn so lustig?“, fragte sie.

„Nichts, mir gefällt Ihre Begeisterung.“

„Na ja, wenn man schon spielt, ist gewinnen besser als verlieren.“ Sie fingerte an dem Plastikding herum. „Da ist ja ein Knopf dran, wirklich lustig, diese Dinger – ach du meine Güte.“

Das darf jetzt nicht wahr sein, dachte sie entsetzt, als eine kleine gelbe Plastikscheibe nach vorne flog und ein paar Reihen vor ihr einen Mann im Rücken traf. Zum Glück war der so ins Spiel vertieft, dass er nichts bemerkte.

Nick seufzte ergeben. „Das muss ich wohl nachher wieder holen.“ Dann sah er sie kopfschüttelnd an und sagte: „Sie sind wirklich speziell, Claire Ayers.“

Claire blickte in seine lachenden grünen Augen, und das war der Moment – wie ihr ein paar Tage später klar wurde –, in dem sie sich in Nick Barrington verliebte.

4. KAPITEL

„Okay, auch dieses Problem hätten wir gelöst. Skip wird einen Smoking tragen. Danke, Nicky, ich wusste, du würdest es schaffen, ihn zu überreden. Und wann wolltest du mir erzählen, dass du nicht alleine zu meiner Hochzeit kommst?“

Es war Samstagnachmittag, und Sean war bereits mit seinen Freunden auf der Bowlingbahn, um Jacobs Geburtstag zu feiern, der mit einer Pyjamaparty enden sollte. Als Barb anrief und ihn bat, bei ihr vorbeizukommen, hatte Nick bereitwillig zugesagt. So könnte er die Zeit füllen, bis er Claire abholte. Sie hatten beschlossen, statt ins Kino lieber essen zu gehen.

Aus unerfindlichen Gründen, über die er nicht tiefer nachgrübeln wollte, verging die Zeit seit dem gestrigen Nachmittag, als er Claire nach dem Basketballspiel vor ihrer Wohnung abgesetzt hatte, im Schneckentempo. War das lustig gewesen, als die kleine gelbe Scheibe loszischte, direkt in die Reihe der gegnerischen Fans! Und dann Claires ungläubiger Gesichtsausdruck, während sie dem Flugobjekt hinterher sah – unbezahlbar!

Rückblickend konnte er sich darüber immer wieder ausschütten vor Lachen. Und dann folgte der magische Moment, der sein Herz schneller schlagen ließ. Claire drückte ihr Gesicht an seine Schulter, um ihr Lachen zu ersticken. Ein solcher Moment konnte alles verändern.

„Was hast du gesagt?“, fragte er seine Cousine.

„Wann du mir erzählen wolltest, dass du in Begleitung zu meiner Hochzeit kommst. Es ist zwar eine zwanglose Feier ohne Tischordnung, aber du könntest das Mädchen wenigstens warnen. Tante Beatrice hat nämlich schon jemanden für dich vorgesehen.“

„Wen denn?“, fragte Nick. „Ich habe doch schon alle möglichen Typen kennengelernt – die Kichernudel, die Hippiefrau, die Modepuppe –, würde mich interessieren, wen sie diesmal aufgetrieben hat.“

„Anita, meine Trauzeugin, aber die wird sowieso bei Bill sitzen, die beiden sind unzertrennlich. Tante Beatrice hat manchmal seltsame Einfälle.“

„Anita ist doch mindestens im zwölften Monat.“

„Im achten“, sagte Barb grinsend. „Aber sie ist wirklich dick. Ich glaube, sie hat dreißig Kilo zugelegt. Weißt du noch? Sandy hatte bis zum Schluss einen ganz kleinen Bauch, als sie mit Sean schwanger war.“

Nick lächelte schief. Ja, er erinnerte sich nur zu gut daran. Sandy hatte kaum noch was gegessen, weil sie nicht dick werden wollte. Als er sie deswegen zur Rede stellte, wurde sie zornig und brach in Tränen aus. Sie wolle ihrem Baby keinen Schaden zufügen, aber eine Freundin hatte gemeint, Babys würden sich immer nehmen, was sie bräuchten, egal, was die Mutter aß.

„Du wirst bestimmt eine tolle Mutter, Barb. Und Skip ein toller Vater.“

„Das glaube ich auch. Wenn wir Mädchen bekommen, wird er sich von ihnen um den Finger wickeln lassen, und Jungs wird er zu Draufgängern machen wollen.“ Sie beugte sich über den Tisch und nahm Nicks Hand. „Aber wir brauchen nur dich und Sean als Beispiel zu nehmen. Ihr beiden kriegt das so wunderbar hin. Tut mir leid, dass ich dich an Sandy erinnert habe. Das war absolut überflüssig. Und jetzt erzähl mir ein bisschen von deiner neuen Eroberung.“

„Woher weißt du eigentlich, dass ich jemanden mitbringe?“

Barb zog ihre Hand zurück und rührte in ihrem Tee. „Ich war heute Morgen zur Anprobe bei Chessie. Und da war auch noch diese Frau, die wir beim ersten Mal schon getroffen haben, Marylou. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen.“

Nick verzog das Gesicht. „Wahrscheinlich hat sie dich schon ausführlichst über Claire informiert.“

„Ja, Claire Ayers.“ Barb zwinkerte ihn amüsiert an. „Marylou hat schon ein Kleid für sie ausgesucht, und Chessie hat es zurückgelegt.“

„Ich finde das nicht lustig“, bemerkte Nick.

„Ich im Grunde auch nicht. Aber irgendwie ist Marylou doch urkomisch. Jedenfalls hat sie mich so neugierig gemacht, dass ich es kaum erwarten kann, diese Claire kennenzulernen. Hat Sean sie schon getroffen? Damit wirst du wahrscheinlich noch ein bisschen warten, oder?“

„Zu spät, liebe Cousine. Sie haben sich schon kennengelernt, und er scheint sie zu mögen. Er hat sie sogar zu seinem Basketballspiel eingeladen.“ Dass Claire schon einen ganzen Abend mit Sean verbracht, ihm Suppe gekocht und ihn ins Bett gebracht hatte, verschwieg er lieber.

Erst im Nachhinein hatte er ein schlechtes Gewissen Sean gegenüber bekommen. Ihm war überhaupt nicht klar gewesen, dass sein Sohn in Claire womöglich einen Mutterersatz sehen könnte.

„Hör mal, Nick“, wandte Barb ein, „ich finde es ja wirklich schön – und es wird auch langsam Zeit – dass du dich wieder für Frauen interessierst, aber du solltest sie nicht gleich mit Sean zusammenbringen. Das könnte ihn verunsichern.“

„Ich weiß, aber Claire gibt auch jeden Dienstag- und Donnerstagabend Kurse im Gemeindezentrum, es ist also nicht zu vermeiden, dass Sean ihr begegnet.“

„Ja, Marylou hat mir davon erzählt, aber ich hab gar nicht drüber nachgedacht, dass Sean natürlich auch dabei ist. Bitte entschuldige.“ Barb wurde nachdenklich. „Irgendwie kann ich Marylou auch verstehen. Sie möchte alleinstehende Männer und Frauen zusammenbringen und sie damit vielleicht glücklicher machen. Im Grunde ist das liebenswert.“

„Nicht dass du denkst, ich hätte die letzten Jahre im Kloster verbracht, liebe Cousine. Ich bin öfters mit Frauen ausgegangen.“

Barb bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. „Davon hast du mir nie was erzählt. Und wie viele davon hat Sean mitbekommen?“

„Keine. Claire ist die erste.“

„Aha.“ Barbs Stirn glättete sich. „Ich glaube, ich bin sehr gespannt auf Claire.“

Nick lächelte. „Ich werde sie vorwarnen.“

Mit der dritten Variante war Claire einigermaßen zufrieden. Mehr Ausgehkleidung besaß sie auch gar nicht.

Sie zog das kragenlose Jäckchen, das ihre Schwägerin ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hatte, über das cremefarbene, ärmellose Seidentop und betrachtete sich erneut im Spiegel. Was sie sah, gefiel ihr. Die schieferblaue enge Hose und die offenen High Heels, alles passte perfekt zusammen. Sie wirkte lässig und doch elegant. Auf keinen Fall sollte es aussehen, als hätte sie sich stundenlang zurechtgemacht.

Automatisch raffte sie ihr Haar zusammen, um es hochzustecken, doch dann beschloss sie, es offen zu lassen. Sie beugte sich vor, sodass ihre dichte Mähne nach vorne fiel, und bürstete sich die Haare gründlich durch. Dann warf sie den Kopf zurück und beobachtete im Spiegel, wie ihre Haare sich wie von selbst in Form legten und in Wellen auf ihre Schultern herabfielen.

Ja, das sah viel femininer aus. Heute Abend wollte sie sich endlich wieder als Frau fühlen. Lange genug hatte sie sich vergraben.

Als es klingelte, schrak sie zusammen. Rasch prüfte sie noch ihr Fünf-Minuten-Make-up, dann atmete sie tief durch und öffnete die Tür.

„Hi“, sagte sie und war plötzlich so verlegen wie damals, als ihre Mom sie bei einem Popkonzert auf die Bühne geschoben hatte, damit sie sich ein Autogramm der Teenieband ergatterte. Damals hatte sie auch keinen Ton herausgebracht.

„Auch hi“, sagte Nick lächelnd und sah sie bewundernd an. „Sie sehen … darf ich das sagen? … Wunderschön aus.“

„Ja, dürfen Sie. Danke. Aber ich fühle mich ein bisschen gerädert, weil ich nach der Arbeit gerade noch Zeit hatte, mich fertig zu machen.“

„Dann ist es gut, dass ich im Emeril’s reserviert habe. Dort können Sie sich entspannen.“

„Emeril’s? Ist das nicht das Restaurant im neuen Casino?“, fragte Claire, während sie nach ihrer Handtasche griff und den Wohnungsschlüssel vom Haken neben der Tür nahm.

„Ja, ein Steakhouse. Ich war noch nie da, habe aber nur Gutes gehört. Sie mögen doch Steaks?“

„Ich bin in Chicago aufgewachsen, Nick. Genauso gut könnten Sie jemand von der Ostküste fragen, ob er Hummer mag.“

Auf dem Weg zu seinem Auto fragte er: „Gab es heute viele Notfälle?“

Sie berichtete kurz, was alles passiert war, und wie entzückend die Drillinge waren, die vor zwei Tagen auf die Welt gekommen waren und noch im Wärmebett lagen. „Sie sind so winzig, gerade mal zwei Kilo.“

„Sean wog dreieinhalb Kilo, und er kam mir schon winzig vor.“

„Und wie war Ihr Tag?“, fragte Claire, als sie ins Auto stiegen.

„Mal überlegen.“ Er startete den Motor und fuhr zurück auf die Hauptstraße. „Zuerst musste ich Sean aus dem Bett kriegen, damit er rechtzeitig um neun beim Basketballtraining war. Nach dem Training sind wir nach Hause gefahren, und ich habe Sean mit Engelszungen überredet, unter die Dusche zu gehen. Das hat eine ganze Weile gedauert. Danach habe ich ihn zur Bowlingbahn gebracht, wobei wir zweimal nach Hause zurückfahren mussten. Einmal hatte er seine Zahnbürste vergessen, beim zweiten Mal das Geburtstagsgeschenk.“ Er seufzte. „Leider hat er meine Schusseligkeit geerbt.“

Claire lachte. „Ein ereignisreicher Vormittag.“ So lustig, wie er es erzählte, war das bestimmt nicht abgelaufen. Garantiert war er ziemlich genervt gewesen.

„Es geht noch weiter. Nachdem ich Sean also glücklich bei seinen Freunden abgeliefert hatte, musste ich mit dem zukünftigen Mann meiner Cousine etliche Hotdogs verspeisen, bis ich ihn rumgekriegt hatte, bei seiner Hochzeit einen Smoking zu tragen. Er meinte, darin sähe er wie ein ausgestopfter Pinguin aus. Ich habe das natürlich abgestritten, obwohl es gut möglich ist, Skip ist ein ziemliches Kaliber, nicht dick, aber groß und kräftig. Danach bin ich zu meiner Cousine gefahren, um ihr von meiner erfolgreichen Mission zu berichten.“

„Und sie hat sich gefreut.“

„Und wie. Dabei hat sie sich selbst lange dagegen gewehrt, ein Brautkleid anzuziehen. Und jetzt soll plötzlich alles perfekt sein. Da ich ihr Trauzeuge bin, muss ich wohl oder übel auch im Smoking auftreten.“

„Ich wette, Sie sehen toll darin aus. Ich bin gespannt.“

„Ich auch. Mal sehen, ob der Smoking aus meiner Studentenzeit überhaupt noch passt. Damals habe ich für einen Kommilitonen Trauzeuge spielen müssen.“

„Bei Ihrer Hochzeit haben Sie den Smoking doch sicher auch angehabt.“

„Es gab keine Hochzeit. Wir sind einfach nur zum Standesamt gegangen.“ Er lächelte etwas gequält.

„Und das hat Ihnen nicht gefallen?“

„Ich musste nur gerade daran denken, dass der Standesbeamte besser angezogen war als wir. Aber wir waren uns einig, dass es doch bloß um eine Unterschrift geht, eine reine Formsache ohne Bedeutung. Und es hatte ja auch keine Bedeutung, wie sich herausstellte.“

„Wie heißt es in dem alten Song? ‚Regrets, I have a few …‘?“

„Frank Sinatra, ‚My Way‘. Aber ich bereue es nicht, Claire. Dieser Beziehung habe ich meinen Sohn zu verdanken, und der bedeutet mir mehr als alles auf der Welt. Mit zweiundzwanzig war ich noch sorglos und habe mir über die Konsequenzen meiner Handlungen kaum Gedanken gemacht. Als dann Sean auf die Welt kam, bin ich erwachsen geworden. Für ein Kind zu sorgen, ändert das Leben von Grund auf.“

An einer roten Ampel hielt er an und wandte Claire den Kopf zu. „Wenn ich die Zeit zurückdrehen und alles anders machen könnte, ich würde es nicht tun. Ich finde, alles was wir erleben und durchleben, macht uns zu dem, was wir sind. Und ich bin ganz zufrieden mit dem, was aus mir und meinem Leben geworden ist.“ Er lächelte breit. „So, das reicht an tiefschürfenden Gedanken für heute Abend. Ich weiß auch nicht, warum ich Ihnen Dinge erzähle, über die ich noch mit niemand sonst gesprochen habe. Die mir vorher vielleicht selbst nicht klar waren. Aber ich verspreche, für den Rest des Abends unterhaltsamer zu sein.“

„Meinetwegen brauchen Sie nicht damit aufzuhören“, sagte Claire und berührte kurz seine Hand am Lenkrad. „Es schmeichelt mir, dass Sie mir persönliche Dinge anvertrauen.“

Als sie im Restaurant am Tisch saßen und ihre Bestellung aufgegeben hatten, sprach Claire das aus, was ihr im Auto durch den Kopf gegangen war.

„Sie sind so offen und ehrlich mir gegenüber, Nick, dass ich das Gefühl habe, ich müsste auch etwas von mir preisgeben.“

Zu ihrer Überraschung schüttelte er den Kopf und griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand. „Nein, Claire, das müssen Sie nicht. Nicht heute Abend. Heute bin ich dran.“

Seine Stimme und seine warme Hand hatten eine so beruhigende Wirkung auf Claire, dass ihre Anspannung sich vollkommen löste. „Danke, Nick.“

Im Laufe des Abends unterhielten sie sich über alle möglichen Dinge und stimmten meistens in ihrer Ansicht überein. Nur bei der Frage, ob das Filet Mignon medium oder kurz gebraten sein sollte, waren sie verschiedener Meinung. Claire mochte es medium, Nick halb roh.

„Hey, Dracula, warum bestellen Sie es nicht gleich ganz roh?“, scherzte Claire beim Anblick der blutigen Soße auf Nicks leerem Teller.

„Als MTA sollten Sie eigentlich keine Probleme mit Blut haben“, gab er schlagfertig zurück. „Wie kommt man eigentlich zu so einem Beruf?“

Claire lehnte sich zurück, während der Kellner die Teller abräumte und die Karte für das Dessert brachte. Sie warf einen kurzen Blick auf die Karte, obwohl sie nach dem reichlichen Hauptgang keinen Bissen mehr hinunterbringen würde.

„Wollen wir uns ein Dessert teilen?“, schlug Nick vor und sah dabei aus wie ein kleiner Junge, der sich auf eine Süßigkeit freut. Sie konnte es ihm einfach nicht abschlagen, beschloss aber, ihm den größten Teil zu überlassen.

„Ich bin auch satt“, erklärte er, „aber ein Dessert geht immer noch, das ist für mich der krönende Abschluss eines guten Essens. Wie wäre es mit Mousse au Chocolat?“

„Ist mir recht.“

Als der Kellner mit ihrer Bestellung gegangen war, fragte Nick: „Also, wieso haben Sie diesen Beruf gewählt?“

„Mein Bruder Derek hat Medizin studiert, und ich hatte zuerst auch darüber nachgedacht, konnte mich aber dann nicht dazu entschließen. Ich wusste nur, dass ich irgendwas im Gesundheitsbereich machen wollte. Also habe ich erst mal eine Lehre als Krankenpflegerin angefangen und mich nebenbei über Weiterbildungsmöglichkeiten informiert. Es gibt ja unglaublich viele Möglichkeiten im medizinisch-technischen Bereich. Das hat mich begeistert, und es war genau das Richtige für mich. Und Sie, Nick, wollten Sie immer schon Journalist werden?“

Er nickte. Inzwischen stand das Schokoladendessert auf dem Tisch, und er kostete davon. Sofort erschien ein Ausdruck des Entzückens auf seinem Gesicht. „Hm, ist das köstlich. Sie müssen es probieren.“

Beinahe widerstrebend nahm Claire sich von der Creme, doch kaum hatte sie den Löffel im Mund, da erschien der gleiche entzückte Ausdruck auf ihrem Gesicht, den sie bei Nick beobachtet hatte. „Das ist ja beinahe unanständig“, sagte sie und nahm sich gleich noch einen Löffel voll.

„Wir hätten doch jeder eins nehmen sollen.“

„Nein, es ist doch viel schöner das Dessert zu teilen, das müssen wir immer machen.“

Autor

Wendy Warren

Wendy lebt mit ihrem Ehemann in der Nähe der Pazifikküste. Ihr Haus liegt nordwestlich des schönen Willamette-Flusses inmitten einer Idylle aus gigantischen Ulmen, alten Buchläden mit einladenden Sesseln und einem großartigen Theater. Ursprünglich gehörte das Haus einer Frau namens Cinderella, die einen wunderbaren Garten mit Tausenden Blumen hinterließ. Wendy und...

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