Brich mir nicht das Herz

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Auf Kreuzfahrt nach Marokko - Elena will nur die romantische Seereise genießen. Von Urlaubsflirts hält sie nichts. Nach einer unglücklichen Liebe will sie ihr Herz schützen. Da begegnet sie Patrick. Und vierzehn sonnige Tage und heiße orientalische Nächte liegen vor ihnen …


  • Erscheinungstag 27.03.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773861
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ein weißes Taxi hielt auf dem Kai von St. Tropez. Schneeweiße Jachten wiegten sich leicht im Hafen, während in den eleganten Straßencafés gegenüber die Gäste Perrier tranken und das Kommen und Gehen der Reichen beobachteten.

Elena stieg aus dem Wagen. Eine Sommerbrise erfasste ihr rotes Sommerkleid und enthüllte lange, schlanke Beine den neugierigen Blicken. Elenas nachtschwarzes Haar war lang und lockig und umrahmte ein makellos schönes Gesicht mit katzengrünen Augen und einem sinnlichen Mund.

„Ich bezahle den Fahrpreis“, sagte Liz und lächelte strahlend. „Geh du inzwischen auf die Jacht und bitte, dass jemand uns das Gepäck tragen hilft.“

Verwirrt blickte Elena auf die vielen Boote. „Welche ist es denn?“

„Oh, entschuldige, die große in der Mitte. Sea Witch heißt sie.“

Elena drehte sich um, eilte den Kai entlang, betrachtete die schnittigen Jachten und lächelte spöttisch.

Wie sehr erinnerte diese Umgebung sie an ihre Kindheit, als ihr wohlhabender Vater sie seinen reichen Freunden vorgeführt, und sie ihm zu Gefallen die geliebte Tochter gespielt hatte.

Nur war sie leider weit davon entfernt, geliebt zu werden. Für den Vater war sie nur eine kostbar herausgeputzte Ankleidepuppe gewesen. Und bei dem Anblick dieser herrlichen Jachten musste sie wieder an die Scheinwelt des Vaters mit ihren Statussymbolen denken, mit der sie nach dessen Tod nichts mehr zu tun haben wollte.

Deshalb empfand Elena es einfach als Ironie, eine Jacht zu suchen, auf der sie die nächsten zwei Wochen mit Liz’ Bruder Patrick über die Meere kreuzen sollte.

Liz war Elenas beste Freundin und seit einiger Zeit auch ihre Arbeitgeberin. Liz schrieb Liebesromane, die Elena zwar nicht leiden konnte, aber ebenso sehr hasste sie es, untätig zu sein. Als sie im Januar ihren Job als Sekretärin verloren, und Liz’ Sekretärin auch gerade gekündigt hatte, war es selbstverständlich für Elena, sich der Freundin als Hilfe zur Verfügung zu stellen. Das war jetzt sechs Monate her. Wenn Elena auch die Sentimentalität der Liebesromane lächerlich fand, das tägliche Zusammensein mit der Freundin genoss sie sehr.

Als Liz’ älterer Bruder in der vergangenen Woche aus Amerika angerufen hatte, um sie zu einer Kreuzfahrt einzuladen, hatte Liz auch Elena dazu aufgefordert. Und diese, in dem Glauben, es handelte sich um ein kleines, bescheidenes Fahrzeug, hatte begeistert zugestimmt.

Aber jetzt, als sie nach einem schimmernden Palast namens Sea Witch Ausschau hielt, fühlte sie sich von scheußlichen Erinnerungen bedrückt.

Und plötzlich stand sie genau vor der gesuchten Jacht.

Ein dunkelhaariger Mann mit nacktem Oberkörper und eine hübsche, stark geschminkte Brünette saßen an Deck und tranken Cocktails. Beide trugen Sonnenbrillen.

Elena räusperte sich. „Entschuldigen Sie, ich bin Elena Baccarat, Liz Kinsellas Sekretärin, und …“

„Na, das wurde aber auch Zeit“, beschwerte sich die Frau. „Wir haben schon den ganzen Tag auf Sie gewartet. Mittlerweile ist es vier, und um drei wollten wir auslaufen.“

Elena beherrschte sich und erwiderte höflich: „Dafür müssen Sie die Fluggesellschaft verantwortlich machen. Ich kann ja nichts dafür, dass wir so viel Verspätung hatten. Aber jetzt brauchen wir jemanden, der uns tragen hilft. Haben Sie jemanden?“

„Ja, ich komme.“ Der Mann stand auf und ging die hölzerne Gangway hinunter. Durch ihre Sonnenbrille betrachtete Elena ihn erstaunt. Erst jetzt sah man, wie riesig der Fremde war, mindestens ein Meter neunzig, außerdem war er der bestaussehende Mann, den Elena jemals getroffen hatte. Er war geradezu die Verkörperung kraftvoller Männlichkeit: Der muskulöse bronzefarbene Oberkörper über den verblichenen Jeans glänzte vor Sonnenöl. Das seidige Haar war schwarz, die Gesichtszüge straff und beherrscht.

Er blieb vor Elena stehen und lächelte höflich und herablassend. „Ich bin Patrick Kinsella.“

Dieser arrogante Riese sollte Liz’ Bruder sein? Noch immer sah Elena ihn bestürzt an und versuchte, sich krampfhaft darauf zu besinnen, was sie von ihm gehört oder gelesen hatte.

Inzwischen war sein Lächeln ironisch geworden, offenbar dachte er, sie schwieg, weil sein fantastisches Aussehen ihr die Sprache verschlagen hatte.

„Patrick Kinsella“, wiederholte er und streckte Elena die Hand hin. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Willkommen an Bord.“

„Danke.“ Gereizt schüttelte Elena ihm die Hand. Sie war überzeugt, dass er nicht nur widerlich war, sondern auch charakterlos, wenn er sich mit der schrecklichen Frau eingelassen hatte, die sich ihr, Elena, gegenüber gerade so unverschämt benommen hatte. „Sehr freundlich, dass Sie mich auf Ihre Jacht eingeladen haben, Mr Kinsella.“

„Nennen Sie mich Patrick.“

„Patrick.“ Elena lächelte kühl, als sie seine Hand losließ. Der Name war das Einzige, was ihr an ihm gefiel. Elenas Mutter war nämlich Irin gewesen, und schon lange hatte Elena sich Irland verbunden gefühlt. Man hätte es für Schwärmerei halten können, wäre Elena romantisch veranlagt gewesen. Mr Kinsella sprach nicht mit irischen Akzent, sondern das reine Englisch der oberen Gesellschaftskreise. Und das beeindruckte Elena überhaupt nicht.

So lächelte sie nur zurückhaltend und sagte: „Ich freue mich auf die Kreuzfahrt. Wenn ich richtig verstanden habe, legen wir in Marokko an?“

„Unter anderem auch da.“ Patrick sah auf. „Ist das da drüben bei dem vielen Gepäck etwa meine Schwester?“

„Ja.“ Elena drehte sich um und sah Liz auf einem Kofferstapel sitzen, das kurz geschnittene Haar umwehte das zarte Gesicht. Fröhlich winkte sie ihrem Bruder.

Zusammen gingen Elena und Patrick auf sie zu, oder besser gesagt, Elena ging, Patrick bewegte sich geschmeidig wie ein Tier im Dschungel. Elena beobachtete es unauffällig mit kühlem Interesse.

„Hi, Liz!“ Patrick musste sich tief bücken, um die Schwester auf die Wange zu küssen. „Du siehst gut aus. Liegt vermutlich an dem romantischen Unsinn, den du dir immer zusammenträumst.“

„Sei nicht so eklig!“ Liz sprang von den Koffern herunter und lachte. „Warte nur, eines Tages wirst auch du dich verlieben, wenn du es am wenigsten erwartest. Dann wirst du nicht mehr so überheblich sein. Hast du dich mit Elena bekannt gemacht?“

„Ja“, erwiderte Patrick, ohne Elena anzusehen. „Ich habe die Abfahrt auf Mitternacht verschoben, weil ich nicht genau wusste, wann ihr ankommen würdet. Charles und Toby sehen sich heute Nachmittag das alte Fort an. Nur Natasha ist an Bord.“

Liz schnitt ein Gesicht. „Bewahre uns vor Natasha. Ist sie sehr gemein oder nur einfach unausstehlich?“

„Nur einfach unausstehlich“, entgegnete Patrick und musterte das Gepäck. „Wenn ich vier Koffer nehme, könnt ihr den Rest tragen?“

Ja, das schafften sie. Mühelos ergriff Patrick die vier Koffer und ging schnell davon. Liz und Elena folgten viel langsamer.

Elena war erleichtert, dass die entsetzliche Natasha offenbar für schlechtes Benehmen berüchtigt war. Sie wunderte sich nur, dass Patrick Kinsella mit ihr ausging, wenn er sie nicht leiden konnte. Aber es sollte ja Männer geben, die Beziehungen, aufgebaut auf Hassliebe, zu boshaften Frauen reizten. Da kann man nur Glück wünschen, dachte Elena und zuckte gleichgültig die Schultern.

In sechsundzwanzig Lebensjahren war sie Liebesbeziehungen leid geworden und glaubte weder an Romantik noch daran, dass sie jemals die große, ehrliche Liebe finden würde.

Natürlich stellte auch sie sich insgeheim einen idealen Mann vor, aber das behielt sie vorsichtshalber für sich, denn sie war überzeugt, den gab es gar nicht. Wie er aussah, war gleichgültig, Elena interessierte nur der Charakter.

Ihrer Erfahrung nach wollten die meisten Männer nur Sex und Frauen zum Vorzeigen, mit denen sie vor ihren Freunden angeben konnten. Als sie jünger war, hatte sie genügend Rollen spielen müssen, zuerst für den Vater, dann für ihren verstorbenen Mann. Jetzt wollte sie nur noch Aufrichtigkeit oder gar nichts.

Sie erreichten die Jacht und gingen an Bord, wo plötzlich drei Männer in weißer Uniform auftauchten.

„Bringen Sie diese Koffer in die Kabine meiner Schwester“, sagte Patrick und setzte seine Last ab. „Der Rest kommt in Miss Baccarats Unterkunft.“

Die Männer nickten schweigend. Zweifellos waren sie widerspruchlosen Gehorsam Mr Kinsella gegenüber gewohnt. Sie verschwanden über das blank gescheuerte Deck durch eine schmale Tür auf der rechten Seite.

„Möchte eine von euch in die Kabine hinuntergehen und sich erfrischen oder auspacken?“, fragte Patrick und sah Liz und Elena an.

„Ich möchte erst einen Drink“, antwortete Liz. „Die Reise war die wahre Hölle, und da sehe ich auch schon meinen Lieblingschampagner stehen.“

Patrick lachte und reichte ihnen Gläser. „Nebenbei bemerkt, das ist Natasha de Courcey. Natasha, das ist Elena Baccarat.“

„Aha, Miss Baccarat“, sagte Natasha affektiert. „Ich nehme an, Sie erwarten jetzt, dass ich Ihnen die Hand gebe und artig Guten Tag sage, aber ehrlich gesagt, das macht mir zu viel Mühe.“

„Schon gut, Natasha“, griff Patrick ein, während er Elenas Glas füllte. „Wir kennen ja deine schlechten Manieren, Elena muss sich eben auch daran gewöhnen.“

Natasha nippte an ihrem Drink und wippte mit dem Fuß. „Ich habe nur schlechte Laune, weil wir so endlos lange in St. Tropez bleiben mussten. Hier kann man doch nur einkaufen. Und es ist schrecklich langweilig, seines Mannes Geld auszugeben.“

„Man kennt sich da leider nicht so aus, denn man ist nicht verheiratet“, ahmte Liz Natashas gezierten Tonfall nach. „Bitte schenk mir noch ein wenig Champagner ein, Patrick.“

„Es ist ja hinreichend bekannt, dass du allein lebst, Liz, und nur von Liebe träumst, ohne sie jemals zu finden. Sind Sie verheiratet, Miss Baccarat?“

„Nein, ich bin Witwe“, erwiderte Elena kühl.

„Witwe?“ Natasha lächelte hinterhältig. „Wie ungewöhnlich für eine Frau Ihres Alters. Wie lange denn schon?“

„Seit fünf Jahren.“ Mit unbewegter Miene ließ Elena sich den Champagner schmecken.

Natasha nahm die Sonnenbrille ab und musterte Elena boshaft aus dunklen Augen. „Wie starb er denn?“

„Bei einem Bootsunglück.“

„Wie tragisch.“ Natashas Worte klangen schrecklich unaufrichtig. „Wie war Ihr Mann denn?“

Elena verzog noch immer keine Miene. „Er sah sehr gut aus, war sehr waghalsig und liebte die Gefahr. Deshalb musste er ja auch so früh sterben.“

„Ich liebe Männer, die verrückt, verdorben und gefährlich sind. Männer wie Patrick.“

Der lächelte freudlos und spöttisch, schlenderte zu dem Tisch, auf dem die Getränke standen, und stellte die Champagnerflasche ab. Er beobachtete sie alle mit männlich überlegener Ruhe.

„Nun, Miss Baccarat, erwarten Sie, dass Ihnen die Kreuzfahrt Spaß bringen wird? Ich meine, Sie wissen doch, dass ein Mann Ihres Alters an Bord ist, oder? Mein Schwager Toby.“

„Ihr Schwager?“ Elena zog eine Braue hoch und sah Liz an. „Ich dachte, du hättest nur einen Bruder.“

„Habe ich auch nur.“ Dann begriff Liz Elenas Irrtum und lachte. „Meine Güte, das ist ja zum Schreien! Hast du gedacht, Natasha ist mit Patrick verheiratet? Das ist ja nicht zu fassen.“

Elena zuckte die Schultern. „Na, ich habe natürlich angenommen …“

„Dass wir zusammengehören?“ Natasha lachte. „Allein die Aussicht wäre herrlich. Nein, ich bin mit Charles verheiratet, Patricks und Liz’ Vetter. Toby ist sein jüngerer Bruder. Wie gesagt, auch der ist allein wie Sie, und vierzehn Tage sind Sie nun zusammen mit ihm auf diesem Boot.“

Liz lachte. „Einer Bordromanze gebe ich wenig Chance, egal, mit welchem Mann. Elena spottet nur über die Liebe, sie glaubt nicht daran.“

„Sie glaubt nicht an Liebe?“ Natasha war entsetzt. „Wie können Sie dann für eine Autorin arbeiten, die Liebesromane schreibt, Miss Baccarat?“

„Ursprünglich wollte ich nur vorübergehend aushelfen“, antwortete Elena. „Aber wir arbeiteten so gut zusammen, dass meine Tätigkeit sich länger hinzog als vorgesehen.“

„Länger hinzog! Ihr merkt, wie sehr Elena Liebe verachtet.“ Liz lachte fröhlich.

„Ich verachte Liebe nicht“, verbesserte Elena hastig. „Du weißt genau, wie gern ich für dich arbeite. Nur an deine Bücher kann ich eben nicht glauben.“

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Patrick sie interessiert ansah und zynisch lächelte.

Dadurch angestachelt blickte sie ihn kühl und stolz an. Ein Mann wie ihn durchschaute sie sofort und wusste genau, was das spöttische Lächeln zu bedeuten hatte: Alle Frauen, die über Liebe spotten, sind empfänglich für Sex ohne lästige Bindung. Playboys waren nun einmal davon überzeugt. Sollte er ruhig, aber Patrick hätte sich gewaltig geirrt, wenn er sie diesen Frauen zurechnete.

Elena mochte zynisch sein, aber verfügbar war sie bestimmt nicht. Sie verlangte Wahrheit und Redlichkeit, nur ehrliche Ansichten und Gefühle zählten. Lügen und Verstellungen waren ihr zutiefst verhasst. Und das Schlimme an romantischer Liebe war eben, dass sie nicht auf Wahrheit beruhte.

Verächtlich sah Elena den gut aussehenden Playboy Patrick Kinsella an, ließ den Blick weiterschweifen über Meer und Himmel, denen sie sich zeit ihres Lebens verbunden gefühlt hatte. Nur im Zusammenhang mit der Landschaft bin ich bereit, auch an Romantik zu glauben, dachte sie und lächelte versonnen.

„Romantik interessiert Sie also nicht?“ Natasha schien ihre Gedanken erraten zu haben. „Oder prachtvolle Männer mit Sex-Appeal?“

„Solche Männer sind immer ein erfreulicher Anblick, aber gewöhnlich sind sie charakterlos, egoistisch, eitel, arrogant und eingebildet.“ Wieder sah Elena Patrick verächtlich an. „Mir liegt nichts an Äußerlichkeiten, nur an inneren Werten.“

„Eine lobenswerte Einstellung“, erklärte Natasha spitz. „Aber ist Ihr Leben so ganz ohne Romantik nicht ein wenig langweilig?“

„Wohl kaum. Ich habe einen wundervollen Job, viele Freunde, Gelegenheit zu reisen und interessante Zukunftsaussichten. Was kann ich mir mehr wünschen?“

„Einen Mann.“ Natasha spielte mit ihrem Glas.

Elena amüsierte sich über ihren Gesichtsausdruck. Sie erlebte nicht zum ersten Mal, dass Frauen wie dieses kleine Biest versuchten, ihr Selbstvertrauen zu erschüttern. Vermutlich verwirrte sie, sich vorzustellen, dass eine Frau, auch ohne von Männern, Flirt und Romantik besessen zu sein, glücklich sein konnte.

„Jede Frau braucht einen Mann.“

„Wirklich? Um zu leben, brauche ich Essen, Schlaf und Luft zum Atmen, aber einen Mann? Nein, da kann ich Ihnen nicht zustimmen, Natasha. Eines Tages muss ich sterben, und mitnehmen kann ich ihn ebenso wenig wie Geld, Besitz oder Erfolge.“

„Gut sagen wir es anders: Sie würden gern einen Mann haben zum Lieben, Küssen und Flirten.“

„Das ist ziemlich ausgeschlossen“, antwortete Elena belustigt. „Und wenn ich nun mal niemanden küssen will, dann lass ich es eben. Ende.“

„Aber wenn Sie nun jemanden küssen möchten?“ Patrick kam plötzlich näher und schob seine dunkle Sonnenbrille aufs Haar, sodass Elena zum ersten Mal seine Augen sah. Sekundenlang blickte sie ihn nur starr an, so beeindruckt war sie.

Seine Augen waren intensiv stahlblau und ausdrucksvoll. Alles andere wurde daneben plötzlich bedeutungslos, die Jacht, die Stadt St. Tropez, selbst Patricks andere Vorzüge verblassten daneben.

Sie sah nur diese wundervollen Augen, die überhaupt nicht zu ihrem ersten Eindruck eines zynischen, sexbesessenen Playboys passen wollten. Im Augenblick war Elena so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht, dass sie keine Worte fand.

„Hat es Ihnen die Sprache verschlagen, Miss Baccarat?“, fragte Patrick.

Sofort nahm Elena sich zusammen und sagte schlagfertig: „Wenn ich jemanden küssen will, würde ich es einfach tun.“

Er lachte. „Wollen Sie mir weismachen, dass es Sie noch nie gereizt hat? Wie alt sind Sie, zwölf?“

„Natürlich habe ich es mir schon gewünscht, aber nur, als ich jünger und naiver war, denn damals glaubte ich noch an Romantik wie jeder Teenager“, sagte Elena wütend und errötete.

Ihr Ärger beeindruckte Patrick keineswegs. „Was hassen Sie denn mehr, Romantik oder sexuelle Anziehungskraft?“

„Was für eine unverschämte Frage.“

„Wieso denn unverschämt?“

„Das dürfte doch wohl klar sein.“

„Weil ich Sex erwähnt habe? Sehr interessant. Mir scheint, damit haben Sie meine Frage schon beantwortet.“

„Das ist die dümmste, anzüglichste Bemerkung, die man nur von einem arroganten Playboy erwarten konnte.“

„Müssen Sie schon bei persönlichen Beleidigungen Zuflucht nehmen? Sieh mal einer an, Sex beunruhigt Sie also.“

„Versuchen Sie ja nicht, mich zu analysieren, Mr Kinsella.“ Elenas grüne Augen blitzten vor Wut, als auch sie jetzt die Sonnenbrille abnahm und Patrick anblickte. „Ich hasse weder Romantik noch sexuelle Anziehungskraft, ich durchschaue nur beide.“

„Wie machen Sie das?“

„Was soll das heißen?“ Elena wurde blass, weil ihr Zorn ihn nicht daran hinderte, sie weiter zu bedrängen. „Das ist doch wohl klar.“

„Mir nicht.“

„Dann müssen Sie noch jünger sein als zwölf, das Alter, das Sie mir ja eben vorgeworfen haben.“

Patrick lachte und genoss ihre Aufregung. „Das hat Sie gekränkt, wie?“

„Natürlich hat es das.“ Elena nahm sich vor, sich unmissverständlich und klug zu verhalten und nicht wieder die Beherrschung zu verlieren. „Mich überrascht, dass ein Mann Ihrer offensichtlichen Erfahrung Romantik und sexuelle Attraktion nicht durchschaut. Ich nehme doch an, dass Sie genügend Beziehungen aus schierer Lust unterhalten haben.“

Patrick zog die Brauen hoch. Elenas ungeschminkte Offenheit schien ihm Respekt einzuflößen. „Sicher genau wie Sie.“

„Selbstverständlich auch ich, denn ich bin jung und nicht gerade hässlich, und ausreichend Männer hat der Versuch gereizt, mich zu verführen.“

„Nur der Versuch? Offenbar haben Sie verhindert, dass sie Erfolg hatten.“

„Weshalb sollte ich auch nicht?“ Elena errötete wieder, denn ihr wurde bewusst, dass sie sich verteidigte, und hob trotzig das Kinn. „Ich bin nämlich nicht bereit, mich, durch falschen romantischen Zauber benebelt, den Männern sexuell auszuliefern. So erreichen Playboys doch ihr Ziel.“

Patrick lächelte und musterte Elena abschätzend. „Schon wahr, aber nicht alle Männer sind Playboys. Sie müssen doch zumindest einen anständigen Mann getroffen haben, seit Sie Witwe sind. Oder finden Sie, wie übrigens viele Frauen, anständige Männer langweilig?“

„Sie sind bestimmt nicht so langweilig und leicht zu durchschauen wie Playboys und Mitgiftjäger.“

„Mitgiftjäger? Sie sind also nicht nur zynisch, sondern auch reich.“

„Wenn man Geld hat, stellt Zynismus sich zwangsläufig ein, wenn jeder, den man kennenlernt, einen nur um Tugend und Vermögen bringen will. Ehrlich gesagt, ich würde all mein Geld dafür geben, einen ehrlichen, anständigen und vertrauenswürdigen Mann zu finden.“

„Also glauben Sie letztendlich doch an Liebe.“

„Nein. Soll das etwa ein Verhör sein? Mein Privatleben geht Sie verflixt noch mal nichts an. Lassen Sie mich in Ruhe, oder ich verlasse auf der Stelle die Jacht.“

„Okay.“ Patrick zuckte gleichgültig die Schultern und wandte sich einfach von ihr ab, während Elena dastand, auf weiteren Ärger gefasst, und sich insgeheim eine grobe Verteidigung überlegte. Aber Patrick schaltete sie geschickt aus, indem er ihnen allen den Rücken kehrte und zurief: „Ich geh’ jetzt in die Stadt. Wir sehen uns heute Abend um halb acht hier an Bord zum Cocktail.“

Sprachlos und wütend sah Elena ihm nach, wie er ein Hemd aufnahm, das griffbereit dagelegen hatte, es lässig anzog, als er schon die Gangway hinunterstieg und in der Menschenmenge am Kai verschwand.

„Patrick hat sich benommen wie der Großinquisitor, wie?“, sagte Liz, die ihrem Bruder gleichfalls nachgeblickt hatte. „Ich frage mich nur, warum.“

„Möglicherweise hat er sich nur gelangweilt“, entgegnete Elena schroff, die ihn nun noch mehr verabscheute, weil das Gespräch sie so erschüttert hatte. Sie beschloss, Patrick Kinsella künftig aus dem Weg zu gehen. Sie drehte sich zu Liz um und sagte: „Jetzt hätte ich Lust, in die Kabine zu gehen, zu duschen und auszupacken. Hast du etwas dagegen?“

„Natürlich nicht.“ Liz trank ihr Glas aus. „Bis später, Natasha.“

Natasha lächelte kühl, murmelte eine Bosheit und goss sich frischen Champagner ein. Liz geleitete Elena durch eine weiße Tür in ein enges Treppenhaus.

Als sie die Stufen hinunterstiegen, sagte Elena verlegen: „Tut mir leid, dass ich mit deinem Bruder gestritten habe. Aber ich fühlte mich durch seine Fragen in die Enge getrieben, überhaupt war mir das ganze Gespräch zu persönlich.“

„Mach dir darüber keine Sorgen. Es hat offenbar seine Neugier geweckt, einer Frau zu begegnen, die ihm an Zynismus in nichts nachsteht.“

„Ja, mir fiel auf, dass er ‚verrückt, verdorben und sexuell gefährlich anziehend‘ ist, wie Natasha es formulierte. Zweifellos ist er Frauen gewohnt, die sich ihm romantisch verträumt zu Füßen werfen.“

„Genau. Patrick glaubt schon lange nicht mehr an die große Liebe. Ich kann mich kaum noch erinnern, dass es Zeiten gegeben hat, als er nicht darüber gespottet hat.“ Liz lachte, als sie einen langen Korridor mit vielen Türen entlanggingen. „Natürlich hatte er immer eine andere Auffassung davon als ich.“

Elena lächelte. Ihr gefiel, wie Liz sich zu romantischen Gefühlen bekannte, und sie musste bei aller Abneigung anerkennen, wie gekonnt ihre Freundin Leidenschaft, Treue und den Glauben an das Gute im Menschen in ihren Büchern beschrieb.

Ein Jammer, dass Liz nie geheiratet hatte. Zehn Jahre lang hatte sie eine stürmische Affäre mit einem verheirateten Mann gehabt, der es nicht fertigbrachte, sich von seiner geisteskranken Frau scheiden zu lassen. Die Beziehung endete tragisch, als der geliebte Mann bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam.

Liz öffnete die Tür zu Elenas Kabine und lächelte, als sie hörte, dass Elena vor Überraschung die Luft anhielt.

„Nein, ist die schön.“

„Ja, mein Bruder hat Stil.“

Der große, sonnendurchflutete Raum war geschmackvoll und kostbar eingerichtet: Die Decke des breiten Doppelbetts war farblich auf den dicken seegrünen Teppich abgestimmt. Sessel und Sofa waren um einen blank polierten Mahagonitisch gruppiert, und über dem antiken Schreibtisch hing ein ausgesucht schönes Gemälde an der mit Seide bespannten Wand.

„Ich lass dich jetzt allein, damit du dich einrichten kannst. Wir sehen uns dann später auf Deck“, sagte Liz.

Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, begann Elena auszupacken und ihre Sachen einzuräumen. Auch das Badezimmer war mit erlesenem, aber unaufdringlichem Luxus ausgestattet. Es war nicht zu leugnen, Patrick Kinsella hatte einen außergewöhnlichen Geschmack.

Und guter Geschmack bedeutete Elena viel. Ihr verstorbener Mann hatte keinen gehabt, und Elena hatte die zwei Jahre ihrer Ehe sehr darunter gelitten. Aber damals hatte sie sich noch Schein und Rollenspiel gebeugt, indem sie Simon alle Wünsche erfüllt und vorgegeben hatte, sie mochte seine Freunde, teilte seine Hobbys und seinen entsetzlichen Geschmack. Sie hatte Simons Egoismus einfach übersehen. Immer wieder hatte sie ihm vorgetäuscht, sie hätte ihm seine brutale Gewalt, Untreue, Falschheit und gemeine Bosheit vergeben. Alle schlechten Charaktereigenschaften hatte er leider erst nach der Hochzeit gezeigt. Und ich hatte nichts anderes verdient, dachte Elena. Weshalb habe ich nicht die Wahrheit gesagt?

Sie war nicht verbittert über ihre Vergangenheit, ihre miserable Ehe oder über den Zwang, gewisse Rollen spielen zu müssen. Sie hatte sich seit Langem mit dem Abschnitt ihres Lebens ausgesöhnt und war bereit, einen neuen Anfang zu machen.

Indem sie den anderen vergab, sprach sie nicht auch sich selbst frei von der Schuld, die sie an ihrem Unglück gehabt hatte? Die Eltern hatten sich nicht aufrichtig geliebt, aber immerhin hatten sie sie geliebt. Und Elena hatte ihre Liebe erwidert. Es lag nicht an den Eltern, dass sie nicht fähig waren, die Tochter so zu sehen, wie sie wirklich war. Die unglückliche Kindheit der beiden hatte ihnen die richtige Einstellung verdorben.

Und auf Simon traf dasselbe zu. Auch er war als Kind schlecht behandelt worden und wuchs auf in dem Glauben, dass Liebe nichts anderes bedeutete, als wiederum andere Menschen schlecht zu behandeln. Seine Gewalttätigkeit war nur das Produkt aufgestauter Rache gewesen.

Menschliche Beziehungen waren schon ein wahres Minenfeld.

Jetzt hatte Elena sich befreit, war zufrieden und konnte ihr vergangenes Leben so sachlich betrachten wie das einer Fremden.

Rasch zog Elena sich aus und wusch unter dem belebenden Prickeln der Dusche die Strapazen der langen Reise ab.

Nachdem sie hellblaue Jeans und ein seidenes Top angezogen und sich frisiert hatte, fand Elena es plötzlich zu schade, sich St. Tropez entgehen zu lassen. Kurz entschlossen nahm sie Sonnenbrille und Handtasche und machte sich auf in die bezaubernde Stadt.

Trotz der glutheißen Sonne standen unzählige Maler am Kai vor der Staffelei und pinselten eifrig. Möwen schossen kreischend zwischen den dümpelnden Booten und dem glitzernden blauen Wasser hin und her.

Elena schlenderte durch winklige alte Gassen, bis sie einen Platz im Zentrum erreichte, auf dem alte Männer trotz des Staubs im Schatten der Bäume Boule spielten. Elegante Touristen, die in den überdachten Straßencafés saßen, verfolgten aufmerksam das Spiel mit der Kugel.

Auch Elena, die sich zu ihnen gesetzt und einen Kaffee bestellt hatte, beobachtete die alten Männer. Plötzlich spürte sie, dass jemand sie ansah.

Auf der anderen Seite des Platzes stand Patrick Kinsella und blickte sie direkt an. Trotz der Entfernung empfand Elena die Eindringlichkeit des Blicks seiner unwahrscheinlich blauen Augen, und es ließ sie durchaus nicht gleichgültig.

Aber weder lächelte sie noch gab sie Patrick ein Zeichen, dass sie ihn bemerkt hatte. Höchst interessiert betrachtete sie die Bäume, deren Laub in der warmen Brise raschelte, und dachte: Was glaubt er eigentlich, wer er ist? Als sie mit unbewegter Miene zurückblickte, war Patrick verschwunden, wenn Elena auch nicht ergründen konnte, wie er das angestellt hatte.

Na schön. Ergeben zuckte sie die Schultern. Aber unhöflich war es schon, wenn der Gastgeber, noch dazu der Bruder ihrer Freundin, sie erst so aufdringlich anstarrte, und es dann nicht einmal für nötig hielt, ihr zuzuwinken oder auch nur zu lächeln, um zu zeigen, dass er sie erkannt hatte.

Autor

Sarah Holland
Sarah Holland kann auf einen beeindruckenden Werdegang zurückblicken, ihr wurde das kreative Talent offenbar schon in die Wiege gelegt: Als Tochter eines erfolgreichen Journalisten und einer Bestsellerautorin romantischer Romane kam sie früh mit dem Schreiben in Kontakt. Als Jugendliche zog sie gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Geschwistern von London...
Mehr erfahren