Bianca Extra Band 91

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SO VERWÖHNT - UND SO UNWIDERSTEHLICH von CARO CARSON

Sie ist bildschön, verwöhnt und anmaßend. Vorarbeiter Travis Chalmers hat auf keinen Fall vor, sich von Hollywood-Star Sophia Jackson auf der Nase herumtanzen zu lassen, während sie sich vor den Paparazzi auf seiner Ranch versteckt. Wenn Sophia bloß nicht so umwerfend sexy wäre …

EIN TRAUMMANN FÜR EVIE von STACY CONNELLY

Workaholic Evie braucht einen Mann! Sie muss ihrer Tante beweisen, dass sie ein Leben hat, sonst verliert sie ihr geliebtes Hotel. Der attraktive Griffin James scheint der geeignete Kandidat für die Rolle des Scheinverlobten - aber keinesfalls für mehr, denn er ist ein Playboy!

DAS WUNDER WARTET NEBENAN von ALLISON LEIGH

Ihr Lächeln verzaubert ihn vom ersten Augenblick an. Und zu sehen, wie Abby sich um ihren kleinen Bruder kümmert, weckt in ihm lang begrabene zärtliche Gefühle. Aber Sloan McCray weiß: Sich in sie zu verlieben wäre fatal, denn er hat schwere Schuld auf sich geladen …

KANN MEIN HERZ DIR VERTRAUEN? von ROCHELLE ALERS

Hauslehrerin für die beiden kleinen Töchter von Single-Dad Aiden sein - für Taryn genau der richtige Neuanfang nach ihrer gescheiterten Beziehung. Schon bald knistert es heftig zwischen ihr und Aiden. Aber sie darf ihr Herz nicht schon wieder in Gefahr bringen …


  • Erscheinungstag 15.12.2020
  • Bandnummer 91
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748173
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Caro Carson, Stacy Connelly, Allison Leigh, Rochelle Alers

BIANCA EXTRA BAND 91

CARO CARSON

So verwöhnt – und so unwiderstehlich

Nach einem Skandal versteckt sich Hollywood-Schönheit Sophie Jackson auf einer abgelegenen Ranch vor den Paparazzi. Dort erobert Vorarbeiter Travis ihr Herz. Aber er kennt ihr Geheimnis nicht …

STACY CONNELLY

Ein Traummann für Evie

Nur zu gerne erklärt sich Frauenheld Griffin James bereit, den verliebten Freund der hinreißenden Evie zu spielen. Doch schon bald fragt er sich, ob ihre heiße Romanze wirklich nur ein Spiel ist …

ALLISON LEIGH

Das Wunder wartet nebenan

Was für ein Mann! Schulkrankenschwester Abby ist fasziniert von ihrem neuen Nachbarn Sloan McCray. Und sie spürt, dass auch er sie begehrt – warum wendet er sich dann immer wieder von ihr ab?

ROCHELLE ALERS

Kann mein Herz dir vertrauen?

Die neue Hauslehrerin seiner Töchter zieht Singe-Dad Aiden Gibson sofort in ihren Bann. Doch die wunderschöne Taryn ist in Sachen Liebe ein gebranntes Kind. Aiden muss sie überzeugen, dass er der Richtige ist – aber wie?

1. KAPITEL

Weltende!

Sophia Jackson schaute sich um. Bis zum Horizont nichts als staubiges braunes Land mit ein paar struppigen Büschen.

Wie eine Kulisse in ihren Filmen.

Einer davon hatte ihr die Nominierung für den Academy Award für ihre Rolle als sterbende Grenzsoldatin eingebracht. Er war in Mexiko gedreht worden, aber diese Gegend in Texas sah kaum anders aus. Ein anderer hatte sie als Golden-Globe-Gewinnerin über Nacht berühmt gemacht für ihre Darstellung einer todgeweihten Frau in einer fernen Galaxie. Er war in Italien gedreht worden, und auch die Landschaft dort war dieser hier unheimlich ähnlich.

Trostlos. Einsam.

Damals hatte sie gut mit den Eindrücken umgehen können. Diesmal jedoch rief niemand „Cut“.

„Sind wir bald da?“ Als Schauspielerin hatte sie ein feines Empfinden für Zwischentöne. Sie klang wie eine Diva.

Alex, der Verlobte ihrer Schwester, fuhr schweigend weiter. Vom Rücksitz aus bekam Sophia nur mit, wie er mit ihrer Schwester einen Blick wechselte. Die beiden hielten sie eher für eine Nervensäge.

Ihre Schwester Grace griff zwischen den Vordersitzen durch und streichelte Sophias Knie. „Es kann nicht mehr weit sein. Eigentlich ist es doch perfekt. Die Paparazzi werden dich hier nie finden.“

Sophia schaute auf Graces Hand. Der Verlobungsring ihrer Schwester war nicht zu übersehen. Bis vor Kurzem war Sophia für Grace die ständige Bezugsperson gewesen. Doch seit Grace den Ring trug, konnte sie es gar nicht erwarten, Alex zu heiraten. Und er hielt es für selbstverständlich, dass Grace ihre Schwester allein ließ.

Alex war ein einfacher Arzt; er war nie von dem Filmstar Sophia Jackson beeindruckt gewesen. Er hatte nur Augen für Grace.

Die nahm die Hand nun von Sophias Knie und legte sie Alex auf die Schulter. Dabei glitzerte der Brillantring im Licht.

Sophia schaute zum Seitenfenster hinaus zum endlosen Horizont. Sie war auf sich allein gestellt. Sie musste den Rest der neun Monate allein durchstehen, sich auf dem Land verstecken, bis das Baby da war und sie es zur Adoption freigeben konnte. Danach konnte sie in ihre Welt zurückkehren.

Wenn es diese Welt dann noch für sie gab.

Niemand in Hollywood würde mit ihr arbeiten wollen. Ihr Pressesprecher und ihr Agent hatten ihr mitgeteilt, dass sie nicht vermittelt werden könne.

Ex-Pressesprecher. Ex-Agent.

Alle ließen sie im Stich. Auch ihr Ex-Freund, dieser Dreckskerl, dem sie vertraut hatte. Und nun auch noch ihre Schwester, gerade jetzt, wo sie sie am dringendsten brauchte.

Sophia fühlte Schwindel in sich aufsteigen.

„Meine Güte!“ Grace lachte überrascht auf.

Alex’ Lachen klang eher amüsiert. „Falls du noch einen Beweis gebraucht hast, dass wir mitten auf einer texanischen Rinderranch sind …“

Er hielt den Wagen an – es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Durch die Windschutzscheibe sah man eine massige braune Kuh. Das Tier, das eine halbe Tonne wiegen mochte, blockierte den Weg. Es stand einfach da auf der Straße zu einem leeren Haus, in dem Sophia allein zurückbleiben sollte.

Sophias Unbehagen wuchs sich zur Panik aus.

„Beweg dich, du blödes Vieh!“, rief sie vom Rücksitz aus.

„Sophia, das bringt doch nichts.“

Aber Sophia hatte sich schon nach vorn über Alex’ Schulter gebeugt und drückte wütend auf die Hupe. „Runter von der Straße!“

Die Kuh starrte sie durch die Scheibe an und rührte sich nicht.

Himmel, Sophia hatte es satt, angestarrt zu werden. „Beweg dich!“ Sie drückte wieder auf die Hupe.

„Hör auf!“ Alex packte Sophia fest am Arm und drückte sie auf den Rücksitz. Er sah wütend aus.

Er und Grace wandten sich um. Sophia hatte ihnen den unschuldigen Spaß an dem Tier verdorben, an diesem schönen Tag, den sie gemeinsam verbrachten.

Ich halte es nicht aus, keine Minute länger.

Sie packte den Türgriff und stieß die Tür auf.

„Sophia, bleib sitzen!“ Graces Stimme klang genervt und ängstlich zugleich.

Sophia hatte keine Angst. Panik, Schwindel, Verkrampfung – sie wollte das alles hinter sich lassen. Und dieses blöde Vieh hinderte sie daran.

Sie schlug die Autotür zu, wedelte mit den Armen und näherte sich der reglosen Kuh. Die laue Luft strich über Sophias Haut, als ihr Top beim Winken hochrutschte. Beim zweiten Schritt ging sie beinahe zu Boden. Ihr Knöchel verdrehte sich, der dünne Absatz ihres hohen Stiefels war im staubigen texanischen Boden versunken.

„Beweg dich, hörst du! Hau ab!“

Die Kuh schnaubte. Kaute. Und beachtete Sophia überhaupt nicht.

Auf einmal merkte Sophia, dass Tränen über ihre Wangen rannen. Ihr Knöchel schmerzte, ihr Herz schmerzte. Die Kuh schaute weg, sie interessierte sich überhaupt nicht für Sophia. Das war noch schlimmer, als wenn jemand sie anstarrte. Mit der Schulter versuchte sie das kräftige Tier zur Seite zu drängen.

„Nun geh endlich!“ Das Fell war rau und staubig. Sie schob fester, das Tier bewegte sich keinen Zentimeter, und Sophia empfand auf einmal ihre Ohnmacht. Keine Karriere, keine Schwester, keine Freunde mehr. Sie brach zusammen am warmen Hals dieser stoisch dastehenden Kuh und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Jemand auf der Ranch hatte Probleme.

Travis Chalmers warf seine Zange in die lederne Satteltasche und zog noch einmal prüfend am Stacheldraht. Er drückte seinen Cowboyhut tiefer in die Stirn, griff nach den Zügeln seines Pferdes und schwang sich in den Sattel. Das Hupen eines Autos signalisierte ihm, dass es irgendwo Schwierigkeiten gab. Er hoffte nur, dass keiner seiner Männer verletzt war.

Wieder ertönte die Hupe. Travis trieb das Pferd zum Galopp an und ritt in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Für einen Vorarbeiter war er jung, knapp über dreißig, aber er hatte seit seiner Geburt auf einer Ranch gelebt. Nichts, was mit Viehzucht zu tun hatte, war ihm fremd.

Er ritt den kleinen Hügel zur Straße hinauf, und die Ursache des Lärms kam ins Blickfeld. Eine junge Kuh stand auf der Straße und blockierte die Durchfahrt für einen Sportwagen. Dass die Kuh dort hatte hingelangen können, war keine Überraschung. Travis hatte eben eine Lücke in einem Stacheldrahtzaun repariert. Doch eine Frau lehnte an der Kuh, mit dem Rücken zu Travis.

Und was für eine Frau! Ihr langes Haar fiel perfekt frisiert auf ihre Schultern, sie war schlank und sportlich, und genau an den richtigen Stellen hatte sie Kurven. Das erkannte er mit einem Blick, denn sie trug enge schwarze Kleidung. Doch beim Anblick ihrer langen Beine in den oberschenkelhohen Stiefeln ritt er unwillkürlich etwas langsamer.

Es musste eine Fata Morgana sein. Keine Frau trug Overknie-Lederstiefel mit so hohen Absätzen. Diese Stiefel waren so sexy, dass sie an eine Heldin in einem Comic erinnerten. Halb nackt, mit hohen Absätzen – ein Anblick, der männliche Urinstinkte weckte.

Das Pferd hielt unbeirrt weiter auf die Kuh zu. Travis konnte die Augen nicht von der Frau lassen.

Sie hob den Kopf und wandte sich Travis zu. Drehte sich nun ganz um, lehnte sich an die Kuh und streckte die Arme an deren Rücken aus, als wäre es ihr Sofa. Der Wind wehte ihr das silberblonde Haar aus dem Gesicht. Abwartend schaute sie Travis entgegen.

Stiefel, nackte Haut, schwarzes Leder – das drehte sich wie ein Gedankenkarussell in Travis’ Kopf, bis die Autotür geöffnet wurde und ein Mann ausstieg. Dann wurde auch die Beifahrertür geöffnet. Die junge Kuh wandte den Kopf, sie hatte den Geruch des Pferdes wahrgenommen. Nun gewann der Rancher in Travis wieder die Oberhand, und er trieb das Pferd an.

Diese Färse war nicht harmlos. Wenn sie nervös wurde, konnte das kräftige Tier die Menschen, die dort herumstanden, schwer verletzen, auch die Sexgöttin in den schwarzen Stiefeln.

„Tag, Leute.“ Mit einem Blick erfasste Travis die anderen beiden. Eine besorgte Frau und ein verärgerter Mann. Travis schaute die sexy Frau nicht an, als er neben der kleinen Gruppe anhielt. Sein Herz schlug schneller. „Bleiben Sie bitte im Auto.“

„Sophia, steig wieder ein“, sagte der Mann geduldig und besorgt.

„Nein.“

„O Sophia.“ Die junge Frau schüttelte leicht den Kopf.

Sophia. Travis schaute sie wieder an. Sophia Jackson natürlich. Unverwechselbar. Ein Filmstar auf seiner Ranch, an eine Kuh gelehnt. Er konnte es kaum fassen.

Mit ihren blauen Augen beobachtete sie ihn, streckte das Kinn herausfordernd vor.

„Gehen Sie zur Seite“, sagte er sanft. Er sprach ruhig, um die Kuh nicht nervös zu machen – und auch diese Frau. „Ich schaffe das Tier aus dem Weg.“

„Nein. Sie mag mich.“ Sophia strich mit ihren langen, gepflegten Fingern durch das rötlich graue Fell.

„Tatsächlich?“ Er griff nach seinem Lasso.

„Meine Kuh will nicht von mir fort. Sie ist loyal.“

Travis hatte keine Zeit für solchen Unsinn.

„Geben Sie auf Ihre Zehen acht.“ Er trieb sein Pferd an, umrundete die Kuh und Sophia Jackson und gab dem Tier mit dem zusammengerollten Lasso einen Klaps aufs Hinterteil. Rasch trabte es von der Straße.

Sophia wirkte traurig, als die Kuh fort war. Das war ebenso absurd wie die ganze Situation.

Travis dirigierte sein Pferd zum Auto, um mit dem Fahrer zu sprechen. „Wo wollen Sie hin?“

„Danke, dass Sie das Tier von der Straße geholt haben. Ich bin Alex Gregory. Dies ist Grace, meine Verlobte.“

Travis wartete, doch der Mann stellte die Frau in den Stiefeln nicht vor.

„Travis Chalmers.“ Er tippte an den Hutrand und nickte der Frau mit dem besorgten Gesichtsausdruck zu, dann drehte er sich im Sattel halb um und nickte auch dem Filmstar zu.

„Chalmers, der Vorarbeiter?“, fragte der Mann. „Gut, dass wir Sie treffen. Die MacDowells haben gesagt, Sie wüssten Bescheid.“

Nicht genau.

Travis hängte das Lasso an den Sattelknauf. „Sie werden nun für einige Monate im Haus der MacDowells wohnen?“

„Nein, wir nicht, sondern Sophia, die Schwester meiner Verlobten. Sie braucht einen Ort, an dem sie sich verstecken kann.“

Travis hob fragend eine Augenbraue. „Wovor verstecken?“

„Paparazzi“, antwortete Grace. „Die sind zum Problem geworden nach dem Debakel mit …“ Sie lächelte voller Mitgefühl für ihre Schwester. „Na ja, Sophia braucht eine Auszeit.“

Sophia stakste auf ihren hohen Absätzen um das Auto, glitt auf den Rücksitz und schlug die Tür zu.

„Zeit und Privatsphäre“, fügte Alex hinzu. „Die MacDowells haben uns Diskretion zugesichert.“

Travis’ Pferd begann zu tänzeln und schnaubte unruhig.

„Sollen wir zum Haus fahren und uns dort weiter unterhalten?“, schlug Grace vor.

Travis behielt die Kuh im Auge, die nun davontrottete. „Ich bringe die Kuh zurück auf die Weide. Danach kümmere ich mich noch um die Brandzeichen. Aber bis Sonnenuntergang bin ich zurück. Auf dem Weg zu meiner Wohnung komme ich am Haupthaus vorbei. Ich schaue noch kurz rein.“

„Wir wollten nicht den ganzen Tag bleiben.“ Die Frau warf ihrem Verlobten einen ärgerlichen Blick zu.

Sie konnten nicht erwarten, dass er mitten am Tag seine Arbeit liegen ließ. Kühe, die frei herumspazierten, konnten nicht bis morgen warten. Und im Mai gab es jede Menge zu tun auf der Ranch. Aber offensichtlich steckte mehr hinter der Sache.

„Also dann. Unterhalten wir uns.“ Er stieg vom Pferd, um zu signalisieren, dass er sich Zeit für sie nahm. Außerdem konnte er Sophia im Auto nicht sehen, wenn er dort oben sitzen blieb. Es schien nötig zu sein, ein Auge auf sie zu haben, genau wie bei der ausgebüxten Kuh.

Als er vor dem Auto stand, konnte er durch die Windschutzscheibe nicht viel erkennen. Er erhaschte einen Blick auf schwarzes Leder. Sophias Hände waren zu Fäusten geballt. Die Frau war mit den Nerven am Ende.

„Sophia braucht einfach Ruhe“, sagte ihre Schwester.

„Die kann sie haben.“ Ihm lag nichts daran, in der Nähe einer Person zu bleiben, die ihn so aus dem inneren Gleichgewicht brachte.

„Wenn Leute mit Kameras hier herumschnüffeln, erzählen Sie ihnen bitte nichts.“

„Madam, wenn Leute mit Kameras hier herumschnüffeln, geleite ich sie bis an die Grenze der Ranch.“

„Ach, wirklich?“ Sie wirkte überrascht und erleichtert.

Er nahm seinen Hut ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

„Wir dulden kein unerlaubtes Betreten des Geländes“, erklärte er. „Da machen wir keinen Unterschied zwischen Fotografen und Viehdieben.“

„Aber die Paparazzi werden Ihnen Geld anbieten.“

Travis wollte ihre Andeutung, er könne bestochen werden, zurückweisen, da mischte Alex sich ein. „Natürlich nur, wenn die Kerle sie finden. Wir haben uns größte Mühe mit der Auswahl des Verstecks gegeben. Wir haben ihr das Smartphone weggenommen, damit sie nicht versehentlich ein Foto in der Cloud speichert, aus dem man Rückschlüsse auf ihren Aufenthaltsort ziehen könnte. Hacker werden für solche Informationen bezahlt. So weit gehen manche Leute.“

„Sie hat ein Wegwerfhandy für Notfälle“, sagte Grace. „Aber wenn Sie sich um sie kümmern könnten …?“

Travis war bewusst, dass die Fahrer- und die Beifahrertür des Wagens weit geöffnet waren. Die Person, um die sich diese Unterhaltung drehte, konnte jedes Wort hören. Es erschien ihm unhöflich, über sie zu sprechen, als wäre sie nicht da.

„Wenn sie es möchte, mach ich das.“

Er schaute wieder durch die Windschutzscheibe. Ein Knie in schwarzem Leder wippte auf und ab, nervös, ungeduldig.

„Wie viele Leute arbeiten auf der Ranch?“, fragte der Mann.

„Werden sie meine Schwester in Ruhe lassen?“, fragte die Frau.

Dank seiner langen Erfahrung bei der Arbeit mit Tieren gelang es Travis, seinen Ärger nicht zu zeigen.

„Ranchangelegenheiten bespreche ich gewöhnlich nicht auf der Straße mit Fremden.“

Der Mann nickte. Die Frau biss sich auf die Lippen, und Travis sah ein, dass sie sich nicht ihretwegen Sorgen machte.

„Nun, die Zahl der Arbeitskräfte, die im Schlafhaus wohnen, variiert je nach Jahreszeit. Keiner von uns geht ins Haupthaus, um sich Mrs. MacDowells Gästen vorzustellen.“ Travis sprach deutlich, um sicher zu sein, dass die Frau im Auto ihn auch hörte. „Wenn Ihre Schwester nicht gesehen werden möchte, sollte sie besser nicht mitten auf einer Weide stehen und mein Vieh umarmen.“

Grace senkte den Kopf, um ihr Grinsen zu verbergen.

„Wenn Sie jetzt zum Haus fahren möchten – ich habe zu tun.“

„Danke“, sagte Grace, doch nun wirkte sie wieder besorgt. „Wenn Sie trotzdem nach ihr schauen könnten? Sie ist zerbrechlicher, als sie aussieht …“

Ein lautes Hupen unterbrach sie. Beinahe wären Travis die Zügel aus der Hand geglitten, als seine Stute instinktiv einen Satz machte.

Gerade hatte er das Pferd wieder unter Kontrolle, als die Hupe schon wieder ertönte. Er fuhr herum und starrte die beiden Leute an, die neben dem Auto standen.

„Sagen Sie ihr, sie soll das lassen.“

Der Mann beugte sich in den Wagen. „Es reicht, Sophia.“

Noch ein kurzes Hupen. Gott sei Dank vertraute sein Pferd ihm; diesmal zuckte es nur ein bisschen zusammen. Aber jetzt hatte Travis genug. Er hielt die Zügel fest in der Hand, ging an dem Mann vorbei und riss die Tür zum Fond auf.

Das erste, was er sah, war Sophias Hinterteil in der schwarzen Hose, denn sie hatte sich vorgebeugt, um die Hupe zu erreichen. Doch rasch wandte sie sich Travis zu. Dabei streckte sie ihren Arm immer noch in Richtung Lenkrad.

„Machen Sie das nicht noch mal!“

„Hören Sie auf, rumzustehen und über mich zu sprechen. Ich will zu dem Haus. Jetzt.“ Sie hupte wieder und sah Travis dabei an.

„Was zum Teufel ist mit Ihnen los? Ich habe gesagt, Sie sollen das lassen.“

„Sonst was?“ Sie starrte ihn kampflustig an.

„Jedes Mal, wenn Sie hupen, lässt ein Cowboy auf dieser Ranch seine Arbeit liegen, um nachzuschauen, wo Hilfe gebraucht wird. Es ist kein Spiel. Bei uns ist das ein Hilferuf.“

Offensichtlich hatte sie das nicht gewusst. Aber dann kniff sie die Augen zusammen und griff wieder nach vorn zum Lenkrad.

„Sie müssen bloß noch mal hupen, dann stehen hier in kurzer Zeit eine Menge Cowboys auf der Straße und weichen nicht zurück, bis Sie das Auto wenden und dorthin zurückfahren, wo Sie hergekommen sind.“

Ihre Hand blieb über dem Lenkrad in der Schwebe. Er schaute Sophia fest an, forderte sie beinahe heraus, es auszuprobieren.

„Ich möchte sowieso nicht hierbleiben“, sagte sie.

Travis wies mit dem Kopf in Richtung Lenkrad. „Dann wenden Sie den Wagen, statt diese verdammte Hupe zu drücken.“

Langes Schweigen.

Ihre Schwester beugte sich ins Auto und sagte sanft: „Sophia, du kannst sonst nirgends hin. Du kannst nicht bei mir und Alex wohnen.“

Travis sah, wie das Funkeln in Sophias Augen erlosch. Er sah ihren Schmerz, und sie tat ihm leid.

Sie sank auf dem Sitz zusammen und verschränkte die Arme. „Na ja, ich will kein Pferd erschrecken.“

Travis richtete sich auf und schloss die Tür. Er schaute über die Weide und entdeckte die Kuh, die nun schon doppelt so weit entfernt war wie vorher.

Er musste dieses Tier einfangen und die Vergabe der Brandzeichen überwachen. Wenn die Sonne unterging, wünschte er sich eigentlich nur noch eine warme Dusche und ein Bett. Aber heute Abend musste er noch zum Haupthaus hinüber und nach einem Filmstar schauen – einem traurigen, wütenden Filmstar.

Travis nickte der Schwester und ihrem Verlobten zu und schwang sich in den Sattel. Die Kuh hatte nun aufgehört zu grasen und trottete immer weiter.

Wenn Cowboys seufzen würden, hätte Travis das jetzt getan. Stattdessen lenkte er sein Pferd in Richtung der Kuh und trieb es mit einem Schenkeldruck an. Sie hatten einen langen, anstrengenden Ritt vor sich.

2. KAPITEL

Sie war allein.

Grace und Alex hatten sie verlassen. Alex hatte einige Sicherungen eingeschaltet und so für Strom gesorgt, und Grace hatte Tüten mit Lebensmitteln aus dem Auto hereingebracht und auf die blau geflieste Arbeitsplatte gelegt. Doch niemandem war aufgefallen, dass der Gefrierschrank nicht funktionierte. Nun würde das Essen verderben, und Alex und Grace würden erst in einer Woche zurückkommen und nach Sophia schauen. Bis dahin würde sie verhungert sein, auf dem Küchenboden liegen, die Augen starr auf die blaue Tapete mit den weißen Gänsen gerichtet.

Letztes Jahr hatte sie noch Givenchy getragen bei ihrer Dankesrede bei der Preisverleihung.

Ich hasse mein Leben.

Sophia setzte sich auf einen harten Stuhl am Küchentisch und weinte.

Ich hasse mich selbst für das, was ich daraus gemacht habe. Und ich weiß genau, warum meine Karriere den Bach runtergeht.

Weil niemand mit ihr arbeiten wollte. Das lag an ihrem Ex, DJ Deezee Kalm.

Kalm hatte nichts als Chaos in ihr Leben gebracht, seit er aufgetaucht war. War das wirklich erst vor fünf Monaten gewesen?

Damals galt Sophia Jackson noch als der aufstrebende Superstar. Drehbücher der besten Autoren wurden ihr ins Haus geliefert. Sophia und ihre Schwester, ihre treue Assistentin, hatten sich einen Urlaub verdient. Nach zehn Jahren harter Arbeit wurden Sophias Träume wahr, und sie hätte eigentlich begeistert sein müssen. Doch wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie erschöpft war.

Eine Woche in Telluride, einer kleinen Bergarbeitersiedlung, die sich zu einem mondänen Ort für Millionäre gewandelt hatte, schien dafür perfekt zu sein. Eine Woche ohne Sorgen, ob sie die richtigen Entscheidungen für ihre Zukunft traf. Unter all den reichen und berühmten Leuten würde man sie zwar erkennen, aber wohl nicht anstarren.

Doch DJ Deezee Kalm hatte sich für sie interessiert. Und Sophia war auf seine Lügen reingefallen. Nun konnte sie sich neun Monate lang nicht mehr sehen lassen. Und war hier gelandet, allein mit ihren Sorgen und mit einigen tiefgekühlten Biogerichten, die allmählich auftauten.

Beim Gedanken an Deezee hätte sie am liebsten etwas an die Wand geworfen. Wenn sie den Salzstreuer in Form einer Gans dafür nahm, konnte sie das Keramikteil aus den Achtzigern wahrscheinlich nie mehr ersetzen.

Sie richtete sich auf – schließlich musste sie die Einkäufe in den Papiertüten wegräumen. Doch der Schmerz in ihrem Knöchel trieb ihr Tränen in die Augen. Sie hatte ihn sich ziemlich heftig verstaucht auf dem staubigen Weg, als sie die Kuh vertreiben wollte. Also setzte sie sich wieder, um die unbequemen Stiefel mit den High Heels auszuziehen.

Diese Kuh auf der Straße … Sophia hoffte, dass das Tier den Cowboy auf Trab gehalten hatte, diesen Mr. Hören-Sie-auf-zu-hupen. Er hatte sein Pferd absolut unter Kontrolle gehabt, als er fortritt wie Indiana Jones. Also hatte er doch gelogen, als er behauptete, das Hupen mache sein Pferd nervös.

Vertrau keinem Mann! Die Lektion habe ich gelernt.

Und nun saß sie hier in Texas fest. Grace hatte sie hierhergeschleppt für einen Auftritt zugunsten einer texanischen Rettungsorganisation. Ihre Schwester hatte gehofft, mit Wohltätigkeitsveranstaltungen und Spenden den Schaden reparieren zu können, den Sophia ihrem Ruf zugefügt hatte. Stattdessen war Deezee mitten in solch einer Veranstaltung aufgetaucht und hatte Sophia gebeten, sich mit ihm zu versöhnen. Sophia war wieder darauf reingefallen. Unter ständiger Verfolgung von Fotografen war sie mit ihm auf eine Insel in der Karibik gereist.

Ich muss dir was Lustiges sagen, Deezee. Als ich auf einen kleinen Plastikstab gepinkelt habe, hat er sich verfärbt.

Bei ihrer Rückkehr von St. Barth erfuhr Sophia, dass ihre Schwester sich mit einem Arzt von Texas Rescue verlobt hatte, einem Mann, der sein soziales Engagement ernst zu nehmen schien. Nun wollte ihre Schwester nicht mehr nach L. A. zurück. Und Grace war der Meinung, es wäre auch für Sophia gut hierzubleiben.

Wegen der Farbveränderung auf dem Plastikstab meinte Grace, Sophia brauche eine Auszeit, um eine Entscheidung über ihre Zukunft zu treffen. Dabei hatte die sich seit zehn Jahren ständig darum Sorgen gemacht.

Barfuß humpelte Sophia hinüber zu den Einkaufstüten, nahm die kalten und feuchten Sachen heraus und legte sie ins Spülbecken. Sie rieb ihre Tränen an der Schulter ab und schaute sich den Gefrierschrank genauer an.

Die Besitzerin hatte ihn ausgeschaltet. Ehe Mrs. MacDowell für ein Jahr nach Afrika abgereist war, wo sie ehrenamtlich für eine Ärzteorganisation arbeitete, hatte sie kleine Plastikkeile angebracht, damit die Türen des Gefrierschranks offen blieben und sich kein Schimmel darin bildete.

Sophia hatte ein Handy für Notfälle, und nun benutzte sie es.

„Grace? Ich bin’s. Alex hat den Gefrierschrank nicht angeschaltet.“

„Sophia, das ist kein Notfall.“ Grace sprach sanft, wie jemand, der ein Kind tadelt und ihm gleichzeitig Mut macht. „Du weißt doch, wie man einen Schalter in einem Sicherungskasten umlegt.“

„Ich weiß nicht mal, wo der Sicherungskasten ist.“

Grace seufzte, und Sophia hörte, wie sie kurz mit Alex sprach. „Er ist im Dielenschrank. Ich muss jetzt los. Tschüs.“

„Warte! Bleib dran, bis ich den Sicherungskasten gefunden habe. Und wenn das Gerät dann immer noch nicht läuft?“

„Dann rufst du am besten einen Elektriker an.“

Sophia war entsetzt. „Wie soll ich denn einen finden?“

„An der Wand in der Küche hängt ein Telefon. Auf dem Schränkchen darunter liegt ein Telefonbuch.“

Sophia schaute in der Küche nach. Tatsächlich, ein Telefon mit Hörer und Ringelschnur.

„Meine Güte, das ist vielleicht retro!“

„Es wäre viel schwieriger für Paparazzi, eine Telefonleitung anzuzapfen, als mit einem Scanner dieses Telefongespräch abzuhören. Du kannst einen Elektriker anrufen.“

Sophia biss die Zähne zusammen. Seit ihre jüngere Schwester die Highschool abgeschlossen hatte, bezahlte Sophia sie dafür, dass sie ihr solche Alltagsdinge abnahm. Nun ließ Grace sie im Stich.

„Und wie soll ich den Handwerker bezahlen?“

„Du hast eine Kreditkarte. Wir haben sie auf mich ausstellen lassen, aber es ist deine.“ Graces Stimme klang traurig, nur ein bisschen Ungeduld schwang mit.

Sophia merkte, dass ihre Schwester ihr entglitt. „Wie soll ich unerkannt bleiben, wenn der Elektriker hierherkommt?“

„Wickle dir ein Geschirrtuch um den Kopf oder so.“

„Ich bin dir völlig egal.“ Ihre Stimme hätte mitten in dem Satz versagen müssen, weil ihr Herz brach. Doch sie spürte, dass sie besser nicht zu weit ging.

„Du wirst dir schon was ausdenken, Sophia. Das ist doch ein Klacks für dich.“

O Gott, ihre Schwester hörte sich genauso an wie ihre Mutter. Vor zehn Jahren hatten sie ihre Eltern von einem Tag auf den anderen verloren, sie waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Mit neunzehn war Sophia Vormund ihrer Schwester geworden, die damals noch zwei Jahre bis zum Highschool-Abschluss vor sich hatte.

Gar nichts war ein Klacks gewesen. Sophia war vom College abgegangen und wieder zu Hause eingezogen, damit Grace die Highschool in ihrer Heimatstadt abschließen konnte. Sophia musste mit der Lebensversicherung auskommen. Sie hatte versucht, mit Modeljobs etwas dazuzuverdienen. Für fünfzig Dollar hatte sie sechs Stunden lang lächelnd eine Matratze präsentieren müssen.

Während der gesamten Aufnahmen hatte sie sich nicht anmerken lassen dürfen, wie traurig sie darüber war, dass sie dafür ein Stipendium für ein Studium der Theaterwissenschaft aufgegeben hatte. Um ihre kleine Schwester durchzubringen, musste sie Abstriche machen. Die Werbeaufnahmen für eine Matratze waren damals das, was Sophias Traumjob am nächsten kam.

Dieser erste Job war ein Erfolg gewesen, die Aufnahmen wurden sogar landesweit verbreitet, doch Sophia hatte dafür nicht einen Cent mehr bekommen. Ihr Honorar hatte sie am selben Tag für Benzin und Lebensmittel ausgegeben.

Nun wollte Grace ihr eigenes Leben führen. Es erschien Sophia besonders grausam, dass Grace ihr Ratschläge wie ihre Mutter gab.

„Ich muss los“, hörte Sophia am anderen Ende der Leitung. „Ich hab dich lieb, Sophia. Du schaffst das. Tschüs.“

Rasch ging Sophia zum Dielenschrank, um den Sicherungskasten zu suchen. Sie drehte ein paar nach rechts, dann wieder nach links. Wenn sie alle aus- und einschaltete, musste sie die richtige für den Gefrierschank doch finden.

Nichts änderte sich. Der Gefrierschrank zeigte immer noch nichts an, als sie in die Küche zurückging. Die Lebensmittel tauten im Spülbecken vor sich hin. Ihr Leben ging den Bach runter.

Gott, sie hasste sich selbst dafür.

Dann lachte sie darüber, wie sehr sie in Selbstmitleid versank. Danach begann sie zu weinen. Und nachdem sie angefangen hatte, konnte sie tatsächlich nicht mehr aufhören.

Ich bin schwanger, ich habe Angst, und ich wünschte, meine Mutter wäre hier.

Sophia sank auf den Küchenboden, umfasste ihre Knie und weinte hemmungslos.

Sollte er, oder sollte er nicht?

Travis ritt langsam; er war hundemüde und hungrig. Sein Pferd durfte sich auf dem Heimweg abkühlen. Noch eine halbe Meile zum Schuppen, eine viertel Meile weiter zu seinem Haus. Ein Filmstar mit Allüren hatte ihm da gerade noch gefehlt.

Das Haus der MacDowells lag nahe am Schuppen. Als die Stute weiterging, erblickte er die weißen Verandapfeiler des Hauses. Die untergehende Sonne färbte den Himmel dahinter rosa und orange. Das Licht war an, Sophia Jackson war zu Hause.

Dann ging das Licht aus. Danach wieder an.

Was war los?

Die Stute kaute ungeduldig auf dem Gebiss, sie spürte Travis’ Unruhe.

„Ja, Mädchen. Auf geht’s!“ Er ließ das Pferd Geschwindigkeit aufnehmen. Normalerweise trieb er ein Pferd auf dem Weg nach Hause nie zur Eile an. Aber er trug für alles auf der River Mack Ranch die Verantwortung, einschließlich des Hauses und der neuen Bewohnerin.

Wieder blinkte das Licht auf, und diesmal blieb es an.

3. KAPITEL

Travis ritt um das Haus herum. Auf der Rückseite gab es einen Pfahl zum Anbinden. Normalerweise nutzten sowieso alle den Kücheneingang dort hinten.

In seinem ersten Jahr hier auf der Ranch hatte er schnell gelernt, dass er den Schuppen besser immer auf der dem Haus zugewandten Seite verließ. Meistens öffnete Mrs. MacDowell dann die Küchentür und rief die Cowboys herein. Sie backte oft Kuchen und behauptete, allein schaffe sie es nicht, ihn aufzuessen. Seit ihre Söhne auswärts Medizin studierten, versorgte sie gern andere junge Männer, vermutete Travis. Als Fünfundzwanzigjähriger, der sich im Schlafhaus aus Konservendosen ernährte, hatte er ihr immer gern geholfen, Abfall zu vermeiden.

Travis grinste beim Gedanken daran. Von seiner erhöhten Position auf dem Pferderücken schaute er in die Küche, als er am Fenster vorbeikam, und sah die Frau. Blondes Haar, schwarze Kleidung … zusammengekauert auf dem Boden, weinend.

„Brr“, sagte er sanft, und die Stute blieb stehen.

Sophia Jackson hielt die Knie vor der Brust umfangen. Nun warf sie ihr silberblondes Haar zurück und stand auf.

Sie hatte Kummer, und dabei konnte Travis nicht helfen. Wenn ein Greenhorn beim Zusammentreiben des Viehs Heimweh bekam oder ein Cowboy wegen eines Abschiedsbriefs seiner Freundin einen Durchhänger hatte, behielt Travis ihn aus der Ferne im Auge. Wenn sie reden wollten, hörte er ihnen geduldig zu. Manche erleichterten ihr Herz. Die meisten aber nicht.

Also beschloss er, Sophia Jackson Zeit zu lassen. Es wäre noch früh genug, wenn er morgen Abend nach ihr schaute.

Mit einem Schenkeldruck trieb er sein Pferd an, da nahm er aus den Augenwinkeln wahr, wie Sophia die Wange an der Schulter abwischte. Er versuchte, nicht mehr daran zu denken, als er den Schuppen erreichte, aber das Bild verfolgte ihn, während er die Stute absattelte und kurz abspritzte. Genauso hatte Sophia die Wange abgewischt, als er sich ihr heute Nachmittag genähert hatte. Hatte sie geweint, als sie an der Kuh gelehnt hatte?

Er rieb sich das Kinn. Im Auto hatte sie die Hände geballt und nervös mit den Beinen gewippt. Eine Frau am Rand eines Nervenzusammenbruchs, hatte er gedacht. Heute Abend war sie wohl endgültig zusammengebrochen.

Es war nicht sein Problem, verdammt.

Aber es war seltsam, wie sie das Licht an- und ausgeschaltet hatte. Was hatte das mit ihrer Traurigkeit zu tun?

Seine Stute stupste ihn an der Schulter.

„Ich weiß, ich muss nach ihr schauen.“ Er brachte die Stute in die Box, dann machte er sich auf den Weg zum Haus. Es waren nicht einmal hundert Meter vom Schuppen zu der gefliesten Terrasse. Die Küchentür war abgeschirmt durch die kleine Veranda und eine Markise.

Auf dem Weg zur Tür dachte Travis daran, wie lange er heute im Sattel gesessen hatte. Er hatte Hunger wie ein Wolf.

Er nahm den Hut ab und klopfte an die Tür. Keine Antwort.

Er klopfte wieder. Sein Magen knurrte.

„Gehen Sie!“ Der Filmstar hörte sich nicht besonders traurig an.

Travis lehnte sich mit der Hand an den Türpfosten. „Haben Sie das Licht repariert, Madam?“

„Ja. Gehen Sie!“

Auch gut. Sein Herz schlug schneller, wenn er nur ihre Stimme hörte, und das gefiel ihm nicht. Er setzte den Hut auf und wandte sich ab, als er hörte, dass die Tür geöffnet wurde.

„Warten Sie. Kennen Sie sich mit Gefrierschränken aus?“

Er wandte den Kopf und musste zweimal hinschauen. Sie trug ein Geschirrtuch um den Kopf, der blau-rote Stoff verdeckte fast ihr Gesicht. „Was soll das denn …?“

„Ich möchte nicht, dass Sie mich sehen. Können Sie den Gefrierschrank zum Laufen bringen?“

„Wahrscheinlich.“ Er nahm den Hut ab, als er unter die Markise trat, aber Sophia wich nicht zurück, um ihn hineinzulassen.

„Haben Sie einen Fotoapparat dabei?“

„Nein.“

„Ein Handy?“

„Natürlich.“

„Legen Sie es hier auf den Boden.“ Sie wies vor ihre Füße. „Keine Aufnahmen.“

Er zwang sich zur Geduld. Diese Frau war verrückt, mit ihrem Geschirrtuch und ihren Forderungen. „Wollen Sie jetzt, dass ich nach dem Gefrierschrank schaue, oder nicht?“

„Niemand kommt mit einem Handy ins Haus. Niemand fotografiert mich einfach so. Wenn es Ihnen nicht passt, müssen Sie gehen.“

Travis setzte den Hut auf und wollte los. Sie war herausgekommen ans Verandageländer und hob das Geschirrtuch gerade so weit an, dass sie darunter hervorspähen konnte. Er biss die Zähne zusammen, als er sie bauchfrei, aber sonst schwarz gekleidet dastehen sah. Die schenkelhohen Stiefel trug sie nicht mehr. Er sah nur ihre langen, nackten Beine.

Verdammt! Er war schon gierig danach, etwas zu essen zu bekommen. Da musste nicht auch noch die Gier nach anderen Dingen geweckt werden.

„Das war’s dann“, sagte er und machte sich auf den Weg zum Schuppen.

„Warten Sie! Okay, ich mache eine Ausnahme, aber nur dieses eine Mal. Sie müssen Ihr Handy nicht aus der Tasche holen, solange Sie bei mir sind.“

Er ging weiter.

„Lassen Sie mich nicht allein. Gehen Sie nicht, bitte.“

Er hätte nicht zurücksehen sollen, aber er tat es trotzdem. Sie wirkte so verloren, als sie nun das Handtuch von einem Auge wegnahm. Wie sie ihn anschaute, erinnerte ihn an einen Fuchs, der sich in einem Zaun verfangen hatte und nicht wusste, ob er beißen oder sich befreien lassen sollte.

Er war wütend auf sich selbst, doch er ging zurück zur Veranda und knallte die Hacke seines Stiefels in den gusseisernen Stiefelknecht neben der Tür.

„Was machen Sie?“ Sie schaute zu, wie er die Stiefel nacheinander auszog.

„Sie machen sich um die falschen Dinge Sorgen. Das Handy ist kein Problem. Ein Mann, der aus dem Stall kommt und die Stiefel nicht auszieht, das könnte unangenehm sein. Mrs. MacDowell hat es nie erlaubt.“ Und dann erinnerte er sich daran, wie besorgt die Schwester wegen der Belästigungen durch die Paparazzi gewesen war, und ließ das Handy in einen seiner Stiefel gleiten. „So. Und jetzt nehmen Sie das Handtuch vom Kopf.“

An Sophia vorbei ging er in die Küche und hängte seinen Hut an einen der Haken neben der Tür. Er öffnete den Gefrierschrank. Das Gerät funktionierte offensichtlich nicht. „Sie haben schon die Sicherung überprüft, nehme ich an.“

„Ja.“

Natürlich. Deshalb war das Licht an- und ausgegangen.

Sie kam auf ihn zu mit einer Handvoll Plastikdreiecke. „Diese Keile waren in der Tür. Ich habe sie rausgenommen, weil ich dachte, wenn ich die Tür schließe, schaltet sich das Gerät ein. Ich sehe keinen Schalter dafür.“

Das Handtuch war jetzt verschwunden. Sie war wirklich die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Ihre berühmten blauen Augen waren verschwollen vom Weinen, und trotzdem war sie umwerfend. Sein Herz musste für einen Augenblick ausgesetzt haben, denn er spürte den heftigen Schlag in seiner Brust, als es wieder zu pochen begann.

Plötzlich warf sie die Plastikkeile auf den gefliesten Boden. „Starren Sie mich nicht an! Ja, ich habe geweint. Sagen Sie allen Ihren Freunden: ‚He, ihr solltet Sophia Jackson weinen sehen. Sie sieht potthässlich aus.‘ Ich möchte, dass dieser Gefrierschrank läuft. Wenn Sie aber nur rumstehen und mich anstarren, dann machen Sie, dass Sie rauskommen.“

Wenn Travis etwas bei seinem Umgang mit Tieren gelernt hatte, dann, dass sich am besten nur einer aufregte. Wenn sein Pferd sich erschreckte, musste er ruhig bleiben. Wenn nun ein Filmstar besorgt war wegen seines Aussehens, dann beachtete er das wohl am besten gar nicht.

Es gelang ihm nicht ganz. Sie sah einfach schön aus, trotz ihrer roten Nase und der Tränenspuren. Er war beeindruckt, doch wenn er sie angestarrt haben sollte, dann war es nichts anderes, als wenn er für einen Moment einen farbenprächtigen Abendhimmel bewundert hätte.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an die Arbeitsplatte. „Ist der Stecker in der Dose?“

Sie brauchte einen Moment, um zu reagieren. „Ich kann nicht dahinter schauen, und ich kann das blöde Ding nicht bewegen. Die ganze Zeit muss ich schon zusehen, wie meine Lebensmittel auftauen.“ Ihre Oberlippe zitterte ein wenig.

Am liebsten hätte er sie geküsst. Er schob den Gedanken zur Seite. „Haben Sie denn versucht, ihn wegzurücken?“ Er nickte in Richtung des Geräts, ein riesiger Einbau-Gefrierschrank für eine Familie, die zum Großteil aus hungrigen Männern bestand. „Versuchen Sie es.“

„Ich soll etwas bewegen, das zehnmal schwerer ist als ich? Blondinen sind doof, ja?“ Sie fasste nach dem Griff der offenen Tür und zog mit aller Kraft daran.

Der Gefrierschrank rollte ein Stück auf sie zu, was ihr einen Aufschrei entlockte. Travis musste sich ein Grinsen verkneifen.

Sie presste die Lippen zusammen und bemühte sich, nicht wieder die Fassung zu verlieren.

Das stimmte Travis milder. „Ein Gerät in dieser Größe muss eingebaute Rollen haben. Sonst bekäme man es nicht vom Fleck.“

„Das habe ich nicht gewusst.“ Sie stand wie angewurzelt da.

Müde setzte Travis sich in Bewegung. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen beim Einstecken.“

„Nein, das mach ich schon.“ Nachdem sie das Monster weiter herausgezerrt hatte, schwang sie sich auf die blau geflieste Arbeitsplatte. Kniete sich darauf, beugte sich hinter den Gefrierschrank und tastete nach dem Kabel. Travis wusste, dass es sich nicht gehörte, aber ihr Hinterteil und die kurvigen Hüften merkten schließlich nicht, wie genüsslich er sie betrachtete.

Als Sophia das Kabel eingesteckt hatte, begann das Gerät sofort zu brummen. Sie glitt geschmeidig wie eine Katze von der Arbeitsplatte. Unter ihrem kurzen Shirt blitzte nackte Haut auf.

Travis spürte nagenden Hunger, er nahm seinen Hut vom Haken. „Dann gute Nacht.“

„Wo gehen Sie hin?“

„Zurück an die Arbeit.“ Er schloss die Tür hinter sich. Schlüpfte in einen Stiefel und kam ein wenig ins Wanken. Er brauchte etwas zu essen und Schlaf.

Die Tür wurde schwungvoll geöffnet, und er hielt sie fest, bevor sie ihn umwarf. „Was denn noch?“

„Ich brauche Lebensmittel. Es ist alles aufgetaut.“ Sie schaute über die Schulter zum Spülbecken, dann zu Travis und wartete.

Städtern musste man manchmal erklären, wie die Dinge liefen. „Sie können morgen in die Stadt fahren.“

„Ich? Ich kann in keinen Lebensmittelladen gehen.“

„Der weiße Pick-up steht allen hier zur Verfügung. Die Schlüssel sind im Schuppen, am Haken neben der Sattelkammer.“

„Ein Truck?“ Sie wich einen Schritt zurück.

„Ich wüsste nicht, wie Sie sonst hinkommen sollen. Es sind etwa zwanzig Meilen bis Austin, wo das nächste Lebensmittelgeschäft ist.“

„Sie müssen für mich einkaufen.“

„Nein. Es ist Mai.“ Er setzte seinen Hut auf, damit er die Hände frei hatte, um seinen zweiten Stiefel aufzunehmen und das Handy herauszuholen.

„Es ist Mai? Was ist das für eine Antwort? Fasten Sie im Mai, machen Sie eine Darmreinigung oder so was?“

Travis schaute auf, aber sein Grinsen erlosch sofort. Anscheinend war es ihr ernst damit. „Auf der River Mack Ranch geht es rund im Mai.“

Sie schaute ihn abwartend an.

„Wir haben jede Menge zu tun. Wir vergeben Brandzeichen. Wir müssen ein Auge auf die Kühe haben, die jetzt noch kalben, die Bullen …“ Sich um eine Herde zu kümmern war eine Aufgabe, die ständigen Einsatz verlangte.

Sophia wies zur Küche. „Ich habe nichts zu essen. Sie müssen mir helfen.“

Er stieg in seinen zweiten Stiefel. „Nur wenn Sie eine trächtige Kuh wären.“

Als sie vor Schreck die Luft einsog, begann er zu kichern. „Ich sorge dafür, dass jedes Tier hier auf der Ranch zu fressen bekommt, aber Sie, Madam, sind eine erwachsene Frau, die für sich selbst sorgen kann.“

Wie konnte er nur so grob sein!

„Aber ich kann die Ranch nicht verlassen.“

„Ich auch nicht.“ Er tippte als Abschiedsgruß an seinen Hut. „Und nun entschuldigen Sie mich, ich muss die Pferde füttern, bevor ich mir was zu essen mache.“

4. KAPITEL

Eine trächtige Kuh.

Wenn Sophia Jackson, die einen Golden Globe gewonnen hatte und für den Academy Award nominiert worden war, auf dieser Ranch Hilfe brauchte, musste sie aussehen wie die Kuh, die sie mitten auf der Straße umarmt hatte.

Sie sah aus wie ein Filmstar, und das bedeutete, dass niemand ihr helfen würde.

Das war nichts Neues. Es ging ihr ganz gut, aber zwischen ihren Engagements schmolzen ihre Ersparnisse mit beängstigender Geschwindigkeit dahin. Auch wenn sie keine Gage erhielt, musste Sophia alle anderen bezahlen: PR-Leute, Manager, Agenten, Fitnesstrainer, Stylisten … und ihre persönliche Assistentin Grace.

Sophia musste sie alle bezahlen, damit sie für sie arbeiteten und ihr neue Rollen und damit auch neue Einkünfte verschafften.

Die nächsten neun Monate würde es keinen neuen Job geben. Sophia strich über ihre durchtrainierten flachen Bauchmuskeln. Die ganze Geschichte mit der Schwangerschaft erschien ihr unwirklich. Alex, der doofe Doktor, hatte ihr erklärt, dass bei einer Erstgebärenden, die so gut in Form war, die Anzeichen einer Schwangerschaft erst ab dem vierten oder fünften Monat zu sehen waren.

In der Zeit hätte sie noch einen Film drehen können …

Aber niemand in Hollywood wollte mit ihr arbeiten. Weil sie auf einen Loser hereingefallen war, der ihr den hart erarbeiteten guten Ruf ruiniert hatte. Wenn sie DJ Deezee, diesen Idioten, bloß nie getroffen hätte!

Sie nahm den Gänse-Salzstreuer in die Hand und umklammerte ihn ganz fest. Das Einzige, was ihr im Moment noch etwas einbrachte, war der Verkauf ihrer Filme auf DVD.

Die Keramikgans in ihrer Hand wäre bei dem heftigen Druck zerkrümelt, wenn dies ein Film wäre. Aber dafür hätte ein Requisiteur den Salzstreuer aus Zuckerguss nachbauen müssen. Filme waren Illusion.

Dies hier war nur zu real. Sie konnte kein Keramikteil zerdrücken, sie konnte es höchstens an die Wand werfen. Deezee schlug immer wieder Hotelzimmer kurz und klein. Sie starrte noch einen Augenblick auf die Gans in ihrer Hand. „Wir können das alles ändern, stimmt’s?“

Sie glaubte die Stimme ihrer Schwester zu hören: Du hast keinen Ort, an den du gehen kannst. Du kannst nicht bei mir wohnen.

Schwindel überkam Sophia. Sie schloss die Augen und drückte ihr Gesicht in ihre Fäuste. Der winzige Schnabel des Gänse-Salzstreuers bohrte sich in ihre Stirn.

Sophia flüchtete sich auf die großzügige Veranda. Bei Tag hatten die weißen Säulen den Rahmen für eine endlose Landschaft mit grünen und braunen Feldern gebildet. Bei Nacht war die Dunkelheit überwältigend, wie auf einem Raumschiff – man war umgeben von nichts als dunklem Himmel. Und da waren so viele Sterne. Keine Stadt in der Nähe, deren Lichter sie unsichtbar machten. Ganz einsam …

Ihr gewohntes Leben war hier zu Ende, auf einer Veranda mitten im Nichts.

Sie schleuderte den Salzstreuer in die Luft. Er verschwand in der Dunkelheit.

Wenn sie nicht auf dieser Ranch bleiben wollte, dann zwang doch niemand sie dazu. Es gab einen Pick-up, hatte der Cowboy gesagt. Die Schlüssel hingen im Schuppen. Sie ging hastig die Stufen hinunter, doch unten war ein Kiesweg, und sie hatte nackte Füße. Deshalb verließ sie den Pfad und ging vorsichtig durch Staub und Gras auf den Stall zu.

Ich will mein Tempo nicht drosseln. Wenn ich einmal aus dem Hollywood-Karussell aussteige, kann ich nie mehr richtig Fahrt aufnehmen.

Sie trat auf einen Stein und sog zischend die Luft ein vor Schmerz. Statt vorsichtiger zu sein, ging sie schneller – und trat auf einen noch spitzeren Stein. Sie humpelte weiter, fluchte.

Immer stand sie unter Beobachtung. Grace hatte darauf vertraut, dass Sophia nach dem Tod der Eltern nicht unter dem Druck der Verantwortung zusammenbrach. Später verließen sich Manager und Regisseure darauf, dass Sophia alles meisterte. Sie hatte alle davon überzeugt, dass auf sie Verlass war. Doch in den letzten fünf Monaten mit Deezee hatten Paparazzi sie verfolgt, in der Hoffnung, sie in einem Moment ablichten zu können, in dem sie die Fassung verlor. So etwas verkaufte sich gut.

Die Paparazzi hatten recht behalten. Sie war schließlich zusammengebrochen. Die Fotos davon waren überall im Internet zu finden.

Alex hatte sie auf dieser Ranch untergebracht, weil vermutlich niemand sie hier entdecken würde. Aus Gewohnheit schaute sie trotzdem über die Schulter, als sie den Schuppen erreichte. Niemand war zu sehen. Vielleicht fand sie hier irgendwelches Futter für trächtige Kühe, das sie selbst auch essen konnte. Sie öffnete die Tür und ging hinein.

Keine Kühe. Pferde.

Sophia blieb am Ende des langen Gangs zwischen den Boxen stehen. Die Pferde starrten sie neugierig an.

„Das könnt ihr bleiben lassen“, sagte sie. Aber die Pferde musterten sie seelenruhig weiter mit ihren großen braunen Augen. Die Farbpalette ihrer warmen Brauntöne hätte einen hübschen Hintergrund für einen Western abgegeben.

Doch hier gab es keine Kameras. Mit einem Seufzer lehnte sich Sophia gegen die Box an ihrer rechten Seite.

Das Pferd kam mit dem Kopf ein wenig näher und stupste Sophia an der Schulter.

„Oh, hallo.“ Sophia hatte bisher nur einmal bei Dreharbeiten mit einem Pferd zu tun gehabt. „Du bist aber hübsch.“ Vorsichtig strich sie dem Pferd über den Hals und spürte die kräftigen Muskeln unter dem weichen Fell. Sie ging zur nächsten Box. Der Beton kühlte ihre lädierten Fußsohlen.

Auch das nächste Pferd wich nicht vor ihr zurück. Sophia streichelte es erst vorsichtig, dann vertrauensvoller. „Ja, du bist eine Schöne. Gutes Tier.“

So ging sie weiter den Gang entlang, streichelte alle Pferde. Sie waren so friedlich und überhaupt nicht scheu. Das letzte mit dem dunkelbraunen Fell und der pechschwarzen Mähne wollte unbedingt mit seiner weichen Nase an Sophias Haar schnüffeln. Sophia lächelte. „Du riechst mein Shampoo. Es ist unglaublich teuer, aber Jean Paul gibt es mir umsonst dafür, dass ich jedem erzähle, dass ich es benutze.“

Das Pferd prustete in ihr Haar.

„Ich würde es mit dir teilen, aber vielleicht kriege ich jetzt gar keins mehr. Tut mir leid, Süße. Bis das alles vorbei ist, muss ich mir vielleicht sogar von dir Shampoo leihen.“

„Brauchen Sie sonst noch was?“

Sophia wirbelte herum. Mr. Hören-Sie-auf-zu-hupen stand da, in Jeans und Stiefeln und lässiger Haltung. Doch seine braunen Augen waren kritisch auf sie gerichtet.

„Ich dachte, Sie wären fort“, sagte sie und richtete sich auf.

„Sie dürfen sich nicht ohne Stiefel im Schuppen aufhalten.“

Das Pferd schnüffelte wieder an ihrem Haar. Es freute sich sichtlich über ihre Anwesenheit, der Eigentümer dagegen nicht. „Wie heißt das Pferd?“

„Keine nackten Füße im Stall.“ Der Cowboy wies mit seinem kräftigen Kinn zur Tür.

Travis Chalmers. Er hatte den Hut vor ihr gezogen, als er heute Nachmittag auf seinem Pferd gesessen hatte. Dabei war ihr Herz ein wenig ins Stolpern geraten. So wie jetzt.

Sie legte die Hände auf die Hüften. So kam ihre Figur am besten zur Geltung. „Wie heißt das Pferd? Sie hat den gleichen Geschmack wie ich, was Shampoo betrifft.“

„Es ist ein Wallach, keine Stute. Sie dürfen nicht ohne Stiefel oder Schuhe in den Stall. Es verstößt gegen die Sicherheitsvorschriften. Ist das klar?“

Sophia verdrehte die Augen. „Wenn es ein Wallach ist, wie heißt er dann? Er mag mich.“

Der Cowboy grinste spöttisch. „Sie glauben wohl, mein ganzes Vieh mag Sie.“

„Jeder außer Ihnen mag mich.“

Travis’ Gesichtsausdruck änderte sich kein bisschen, obwohl sie bei dieser kecken Bemerkung einen hübschen Schmollmund zog.

Ausgerechnet er war der Einzige, dem ihre Berühmtheit anscheinend völlig egal war. Sie konnte immer noch versuchen, ihn für sich einzunehmen. Dieses Bemühen kannte sie zu gut. Das Überleben in Hollywood hing davon ab, Leute für sich zu gewinnen.

Also lächelte sie und trat einen Schritt näher.

Seine Augen verengten sich, als er den Blick auf ihre nackten Füße richtete. Adrenalin schoss durch ihre Adern. Sie würde leichtes Spiel haben.

„Sie bluten“, sagte er.

„Ich …“ Sie neigte den Kopf, lächelte aber weiter. „Was?“

Ungeduldig ging er zu ihr hinüber und schaute prüfend auf den Boden hinter ihr. „Wo haben Sie sich verletzt?“

Sie wandte sich um und sah kleine rote Flecken überall dort, wo sie angehalten und ein Pferd begrüßt hatte. „Wahrscheinlich draußen. Ich bin über eine Menge spitzer Steine gegangen.“

„Gut.“

„Gut?“

„Ja, gut, dass es nichts Scharfes im Schuppen war. Sonst hätte sich auch ein Pferd daran verletzen können.“

Sie schüttelte den Kopf. „Schön zu wissen, dass Ihnen Pferde mehr wert sind als ich.“

„Wie ich Ihnen schon mal gesagt habe, bin ich für alle Tiere auf dieser Ranch verantwortlich. Sie sind kein Tier. Sie müssten wissen, dass Sie Schuhe tragen sollten.“

Darauf fiel ihr keine Antwort ein.

„Kommen Sie. Ich hole Ihnen was zum Verbinden.“ Er wandte ihr den Rücken zu und ging weg.

Einen Augenblick später folgte sie ihm. Doch sie war kaum zwei Schritte gegangen, als er sagte: „Bluten Sie hier nicht weiter den Boden voll.“

„Was soll ich denn machen?“ Sie stemmte beide Hände in die Hüften.

„Können Sie nicht auf einem Fuß hüpfen?“

War das ein Test, mit dem er herausfinden wollte, ob sie wirklich eine doofe Blondine war? Aber Travis ging in einen Nebenraum etwa in der Größe einer Box, ausgestattet mit einem Spülbecken und Einbauschränken.

Einen Moment stand sie noch unschlüssig da, dann hüpfte sie auf ihrem unverletzten Fuß los. Es war nicht weit bis zum Spülbecken.

Travis öffnete einen der Schränke. Darin sah es aus wie in einer Apotheke mit extragroßen Tablettendöschen. Er holte eine Box mit selbstklebenden Verbänden heraus und tippte auf die Arbeitsplatte neben der Spüle. „Springen Sie rauf und waschen Sie Ihren Fuß im Spülbecken.“

„Helfen Sie mir?“ Sie hatte das mit einem Gurren gesagt, eine verführerische Aufforderung, sie zu berühren. „Die Platte ist zu hoch für mich.“

„Zu hoch für Sie“, wiederholte er, ohne auf ihren Ton einzugehen. „Ich habe Sie heute Abend beobachtet, als Sie sich auf Mrs. MacDowells Arbeitsplatte in der Küche geschwungen haben.“

Natürlich war es ein fadenscheiniger Vorwand gewesen. Sie stellte sich mit dem Rücken zur Platte und stützte die Hände hinter sich darauf, wobei ihr bauchfreies Shirt weiter hochrutschte. Ihr Yogalehrer hätte gestrahlt vor Begeisterung, wenn er gesehen hätte, wie sie sich nun langsam mithilfe von Bizeps, Trizeps und Bauchmuskeln in einer weichen Bewegung ihres durchtrainierten Körpers hochschob.

Travis Chalmers gab ein lausiges Publikum ab. Er dreht nur den Wasserhahn auf und gab ihr ein Stück Seife.

Während sie ihren Fuß mit Seifenschaum bearbeitete, zog sie einen Schmollmund. Deezee hätte die Gelegenheit, sie zu berühren, nicht ungenutzt gelassen. Er hatte sich immer nur mit ihr in der Öffentlichkeit auf Partys zeigen oder ein paar Stunden in Gesellschaft von VIPs etwas trinken wollen, ehe er mit ihr ins Bett ging. Sie hatten nie einfach nur Zeit zusammen verbracht.

Sophia ließ Wasser über ihren Fuß laufen und spülte den Seifenschaum ab.

„Es ist kein tiefer Schnitt. Er sollte ziemlich schnell heilen.“ Travis tupfte ihre Fußsohle mit ein paar Papierhandtüchern ab, die er ihr dann reichte. Danach klebte er eine Bandage über den Schnitt und drückte den Kleber mit dem Daumen fest auf ihre Haut. Die Berührung war beinahe … väterlich.

„Haben Sie Kinder?“, fragte sie.

„Nein.“

Da war etwas in seiner ruhigen, unaufgeregten Art …

Sie drehte den Fuß weg, glitt von der Arbeitsplatte und hielt die feuchten Tücher vor sich. „Wo ist der Mülleimer?“

„Sie brauchen die Tücher, um das Blut auf dem Boden aufzuwischen, wenn Sie rausgehen. Ich hole Ihnen noch Stiefel.“

Sie wollte keine Stiefel, sie wollte, dass Travis sie trug. Er war ein großer Cowboy mit breiten Schultern und starken Händen.

Vorsichtig trat sie hinaus, um zu schauen, wo Travis hingegangen war. Gegenüber war ein anderer Raum, in dem Sättel auf Holzgestellen hingen. Im nächsten Raum standen ein Schreibtisch, ein Regal und die übliche Büroausstattung. Durch ein großes Fenster in der Wand konnte man den Rest des Stalls überblicken.

Travis trat durch eine andere Tür und stellte Sophia ein Paar Gummistiefel vor die Füße. „Damit können Sie ins Haus gehen. Bringen Sie die Stiefel bis morgen Abend zurück.“

„Geben Sie gern Befehle?“ Sie hasste es, wenn sie wie ein Dummchen behandelt wurde.

„Derjenige, der morgen Abend die Pferde reinbringt, will die Stiefel wahrscheinlich anziehen, wenn er die Tiere abspritzt, deshalb sollten sie bis dahin wieder hier stehen.“

Es war eine geduldige Erklärung, aber Sophia war wütend, weil er ihr klarmachte, dass sie keine Ahnung hatte, was auf einer Ranch abging. „Kommen noch andere Leute hierher? Sind Sie morgen Abend nicht da?“

„Während der Hochsaison wechseln wir uns ab. Einer der anderen Helfer hat die Gelegenheit hierherzukommen, zu duschen und in einem Bett zu schlafen. In der Regel ist vor Sonnenuntergang immer jemand da.“

„Aber niemand sonst darf mich sehen.“

Er zuckte mit den Achseln. „Dann gehen Sie am Abend eben nicht in den Schuppen. Aber wenn Sie doch herkommen, ziehen Sie Stiefel an! Geschirrtücher müssen nicht unbedingt sein. Gute Nacht.“ Er ging in den Behandlungsraum, schloss die Schranktüren und schaltete das Licht aus.

So würdevoll wie möglich zog Sophia die Gummistiefel an und ging zur Tür, beugte sich dabei hinunter und wischte die kleinen roten Flecken weg.

Travis kam rechtzeitig in den Gang zurück, um die schönste Frau der Welt in Gummistiefeln aus dem Schuppen stapfen zu sehen. Mit einem ziemlich lauten Knall zog sie die Tür hinter sich zu.

Samson, sein Lieblingswallach, schaute immer noch zur Tür, durch die der Filmstar verschwunden war.

„Du brauchst nicht so zu gucken. Sie kommt nicht zurück.“

Das Pferd wandte sich ab und stampfte mit dem Vorderhuf.

„Ja, verdammt, du hast recht. Ihr Haar roch umwerfend. Gewöhn dich bloß nicht dran. Wir müssen morgen arbeiten. Eine schöne Frau kann dein Schicksal nicht ändern.“

5. KAPITEL

Drei Tage blieb er fort.

Es gab keine besonderen Vorkommnisse, nur Staub und Lassos, wenn sie das Vieh zusammentrieben, zählten und verarzteten. Nach ein paar Stunden musste Travis immer sein Pferd wechseln, damit die Tiere sich ausruhen konnten. Die zusätzliche Anstrengung, sich auf die Eigenarten der unterschiedlichen Pferde einzustellen, verlangte seine volle Aufmerksamkeit.

Aber in den Nächten …

Er streckte sich in seinem Schlafsack aus und starrte zu den Sternen. Dabei dachte er an einen bestimmten Stern am Filmhimmel, der auf seiner Ranch aufgeschlagen war. Das Einschlafen war nach einem Tag harter körperlicher Arbeit kein Problem, doch danach geisterte Sophia Jackson durch seine Träume. Sophia war verführerisch, sie war wütend, stark und schwach. In jeder Version seiner Träume war sie eine Versuchung, immer wieder. Drei Nächte lang träumte er von ihr.

Am Nachmittag des vierten Tages ritt er mit Clay Cooper zur Farm. Clay war als Nächster an der Reihe, die Nacht im Haus zu verbringen. Als Vorarbeiter musste Travis ins Büro, um mit dem ewigen Papierkram auf dem Laufenden zu bleiben.

Aber Travis wusste, dass er eigentlich zur Farm zurückkehrte, um nach Sophia Jackson zu schauen. Das Gefühl, sich um sie kümmern zu müssen, ließ ihm keine Ruhe.

Das Haus kam ins Blickfeld. Das Pferd legte aus Vorfreude an Tempo zu.

Travis nahm den Hut ab und klopfte sich den Staub von den Schenkeln. Er saß nun entspannt im Sattel. Er würde bald Sophia Jackson sehen. Sie war ein Filmstar, aber er ließ sich von Stars nicht beeindrucken.

Das Pferd setzte den Weg fort, während Travis darüber nachdachte. Sicher, er hatte sie in „Space Maze“ gesehen. Aber wenn er an ihren Wutanfall dachte, weil sie angestarrt wurde, und an die Angst ihrer Schwester wegen der Paparazzi, dann erschien ihm das Leben eines Hollywood-Stars nicht besonders verlockend.

Er setzte den Hut wieder auf, wandte sich um und schaute nach den Pferden, die Clay folgten. Alles in Ordnung.

Wenn er das Haus erreichte, würde er schauen, ob der Gast der MacDowells mit Lebensmitteln versorgt war und der Kühlschrank noch lief, danach diesen Punkt auf seiner To-do-Liste abhaken und sich dem nächsten zuwenden.

Travis und Clay ritten am Haus vorbei. Keiner der Männer, die vom Camp hergekommen waren, wusste wohl, dass jemand im Haus der MacDowells wohnte. Auch jetzt gab es kein Lebenszeichen. Sophia hielt sich also gut versteckt. Oder …

Oder sie hatte die River Mack Ranch verlassen.

Travis spürte den dringenden Wunsch, sie zu sehen. Er musste wissen, ob sie noch hier war.

„Bis morgen“, sagte er zu Clay, trieb sein Pferd an und brachte es am Rand der gefliesten Terrasse zum Stehen. Dort sah er Sophia, ausgestreckt auf einem der Holztische. Ihre Kleidung war weiß, ihr Körper ein erfreulicher Anblick. Mit geschlossenen Augen lag sie da, sie schlief.

Travis stieg ab und band die Zügel des Pferdes lose um den alten Pfosten. Die Stiefel verursachten ein hartes Geräusch, als Travis über die Terrassenfliesen schritt. Doch Sophia schlief immer noch fest.

Eigentlich hätte er an Dornröschen denken müssen. Sophia war schön wie eine Prinzessin in ihrer weißen Kleidung, eine Prinzessin in Shorts und T-Shirt. Irgendwie bekam er jedoch den Gedanken an ein Bankett nicht aus dem Kopf. An die Lehrbuchtexte über römische Herrscher, die Feste gefeiert hatten, bei denen Sex ein Teil des Festmahls war. Travis’ Körper forderte eindeutig die römische Variante.

Neben der Schlafenden blieb Travis stehen und sprach sie an. „Sophia.“

Sie bewegte sich nicht. Er sagte noch einmal ihren Namen und wartete, fragte sich dabei, wie jemand in Shorts und T-Shirt so sexy aussehen konnte. Schließlich schüttelte er sie am Arm. „Sophia, wachen Sie auf. Ich bin’s, Travis.“

Sie fuhr hoch, wich vor ihm zurück.

Travis’ Fantasien verschwanden augenblicklich. „Ich bin’s doch bloß.“

Erschrocken rollte sie sich auf der gegenüberliegenden Seite vom Tisch herunter.

„Was tun Sie hier?“

„Es ist meine Ranch.“

„Ha. Sie verbringen aber nicht viel Zeit hier.“ Mit beiden Händen schob sie ihr Haar zurück und blickte zum Horizont. „Mist. Ist es schon Abend?“

„Clay hat schon die Pferde zum Stall gebracht.“

Beunruhigt schaute sie zum Schuppen. „Hat dieser Clay mich gesehen?“

Sie trug nicht einmal Shorts und ein T-Shirt – es war ein Jumpsuit. „Keine Sorge. Das hier nebenan nennen wir Schuppen. Die Gebäude, die wir als Ställe bezeichnen, liegen auf der anderen Seite der Pferdeweide. Sie können sie vom Haus aus sehen.“

Sie rieb sich verschlafen die Augen. „Ich muss reingehen. Es ist Abend.“ Sophia stieg die Stufen zu der kleinen Veranda hinauf und verschwand im Haus.

Travis erwischte sich dabei, dass er auf die geschlossene Tür starrte. Er fluchte leise, ging zu seinem Pferd und band es los. Es wurde Zeit, an die Arbeit zu gehen.

Er führte das Pferd zum Schuppen, sattelte es ab, räumte das Zaumzeug weg. Dann brachte er das Tier hinaus, um es mit einem Gartenschlauch abzuspritzen.

Die Gummistiefel standen ordentlich neben dem Schlauch, was ihn gleich wieder an Sophia denken ließ.

Ihre Anwesenheit im Schuppen in jener Nacht war für ihn verwirrend gewesen. Und besonders ihre Frage: Haben Sie Kinder?

Eine Sekunde lang hatte er gewünscht, er könnte mit Ja antworten. Er war einunddreißig und hatte eine feste Anstellung. Er hatte sich immer vorgestellt, wie es wäre, von Kindern umgeben zu sein.

Travis war da angekommen, wo er sein wollte, und die Arbeit machte ihm Spaß. Damit er nur auf die Idee käme, an diesem angenehmen Leben etwas zu ändern, müsste schon eine Frau auftauchen, die er unwiderstehlich fand.

Wie Sophia Jackson.

Aber es müsste eine Frau sein, die so unwiderstehlich und trotzdem nicht so verrückt war wie Sophia. Diese Frau schlief mitten am Tag auf einem Gartentisch. Kein Mann wollte so eine verrückte Tussi als Mutter seiner Kinder.

Er rollte den Schlauch zusammen und steckte den Kopf unter den Wasserstrahl. Schüttelte das Wasser aus seinem Haar, knöpfte sein kariertes Hemd auf und zog es aus. Er musste sich ziemlich weit nach vorn beugen, damit seine Jeans und Stiefel nicht nass wurden, doch der Wasserstrahl reichte, um schon mal den Staub von seinen Armen und seiner Brust zu waschen.

Nun fühlte er sich gleich viel frischer, drehte den Wasserhahn zu und brachte das Pferd in die Box. In seinem Büro im Schuppen hatte er einen Stapel sauberer T-Shirts. Er musste ohnehin an seinen Schreibtisch, um ein Dutzend Rollen Stacheldraht zu bestellen.

Mit dem Fuß schob er die Gummistiefel beiseite und ging hinein. Da hörte er einen unverkennbar weiblichen Seufzer. Im Dämmerlicht stach Sophia mit ihrem silberblonden Haar und dem weißen Jumpsuit hervor. Travis vergaß alles andere.

Sie senkte zuerst den Blick. Langsam. Ließ ihn über seine feuchte Haut streifen. Zu seiner nackten Brust. Tiefer.

Ich bin also nicht der Einzige hier, der hungrig ist.

Die Erkenntnis warf ihn für einen Moment aus der Bahn. Zur Hölle mit der perfekten Frau. Sophia war diejenige, die er wirklich wollte.

Sie kam einen Schritt näher.

Das Blut pochte in seinen Adern, er spürte ein wildes Verlangen.

Sie wollte gerade etwas sagen, doch als sie den Mund öffnete, glitt ihr Blick hoch zu seinen Augen. Was sie darin sah, raubte ihr wohl die Fassung, denn sie brachte nur ein leises „Oh“ heraus.

Diese Wirkung hatte er noch bei keiner Frau bemerkt.

„Warum sind Sie hier?“, fragte er.

Sie trat einen Schritt näher, und ein Teil von ihm legte absolut keinen Wert auf eine Antwort. Er wollte nur, dass sie noch näher kam.

Sie zögerte. Dann machte sie den nächsten Schritt. Sie hatte ein bisschen … war es Angst? Vielleicht Angst vor der starken Anziehung zwischen ihnen.

Aber sie brauchte keine Angst zu haben.

Das war ihr jedoch nicht klar. Sie kannten einander ja kaum. Travis hatte kein Limit dafür, wie lange er eine Frau kennen musste, um mit ihr ins Bett zu gehen, aber er wusste eines: Sie musste hundertprozentig sicher sein, dass sie es wollte. Sophia Jackson war das nicht.

Er trat einen Schritt zurück.

Ihr verwirrtes Stirnrunzeln wich einem Ausdruck der Entschlossenheit. Ganz langsam näherte sie sich Travis. Dann schaute sie wieder an seinem Körper hinunter, ihre langen Wimpern bedeckten ihre blauen Augen. Er erschauerte, als sie mit einem Finger leicht über seinen feuchten Unterarm strich.

„Ich bin hergekommen, weil es im Haus so einsam ist. Sehr einsam.“

Dieses Gurren … Es war ein Spiel. Aber er hatte den Moment der Unsicherheit bemerkt. Es würde ihn nicht umbringen, noch zu warten.

Travis knüllte sein kariertes Hemd zusammen und wischte sich das Wasser von den Armen. „Brauchen Sie noch etwas, bevor ich nach Hause gehe?“, fragte er.

Schnell wich ihr sexy Schauspiel echtem Ärger. „Ich brauche nichts. Ich wollte nur zu den Pferden.“

„Tatsächlich? Im Pyjama und mit nackten Füßen?“ Er wandte ihr den Rücken zu und ging ins Büro. Legte das Hemd auf den Stuhl und nahm sich ein T-Shirt von dem Stapel auf dem Regal. Als er sich wieder umdrehte, warf er sie beinahe um. Sie war ihm ins Büro gefolgt, voller Empörung.

„Ich trage Sandalen, und das ist kein Pyjama.“

Travis musste sein Grinsen verbergen, er zog das T-Shirt über den Kopf

„Das ist ein Freizeit-Jumpsuit“, stieß sie wütend hervor. „Von einem Designer in Mailand.“ Sie wandte ihm den Rücken zu und verließ das Büro.

Travis rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Dann schaltete er das Licht aus und ging ebenfalls aus dem Büro. Die Stacheldrahtbestellung hatte Zeit bis morgen.

Sophia hätschelte gerade die gefleckte Nase eines hübschen Appaloosa. Travis beobachtete sie eine Minute lang. Das Pferd genoss die Streicheleinheiten.

Travis schätzte Leute, die Pferde mochten.

„Wo ist mein Pferd?“, fragte sie und schaute den Appaloosa an.

„Ihr Pferd?“

„Der Wallach, dessen Namen Sie mir nicht sagen wollen. Sie sind fortgeritten und haben ihn mitgenommen. Ich bin hergekommen, um die Pferde zu begrüßen, und sie waren weg. Alle.“ Es hörte sich an, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.

„Das sind Arbeitspferde, keine Streicheltiere.“

„Ohne diese Pferde habe ich niemanden zum Reden. Sie haben überhaupt kein Interesse daran, mit mir zu sprechen … oder sonst etwas …“

Travis kannte sich gut mit dem Verhalten von Tieren aus, nicht mit dem von Frauen, aber er wusste, was sie meinte. Sie fühlte sich verraten. Einsam.

„Okay. Sie möchten reden? Dann fangen wir an.“

6. KAPITEL

Der Cowboy wollte reden.

Sophia war nicht sicher, ob er sich einen Spaß mit ihr erlaubte. Sie durchkämmte mit den Fingern die Mähne des gescheckten Pferdes und schielte zu Travis Chalmers hinüber.

Er lehnte er sich an einen Stützpfeiler und sah sie aufmerksam an. „Worüber möchten Sie sprechen?“

Sie hatte nicht die Absicht, vor diesem Mann ihre Sorgen auszubreiten. Doch nun musste sie etwas sagen. „Wie heißt dieses Pferd?“

„Das ist Arizona. Er wurde nach dem Staat benannt. Dort wurde er als Hochzeitsgeschenk gekauft.“

O nein. Hoffentlich ist er nicht verheiratet. Was für eine doofe Reaktion! Der Mann sah heiß aus mit nacktem Oberkörper. Na und? Es war egal, ob er verheiratet war oder nicht. Aber …

„Ein Geschenk zu Ihrer Hochzeit?“ Das sollte beiläufig klingen.

„Trey Watersons Hochzeit. Sein Bruder hat ihm das Pferd geschenkt. Ihnen gehört eine Ranch westlich von uns.“ Ein kleines Grinsen umspielte Travis’ Mund. Er wusste genau, warum sie gefragt hatte. „Ich bin nicht verheiratet.“

Arizona schüttelte die Mähne. Du hast recht, Arizona. Das ist uns egal, oder?

„Diese Pferde gehören Ihnen also nicht. Sie sind nur der Babysitter.“ Sie lächelte spöttisch. Gleich darauf bedauerte sie ihre Worte. Wann hatte das angefangen, dass sie verletzende Dinge sagte, bevor jemand sie verletzen konnte?

Die Antwort war einfach: als sie zu viel Zeit mit Deezee und seinen Kumpels verbracht hatte. Ständig frotzelten sie einander und versuchten, ihre Überlegenheit zu beweisen. Anfangs war es etwas Neues gewesen, wie jemand aus der Clique und nicht wie ein Filmstar behandelt zu werden. Aber sobald sie ihnen nur den kleinen Finger gab, nahmen sie die ganze Hand.

Vielleicht habe ich deshalb einen Schutzwall um mich errichtet.

„Ein paar der Pferde gehören mir. Andere der Ranch.“ Travis streichelte Arizonas gefleckten Hals. „Manche habe ich geliehen.“ Seine Stimme klang ganz ruhig.

Wenn sie Travis Chalmers betrachtete, schien es ihr, als hätten die großen Schauspieler wie John Wayne und Clint Eastwood ihre Cowboy-Rollen viel realitätsnäher gespielt, als sie geglaubt hatte. Ihre Dialoge klangen meistens ganz ruhig, ohne Geschrei. Wie bei Travis. Überhaupt nicht wie bei Deezee.

Es war kaum vorstellbar, dass Travis von einer Kirchenbank aufsprang, zum Altar rannte und rief: Wo bleibt die Hure?

Deezee hatte sie gemeint. Sophia hatte im Vorraum einer Kapelle in der Karibik gestanden in ihrem weißen Hochzeitskleid und darauf gewartet, dass die Musik zu spielen begann. Dann wollte sie den Mittelgang entlangschreiten und Deezee das Eheversprechen geben. Er hatte es nur als Witz gedacht, als weitere kleine Provokation zur Belustigung seiner Clique.

Kein Grund, vor dem Cowboy in Tränen auszubrechen.

„Wie heißt mein Pferd?“, wollte sie wissen. „Und wo ist es?“

„Samson. Er ist noch im Camp. Und er ist mein Pferd, nicht Ihres.“

„Warum reiten Sie ihn dann heute nicht, wenn er Ihnen gehört?“

„Weil das andere Pferd mir auch gehört. Ich habe vier, aber man könnte sagen, bei den anderen bin ich Babysitter.“

„Vier? Für einen Mann?“ Es war dumm, so zu spotten, und sie wusste es.

„Man kann nicht den ganzen Tag ein einziges Pferd reiten, und das an jedem Tag eines Viehtriebs. Deshalb war auch Arizona während dieser Zeit hier, verstehen Sie? Ich habe mehrere Pferde, mit denen ich abwechselnd arbeite. Aber Samson ist ein ganz besonderes Tier. Ihn reite ich nur, wenn ich tatsächlich Kühe von der Herde trenne. Es wäre eine Vergeudung seines Talents, wenn ich ihn dazu nutze, vom Camp hierherzureiten.“

„Sie klingen wie ein Trainer eines Sportler-Teams.“

„So habe ich das noch nie gesehen. Aber Sie haben recht, es ist wie die Aufstellung im Baseball. Samson ist mein bester Spieler.“ Travis zwinkerte Sophia zu und lächelte. Ein richtiges herzliches Lächeln.

Himmel, sah der Mann gut aus. Sie hatte ihn schon heiß gefunden, als er am ersten Tag dort auf der Straße auf sie zu geritten war. Etwas streng und zurückhaltend, aber so männlich auf dem Pferderücken. Heute Abend hatte er mit nacktem, feuchtem Oberkörper wie ein Athlet ausgesehen, zuverlässig und stark. Aber wenn er lächelte …

Zum ersten Mal im Leben war sie diejenige, die jemanden anstarrte.

„B…Baseball?“, wiederholte sie. Dann lächelte sie ein wenig spöttisch. „Was weiß ein Cowboy schon über Baseball? Hier draußen gibt es doch gar nicht genug Leute, um ein Team zusammenzubekommen.“

Sie bemerkte sein leichtes Kopfschütteln, als er die Arme vor der Brust kreuzte. Dabei spannten sich die Ärmel seines T-Shirts über seinem Bizeps. Er machte sich über sie lustig, verdammt.

„Wohl wahr. Dieser Cowboy hat während seiner College-Zeit auf der Position des Shortstop gespielt. Möchten Sie noch über was anderes als Pferde und Baseball reden?“

„College? Ein Cowboy? Was lernt man da? Nicht in Pferdeäpfel zu treten?“

Endlich war es ihr gelungen, ihn aus der Ruhe zu bringen. Seine Augen verengten sich, doch seine Stimme klang immer noch gleichmütig. „Ich habe einen Abschluss in Tierwissenschaften an der Texas A&M University. Es wird dort erwartet, dass die Studenten bereits in der Lage sind, nicht in Pferdemist zu treten, bevor sie sich einschreiben.“ Er schaute auf ihre Flipflops. „Aber ich glaube, manche Leute begreifen nie, weshalb man Stiefel tragen sollte.“

„Werfen Sie mich wieder aus dem Schuppen?“

„Ich bin nicht Ihr Babysitter. Wenn Sie keine Vernunft annehmen wollen, bitte.“

„Ich denke, ich kann aufpassen, dass ich nicht in Kuhfladen trete.“

Travis stieß sich vom Pfosten ab. „Sie wollen jetzt sicher reingehen. Es wird schnell dunkel. Dann sieht man die Kuhfladen kaum noch, und Kriechtiere, die gern in Zehen beißen, kommen auch raus. Diese Flipflops schützen Sie nicht vor Schlangen oder Ratten.“

Sie schaute den Gang entlang. Hier war es zu ordentlich für Ratten.

„Wir halten eine Katze hier im Schuppen“, sagte Travis, der ihren skeptischen Gesichtsausdruck sah. „Sie fängt viele Mäuse, lebt nur davon.“

„Ich wollte sowieso gehen.“

„Ich bringe Sie zur Tür.“

Als er sie an den Arm nehmen wollte, machte sie rasch einen Schritt zur Seite und trat dabei heftig gegen einen Heuballen. Der fühlte sich an wie ein Stachelschwein, nur nicht an ihren Zehen. Dort war etwas Weiches, Haariges.

„Eine Ratte!“ Beinahe hätte sie Travis umgeworfen, als sie von dem Heuballen wegsprang.

Travis packte sie mit einer Hand, schaute aber stirnrunzelnd auf den Boden, bückte sich und griff …

„Fassen Sie das nicht an!“ Sie versuchte ihn wegzuziehen. Er stand auf und hatte etwas Braunes in der Hand. Sie ließ seinen Arm los. „Iiieh!“

„Nix iieh! Es ist ein junges Kätzchen.“

Es bewegte sich nicht. Sophia wurde es schwindlig. „Habe ich … Ich habe ihm doch nichts getan, oder?“

Sie merkte, dass er sie anschaute, aber sie hatte nur Augen für das Kätzchen, das kleinste, das sie je gesehen hatte. Travis berührte die kleinen Pfoten mit dem Daumen und bewegte alle Glieder. „Es scheint nichts gebrochen zu sein. Sie haben ihm nichts getan.“

Gott sei Dank. Erleichtert sank sie auf den Heuballen und sprang gleich wieder auf, als die Halme durch ihren Designer-Jumpsuit piksten.

Travis schien es nicht zu bemerken. Er packte das Kätzchen unter sein T-Shirt und hielt es dort mit einer Hand.

„Sollten wir es nicht zurücklegen, damit seine Mutter es wiederfindet?“

„Es ist kalt. Wenn wir es wärmen, kann ich es vielleicht zu seinen Geschwistern zurücklegen. Aber das ist das zweite Mal, dass die Mutter es aus dem Nest geworfen hat.“

„Warum sollte sie das tun?“

Travis zuckte mit den Achseln. „Vielleicht fühlt sie, dass es nicht gesund ist.“

„Aber Sie haben gesagt, es sei nicht verletzt.“

„Soweit ich sehen kann. Vielleicht meint die Mutter auch, sie könnte nicht mehr als zwei Junge durchbringen.“

„Sie wirft es einfach raus und lässt es sterben? Das ist ja schrecklich. Können Sie nicht was tun?“ Ihre Stimme klang besorgt.

„Ich tu ja was dagegen“, meinte er. „Ich habe es unter mein Shirt gesteckt.“

„Sie behalten es?“

Er setzte sich auf den Heuballen. „Dieses Katzenjunge ist noch sehr klein. Seine Augen sind noch nicht offen. Es kann am besten bei seiner Mutter überleben.“

Sofort kam ihre Sorge wieder hoch. „Aber sie hat es im Stich gelassen, das arme Ding. Es geht ihm besser ohne sie.“

„Nein.“ Travis sprach fest, aber er schaute sie … ja, besorgt an. Der einzige Mensch, der sie in den letzten zehn Jahren besorgt angeschaut hatte, war Grace. Außer ihrer Schwester hatte sich niemand um sie gekümmert.

Wieder packte sie leichte Übelkeit, doch Sophia kämpfte dagegen an.

„Sie haben noch nie eine Katze gehabt?“, fragte Travis.

„Das ist ewig her. Aber sie war kastriert. Das sollten sie auch mit seiner Mutter machen lassen. Sie hat es nicht verdient, noch mehr Babys zu haben.“ Sophia presste plötzlich die Hand auf den Mund, um die Übelkeit zu bezwingen. Was sie die ganze Zeit verdrängt hatte, war nun da: die Verfärbung auf dem Teststreifen. Mutterschaft. Baby.

Das Wort „schwanger“ erschien ihr unwirklich, aber Grace und Alex hatten das ganz realistisch betrachtet. An Alex’ Küchentisch hatten sie die Möglichkeiten durchgesprochen.

Sophia hatte sich sofort darauf festgelegt, das Baby zur Adoption freizugeben. Die Adoptionsvermittlung würde die perfekten Eltern für es suchen.

Vielleicht war der Schwangerschaftstest ja auch fehlerhaft, aber eine Adoption wäre eine unkomplizierte Lösung für eine einfache Gleichung: ein ungewolltes Baby plus ein Paar, das sich ein Kind wünschte, gleich eine glückliche Familie.

„Sophia.“ Echte Besorgnis war aus Travis’ Stimme herauszuhören. „Vielleicht ist sie keine schlechte Mutter. Aber ich stimme Ihnen zu, dass Katzen kastriert werden sollten. Die Mutter dieses Katzenjungen ist uns vor ein paar Wochen zugelaufen. Sie war damals schon trächtig.“

Als sie beinahe auf das winziges Fellbündel getreten wäre, war Sophia etwas aufgefallen: Sie war der Fehler in der Gleichung. Sie wollte ihr Baby weggeben, weil sie tief im Innern überzeugt war, dass sie eine schreckliche Mutter wäre.

Travis schob das Kinn in den Kragen und spreizte die Finger, damit er das Kätzchen sehen konnte. „Es bewegt sich, das ist ein gutes Zeichen.“

Sophia trat ein bisschen zurück. Sie fürchtete sich vor dem kleinen braunen Fellbündel und allem, wofür es nach ihrem Empfinden stand.

„Ich muss jetzt gehen.“ Ihre Stimme klang dünn und hoch. Sophia drehte sich um. So schnell sie konnte in ihren Flipflops, rannte sie ins Haus.

Es war nur ein Sprint gewesen. Sie atmete tief ein und aus. Strich mit der Hand über ihren Bauch. Die Übelkeit war vorüber, nun hatte sie Hunger.

Aber sie fühlte sich nicht schwanger, kein bisschen.

Im Beipackzettel des Schwangerschaftstests wurde darauf hingewiesen, dass das Ergebnis fehlerhaft sein konnte. Einmal war ihre Periode ausgeblieben, das konnte doch vorkommen.

Sie musste sich hier vor den Paparazzi verstecken. Nach ein paar Wochen würde sie zurückfliegen nach L. A. und sich einen neuen Agenten suchen.

Sophia schaute aus dem Küchenfenster zum Schuppen. Wenn die Katze, die ihr Junges ausgesetzt hatte, ihr den Spiegel vorhalten sollte, dann hatte sie das geschafft. Sophias Vorhaben, ihr Baby zur Adoption freizugeben, war richtig, weil sie keine gute Mutter sein würde.

Nur das kleine Licht über dem Ofen war angeschaltet. Das genügte. Die Kisten mit den nicht verderblichen Lebensmitteln standen noch auf der Arbeitsplatte. Sophia hatte sich die ganze Woche über davon ernährt. Um Bio-Rosinen und Frühstücksflocken in eine Schüssel zu füllen, brauchte sie nicht viel Licht.

Sie setzte sich an den Tisch und stocherte mit dem Löffel in dem trockenen Getreide herum. Die Hafermilch war am ersten Tag nicht gekühlt gewesen, deshalb hatte Sophia sie weggeschüttet.

Egal. Sie war einfach müde, selbst nach dem Mittagsschlaf, den sie heute draußen gehalten hatte. Nach vier Tagen in geschlossenen Räumen hatte sie die Sonne auf ihrer Haut genossen, hatte sich hingelegt und war eingeschlafen.

Kein Wunder. Seit Jahren bekam sie zu wenig Schlaf. Jetzt war sie völlig erschöpft.

Außer wenn sie mit Travis sprach. Sie hatte sich lebendig und wach gefühlt, als Travis mit nacktem Oberkörper in den Schuppen marschiert war. Es gab nichts Wirksameres als einen halb nackten, unglaublich attraktiven Mann, um ein schläfriges Mädchen hellwach zu machen.

Der Ausdruck in seinen Augen hatte ihr den Atem geraubt. Diese unverkennbare Anziehung. Sie hatte ihn genauso gewollt, so sehr, dass sie es gar nicht fassen konnte.

Zum ersten Mal seit Wochen hatte sie sich lebendig gefühlt, deshalb wollte sie wissen, wie weit er gehen würde.

Kaum hatte sie ihn mit einem Finger berührt, war er schon zurückgewichen und hatte sich ein Shirt übergezogen. So viel zu ihrem Sex-Appeal. Ihre Karriere war vorbei, ihre Schwester war fort, und Sex-Appeal hatte sie auch keinen mehr. Alles im Eimer.

Sie ließ ihre Schüssel stehen, taumelte ins Wohnzimmer und legte sich auf die Couch. Sie wollte nie wieder aufstehen.

7. KAPITEL

„Sophia, wachen Sie auf.“

Sie fuhr hoch, ihr Herz klopfte wie wild.

„Ich bin’s, Travis. Geht’s Ihnen gut?“

Sie setzte sich auf und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. „Sie haben mich zu Tode erschreckt, weil Sie mich so am Arm geschüttelt haben.“

„Sorry. Anders habe ich Sie nicht wach bekommen.“

Allmählich kam sie ganz zu sich. „Was tun Sie hier?“

„Nach Ihnen schauen.“

„Sind Sie einfach zur Tür reinspaziert?“

„Ja.“

Sein ruhiger Ton regte sie auf. „Finden Sie das richtig?“

„Ich habe geklopft.“ Er hielt sein Handy in der Hand, doch dann steckte er es in die Tasche.

Wütend sprang sie auf. „Haben Sie mich beobachtet, während ich geschlafen habe?“

„Natürlich nicht. Ich bin eben hereingekommen. Hier auf dem Land machen wir keine Umstände. Wenn jemand Hilfe braucht, muss man was tun. Wir kümmern uns umeinander.“

Der Mann schien tatsächlich zu glauben, was er sagte.

„Es gab keinen Grund anzunehmen, dass ich Hilfe brauche.“

„Ich wollte Ihnen eigentlich gute Neuigkeiten mitteilen. Aber es sah aus, als wäre niemand zu Hause.“

„So?“

„Sie sind vorhin aus dem Schuppen gerannt, als wäre der Teufel hinter Ihnen her. Sie mussten es also längst bis ins Haus geschafft haben, doch es sah von außen so aus, als wären Sie nicht da. Es ist stockdunkel da draußen. Sie sind nur leicht bekleidet, und nach Sonnenuntergang wird es schnell kalt. Sie hatten nur Flipflops an. Wenn Sie sich verletzt hätten …“

„Ich war hier auf meiner Couch.“

„Gut. Dann muss ich jetzt nicht losreiten, um Sie zu suchen.“

Er sagte die Wahrheit, das verrieten sein ruhiger Blick und seine feste Stimme. Es war schwer, jemandem böse zu sein, der sich ernsthaft Sorgen um sie machte.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie müssen versprechen, dass Sie sich nicht wieder ins Haus schleichen. Bei uns nennt man so was Einbruch.“

„Ich habe mich nicht reingeschlichen“, sagte er. „Sie haben mein Wort, dass ich das nie tun werde. Aber sobald ich vermute, dass Sie in Gefahr sind, werde ich alles unternehmen, um Ihnen zu helfen, ob Ihnen das passt oder nicht.“

Sophia blinzelte. So ein herrischer …

Aber da war er schon auf dem Weg in die Küche. Er hob die Schüssel mit den trockenen Haferflocken hoch. „Haben Sie heute sonst nichts gegessen?“

Es gab nur einen Grund, weshalb ein Mann das fragte. „Die Paparazzi haben Sie bestochen, stimmt’s?“

Seine Augen verengten sich.

„Zeigen Sie mir Ihr Smartphone.“ Sie bebte vor Zorn.

„Wie viel hat man Ihnen gezahlt? Der Junge bei uns im Delikatessenladen hat meine Schwester fotografiert, als sie eine Tüte mit belegten Baguettes mitnahm. Als ich am nächsten Tag keine bestellt habe, hat er einfach das Baguette von jemand anders fotografiert. Er bekam Geld dafür. Wissen Sie, was ich davon hatte?“

Leise fluchend stellte Travis die Schüssel ab.

„Der Junge hatte ein Foto von unglaublich fettem Zeug gemacht und behauptet, das wäre für mich. Dann sagten alle, ich könnte meine Figur nur halten und mich gleichzeitig so ernähren, wenn ich mir nach jedem Essen den Finger in den Hals stecke. Plötzlich war ich persönlich verantwortlich für jeden armen Teenager mit einer Essstörung.“ Sie verschluckte sich beinahe.

„Ich habe noch nie mit irgendwelchen Paparazzi gesprochen.“

„Ich bin nicht blöd“, sagte sie. „Seit wann interessiert sich ein großer, harter Cowboy dafür, wie viele Haferflocken eine Frau isst?“

„Seit der große, harte Cowboy sich Sorgen macht.“ Er trat auf sie zu. „Mein Großvater hat Diabetes. Ich habe miterlebt, was passiert, wenn jemand unterzuckert ist.“

Er kam noch einen Schritt näher. Ein großer Mann mit schönen braunen Augen, dessen Stimme ehrlich klang. Mit seiner warmen, rauen Hand strich er über ihren Arm. „Es tut mir wirklich sehr leid, dass Sie vor mir Angst bekommen haben.“

Wenn sie nur daran glauben könnte, dass jemand ihr helfen wollte, statt sie auszunutzen … Sie könnte in Travis einen Freund gewinnen.

Bei Deezee hatte sie darauf gehofft. Ihre Hoffnung war enttäuscht worden.

Sophia wich zurück.

Travis senkte den Kopf. Als er aufblickte, war er wieder der zurückhaltende, strenge Vorarbeiter. „Schlafen Sie immer so fest?“

„Ich habe eine Menge versäumten Schlaf nachzuholen. Ein paar Jahre.“

„Und ernähren Sie sich immer so spartanisch? Sind Sie überhaupt schon zum Einkaufen gefahren?“

„Fangen Sie bloß nicht damit an.“ Sie winkte ab. „Sie können ja einfach zu jedem beliebigen Laden fahren und einkaufen. Ich nicht.“ Beinahe hätte sie angefangen zu weinen, weil sie sich wünschte, dass er sie verstand.

„Wissen Sie, weshalb ich warten muss, bis meine Schwester mir die Einkäufe bringt? Weil ich verletzt werde, wenn ich selber rausgehe.“ Sie hielt ihre Arme hoch. „Sehen Sie diese kleinen Halbmonde? So sehr lieben mich meine Fans. Wenn ich eine Straße entlanggehe, erlaube ich ihnen, Selfies mit mir zu machen. Und wenn ich mich dann verabschiede, krallen sie mir die Fingernägel in den Arm. ‚Nein, warten Sie. Meine Freunde kommen gleich.‘ Ich muss mir das lächelnd gefallen lassen. Aus allen Richtungen kommen dann Leute; ich bin eingekesselt. Die Polizei wird auf die Menge aufmerksam, schaut, was los ist, und winkt mir zu. Deshalb gebe ich freundlich Autogramme, bis ein Polizist an der Reihe ist. Den muss ich mit einem Lächeln im Gesicht bitten, mir zu helfen und mich ins Hotel zu begleiten.“

Verdammt, nun stiegen ihr wirklich Tränen in die Augen.

Travis runzelte die Stirn. Glaubte er ihr nicht?

Es gab noch einen Beweis, den nur ein paar Friseure kannten. Sie drehte sich um und hob ihr Haar hoch, bis sie die daumennagelgroße Stelle auf ihrer Kopfhaut ertastete, wo keine Haare mehr wuchsen. „Gleich nachdem ‚Space Maze‘ herauskam, haben Fans mich in einem Laden erkannt. Sie rissen mir Haare aus als Souvenir. Genau hier.“

Sie drückte den Finger auf den Punkt. Travis nahm ihre Hand und strich mit dem Daumen über die Narbe. Sophia schloss die Augen.

„Es tut mir leid“, sagte er.

Sie ließ die Arme sinken.

„Es tut mir leid“, wiederholte Travis mit rauer Stimme nah an ihrem Ohr.

Ihr Zorn war wie weggeblasen. Sie öffnete die Tür und ließ Travis hinaus. „Sie müssen sich keine Sorgen machen, wenn Sie mich nicht zu Gesicht bekommen. Mein künftiger Schwager hat gesagt, die MacDowells hielten Sie für vertrauenswürdig. Deshalb habe ich mich vor Ihnen nicht versteckt. Alle anderen sollen mich nicht zu sehen bekommen.“

Travis nickte, nahm seinen Hut und ging. Sophia fiel auf, dass er seine Stiefel trug. Er musste reingelaufen sein, ohne sie am Stiefelknecht auszuziehen, ganz gegen seine Gewohnheit. Offensichtlich hatte er sich wirklich Sorgen um sie gemacht.

Dankbarkeit durchflutete sie.

„Travis?“

Er wandte sich um. Sein ernstes Gesicht war im Schein der Küchenlampe zu erkennen. Hinter ihm war es stockfinster.

„Ich bin keine verrückte Einsiedlerin. Einfach eine Einsiedlerin.“

„Verstanden.“

Sie seufzte erleichtert.

Er klopfte mit dem Hut gegen den Schenkel. „Ich habe Ihnen noch gar nicht gesagt, weshalb ich Sie eigentlich gesucht hatte: Das Katzenjunge wurde wieder lebhafter, als ich es gewärmt habe. Ich habe die Stelle gefunden, wo die Mutter die anderen Jungen versteckt hat. Sie hat zugelassen, dass ich es zu den anderen gelegt habe.“

Sophia atmete die kühle Nachtluft tief ein. „Oh, das ist schön. Sie ist doch keine Rabenmutter.“

„Ich habe ihr zusätzliches Futter gegeben. Als ich ging, wirkte sie zufrieden und hat alle drei gesäugt.“

Es fühlte sich an, als hätte Travis ihr ein Geschenk gemacht. „Danke. Vielen Dank.“

„Ich möchte Ihnen nicht zu viel Hoffnung machen. Das Kleine ist noch nicht über den Berg.“

„Aber jetzt wird alles gut.“

„Wir haben zumindest alles dafür getan. In ein paar Tagen, wenn ich zurückkomme, schaue ich wieder nach Ihnen. Gute Nacht.“ Er tippte an seinen Hut und verschwand in der Dunkelheit.

Autor

Rochelle Alers
Seit 1988 hat die US-amerikanische Bestsellerautorin Rochelle Alers mehr als achtzig Bücher und Kurzgeschichten geschrieben. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Zora Neale Hurston Literary Award, den Vivian Stephens Award for Excellence in Romance Writing sowie einen Career Achievement Award von RT Book Reviers. Die Vollzeitautorin ist Mitglied der...
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