Bianca Extra Band 88

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BESTE FREUNDE IM BABYGLÜCK von KATHY DOUGLASS

Auf einer Hochzeit gibt Joni ihren besten Freund Lex als ihren Lover aus - natürlich nur, damit sie nicht allein dasteht! Ein Fehler, der ihre Freundschaft zerstört? Denn als es plötzlich sinnlich prickelt, verbringt Joni eine Liebesnacht in Lex’ Armen - die alles verändert …

BLEIB BEI MIR, GELIEBTE NICOLE! von ROCHELLE ALERS

Die hübsche Anwältin Nicole lässt Fletchers Herz spontan höherschlagen. Doch obwohl sie seine zärtlichen Küsse erwidert, scheint ihr Glück ohne Zukunft: Sie ist nur vorübergehend in der Stadt, um für ihre Neffen da zu sein. Wie kann er sie zum Bleiben bewegen?

DAMALS, HEUTE UND FÜR IMMER von NANCY ROBARDS THOMPSON

Sie galten als das Traumpaar auf der Highschool: Jude und Juliette! Beim Klassentreffen sprühen sofort wieder die Funken zwischen ihnen. Aber Vorsicht: So sehr er Juliette immer noch begehrt, Jude darf nicht vergessen, warum sie einst seinen Heiratsantrag abgelehnt hat …

WAS UNS TRENNT, WAS UNS EINT von STACY CONNELLY

Nach ihrer kurzen romantischen Affäre mit dem attraktiven Fotografen Chance entdeckt Alexa schockiert: Sie trägt sein Kind unter dem Herzen! Doch sie und ihn trennen Welten: Sie sucht Ruhe und Sicherheit, der freiheitsliebende Chance das Abenteuer. Was jetzt?


  • Erscheinungstag 22.09.2020
  • Bandnummer 88
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748142
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kathy Douglass, Rochelle Alers, Nancy Robards Thompson, Stacy Connelly

BIANCA EXTRA BAND 88

KATHY DOUGLASS

Beste Freunde im Babyglück

Der Liebe hat Lex nach seiner gescheiterten Ehe abgeschworen. Als er Jonis neuen Freund spielt, fühlt er sich jedoch unwiderstehlich zu ihr hingezogen und verführt sie zu einer folgenreichen Nacht …

ROCHELLE ALERS

Bleib bei mir, geliebte Nicole!

Anwältin Nicole ist Fletcher so dankbar, dass er sie spontan bei der Betreuung ihrer beiden Neffen unterstützt! Fast fühlt es sich an, als seien sie eine Familie. Doch leider nicht für immer, oder?

NANCY ROBARDS THOMPSON

Damals, heute und für immer

Juliette hat Jude nie verziehen, dass er einst ihre Liebe verriet. Trotzdem ist sie machtlos gegen die magische Anziehungskraft, die beim Klassentreffen sofort wieder zwischen ihnen herrscht …

STACY CONNELLY

Was uns trennt, was uns eint

Nichts liebt Chance so sehr wie seine Freiheit. Bis er erfährt: Seine kurze Affäre mit der schönen Alexa blieb nicht ohne Folgen. Wie kann er ihr beweisen, dass ausgerechnet er der Richtige für sie ist?

1. KAPITEL

Wie kann man seinen besten Freund hassen? Darüber hatte sich Joni Danielson unzählige Male den Kopf zerbrochen, aber noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Und sie wusste auch nicht, wie sie das ungute Gefühl abschütteln sollte, das sie seit sechs Wochen beschlich. Als sie im Besprechungszimmer im Rathaus zu Bürgermeister Alexander Devlin III hinüberschaute, zu ihrem einstigen Freund, da fühlte sie nur Zorn und Enttäuschung und leider auch Hass. Es tat ihr weh. Nach fünf Jahren, in denen sie beste Freunde gewesen waren, wollte sie ihn ja gar nicht hassen, aber sie hatte keinen blassen Schimmer, wie sie ihre negativen Gefühle ummünzen konnte.

Seit anderthalb Monaten ging sie ihm jetzt schon aus dem Weg. Weil sie Lex so gut kannte, gelang es ihr meistens. Ein oder zwei Mal hatte sie Marbel’s Diner betreten und ihn darin essen und mit Leuten reden sehen, aber dabei hatte es sich um Ausnahmen gehandelt. Manche Dinge allerdings ließen sich nicht vermeiden, wie diese Besprechung mit dem Stadtrat und den Abteilungsleitern. Als Leiterin des Jugendzentrums von Sweet Briar musste sie wohl oder übel daran teilnehmen.

Ratsfrau Alana Kane schwebte in einer Parfümwolke herein und ließ Joni kurzzeitig die Luft anhalten. Selbst morgens um halb acht war Alanas Make-up makellos, und jedes Haar saß perfekt. Ihre Ohrringe und die Halskette passten zu der Diamantkette am linken Fußgelenk. Alana würdigte Joni keines Blicks, als sie auf zehn Zentimeter hohen Absätzen durch den Raum stöckelte. Erst als sie Lex erreichte, lächelte sie strahlend.

„Puh, noch auffälliger geht es wohl nicht, was?!“

Joni drehte sich zu Denise Harper um, Lex’ Sekretärin, und tuschelte ihrerseits: „Tja, Männer fühlen sich dadurch geschmeichelt, selbst wenn die Frau eine Schlange ist.“

„Ich habe Lex ja für schlauer gehalten.“

Joni runzelte die Stirn. „Nein, in der Hinsicht ist er wie die meisten Männer.“

Mrs. Harper zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts.

„Okay, wie es aussieht, sind wir vollzählig, also lasst uns anfangen“, begann Lex. Alana lächelte noch immer.

Joni ging zu einem Platz am Fußende des Tischs, aber ein Ratsmitglied war schneller. Alle anderen saßen bereits, nur der Stuhl rechts von Lex war noch frei. Joni unterdrückte ein Seufzen, nahm Platz und suchte in ihrer Handtasche nach einem Kugelschreiber.

Lex wartete, bis jeder sich ein Kopenhagener Gebäckstück oder einen Donut genommen und Kaffee eingeschenkt hatte. Er warf Joni einen fragenden Blick zu. Sie begriff nicht, warum. Er weiß ganz genau, was er verbockt hat.

„Starten wir mit dem ersten Punkt auf der Tagesordnung“, fuhr Lex fort. „Das Herbstfestival und der Ball.“

Darüber hatte Lex schon vor Monaten beim Frühstück mit Joni gesprochen, aber damals waren sie noch befreundet gewesen und hatten stundenlang neue Ideen ausgetauscht – vor dem Ereignis, das alles geändert hatte.

Sie waren zu einer Hochzeit eingeladen gewesen. Joni kannte die Braut aus ihrer Studentinnenverbindung. Sie und Lex wollten so tun, als wären sie ineinander verliebt, damit Joni vor ihrem gleichfalls anwesenden untreuen Ex-Verlobten und dessen Ehefrau nicht als einsame Verlassene dastand. Der Plan funktionierte bestens, bis die Sache völlig außer Kontrolle geraten war. Jetzt verdrängte Joni die Erinnerung an jenen Abend, auch wenn es sich nicht so verhielt, dass die Hochzeitsgesellschaft komplett alles zwischen ihnen zerstört hatte. Nein, Joni konnte so ehrlich zu sich sein, sich einzugestehen, dass die Nacht in Lex’ Armen die schönste ihres Lebens gewesen war.

Erst seine ungelenke Entschuldigung am nächsten Morgen hatte es unmöglich gemacht, weiterhin miteinander befreundet zu bleiben. Zehn Minuten lang hatte er sich darüber ausgelassen, wie leid ihm alles tat, und er hatte überhaupt nicht gemerkt, was er damit überhaupt anrichtete. Aus Jonis Scham war erst Wut und dann Hass geworden. Sie war ins Bad ihres Hotelzimmers stolziert, hatte sich in Rekordzeit geduscht und angezogen. Zum Glück waren sie in Chicago gewesen und nicht in Sweet Briar in North Carolina, wo jeder mitbekommen hätte, was vorgefallen war. Niemand musste also erfahren, dass Lex mit ihr geschlafen hatte, um danach vorzuschlagen, so zu tun, als hätte es die gemeinsame Nacht nie gegeben.

Joni versuchte sich wieder auf die Besprechung zu konzentrieren. Alana, diese Hexe, schlug gerade vor, den Ball auch aus dem Budget des Jugendzentrums zu finanzieren, weil er schließlich dort stattfinden sollte. Joni biss sich auf die Zunge, bis Alana zu Ende gesprochen hatte. Dann lächelte sie den anderen sechs Ratsmitgliedern und Polizeichef Trent Knight zu, bevor sie Trent ansah. „Dazu würde ich gern etwas sagen.“

Lex nickte. „Nur zu.“

„Der Ball ist für die ganze Stadt, nicht nur für die Jugend, deshalb sollte die Jugendabteilung auch nicht dafür bezahlen.“

„Er richtet sich in erster Linie an die Kids, Jocelyn“, sagte Alana hochnäsig und verwendete Jonis vollständigen Vornamen statt ihres Spitznamens, der ihr allerdings viel lieber war. „Deshalb veranstalten wir den Ball ja im Jugendzentrum.“

Joni gelang es, die Augen nicht zu verdrehen. Es war ein offenes Geheimnis, dass Alana den Tanzabend nach Charlotte verlegen wollte, und zwar in ein Hotel, das ihr Bruder leitete. Charlotte befand sich zwei Stunden entfernt, und das Herbstfestival sollte dafür werben, dass Sweet Briar nicht nur als ein Urlaubsort für die Sommermonate taugte, sondern das ganze Jahr hindurch einiges zu bieten hatte – der Ball war als Belohnung für all diejenigen gedacht, die viel Arbeit in das Herbstfestival gesteckt hatten.

Joni suchte Alanas Blick und hielt diesem stand. „Er ist für die Familien von Sweet Briar“, sagte sie ruhig. „Das Jugendzentrum ist ideal, weil wir dort am meisten Platz haben.“

„Wenn du darauf bestehst, den Ball im Jugendzentrum stattfinden zu lassen, sollte das Geld aus deinem Budget kommen. Schließlich werden die Sicherheitsvorkehrungen aus dem Polizeibudget finanziert.“

„Ich verstehe.“

Alana nickte selbstgefällig. „Es freut mich, dass du mir zustimmst.“

„Ich stimme dir nicht zu. Im Gegenteil, ich finde, wir sollten von der Stadt Geld dafür bekommen, dass wir unsere Räume zur Verfügung stellen, denn wir haben Kosten für Strom und Wasser und die Haustechnik. Ich kann mich mal umhören, was Hotels dafür nehmen würden, und schicke der Stadt dann eine Rechnung.“

Alana schnappte entrüstet nach Luft. Joni unterdrückte ein zufriedenes Lächeln.

„Der Ball kommt der ganzen Stadt zugute, also bezahlen wir ihn aus unserem allgemeinen Haushalt“, entschied Lex.

Alana bedachte Joni mit einem finsteren Blick und wandte sich wieder Lex zu. Sie klimperte mit den falschen Wimpern. „Ich bin dagegen. Vielleicht gibst du mir noch Gelegenheit, dich zu überzeugen.“

„Meine Entscheidung steht. Kommen wir zum nächsten Punkt.“

Sie gingen die Tagesordnung durch, und nach dem Ende der Sitzung brachen die meisten Ratsmitglieder sofort auf, weil sie noch andere Jobs hatten. Joni wollte nicht allein mit Lex zurückbleiben und sprang vom Stuhl auf. Als ihr schwindlig und übel wurde, hielt sie sich an der Lehne fest. Sie hatte heute Morgen verschlafen und keine Zeit zum Frühstücken gehabt. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, das Plundergebäck zu verschmähen und nur einen Kaffee zu trinken.

„Alles in Ordnung?“

Die unüberhörbare Besorgnis in Lex’ Stimme ließ sie eine bissige Bemerkung herunterschlucken. Wütend zu sein, war unvernünftig. Lex und sie hatten die Nacht freiwillig miteinander verbracht. Dass er es am Morgen danach bereut hatte, machte ihn ja nicht zu einem schlechten Menschen – Gefühle folgten nun einmal keiner Logik.

„Ja.“ Sie holte tief Luft und atmete seinen verführerischen Duft ein. Lex’ Familie war mit Kosmetik reich geworden und stattete ihn stets mit einer Palette an teuren Produkten aus, daher roch er immer gut. „Ich habe nicht gefrühstückt. Sobald ich etwas gegessen habe, geht es mir besser.“

„Vielleicht brauchst du nur etwas Zucker.“ Er nahm einen gefüllten Donut und hielt ihn ihr hin. Ihr Magen revoltierte. Das fettige Teil war das Letzte, was ihr jetzt guttun würde.

„Nein danke. Ich esse heute Mittag etwas Richtiges.“

„Ich fahre dich.“

„Ich bin mit dem Auto hier.“

Sie wollte davongehen, aber er legte eine Hand auf ihre Schulter. Die Berührung ließ ihre Haut kribbeln. Hastig wandte sie sich ab.

„Es macht mir nichts aus. Ich habe auch noch nichts gegessen. Wir könnten zusammen frühstücken, wie früher.“

„Ich hole mir nur etwas zum Mitnehmen. Ich muss zur Arbeit.“

Lex atmete tief durch. „Joni, ich weiß, was ich getan habe, war falsch, und ich entschuldige mich noch einmal, wenn es dir hilft. Was in der Nacht passiert ist, tut mir sehr leid. Ich hätte mich beherrschen müssen. Mir fehlt unsere Freundschaft. Du fehlst mir!“

Joni hörte den Schmerz aus seiner Stimme heraus, aber sie ignorierte es. In jeder Nacht während der vergangenen Wochen hatte sie Lex’ Nähe vermisst. Doch es gab kein Zurück. Ihre Freundschaft war an einem wolkigen Sonntagvormittag zu Ende gegangen. Sie konnte nicht so tun, als hätte es die Nacht nicht gegeben oder diese als einen bedeutungslosen One-Night-Stand abtun. So war sie nun einmal nicht drauf. Und jedes Mal, wenn er sich dafür entschuldigte, wuchs der Schmerz in ihrem Herzen.

Zum Glück brauchte sie Lex nicht zu antworten, denn Alana kam auf sie beide zu. Joni bezweifelte, dass die Frau mit ihr reden wollte, sodass sie nach ihrer Handtasche griff. „Da wartet jemand auf dich. Vielleicht kann sie deine neue beste Freundin werden.“

Bevor sie sich umdrehte, registrierte Joni die Verärgerung, die sich in Lex’ Miene widerspiegelte. Sie wusste nicht, ob sie ihr oder Alana galt – vielleicht beiden.

„Wir sind noch nicht fertig, Joni. Ich komme nachher bei dir vorbei.“

Joni öffnete die Tür und sah über die Schulter. „Nachher bin ich beschäftigt.“

Als er einen Schritt in ihre Richtung machte, ging sie schnell hinaus. Diese Runde hatte sie gewonnen, aber sie wusste, dass Lex nicht so schnell aufgab. Doch jetzt musste sie tatsächlich erst einmal etwas essen. Hoffentlich konnte sie es diesmal bei sich behalten.

Joni arbeitete gern im Jugendzentrum. Auch als Leiterin nahm sie sich jeden Tag ein paar Stunden Zeit, um mit den kleinen Besucherinnen und Besuchern zu spielen und mit den Älteren zu quatschen. Leider grassierte unter den Kids eine Magenverstimmung, und selbst einige Betreuer hatten sich bereits angesteckt.

Bis gestern Morgen hatte Joni geglaubt, dass sie verschont worden war, aber beim Aufwachen war ihr schlecht geworden. Nachdem sie trockenen Toast geknabbert und grünen Tee getrunken hatte, war es ihr schon besser gegangen. Jetzt spielte ihr Magen wieder verrückt, und statt zum Parkplatz eilte sie zum WC. Sie schaffte es gerade noch in eine Kabine, bevor sie sich übergeben musste.

Danach legte sie die Stirn an die Tür und wartete, bis ihr Bauch sich beruhigte. Sie wusch sich die Hände, spritzte sich Wasser ins Gesicht und spülte sich den Mund aus. Sie schaute in den Spiegel und wühlte in ihrer Handtasche nach einem Lippenstift, um ihrem blassen Gesicht etwas Farbe zu verleihen. Sie fand keinen und begnügte sich mit einem Pfefferminzbonbon.

Auf dem Weg zum Wagen hoffte sie inständig, dass es wirklich nur ein Virus war. An eine andere Möglichkeit wollte sie nicht denken.

Lex sah Joni nach, als sie aus dem Besprechungsraum flüchtete, schluckte Enttäuschung und Verärgerung herunter und drehte sich zu Alana um. Sie saß noch nicht lange im Stadtrat, und er hatte gehofft, dass sie wie die anderen neuen Mitglieder etwas frischen Wind in die Kommunalpolitik bringen würde. Leider hatte sie bereits bewiesen, dass sie seine Visionen für Sweet Briar nicht teilte, sondern vor allem an ihren eigenen Vorteil dachte. Lex hatte überhaupt nichts gegen Leute, die Geld verdienen wollten, aber es war ein Unterschied, ob man es als Unternehmerin tat oder ein politisches Amt dazu benutzte, um sich an Steuergeldern zu bereichern.

„Was kann ich für dich tun?“, fragte Lex mit neutraler Stimme.

„Lass mich dich zum Frühstück einladen. Ich möchte dich überreden, den Ball in das Hotel in Charlotte zu verlegen. Mein Bruder macht uns bestimmt ein sehr gutes Angebot.“

„Danke für die Einladung, aber ich muss ablehnen. Und was den Ort des Balls angeht, hat der Stadtrat bereits entschieden.“

Sie legte eine Hand auf seinen Arm. „Ich kann sehr überzeugend sein.“

Er machte zwei Schritte von ihr weg. „Ich mache keine Hinterzimmerdeals, sondern respektiere die Beschlüsse meines Rats.“

Ihr Lächeln verblasste. „Ich möchte doch nur sicherstellen, dass du alle Fakten kennst.“

„Die hast du in der Sitzung bereits präsentiert. Falls es mehr gibt, hättest du sie dort ansprechen sollen. Wenn sonst nichts mehr ansteht, muss ich jetzt zurück an die Arbeit.“ Er zeigte zur Tür. Alana schnaubte dezent, hängte sich die Designerhandtasche um die Schulter und stürmte hinaus. Er bezweifelte allerdings, dass sie sich mit seiner Antwort abfinden würde – und wenn schon, dachte er. Ich bin immun gegen alles, was sie zu bieten hat.

Er räumte den Tisch ab, goss sich den restlichen Kaffee ein und kehrte in sein Büro zurück.

Mrs. Harper saß schon an ihrem Schreibtisch. Sie hob den Blick von der Tastatur und lächelte ihm entgegen. „Ich habe gesehen, wie Mrs. Kane hinausgestürmt ist. Sie sah ja nicht sehr zufrieden aus.“

Denise Harper durchschaute die Menschen sofort und ließ sich nichts vormachen. Außerdem war sie äußerst diskret, und Lex konnte sich darauf verlassen, dass sie ihre Gespräche für sich behielt.

„Ganz im Gegenteil“, bestätigte er. „In Charlotte kann sie Leute vielleicht um den kleinen Finger wickeln, aber bei mir beißt sie auf Granit. Offenbar schätzt sie die Intelligenz von Kleinstädtern falsch ein.“

„Auf jeden Fall die Intelligenz von Kleinstadtbürgermeistern.“

Er nickte. „Das wird sie schon bald merken.“

„Joni hatte es auch eilig.“

Lex sah seine Sekretärin an. „Was hat sie für einen Eindruck auf Sie gemacht?“

Sie ließ sich mit der Antwort Zeit. „Irgendetwas stimmt mit ihr nicht. Sie war anders als sonst. Oder sie ist einfach nur müde. Wir haben heute ziemlich früh losgelegt.“

„Ja, kann sein.“ Lex war Frühaufsteher, aber er wusste, dass Joni den Tag lieber langsam angehen ließ. Nachdenklich verschwand er in seinem Büro. Er und Charlotte Tyler, die für die Wirtschaftsförderung zuständig war, arbeiteten daran, mehr Betriebe nach Sweet Briar zu locken. Er wollte sich am Nachmittag mit ihr zusammensetzen, deshalb ging er die Informationen durch, die sie ihm zur Vorbereitung geschickt hatte, und notierte sich Fragen.

Anschließend schnappte er sich sein Handy, winkte Mrs. Harper zu und eilte hinaus, um durch die Stadt zu gehen und mit den Bürgern locker ins Gespräch zu kommen. Nach einer Weile blieb er stehen, um mit einigen Männern zu plaudern, die vor einem Friseurgeschäft Dame spielten. Alle waren Rentner und liebten es, sich an schönen Tagen zu treffen. Angeblich verstanden sie sich als freiwillige Ordnungshüter und behielten die Stadt im Auge, aber Lex wusste, dass sie sich in Wirklichkeit nur zu Hause langweilten und gern Klatsch austauschten. Danach betrat er einige Geschäfte, sprach mit den Inhabern und Kunden und machte sich schließlich auf den Weg zu Marbel’s Diner.

Da er länger als geplant mit den Leuten gesprochen hatte, war der mittägliche Andrang schon vorbei, und nur wenige Tische waren besetzt.

Marla, eine langjährige Kellnerin, lächelte ihm zu. „Wir sind gleich bei Ihnen, Bürgermeister.“

Bevor er antworten konnte, dass er sich etwas mitnehmen wollte, läutete die Glocke über der Tür. Er schaute über die Schulter und freute sich, Joni zu sehen. Erst als sie Platz genommen hatte, hob sie den Kopf und bemerkte ihn. Sie erstarrte kurz und blickte wieder weg. Als sie beide noch gute Freunde gewesen waren, hätte er keine Sekunde gezögert, sich zu ihr zu setzen. Jetzt brauchte er einen Moment, bevor er hinüberging. „Darf ich?“

Sie nickte, und er nahm ihr gegenüber in der Nische Platz. Sie überflog die Speisekarte, obwohl es im Diner immer die gleichen Gerichte gab. Offenbar lag Joni nichts daran, sich mit ihm zu unterhalten.

Marlas Kollegin Peggy erschien mit dem Bestellblock in der Hand. „Euch beide habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Was kann ich für euch tun?“

Joni legte die Karte hin. „Ein halbes Truthahnsandwich, eine Hühnersuppe und ein Glas Ginger Ale.“

Das war neu. Meistens nahm sie einen Burger mit Pommes frites. Und sie hatte ihm einmal erzählt, dass sie als kleines Mädchen immer Ginger Ale trinken musste, wenn ihr übel war. Er bestellte das Übliche und musterte Joni unauffällig.

Sie war die hübscheste Frau, die er jemals gesehen hatte – dunkelbraune Augen, hohe Wangenknochen, schwarze Haut und das Gesicht eines Engels. Heute trug sie das schwarze wellige Haar offen. Sie besaß die Figur eines Models und bewegte sich mit der Anmut einer Ballerina.

Manchmal raubte ihr Anblick ihm den Atem, zuletzt vor sechs Wochen, als sie ihr Brautjungfernkleid getragen hatte. Und an jenem Abend hatte er die Kontrolle über sich verloren und etwas getan, das er zutiefst bereute. Er hatte mit ihr geschlafen, aber das Schlimmste war, mit dieser einen Nacht ihre innige Freundschaft zerstört zu haben. Er hatte sich sofort entschuldigt, aber der Schaden ließ sich nicht rückgängig machen.

Jetzt funkelten Jonis Augen nicht so wie sonst. Vielleicht betrübte sie die Kündigung ihrer Seelenverwandtschaft so sehr wie ihn. Auch er schlief schlecht und wälzte sich rastlos im Bett herum.

„Wie läuft es im Jugendzentrum?“, fragte er.

Sie sah ihn endlich an. „Jetzt, da die Schule aus ist, platzen wir aus allen Nähten. Nicht, dass ich mich beschwere. Besser, die Kids sind bei uns als sich selbst überlassen. Ich habe mir für den Sommer einiges ausgedacht.“

„Zum Beispiel?“

Sie erzählte, was sie alles vorhatte, und ließ wieder die Joni hervorblitzen, die er so gut kannte. Damals, vor fünf Jahren hatten sie sich beide auf Anhieb verstanden und waren schon bald die besten Freunde geworden, die fast ihre ganze Freizeit zusammen verbrachten. Jetzt war sie ihm böse, und selbst nach sechs Wochen staunte er noch immer darüber, wie sehr ihm der Austausch mit ihr fehlte.

Beim Essen registrierte Lex erleichtert, dass die Farbe in Jonis Gesicht zurückkehrte. Vielleicht war Ginger Ale ja doch mehr als ein Erfrischungsgetränk. Lex machte sich nicht vor, dass alles wieder in Ordnung war. Dazu brauchte es mehr als ein gemeinsames Mittagessen. Immerhin war er fest entschlossen, ihre Freundschaft zu retten.

2. KAPITEL

„Was machst du am Freitag?“

Joni nahm den letzten Schluck Ginger Ale und stellte das leere Glas auf den Tisch. Sie hatte alles aufgegessen, und ihr Magen schien wieder normal zu funktionieren. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich in Lex’ Gegenwart wieder wohl. Es war, als hätte es die gemeinsame Nacht und den peinlichen Morgen danach nicht gegeben. Leider gab es für sie und Lex kein Zurück. Dazu war ihre Freundschaft zu beschädigt.

Wieder hatte ein Mann alles genommen, was sie ihm geben konnte – um sie dann zurückzuweisen. Natürlich war Lex nicht so grausam gewesen wie Darrin, der den Verlobungsring von ihr zurückgefordert und ihr erklärt hatte, dass er hinter ihrem Rücken ein Verhältnis mit einer ihrer Studienfreundinnen angefangen hatte und diese jetzt heiraten wolle.

Lex hatte nur gesagt, dass es ein Fehler gewesen war, mit Joni zu schlafen – ein Fehler, der sich nicht wiederholen würde. Er musste doch wissen, wie weh er ihr mit diesen Worten getan hatte. Sie waren lange genug miteinander befreundet, um verstehen zu müssen, dass sie Sex nicht auf die leichte Schulter nahm. Dass sie niemals mit ihm geschlafen hätte, wenn er ihr nicht viel bedeutet hätte.

Und jetzt sah er sie mit seinen ausdrucksvollen braunen Augen an, als würde er darauf warten, dass sie einfach vergaß, was passiert war und so weitermachte wie davor. Offenbar hatte er keine Ahnung, wie sehr er ihre Gefühle verletzt hatte.

„Am Freitag habe ich schon etwas vor“, antwortete sie.

Die Enttäuschung ließ sein Lächeln samt den süßen Grübchen verschwinden und versetzte ihr einen Stich, aber sie würde nicht schwach werden.

Lex nickte Peggy zu. Als sie die Rechnungen brachte, bezahlte er beide, bevor Joni es verhindern konnte. „Der Rest ist für Sie.“

Die Kellnerin strahlte. „Danke, Bürgermeister. Ich wünsche Ihnen beiden einen schönen Tag.“

„Ich kann mein Essen selbst bezahlen“, sagte Joni beim Aufstehen.

„Nächstes Mal. Ich muss jetzt zu einer Besprechung. Wir sehen uns später.“

Sie blickte ihm nach. Anschauen ist erlaubt, mehr nicht. Auf dem Weg zum Jugendzentrum ging Joni bei Louanne’s Homemade Candy vorbei und kaufte je ein Pfund mit Schokolade überzogene Mandeln und Brezeln, mit denen sie sich trösten wollte, wenn sie wieder allein zu Hause war.

Am Jugendzentrum angekommen, fiel ihr Blick auf das farbenfrohe Bild, das ihre gute Freundin Carmen Knight entworfen und zusammen mit Jugendlichen und Mitarbeitern an die Fassade gesprayt hatte. Es erinnerte sie daran, wir stolz sie auf ihre Arbeit sein konnte. Sie hatte als Sozialarbeiterin in Chicago gearbeitet und wusste, was ihre Schützlinge brauchten. Deshalb hatte sie aus dem grauen, wenig einladenden Gemäuer einen lebendigen Treffpunkt gemacht.

Sie deponierte ihre Tasche im Büro und begann mit ihrer täglichen Runde. Im Kunstraum traf sie auf Carmen, die nicht mehr so viel Zeit hier verbrachte, seit sie Mutter von Zwillingen war.

„Wie geht es meinen Patensöhnen?“

Carmen hatte Trent geheiratet, einen verwitweten Vater von zwei Töchtern, und sie hatten zusammen die Zwillinge bekommen.

„Die sind mit den anderen im Spielzimmer und würden sich bestimmt freuen, wenn ihre Patentante sie mal wieder fest drückt.“

„Das mache ich gern.“ Joni liebte Carmens Kinder, aber seit einiger Zeit regte sich in ihr der Wunsch nach einem eigenen Baby, wenn sie mit ihnen zusammen war. Dazu brauchte sie natürlich einen Mann, und in der Hinsicht stimmte ihre Vergangenheit sie nicht gerade zuversichtlich.

„Was meinst du?“

Joni sah Carmen an. „Entschuldige. Was hast du gerade gesagt?“

„Ich habe dich zum Abendessen eingeladen.“

„Ich komme gern. Sag einfach, wann. Jetzt lass uns die Tische aufräumen.“ Sie schaute sich um. Die Arbeit war längst erledigt. Seit wann träumte sie vor sich hin? Ihr Blick fiel auf den Schwamm in ihrer Hand. Er tropfte auf die Tischfläche.

„Du wirkst irgendwie abwesend“, sagte Carmen.

Hastig beseitigte Joni die Wasserlache. „Mir geht nur etwas durch den Kopf.“

„Ich höre gern zu.“

„Danke.“ Joni drehte sich zur Tür.

„Können wir jetzt hereinkommen?“, fragte ein kleines Mädchen.

„Natürlich“, erwiderte Carmen.

Gerettet. Joni begrüßte die Kinder und eilte hinaus. Sie wusste, dass Carmen ihr besorgt nachsah, aber das ließ sich nicht ändern.

Lex schloss die Wagentür und winkte einer Familie zu, die vom Parkplatz des Jugendzentrums fuhr. Es war erst drei Tage her, dass er Joni gesehen hatte, aber es kam ihm viel länger vor.

Im Zentrum waren die meisten Kinder abgeholt worden, und langsam kehrte Ruhe ein. Auf ihn wartete allerdings eine Gruppe Teenager, mit denen er regelmäßig Basketball spielte und anschließend Pizza aß. Damit hatte er vor einigen Jahren angefangen, um mit ihnen eine bessere Beziehung aufzubauen, als sein Vorgänger im Bürgermeisteramt sie gehabt hatte. Als Oberhaupt der Kleinstadt war Lex jeder und jede in Sweet Briar wichtig, von der betagtesten Seniorin bis zum jüngsten Baby.

An diesem Donnerstagabend war er dankbar für jede Ablenkung. Mehrmals hatte er zu seinem Handy gegriffen, um Joni anzurufen, und sogar überlegt, ob er einfach bei ihr vorbeifahren sollte. Er hatte beides gelassen. Wenn sie Zeit brauchte, würde er sie ihr geben, auch Distanz. Aber wann würde der Abstand zu einem unüberbrückbaren Abgrund werden? Er hatte sich schon einmal verschätzt, und es hatte ihn seine Ehe gekostet.

Nach dem plötzlichen Tod ihrer kleinen Tochter hatte er seiner Frau die Zeit gegeben, um die sie ihn gebeten hatte. Trotz seiner eigenen Trauer hatte er versucht, Caroline zu trösten. Aber egal, was er tat, er war nicht an sie herangekommen. Sie errichtete Mauern um sich, und er war so dumm gewesen, diese stehen zu lassen. Er vergrub sich in die Arbeit im Kosmetikunternehmen seiner Familie und war viel unterwegs. Eines Tages war er von einer Geschäftsreise zurückgekehrt, und sie hatte ihm erklärt, dass sie ihn nicht mehr liebte und sich scheiden lassen wollte. Seine Liebe zu ihr war so stark gewesen, dass er nicht um sie gekämpft, sondern sie freigegeben hatte, damit sie ohne ihn glücklich werden konnte.

Ein paar Monate später war er nach Sweet Briar gezogen. Dort war er Jahre zuvor einmal gewesen und hatte die freundlichen Menschen nicht vergessen. Obwohl die kleine Stadt unter einem wirtschaftlichen Niedergang litt, hießen sie ihn willkommen. Mit seiner Erfahrung half er den Geschäftsleuten, die Krise zu überleben. Es erforderte viel Arbeit und Engagement, aber Sweet Briar entwickelte sich wieder zu einer blühenden Gemeinde. Dass er vor einem Jahr zum Bürgermeister gewählt worden war, hatte niemanden überrascht.

Leider verlief sein Privatleben nicht so erfolgreich.

Kopfschüttelnd vertrieb er den deprimierenden Gedanken und machte sich auf den Weg zur Sporthalle. Kurz bevor er dort ankam, sah er Joni zum Waschraum eilen. Sofort erinnerte er sich daran, wie schlecht sie bei ihrer letzten Begegnung ausgesehen hatte. Er machte kehrt und wartete vor der Tür – vielleicht brauchte sie jemanden, der sie nach Hause fuhr. Plötzlich hörte er, wie sie sich übergab, gefolgt von langer Stille. Bevor er klopfen konnte, ging die Tür auf.

„Lex. Was tust du hier?“

„Ich habe auf dich gewartet.“

„Warum?“ Sie verschränkte die Arme. Sie war leicht grün im Gesicht und lutschte ein Pfefferminzbonbon, als hinge ihr Leben davon ab.

„Ich habe dich gesehen und habe mir Sorgen gemacht.“

„Mir geht es gut. Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich jetzt nach Hause. Es war ein langer Tag.“

Sofort machte er den Weg frei. Sie wollte ihm nicht erzählen, was mit ihr los war, und anders als früher lud sie ihn auch nicht ein, nach dem Basketball bei ihr vorbeizukommen. „Ich wünsche dir einen schönen Abend.“

Sie nickte nur.

Er sah ihr nach. „Ich bin hier, falls du mich brauchst, Joni.“

„Werde ich nicht.“

Er ging zur Sporthalle. Die Jungs machten sich schon warm, und auf der Tribüne saßen ein paar Mädchen.

„Hey, ich dachte schon, du kneifst heute!“, begrüßte ihn Trent Knight, sein bester Freund und Polizeichef von Sweet Briar.

„Ich habe nur kurz mit Joni gesprochen.“

„Will sie zuschauen?“

„Nein. Sie fährt nach Hause.“ Er schaffte es, sich die Enttäuschung nicht anhören zu lassen.

„Aha, dann ziehen heute wohl nur die Teens ihre Show ab.“

„Was soll das heißen? Ich ziehe nie eine Show ab.“

„Soll das ein Witz sein?“ Rick Tyler, der Arzt der Stadt und eins der neuesten Mitglieder des Teams, gesellte sich zu ihnen. „Wenn Joni da ist, spielt unser Herr Bürgermeister, als wollte er in die NBA. Du fliegst durch die Halle, Lex, als wärst du sechzehn. Leugnen ist zwecklos, mir liegen die Unterlagen vor, die es beweisen.“

„Das war nur ein einziges Mal. Ich bin falsch gelandet und habe mir das Fußgelenk verdreht.“

„Ja, klar, weil du mit einer Hand am Korb hingst, um eine bestimmte Frau zu beeindrucken!“, warf Trent ein.

„Und vergiss nicht, wie er sich fast die Schulter ausgekugelt hat, als er deinem zukünftigen Schwiegersohn den Ball weggeschnappt hat“, sagte Rick zu Trent.

Trent hob die Hände. „Alyssa ist viel zu jung, um ans Heiraten auch nur zu denken. Egal, wen.“

Die anderen Männer lachten.

„Seid ihr so weit?“, rief Jeremy, einer der Teenager.

Lex schaute über die Schulter. „Sind wir. Macht euch auf eine krachende Niederlage bereit.“

Die Jungen brachen in fröhliches Gelächter aus. Obwohl alle nur aus Spaß spielten, gewannen sie meistens mit zweistelligem Vorsprung.

An diesem Abend waren sie zu acht, die Erwachsenen zu neunt. Trotzdem machte Lex sich keine Hoffnungen auf einen Sieg – nicht angesichts der hübschen Mädchen, die ihre Gegner zusätzlich anfeuerten.

Bei Halbzeit lag Lex’ Team zwölf Punkte zurück. Während seine Mitspieler Fitnessdrinks herunterkippten, alberten die Teenager herum oder flirteten mit den Mädchen.

„Was ist mit Joni los?“, fragte Trent leise.

„Was meinst du?“

„Carmen hat erzählt, dass Joni sich in letzter Zeit etwas seltsam benimmt.“

„Inwiefern?“

„Das hat sie mir nicht gesagt. Ich habe mich vorhin mit Joni unterhalten, und sie schien ein wenig neben der Spur zu sein. Vielleicht war sie auch nur müde.“ Trent zuckte mit den Schultern. „Vielleicht klingt es verrückt, aber sie hat mich an Carmen erinnert, als sie schwanger war. Nicht ganz bei der Sache und etwas emotional. Allerdings hat sie hier viel um die Ohren. Vergiss einfach, was ich gesagt habe, okay?“

Leichter gesagt als getan, dachte Lex. Ein Pfiff ertönte. Die Halbzeit war vorüber. Trents Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Konnte Joni schwanger sein? Es gab nur einen Weg, es herauszufinden. Er musste sie fragen. Sicher, er hatte versprochen, sie nicht zu bedrängen, aber er brauchte eine Antwort auf die Frage, ob sie ein Baby bekam. Sonst würde er noch den Verstand verlieren.

Joni warf den Schwangerschaftstest in den Mülleimer und setzte sich auf den Rand der Badewanne. Positiv. So lange wie möglich hatte sie sich dagegen gewehrt, an diese Möglichkeit zu denken. Aber nach drei Tagen Übelkeit hatte sie bei Walmart draußen am Highway Schwangerschaftstests gekauft, von jeder angebotenen Marke einen. Kein einziger war negativ ausgefallen.

Was sollte sie jetzt tun? In weniger als acht Monaten würde sie einen Sohn oder eine Tochter zur Welt bringen. Die Vorstellung machte ihr Angst, erfüllte sie aber zugleich mit Freude. Sie hatte ja immer Mutter werden wollen – aber immer mit einem liebevollen Ehemann an ihrer Seite. Stattdessen war sie von einem Mann schwanger, der am Morgen danach als Erstes gesagt hatte, dass sie einen Fehler gemacht hatten.

Lex wollte ein guter Freund sein, ein Kumpel. Er wollte sie auf Abstand halten, während er mit anderen Frauen ausging. Vielleicht hatte diese schreckliche Alana Kane schon ihre Klauen nach ihm ausgestreckt.

Joni hob ihr Haar an und ließ es über die Schultern fallen. Sie musste die Entscheidung, Lex aus ihrem Leben herauszuhalten, gründlich überdenken, denn er war nicht der Typ, der sich vor der Verantwortung drückte. Und er liebte Kinder so sehr wie sie. Mehr als einmal hatte sie die Sehnsucht auf seinem Gesicht gesehen, wenn er von den kleinsten Besuchern des Jugendzentrums umgeben war. Geduldig zeigte er einem Jungen, wie man eine Krawatte band, oder erklärte ihm, woran er erkennen konnte, ob ein Mädchen ihn wirklich mochte. Lex wäre ein großartiger Vater.

Irgendwie musste sie es schaffen, ihm nicht mehr böse zu sein. Es war sinnlos, vor der Realität zu flüchten. Sie musste Lex sagen, dass sie schwanger war. Noch sah man es ihr nicht an. Und wenn sie weite Sachen anzog, blieb ihr noch länger Zeit. Und die brauchte sie. Vorläufig würde sie die Schwangerschaft geheimhalten. Joni wusch sich die Hände und ging in die Küche.

Als sie nach Sweet Briar gezogen war, hatte sie sich ein Haus mit ihrem Bruder Brandon geteilt. Er war ein begnadeter Koch und besaß das beste Restaurant weit und breit. Als er sich in eine seiner Kellnerinnen verliebt und sie geheiratet hatte, war Joni in die Wohnung über der Garage gezogen. Sie fühlte sich dort wohl, aber für sich und das Baby brauchte sie etwas Größeres.

Sie wärmte gerade das Essen auf, das sie aus Brandons Restaurant mitgenommen hatte, als jemand an ihre Tür klopfte. Seufzend blickte sie durch den Spion.

Lex. Ihr Herz klopfte. Sollte sie so tun, als wäre sie nicht da?

„Ich kann dich hören!“, rief er.

Sie öffnete. Er trug ein dunkelblaues T-Shirt und graue Basketballshorts. Offenbar war er direkt von der Sporthalle hergekommen.

„Was willst du?“

„Reden.“

„Worüber?“

„Über uns.“

„Es gibt kein uns.“ Sie wollte die Tür wieder schließen, aber er ließ es nicht zu.

„Bist du schwanger?“

3. KAPITEL

Joni wurde blass, und Lex hätte sich am liebsten einen Tritt versetzt. Er hatte nicht mit der Frage herausplatzen wollen, aber als sich die Tür vor seiner Nase zu schließen drohte, war er in Panik geraten. Vorsichtig berührte er Joni an der Schulter. „Ich wollte dich nicht überfallen, aber ich muss dich das fragen. Bist du schwanger?“

Joni öffnete die Tür weiter. „Komm herein.“

Lex ging hinein und setzte sich aufs Sofa. Er spürte, wie sich seine Anspannung etwas legte. Hier hatte er so viele schöne Stunden verbracht, dass er das Gefühl hatte, nach Hause zu kommen.

Joni nahm ihm gegenüber Platz, und wie von selbst fiel sein Blick auf ihren Bauch. Der war so flach wie immer, aber nach sechs Wochen musste man ihr noch nichts ansehen.

Sie legte die Fingerspitzen aneinander – ein Zeichen dafür, wie nervös auch sie war. „Ich habe den Test erst vor kurzer Zeit gemacht.“

„Und?“

Sie schaute ihm in die Augen. „Ja. Ich bin schwanger“, flüsterte sie. Ihre Stimme zitterte.

Sein Herz klopfte schneller. Joni war schwanger. Sie hatten zusammen ein Kind gezeugt. Als vor Jahren sein kleines Mädchen geboren worden war, war er außer sich vor Glück gewesen. Und dann, im Alter von vier Wochen und drei Tagen, war Briana gestorben, und er selbst hatte nicht weiterleben wollen. Ein Vater sollte sein Kind beschützen, und er hatte versagt. Nach dem Tod seiner Tochter hatte er sein Herz mit Panzerketten verhängt. Nie wieder wollte er eine Frau schwängern, aber vor ein paar Wochen hatte er nicht aufgepasst, und prompt war Joni schwanger.

„Sag etwas.“ Joni klang verzweifelt.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, gestand er. Gegen seinen Willen regte sich in ihm so etwas wie ein Gefühl der Hoffnung. Er bekam eine zweite Chance. Diesmal würde er besser auf sein Kind achtgeben. Obwohl die Ärzte ihm und Caroline versichert hatten, dass sie Brianas Tod nicht hätten verhindern können, wurde er das entsetzliche Schuldgefühl nicht los.

„Ich behalte es.“

Plötzlich wurde ihm bewusst, wie sehr er dieses Baby wollte. „Ich hoffe, du weißt, dass ich niemals versuchen würde, dich davon abzubringen.“

Joni atmete auf. Hatte sie mit einer anderen Antwort gerechnet?

„Das wollte ich nur von Anfang an klarstellen. Und du sollst auch wissen, dass ich nicht absichtlich schwanger geworden bin.“

„Das weiß ich, Joni. Ich war dabei.“ Er erinnerte sich an jede herrliche Sekunde. Es war eine der schönsten Nächte seines Lebens gewesen. Trotzdem hätte er sich nicht darauf einlassen sollen, auf der Hochzeit ihrer Freundin so zu tun, als wären Joni und er ein Liebespaar. Die Küsse und Zärtlichkeiten hatten ihm diese Situation eingebrockt. Joni sprach kaum noch mit ihm, weil er ihre Freundschaft verraten hatte.

Nach dem Scheitern seiner Ehe hatte er keine Frau an sich herangelassen und sein Herz in Watte gepackt. Natürlich hatte er nicht wie ein Mönch gelebt, wahrlich nicht, aber jede Frau hatte gewusst, dass ihre Beziehung nicht von Dauer sein würde. Die Frauen waren damit einverstanden gewesen, denn sie hatten nicht mehr gewollt als er.

Aber Joni war anders. Das hatte er gleich gespürt. Sie wollte alles – eine Ehe, einen Mann und Kinder, eine Liebe, wie ihre Eltern sie gehabt hatten. Und genau das hatte sie verdient. Sie beide waren oft darüber in Diskussionen geraten, und er hatte sogar daran gedacht, sie mit einem seiner jüngeren Brüder bekanntzumachen. Irgendwie war er nie dazu gekommen. Und jetzt war es dafür sowieso zu spät.

Jetzt war es endgültig unmöglich, so zu tun, als wäre nichts passiert.

„Was willst du jetzt tun?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich dachte immer, ich bin verheiratet, wenn ich ein Baby bekomme. Ganz altmodisch. Und als Leiterin des Jugendzentrums sollte ich ein Vorbild für die jüngere Generation sein.“

„Du machst einen fantastischen Job.“

„Indem ich nach einem One-Night-Stand schwanger bin?“

Ihre Worte trafen ihn wie ein Faustschlag. „Unsere gemeinsame Nacht war nicht geplant und wird sich nicht wiederholen, aber sie war ganz bestimmt kein One-Night-Stand.“

„Wie würdest du sie denn nennen? Außer einen Fehler, meine ich.“

„Zwei gute Freunde, die ein Liebespaar gespielt und es übertrieben haben?“

Sie schüttelte den Kopf und lachte. doch es klang nicht freudig. Es dauerte einen Moment, bis er sah, dass sie weinte. Er sprang auf und kniete sich vor sie hin. Er nahm ihr Gesicht zwischen die Hände, bis sie ihm in die Augen schaute. „Alles wird gut“, sagte er. „Ich verspreche es.“

„Nein, wird es nicht.“

„Das kommt dir nur so vor, weil du unter Schock stehst. Wir müssen beide damit fertigwerden. Aber wir schaffen es. Zusammen.“

„Ich kann nicht.“

„Was kannst du nicht?“

„Es mit dir zusammen schaffen. Nicht das hier, nicht jetzt.“

„Warum nicht?“

„Weil ich … dich nicht mehr mag.“

„Ich verstehe.“

Wortlos sah Joni ihm nach, als er aufstand und zur Tür ging. Er öffnete sie aber nicht, sondern lehnte sich gegen die Wand, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie riss den Blick von seinem athletischen Körper los.

„Ich bin nur ehrlich, Lex. Ich kann nicht so weitermachen, als hätte es die Nacht im Hotel nie gegeben.“

„Ich werde mein Kind nicht einfach im Stich lassen.“ Er zögerte. „Wollen wir uns morgen zum Lunch treffen? Dann sehen wir klarer.“

„Das halte ich für keine gute Idee. Ich brauche Zeit und etwas Abstand.“

„Ich verlange nicht, dass du bei mir einziehst, Joni. Ich bitte dich nur, dich mit mir zum Essen zu treffen und zu reden. Jetzt, da du schwanger bist, solltest du keine Mahlzeit auslassen.“

„Ich kann immer zu Brandon und Arden gehen. Mein Bruder ist Koch, weißt du.“

Lex zog eine Augenbraue hoch. Er sagte nichts, aber das musste er auch nicht. Sie beiden kannten sich gut genug. Er wusste, dass sie in der Wohnung über der Garage ihres Bruders und ihrer Schwägerin wohnte, die beiden aber ungern störte. Schließlich waren sie frisch verheiratet.

Joni seufzte. „Okay. Lass uns in den Diner gehen.“

„Übliche Zeit?“

Sie stand auf. Er legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an, bis ihre Blicke sich trafen. Die Wärme, die sie in seinem Blick sah, überraschte sie nicht. Lex war immer ein fürsorglicher Mensch gewesen. Was sie dagegen erstaunte, war das Verlangen, das sie plötzlich durchzuckte.

Sie hatte immer gewusst, dass Lex einen unwiderstehlichen Charme besaß, sich selbst aber immer für immun dagegen gehalten. Wie oft hatten sie auf dem Sofa gesessen, mit ihren Füßen auf seinem Schoß? Wie oft hatte er den Arm um ihre Schulter gelegt und sie an sich gezogen? Nie war so etwas wie ein Funke übergesprungen. Jetzt reichte eine leichte Berührung aus.

„Wir sehen uns morgen.“

„Okay.“ Sie hasste es, wie atemlos sie klang. „Gibt es noch etwas?“

„Hast du gegessen?“

„Ich habe mir aus dem Heaven on Earth etwas mitgenommen.“

Er nickte zufrieden. „Na gut. Schlaf schön.“

Sie schaute ihm nach, bis er in seinen Wagen stieg und davonfuhr. Sie schloss die Tür, lehnte sich dagegen und atmete auf. Sie war froh, dass sie es ihm erzählt hatte. Lex und sie waren immer ehrlich zueinander gewesen. Gut, dass wenigstens das sich noch wie früher verhielt.

Sie machte das Essen warm, schmiegte sich aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein. Aber anstatt sich abzulenken, dachte sie darüber nach, wie ihr Leben ab jetzt aussehen würde. Ob es ihr nun passte oder nicht, Lex gehörte wieder dazu.

Joni schaute in den Spiegel und seufzte. Sie sah schrecklich aus. An diesem Morgen war ihr so schlecht gewesen, dass sie am liebsten im Bett geblieben wäre. Nachdem sie sich übergeben hatte, hatte es einen Moment gedauert, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen konnte. Sie war bestimmt nicht die einzige Frau, die unter Morgenübelkeit litt, und es musste einen Weg geben, diese zu überlisten. Sie duschte, aß eine trockene Scheibe Toast und zog khakifarbene Shorts und ein rotes Top an, das leider nicht über ihre ungesunde Gesichtsfarbe hinwegzutäuschen vermochte.

Weil sie keine neugierigen Fragen provozieren wollte, legte sie Rouge und Lippenstift auf und verstaute beides in ihrer Handtasche, um sich notfalls nachschminken zu können. Auf dem Weg zum Wagen hörte sie lautes Lachen aus der Küche ihres Bruders kommen und lächelte. Brandon und Arden alberten herum, während sie zusammen das Frühstück zubereiteten. Joni missgönnte ihnen ihr Glück keineswegs, aber sie hätte gern selbst eine ordentliche Portion davon gehabt.

Im Jugendzentrum marschierte sie direkt in die Sporthalle, denn dort versammelten sich an jedem Morgen die Kinder und die Mitarbeiter, um die Aktivitäten des Tages zu besprechen. Meistens nahm Joni an einigen Angeboten teil, aber heute nahm sie Rücksicht auf ihren Magen und verschwand in ihrem Büro.

Während sie Anträge auf Zuschüsse schrieb, knabberte sie an Salzgebäck. Als es Mittag wurde, fühlte sie sich schon besser und freute sich darauf, Lex wiederzusehen. Sie frischte ihr Make-up auf, bevor sie zum Diner fuhr.

Sie fand einen Parkplatz direkt davor und eilte hinein. Obwohl es noch nicht mal halb zwölf war, saßen an den meisten Tischen Leute. Joni nickte den Gästen zu, die sie kannte, und ging zu Tiffany, die ihr vom Empfang zulächelte.

„Ich bin mit dem Bürgermeister verabredet. Ist er schon hier?“

Tiffany nickte. „Er sitzt hinten.“

Joni schaute über ihre Schulter. „Ah, ich sehe ihn.“

„Lass es dir schmecken, Joni.“

Normalerweise saß Lex viel weiter vorn, damit die Leute einfacher mit ihm reden konnten. Heute wollten sie beide sich ungestört miteinander unterhalten, deshalb war sie froh, dass er eine eingeschränkt einsehbare Nische gewählt hatte.

Er saß allein am Tisch und sprang sofort auf, als er sie entdeckte.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er leise, als sie saßen.

Als Vater ihres Babys hatte er ein berechtigtes Interesse an ihrem Zustand. „Ich musste mich vorhin übergeben.“

„Geht es dir jetzt besser?“

„Etwas. Ich habe den ganzen Vormittag Cracker gegessen.“

Brad, ein Teenager, der fast jeden Abend ins Jugendzentrum kam, trat an ihren Tisch.

„Was kann ich für Sie tun?“

„Joni möchte einen koffeinfreien Tee“, sagte Lex und sah sie an. „Der beruhigt deinen Magen.“

„Okay. Möchten Sie jetzt etwas zu essen bestellen?“

„Sobald der Tee da ist“, erwiderte Lex.

Kaum hatte Brad sich umgedreht, verpasste sie Lex einen kräftigen Tritt.

Er zuckte zusammen. „Was soll das?“

„Musstest du der ganzen Stadt mitteilen, dass ich schwanger bin?“, flüsterte sie empört.

„Indem ich dir einen Tee bestellt habe?!“

So begriffsstutzig konnte er nicht sein. „Indem du das mit meinem Magen gesagt hast.“

Lex schüttelte den Kopf. „Das heißt doch nicht, dass du schwanger bist. Schon gar nicht für einen Teenager, der gerade erst sechzehn geworden ist. Dies ist sein erster Tag im ersten Job, hat er mir erzählt. Glaub mir, Brad ist so nervös, dass er sich außer der Bestellung nichts merkt. Also entspann dich, okay?“

Joni nickte verlegen. „Tut mir leid, dass ich dich getreten habe.“

Lex lachte. „Nein, tut es nicht.“

Sie lachte mit. „Okay, dann tut es mir leid, dass es mir nicht leid tut.“

„Wenn das eine Entschuldigung sein soll, nehme ich sie an.“

Brad servierte ihren Tee und verschüttete ihn dabei fast. „Entschuldigung, Miss Joni. Heute ist mein erster Tag.“

Joni lächelte ihm zu. „Kein Problem.“

„Ich kann Ihnen die Specials nennen“, bot Brad an, bevor er stolz aufsagte, was er auswendig gelernt hatte. Obwohl Joni und Lex die Gerichte vermutlich besser kannten als Brad, unterbrachen sie ihn nicht. Einen Moment lang stellte Joni sich ihr Kind als Teenager vor.

Joni sah ihm nach, als er in Richtung der Küche verschwand. Ihr Geheimnis war bei dem Jungen sicher. Vorläufig. Sie warf Lex einen Blick zu. „Ich möchte es noch niemandem erzählen.“

„Nicht mal Brandon oder deinen Eltern?“

„Vor allem denen nicht.“

Er legte seine Hand auf ihre. „Sie lieben dich, Joni.“

„Ich weiß. Aber ich muss erst einmal selbst mit allem fertigwerden.“

„Okay, dann erzähle ich es meiner Familie auch noch nicht.“

Joni zögerte, die Tasse auf halbem Weg zum Mund. Warum war sie nicht selbst auf die Idee gekommen, dass Lex seiner Familie von dem Baby erzählen könnte? Sie war seinen Eltern und Brüdern oft begegnet und mochte sie. Es waren offene und warmherzige Menschen, die ihr Kind herzlich willkommen heißen würden.

Eine Minute lang sagte keiner von ihnen etwas, und als Joni das Schweigen nicht mehr aushielt, rutschte sie auf ihrer Bank hin und her. Sie mussten über das Baby sprechen, aber sie wollte das Thema nicht als Erste ansprechen. Leider tat Lex es auch nicht. Er nippte an seinem Kaffee.

Kurz darauf kehrte Brad mit ihrem Essen zurück, Suppe und Sandwich für Joni, das Tagesgericht für Lex. Sehsüchtig starrte sie auf seinen Hackbraten mit Kartoffelpüree, aber ihr Magen protestierte allein bei dem Gedanken an einen Bissen davon.

Lex erzählte ihr von dem Buch, das er gerade las. Danach berichtete er vom Basketball am Abend zuvor. Obwohl die Erwachsenen alle drei Spiele verloren hatten, war er zuversichtlich, dass die Männer das bevorstehende Turnier gegen die Frauen gewinnen würde. Er lächelte. „Es sei denn, ihr schummelt wieder.“

„Wir haben nicht geschummelt“, widersprach Joni. „Alle Spielerinnen waren entweder Teenager oder ehrenamtliche Mitarbeiter.“

Zwei Jahre zuvor hatte Jonis Team sich mit Spielerinnen von der Central Carolina University verstärkt, die in ihrer Liga gerade den Meistertitel geholt hatten. Die Männer hatten keine Chance gehabt und sich ein Jahr lang den Spott der Frauen gefallen lassen müssen.

Nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass sie und Lex über alles Mögliche gesprochen hatten, aber nicht darüber, was ihr auf der Seele lag. Sie durfte nicht länger vor der Realität flüchten. „Wir haben nichts beschlossen“, sagte sie leise.

„Was hätten wir denn beschließen sollen?“

Die Frage verblüffte sie. Wusste er es wirklich nicht oder tat er nur so? „Wie wir beide mit unserer Situation umgehen“, antwortete sie.

„Was schlägst du vor?“

„Ich brauche etwas Abstand, Lex. Um mit allem fertigzuwerden.“

„Da bin ich ganz anderer Meinung. Wir sind Eltern, also sollten wir uns daran gewöhnen, mehr Zeit miteinander zu verbringen.“

„Wie schön für dich.“

„Ich will dich nicht nerven. Warum reden wir nicht ein anderes Mal darüber?“

„Es zu vertagen, ändert nichts. Ich brauche Zeit zum Nachdenken“, beharrte sie.

„Wie viel Zeit?“

„Ich weiß es nicht.“

Er seufzte. „Na gut. Aber sobald es um das Baby geht, habe ich ein Mitspracherecht.“

Das klang vernünftig. „Einverstanden.“

Brad kehrte mit der Rechnung zurück und legte sie auf den Tisch. Als Joni danach greifen wollte, kam Lex ihr zuvor. „Das übernehme ich.“

„Ich dachte, wir waren uns einig, dass ich heute dran bin.“

„Ich habe dich eingeladen.“

„Lex.“

„Es ist nur ein Mittagessen. Und angesichts der Tatsache, dass mein Kind in dir heranwächst, ist es das Mindeste, was ich tun kann.“

„Na ja, wenn du es so siehst … Ich nehme die Einladung an.“

„Das freut mich.“ Er winkte Brad an den Tisch.

Joni und Lex gingen zum Ausgang, ohne mit jemandem zu reden. An ihrem Wagen sah er sie an. „Du solltest demnächst zum Arzt gehen.“

„Ich weiß doch, aber darüber möchte ich hier und jetzt nicht sprechen.“

„Verständlich. Ich komme nachher bei dir vorbei.“ Er öffnete die Fahrertür, und sie schluckte ihren Protest herunter. Schließlich hatte sie darauf bestanden, später darüber zu reden. Das mit dem Abstand würde schwieriger werden, als sie erwartet hatte.

4. KAPITEL

Lex sah Joni nach, als sie davonfuhr, und seufzte erleichtert. Das war besser gelaufen, als er erwartet hatte. Sie waren zusammen beim Essen gewesen und hatten sich sogar unterhalten, aber ihm war nicht entgangen, dass sie ihm noch nicht verziehen hatte. Sie bedeutete ihm zu viel, um sie einfach kampflos aus seinem Leben verschwinden zu lassen.

Er wurde wieder Vater. Diesmal würde er das Kind besser beschützen.

Als ihm bewusst wurde, dass er reglos vor dem Diner stand, drehte er sich um und machte sich auf den Weg zum Rathaus. Dort sprach er kurz mit Mrs. Harper und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er hatte heute noch einiges zu erledigen, und die Arbeit erforderte seine ganze Konzentration.

Nachdem er den Haushaltsentwurf unterschrieben und das Treffen mit den Betreibern des Willow Creek Bowlingcenters bestätigt hatte, schaltete er den Computer aus und verließ das Büro.

Lex liebte seinen Beruf und war gern mit den Menschen zusammen, deren Wohl er verantwortete. Aber heute war er froh, Sweet Briar für eine Weile verlassen zu können. Die Fahrt nach Willow Creek dauert fünfundvierzig Minuten, und hoffentlich konnte er sie nutzen, um seine Gedanken zu ordnen.

Auf dem Highway erinnerte er sich daran, wie Joni beim Lunch ausgesehen hatte. Als sie den Diner betreten hatte, ließ ihn ihre ungesunde Gesichtsfarbe befürchten, dass sie sofort im Waschraum verschwinden würde. Caroline hatte während ihrer Schwangerschaft wie das blühende Leben ausgesehen und ihr war nie übel gewesen. Trotzdem war das Undenkbare geschehen. Joni ging es nicht annähernd so gut wie seiner Ex-Frau damals. Bedeutete das, dass er auch dieses Kind verlieren würde?

Die Scheidung hatte ihn hart getroffen, aber Briana zu verlieren, hatte ihn völlig fertiggemacht. Viel Zeit war ins Land gegangen, bis er wieder glücklich sein konnte, auch wenn das Loch in seinem Herzen sich nie geschlossen hatte. Es tat ihm gut, einen Beitrag zur Gesellschaft leisten zu können, und neue Freunde gefunden zu haben. Er war finanziell in der Lage, Joni und sein Kind zu unterstützen. Aber konnte er das Baby von Herzen lieben? Er war sich nicht sicher, ob er das Risiko eingehen sollte. Vielleicht sollte er zulassen, dass Joni ihn aus ihrem Leben drängte.

Nein. Ein Vater sorgte für sein Kind, basta, und irgendwie würde er tun müssen, was er für richtig hielt.

Er erreichte die Abfahrt nach Willow Creek und verließ den Highway. Die Fahrt hatte ihm nicht die innere Ruhe gebracht, auf die er gehofft hatte, aber er wehrte sich gegen das Selbstmitleid. Er war das Stadtoberhaupt von Sweet Briar und durfte jetzt nicht an sich selbst denken.

Lex schaute auf die Uhr. Ihm blieb noch genug Zeit, um ein paar Sachen einzukaufen. Er eilte durch das Geschäft, verstaute sie im Kofferraum und fuhr zu seinem Treffen mit Randy und Melanie Gilmore, dem Geschwisterpaar, dem die Bowlingbahn in Willow Creek gehörte. Seine Präsentation beeindruckte die beiden. Sie versprachen, sich zu melden, sobald sie das Projekt durchgerechnet hatten.

Er gab ihnen die Hand und kehrte zu seinem Wagen zurück. Willow Creek war eine hübsche kleine Stadt und verfügte über viele Annehmlichkeiten, die Sweet Briar noch fehlten. Aber Lex fand seine Stadt wesentlich charmanter.

Auf der Rückfahrt war er wesentlich besserer Laune. Anstatt direkt nach Hause zu fahren, steuerte er das Jugendzentrum an. Es war Mittagszeit, und die kleineren Kinder waren schon fort. Nur die Teenager, die gern Basketball oder Videospiele spielten, hielten noch die Stellung. Joni blieb meistens noch eine Stunde, um sicherzustellen, dass es keine Probleme gab, um die sie sich kümmern musste. Er überlegte, ob er warten sollte, bis sie zu Hause war, um ihr die Sachen zu geben, die er in Willow Creek besorgt hatte. Er entschied sich dagegen, weil ein Besuch im Jugendzentrum ihm weniger aufdringlich erschien. Sie wollte Abstand zwischen ihnen, daher war dies hier die bessere Option.

Lex parkte und holte die Tasche aus dem Kofferraum. Paul Stephens kam gerade aus dem Gebäude, begleitet von seinem Neffen Nathaniel und zwei jungen Nichten. Lex winkte der kleinen Familie zu, als sie in ihren Wagen stieg. Roz Martin, Pauls Schwägerin, kämpfte gegen den Krebs, und Joni und Charlotte hatten eine Gruppe von Frauen organisiert, die der Familie so gut wie möglich half. Einige brachten warmes Essen vorbei, andere unterstützten sie bei der Hausarbeit.

Lex betrat das Jugendzentrum und sah sich um. Alle, denen er begegnete, lächelten. Joni machte ihre Sache richtig gut, und die Kinder kamen oft und gern her. Sie arbeitete lange Stunden für ein kleines Gehalt. Wenn sie weiterhin unter der morgendlichen Übelkeit litt, würde ihr nichts anderes übrigbleiben, als ihr Engagement zurückzufahren. Nicht nur deshalb hoffte er, dass es ihr bald wieder besser ging. Sie so leiden zu sehen, tat ihm regelrecht weh.

Er schlenderte zu Jonis Büro, deren Tür offenstand, und sie kehrte ihm den Rücken zu, während sie in einem Aktenschrank wühlte. Mit dem Pferdeschwanz sah sie sogar noch jünger aus, als sie war. Er genoss den Anblick einen Moment, bevor er klopfte. Sie blickte über die Schulter und erstarrte kurz, aber dann schenkte sie ihm ein Lächeln. Er kannte sie gut genug, um es als professionelle Höflichkeit zu deuten. Es war nicht das Lächeln, das er früher von ihr bekommen hatte. Er schob die Enttäuschung beiseite, betrat das Büro und schloss die Tür hinter sich.

„Ich habe dir ein paar Sachen besorgt.“

Ihr Blick wurde neugierig. „Was für Sachen?“

Er hob die Tasche, gab sie ihr aber noch nicht. Über die Jahre hatte er gelernt, wie sehr Joni Geschenke mochte. Sie mussten nicht teuer sein. Joni freute sich über einen Schokoriegel ebenso sehr wie über das Parfüm, das er speziell für sie kreiert hatte – ein Parfüm, das sie so aufregend duften ließ, dass er bei jedem Atemzug fast den Verstand verlor. Ein Parfüm, das in einer Nacht besonders wirksam gewesen war.

„Nichts Großes. Nur ein paar Sachen, die du vielleicht brauchen wirst.“ Er hielt ihr die Tasche hin.

„Allein der Gedanke zählt.“ Diesmal fiel ihr Lächeln echt aus. Warm.

Sie griff hinein und nahm eine Flasche heraus. Sie schaute erst auf das Etikett und blickte dann ihn an. „Vitamine für die Frühschwangerschaft mit Jod, Folsäure und Eisen?“

„Ja.“

„Woher hast du die? Und wann hast du sie besorgt?“

„Heute.“ Er hob eine Hand, um ihrem Protest zuvorzukommen. „Ich musste zu einer Besprechung nach Willow Creek. Ich hatte noch ein paar Minuten Zeit, also habe ich die Präparate vorher gekauft. Ich weiß, du bist noch nicht dazu gekommen, zum Arzt zu gehen, aber ich glaube, du brauchst diese Mittel jetzt.“

„Ich wollte nach der Arbeit zum Walmart am Highway fahren und welche holen. Das muss ich jetzt nicht mehr. Danke.“

Lex atmete auf. Er war sich nicht sicher gewesen, wie sie reagieren würde. „Da ist noch mehr.“

„Ich weiß.“ Sie griff wieder hinein und zog ein Buch heraus. „What To Expect When You’re Expecting.“

„Das ist bestimmt hilfreich, wenn man noch nie schwanger war“, erklärte er. „Man hat mir gesagt, dass das eins der besten Bücher über Schwangerschaft ist.“

Sie drückte das Buch an die Brust und schloss die Augen. Als sie sprach, war ihre Stimme sanft. „Vielen Dank. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich es zu schätzen weiß.“

Lex ging zu ihr und legte einen Arm um ihre Schultern. „Oh Joni, du weißt, dass ich alles für dich tun würde. Du brauchst nur darum zu bitten.“

Sie legte den Kopf an seine Schulter und schluchzte leise auf. Obwohl sie kein Mensch war, der Angst hatte, Gefühle zu zeigen, weinte sie nicht oft. Lex fiel nichts Besseres ein, als ihren Rücken zu streicheln und zu sagen, dass alles gut werden würde. Natürlich wusste er, dass die Hormone sie jetzt besonders emotional machten, aber das half nicht. Er ertrug es kaum, Joni weinen zu sehen.

Zum Glück hob sie den Kopf und lächelte. „Entschuldige.“

Er strich mit dem Daumen über die feuchte Wange. „Dafür musst du dich nicht entschuldigen.“

Sie löste sich aus seinen Armen. „Danke“, sagte sie. „Ich freue mich wirklich sehr über diese Geschenke.“

Er spürte, dass sie ihn aus dem Büro scheuchen wollte. „Da ist noch eine Sache.“

Sie drehte die Tasche um. „Nicht hier drin.“

„Etwas, das ich mit dir besprechen möchte. Ich finde es wichtig, dass du dich untersuchen lässt.“

„Ich habe schon einen Termin bei der Ärztin gemacht, die Carmens Zwillinge entbunden hat.“

„Wann gehst du hin?“

„Am Freitag. Warum?“

„Weil ich dich begleiten will.“

„Du willst mich zur Frauenärztin begleiten?!“, wiederholte Joni schockiert.

„Natürlich“, erwiderte Lex. „Warum klingst du so überrascht?“

„Weil ich dir gesagt habe, dass ich Abstand brauche. Mich zur Ärztin zu begleiten, ist das genaue Gegenteil davon.“

„Joni, ich will dich nicht bedrängen. Ich will nur am Leben meines Kindes teilhaben.“

„Ich habe nicht vor, dich aus dem Leben unseres Kindes herauszuhalten, Lex, aber das Baby kommt erst in mehreren Monaten auf die Welt.“

„Das weiß ich, aber …“

„Aber was?“

„Ich möchte von Anfang an dabei sein, auch während der Schwangerschaft.“

„Das habe ich verstanden. Und wenn ich einen Ultraschall machen lassen und du das Baby mit eigenen Augen sehen willst, dann kannst du gern mitkommen. So weit ist es aber noch nicht. Es gibt für dich nichts zu sehen. Ich möchte nicht zu hart klingen, aber deine Anwesenheit ist nicht erforderlich.“

Lex nickte. Joni wusste, dass sie ihn verletzt hatte, aber sie durfte jetzt an sich denken. Und was sie jetzt brauchte, war die innere Ruhe und Ausgeglichenheit, um ein gesundes Baby zur Welt zu bringen. Die würde sie nur finden, wenn Lex nicht in jedem Winkel ihres Lebens lauerte.

„Okay. Aber da du noch niemandem von der Schwangerschaft erzählt hast, musst du mir versprechen, dass du mich anrufst, wenn du etwas brauchst. Egal, was.“

„Lex.“

„Ich mache mir Sorgen um dich. Und das Baby.“

Sie seufzte. „Na gut. Ich verspreche, ich rufe an, falls ich etwas brauche.“

„Und ich verspreche, alles stehen und liegen zu lassen und zu kommen.“ Darauf konnte sie sich verlassen. „Ich wünsche dir einen schönen Abend.“

„Nochmals danke für alles.“

„Sehr gern geschehen.“ Lex machte einen Schritt in Richtung der Tür und blieb stehen, als hätte er etwas vergessen. Eine Sekunde später beugte er sich hinab und küsste sie zärtlich auf den Mund. Dann ging er ohne ein weiteres Wort.

Verblüfft tastete Joni nach ihren Lippen. Ihr Herz begann zu klopfen, aber sie zügelte die Freude. Es war nur ein Abschiedskuss gewesen. Sie musste stark bleiben. Es wäre so einfach, sich bei ihm anzulehnen. Sie wollte allerdings lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Trotzdem lächelte sie.

Joni steckte das Buch und die Nahrungsergänzungsmittel in ihre Tasche und machte sich wieder an die Arbeit. Eine Stunde später fuhr sie den Computer herunter, schloss das Büro ab und stieg in den Wagen, um nach Hause zu fahren. Der Heißhunger kam aus dem Nichts, und sie entschied sich, in Brandons Restaurant vorbeizuschauen. Plötzlich hatte sie einen Riesenappetit auf Crêpes mit Meeresfrüchten. Aber da die ohnehin zu ihren Lieblingsgerichten gehörten, machte sie sich keine großen Gedanken darum. Trotzdem würde sie zu Hause in ihrem neuen Buch nachsehen, woher Heißhunger in der Schwangerschaft kam.

Sie würde selbst kochen müssen. Sie war nicht unbegabt, hatte bisher aber keine rechte Lust dazu gehabt. Vielleicht würde sie ein paar neue Rezepte ausprobieren.

Wie erwartet, herrschte im Restaurant Hochbetrieb. Das Heaven on Earth galt seit Jahren als eines der besten Häuser in der Region und führte eine lange Warteliste, aber Brandon hielt immer ein paar Tische für Gäste aus Sweet Briar frei. Als seine Schwester musste sie nie lange warten.

„Hey, Joni. Willst du aushelfen?“, fragte Margo sie. „Uns fehlen zwei Leute.“

Joni stöhnte auf. Da ihr Bruder so viel für sie getan hatte, sprang Joni ein, wann immer sie konnte.

„Was ist denn passiert?“

„Stacys Ehemann hatte einen Unfall. Und Rebecca ist einfach nicht aufgetaucht. Schon das zweite Mal in zwei Wochen. Heute hat sie nicht einmal angerufen. Ich weiß nicht, warum Brandon an ihr festhält.“

Joni ahnte es. Rebecca war vor Kurzem Witwe geworden und mit ihren Kindern nach Sweet Briar gezogen, um bei ihrer Tante zu wohnen. Joni nahm sich vor, Rebecca zu fragen, ob sie Hilfe brauchte. Das gehörte zwar nicht zu ihren Aufgaben als Leiterin des Jugendzentrums, aber ein Teil von ihr würde immer Sozialarbeiterin bleiben.

„Ich sage Brandon Bescheid, dass ich hier bin. Welche Tische soll ich übernehmen?“

Margo sagte es ihr, und Joni ging in die Küche. Ihr Bruder lächelte ihr entgegen. „Willst du helfen?“

„Nur bis der erste Andrang vorbei ist.“

„Danke.“

Joni schnappte sich zwei warme Brötchen und eilte in sein Büro, um sich umzuziehen. Während sie in die Kellnerinnenkleidung schlüpfte, aß sie das leckere Brot. Damit war ihr Hunger nicht gestillt, aber sie fühlte sich nicht mehr so, als würden ihre Knie bald nachgeben.

Dann griff sie sich Block und Stift und ging in den Hauptspeiseraum. Wie das Glück es wollte, saß Lex an einem ihrer Tische und studierte die Speisekarte. Ein Mann und eine Frau, die sie nicht kannte, saßen ihm gegenüber. Das Trio sah auf, als Joni näher kam. Das Paar lächelte, Lex wirkte verärgert. Ihr war schleierhaft, warum.

Sie wandte sich den anderen beiden zu. „Mein Name ist Joni, und ich bediene Sie heute Abend. Möchten Sie schon Getränke und Appetizer bestellen oder brauchen Sie noch etwas Zeit?“

Die Frau wollte antworten, aber Lex kam ihr zuvor. „Was soll das?“

„Ich versuche, eine Bestellung aufzunehmen. Was sonst?“

Er stand auf und nahm ihren Ellenbogen. „Entschuldigt uns eine Minute.“

Joni wollte keine Szene machen, deshalb protestierte sie nicht, als Lex sie zum Ausgang und nach draußen führte. Erst dort riss sie sich los. „Was fällt dir ein?“

„Das möchte ich von dir wissen.“

„Ich helfe meinem Bruder, wie ich es oft tue.“

„In deinem Zustand kannst du das nicht mehr.“

„Es geht mir gut.“

„Du hast dich in dieser Woche mehrfach übergeben, auch heute Morgen.“

Als sie ein gut gekleidetes älteres Paar aufs Restaurant zukommen sah, ergriff sie Lex’ Hand und zog ihn ein Stück die Straße entlang. Trotz ihrer Empörung und Frustration ließ die Berührung ihre Haut kribbeln. Das ist schlecht.

An der Ecke sah sie sich um. Sie beide waren allein. Gut. Für dieses Gespräch brauchte sie keine Zeugen. „Du weißt, warum mir schlecht war, also tu nicht so, als hätte ich eine lebensgefährliche Krankheit.“

„Und du weißt, dass du auf dich aufpassen musst.“ Er senkte die Stimme. „Besonders in den ersten drei Monaten. Du willst das Baby nicht verlieren.“

„Ich kellnere, ich fälle doch keine Bäume. Ich laufe nur hin und her.“

„Mit schweren Tabletts.“

„Das habe ich schon oft getan.“

„Du kommst gerade erst von der Arbeit!“

„Bei der ich die meiste Zeit sitze und mit Kindern spiele. Nichts davon ist anstrengend.“

„Das ist nicht der Punkt. Du musst etwas essen und gut auf dich achten.“ Er runzelte die Stirn. „Hast du denn schon zu Mittag gegessen?“

„Einen Happen.“

Er kniff die Augen zusammen. „Du bist hergekommen, um etwas zu essen, nicht wahr? Dann haben sie dich gefragt, ob du einspringen kannst. Bestreite es erst gar nicht. Ich habe das oft genug erlebt. Du hättest ablehnen sollen.“

„Ich muss los. Und du musst zurück zu deinen Gästen.“

Sie machte einen Schritt von ihm weg.

„Ich habe noch nicht zu Ende gesprochen, Joni.“

„Ich schon.“

„Für jetzt. Wir kommen darauf zurück.“

Am Eingang hielt er die Tür auf. Sie ging an seinen Tisch, um die Bestellung aufzunehmen.

Lex setzte sich und lächelte seinen Gästen zu. „Entschuldigung. Wir hatten etwas zu klären.“

„Kein Problem.“ Das Paar wechselte einen Blick.

Joni nahm die Bestellung auf und versprach, gleich mit den Getränken zurückzukommen. Irgendwie musste sie die nächsten Stunden überstehen. Keine leichte Aufgabe, denn sie wusste, dass Lex sie nicht aus den Augen lassen würde.

Lex beobachtete, wie Joni in der Küche verschwand. Es schien ihr gut zu gehen, aber er wusste, dass der äußere Eindruck täuschen konnte.

„Das ist also Joni.“

Lex schaute in die belustigten Gesichter seiner Lieblingscousine Sophia und deren Ehemann Andrew. „Woher wisst ihr das?“

„Sie hat sich vorgestellt, als sie an den Tisch kam. Ich dachte, sie arbeitet im Jugendzentrum. Hat Tante Regina jedenfalls erzählt.“

„Tut sie auch. Ihrem Bruder gehört aber dieses Restaurant und aus mir unerfindlichen Gründen schafft er es anscheinend nicht, gute Mitarbeiter zu halten. Joni hilft hin und wieder aus.“ Lex trank einen Schluck Wasser. „Und was hat meine Mutter sonst noch über Joni erzählt?“

Sophia tat so, als würde sie ihre Lippen verschließen. „Unsere Gespräche sind strikt vertraulich.“

Lex schnaubte. Seine Eltern hatten sechs Söhne und keine Tochter, deshalb stand seine Mutter ihren Nichten sehr nahe, vor allem Sophia, die ihr am ähnlichsten war. Beide hatten einen ganz speziellen Humor und nahmen sich nicht zu ernst. Er bedrängte Sophia nicht, weil er wusste, dass sie dichthalten würde. Aber er kannte sie und seine Mutter und wusste, dass keine von ihnen eine boshafte Ader besaß. Außerdem vergötterte seine Mutter Joni.

Joni kehrte mit den Getränken und Appetizern zurück, servierte sie und zog wieder ab. Sein Blick folgte ihr, als sie an einen Tisch mit drei Männern ging. Einer von ihnen sagte etwas, das Joni zum Lachen brachte. Lex spürte, wie sich in ihm die Eifersucht regte, und wehrte sich dagegen.

„Also, was bringt euch nach Sweet Briar?“, fragte er und riss den Blick von Jonis Po los.

„Mein Job“, antwortete Andrew. „Ich hatte eine Verhandlung wegen eines Vergleichs in Charlotte, und Sophia und ich machen ein langes Wochenende daraus.“

„Übernachtet ihr in Sweet Briar?“

„Nein, wir wollen meine Eltern in Hilton Head besuchen.“ Andrew biss in einen Appetizer. „Das hier ist wahrscheinlich das Beste, das ich in meinem Leben gegessen habe. Sophia, warum bereitest du mir nie so etwas zu?“

Sophia lachte. Sie war eine bekannte Konditorin und lieferte ihre Desserts an Restaurants in und um New York. „Ich könnte es lernen. Aber dann gibt es eine Weile keine Macarons mehr.“

„Okay, vergiss es. Wir überreden deinen Kumpel einfach, ein Restaurant in New York zu eröffnen“, sagte er zu Lex.

„Keine Chance“, erwiderte Lex. „Brandon gehört hierher.“

„In dem Fall müssen wir regelmäßig herfliegen.“

„Ich bilde mir einfach ein, dass ihr meinetwegen kommt.“

Andrew lachte.

„Im Ernst“, begann Lex. „Ich bin froh, dass ihr vorbeikommt. Ich habe zwar viele Freunde hier, aber mir fehlt die Familie.“

„Es gibt Hin- und Rückflüge. Du kannst uns jederzeit besuchen kommen!“, warf Sophia ein.

„Das habe ich vor, aber ich habe hier auch viel zu tun. Eine Stadt zu regieren, bringt eine Menge Arbeit mit sich.“

„Ich hoffe, du wirst nicht wieder ein Workaholic. Nimm dir die Zeit, dich auf das Wichtigste in deinem Leben zu konzentrieren.“ Sophia drückte seine Hand. „Die Stadt läuft nicht weg, aber Menschen warten nicht ewig.“

„Ich weiß.“ Das gleiche Gespräch hatte er auch mit seinen Eltern schon oft geführt. Es war nicht so, dass er seine Familie absichtlich vernachlässigte. Die Bürger von Sweet Briar verließen sich eben darauf, dass er sein Bestes gab. Das hatte er im Unternehmen seiner Familie getan und wollte es auch als Bürgermeister tun. Trotzdem war ihm klar, dass er sich mehr Zeit für die wichtigsten Menschen in seinem Leben nehmen musste.

Joni kam mit dem Essen. Er musste sich beherrschen, um nicht aufzuspringen und ihr das Tablett abzunehmen. Seine Cousine ließ sie beide nicht aus den Augen, und er wollte Joni nicht in Verlegenheit bringen. Außerdem wusste außer ihm niemand, dass sie mit seinem Kind schwanger war. Er musste sich so benehmen, dass es keinen Verdacht erregte.

Sie servierte die Hauptgerichte und räumte die leeren Appetizerschalen ab. „Kann ich sonst noch etwas für euch tun?“

„Nein, danke“, sagte Sophia.

„Lasst es euch schmecken.“

Lex wusste schon jetzt, dass er das Essen nicht würde genießen können, wenn Joni arbeitete, anstatt sich zu Hause auszuruhen. Er hatte versprochen, ihr den Raum zu geben, den sie brauchte, aber wenn sie sich weiterhin so unvernünftig verhielt, würde er sich an ihre Worte nicht mehr gebunden fühlen.

5. KAPITEL

Joni lehnte sich in der Wanne zurück und genoss es, wie gut das warme Wasser ihrem schmerzenden Rücken tat. Eigentlich hatte sie nicht länger als eine Stunde in Brandons Restaurant arbeiten wollen, aber nachdem Lex ihr praktisch befohlen hatte, nach Hause zu gehen, war sie weitere drei Stunden geblieben. Manche Frauen kellnerten bis weit ins dritte Schwangerschaftsdrittel. Nicht, dass sie das vorhatte, aber sie war stark – und ein bisschen trotzig, dachte sie lachend.

Jedes Mal, wenn sie an seinen Tisch trat, hatte er sie stirnrunzelnd angestarrt. Und selbst wenn sie andere Gäste bediente, hatte er sie kaum aus den Augen gelassen. Zum Glück war er fort gewesen, als sie mit zwei vollen Tellern für zu Hause Feierabend gemacht hatte. Die Crêpes mit Meeresfrüchten hatte sie gegessen, den Lachs mit Reispilaw und Brokkoli hob sie für morgen Mittag auf. Am Samstag war im Jugendzentrum weniger los, aber sie schaute vormittags vorbei, um mit den Teenagern zu reden, die Basketball spielten oder Modeschmuck bastelten.

Als sie eine Gänsehaut bekam, stieg sie aus der Wanne und trocknete sich ab. Bevor sie den Pyjama anzog, betrachtete sie sich im bodenlangen Spiegel. Sie drehte sich hin und her, konnte aber keine Veränderungen erkennen. Sie zog sich rasch an und ging zu Bett. Gern hätte sie noch in dem Buch gelesen, das Lex ihr geschenkt hatte, aber sie war schlicht zu müde.

Sie wollte einfach nur schlafen, doch plötzlich fühlte sich das Bett leer an. Das ergab keinen Sinn, denn in diesem Bett hatte sie jahrelang allein gelegen. Jetzt sehnte sie sich nach jemandem, der sie in die Arme nahm, während sie einschlief, und zwar nach Lex. Vielleicht dachte sie an ihn, weil er der Vater ihres Babys war und immer zu ihrem Leben gehören würde.

Joni schloss die Augen. Sie schlief schnell ein, erwachte aber schon gegen fünf Uhr morgens. Als ihr sofort übel wurde, sprang sie aus dem Bett und rannte ins Bad. Nachdem sie sich übergeben hatte, spülte sie sich den Mund aus und ging mit weichen Knien in die Küche. Dort machte sie sich in der Mikrowelle einen Becher Tee, kehrte ins Schlafzimmer zurück und setzte sich auf die Bettkante.

Sie rieb sich den Bauch. „Du machst es Mommy nicht leicht“, flüsterte sie. „Wir beide werden daran arbeiten müssen, nebeneinander friedlich zu leben.“ Da sie nicht mehr müde war, stapelte sie Kissen auf, lehnte sich dagegen, nahm das Buch vom Nachttisch und schlug das Kapitel über morgendliche Übelkeit auf. Sie hatte genug schwangere Frauen kennengelernt, um zu wissen, dass dies völlig normal war. Trotzdem musste sie wissen, ob die Häufigkeit und Heftigkeit, die sie gerade erlebte, ungewöhnlich war. An manchen Tagen hielt ihre Übelkeit bis weit in den Nachmittag an, und sie wollte nicht bis zur ihrem Termin bei der Frauenärztin warten. Erst als sie las, dass auch das nicht ungewöhnlich war, entspannte sie sich etwas.

Sie nippte am Tee und blätterte im Buch. Der Tee beruhigte ihren Magen, und nach einer Weile verspürte sie Hunger. Sie stand auf, zog einen geblümten Rock, ein passendes Stricktop und flache Sandaletten an. Sie beschloss, das Haar heute offen zu tragen, kämmte es kurz und strich es hinter die Ohren.

Am Fuß der Treppe begegnete sie Brandon und Arden.

„Warum bist du so früh auf?“, fragte ihr Bruder.

„Ich konnte nicht schlafen. Ich will im Diner frühstücken und danach zur Arbeit. Ich brauche wohl nicht zu fragen, wohin ihr beide wollt.“

„Stimmt. Wer frischen Fisch und Gemüse will, muss früh auf dem Markt sein. Leider wurden wir heute Morgen etwas aufgehalten“, sagte Brandon. Er warf Arden einen Blick zu, und diese errötete beim Einsteigen. „Wenn du eine Weile wartest, kannst du mit uns frühstücken.“

„Danke, aber ich bin am Verhungern.“

Er öffnete ihre Fahrertür. „Bis später.“

Joni wartete, bis er losfuhr, und folgte ihm durch die leeren Straßen. Der Himmel war bewölkt, und für den Nachmittag war Regen angekündigt. Sie parkte einen halben Block vom Diner entfernt. Am Eingang blieb sie kurz stehen, um abzuwarten, wie ihr Magen auf die Essensgerüche reagierte. Zum Glück blieb er ruhig, und sie winkte einigen älteren Männern zu, die sich bei jedem Wetter vor dem Frisiersalon trafen. Obwohl der Diner gut besucht war, fand sie eine freie Nische im hinteren Bereich. Sie setzte sich und legte gerade ihre Handtasche neben sich, als ein Schatten auf den Tisch fiel. Ihr Puls beschleunigte sich, und sie wusste sofort, wer es war.

„Was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?“, fragte Lex.

„Und wenn ich Ja sage?“

„Dann lasse ich dich in Ruhe essen.“ Er zeigte auf die Männer, denen sie zugewinkt hatte. Alle vier schauten in ihre Richtung. Mr. Harris winkte sogar. „Die Tratschtanten der Stadt werden sich allerdings fragen, warum wir an getrennten Tischen essen.“

„Du kannst dir ja etwas mitnehmen.“

„Auf keinen Fall.“ Lex zwinkerte ihr zu. „Das wäre kriminell.“

Joni nickte. Sie wollte gar nicht allein essen. „Setz dich, dann kannst du dich gleich bei mir entschuldigen.“

„Wofür?“, fragte er. Als er ihr gegenüber Platz nahm, streiften seine Knie ihre, und sie ignorierte das Kribbeln.

„Für gestern Abend. Du warst unglaublich unhöflich.“

Er sah auf seine Hände. Als er den Blick wieder hob, lächelte er verlegen. „Du hast recht. Ich habe wohl überreagiert.“

„Wohl?“

„Na gut, ich habe überreagiert. Ich weiß, wie lange du im Jugendzentrum arbeitest, und dann machst du auch noch Überstunden im Restaurant. Ich will nicht, dass du dich übernimmst.“

„Okay.“ Sie seufzte. „Ich vergebe dir.“

„Danke.“

Ihre Kellnerin füllte Lex’ Kaffeebecher nach und nahm ihre Bestellung auf. Joni fühlte sich gut genug, um Pfannkuchen zu sich nehmen zu wollen.

Sie sprachen kaum, während Lex seinen Kaffee trank. Joni schaute neidisch auf den Becher. Die Monate ohne Kaffee würden hart werden, aber für ihr Kind brachte sie das Opfer gern.

Joni nahm einen Schluck Orangensaft. „Wie lange bleiben deine Cousine und ihr Mann in der Stadt?“

„Die sind schon wieder weg. Sie waren unterwegs nach South Carolina.“

Über die Jahre hatte Joni viel über seine Lieblingscousine gehört. „Ich freue mich, dass ich sie endlich kennengelernt habe. Schade, dass wir keine Gelegenheit hatten, miteinander zu reden.“

„Keine Sorge. Sie und ihr Mann kommen in ein paar Monaten wieder her. Wir vier gehen dann zusammen essen.“

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“

„Sag nicht Nein, Joni. Ich möchte, dass du meine Familie besser kennenlernst. Gerade jetzt.“

Joni seufzte. Obwohl er das Baby nicht erwähnt hatte, wusste sie, dass er daran dachte. Es wäre einfacher für alle, wenn sie seine Familie so gut kannte wie er ihre. Ihre Eltern besuchten sie mehrmals im Jahr in Sweet Briar. Die beiden mochten Lex sehr, und er und Brandon waren befreundet. Ihr Bruder Russell, der in Übersee stationiert war, würde Lex bestimmt auch mögen. „Okay“, gab sie nach.

Lex entspannte sich spürbar, und ihr wurde mit einem Mal bewusst, dass die Situation auch für ihn nicht leicht war. Sie nahm sich vor, mehr Rücksicht auf seine Gefühle zu nehmen, auch wenn sie ihn nicht zu nahe an sich heranlassen durfte. Sie durfte sich nicht von ihren eigenen Gefühlen leiten lassen. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie eine Dummheit begehen und ihn bitten, bei ihr zu übernachten, damit sie in seinen Armen einschlafen konnte, zum Beispiel.

Zwei Leute kamen an den Tisch, um Lex etwas zu fragen, und ersparten es Joni, Konversation machen zu müssen. Es war kaum zu glauben, dass sie beide sich noch vor einigen Monaten über alles Mögliche hatten unterhalten können. Joni konnte es noch immer nicht fassen, wie viel Schaden ihre Freundschaft in einer einzigen Nacht genommen hatte. Miteinander zu schlafen, brachte die meisten Menschen näher zusammen. Sie und Lex hatte es so weit voneinander entfernt, als würden sie in verschiedenen Ländern leben. Sie bezweifelte, dass sie jemals wieder richtige Freunde sein konnten.

Die Trauer, die sie darüber empfand, schien sich in ihrer Miene zu spiegeln, denn kaum waren die Leute fort, legte er eine Hand auf ihre. „Was ist denn los?“

Sie seufzte. „Nichts.“

„Komm schon, Joni. Dazu kenne ich dich zu gut. Rede mit mir.“

„Ach, ich wünschte, ich könnte es. Es war mal alles so einfach zwischen uns. Jetzt ist alles kaputt, und ich habe keine Ahnung, wie ich es reparieren soll.“ Zu ihrem Entsetzen zitterte ihre Stimme, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Nicht weinen.“

„Das sind nur diese dummen Hormone.“

„Warum auch immer, es zerreißt mich, dich weinen zu sehen.“

Er drückte ihr ein Stück Stoff in die Hand. Lex musste der einzige Mann unter sechzig sein, der ein Stofftaschentuch bei sich trug. Früher hatte sie sich darüber lustig gemacht, und er hatte gelacht. Sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken, konnte es aber nicht.

Lex stand auf und ging zu ihr. „Rutsch rüber.“

Sie tat es, er setzte sich und legte den Arm um sie. Ohne nachzudenken, legte sie den Kopf an seine Brust. Sein Duft war ihr so vertraut, und die Nähe erinnerte sie daran, wie sehr sie sich gestern Abend nach ihm gesehnt hatte. Sie hatte gewollt, dass er sie hielt, und jetzt tat er es. Langsam versiegten die Tränen. „Tut mir leid. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich in eine der Frauen verwandle, die bei jeder Gelegenheit zu heulen beginnt.“

Lex lachte mitfühlend. „Ich dachte, es sind die Hormone. Wenn das stimmt, bist du in ein paar Monaten wieder die alte.“

Joni schmiegte sich an ihn. „Wohl kaum. In ein paar Monaten ist das Baby viel größer, und ich erkenne mich nicht wieder.“

„Du wirst anders aussehen, aber noch so schön sein wie immer.“

Seine Worte hoben ihre Stimmung und gingen ihr ans Herz. Sie straffte sich und rückte von ihm ab. Sie durfte nicht glauben, dass er romantische Gefühle für sie hegte. Er hatte ihr schon gezeigt, dass er das nicht tat. Lex war charmant, und Komplimente kamen ihm leicht über die Lippen. Die waren durchaus ernst gemeint, aber sie wollte sie nicht falsch deuten. Sie wischte sich also das Gesicht ab und hielt ihm das Taschentuch hin.

„Behalt es, falls die Hormone wieder die Überhand gewinnen.“

„Danke.“ Sie schob es in die Handtasche.

„Was hast du heute vor?“

„Ich habe im Zentrum zu tun. Deshalb muss ich jetzt auch los.“ Sie sah ihn an, bis er aufstand, um sie aus der Nische zu lassen. Sie nahm ihr Portemonnaie heraus. Obwohl er nichts sagte, spürte sie, dass er bezahlen wollte. Das hatte er immer versucht, wenn sie zusammen ausgegangen waren. In all den Jahren hatte sie es nie gestört, weil sie Freunde gewesen waren. Aber das waren sie nicht mehr.

„Pass auf dich auf“, sagte er.

„Mache ich.“

Joni legte genug Geld für die Rechnung und ein großzügiges Trinkgeld auf den Tisch und ging zum Ausgang. Es regnete in Strömen. Sie dachte an den Schirm in ihrem Wagen. Der Wetterbericht hatte etwas von Regen am Nachmittag gesagt. Sie hätte sich nicht darauf verlassen dürfen.

Lex trat hinter sie. „Was ist?“

Sie seufzte. „Ich habe meinen Schirm im Wagen gelassen.“

Er streckte die Hand aus. „Gib mir die Schlüssel. Ich hole ihn. Auf dem Rücksitz?“

Sie wollte ablehnen, aber dann gab sie ihm den Schlüsselbund und sah ihm nach, als er losrannte. Eine Minute später war er zurück und gab ihr den Schirm.

„Danke. Bleibst du noch?“

„Nein.“

„Komm schon. Ich bringe dich zu deinem Wagen.“

„Danke.“

Da Lex um einiges größer war als sie, überließ sie ihm den Schirm. Er nahm ihn in die rechte Hand, und sie hielt sich an seinem linken Arm fest. Die Muskeln unter ihren Fingern erinnerten sie daran, wie kräftig er war. Er wollte sie zur Fahrertür bringen, aber sie ließ es nicht zu. Er war schon einmal durchnässt worden. Als er saß, ging sie um den Wagen herum, stieg ein und startete den Motor. „Wo parkst du?“

„Am Rathaus.“

Sie hätte es wissen müssen. Lex nahm sein Amt sehr ernst. Manchmal fand sie, dass er zu viel arbeitete. Aber sie kritisierte ihn nicht, denn das Jugendzentrum war ihr so wichtig wie ihm die ganze Stadt. Sie ließ ihn aussteigen und fuhr zur Arbeit. Analisa, ihre Stellvertreterin, hatte bereits aufgeschlossen, und es hörte sich an, als würde in der Sporthalle schon Basketball gespielt. Da es regnete, rechnete sie mit mehr Besuchern als sonst.

Sie ging in die Halle und sah ein paar Minuten zu, bevor sie sich an den Schreibtisch setzte, um einen weiteren Zuschussantrag auszufüllen. Viele Firmen und private Sponsoren unterstützen das Zentrum. Meistens fiel es ihr nicht schwer, sich darauf zu konzentrieren, aber heute gelang es ihr nicht recht. Sie wusste, warum.

Lex Devlin ging ihr nicht aus dem Kopf und war dabei, sich in ihr Herz zu schleichen. Das durfte sie nicht zulassen. Aber wie? Wegen des Babys würde er immer zu ihrem Leben gehören. Trotzdem musste sie sich dagegen wehren. Dies war eine Schlacht, die sie nicht verlieren durfte. Ihr Herz war in Gefahr.

Lex schaltete den Computer aus. Er kam nicht voran, und es war sinnlos, Zeit zu vergeuden. Er hatte es immer vermocht, die Welt auszublenden und sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Nur das hatte ihn vor sieben Jahren den Verlust seines Kindes überstehen lassen. Die langen Stunden hatten den Schmerz erträglich gemacht, aber er war nie ganz verschwunden.

Egal, wie oft er sich sagte, dass Frauen dauernd Babys bekamen und die Babys länger als vier Wochen und drei Tage lebten, die Angst drohte ihn zu lähmen – die Angst um das Baby, das Joni austrug. Und um Joni selbst. Was, wenn sie nicht kräftig genug war? Wenn die morgendliche Übelkeit nicht nachließ? Wenn sich dahinter etwas Schlimmeres verbarg?

Lex unterdrückte den Gedanken. Sich zu sorgen, änderte nichts.

Er schloss erst sein Büro, dann das Rathaus ab und ging zum Wagen. Der Regen hatte aufgehört, und der Himmel war klar. Die Blumen in den Kübeln an den Straßen standen in voller Blüte. Abgesehen von ein paar Pfützen erinnerte nichts an den Wolkenbruch.

Anstatt direkt zu seinem leeren Haus zu fahren, machte er einen Abstecher zum Jugendzentrum. Das tat er häufig, um mit den Kids zu sprechen, die er unter der Woche verpasst hatte. Er wusste, dass manche ins Zentrum kamen, weil bei ihnen zu Hause nicht alles in Ordnung war. Mr. Harris und seine Freunde hatten ein paar Familien erwähnt, die finanziell knapp bei Kasse waren. Aus einer davon stammte ein Teenager, den Lex im Zentrum gesehen hatte. Er hatte vor, Joni nach dem Jungen zu fragen, aber zuerst wollte er selbst mit ihm reden.

Jonis Wagen stand auf dem Parkplatz. Um ihr die Distanz zuzugestehen, um die sie ihn gebeten hatte, ging er auf dem Weg zur Sporthalle nicht bei ihr vorbei. Sechs Jungen spielten drei gegen drei. Benji, der Junge, um den er sich sorgte, gehörte dazu. Das Spiel dauerte nur noch wenige Minuten, deshalb lehnte Lex sich an die Wand und sah ihnen zu. Als es vorbei war, trafen sich die Spieler an der Mittellinie, schüttelten Hände und holten ihre Taschen von den Zuschauerbänken. Benji blieb zurück, dribbelte mit dem Ball zur Drei-Punkte-Linie und trainierte Korbwürfe. Jeder war ein Treffer.

„Wie wär’s mit noch einem Spiel?!“, rief er.

„Ich muss nach Hause. Bis nächste Woche“, erwiderte ein Junge auf dem Weg aus der Halle. Auch die anderen lehnten ab. Benji blieb allein zurück.

„Ich habe Zeit“, sagte Lex. „Ich hole rasch meine Sachen aus dem Wagen.“

Das erleichterte Lächeln des jungen Mannes brach Lex fast das Herz. Offenbar hatte er es daheim nicht leicht. Lex joggte zum Parkplatz, schnappte sich die Sporttasche und zog sich um. Benji dribbelte mit zwei Bällen, warf den einen Lex zu und legte den zweiten auf eine Bank.

Lex zielte vom Spielfeldrand aus, fing den Rebound und sprang zu einem Korbleger hoch. „Spielen wir bis einundzwanzig?“

„Klingt gut.“

Die beiden waren in etwa gleich gut, und schnell stand es neun zu neun. Dann nahm Benji ihm den Ball ab und erzielte einen Korb, bevor Lex reagieren konnte. Sekunden später wiederholte er das Manöver, und Lex ging auf, dass der Junge erst jetzt richtig spielte. Lex war gut, aber Benji war überragend. Fünfzehn Minuten später endete das Spiel einundzwanzig zu elf.

Lex sah den Teenager an, der kein bisschen außer Atem war. „Du bist gut.“

Benji lächelte. „Ich war im ersten Jahr auf der Highschool in der Schulmannschaft, aber dann sind wir nach Sweet Briar gezogen, und ich musste aussetzen. Ich habe mit dem Coach gesprochen, und er meinte, in diesem Jahr bin ich die erste Wahl. Er kennt ein paar Scouts von den Colleges und hat sie zu den Spielen eingeladen, obwohl ich noch so jung bin. Wenn alles klappt, bekomme ich später ein Stipendium und kann studieren.“

„Woher kommt deine Familie?“

„Kalifornien. Twentynine Palms. Mein Dad ist … war bei den Marines. Nach seinem Tod sind wir zur Tante meiner Mom gezogen. Mom war auf dem College, um Lehrerin zu werden, aber jetzt arbeitet sie als Kellnerin im Heaven on Earth.“

Lex legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Das mit deinem Dad tut mir leid. Falls ihr etwas braucht, sag mir Bescheid. Wenn es dir unangenehm ist, sprich mit jemand anderem. Wir alle helfen gern.“

„Danke. Das merke ich mir.“

Das Jugendzentrum schloss erst in fünfzehn Minuten. „Hast du noch Zeit für ein Spiel? Ich will das erste nicht auf mir sitzen lassen.“

Der Junge strahlte. Lex hatte das Gefühl, Benji würde Tag und Nacht spielen, wenn er bloß könnte. Das zweite Spiel ging etwas knapper aus – einundzwanzig zu sechzehn –, aber Lex vermutete, dass Benji sich zurückhielt. Der Teenager war eindeutig ein Riesentalent. Lex freute sich darauf, ihn im Team zu haben, wenn es im Turnier gegen die Frauen ging.

„Soll ich dich mitnehmen?“, fragte er, nachdem sie die Bälle verstaut und das Hallenlicht gelöscht hatten.

„Nein danke. Ich bin mit dem Fahrrad hier.“

Das Zentrum war leer, und ihre Schritte hallten wider, als sie zum Ausgang gingen. Jonis Wagen war noch da, also verabschiedete Lex sich von Benji und steuerte Jonis Büro an. Die Tür war geschlossen, und er klopfte. Als er nichts hörte, trat er ein.

Joni schlief fest, den Kopf auf dem Schreibtisch, einen Kugelschreiber in der Hand. Der Anblick ging ihm ans Herz, und er war sich nicht sicher, ob das Gefühl willkommen war. Er ging hinüber, nahm ihr den Kugelschreiber aus der Hand und stellte ihn in den Becher, den eins der Kinder für sie gebastelt hatte. Dann berührte er sie behutsam an der Schulter. „Wach auf, Joni. Du musst nach Hause.“

„Lex?“ Sie seufzte leise, ließ die Augen aber geschlossen.

„Ja, ich bin’s. Zeit, aufzuwachen.“

Joni stöhnte auf und öffnete die Augen. Sie richtete sich auf und sank auf den Stuhl zurück. Als sie ihn ansah, registrierte er die Verwirrung in ihrem Blick.

„Wie spät ist es?“

„Drei.“

„Wirklich? Wie lange habe ich geschlafen?“

Lex setzte sich auf eine Ecke des Schreibtischs und verschränkte die Arme. Dass sie mitten am Tag bei der Arbeit eingeschlafen war, schien sie nicht zu beunruhigen. Er entschied sich, ihr keinen Vortrag darüber zu halten, dass sie sich schonen musste. „Das weiß ich nicht.“

Joni streckte sich und stand auf. Nach einem Moment begann sie zu schwanken, und er streckte eine Hand aus, um sie zu stützen. Sie schob sie fort und rannte hinaus. Er folgte ihr langsamer, denn er wusste, wohin sie wollte. An der Tür zum Waschraum wartete er und versuchte, sich keine Sorgen zu machen, aber das war nicht einfach. Wie sollte sein Baby wachsen, wenn Joni kein Essen bei sich behielt?

Die Tür öffnete sich, und er gab sich alle Mühe, sich die Besorgnis nicht anmerken zu lassen. „Besser?“

Autor

Stacy Connelly
Als Stacy Connelly ihr erstes Buch veröffentlichte, schenkte ihr eine Freundin ein Armband mit zwei Anhängern: Eine Eins als Symbol für den ersten Verkauf, und einen Brief, symbolisch für den Vertrag. Stacy Connelly beschloss kurzerhand, diese Tradition beizubehalten, und wirklich kommen seitdem regelmäßig neue Anhänger dazu. Denn Stacys Passion ist...
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