Brides for the Taking - Zwei Schwestern auf der Suche nach ihrer verschollenen Halbschwester

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IM WÜSTENREICH DER SEHNSUCHT
Die junge Polly reist in das ferne Scheichtum Dharia, um das Geheimnis eines alten Familienerbstücks aufzudecken. Doch als man den prunkvollen Edelstein an ihrer Hand entdeckt, führt man sie wie eine Gefangene in den Palast von König Rashad. Was der schrecklich arrogante Herrscher von ihr will? Sie heiraten! Denn der Legende nach hat derjenige, der den lange verschollenen Ring besitzt, Anspruch auf den Thron. Polly ist entsetzt! Eine Zwangsehe? Undenkbar. Sie will fliehen, doch als der attraktive Wüstenprinz sie heiß küsst, gerät ihr Plan ins Wanken …

BLITZAFFÄRE AUS LEIDENSCHAFT
Die verführerische Ellie Dixon zu Gast im Palazzo seines Patenonkels? Da sieht Rio Benedetti rot! Niemals wird er zulassen, dass diese unberechenbare Femme fatale seinem Patenonkel das Geld aus der Tasche zieht! Denn der attraktive Playboy kennt die rothaarige Schönheit nur zu gut. Schließlich hat sie auch ihn einst tief enttäuscht! Dafür soll sie bezahlen: Mit feurigen Liebesstunden in seinem Bett! Doch durch eine schockierende Nachricht bekommt die Blitzaffäre für den perfektionistischen Geschäftsmann plötzlich eine ganz neue Bedeutung …

STOLZ UND HEIßES VERLANGEN
Diese sinnlichen Kurven, diese verlockend roten Lippen … Kaum sieht er seine Exgeliebte Lucy wieder, muss der griechische Milliardär Jax Antonakos daran denken, dass er mit ihr den besten und heißesten Sex seines Lebens hatte. Doch er darf nicht vergessen: Lucy hat ihn auch betrogen und belogen - was er ihr niemals vergeben wird! Als es trotz allem bald erregender denn je zwischen ihnen knistert, beschließt er, sie noch ein letztes Mal zu verführen. Und zwar ganz nach seinen Regeln - damit sie lernt: Mit einem Mann wie ihm spielt man nicht!


  • Erscheinungstag 21.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735265
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Lynne Graham

Brides for the Taking - Zwei Schwestern auf der Suche nach ihrer verschollenen Halbschwester

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2017 by Lynne Graham
Originaltitel: „The Desert King’s Blackmailed Bride“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2290 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: SAS

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733708467

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

König Rashad El-Amin Quaraishi betrachtete schlecht gelaunt die Fotos, die vor ihm auf dem Schreibtisch ausgebreitet lagen. Mit über einem Meter neunzig überragte er die meisten anderen bei Sitzungen und Versammlungen. Die Größe hatte er von seinem Großvater geerbt, die perfekten, gleichmäßigen Gesichtszüge und langen dichten Wimpern von seiner Mutter, deren Schönheit im gesamten Mittleren Osten Legende war. Doch Komplimente über sein Aussehen, egal wo und von wem, waren ihm schlicht peinlich.

„Ein Füllhorn weiblicher Perfektion“, ließ Hakim, sein Erster Berater, sich vernehmen. „Eine neue Ära, eine neue Königin, eine neue Dynastie. Was für ein Glück für Dharia.“

Trotz der überschwänglichen Worte schien es dem Berater an ehrlicher Begeisterung zu mangeln, dennoch widersprach Rashad nicht. Er hatte es immer als seine Pflicht angesehen, zu heiraten und für Thronerben zu sorgen, auch wenn die Vorstellung ihm nie sonderlich behagt hatte. In jungen Jahren war er schon einmal verheiratet gewesen, er kannte die Stolpersteine. Mit einer Frau zu leben, mit der man nichts gemein hatte, konnte sehr anstrengend sein. Missverständnisse und Konfrontationen waren meist an der Tagesordnung. Und wenn dann der sehnlichst erhoffte Thronfolger auch noch ausblieb, potenzierten sich Stress und Unzufriedenheit.

Nein, eine Ehe hatte keinen Reiz für Rashad. Das Beste, auf das er hoffen konnte, war eine Braut, die vernünftig genug war, um einem Arrangement zuzustimmen, bei dem sie ein relativ friedvolles Zusammenleben führten und ansonsten jeder den eigenen Interessen und Vorlieben nachging. Unterstützung erwartete er nicht von einer Ehefrau. Seine erste Frau hatte wie eine Klette an ihm gehangen, und die berüchtigte stürmische Ehe seiner Eltern würde er auch nicht vergessen. Allerdings verstand er, dass sein Land Stabilität brauchte, und war daher bereit, seinem Volk ein Beispiel zu sein.

Schon seit über zwanzig Jahren litt das Volk von Dharia, Wandel und Erneuerungen wurden nicht länger willkommen geheißen. Im Gegenteil, man hatte sich rückgewandt zu einem entschleunigten Leben und traditionellen Gebräuchen. Die Entschlossenheit seines Vaters, dem Land eine westlich orientierte Lebensweise aufzuzwingen, hatte die Regierung an die Grenze zur Tyrannei geführt, so dass sich Armee und Volk zusammengeschlossen und gegen den Herrscher aufgelehnt hatten. Als Mahnmal dieser Revolution standen noch die Ruinen des ehemaligen Diktatorpalastes in der Hauptstadt Kashan. Dort hatte Arak das Land jedoch weiter in den Abgrund getrieben. Nach dem Sturz des Diktators war sofort wieder die Monarchie ausgerufen worden.

Bedauerlicherweise war während dieser Revolution der Großteil von Rashads Familie durch ein Attentat getötet worden. Sein Onkel hatte ihn dann in der Wüste in Sicherheit gebracht. Sechs war er damals gewesen, ein verängstigter kleiner Junge, der mehr an seiner englischen Nanny gehangen hatte als an seinen Eltern, die er ja kaum sah. In den damaligen Kriegswirren war dann aber auch sein Kindermädchen spurlos verschwunden, der Palast war geplündert worden, die Diener verjagt oder schlimmer, und das Leben, das Rashad bis dahin gekannt hatte, existierte nicht mehr …

„Hoheit, darf ich einen Vorschlag vorbringen?“

Rashad dachte tatsächlich schon, Hakim würde jetzt vorschlagen wollen, die Fotos der Kandidatinnen wie bei einer Tombola in eine sich drehende Kugel zu werfen und dann mit verbundenen Augen eines herauszuziehen. Das wäre sicher respektlos gegenüber den potentiellen Bräuten, aber Rashads Überzeugung nach hätte er damit die gleichen Chancen auf eine glückliche Ehe wie mit jeder anderen Methode. Die Ehe war nicht mehr als ein Glücksspiel.

„Natürlich, bitte“, erwiderte Rashad.

Lächelnd öffnete Hakim den Aktenordner, den er bei sich trug, und zog ein Foto hervor, das er Rashad reichte. „Ich habe mir die Freiheit genommen und mich beim Königlichen Goldschmied erkundigt, ob es möglich ist, eine Nachbildung der ‚Hoffnung von Dharia‘ herzustellen.“

„Aber die ist doch verloren gegangen.“ Verblüfft zog Rashad die Brauen in die Höhe.

„Es richtet sicher keinen Schaden an, wenn eine Nachbildung angefertigt wird. Der Ring ist das Symbol der Monarchie, das wertvollste Erbstück der Familie. Nach der langen Zeit ist es wohl unwahrscheinlich, dass es noch wiedergefunden wird.“ Hakim wurde ernst. „Meiner Meinung nach ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Unser Volk wird sich sicherer fühlen, wenn die alten Traditionen wieder gepflegt werden.“

„Unser Volk glaubt lieber an Märchen, statt sich der Realität zu stellen, dass mein seliger Vater ein miserabler Regent war, nur an der eigenen Macht in einem korrupten System interessiert.“ Wie immer schockierte Rashads unverblümte Direktheit den diplomatischen Hakim zutiefst, das stille Entsetzen stand dem alten Mann ins Gesicht geschrieben.

Rashad ging zu einem der Fenster und sah auf den gepflegten Palastgarten hinaus. Bei dem Ring, den das Volk mit seinem Hang zum Aberglauben „Hoffnung von Dharia“ nannte, handelte es sich um einen großen Feueropal, den der jeweilige König bei offiziellen Anlässen trug. In Gold gefasst, mit einem heiligen Zitat eingraviert, hatte der Ring eine nahezu mystische Bedeutung erlangt, nachdem Rashads Großmutter den Ring bei der Heirat mit in die Familie gebracht hatte. Das Volk hatte seine Großmutter verehrt, hatte sie doch ihr ganzes Leben wohltätigen Zwecken verschrieben. In anderen Ländern trug der König eine Krone, in Dharia wurden Stärke und Autorität des Königs durch den Ring versinnbildlicht. Seit der Palast damals geplündert worden war, war auch der Ring verschwunden, aber keine der intensiven Nachforschungen hatten auch nur die kleinste Spur erbracht. Wenn Rashad daran dachte, dann verstand er, was Hakim meinte: Eine Nachbildung war besser als gar kein Ring. „Dann geben Sie das in Auftrag“, wies er an.

Ein falscher Ring für einen falschen König. Als Drittgeborener war Rashad sich bewusst, dass er nicht als Thronfolger geboren worden war. Er kam nur deshalb in Betracht, weil seine älteren Brüder zusammen mit seinen Eltern umgekommen waren. Dass das Volk ihn derart verehrte und so große Hoffnung in ihn setzte, verwunderte ihn noch immer. Anfangs hatte es ihn derart bewegt und erschüttert, dass er die eigenen Wünsche und Hoffnungen hintan gestellt hatte, um das Richtige für sein Land zu tun.

Einst hatte er sich verlieben und glücklich sein wollen, aber dann hatte er geheiratet, und die Liebe war einen schleichenden grausamen Tod gestorben. Dem würde er sich nicht noch einmal aussetzen. Zwar war er dankbar darum, dass er auf einer britischen Universität seine Ausbildung abgeschlossen und auch seine Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gesammelt hatte, bevor er nach Hause zurückgekehrt war, um seine Pflicht zu erfüllen, aber er hielt nichts davon, sich allein der Lust hinzugeben, auch wenn er jene Zeit der Freiheit genossen hatte.

„Nach Hause“ bedeutete eben, als strahlende Figur an der Spitze von Dharia zu stehen. Ja, sein Volk wäre begeistert, die Nachbildung des Ringes an seinem Finger zu sehen, als Symbol all ihrer Träume und Hoffnungen …

Er nicht.

Polly sah zu ihrer Schwester Ellie und zwang sich zu einem kleinen Lächeln, als eine blonde Frau mittleren Alters nach der kurzen Beerdigungszeremonie für ihre Mutter in der fast leeren Kirche auf sie zukam.

Beide Töchter hatten diese Beerdigung als extrem traurig und frustrierend empfunden. Ellie, zwei Jahre jünger als Polly, hatte keine Erinnerung mehr an die Mutter, während Polly von ihrer Kindheit nur das verschwommene Bild einer parfümierten Präsenz mit einem strahlenden Lächeln vor sich sah. Es war die Großmutter gewesen, die sie beide aufgezogen hatte. Die alte Frau war gerade vor wenigen Monaten gestorben. Über zehn Jahre hatten die Dixon-Schwestern nicht einmal gewusst, dass ihre Mutter noch lebte. Daher war der Schock umso größer gewesen, als sie von einer Fremden kontaktiert und darüber informiert worden waren, dass Annabel Dixon das Zeitliche gesegnet hatte.

Vanessa James, ehrenamtliche Helferin in dem Hospiz, in dem Annabel ihre letzten Tage verlebt hatte, war die Situation ebenso unangenehm wie den beiden jungen Frauen.

„Es tut mir so leid, dass wir uns unter diesen Umständen treffen“, sagte sie, als sie den beiden die Hand schüttelte. „Ich habe einen Tisch im Hotelrestaurant für uns reserviert, es war der letzte Wunsch Ihrer Mutter. Dafür hat sie sogar eine Summe beiseitegelegt. Ich kann mir vorstellen, dass die Situation alles andere als angenehm für Sie ist“, fuhr Vanessa fort, „aber lassen Sie mich Ihnen beim Lunch etwas über die letzten Jahre Ihrer Mutter erzählen.“

Sie hörten sich an, was die Frau zu sagen hatte: Eine unheilbare Krankheit hatte Annabel Dixon schon in den Vierzigern der Fähigkeit beraubt, allein zu leben. Sie war in einem Heim gepflegt worden und dann in dem Hospiz gestorben.

„Das ist so traurig.“ Ellie strich sich das rote Haar zurück, Mitgefühl stand in ihren grünen Augen. „Wenn wir es doch nur gewusst hätte, dann hätten wir helfen können.“

„Annabel wollte nicht, dass Sie es erfahren. Sie wusste, dass Sie bereits Ihre Großmutter pflegten, und sie wollte keine weitere Belastung für Sie beide werden. Sie war eine sehr unabhängige Frau.“

Die drei Frauen setzten sich in einer stillen Nische an den Tisch und nahmen ohne große Begeisterung die Speisekarten vom Ober entgegen.

„Ich kann gut verstehen, weshalb Sie sich entschieden haben, Medizin zu studieren“, wandte Vanessa sich an Ellie. „Annabel war so stolz auf Sie.“

„Sie wusste das? Woher?“, fragte Ellie verblüfft. „Sie hatte doch schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zu Großmutter.“

„Eine Cousine Ihrer Mutter arbeitete als Krankenschwester in der Klinik, in die Annabel vor ein paar Jahren eingeliefert wurde. Sie hat sie über die Neuigkeiten in der Familie auf dem Laufenden gehalten. Annabel hat ihr aber auch das Versprechen abgenommen, Ihnen nichts davon zu sagen.“

„Aber warum denn nicht? Wir hätten doch Verständnis gehabt!“, brach die Frustration aus Ellie heraus.

„Sie wollte nicht, dass Sie sie so sehen. Sie war immer eine schöne Frau, und ihre Eitelkeit hat sie sich bis zum Schluss bewahrt“, erklärte Vanessa leise.

Polly ließ ihre Gedanken wandern. Im Gegensatz zu Ellie hatte sie beruflich nichts erreicht, was eine Mutter stolz machen könnte. Irgendwie hatte das Leben ihr immer wieder Steine in den Weg geworfen, so dass sie nie Zeit gehabt hatte, ihren Träumen und Hoffnungen nachzugehen. Sie war zu Hause geblieben, um sich um die Großmutter zu kümmern, während Ellie das Medizinstudium begonnen hatte.

Aber Polly war stolz auf sich, dass sie uneigennützig gewesen war. Ihre jüngere Schwester war schon immer die Clevere von ihnen gewesen, außerdem fühlte sie sich wirklich berufen, anderen Menschen zu helfen. Polly wusste auch, wie schuldig Ellie sich fühlte, weil sie die Schwester mit der Großmutter allein gelassen hatte. Aber es wäre doch unsinnig gewesen, wenn sie beide ihre Ausbildung aufgegeben hätten, nicht wahr? Und da Polly immer eine Durchschnittsschülerin gewesen war, während Ellie brilliert hatte, war die Entscheidung nicht schwergefallen.

„Ich hatte gehofft, Sie würden Ihrer jüngeren Schwester Bescheid geben und sie heute vielleicht mitbringen.“ Mit ihrer Bemerkung überraschte Vanessa beide, Polly und Ellie, komplett.

Polly riss die veilchenblauen Augen auf. „Welche jüngere Schwester?“

Erst sah Vanessa die beiden ungläubig an, dann erklärte sie, dass die dritte Schwester zu einer Pflegefamilie gekommen war, als Annabel sich nicht länger um sie hatte kümmern können. Sie war vier Jahre jünger als Polly, und wie es schien, hatte die Großmutter sich geweigert, sie aufzunehmen.

„Wir wussten nicht einmal, dass wir noch eine Schwester haben“, sagte Ellie bedrückt. „Eigentlich wissen wir kaum etwas über unsere Mutter, nur das Wenige, was Gran uns erzählt hat, und das war meist nicht sehr schmeichelhaft. Sie hat auch nie erwähnt, dass es drei von uns gibt.“

„Annabel muss ein aufregendes Leben geführt haben, als sie jung war“, setzte Vanessa an. „Als hoch qualifizierte Nanny ist sie viel gereist, hat lange im Ausland gelebt und für sehr wohlhabende Familien gearbeitet. Sie muss sehr gut verdient und zusätzliche Vergünstigungen erhalten haben. Aber ihre eigenen Kinder konnte sie natürlich nicht mit auf Reisen nehmen, deshalb sind Sie beide bei der Großmutter aufgewachsen. Annabel kehrte dann irgendwann nach London zurück und wollte eine eigene Kindertagesstätte eröffnen. Sie investierte ihre gesamten Ersparnisse und wollte Sie zu sich holen, sobald das Geschäft lief. Aber leider ging es schief. Ihre damalige Beziehung ging darüber in die Brüche, und dann stellte sie fest, dass sie wieder schwanger war.“

„Mit unserer Schwester. Wie heißt sie? Und warum erfahren wir erst jetzt von ihr?“, wollte Polly wissen. Sie war nicht sehr beeindruckt von der Neuigkeit, dass die Mutter, die sie kaum gekannt hatte, angeblich vorgehabt hatte, die eigenen Kinder zu sich zu holen. Um genau zu sein, eine solche Möglichkeit schien ihr eher unwahrscheinlich. Schon als Kind hatte sie immer gedacht, dass die Mutter sich vor ihrer Verantwortung drückte. Zudem waren sie von einer Frau aufgezogen worden, die es als Last empfunden hatte, sich um zwei kleine Enkeltöchter kümmern zu müssen, als sie sich eigentlich darauf gefreut hatte, ihren Lebensabend in Ruhe zu genießen.

Die Schwester hieß Penelope Dixon, aber mehr Informationen hatte Vanessa leider nicht zu bieten. „Ich habe mich ans Jugendamt gewandt, doch da ich kein Familienmitglied bin, verweigerte man mir weitere Informationen. Eine von Ihnen müsste sich mit dem Amt in Verbindung setzen und eine Anfrage stellen. Penelope könnte adoptiert worden sein. Sollte das der Fall sein, so können Sie zumindest einen Brief an sie abgeben, der dann in der Akte hinterlegt wird und sie erreicht, sollte sie selbst jemals Nachforschungen über ihre leibliche Familie anstellen.“

Der Ober servierte die Bestellung, und Vanessa nutzte den Moment, um drei Umschläge aus ihrer Handtasche zu ziehen. „Ihre Mutter hat jeder von Ihnen dreien einen Ring hinterlassen. Ich möchte Sie bitten, den Ring für Ihre jüngere Schwester ebenfalls mitzunehmen …“

„Ein Ring?“, wiederholte Polly überrascht.

„Und mit jedem Ring einen Namen. Ich nehme an, dass es die Namen Ihrer Väter sein könnten, obwohl Annabel sehr ausweichend bei dem Thema wurde.“ Vanessa fühlte sich eindeutig unwohl in ihrer Haut. „Ich muss Sie allerdings warnen, ich hatte den Eindruck, dass Annabel selbst sich nicht absolut sicher war, wer Ihre Väter sind.“

Polly wurde blass. „Oh …“

„Sie ist nicht ins Detail gegangen, aber ich habe den Eindruck gewonnen, dass sie ein sehr anspruchsvolles Leben geführt hat, während sie auf die Sprösslinge ihrer Arbeitgeber aufpasste, und … äh … vielleicht ging sie etwas zu großzügig mit ihren Zuneigungsbeweisen um.“

„Was … was meinen Sie damit?“, hakte Polly unsicher nach.

„Sie ist mit jedem ins Bett gegangen.“ Ellie nahm kein Blatt vor den Mund. „Danke, dass Sie so ehrlich zu uns sind, bevor wir uns wegen dieser Namen große Hoffnungen machen. Allerdings könnte es aber doch auch sein, dass Annabel aufgrund ihrer Krankheit vielleicht einiges durcheinandergebracht hat, oder?“

Sobald Vanessa Polly den für sie bestimmten Umschlag reichte, riss Polly ihn auf. Geduld war noch nie ihre Stärke gewesen. Ein schwerer goldener Ring fiel heraus. Sie steckte ihn an, doch er war viel zu groß. Eindeutig ein Männerring. Sie studierte den Stein, der in den verschiedensten Rot-, Orange- und Gelbtönen schillerte.

„Das ist ein Feueropal“, wusste Vanessa. „Ein ungewöhnlicher Stein, aber so, wie ich verstanden habe, nicht übermäßig wertvoll. Allerdings ist es ein antiker Ring, eindeutig im Ausland angefertigt.“

„Aha“, murmelte Polly nur und las den Namen auf dem kleinen Zettel, der ebenfalls in dem Umschlag gelegen hatte.

Zahir Basara … Dharia …

„Mein Vater könnte arabischer Abstammung sein?“, murmelte sie. Dabei hätte man niemals vermuten sollen, dass mit ihrem silberblonden Haar und der hellen Haut auch nur ein Tropfen exotisches Blut in ihren Adern floss. Im Gegenteil, man hatte sie schon oft gefragt, ob sie aus Skandinavien sei. „Von Dharia habe ich schon gehört …“

„Ihre Mutter hat für das Königshaus als Kindermädchen gearbeitet, bevor die königliche Familie umgekommen ist“, wusste Vanessa.

Sofort fragte Polly sich, ob es da vielleicht eine Verbindung zu ihrem eigentlichen Namen gab, den ihre Mutter ihr gegeben hatte – Zariyah. So stand es auch in ihrem Pass. Ihre Großmutter hatte sie immer nur Polly genannt, die alte Dame hatte den fremdländischen Namen verabscheut.

„Ich habe einen Smaragd bekommen!“, rief Ellie aus, doch ihre Haltung deutete an, dass sie weder Ring noch Namen allzu ernst nahm.

„Und der Name?“ Polly kam halb um vor Neugier.

„Klingt italienisch. Aber den verrate ich nicht.“ Sie verstaute den Umschlag in ihrer Handtasche, doch sie schien blass geworden zu sein. „Vielleicht hat unsere Mutter ja Verlobungsringe gesammelt. Ich wünschte, sie hätte uns einen Brief hinterlassen, in dem sie mehr von sich erzählt.“ Sie nahm den Umschlag für ihre unbekannte Schwester von Vanessa in Empfang. „Ist es möglich, das Hospiz zu besuchen?“, fragte sie die ehrenamtliche Pflegerin. „Ich würde mir gern ansehen, wo unsere Mutter ihre letzten Tage verbracht hat.“

Während die beiden Frauen sich in ein angeregtes Gespräch vertieften, schweiften Pollys Gedanken ab. Sie fragte sich, ob der Feueropal ein Symbol der Liebe war. Sie wünschte sich, zumindest aus Liebe empfangen worden zu sein. Eine Liebe zwischen zwei Kulturen war immer schwierig, vielleicht hatten die Unterschiede zu große Bedeutung gewonnen, um sie zu überwinden. Dieser Name und der Ring hatten jähe Sehnsucht in ihr geweckt, mehr über das Land Dharia in Erfahrung zu bringen. War es möglich, dass tatsächlich dharianisches Blut in ihren Adern floss? Vielleicht lebte ihr Vater ja noch, vielleicht hatte er sogar Interesse daran, sie kennenzulernen.

Polly wünschte sich mit aller Macht, ein echtes Elternteil zu haben. Ihre Mutter hatte sie praktisch verstoßen, und die Großmutter hatte die beiden Schwestern zwar nicht schlecht behandelt, aber geliebt hatte sie sie auf keinen Fall. Wie schön musste es sein, ein Elternteil zu haben, dem an seinem Kind lag, das Interesse hatte …

„Du wirst jetzt nicht in ein fremdes Land losstürmen und Nachforschungen anstellen.“ Ellie musste Pollys Gedanken gelesen haben. „Das wäre ja komplett verrückt.“

Genau. Und Polly hatte noch nie etwas Verrücktes getan. Sie hatte sich nicht einmal der Großmutter widersetzt, als sie damals ein Stipendium für die Kunstakademie erhalten hatte, die Großmutter aber darauf bestand, sie solle arbeiten gehen und sich an den Haushaltskosten beteiligen. Sie hatte eine Stelle in einer Wohltätigkeitsorganisation gefunden, und ihre künstlerischen Ambitionen beschränkten sich heute auf den Besuch von Kunstkursen an der Volkshochschule.

Sie war noch nie abenteuerlustig gewesen, und da sie gar nicht das Geld für so etwas hatte, war es höchst unwahrscheinlich, dass sie Dharia je zu sehen bekommen würde. Nein, es war nur ein Traum, und Träume verwirklichten sich nicht, wenn man nicht bereit war, Risiken einzugehen und sich bietende Gelegenheiten spontan beim Schopfe packte.

Polly spürte die neugierigen Blicke auf sich liegen, als sie am Flughafen in Kashan beim Zoll in der Schlange stand. Das müssen das blonde Haar und die helle Haut sein, dachte sie, denn damit bin ich hier eindeutig die Einzige.

Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass sie tatsächlich hier war, im Land ihres Vaters. Ellie hatte ihr das ermöglicht, hatte ein Semester lang einen Teilzeitjob angenommen und ihr dann das Geld gegeben. Quasi als Dank dafür, dass Polly ihr all die Jahre den Rücken freigehalten hatte. Trotzdem hatte es Monate gedauert, bis Polly für die Reise bereit gewesen war, und für die Dauer ihres Aufenthalts hatte sie ein Zimmer in einer wirklich sehr günstigen Pension gebucht. Aber solange es dort sauber war, reichte ihr das.

Ein Mann starrte sie unverhohlen an. Still nahm sie sich vor, dass sie morgen, wenn sie ausging, ihr Haar flechten und bedecken würde. Und die Shorts, die sie eingepackt hatte, würde sie ganz bestimmt nicht anziehen, Dharia war nicht unbedingt eine Touristenhochburg. Zwar waren die Frauen hier nicht verschleiert, aber sie alle waren züchtig gekleidet, trugen lange Röcke und hoch geschlossene Oberteile.

Endlich war sie an der Reihe, sie übergab ihren Pass, und das schien der Startschuss für zwei Männer in Uniform zu sein, an ihre Seite zu treten.

„Bitte kommen Sie mit.“

Zu ihrem Erstaunen wurden ihr Koffer und Tasche abgenommen, und man brachte sie in einen kleinen, nur mit einem Tisch und einigen Stühlen spartanisch eingerichteten Raum. Sowohl ihr Koffer als auch ihre Tasche wurden aufs Genaueste durchsucht, und während sie verwirrt zusah, fragte sie sich, warum man ihr ihren Pass noch nicht zurückgegeben hatte. Wonach suchten sie denn in ihrem Gepäck? Etwa nach Drogen? Ein eiskalter Schauer lief Polly über den Rücken. Sie hatte nichts Verdächtigeres als Kopfschmerztabletten dabei, aber natürlich hatte sie auch die Horrorgeschichten gehört, wonach Reisende sogar Leibesvisitationen über sich ergehen lassen mussten. Als jetzt eine weibliche Zollbeamtin den Raum betrat, versteifte Polly sich unwillkürlich.

Im gleichen Moment stieß einer der Zollbeamten einen überraschten Ausruf aus und hielt den Ring mit dem Feueropal in die Höhe, den er aus Pollys Handgepäck gezogen hatte. Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und brachen sich in dem Stein, zauberten rote und goldenen Schatten auf die grauen Wände des Raumes. Das Trio begann aufgeregt in seiner Muttersprache zu reden, und nur Sekunden später verließen die beiden männlichen Beamten den Raum, während die Beamtin Polly durchdringend musterte.

„Sie sind sehr schön“, sagte die Frau.

Polly wollte nicht unhöflich sein. Sie zwang sich zu einem Lächeln, auch wenn ihr ziemlich mulmig war. „Danke.“

Die Minuten vergingen zäh, und mit jeder Sekunde wurde Polly nervöser. Sie fragte sich, wieso sie alle so aufgeregt waren, seit sie den Ring gesehen hatten. War er etwa gestohlen? Aber wieso sollte ihn dann hier jeder sofort erkennen, wenn er laut Vanessa nicht einmal besonders wertvoll war?

Eine Frau kam in den Raum, in den Händen ein Tablett mit duftendem Tee. Die Zollbeamtin stand auf und goss eine Tasse für Polly ein. Polly bedankte sich erneut, führte die Tasse mit zitternden Händen zum Mund und nippte. Der Tee schmeckte nach Minze.

„Wieso werde ich hier festgehalten?“, wagte sie es zu fragen.

„Wir warten auf Instruktionen“, wurde ihr geantwortet.

„Und mein Ring?“

Die beiden Frauen tauschten einen Blick, aber keine gab eine Antwort. Ärger rumorte in Polly, dass man ihr den Ring abgenommen hatte. Er war die einzige Verbindung zu ihrer Mutter, die sie nie wirklich gekannt hatte. Wann gab man ihn ihr wieder zurück? Sie versuchte, positiv zu denken. Man hatte keine Leibesvisitation durchgeführt, sondern ihr sogar Tee gebracht. Es konnte sich also nur um ein Missverständnis handeln. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Aber möglicherweise ihre Mutter vor all den Jahren …?

Woher sollte sie das wissen? Sie war zwar die älteste Tochter, aber ihre Mutter blieb ein Rätsel. Annabel hatte die ganze Welt bereist, um sich um anderer Leute Kinder zu kümmern, und hatte die eigenen zurückgelassen. Immerhin hatte sie jahrelang regelmäßig finanzielle Unterstützung gesandt, bis das dann ohne Vorwarnung abrupt ausgesetzt hatte. Polly hatte erfahren müssen, wie es war, mit einem sehr knapp bemessenen Budget zurechtzukommen.

Hinterlassen hatte ihnen die Großmutter nichts, ihr gesamtes Hab und Gut hatte der Sohn geerbt, der sich immer bitter darüber beklagt hatte, dass die unehelichen Kinder seiner Schwester den Lebensabend seiner Mutter ruiniert hatten. Uneheliches Kind … ein Etikett, das Polly immer gehasst hatte. Wieso wurden Kinder stigmatisiert, wenn sie doch keinerlei Verantwortung dafür trugen. Aber für ihre altmodische Großmutter war es eine nie versiegende Quelle der Scham gewesen, dass ihre Enkelinnen unehelich zur Welt gekommen waren.

Während Polly sich am anderen Ende von Kashan mit solchen Sorgen und Gedanken herumschlug, hastete Hakim, der sich eigentlich grundsätzlich gemächlich bewegte, den langen Palastkorridor hinunter. Er wollte so schnell wie nur möglich zu seinem König gelangen. Vor Aufregung war sein Gesicht erhitzt, der kleine Kinnbart bebte mit jedem eiligen Schritt.

„Hoheit! Der Ring! Er ist gefunden worden!“ Atemlos stand Hakim im Arbeitszimmer des Königs, den Ring wie eine Trophäe hoch in die Luft gehalten.

Mit einem Stirnrunzeln stand Rashad auf, nahm den Ring von Hakim entgegen und hielt ihn in die Sonnenstrahlen, so dass der Stein auffunkelte. „Wo?“

Hakim klärte seinen König auf und teilte ihm mit, dass besagte Engländerin in diesem Moment am Flughafen festgehalten wurde.

Die Falte auf Rashads Stirn wurde tiefer. „Warum wurde sie nicht sofort ins Gefängnis abgeführt?“

„Wir sollten keinen diplomatischen Zwischenfall heraufbeschwören“, warnte Hakim.

„Ein Dieb ist ein Dieb und muss bestraft werden.“

„Die Frau ist jung. Sie kann den Ring unmöglich gestohlen haben. Aber sie wurde auch noch nicht verhört. Die Flughafenpolizei wollte sich zuerst mit dem Palast wegen der weiteren Vorgehensweise kurzschließen und erfahren, ob dieser Ring tatsächlich das Original ist. Die Neuigkeit hat sich bereits herumgesprochen. Vor dem Flughafen hat sich eine Menschenmenge versammelt.“

„Eine Menschenmenge? Wie ist das möglich?“, verlangte Rashad mit gerunzelter Stirn zu wissen.

„Das soziale Netzwerk … so etwas lässt sich nicht unter Verschluss halten. Für die Menschen ist die Frau keine Diebin, sondern diejenige, die ‚die Hoffnung von Dharia‘ unserem König zurückgebracht hat. Nimmt man noch hinzu, dass sie jung und sehr schön ist … Denken Sie an Ihre Großmutter, die damals herkam und den Ring mitbrachte. Da ist es verständlich, dass alle aufgeregt sind.“

Die Falte auf Rashads Stirn schwand nicht. Eine aufgeregte Menschenmenge konnte sehr schnell zu öffentlichen Unruhen umschwenken. Die glühende Begeisterung seines Beraters war für ihn nicht nachvollziehbar, schließlich handelte es sich bei diesem Ring nur um eine alte Legende, die die Monarchie untermauern sollte.

„Es ist immer ein latentes Risiko, wenn sich zu viele Menschen versammeln“, hob Hakim jetzt an. „Ich würde daher vorschlagen, dass man die Frau herbringt und sie befragt. So werden aufkeimende Gerüchte erstickt.“

Rashad dachte an die dunklen Verliese direkt unter dem Palast. Nun, er glaubte nicht, dass Hakim die Engländerin in ein Verlies werfen wollte. Der Berater hatte ja bereits erwähnt, dass sie zu jung war, um den Ring gestohlen zu haben. „Nun gut. Es könnte sicher interessant werden, sich ihre Geschichte anzuhören.“

„Es ist ein Wunder, dass der Ring nach Dharia zurückgebracht wurde“, ereiferte sich Hakim glühend, „und ein wunderbares Omen für die Zukunft.“

Polly fühlte sich leider ganz und gar nicht wunderbar, als man sie aus dem Ankunftsterminal führte, und zwar offensichtlich zum Hintereingang hinaus und über das Frachtgelände. Nein, ihr stand vor Angst der Schweiß auf der Stirn, daran änderte auch die Präsenz der Beamtin nichts. Und noch etwas geschah mit ihr: Sie, die sich nur selten aufregte, merkte, wie ihr Temperament zu brodeln begann. Sie hatte weder Gesetze gebrochen noch sich ungebührlich verhalten. Warum mutete man ihr eine solche Behandlung zu?

„Sie werden zum Palast gebracht.“ So, wie die Beamtin es sagte, wurde von Polly wohl erwartet, jetzt in Begeisterungsstürme auszubrechen. „Ihnen wird große Ehre zuteil. Man schickt sogar eine Limousine für Sie samt Militäreskorte.“

Stumm glitt Polly auf die Rückbank des Wagens und faltete die Hände im Schoß. Vor über zwanzig Jahren hatte ihre Mutter für die königliche Familie gearbeitet, und jetzt erhielt Polly also die Gelegenheit, den Palast von innen zu sehen. Sie bemühte sich ehrlich, die Sache von der positiven Seite her zu betrachten. Vielleicht traf sie ja sogar jemanden, der ihre Mutter gekannt hatte. Obwohl … das könnte auch peinlich werden. Hatte ihre Mutter sich hier vielleicht mit mehreren Männern eingelassen? Das würde sie wohl nie herausfinden, ohne nicht sich selbst und andere in tiefste Verlegenheit zu bringen. Ellies Warnung kam ihr wieder in den Sinn, dass die Suche nach dem Vater der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleichen würde. Polly entschied, dass sie sich mit privaten Informationen bedeckt halten würde, bis sie herausgefunden hatte, was genau man eigentlich von ihr wollte.

Der Armeelaster voll mit bewaffneten Soldaten machte sie dann doch nervös, auch die Menschentraube, die sich mit neugierigen Gesichtern um den kleinen Konvoi scharte, half ihr nicht, ruhiger zu werden. Als die vielen Hände gegen die Wagenscheibe klopften, flackerte so etwas wie Panik in ihr auf. Ein Schweißtropfen rann an ihrer Schläfe herab, sie schloss die Augen und betete still, dass nichts Böses passieren möge. Als der Wagen dann endlich beschleunigte, stieß sie einen erleichterten Seufzer aus.

Sie fuhren jetzt über eine Durchgangsstraße. Polly erkannte moderne Wolkenkratzer überall, auch war die Straße gesäumt mit Menschen, die dem Konvoi nachsahen. Es lag fast so etwas wie Festtagsstimmung in der Luft, wie Polly überrascht feststellte, die Leute winkten und lachten fröhlich, als der Konvoi vorbeifuhr.

Dann ließen sie die Stadt hinter sich und fuhren eine Weile durch eine menschenleere Wüstenlandschaft. Sand und Felsbrocken, so weit das Auge reichte, in der Ferne am Horizont nur hohe Dünen. Der intensiv blaue Himmel über dem glitzernden heißen Sand weckte in Polly den Wunsch, dieses Bild zu malen, aber nicht in den zarten Pastelltönen, die sie üblicherweise bevorzugte.

Sie blinzelte, als der Wagen durch ein großes Tor fuhr und blühende Gärten und üppiges Grün plötzlich in Sicht kamen. Weiter hinten erhob sich ein großes altertümliches Gebäude, verziert mit Kuppen und hohen Türmen, die sich majestätisch in die Luft reckten.

Die Tür an ihrer Seite wurde aufgezogen, prompt strömte Hitze in den Wagen. Polly stieg aus in die sengende Sonne, die leichte Sommerhose und das T-Shirt klebten an ihrer Haut. In dem offenen großen Palastportal wartete eine junge Frau, die sich tief verbeugte und Polly mit einer unmissverständlichen Geste aufforderte, ihr zu folgen.

Nun, unter Arrest stand sie offensichtlich nicht, wie Polly erleichtert klar wurde. Ihre Neugier wuchs, als sie den Palast betrat, dennoch hielt sich auch die Verärgerung über das, was man ihr seit ihrer Ankunft in diesem Land zugemutet hatte. Sie gingen einen endlosen Korridor entlang, der mit kunstvoll verzierten Säulen gesäumt war. Pollys Sandalen quietschten leise bei jedem ihre Schritte auf den Mosaikfliesen. In einem großen Saal mit nur wenig Mobiliar stiegen sie einige breite Stufen empor, und Polly folgte der Frau auf die offen stehenden hohen Flügeltüren zu. Oh je, ging es jetzt wieder hinaus in die glühende Mittagshitze? Nur zögernd trat sie hinaus in den Innenhof, während die Frau sich mit einer Verbeugung zurückzog.

Wasser plätscherte in einem Springbrunnen, der von Palmen beschattet wurde. Polly beeilte sich, aus der Hitze heraus und in den Schatten zu kommen, wo der feine Sprühnebel ihre Haut ein wenig kühlte.

Eine andere junge Frau in einem schmeichelhaften langen Kleid bedeutete ihr mit der Hand, an dem Tisch mit den zwei Stühlen Platz zu nehmen. Polly unterdrückte ein Stöhnen, denn der Tisch stand in der prallen Sonne. Dann hörte sie Schritte hinter sich und traute ihren Augen nicht, als die Frau sofort auf die Knie fiel und mit der Stirn den Boden berührte. Langsam drehte sie sich um.

Ein großer Mann mit schwarzblauem Haar musterte sie mit Augen, so scharf wie die eines Habichts. Der Vergleich passte durchaus, kam sie sich doch vor wie ein Beutetierchen, in eine Ecke gedrängt und eingeschüchtert. Diesen Mann umgab ein Kraftfeld von Autorität und Macht. Und er war auch der bestaussehende Mann, der ihr je begegnet war. Da sie sich vorab im Internet über Dharia informiert hatte, wusste sie, wer er war: der kürzlich gekrönte König des Landes, Seine Hoheit König Rashad. Polly schluckte, sie war mehr als verwirrt. Womit hatte sie es verdient, dem König persönlich vorgestellt zu werden?

„Miss Dixon, ich bin Rashad. Ich würde gerne eine Erklärung von Ihnen hören, wie der Ring in Ihren Besitz gekommen ist.“

Ich bin Rashad. Als gäbe es nur einen Rashad auf der Welt. Und wenn sie ihn sich so besah, könnte das durchaus möglich sein. Ein einzigartiger Mann, dem es gelungen war, die verschiedenen Fraktionen in seinem Land wieder zu vereinen, ein Verdienst, für den er mit unterwürfiger Bewunderung verehrt wurde.

„Um ehrlich zu sein, ich bin gar nicht in der Lage, viel zu erklären“, gab sie bebend zurück, denn in dem Moment, in dem sie auf den Blick aus den dunklen Augen traf, die in der Sonne golden leuchteten, stockte ihr der Atem, und es raubte ihr die Stimme.

2. KAPITEL

„Setzen Sie sich doch bitte.“ Rashads Stimme klang harscher als beabsichtigt, hatte er doch Mühe, sich auf seine stählerne Selbstbeherrschung zu besinnen.

Es erschütterte ihn, dass ein Blick auf eine fremde Frau genügte, um Lust in ihm aufflammen zu lassen, so etwas war ihm bisher noch nie passiert. Allerdings musste er auch zugeben, dass die Frau da vor ihm außergewöhnlich war. Polly Dixon war eine seltene Schönheit mit dem weißblonden Haar, das er bisher nur bei Kindern gesehen hatte. Es floss ihr in Wellen über den Rücken bis hinunter zur Hüfte. Ihre Haut war hell wie Porzellan, sie hatte ein herzförmiges Gesicht, aus dem veilchenblaue Augen strahlten und einen rosigen vollen Mund. Groß war sie nicht, sie reichte ihm gerade bis zur Brust, aber ihre weiblichen Kurven waren verführerisch ausgebildet.

Mit trockenem Mund starrte Polly ihn ebenfalls an. Sein Gesicht war perfekt … feine Wangenknochen, gerade Nase, volle Lippen, umrahmt von der Andeutung eines dunklen Bartschattens auf der bronzefarbenen Haut. Mit Anstrengung rief sie sich zur Ordnung.

„Ich fürchte, ich weiß nur wenig über diesen Ring. Ich erhielt ihn erst kürzlich, als meine Mutter starb. Wie ich verstanden habe, war er schon lange in ihrem Besitz.“

Hayat, Rashads Schwägerin, brachte Tee zum Tisch und zog sich wieder zurück, blieb aber in einiger Entfernung stehen und fungierte als Anstandsdame.

„Wie hieß Ihre Mutter?“, fragte Rashad und beobachtete gebannt, wie Polly sich einen Tropfen Minztee von der Unterlippe leckte. Er stellte sich vor, wie diese flinke rosa Zungenspitze über seine Haut fahren würde. Die Bilder stürzten mit Wucht auf ihn ein, er war froh, dass der Tisch seine sofortige männliche Reaktion verbarg.

Die Hitze machte Polly schwer zu schaffen, sie war unglaublich durstig und nippte immer wieder an dem Tee, wünschte, er wäre kalt, damit sie einen großen Schluck nehmen könnte. „Annabel Dixon“, antwortete sie.

Rashad stutzte. Für einen Moment senkte er die langen dichten Wimpern, dann hob er die Lider wieder und schaute Polly an. „Als Kind hatte ich ein Kindermädchen mit diesem Namen“, sagte er tonlos. „Wollen Sie behaupten, Sie sind Annabel Dixons Tochter?“

„Ja, aber ich muss gestehen, dass ich so gut wie nichts über die Zeit weiß, die meine Mutter hier in Dharia verbracht hat. Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen.“ Polly war verblüfft, dass ihre Mutter auf Rashad aufgepasst haben sollte, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. „Wieso ist dieser Ring denn so wichtig?“

„Weil er die Herrschaftsinsignie des rechtmäßigen Königs von Dharia ist“, erklärte Rashad. „Für mein Volk ist er von großer symbolischer Bedeutung. Seit über fünfundzwanzig Jahren war er unauffindbar, er ging verloren, als der Diktator Arak mit einem Staatsstreich die Herrschaft übernahm. Wer war Ihr Vater?“

Bei der Frage versteifte Polly sich. Kopfschmerzen meldeten sich an, sie wünschte, sie könnte die Tabletten aus ihrem Koffer holen. Wann würde sie ihr Gepäck endlich zurückbekommen? „Ich weiß es nicht. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen wirklich nicht mehr erzählen. Ich wusste nicht, dass dieser Ring ein verloren gegangener Staatsschatz ist, ich weiß auch nicht, wie er in die Hände meiner Mutter gelangt ist. Sie hätte doch wissen müssen, wie wichtig der Ring für Dharia war, oder?“

„Das würde ich auch so sehen. Sie hat schließlich jahrelang erst auf meine Brüder und dann auf uns alle aufgepasst.“

„Wie war sie so?“

Rashad sah Polly überrascht an.

„Ich … ich erinnere mich nur vage an sie. Aber vielleicht geht es Ihnen ja ähnlich.“ Mit hochroten Wangen bot Polly ihm nachträglich eine Ausflucht.

„Sie hat immer gelacht, war immer fröhlich“, sagte Rashad jedoch. „Ich habe sie gern gehabt, meine Brüder auch. Aber sie war nicht blond wie Sie, sondern hatte rotes Haar.“

Polly dachte an Ellie, die ihr rotes Haar überhaupt nicht mochte. „Gibt es vielleicht noch jemanden, der sich an sie erinnert?“, wagte sie sich vor. „Ich möchte gern mehr über sie erfahren.“

„Nur wenig Personal von früher ist noch am Hof tätig.“ Rashads Miene verdunkelte sich. Die meisten der Diener waren bei dem Staatsstreich umgekommen.

„Was geschieht jetzt mit dem Ring?“, lautete ihre nächste Frage.

„Er muss natürlich in Dharia bleiben“, erwiderte er sofort. Konnte sie sich das nicht denken? „Er gehört hierher.“

Polly hob das Kinn, ihre blauen Augen verdunkelten sich. Ihr mochte heiß sein, und sicher war sie auch müde, aber ihr Verstand funktionierte noch bestens. „Aber es ist mein Ring. Es ist das einzige Erbe, das ich von meiner Mutter habe.“

Rashad war sichtlich schockiert über ihre Bemerkung. „Das ist wirklich bedauerlich, aber …“

„Wohl für mich, meinen Sie, nicht wahr?“, begehrte sie auf. Offenbar ging er wie selbstverständlich davon aus, dass sie die Situation anstandslos akzeptieren würde.

Rashad war es nicht gewohnt, dass man ihm ins Wort fiel, ganz zu schweigen davon, dass er sich jemals mit einer zornigen Frau hätte auseinandersetzen müssen. Kritisch zog er eine Augenbraue in die Höhe. „Sie haben mehr Glück, als Ihnen klar ist“, sagte er nüchtern. „Man hätte Sie auch des Diebstahls anklagen können, weil Sie den Ring bei sich tragen.“

Polly sprang auf und musste sich mit beiden Händen auf dem Tisch abstützen, denn bei der abrupten Bewegung war ihr schwindlig geworden. „Dann klagen Sie mich doch an! Wie können Sie es wagen, mich wie eine Kriminelle zu behandeln! Ich wurde gleich am Flughafen in Gewahrsam genommen und vor aller Augen abgeführt! Für Stunden wurde ich in einem stickigen kleinen Raum festgehalten, dann hat man mich in Lebensgefahr gebracht, als man mich durch eine tobende Menge gefahren hat und …“

Dieses Mal schnitt er ihr das Wort ab. „Sie sind lediglich einer Stichprobenkontrolle unterzogen worden. Ich bedaure, dass Sie in Verlegenheit gebracht wurden und solche Unannehmlichkeiten erdulden mussten. Ich werde dafür sorgen, dass Sie für die Dauer Ihres Urlaubs in unserem Land entschädigt werden.“

Tapfer richtete Polly sich auf und reckte die Schultern. „Ich will den Ring meiner Mutter zurück“, erklärte sie entschieden.

Rashad stand ebenfalls auf. Zu seiner Schande musste er gestehen, dass ihre zornentbrannte Miene ihn amüsierte. Ihre Wangen waren so bezaubernd rosig geworden, ihre Augen dunkler, und die vollen Lippen hatte sie zu einer schmalen Linie zusammengepresst. „Ihnen muss doch klar sein, dass das nicht stimmt. Dieser Ring hat weder Ihrer Mutter noch Ihrer Familie gehört.“

„Ich habe ihn geerbt, deshalb gehört er jetzt mir.“

Rashad ging auf sie zu, und mit weichen Knien wich Polly zurück. „Laut Gesetz kann Diebesgut nicht als Eigentum desjenigen gelten, der es kauft oder geschenkt bekommt, denn die Person, die es weitergegeben hat, hatte nicht das Recht, darüber zu verfügen.“

Polly hörte ihm gar nicht zu. Er redete jetzt wie ein Anwalt, und in seinem schlichten hellgrauen Anzug passte er überhaupt nicht in die märchenhafte Umgebung. Er wirkte gar nicht real. Wollte man es genau nehmen, schien Polly überhaupt alles surreal, seit sie einen Fuß in dieses Land gesetzt hatte. Die Erfahrungen, die sie seit ihrer Ankunft hatte durchmachen müssen, waren ihr völlig fremd. Dieses komplizierte Problem mit dem verflixten Ring, er, das fremde Land und dann auch noch die unerträgliche Hitze … das alles wurde zu viel für sie.

„Ich bin nicht bereit, weiter darüber zu diskutieren, denn es ist mein Ring und nicht Ihrer!“, schleuderte sie ihm entgegen, während sie gleichzeitig merkte, dass seine Gestalt vor ihren Augen verschwamm.

„Sie sind unvernünftig“, gab Rashad sofort zurück. Es faszinierte ihn, dass unter ihrer sanften Schönheit solches Feuer verborgen lag. „Verzeihen Sie mir, wenn ich das sage, aber … Sie benehmen sich kindisch.“

Schweißtropfen perlten von ihrer Stirn, Polly ballte die Hände zu Fäusten. „Wären Sie nicht der, der Sie sind, würde ich Sie jetzt für diese Bemerkung ohrfeigen!“

Es klopfte laut an der Tür, Hayat eilte, um zu öffnen – rückwärts und verbeugt entfernte sie sich von ihrem König, genau wie Bedienstete vor Jahrhunderten es getan hätten. Nein, nicht jede Tradition ist es wert, erhalten zu werden, dachte Rashad mit einem stillen Seufzer, doch dann dachte er an Pollys lachhafte Drohung, und seine Laune hob sich. Ob ihr klar war, wie viele dharianische Gesetze sie in der kurzen Zeit mit ihm gebrochen hatte? Höchstwahrscheinlich nicht. Ihr wäre es auch sicherlich egal. Sie war wütend, und sie drückte ihren Zorn freimütig und ohne jede Angst vor ihm aus. Eine solche Freiheit hatte Rashad nie gehabt. Von Kindheit an hatte er gelernt, dass Pflichten erfüllt werden mussten und welche Konsequenzen es nach sich zog, wenn dies nicht geschah.

Hakim verharrte atemlos im Türrahmen, machte sich mit Handzeichen bemerkbar. Es schien dringend zu sein, so hektisch, wie er sich gab.

Rashad war irritiert über die Störung, verbarg aber seinen Unmut. Ganz gleich, ob es gute oder schlechte Nachrichten waren, die Hakim zu berichten hatte, das hier war eine Angelegenheit, die schnellstens bereinigt werden musste, da waren seine Stimmung und seine Gefühle nebensächlich. Er erlaubte sich einen letzten Blick auf Pollys hellhäutige Schönheit im goldenen Sonnenlicht.

„Ich denke, Sie würden mich nicht einmal ohrfeigen können, wenn Sie sich mit aller Kraft bemühten“, sagte er glatt. „Ich bin nämlich geübt in jeder Art von Kampf.“

„Und Sie haben auf alles eine Antwort“, murmelte sie. Mit seltsam eckigen Bewegungen begann sie, wieder zum Tisch zurückzugehen.

Doch plötzlich sank sie ohnmächtig zu Boden. Hayat stieß einen erschreckten Schrei aus, Rashad jedoch schritt geistesgegenwärtig zur Tat. Er bückte sich und hob die bewusstlose Polly auf, registrierte erstaunt, wie wenig sie wog. Hayat begann einen lauten Klagegesang und rief um Hilfe, was die Palastwachen herbeirief. Alarmiert stürzten sie in den großen Saal, schließlich wussten sie nicht, was passiert war, und erwarteten das Schlimmste, dass nämlich ihr König in Gefahr sei.

Rashad gab Polly nicht ab, auch wenn andere anboten, sie zu tragen. Hakim ließ bereits nach dem Palastarzt schicken. „Ich werde Ihnen berichten, sobald wir allein sind“, sagte er bedachtsam.

„Was für ein beleidigendes Benehmen!“, murmelte seine Schwägerin, ohne sich an jemanden im Besonderen in dem vollen Aufzug zu wenden. „Wagt es, den König zu unterbrechen und anzuschreien. Ich konnte meinen Augen und Ohren nicht trauen.“

Rashad fragte sich, ob Hayat früher eines von jenen Kindern gewesen war, das die Spielkameraden verpetzte. Sie lästerte stets gehässig über andere Frauen, schwirrte ständig in seiner Nähe herum, so als traue sie ihm nicht zu, die Fehler und Schwächen einer Frau ohne ihre Hilfe zu erkennen. Als Schwester seiner verstorbenen Frau hielt sie sich für etwas Besonderes, das wusste er, glaubte sich höher gestellt als andere. Sie stammte aus einer hoch angesehenen und reichen Familie in Dharia. Alle reichen Familien Dharias hatten jetzt ihre Töchter als potenzielle Braut dem König vorgestellt – eine gefährliche Situation, die Rashad inzwischen zu der Überzeugung gebracht hatte, dass er sich eine Ehefrau aus einem anderen Land suchen musste, um Rivalitäten zwischen den einzelnen Clans zu verhindern und den Frieden zu bewahren.

Rashad legte Polly auf einem mit Seide bezogenen Bett ab. Ihre Lider flatterten, sie gewann langsam das Bewusstsein zurück, stöhnte leise. Und selbst in diesem Zustand ähnelte sie auf verblüffende Weise dem Bild eines Engels, das er einmal in einem Kinderbuch gesehen hatte.

„Dr. Wasem ist hier“, ließ Hakim sich an seiner Seite vernehmen.

Rashad trat vom Bett zurück und erfuhr einen jener seltsam surrealen Momente, was ihn zutiefst beunruhigte. „Ich frage mich, was mit ihr nicht stimmt“, murmelte er.

„Und ich frage mich, was unser Volk aus diesen Ereignissen machen wird. Ich habe eine Wache dabei erwischt, wie er mit seinem Mobiltelefon telefonierte. Der Mann sollte sofort suspendiert werden. Wo kommen wir denn hin, wenn selbst die Männer, die geschworen haben, Ihr Leben mit dem eigenen zu verteidigen, sich an der Sensationslüsternheit der Medien beteiligen!“ Hakim hatte sich in Rage geredet.

„Sie war so blass. Ich hätte bemerken sollen, dass es nicht normal ist, so blass zu sein“, sinnierte Rashad, als hätte sein Berater nichts gesagt.

„Hitzschlag“, lautete dann die Diagnose des Arztes. „Normalerweise würde ich sagen, die Frau gehört ins Krankenhaus, aber bei der momentanen Aufregung in der Stadt … Die Dienerinnen sollen dafür sorgen, dass sie abgekühlt wird und reichlich Flüssigkeit zu sich nimmt. Ich frage mich, wer auf die Idee kommt, eine Frau, die bereits eine anstrengende lange Reise hinter sich hat, auch noch der Mittagshitze auszusetzen, die selbst für uns, die wir daran gewöhnt sind, schwer zu ertragen ist.“

Rote Flecke traten in Rashads Wangen. Sonnenstich. „Es ist also ernst …“

„Nicht so ernst wie das, was ich Ihnen zu berichten habe“, flüsterte Hakim ihm zu, als der Arzt damit beschäftigt war, den in gebührender Entfernung stehenden Dienerinnen entsprechende Instruktionen zu erteilen.

Nur mit Mühe hielt Rashad das schlechte Gewissen in Schach. Ein Hitzschlag war eine ernste Sache, sein Gast hätte nicht nur Kreislaufprobleme, sondern sogar Probleme mit dem Herzen bekommen können. Ihre Körpertemperatur musste schnellstens abgesenkt werden. Er war entsetzt über die eigene Gedankenlosigkeit. „Und das wäre?“, wandte er sich an Hakim.

„Unser Gast nennt sich vielleicht Polly, aber laut Pass heißt sie Zariyah“, wisperte Hakim seinem König zu.

„Aber … aber das ist der Name meiner Urgroßmutter!“, entfuhr es Rashad schockiert. „Noch dazu ist es ein seltener Name.“ Denn in Dharia wurde der Name aus Respekt für seine Vorfahren nicht mehr vergeben.

Hakim seufzte schwer. „Im Moment deuten alle Hinweise in eine Richtung, in die ich lieber nicht gehen würde. Aber die Tatsache, dass ihre Mutter den Ring hatte und der Tochter diesen Namen gegeben hat … Nimmt man noch ihr spurloses Verschwinden in jener Zeit hinzu … Das sind zutiefst beunruhigende Fakten.“

„Es kann unmöglich eine Verwandte sein!“, ließ Rashad sich zu einem seltenen Ausbruch hinreißen.

„Zieht man ihr Alter in Betracht und addiert die Neigung Ihres Vaters, mit den gut aussehenden Bediensteten zu flirten … dann könnte die Möglichkeit leider durchaus bestehen“, sagte Hakim grimmig. „Es muss ein DNA-Test vorgenommen werden. Unser Gast könnte Ihre Halbschwester sein.“

„Meine …“ Rashad erstarrte. Instinktiv weigerte er sich, das Wort zu wiederholen und damit mögliche Familienbande anzuerkennen.

Das war nicht das, was er hatte hören wollen. Nein, ganz und gar nicht. Die Vorstellung, dass er sich körperlich zu einem lang verschollenen Familienmitglied hingezogen gefühlt hatte, ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Allerdings hatte er auch gelesen, dass eine solche Anziehungskraft zwischen erwachsenen Geschwistern aufflammen konnte, wenn sie als Kinder nicht zusammen aufgewachsen waren.

„Es ist unerlässlich, dass wir es herausfinden“, meldete Hakim sich besorgt. „Wir müssen es sicher wissen. Annabel Dixon war eine kokette Frau, und Ihr Vater war …“

Rashads Miene war wie versteinert, als er seinem Berater ins Wort fiel. „Ich weiß, was mein Vater war.“

3. KAPITEL

Jäh kam Polly zu Bewusstsein, zutiefst erschreckt, dass sie nackt in einer Badewanne lag und mit kalten Schwämmen abgerieben wurde. In Panik versuchte sie, sich aufzusetzen und zu bedecken.

„Es tut mir leid, aber diese Behandlung ist notwendig, um Ihre Körpertemperatur so schnell wie nur möglich abzusenken.“ Eine hübsche Brünette stand am Fuße der Wanne. „Ich heiße Azel, ich bin Krankenschwester. Sie haben einen Hitzschlag erlitten. Sicherlich ist die Situation sehr unangenehm für Sie, aber glauben Sie mir, es hätten sich noch wesentlich schlimmere Komplikationen ergeben können.“

Hitzschlag? Polly erinnerte sich an das erdrückende Gefühl in dem sengenden Innenhof, die brennende Sonne auf ihrer Haut … Sie unterdrückte ein Stöhnen. Sie hätte vorher etwas sagen sollen, dass ihr viel zu heiß da draußen gewesen war. Es war ihr maßlos peinlich, dass sie ohnmächtig geworden war und solche Aufregung verursacht hatte. Außerdem kam auch eine vage Erinnerung zurück, dass sie König Rashad angeschrien und ihm gedroht hatte, ihn zu ohrfeigen.

Oh Gott! Ihre Wangen brannten vor Scham und Verlegenheit. Sie sagte kein Wort mehr, bis die Behandlung zu Ende war. Die junge Krankenschwester maß ihren Blutdruck und ihre Temperatur und befand beides als zufriedenstellend, woraufhin die anderen Frauen Polly mit großen Handtüchern sacht trocken tupften. Danach streifte man ihr ein wunderschönes seidenes Gewand über und brachte sie zu Bett, als wäre sie ein kleines Kind.

Ein Mann betrat den Raum und stellte sich als Dr. Wasem vor. Er nahm ihr Blut ab und einen Abstrich aus dem Mund, bevor er ihr riet, etwas Leichtes zu essen und sich auszuruhen.

Als könnte sie einfach hier liegen bleiben und schlafen, nach allem, was passiert war! Doch als sie dann so viel von dem dargebotenen Wasser getrunken hatte, wie ihr nur möglich war, fielen ihr die bleischweren Lider von allein zu. Sie legte sich zurück und war schon eingeschlafen, kaum dass ihr Kopf die Kissen berührte.

Als sie erwachte, war die Dunkelheit hereingebrochen. In einer Ecke des Zimmers nahm sie einen schwachen Lichtschein wahr. Azel, die Krankenschwester, saß auf einem Sessel und hielt Wache. Polly fragte nach der Toilette und musste sich von Azel ins Bad geleiten lassen, denn sobald sie aufrecht stand, wurde ihr schwindlig.

Im Bad wusch Polly sich dann Gesicht und Hände. Es musste nach Mitternacht sein. Die absolute Stille im Palast war ungewohnt für jemanden, der in London geboren und aufgewachsen war, wo der Geräuschpegel des Verkehrs nie endete und die Lichter der Großstadt nie erloschen.

Es klopfte leise an der Badezimmertür. „Brauchen Sie vielleicht etwas aus Ihrem Koffer?“, fragte Azel hilfsbereit.

Polly war dankbar, ihre Sachen wieder bei sich zu haben, und so kramte sie heraus, was sie brauchte.

„Ich habe ein leichtes Mahl für Sie bestellt, Sie müssen hungrig sein.“

„Aber es ist doch mitten in der Nacht“, entfuhr es Polly überrascht.

„Das Palastpersonal steht vierundzwanzig Stunden zur Verfügung“, erklärte Azel lächelnd. „Es ist ein sehr angenehmes Leben hier.“

Ein Tablett wurde gebracht, und Polly machte sich heißhungrig über den angerichteten Hühnchensalat her. Sie fragte sich, welche Zeit es jetzt zu Hause war, noch hatte sie den Zeitunterschied nicht so genau verstanden. Sie würde Ellie sobald es ging anrufen. Obwohl sie stundenlang geschlafen hatte, fühlte sie sich noch immer schwach. Morgen, wenn sie ihren unterbrochenen Urlaub wieder aufnahm, hätte sie auch mehr Energie und Ruhe, um Ellie alles über das unerwartete Erbe der Mutter, das nichts als Schwierigkeiten ausgelöst hatte, zu erzählen. Ellie wird das kaum überraschen, dachte Polly voller Zuneigung. Ihre jüngere Schwester hatte eine wesentlich zynischere Einstellung zum Leben als sie.

Das nächste Mal, als Polly die Augen aufschlug, bahnte sich helles Tageslicht einen Weg durch die zugezogenen Vorhänge. Diesmal war sie allein im Zimmer. Sie stand auf, holte frische Kleidung aus ihrem Koffer und ging ins Bad, um zu duschen. Da habe ich also eine tolle Geschichte zu erzählen, dachte sie. Sie war nach Dharia geflogen in der Hoffnung, Licht in das Dunkel ihrer Abstammung zu bringen, und ihre erste Nacht verbrachte sie gleich im königlichen Palast.

Eine Dienerin erschien mit einem Frühstückswagen, als Polly geduscht und angezogen aus dem Bad ins Schlafzimmer zurückkam. Sie wählte von den angebotenen Speisen etwas für sich aus und aß mit Appetit, während sie sich in Gedanken zurechtlegte, was sie Ellie erzählen würde. Sie wollte Ellie weder unnötig sorgen noch deren hitziges Temperament provozieren. Wäre Ellie in ihre Situation gekommen, hätte sie noch auf dem Flughafen lauthals nach einem Vertreter der britischen Botschaft verlangt.

Doch als Polly in ihrer Handtasche nach ihrem Handy suchte, war es nicht mehr da. Panisch stülpte sie den gesamten Inhalt auf das Bett, doch nichts. Ihr Handy war ihr offensichtlich weggenommen worden. Ihr Geld war noch da, aber das Handy nicht. Sie war wütend. Dabei war es nicht einmal ein teures Gerät, nicht wert, es zu stehlen. Nun, wenn sie König Rashad das nächste Mal gegenüberstand, würde sie ihn ihre Meinung deutlich wissen lassen. Allerdings musste sie unbedingt Ellie anrufen, die Schwester würde sich Sorgen machen. Albern, aber obwohl Polly die Ältere war, behandelte Ellie sie stets, als wäre sie komplett naiv, nur weil sie noch nie im Ausland gewesen war.

Noch in Gedanken versunken, öffnete Polly kopfschüttelnd die Tür ihres Zimmers. Davor standen eine Dienerin und eine Wache und schienen auf ihre Anweisungen zu warten. Sie war mehr als erstaunt. Und dann verfolgte sie fassungslos mit, wie der Wachmann vor ihr auf die Knie fiel und etwas in seiner Sprache sagte. Nun, die verstand sie nicht, deshalb beschloss sie, das seltsame Schauspiel lieber höflich zu ignorieren. Sie wandte sich an die junge Dienerin.

„Ich brauche ein Telefon“, sagte sie. „Ich möchte meine Schwester anrufen.“

Strahlend führte die junge Frau sie zurück in das Zimmer und zeigte zu dem Telefonapparat auf dem Nachttisch. Polly unterdrückte den Seufzer. Sie hatte ein Handy gemeint, mit dem sie über eine App kostenlos telefonieren konnte. Aber vermutlich würde es das reiche Königreich nicht gleich an den Rand des Ruins treiben, wenn sie einen Anruf nach England übers Festnetz führte.

Ellie meldete sich praktisch sofort. „Wo bist du? Warum hat das so lange gedauert, bis du dich meldest? Ich komme hier halb um vor Sorge!“

Polly beschrieb ihrer Schwester eine verharmloste Version der Ereignisse. Aber irgendwie musste sie erklären, dass ihre Mutter offenbar nicht das Recht gehabt hatte, den Ring zu besitzen, geschweige denn zu vererben.

„Ich denke, da wird ein Anwalt auch noch ein Wörtchen mitzureden haben. Die Entscheidung liegt wohl kaum bei irgendeinem fremden König, oder?“ Ellie war keineswegs beeindruckt, sondern ging sofort in Angriffsstellung. „Du wirst dagegen angehen müssen, Polly. Bist du sicher, dass du den Palast verlassen kannst? Wieso steht da eine Wache vor deiner Tür? Meinst du, du könntest wirklich einfach gehen? Irgendwie kommt mir das alles komisch vor. Ich denke, ich werde mich mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung setzen und fragen, wie wir uns verhalten sollen.“

„Hältst du das wirklich für notwendig?“, fragte Polly eher kleinlaut. „Meinst du nicht, dass du ein bisschen übertreibst?“

„Und du bist zu gutgläubig!“, rief Ellie besorgt aus. „Immer findest du Entschuldigungen dafür, wenn andere etwas falsch machen. Ich halte dich nicht gerade für einen guten Menschenkenner.“

Nach dem Anruf war Polly bedrückt. Vielleicht würde ihr ein kleiner Spaziergang helfen, um einen klaren Kopf zu bekommen.

Sie nahm Strohhut und Sonnenbrille und verließ das Zimmer. Immer wieder blieb sie stehen, um sich die großartigen Mosaiken anzusehen, die Bogengänge zu bewundern oder die Sicht durch die Fenster auf den üppigen Garten zu genießen. Natürlich bemerkte sie, dass Wache und Dienerin ihr folgten, aber die beiden waren so in ihr Geplänkel vertieft, dass Polly wahrscheinlich Purzelbäume hätte schlagen können, ohne dass es den beiden aufgefallen wäre. Sie ging weiter bis zum Ende des Korridors, von wo aus sie in den wunderbaren Garten lugte, in dessen Mitte ein sternförmiger Pool lag. Die Säulen, die das Schatten spendende Dach trugen, waren mit exquisiten Gravuren verziert, fein und filigran wie geklöppelte Spitze. Es war ein wunderschönes Bild, Polly wünschte, sie hätte ihr Handy, dann würde sie Aufnahmen davon machen.

Ohne bestimmtes Ziel wanderte sie weiter und gelangte schließlich in die große Empfangshalle, in der sie gestern angekommen war. Sie näherte sich gerade dem Ausgang, als die Frau, die ihr gestern den Tee gebracht hatte, aus einem Seitengang auf sie zukam.

„Miss Dixon“, rief die Frau mit einem gekünstelten Lächeln, „der König bittet Sie, mit ihm zu essen.“

„Das ist nett.“ Pollys Lächeln war viel natürlicher, auch wenn ihre Wangen zu brennen begannen, da sie sich sofort an das peinliche erste Zusammentreffen mit ihm erinnerte. Mit Rashad, der um keine Antwort verlegen war.

Sie folgte der Frau, stutzte nur kurz, als sie beim Umdrehen bemerkte, dass aus der einen Wache in ihrem Rücken sechs geworden waren. Sie alle wichen zurück, drückten sich gegen die Wand und senkten den Blick, als sie an ihnen vorbeiging. Sehr seltsam. Aber vielleicht wurde es ja als unhöflich erachtet, eine Frau direkt anzusehen. Die Miene ihrer Begleiterin wurde angesichts dieses Verhaltens starr und wirkte wie in Stein gemeißelt.

Der Lunch wurde dankbarerweise im Inneren serviert, in einem Raum mit Marmorfußboden und modernem Mobiliar, das auf erstaunliche Weise perfekt mit den alten Mauern harmonierte. Rashad erschien durch eine Verbindungstür zur Linken und blieb abrupt stehen, als er sie erblickte. Auch Polly blieb wie angewurzelt stehen. Da war er also, der König. Umwerfend und sexy. „Sexy“ war ein Wort, das ihr normalerweise nie in den Sinn kam, doch sobald sie Rashad sah, schoss es ihr in den Kopf. Unwillkürlich fragte sie sich, ob das der Nachteil war, wenn man noch Jungfrau und unerfahren war – dass die pure Neugier einen empfänglicher und leichter zu beeindrucken machte. Aber so etwas war Polly noch nie passiert, ganz gleich, in Gesellschaft wie vieler Männer sie auch gewesen war.

„Bitte, nehmen Sie hier Platz“, wies ihre Begleiterin sie an und zog einen Stuhl für Polly unter dem Tisch hervor.

„Heute sehen Sie besser aus“, sagte Rashad, als er sich ihr gegenüber niederließ.

„Ich fühle mich auch besser“, erwiderte sie. „Ich muss mich für die Umstände entschuldigen, die ich gestern verursacht habe.“ Sie vermied es, ihn direkt anzusehen. Die Richtung, die ihre Gedanken einschlugen, machte sie nervös, sie ärgerte sich über sich selbst.

Rashad war enttäuscht, dass sie ihr Haar heute geflochten hatte. So schönes Haar hatte er noch nie gesehen. Aber seine Bewunderung dafür lag sicher nur daran, weil die Menschen in diesem Land dunkle Haare hatten. Auch heute trug sie eine Hose und ein weites Top, und er verbot seinen Gedanken in die Richtung zu wandern, in die sie wandern wollten. Stattdessen berief er sich auf höfliche Konversation, wie er sie von Dinnerpartys im Ausland gewohnt war.

„Mein Handy war nicht mehr in meiner Tasche, als man mir mein Gepäck gebracht hat“, sprudelte Polly ohne jede Einleitung hervor.

Er musterte sie eindringlich. „Ich werde Anweisung geben, dass man dem nachgeht“, sagte er höflich, auch wenn er doch bereits ahnte, dass das Mobiltelefon auf Hakims Anweisung hin konfisziert worden war. „Ich bin sicher, es wird sich klären.“

„Danke“, sagte Polly ebenso höflich. Sie fragte sich, weshalb er heute so anders wirkte als der Mann, den sie gestern kennengelernt hatte.

Seine Miene war kühl, sein Kinn hart. War das Feindseligkeit? Hatte sie ihn beleidigt? Sie rügte sich wegen ihrer Neugier. Was sollte es sie kümmern? Bald würde sie in die kleine Pension in der Nähe des alten Bazars ziehen, sie war ziemlich sicher, dass sie in ihrem ganzen Leben keinem König mehr begegnen würde. Sicherlich ließ er sich nur dazu herab, mit einer Bürgerlichen zu speisen, weil er das leidige Thema mit dem Ring besprechen wollte.

„Was den Ring betrifft …“, hob sie unvermittelt an, doch er unterbrach sie sofort.

„Darüber werden wir jetzt nicht diskutieren“, entschied er mit der Autorität des Königs, „sondern erst dann, wenn Sie komplett wieder auf der Höhe sind.“

Seine strikte Weigerung nahm ihr den Wind aus den Segeln. Mehrere Sekunden lang starrte sie ihn sprachlos an. Der Mann war eine Zumutung! Wie selbstverständlich ging er davon aus, dass sie das Thema jetzt fallen ließ, nur weil er es so wünschte. Seine arrogante Selbstsicherheit regte sie maßlos auf. „Ich bin wieder komplett auf der Höhe“, beharrte sie. „Ich muss mich für die Fürsorge und Gastfreundschaft bedanken, die mir zuteil geworden ist, dennoch möchte ich meine ursprünglichen Urlaubspläne baldmöglichst wieder aufnehmen.“

„Darüber reden wir morgen“, erwiderte Rashad, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Ist Ihnen eigentlich klar“, wisperte Polly mit einem kurzen Blick zu der dunkelhaarigen Frau mit den harten Augen, die nur wenige Meter entfernt bei der Tür stand, „dass Sie mit derartigen Bemerkungen erneut den Wunsch in mir wecken, Sie zu ohrfeigen? Erst dachte ich, dass die gestrige Überhitzung für dieses Bedürfnis verantwortlich ist, doch heute sehe ich, dass es schlicht Sie sind, der so ist, wie er ist.“

Ein strahlendes Lächeln zog urplötzlich auf seine Lippen, machte sein bisher so grimmiges Gesicht lebendig. „Weil ich bin, wie ich bin?“. wiederholte er sichtlich amüsiert.

„Unerträglich herrisch. Es ist nicht zu übersehen, dass Sie gewohnt sind, immer Ihren Willen durchzusetzen.“

„Weil ich der König bin“, ergänzte er hilfreich.

„Aber Sie sind nicht mein König“, stellte Polly mit einem kleinen Lächeln klar.

Rashad reckte die Schultern und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Flirtete sie etwa mit ihm? Wohl eher nicht. Die Engländerinnen, mit denen Rashad vor ein paar Jahren noch zu tun gehabt hatte, waren wesentlich direkter gewesen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. „Nun, Sie sind aber noch mein Gast. Und die dharianische Gastfreundschaft folgt strikten Regeln. Vor allem sollte ein Gast sich nie unwohl fühlen …“

„Aber genau das tun Sie mir im Moment an!“, zischte sie frustriert.

Er riss den Blick von ihrem schönen Gesicht los, berief sich auf die erlernte Selbstbeherrschung und unterdrückte die Reaktion seines Körpers eisern. Jahrelange Disziplin ermöglichte es ihm, sein Besteck aufzunehmen und sich ausschließlich auf das Essen vor sich zu konzentrieren, ohne noch ein Wort zu sagen.

„Um genau zu sein, ich würde Sie jetzt zu gern mit der Gabel stechen.“

Und damit verlor Rashad die kleine Schlacht mit sich selbst … und ein völlig unangebrachtes Lachen brach aus ihm heraus. Verblüfft musterte Polly ihn … und stieß auf den vernichtenden Blick der Brünetten bei der Tür. Konnte es als Hochverrat geahndet werden, wenn man den König zum Lachen brachte?

„Wir reden morgen darüber“, sagte er leise, als sie nach dem Essen beide den Tisch verließen.

Polly musste an sich halten. Der Mann frustrierte sie so sehr! Sie war einfach zu höflich! Ihre Frage nach dem Ring hatte er schlicht abgeblockt, genau wie ein Gespräch darüber, wann sie gehen konnte. Aber war das überhaupt wichtig? Schließlich wurde sie hier wie ein Gast behandelt. In einem Palast mit allem Luxus zu wohnen konnte wohl kaum als Strafe angesehen werden, oder? Vielmehr war es wie ein außergewöhnliches Geschenk, in einem Märchenpalast unterzukommen und von vorn bis hinten bedient zu werden, wie konnte sie da schlecht über ihren Gastgeber denken? Hätte man sie in eine Gefängniszelle gesteckt, wäre das sicherlich anders, aber hier erhielt sie zudem einen Einblick in eine ganz andere, exotische Lebensweise.

Also beschloss sie, das Ganze von der positiven Seite her anzugehen, die bis an die Zähne bewaffneten Wachen, die ihr auf Schritt und Tritt folgten – wenn auch in gebührendem Abstand –, und die junge Dienerin in ihrem Schlepptau nicht zu beachten und stattdessen den Palast zu erkunden. Von der weitläufigen Dachterrasse genoss sie den Blick auf die endlose Wüste, bewunderte die verschiedenen Räume und Säle, und sie ging sogar hinunter in die Palastküche, obwohl die Armee von Bediensteten zuerst vor Schock erstarrte, als sie sie erblickten. Die junge Dienerin fungierte als Übersetzerin.

Und als Polly dann in einem schattigen Innenhof bei geeisten Erdbeeren, einer Platte mit köstlichem süßen Gebäck und mit Honig gesüßtem Tee saß, da beschloss sie, dass ihr Urlaub sich ganz wunderbar anließ, auch wenn sie bisher mit dem ursprünglichen Grund für die Reise keinen Schritt weitergekommen war.

Aber vielleicht ist das von vornherein unrealistisch gewesen, dachte sie mit einem leisen Stich der Enttäuschung. So viel Zeit war vergangen … Wenn sie es riskierte, nach dem ihr hinterlassenen Namen zu fragen … vielleicht hatte der Mann ja gar nichts mit ihr zu tun. Sie wollte niemanden in Bedrängnis bringen. Und die Annabel Dixon, an die sie sich erinnerte, war ja nicht einmal mit der eigenen Familie zurechtgekommen, wie sollte Polly sich da auf Annabels Urteil in einer solchen Angelegenheit verlassen können?

Hätte Polly das Gespräch, das am späten Nachmittag stattfand, mitgehört, wäre sie schockiert gewesen.

Hakim hatte die Ergebnisse des DNS-Tests erhalten und war so erschüttert, dass er den Großteil des Nachmittags mit Beten zugebracht hatte. Nicht nur wollte ihn das Schuldgefühl schier erdrücken, auch andere Emotionen tobten in ihm, für die er keine Worte fand. Doch ihm blieb nichts anderes, er musste seinen König in Kenntnis setzen.

„Unser ausländischer Gast ist Ihre Enkelin?“ Ungläubig riss Rashad die Augen auf. „Wie ist das möglich, Hakim?“

Der alte Mann seufzte schwer. „Zu der Zeit, als mein Sohn Zahir verstarb, hatten wir uns bereits entfremdet. Das ist seither mein größter Kummer. Damals wusste ich, dass er mit dem Kindermädchen zusammen war, allerdings vermutete ich auch, dass sie sich noch mit anderen traf. Genau wie ich wusste, dass mein Sohn sie heiraten wollte. Er weigerte sich, auf meine Bedenken zu hören, obwohl ich ihn drängte, sie nicht zu heiraten. Ich führte die Erfahrungen meiner Eltern an, die auch eine Ehe über die Kulturen hinweg geschlossen hatten … Doch mein Sohn verbot sich jede Einmischung.“

Stumm hörte Rashad zu, während sein aufgewühlter Berater sein Gewissen erleichterte. Zahir war Hakims einziges Kind gewesen und dem Vater daher umso kostbarer. Am Tag nach dem Attentat auf Rashads Eltern hatte Zahir heroisch den Palast vor den Söldnerhorden des Diktators Arak verteidigt und dabei sein Leben gelassen.

„Jetzt offenbart sich mein Fehler in vollem Ausmaß. Statt mich mit meinem Sohn auszusöhnen, habe ich nur den Verstand walten lassen. Er hat die Frau geliebt, und sie trug bereits sein Kind unter dem Herzen. Aber das hat er mir natürlich nicht gesagt“, murmelte Hakim rau, als seine Emotionen die Oberhand gewinnen wollten. „Als das Kindermädchen nach seinem Tod verschwand, habe ich nie wieder an sie gedacht. Warum auch, nicht wahr? Doch jetzt finde ich heraus, dass Zahir sie heimlich geheiratet hatte, einen Tag, bevor er so grausam ums Leben gekommen ist. Hoheit, dürfte ich darum bitten, den Rest des Tages freizuerhalten, damit ich nach Hause gehen und diese bewegenden Erkenntnisse mit meiner Frau besprechen kann?“

„Aber natürlich“, gestand Rashad sofort zu. Er selbst musste die erstaunliche Neuigkeit verarbeiten. Polly, trotz heller Haut und silberblondem Haar, trug also dharianisches Blut in den Adern. „Aber besteht denn irgendeine Familienähnlichkeit?“, fragte er.

„Mit meiner Mutter“, gab Hakim bebend zu. „Es hätte mir gleich auffallen sollen … Hoheit, ich muss Sie zudem bitten, alle weiteren Angelegenheiten meine Enkelin betreffend in die Hände meiner beiden Assistenten zu übergeben. Ich bin persönlich betroffen und somit nicht länger neutral.“

„Das kommt nicht infrage“, wehrte Rashad sofort ab. „Ihnen vertraue ich mehr als jedem anderen.“

„Ihr Vertrauen ehrt mich sehr, aber …“

„Kein Aber. Gehen Sie nach Hause zu Ihrer Frau, Hakim“, drängte Rashad milde. „Vergessen Sie wenigstens heute Ihre Pflichten und stellen Sie die Familie an erste Stelle.“

Jetzt, da er wusste, dass er und Polly nicht blutsverwandt waren, konnte Rashad wieder lächeln. Er war also doch ihr König, obwohl sie das noch nicht ahnte. Er wünschte, er könnte es ihr sagen, doch es war das Recht ihres Großvaters, ihr die Neuigkeit zu eröffnen.

Am nächsten Morgen hatte Rashad jedoch ganz andere Sorgen, als einer von Hakims Helfern ihm die frisch gedruckten Tageszeitungen brachte. Pollys wahrer Name, so wie er in ihrem Pass stand, war kein Geheimnis mehr. Das war genau die Art Schlagzeile, die nur den Aberglauben weiter anfeuern würde. Ein lediger König, eine ledige schöne Frau, die den Ring nach Dharia zurückbrachte … Wenn solche Zufälle zusammentrafen, wurde das in seiner Heimat sofort als Vorbestimmung angesehen. So war es auch kein Wunder, dass man Pollys Geburtsnamen überall auf den Straßen skandierte. Sie konnte jetzt unmöglich den Palast verlassen. Ihre Chance auf einen entspannten Urlaub war dahin, schließlich war auch das Foto aus ihrem Pass in allen Zeitungen abgebildet.

Die Nachricht, dass ein Abgesandter der britischen Botschaft dringend darum bat, vom König empfangen zu werden, verdüsterte Rashads Stimmung noch mehr. Die von Hakim befürchteten diplomatischen Komplikationen begannen also.

Beim Frühstück sah Polly sich einen lokalen Fernsehsender an und wünschte, sie könnte die Sprache verstehen. Aber man brauchte die Sprache nicht unbedingt zu kennen, um zu sehen, dass das Volk auf den Straßen der Hauptstadt am Rande der Hysterie stand. Plakate in Arabisch hoch in die Luft haltend, strömten die Menschen durch die Straßen und schwenkten die dharianische Flagge.

Es wurde so oder so Zeit, sich noch einmal bei Ellie zu melden. Polly griff zum Telefon und rief die Schwester an, die ihr mitteilte, dass sie bereits mit einem Mann im Auswärtigen Amt gesprochen hatte, der eine offizielle Anfrage an die Regierung von Dharia über ihre Verhaftung am Flughafen gestellt habe, und ob sie nunmehr im Palast unter Arrest stehe.

„Oh nein, Ellie“, rief Polly konsterniert aus. „Wie konntest du nur? Ich verbringe hier eine äußerst interessante Zeit …“

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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