Champagnernacht mit Cinderella

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Es schlägt Mitternacht auf dem Ball. Langsam nimmt der Mann, mit dem Nelle getanzt und der sie so sinnlich geküsst hat, seine Maske ab. Entsetzt erkennt sie den milliardenschweren Investor Grayson Monk - den größten Feind ihrer Familie! Wie Cinderella flieht Nelle vor diesem verbotenen Traumprinzen in die dunkle Nacht. Doch schon am nächsten Tag wird sie von ihrer Chefin wegen einer Spende zu Grayson Monk geschickt. Auch unmaskiert knistert es zwischen ihnen gefährlich heiß - heißer, als die Familienfehde erlaubt!


  • Erscheinungstag 13.04.2021
  • Bandnummer 2181
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503624
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nelle Lassen raffte den weiten Rock ihres silber-türkisfarbenen Ballkleides hoch. Zögernd setzte sie den rechten Fuß in der silbernen Sandalette auf die erste Stufe der Freitreppe, die zum Eingang des historischen Ferry Building führte, einem der berühmtesten Gebäude von San Francisco.

Doch dann zog sie den Fuß wieder zurück. Noch war es Zeit, umzukehren und nach Hause zu fahren. Dort könnte sie sich des ganzen Flitters entledigen, Leggins und ihr geliebtes XL-Sweatshirt anziehen und es sich auf der Couch gemütlich machen. Mit dem Laptop auf dem Schoß könnte sie ihre Social-Media-Accounts durchgehen oder sich eins der britischen Historiendramen herunterladen, die sie so liebte.

So hatte sie ihre freien Abende am liebsten verbracht – bevor ihr Leben vollkommen durcheinandergeraten war. In der Firma hatte sie jemand ganz übel angeschwärzt, mit ihrer Karriere war es vorbei und mit ihrem Selbstbewusstsein auch. Es hatte einige Monate gedauert, bis sie sich wieder gefangen hatte. Aber dank ihrer besten Freundin Yoselin Solero, mit der sie sich jetzt auch ein Apartment in Fremont bei San Francisco teilte, hatte sie die beiden höchsten Hürden genommen: Sie hatte einen neuen Job in einer anderen Stadt und sich selbst einen neuen Namen gegeben – Nelle, die Kurzform von Janelle.

Ein leises Klingeln ließ sie zusammenzucken. Das war ihr Telefon, das sie in einer kleinen Tasche unter den Stoffmengen verborgen hatte. Schnell zog sie es heraus. „Yoselin, ich bin hier!“

„Wo bist du? Drinnen?“

Nelle trat schnell auf die erste Stufe. „Noch nicht ganz.“

„Geh die Treppe rauf!“, befahl Yoselin.

„Spionierst du mir nach?“

„Allerdings.“

Nelle sah hoch. Ganz oben auf der Treppe stand eine junge Frau mit Augenklappe, Piratenhut und einer Bluse mit weiten Rüschenärmeln. Sie hielt sich ein Telefon ans Ohr und hob jetzt den anderen Arm und winkte. „Nun komm schon. Es ist kalt draußen. Ich warte drinnen auf dich.“

In diesem Augenblick traf Nelle ein kalter Windstoß. Sie fuhr zusammen. Auch im Juni konnte es in San Francisco so nah am Meer kühl sein. Sie holte tief Luft. Hatte sie sich nicht geschworen, ein neues Leben anzufangen? Also los jetzt!

Sie straffte die Schultern. Selbst Yoselin ahnte nicht, wie schwer es Nelle fiel, diesen Schritt zu tun. Denn ihr war zwar bekannt, dass diese Gala von Grayson Monk ausgerichtet wurde, einem immens reichen Mann, der viel Geld für alle möglichen karitativen Einrichtungen spendete. Außerdem war er unverschämt attraktiv, blond, athletisch gebaut und hatte dunkle Augen, deren Blick einen zu durchbohren schien. Aber Yoselin wusste nicht, dass dieser Grayson Monk der Sohn des Mannes war, der Nelles Vater fast ruiniert hätte.

Wieder meldete sich ihr Telefon. „Bin gleich da“, sagte sie lachend und stellte es dann aus. Sie machte sich wirklich viel zu viele Gedanken. Schließlich war sie jetzt in San Francisco und nicht mehr in New York. Sie war nicht mehr für die Finanzplanung einer Kette von Boutiquen zuständig, sondern musste dafür sorgen, dass Geld für eine Stiftung hereinkam, die sich um bedürftige Kinder kümmerte. Und zu dieser Gala war sie ganz offiziell eingeladen worden. Diesmal musste sie nicht befürchten, dass irgendein missgünstiger, eifersüchtiger Kollege, nämlich ihr Ex, ihr übelwollte. Nein, auf diesem Ball hatte sie niemanden zu fürchten. Auch Grayson Monk nicht.

Schnell ging sie die Stufen hinauf, blieb dann aber vor dem Eingang stehen. Bewundernd betrachtete sie das alte Gebäude. Das Ferry Building war eins der wenigen Häuser, die das Erdbeben von 1906 verschont hatte. Der große Raum, der heute als Ballsaal genutzt wurde, hatte eine hohe Decke, halbrunde Fenster und einen wunderschönen Mosaikfußboden, auf dem die Gäste in fantasievollen Kostümen lachend hin und her flanierten. Venedig an der Bay war das Thema des Kostümballs, und die üppige Dekoration schuf eine magische venezianische Stimmung.

Yoselin stand am Eingang neben dem Tisch, an dem die Gäste registriert wurden, und winkte Nelle zu. Mit ihrer schwarzen Halbmaske und der knielangen engen Hose sah sie aus wie Kapitän Jack Sparrow aus dem Film „Fluch der Karibik“. Ihre rotbraunen Locken waren unter einem Tuch verborgen, das sie hinten zusammengeknotet hatte.

„Endlich bist du da!“, sagte sie aufatmend. „Ich dachte schon, deine Schuhe kleben an den Stufen fest. Gleich beginnen die Reden. Komm, ich kann dir sagen, wer wer ist.“

Die Frau hinter dem Tisch lächelte sie an. „Herzlich willkommen zu unserem Wohltätigkeitsball. Ihre Namen, bitte.“

„Wir sind auf Einladung von Octavia Allen hier“, sagte Yoselin. Octavia gehörte zu dem Komitee der Organisation Kunst für dich, für die Nelle und Yoselin arbeiteten. Sie sollten versuchen, auf dieser Gala neue Sponsoren zu gewinnen oder die Beiträge der bisherigen Spender zu erhöhen.

Die Frau nickte lächelnd und hakte zwei Namen auf ihrer Liste ab. „Ms. Allen ist bereits hier. An ihrem Tisch sind zwei Plätze für Sie reserviert, Tisch Nummer siebzehn. Von der Bühne aus gesehen in der ersten Reihe.“ Sie blickte Nelle an und runzelte die Stirn. „Haben Sie keine Maske mitgebracht?“

„Doch.“ Nelle nickte und hielt die reich verzierte Maske hoch. Die Kinder des Kunstkurses, der von Kunst für dich finanziert wurde, hatten die Maske entworfen und begeistert mit vielen glitzernden Perlen verziert.

„Hm … sehr originell.“ Die Frau lächelte leicht verkniffen. „Denken Sie daran, dass die Masken bis Mitternacht getragen werden müssen.“

„Und dann kehren wir wieder als Aschenputtel an den Herd zurück“, flüsterte Nelle ihrer Freundin zu.

„Genau!“ Yoselin lachte. „Los, mal gucken, wo wir sitzen. Oder vielleicht erst an die Bar?“

Sie ging voraus und schwenkte ihr Schwert. Nelle seufzte leise, setzte die Maske auf und folgte ihr.

Grayson Monk stand auf der Bühne hinter dem schweren roten Samtvorhang und lauschte dem gedämpften Stimmengewirr. Bisher schien alles gut zu laufen. Das Essen von einem der Top-Caterer war hervorragend, Wein und Champagner exzellent, und die prächtig kostümierte Menge schien sich gut zu amüsieren. Genau das hatte er gehofft und von dieser Upperclass-Gesellschaft auch nicht anders erwartet.

Und doch war etwas anders. Aber was?

Er brauchte tatsächlich einige Sekunden, um festzustellen, dass es mit ihm selbst zu tun hatte.

Normalerweise veranstaltete er diese jährliche Gala als Tribut an das Silicon Valley. Hier saßen die Leute, mit denen er Geschäfte machen wollte, die wichtig für seine Investmentfirma waren. Auf diesem Ball traf er Leute mit Ideen, die Geld brauchten, und Investoren, die ihr Geld möglichst gewinnbringend anlegen wollten. Und dafür brauchten sie seine Firma Monk Partners, die er gleich nach dem Studium vor fünfzehn Jahren gegründet hatte.

Aber heute Abend würde sich etwas Entscheidendes ändern.

„Meine Damen und Herren, unser Gastgeber Grayson Monk!“

Alle klatschten, der Vorhang wurde zurückgezogen, und Grayson trat vor, um dem Organisator die Hand zu schütteln. Dann wandte er sich an die Gäste, die ihn erwartungsvoll ansahen. „Sehr geehrte Damen und Herren. Wie einige von Ihnen wahrscheinlich wissen, bin ich seit fünfzehn Jahren für Monk Partners verantwortlich. Meine Mitarbeiter und ich sind stolz, dass wir jungen Unternehmern unter die Arme greifen konnten und an dem Erfolg alteingesessener Firmen nicht so ganz unschuldig sind.“

Alle lachten.

„Und wir sind froh“, fuhr er fort, „an die Gemeinde etwas zurückgeben zu können, der wir unseren Erfolg verdanken und die uns zur Heimat geworden ist.“

Applaus ertönte.

„Aber auch alles Gute hat einmal ein Ende“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. „Und ich will diese Gelegenheit nutzen, um offiziell zu verkünden, dass ich die Firma verlassen werde.“

Ein Raunen ging durch die Menge.

Grayson hob lächelnd die Hände. „Keine Sorge. Monk Partners bleibt weiter Ihr erfolgreicher, smarter Geschäftspartner, den Sie zu schätzen gelernt haben. Philip Adebayo ist der zukünftige CEO und wird zusammen mit seinem bewährten Team die Geschäfte führen.“ Er hob lächelnd die Schultern. „Wenn sie der Firma vielleicht auch einen anderen Namen geben.“

Einige wenige lachten. Immerhin. Grayson entspannte sich. Das Schlimmste war vorbei. Es war, wie wenn man ein Pflaster von der Haut zog. Ein kurzer heftiger Schmerz, dann war es gut. Und man stellte fest, dass die Angst vorher viel schlimmer gewesen war.

„Nun …“, er ließ lächelnd den Blick über die Menge schweifen, „… sollten wir uns daran erinnern, dass wir hier eine Party feiern! Falls Sie noch Fragen haben, wenden Sie sich gern morgen an mein Büro. Ganz sicher können meine Leute …“

„Und was haben Sie als Nächstes vor?“, unterbrach ihn ein lauter Zwischenruf aus dem hinteren Teil des Saales.

Grayson stellte sich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, wer die Frage gestellt hatte. Allerdings würde er wegen der Masken sowieso nicht erkennen, wer es gewesen war. „Sieht so aus, als könnte jemand nicht bis morgen früh warten“, rief er in den Saal. „Also gut, dann nur so viel. Die meisten von Ihnen wissen, dass mein Vater kürzlich eine schwere Krankheit durchgemacht hat. Ich weiß, es ist ein Klischee, aber das ist der Grund, weshalb ich mich jetzt intensiver der Familie widmen will.“

Er schwieg und hoffte auf zustimmendes Gemurmel. Denn die Sache mit der Familie wurde von vielen CEOs als Entschuldigung gebraucht, wenn ihr professionelles Leben nicht mehr so lief wie bisher. Doch die allgemeine Reaktion fiel so leise aus, dass er eine Bemerkung nicht überhören konnte, die an einem der vorderen Tische gemacht wurde.

„Ja, ja, sich um die Familie kümmern. Wahrscheinlich mehr darum, den Sitz im Repräsentantenhaus zu übernehmen, den die Monks schon seit Generationen innehaben. Aber wir brauchen keinen neuen Monk als Abgeordneten. Die Leute in El Santo verdienen etwas Besseres als …“

Der Rest ging im anschwellenden Gemurmel unter. Grayson war irritiert. Es war eine weibliche Stimme gewesen, eine junge Stimme. Und feindselig, sehr feindselig. Das hatte er nicht erwartet.

Er räusperte sich und hob wieder die Hände. „Eine Sache noch. Ich werde euch alle vermissen. Na ja, vielleicht nicht Helen und Vikram.“ Er wies auf seine beiden schärfsten Konkurrenten, und alles lachte. „Sie wissen, dass es heutzutage viele Start-ups gibt, und das ist gut so. Aber Sie wissen auch, dass man nur einen Vater hat.“ Er verneigte sich leicht. „Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und Freundschaft. Und jetzt viel Spaß auf der Party!“ Wieder machte er eine knappe Verbeugung und verschwand dann hinter dem Vorhang.

Gut, das war überstanden. Er atmete auf und ging dann lächelnd auf ein Paar zu, das ihm erwartungsvoll entgegensah. In das Start-up Medevco von Luke und Danica Dallas hatte er in der letzten Zeit sehr erfolgreich investiert. Und seit er ihnen die Zusammenarbeit angeboten hatte, waren sie zu guten Freunden geworden.

Luke hielt ihm ein Glas Whisky hin, das Grayson dankbar entgegennahm. Er trank einen großen Schluck, spürte die Wärme des Alkohols im Magen und wurde ruhiger. „Danke, das habe ich jetzt gebraucht.“

Lächelnd betrachtete er das Paar, das sich verliebt ansah. Obwohl die beiden jetzt schon über ein Jahr verheiratet waren, war es für Grayson immer noch verblüffend, dass sein sonst so verschlossener Freund bereit war, seine Gefühle zu zeigen. Danica war aber auch die ideale Partnerin für ihn, intelligent, ehrgeizig und sehr hübsch. Für beide war es offenbar Liebe auf den ersten Blick gewesen.

Ja, Luke hatte eine Menge Glück gehabt, Danica zu begegnen. Wieder fragte Grayson sich, ob das Schicksal so etwas wohl auch für ihn vorgesehen hatte. Wahrscheinlich nicht. Aber mit weniger würde er sich nicht zufriedengeben, das war ihm klar. Normales Dating war nichts für ihn. Und in seiner jetzigen Situation schon gar nicht.

„Na, da hast du es ja geschafft, heute Abend Gesprächsthema Nummer eins zu sein!“ Evan Fletcher, Lukes Partner bei Medevco, trat zu ihnen, reichte Danica ein Glas Mineralwasser und nippte dann an seinem vollen Glas Rotwein. „Ich bin kaum durchgekommen. So viele Leute wollten wissen, was sich hinter deiner Ankündigung verbirgt.“

„Das war wohl zu erwarten.“ Grayson leerte sein Glas in einem Zug.

Evan lachte kurz. „Ehrlich gesagt frage ich mich auch, was du jetzt tun wirst. Mit fünfunddreißig in Rente gehen? Traumhaft! Hoffentlich kaufst du dir eine Insel und baust dir ein Haus mit Platz für Freunde.“ Er hob die rechte Hand. „Ich melde mich schon mal an.“

Grayson schüttelte den Kopf. „Nein, ich denke nicht daran, in Rente zu gehen. Zumindest nicht so, wie du dir das vorstellst.“

„Aber was soll dann das Ganze?“ Evan machte eine ausholende Geste, leider mit der Hand, in der er das Glas hielt, und ein paar Tropfen schwappten heraus.

Grayson hob überrascht die Augenbrauen und machte einen kleinen Schritt zurück. „Willst du das trinken oder mich damit bedrohen?“

„Nein, oh …“ Jetzt erst sah Evan, dass er Wein verschüttet hatte. „Entschuldige.“

„Ich möchte gern auf deine Frage zurückkommen, Evan“, mischte Luke sich ein. „Wenn du nicht aufhören willst, Grayson, was sollte dann diese Ankündigung?“

„Okay, ich will es euch sagen.“ Grayson trat dichter an die drei heran. Warum sollte er ein Geheimnis daraus machen? Es würde sowieso bald herauskommen. „Aber das soll vorläufig noch unter uns bleiben. Mein Vater wird in naher Zukunft seinen Sitz im Repräsentantenhaus zurückgeben. In ungefähr einem Jahr wird es eine Neuwahl geben.“ Er schwieg kurz und musterte seine Freunde eindringlich. „Und ich werde mich um diesen Sitz im Parlament bewerben.“

Danica stockte kurz der Atem, während Luke lächelnd Graysons Hand ergriff und sie schüttelte. „Sehr gut. Du hast natürlich unsere volle Unterstützung, auch wenn du uns das schon etwas früher hättest sagen können.“

„Ich bin erstaunt, dass ihr überrascht seid.“ Grayson grinste kurz. Die Frau im Saal war es jedenfalls nicht gewesen. „Ich hatte immer vor, wie mein Vater in die Politik zu gehen.“

„Hallo, hallo!“ Die ewig lächelnde Bitsy Christensen, Mitorganisatorin der Gala, trat in diesem Moment zu ihnen auf die Hinterbühne, gefolgt von den Musikern. „Ich hatte gehofft, dass Sie sich inzwischen dem Büfett zugewandt hätten.“ Sie wies auf die Männer mit den Instrumenten. „Die Herren müssen nämlich jetzt aufbauen.“

„Ja, selbstverständlich. Kein Problem.“ Grayson ließ Danica und Luke vorgehen und wandte sich dann zu Evan um. Was dann geschah, wirkte wie Slapstick. Evan machte ein paar Schritte vorwärts, während er in sein Glas sah. Bitsy war in ihr Handy vertieft und kam auf ihn zu. Die beiden stießen zusammen. Das Glas fiel hinunter, das Handy rutschte Bitsy aus der Hand. Und während Grayson gerade noch das Handy auffangen konnte, bevor es auf den Boden knallte, traf ihn der Rotwein aus Evans Glas und besprenkelte sein weißes Smokinghemd.

Mehr verblüfft als bestürzt blickte Grayson an sich herunter. Er sah aus, als hätte er einen feuchtfröhlichen Barbesuch hinter sich. Eins war klar: Auf keinen Fall konnte er so der Menge begegnen, die sowieso über ihn redete, seit er die Bombe hatte platzen lassen. Er versuchte vergeblich, die Flecken mit einer Papierserviette aus dem Hemd zu reiben.

„Oh, Gott …“ Bitsy starrte ihn entsetzt an.

„Mal sehen, ob der Catering-Service ein Handtuch hat“, murmelte Evan und verschwand.

Bitsy hatte sich schnell wieder gefangen. Sie nahm das Handy, das Grayson ihr hinhielt, und scrollte etwas hektisch hin und her. „Wir haben noch Extrakostüme“, erklärte sie schnell. „Für den Fall, dass jemand nicht auf ein Kostümfest vorbereitet war.“ Sie musterte Grayson kurz von oben bis unten. „Ich werde meiner Assistentin eine Nachricht schicken. Sie soll mit dem Pierrot-Kostüm herkommen. Das ist großzügig geschnitten und wird Ihnen hoffentlich passen.“

Pierrot? Na, wunderbar! Genau in diesem Aufzug hatte er schon immer Sponsoren um Geld für seine Wahlkampagne bitten wollen! Als Clown mit weiten Pluderhosen!

Während er auf das Kostüm wartete, ging er in Gedanken durch, was er sich für heute Abend vorgenommen hatte. Er wollte Menschen ansprechen, die ihn möglicherweise in seinem Wahlkampf finanziell unterstützen würden, wollte Investoren beruhigen, die durch seine Ankündigung, sich zurückzuziehen, verunsichert waren. Außerdem …

Aber El Santo braucht keinen neuen Monk als Abgeordneten. Die Leute hier verdienen etwas Besseres als …

Warum musste er immer an diesen Satz der Unbekannten denken, anstatt sich auf das zu konzentrieren, was wichtig war? Ihm war schon klar, dass es auch hier unter den Gästen Menschen gab, die sauer auf ihn waren. Die Jungunternehmer, deren Bitte auf Unterstützung er abgelehnt hatte. Die CEOs der Firmen, vor deren Übernahme er gewarnt hatte. Seine frühere Freundin, die wütend war, weil er ihre gemeinsame Woche auf Bali abbrechen musste, um einen Deal zu retten.

Aber normalerweise kam er gut mit Leuten aus. Schon als Kind hatte er Führungsqualitäten gezeigt, war immer Klassensprecher gewesen, hatte schon auf der Highschool sein erstes kleines Investmentunternehmen gegründet, das schließlich zu Monk Partners wurde und jetzt eins der wichtigsten im Silicon Valley war. Aber er hatte immer gewusst, dass er wie sein Vater irgendwann in die Politik gehen würde. Sein Urgroßvater war Gouverneur von Kalifornien gewesen. Sein Großvater war Richter am Obersten Gerichtshof. Und es war nur folgerichtig, wenn Grayson jetzt den Abgeordnetensitz seines Vaters übernahm.

Das Kostüm kam, gut verpackt in einem Plastiksack. Es bestand aus einem weißen Hemd mit großen schwarzen Knöpfen, einer weiten Hose und einem hohen kegelförmigen Hut. Das Ganze sah noch lächerlicher aus, als Grayson befürchtet hatte, und er überlegte ernsthaft, sich doch lieber in seinem weinbesprenkelten Hemd zu zeigen.

Doch dann kam ihm ein Gedanke. Vielleicht war das hier eine einmalige Gelegenheit. Die nächsten Wochen und Monate musste er Wahlkampf machen, Hände schütteln und Babys küssen. Zeit für irgendeine Art von Privatleben würde er nicht haben. Vielleicht war dieser Abend seine letzte Chance, unerkannt mit seinen Freunden zusammen zu sein, denn in solch einem lächerlichen Kostüm würde keiner Grayson Monk vermuten.

Dieser Abend würde sozusagen sein letzter in Freiheit sein. Und vielleicht könnte er sogar herausfinden, wer diese Zweifel an seiner politischen Agenda geäußert hatte, die er selbst ganz tief im Herzen trug, und warum.

Die Tischnachbarn von Nelle und Yoselin fingen an, sich über die neue Entwicklung auszutauschen, sobald Grayson hinter dem Vorhang verschwunden war. Alle waren höchst überrascht. Nur Nelle sagte kein Wort, nippte an ihrem Wodka Lemon und hoffte, dass das Eis ihre Aufregung dämpfen würde.

Natürlich hatte auch sie schon Fotos von Grayson Monk gesehen, auch mal ein Interview mit ihm im Fernsehen. Aber er war größer und breitschultriger, als sie gedacht hatte. Seinen eindringlichen Blick und das charmante Lächeln hatten die Kameras sowieso nicht einfangen können. Und als er sie ansah, weil der Mann, der die Frage gestellt hatte, hinter ihr saß, wenn auch in einiger Entfernung, war sie knallrot geworden. Doch egal, wie charmant der Mann war und wie sehr sie automatisch auf ihn reagierte, eins würde sich nicht ändern: Sie kannte die Wahrheit und ihr war bewusst, dass er alles zu seinen Gunsten drehen konnte.

Wie der Vater, so der Sohn.

Gut, dass sie jetzt wusste, was er anhatte. Smoking, weißes Hemd, keine Maske, kein Hut auf dem dunkelblonden Haar – so konnte sie ihm problemlos aus dem Weg gehen.

Yoselin, die sich mit dem Mann zu ihrer Linken unterhalten hatte, wandte sich jetzt Nelle zu. „Wird er sich wirklich um den Sitz im Parlament bewerben?“

„Wer?“ Nelle tat unschuldig.

Yoselin wies auf die Bühne, wo die Musiker dabei waren, ihre Instrumente aufzubauen. „Grayson Monk, für das Repräsentantenhaus.“

Nelle stürzte ihren Drink hinunter. Sie brauchte dringend einen zweiten, vielleicht auch einen dritten. „Möglich. Ich habe keine Ahnung.“

„Aber du bist doch in El Santo aufgewachsen. Das hatte ich nämlich ganz vergessen. Erst als du sagtest, dass er auch …“

„Ja, wir sind beide da aufgewachsen. Aber er ist einige Jahre älter als ich. Und wir haben ganz sicher nicht in denselben Kreisen verkehrt.“

Mrs. Octavia Allen sah Nelle neugierig an. „Was? Sie sind zusammen mit Grayson Monk aufgewachsen?“

„Nein, nein!“, wehrte Nelle verlegen ab. „Nur in derselben Stadt. Aber …“

„Wunderbar!“, unterbrach Mrs. Allen sie begeistert und klatschte in die Hände. „Seit Jahren versuche ich, Monk als Sponsor zu gewinnen. Mit seiner finanziellen Hilfe könnten wir das Heim an der East Bay aufmachen.“ Sie nickte Nelle lächelnd zu. „Deshalb also hat Yoselin darauf bestanden, Sie einzustellen.“

„Nein, das war nur einer der Gründe“, verteidigte sich Yoselin. „Nelle ist eine fantastische …“ Sie stockte und starrte einen großen Mann an, der in einer Richterrobe, das Gesicht halb von einer Maske verdeckt, auf ihren Tisch zukam. „Jason!“

Jason grinste breit, und Yoselin sprang auf und stürzte auf ihren Freund zu. „Wieso bist du hier? Ich dachte, du könntest nicht kommen, weil du doch abends jetzt immer deine Studiengruppe hast.“

„Aber ich kann durchaus mal einen Abend verpassen.“ Er griff nach ihren Händen und drückte sie. „Richter Durham hat mir eine seiner alten Roben geliehen, und Mrs. Allen hat eine Karte für mich zurücklegen lassen. Ich sehe, die Überraschung ist mir gelungen.“

„Danke!“ Yoselin strahlte Mrs. Allen an.

„Nicht der Rede wert.“ Octavia machte eine abwehrende Handbewegung. „Sie haben in der letzten Zeit hart gearbeitet und eine Auszeit verdient.“ Sie wandte sich lächelnd Nelle zu. „Und da ich nun Nelles Kontakte zu Grayson Monk kenne, entlasse ich Sie für heute Abend. Viel Vergnügen, ihr zwei. Nelle und ich werden übernehmen.“

Die Musiker nahmen ihre Plätze ein, das Licht wurde heruntergefahren, und Jason zog Yoselin an sich. „Wollen wir?“

Etwas unsicher sah Yoselin Nelle an. „Ist das okay für dich?“

„Aber klar“, sagte Mrs. Allen sofort. „Ich bin ja auch noch da.“

„Nicht vergessen, Nelle, wir treffen uns Sonntag auf dem Markt. Zum Brunch, wie immer“, sagte Jason.

„Ja, habe ich notiert.“ Lächelnd sah Nelle dem Paar hinterher, das in Richtung Tanzfläche ging. Die beiden passten perfekt zusammen. Nett, dass sie sie am Sonntag dabeihaben wollten. Und auch wenn sie ihr nie das Gefühl gaben, so was wie das fünfte Rad am Wagen zu sein, machte sie das immer etwas verlegen.

Ja, es wäre schön, jemanden zu haben, der die Arme um sie legte und sich mit ihr im Takt wiegte wie Jason und Yoselin auf der Tanzfläche. Aber erst einmal musste sie ihr Selbstvertrauen wiedergewinnen, eine neue Karriere aufbauen und ihr Schicksal in die Hand nehmen. Erst dann hatte sie Zeit und Energie für einen neuen Partner.

Sie bemerkte, dass Mrs. Allen sie musterte, und setzte ein professionelles Lächeln auf. „Ich weiß, ich bin nicht zum Vergnügen hier. Also sagen Sie mir, was ich tun soll.“

Mrs. Allen sah sich im Saal um, dann lächelte sie. „Ah, da vorn an der Bühne ist Bitsy. Ich muss mit ihr sprechen. Ich würde sagen, Sie versuchen einfach, verschiedene Leute kennenzulernen. Wir treffen uns dann wieder hier.“ Sie stand auf und ging auf Bitsy zu.

Auch die anderen Gäste verließen ihre Tische. Einige steuerten auf die Tanzfläche zu, andere strebten in Richtung Bar oder stellten sich ans Büfett. Nelle überlegte kurz. Sicher war es einfacher, mit jemandem zu sprechen, der einen Drink in der Hand hielt als mit jemandem, der gerade eine Gabel zum Mund führte.

Okay, also auf zur Bar … „Soda und Lime, bitte“, bestellte sie. Lieber ohne Wodka, denn den spürte sie schon. Octavia war nirgendwo mehr zu entdecken, sosehr Nelle sich auch bemühte. Zu blöd, sie wollte doch sehen, wann ihre Chefin wieder an den Tisch zurückkehrte.

„Hier“, sagte der Barkeeper und stellte ein Glas vor Nelle hin. Sie schrak zusammen und wandte sich so ruckartig um, dass sie mit dem Ellbogen gegen das Glas stieß, das den glatten Tresen hinunterschlitterte, glücklicherweise aber von einem Gast in einem weißen Kostüm aufgefangen wurde.

Der Mann blickte sie an und lächelte. „Das gehört wohl dir, oder?“

Er duzte sie? Aber das war auf Kostümfesten wohl so üblich. Nelle sah ihn neugierig und verblüfft an. Nicht nur weil er so schnell reagiert hatte, sondern auch weil selbst sein weites Pierrot-Kostüm nicht verbergen konnte, dass er groß und breitschultrig war. Seine dunklen Augen hinter der schlichten Maske zwinkerten ihr zu, und sein ironisches Lächeln zeigte ihr, dass er sich selbst nicht ganz ernst nahm.

Autor

Susannah Erwin
Seit jeher liebt Susannah Erwin gute Geschichten. Sie arbeitete für bekannte Filmstudios, bevor sie ihren ersten Roman veröffentlichte, der den Golden Heart Award der Romance Writers of America gewonnen hat. Mit ihrem Mann sowie ihrer eigensinnigen und liebenswerten Katze lebt sie in Nordkalifornien.
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