Blauer Himmel - goldener Sand

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Einen traumhaften Urlaub vom hektischen Sydney macht die Journalistin Neve am Strand von Byron Bay. An ihrer Seite und in ihren Armen der Millionär Rob Stowe. Schon träumt sie davon, seine Frau zu werden, da verlässt er sie überraschend, um ein Firmen-Problem zu lösen. Oder kehrt er in Wahrheit zu seiner Ex-Geliebten Molly zurück?


  • Erscheinungstag 28.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756161
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Rob Stowe sah aus dem Fenster seines Arbeitszimmers und pfiff leise vor sich hin. Eine Frau kam auf sein Haus zu, und er hatte eine seltsame Vorahnung. Sie mochte etwa einen Meter fünfundsiebzig groß sein, war ungefähr Mitte zwanzig und hatte langes dunkles Haar. Leider trug sie einen weiten Mantel, aber darunter verbarg sich wahrscheinlich eine gute Figur. Jedenfalls hatte die Frau einen geschmeidigen, eleganten Gang. Jetzt warf sie das Haar zurück und nahm etwas aus der Manteltasche.

Er lächelte bewundernd. Diese Frau besaß zweifellos einen ausgeprägten Unabhängigkeitssinn. Merkwürdig, sie blieb vor dem Haus stehen. Sie konnte doch nicht der Ersatz für Brent Madison sein, oder?

Es war drei Uhr nachmittags, und schwere, tief hängende Wolken waren aufgezogen. Neve Williams fröstelte in der kalten Brise und zog ihren langen Kamelhaarmantel enger um sich, bevor sie einen schnellen Blick auf einen Notizzettel warf. Ja, die Adresse stimmte. Rob Stowe wohnte also in einem alten, geschmackvoll restaurierten, zweigeschossigen Haus in Woollahra, dem Prominentenvorort von Sydney.

Sie hatte den Auftrag, Rob Stowe zu interviewen, nur erhalten, weil ihr berühmter Kollege überraschend an Drüsenfieber erkrankt war. Es war ihr kaum ein halber Tag vergönnt gewesen, sich auf das Interview für den Magazinteil der Zeitung, für die sie arbeitete, vorzubereiten.

Neve zögerte kurz, dann stieß sie das schmiedeeiserne Tor auf, ging zwei Stufen zu einer weinrot gestrichenen Haustür hinauf und drückte auf einen Messingklingelknopf.

Sie fror erbärmlich und wollte gerade noch einmal klingeln, als eine ebenso attraktive wie berühmte Frau öffnete. Neve musterte sie ungläubig.

„Aha.“ Molly Condren, der berühmte Film- und Fernsehstar, lächelte freundlich. „Sie sind sicher die Lady, die für Brent Madison eingesprungen ist.“

Neve hatte sich inzwischen von der ersten Überraschung erholt. „Stimmt. Aber nicht, um Sie zu interviewen, Miss Condren – sehr zu meinem Bedauern.“

Molly Condren strich sich das rotblonde Haar aus dem Gesicht. „Sie schmeicheln mir. Aber das Interview mit Rob wird Ihnen genug zu schaffen machen. Er hat es sich nämlich fast schon anders überlegt, weil er jemandem Rede und Antwort stehen soll, den er nicht kennt. Brent dagegen ist ein guter Freund von ihm. Kommen Sie erst einmal herein. Sie müssen ja völlig durchgefroren sein.“

Der Flur war knallrot tapeziert, doch die Farbe störte kaum, denn es hingen zahlreiche Gemälde an den Wänden. Neve hängte ihren Mantel an einer Garderobe auf, die Molly ihr zeigte, strich sich durchs Haar und überzeugte sich davon, dass ihr gelber Polopulli und der karamellfarbene Wildlederhosenrock gut saßen. Dann griff sie nach ihrer Schultertasche und wollte Molly folgen.

Doch die betrachtete sie nur nachdenklich. „Eigentlich haben Sie mehr Ähnlichkeit mit einem Fotomodell als mit einer Journalistin“, sagte sie. „Das wird ihm gar nicht gefallen.“

„Vielen Dank! Aber das Aussehen kann täuschen, Miss Condren. Ich gehe völlig in meinem Beruf als Journalistin auf, und es wäre nicht das erste Mal, dass ich es mit einem schwierigen Interviewpartner zu tun hätte.“

„Das beruhigt mich.“ Molly zuckte die Schultern. „Ich wollte Sie nur warnen.“

„Etwa vor mir?“, fragte ein Mann mit tiefer Stimme ärgerlich. „Nun bring sie schon endlich herein, Molly.“

„Vor wem denn sonst, Liebling? Du magst der erfolgreiche Unternehmer Rob Stowe sein, aber selbst der hat manchmal schlechte Laune. Und heute scheint so ein Tag zu sein.“

Neve blieb an der Tür stehen und sah sich in dem geräumigen, geschmackvoll eingerichteten Zimmer um. Im Kamin brannte ein Feuer. Rob Stowe, der ihnen den Rücken zugewandt hatte, saß in einem Rollstuhl am Kamin und machte keine Anstalten, sie zu begrüßen.

Molly verzog das Gesicht. „Die Journalistin ist hier, Rob. Du hast dem Interview zugestimmt. Es ist schließlich nicht ihre Schuld, dass Brent Drüsenfieber bekommen hat.“

„Das weiß ich.“

„Gut. Dann mache ich jetzt Kaffee.“ Sie forderte Neve mit einer Geste auf, ins Zimmer zu gehen, und überließ sie ihrem Schicksal.

Neve, die schon einige schwierige Interviewpartner gehabt hatte, ließ sich von Rob Stowes finsterem Blick nicht einschüchtern.

Obwohl Rob Stowe im Rollstuhl saß, konnte sie sehen, wie groß er war. Er hatte dichtes dunkles Haar und trug ein Footballsweatshirt und Jeans. Seine Gesichtszüge waren ausgesprochen markant. Am beeindruckendsten waren seine dunklen Augen, die verrieten, wie viel Schmerz dieser Mann schon ertragen haben musste. Sein Mund war schmal, doch sie hatte Fotos gesehen, auf denen Rob Stowe humorvoll und lebensfroh lachte.

Ob es ihr gelingen würde, ein lebensfrohes Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern? Sie dachte allerdings gar nicht daran, den ersten Schritt zu tun. Gelassen wartete sie ab, bis Rob Stowe sie aufreizend langsam gemustert hatte. Fast schien es ihr, als würde er sie mit seinen Blicken ausziehen. Ein leiser Schauer lief ihr den Rücken hinunter, und das ärgerte und schockierte sie zugleich.

Es schockierte sie, weil es ihr neu war, dass wildfremde Männer so eine Reaktion bei ihr auslösen konnten. Verärgert warf sie das Haar zurück, stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete ihn kühl.

„Soso“, sagte Rob Stowe leise. „Sie sind ja ziemlich arrogant, Miss … Wie war doch gleich Ihr Name?“ Er zog spöttisch eine Augenbraue hoch.

„Williams. Neve Williams. Und ich bin keineswegs sonderlich arrogant, Mr. Stowe, aber es macht mir auch nichts aus, wenn Sie mich dafür halten. Wenn Sie sich entschieden haben, doch kein Interview zu geben, sagen Sie es bitte gleich. Dann sind Sie mich sofort los.“

Dabei hatte der Chefredakteur ihr eingeschärft, sich ja nicht ohne das Interview bei ihm blicken zu lassen. „Das letzte Interview mit ihm liegt zwei Jahre zurück. Es wird ein Knüller“, hatte er gesagt. Aber das war ihr jetzt auch egal. Neve zuckte die Schultern.

„Was soll das heißen?“, fragte Rob Stowe.

Sie rang sich ein Lächeln ab. „Mir ist gerade eingefallen, dass ich wahrscheinlich gefeuert werde, wenn ich ohne das Interview in der Redaktion aufkreuze.“

„Und was würden Sie tun, wenn ich Sie wirklich bitten würde, jetzt zu gehen?“ Er ließ wieder den Blick über sie gleiten.

„Dann würde ich gehen. Ich krieche vor niemandem zu Kreuze. Vielleicht bin ich wirklich etwas arrogant“, fügte sie humorvoll hinzu.

„Vielleicht haben Sie auch eine gute Menschenkenntnis, Miss Williams.“

„Aber nein“, entgegnete sie, doch ihr belustigter Blick strafte ihre Worte Lügen.

„Sie haben ja veilchenblaue Augen“, bemerkte Rob Stowe nachdenklich. „So eine Farbe habe ich noch nie gesehen. Na gut, setzen Sie sich.“

„Danke.“ Neve nahm auf einem mit rosafarbenem Leinen bezogenen Zweisitzer Platz, der im rechten Winkel zum Rollstuhl stand.

„Das heißt aber noch lange nicht, dass ich wirklich bereit bin, Ihnen ein Interview zu geben“, sagte Rob, als sie Block, Bleistift und ein kleines Diktiergerät aus ihrer Handtasche nahm.

„In Ordnung. Sie haben doch nichts dagegen, dass ich unser Gespräch aufzeichne, Mr. Stowe?“

„Nein. Allerdings möchte ich mir das Band vor der Veröffentlichung anhören und eventuell Korrekturen vornehmen.“

„Das ist selbstverständlich, Mr. Stowe.“

„Wirklich? Normalerweise lassen Journalisten sich nicht ins – manchmal unsaubere – Handwerk pfuschen.“

„Ich betrachte es als Herausforderung“, antwortete sie kühl. „Mir ist wichtig, dass wir beide mit dem Interview leben können.“

Sie musterten einander, dann lächelte Rob Stowe. „Man muss sich fragen, welche Art von Herausforderung Sie im Bett mögen, Miss Williams. Auf dem Gebiet sind Sie sicher sehr gefragt – bei der Figur! Aber lassen Sie uns anfangen.“

Nicht darauf eingehen, dachte Neve, hielt sich jedoch nicht daran. „Und man fragt sich auch, ob Sie diesen Herausforderungen gewachsen sind, Mr. Stowe.“

Zu ihrer Überraschung lachte er herzlich. „Jetzt habe ich Sie erwischt“, sagte er leise. „Ich wusste doch, dass Sie nicht so kühl und unnahbar sein konnten, wie Sie sich geben. Auf Macho-Bemerkungen reagiert jede Frau.“

Sie biss sich auf die Lippe. „Dann sind wir jetzt wohl quitt, Mr. Stowe?“

„Allerdings, Miss Williams. Fragt sich nur, wie lange. Womit wollen Sie beginnen?“

Neve sah sich um und versuchte, sich zu konzentrieren. „Mein Chefredakteur möchte gern ein wenig Hintergrundwissen vermitteln. Natürlich sind Sie der Öffentlichkeit ein Begriff, aber wir sollten anschneiden, wie Sie damit zurechtkommen, dass Sie seit diesem Unfall gelähmt sind. Wie haben Sie reagiert, als die Ärzte Ihnen gesagt haben, Sie würden nie wieder gehen können? Und ich habe gehört, dass Sie es mit eisernem Willen geschafft haben, die Mediziner Lügen zu strafen.“

„Anfangs war ich ziemlich ungenießbar“, antwortete Rob Stowe. „Fragen Sie Molly. Stimmt doch, Molly, oder?“, fragte er, als Molly mit einem Tablett ins Zimmer kam.

„Nein, ganz im Gegenteil. Du warst und bist fantastisch damit umgegangen, Rob. Du bist vielen Menschen ein großes Vorbild. Lassen Sie sich von ihm nicht hinters Licht führen“, fügte sie hinzu und lächelte Neve aufmunternd zu.

„Du hast nur zwei Tassen mitgebracht“, stellte Rob trocken fest.

„Ich muss zum Friseur und zur Kosmetikerin, Liebling. Das kann Stunden dauern. Aber ihr kommt bestimmt auch ohne mich zurecht. Bis dann.“

„Auf Wiedersehen“, sagte Neve, wohingegen Rob es vorzog, zu schweigen.

Als Neve die Stille unangenehm wurde, sagte sie: „Ich beginne ein Interview gern mit der Frage: Worüber würden Sie gern sprechen?“

„Ganz egal, was?“

„Völlig egal. Wenn Sie möchten, können wir mit der Aufzeichnung beginnen.“

Er lächelte hintergründig. „Erzählen Sie mir von sich, Neve. Und Sie können jetzt mitschneiden oder nicht – wie Sie wollen.“

„Okay.“ Sie ließ das Diktiergerät ausgeschaltet und begann zu erzählen. „Ich bin sechsundzwanzig, wurde auf einer Schaffarm in West Queensland geboren und habe an der Universität von Queensland Anglistik studiert. Nach dem Examen habe ich bei der Courier Mail als Reporterin gearbeitet, zuletzt für das Politikressort. Vor drei Monaten bin ich dann nach Sydney gekommen. Eigentlich wollte ich mal über etwas anderes als Politik berichten, und das tue ich ja auch, seit ich für die Beilage schreibe.“

„Aha. Ich habe zwei Interviews von Ihnen gelesen. Sie waren nicht schlecht.“

Neve sah ihn überrascht an. „Vielen Dank. Es macht Spaß, interessante Menschen zu interviewen.“

Rob lächelte amüsiert. „Sind Sie verheiratet?“

„Nein. Und verlobt oder sonst irgendwie liiert bin ich im Moment auch nicht.“

„Warum nicht?“

Sie zuckte die Schultern. „Keine Zeit. Und wie steht es mit Ihnen?“

„Die Frage können Sie sich doch inzwischen selbst beantworten.“

„Wenn Sie auf Miss Condren anspielen …“

„Natürlich spreche ich von Molly“, sagte er ungeduldig.

„Darf ich in meinem Artikel darauf eingehen?“

„Nein.“

„Auch gut. Möchten Sie noch etwas über mich wissen?“

„Ja. Haben Sie schon mal daran gedacht, zum Fernsehen zu gehen? Schließlich sehen Sie gut aus und können sich gut verkaufen.“

Neve lächelte. „Natürlich. Aber solche Jobs fallen nicht vom Himmel. Außerdem schreibe ich gern. Eines Tages werde ich ein Buch schreiben.“

„Was machen Ihre Eltern beruflich?“

„Meine Mutter war hauptberuflich Ehefrau und Mutter. Bei sechs Kindern war das eine Vollzeitbeschäftigung. Und mein Vater war als Mechaniker auf der Farm beschäftigt.“

Rob Stowe beugte sich leicht vor und musterte sie. „Dann haben Sie es ja weit gebracht, Neve Williams. Von der Schaffarm zur Reporterin, die über die oberen zehntausend schreibt.“

„Sie haben auch Karriere gemacht.“

Er sah sie fragend an. „Sind wir aus dem gleichen Holz geschnitzt?“

„Vielleicht. Aber ich habe noch viel zu tun, bevor ich so weit bin wie Sie.“

„Trotzdem. In gewisser Hinsicht sind wir uns ähnlich. Wären Sie bitte so nett, uns Kaffee einzuschenken?“

Sie stand auf. „Gern. Wie trinken Sie Ihren?“

„Schwarz, mit einem Löffel Zucker.“

Neve sah ihn amüsiert an. „Genau wie ich.“ Sie stellte eine Tasse Kaffee vor ihm auf den Tisch. Im nächsten Moment kam ein großer Golden Retriever aufgeregt ins Zimmer gestürmt und sprang an ihr hoch, um ihr freundschaftlich das Gesicht zu lecken. Bei dem Versuch, ihm auszuweichen, stolperte sie über den Hund und verlor das Gleichgewicht.

Die Folgen waren verheerend. Sie stieß den Tisch mit der vollen Kaffeetasse um. Das heiße Gebräu ergoss sich über Rob Stowe, der vor Schmerz aufschrie, und sie und der Hund landeten auf dem Teppich.

Gleichzeitig tauchte ein rothaariges Mädchen von etwa zwölf Jahren an der Tür auf und hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund. „Ach du meine Güte“, sagte die Kleine undeutlich.

„Portia!“, fuhr Rob sie an. „Fällt dir nichts anderes dazu ein? Wie oft muss ich dir denn noch sagen, dass Oliver in meinem Zimmer nichts zu suchen hat? Übrigens habe ich mich verbrannt. Und …“

„Das tut mir schrecklich leid, Rob.“ Portia eilte ins Zimmer, nahm auf dem Weg ein großes Leinenset vom Tisch und versuchte Rob, so gut es ging, abzutrocknen. „Steh auf, Oliver“, rief sie, bevor sie Neve charmant zulächelte. „Nett, Sie kennen zu lernen. Hoffentlich hat Oliver Sie nicht verletzt.“

Neve richtete sich auf und betrachtete das mit einem dunkelgrünen Pulli und karierten Leggings bekleidete rothaarige Mädchen, bevor sie mit bebender Stimme sagte: „Du musst Portia Condren sein.“ Dann tastete sie durch den Stiefel ihren Knöchel ab und fügte hinzu: „Ich glaube, ich habe mir den Fuß verstaucht.“

„Ich bin Portia Condren“, antwortete das Mädchen. „Sie sind sehr scharfsinnig. Rob, was soll ich jetzt tun?“

„Schaff den Hund hinaus, und dann kommst du zurück und ziehst Neve den Stiefel aus!“

„Ja, Rob.“ Portia schob das widerstrebende Tier durch die Tür und machte sie hinter sich zu.

„Das darf doch nicht wahr sein.“ Rob machte Anstalten aufzustehen.

„Bitte nicht“, rief Neve besorgt. „Es wird schon nicht so schlimm sein.“

Doch er hörte nicht auf sie. Auf eine Krücke gestützt, kam er auf sie zu und ließ sich neben ihr auf dem Teppich nieder. Die Anstrengung war ihm deutlich anzumerken. Als Nächstes zog er den Reißverschluss ihres Stiefels auf. „Ich werde jetzt vorsichtig versuchen, Ihnen den Stiefel auszuziehen.“

„Sie hätten nicht aufstehen dürfen“, erklärte sie. „Ich …“

„Das lassen Sie mal meine Sorge sein.“ In seinen Augen lag ein ungewöhnlich sanfter Ausdruck.

Neve schluckte und hielt still, als Rob ihr behutsam den Stiefel und die gelbe Socke auszog. Der Knöchel war geschwollen und bereits blau angelaufen. Als Rob ihn vorsichtig berührte, zuckte sie zusammen.

„Hoffentlich ist nichts gebrochen. Portia!“

„Ich bin ja schon da. Ach je!“ Portia kniete sich neben Neve und betrachtete ihren Fuß. „Sie Ärmste“, sagte sie dann mitfühlend und legte ihr tröstend den Arm um die Schultern.

„Ruf den Arzt an, Portia“, befahl Rob. „Das Telefon liegt auf dem Sessel.“

„Okay.“ Sie sprang auf.

„Ach, lass mich lieber selbst mit ihm sprechen“, sagte er, doch Portia telefonierte bereits.

„Machen Sie sich bitte keine Umstände“, bat Neve. „Wenn Sie mir nur ein Taxi rufen würden, kann ich zu meinem Hausarzt fahren. Ich bin sicher, dass nichts gebrochen ist.“

„Ja, Dr. Berry. Nein, Rob geht es gut“, sagte Portia gerade. „Er hat sich nur etwas verbrannt, aber die Lady, die bei ihm zu Besuch ist – sie ist übrigens ganz reizend – ist gefallen, als Oliver sie angesprungen hat, und wir glauben, dass ihr Knöchel gebrochen ist. Übrigens ist Rob aufgestanden, und er soll doch nicht …“

„Gib mir den Hörer, Portia“, befahl Rob Stowe wütend.

Doch sie hatte den Anruf bereits beendet und antwortete: „Dr. Berry ist schon unterwegs.“

„Was, um alles in der Welt, hast du denn angestellt?“

Neve lehnte die Krücke an den Schreibtisch des Chefredakteurs und setzte sich vorsichtig hin. „Ich habe mir den Fuß verstaucht.“

„Aha. Und wie ist das Interview gelaufen?“

„Gar nicht.“

„Neve! Ich habe dich gewarnt! Und ich habe dir auch gesagt, dass er schwierig sein kann. Jetzt erzähl mir bitte nicht, du bist wutentbrannt davongestürmt!“

„Vielen Dank für dein Mitgefühl, George“, sagte Neve ironisch. „Ich kann dich übrigens beruhigen. Davongestürmt bin ich wirklich nicht. Im Gegenteil, man musste mich fast hinaustragen. Meinst du, ich könnte Schadensersatzansprüche stellen?“

George Maitland sah sie erstaunt an. „Erzähl erst mal, was passiert ist.“ Plötzlich wirkte er doch etwas beunruhigt.

„Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre wirklich verschwunden. Seine anzüglichen Bemerkungen waren nicht ohne, und unseren Berufsstand hat er auch kritisiert. Außerdem hat er versucht, mich auszufragen.“

„Du bist doch nicht etwa handgreiflich geworden?“, fragte George. „Natürlich hast du deinen Stolz, Neve, aber der Mann sitzt im Rollstuhl.“

„Hast du je erlebt, dass ich handgreiflich geworden bin, George?“

Er zuckte die Schultern. „Nein. Ich weiß ja, dass du eigentlich die Gelassenheit in Person bist, aber vielleicht hast du ihn provoziert, und er wollte dir eine verpassen. Du hast selbst gesagt, dass man dich hinaustragen musste.“

Neve barg das Gesicht in den Händen und lachte. „Das ist wirklich zu komisch“, sagte sie schließlich, als sie den verwirrten Gesichtsausdruck ihres Chefredakteurs bemerkte. „Okay, George, ich werde dir lieber erzählen, was wirklich passiert ist.“

Als sie ihren Bericht beendet hatte – ohne Molly oder Portia zu erwähnen –, sah George sie aufgeregt an. „Ihr habt euch also eigentlich ganz gut verstanden, oder? Habt ihr euch angefreundet?“

Neve wandte den Blick ab. In diesem Moment klopfte es, und George rief den Besucher ungeduldig herein. Es war seine Sekretärin, die unter dem Gewicht eines riesigen Blumenkorbs schwankte. Sie stellte den Korb neben Neve ab und sagte lakonisch: „Für dich.“

„Wetten, dass er von Rob Stowe ist?“ George betrachtete interessiert die Blumen. „Das muss ihn eine Stange Geld gekostet haben – Rosen, Tulpen, Lilien, Orchideen, alle aus dem Treibhaus.“

Neve seufzte leise und griff nach der Karte, die an einem Geschenkband befestigt war. Dann lächelte sie. „Die Blumen sind von dem Hund.“

George sah sie belustigt an. „Und schreibt der Hund, wann das Interview fortgeführt werden soll?“

„Nein, tut er nicht. Ach George, du denkst wirklich nur noch an dieses Interview“, beschwerte sie sich.

Er zuckte die Schultern. „Du vielleicht nicht? Oder hast du plötzlich das Interesse daran verloren, Rob Stowe zu interviewen?“

„Darum geht es gar nicht. Aber ich habe das Gefühl, er will gar kein Interview geben.“

„Er war doch einverstanden.“

„Mag sein, und das bedauert er nun. Wahrscheinlich hat er sich nur darauf eingelassen, weil er mit Brent befreundet ist. Er hat nicht ausdrücklich gesagt, dass er sich auch von mir interviewen lassen würde.“

„Das ist Unsinn, Neve. Vor dem Unfall hat er ständig Interviews gegeben. Und jetzt will er Menschen helfen, die dieses Schicksal mit ihm teilen. Es sah nämlich so aus, als würde er für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt sein. Doch mit eisernem Willen hat er wieder gelernt zu gehen. Und nun will er damit an die Öffentlichkeit, um anderen Menschen Mut zu machen, die in einer ähnlichen Situation sind.“

Neve schwieg.

„Neve?“

„Hat er das von sich aus vorgeschlagen, oder hast du ihn überredet, George?“

George blinzelte. „Der Mann ist ein hartgesottener Geschäftsmann, Neve. Der lässt sich nicht überreden.“

„Vielleicht ist er nicht mehr ganz so hartgesotten, George.“

„Genug, um dich zu provozieren. So, jetzt wollen wir mal hören, was er sagt.“ Er griff nach dem Telefonhörer.

„Nein, warte …“, begann Neve, doch er bat seine Sekretärin bereits, ihn mit Rob Stowe zu verbinden.

Neve überlegte, warum ihr plötzlich die Lust an dem Interview vergangen war, das George so geschickt eingefädelt hatte. Sie ließ die Ereignisse des Vortages noch einmal Revue passieren.

Dr. Berry war sehr nett und kompetent gewesen. Zunächst hatte er Rob wieder in den Rollstuhl geholfen, dann hatte er ihren Fuß untersucht und ihr Schmerztabletten gegeben. Portia hatte frischen Kaffee gemacht, und sie alle hatten gemütlich am Kamin gesessen und sich unterhalten.

Portia Condren war hochintelligent. Sie fragte sie über ihren Job aus und erzählte ihr, dass Englisch ihr Lieblingsfach sei.

Rob und Portia, die sehr aneinander hingen, wie Neve feststellte, beschrieben humorvoll, was Portia und Oliver schon alles angerichtet hatten. Neve überlegte, ob Rob Portias Vater sein könnte. Die dunklen Augen hatten die beiden jedenfalls gemeinsam.

Schließlich gesellte Molly sich auch zu ihnen. „Man kann euch wirklich keine fünf Minuten aus den Augen lassen!“, sagte sie und schüttelte temperamentvoll den Kopf. „Das darf ja wohl nicht wahr sein!“ Sie öffnete eine Flasche Champagner. Portia durfte ein halbes Glas trinken, und Dr. Berry erlaubte auch Neve ein Glas, vorausgesetzt, sie würde anschließend gleich nach Hause fahren und sich hinlegen. Das tat sie dann auch, denn Rob Stowe, der so humorvolle, geistreiche Gastgeber, wirkte plötzlich sehr müde und erschöpft.

Sie hatte sich ein Taxi bestellt, und die anderen hatten sie herzlich verabschiedet. Bei der Erinnerung an die um den Kamin versammelten Menschen musste Neve schlucken.

Sie kannte Rob Stowe erst seit wenigen Stunden, und doch ahnte sie, wie gefährlich ein Wiedersehen für sie sein würde.

„Rob? Hier ist George Maitland.“ Georges Sekretärin hatte die Verbindung endlich hergestellt. „Wie geht es dir, alter Junge? Gut? Das freut mich. Ja, ihr geht es auch gut, wenn man davon absieht, dass sie am Krückstock humpelt. Ja, die Blumen sind eingetroffen, und sie bedankt sich ganz herzlich dafür. Sie haben ihr den Tag verschönt.“

Neve bedachte George mit einem wütenden Blick, den er geflissentlich übersah.

„Hör mal, Rob, wie sieht es denn nun mit dem Interview aus? Weißt du, Brent wird wahrscheinlich erst in einigen Monaten wieder arbeiten können, und ich hatte den Artikel schon fest eingeplant. Ich wollte dein Interview zusammen mit einem Bericht über einen weiblichen Jockey bringen. Das Mädchen ist seit einem Sturz vom Hals an gelähmt, setzt aber alles daran, wieder gehen zu können.“

Während der nächsten dreißig Sekunden hörte George angespannt zu, dann fragte er: „Wirklich? Das ist wunderbar. Ja, natürlich.“ Er notierte sich etwas, verabschiedete sich und legte strahlend den Hörer auf.

„Freitag, elf Uhr. Heute ist Dienstag. Rob meint, bis dahin wirst du schon wieder besser gehen können. Wunderbar. Es klappt also doch noch. Du hast bis Freitag frei, Neve.“

Am Freitag war ihr Knöchel zwar immer noch geschwollen, und Neve humpelte nach wie vor, doch wenigstens brauchte sie die Krücke nicht mehr. Es gab nur ein Problem: Schuhe. Die einzigen, die nicht drückten, waren ihre hellblauen Wildlederschuhe mit flachen Absätzen. Eigentlich passten nur Jeans dazu. Also zog Neve Jeans an und einen silberfarbenen Pulli. Irgendwie eine merkwürdige Kombination! Was hatte sie vor all den Jahren nur bewogen, diese auffälligen Schuhe zu kaufen?

Um seriöser zu wirken, steckte sie das lange Haar auf, nahm die Kontaktlinsen heraus, die sie normalerweise trug, und setzte sich eine Brille auf. Sehr professionell, dachte Neve, als sie ihr Spiegelbild betrachtete, und seufzte, denn nichts würde lange darüber hinwegtäuschen können, wie unbehaglich sie sich bei dem Gedanken an das bevorstehende Wiedersehen mit Rob Stowe fühlte.

Sie ging zum Schlafzimmerfenster ihrer kleinen Mietwohnung. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick auf den Hafen von Sydney. Doch für die Aussicht hatte sie im Moment keinen Sinn. Sie dachte darüber nach, was sie inzwischen alles über ihren Interviewpartner herausgefunden hatte.

Seine Eltern waren Lehrer, er hatte drei Geschwister, und sein ausgeprägter Geschäftssinn hatte es Rob Stowe ermöglicht, im zarten Alter von dreiundzwanzig Jahren die erste Firma zu erwerben.

Außerdem hatte er eine heruntergewirtschaftete Textilfabrik zu Australiens populärstem Hersteller von Sportbekleidung gemacht. Er hatte die Firma mit einem Millionengewinn verkauft und sich das nächste Projekt gesucht. Auch diese Firma hatte er mit Gewinn veräußert, nachdem er sie saniert hatte. Der Öffentlichkeit war er durch seine Abenteuerlust bekannt. Mit einem Schlauchboot war er reißende Wasserfälle hinuntergerast. Das Boot hatte aus seiner Produktion gestammt, und er hatte die Sportkleidung getragen, für die er Werbung machte. Er hatte Australien auf dem Motorrad durchquert und in krokodilverseuchten Gewässern seine Angeln ausprobiert. Er hatte sogar am „Quilty“ teilgenommen, einem einhundertsechzig Kilometer langen eintägigen Pferderennen. Der Sattel, auf dem er gesessen hatte, war in einer seiner Firmen produziert worden.

Autor

Lindsay Armstrong

Lindsay Armstrong wurde in Südafrika geboren, und bis heute fasziniert sie der Kontinent sehr. Schon als kleines Mädchen wusste sie, was sie später machen wollte: Sie war entschlossen, Schriftstellerin zu werden, viel zu reisen und als Wildhüterin zu arbeiten.

Letzteres ist ihr zwar nicht gelungen, aber noch immer ist sie...

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