Cinderella und der griechische Märchenprinz

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"Heiraten Sie mich!" Fassungslos schaut Rosalie den feurigen Xandros Lakaris an. Gestern noch war sie eine bettelarme Putzfrau im verregneten London, jetzt sitzt sie in einem eleganten Jachthafen-Restaurant in der Ägäis und muss nur Ja zu dem einflussreichen Tycoon sagen. Dann erwartet sie ein Leben in Luxus! Doch das verlockende Arrangement ist gefährlich: Rosalie hat sich auf den ersten Blick in diesen griechischen Märchenprinzen verliebt - für den die Ehe auf Zeit nur ein Geschäftsdeal mit ihrem Vater ist!


  • Erscheinungstag 26.01.2021
  • Bandnummer 2477
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718503
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Xandros Lakaris fuhr herum und zog die geschwungenen Brauen über den dunklen Augen zusammen. Um seinen sinnlichen Mund erschien ein harter Zug. „Verdammt! Was soll ich Ihrer Meinung nach tun? Ihr hinterherlaufen und sie zum Altar zerren?“

Gelassen lehnte Stavros Coustakis sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. Er hatte graugrüne Augen – ungewöhnlich für einen Griechen. Allerdings war wenig über seine Vorfahren bekannt, ganz anders als bei Xandros mit seiner langen und glanzvollen Familiengeschichte.

„Ich bin ein Niemand“, hatte er bereitwillig eingeräumt, als Xandros ihn darauf angesprochen hatte, mit jenem Zynismus, den Xandros von dem Mann, dessen Tochter er demnächst hatte heiraten sollen, inzwischen kannte. „Aber ich habe mich zu einem sehr, sehr reichen Niemand emporgearbeitet.“

Jetzt blitzte etwas Kaltes in Stavros’ Augen auf. „Nein, Hinterherlaufen würde Ihnen nichts nützen. Sie hat sich meinen Wünschen widersetzt, also ist sie nicht länger meine Tochter.“

Skeptisch sah Xandros ihn von der Seite an. Er wusste ja, dass Stavros Coustakis rücksichtslos war. Ein Mann, der – wenn überhaupt – nur wenigen Leuten am Herzen lag. Trotzdem war es erschreckend, wie beiläufig er seine Tochter verstieß. Xandros selbst empfand vor allem Erleichterung, weil seine Ex-Verlobte Reißaus genommen hatte.

Er riss sich nicht gerade darum, sein unbeschwertes Junggesellenleben aufzugeben. Dank seines guten Aussehens, seines Vermögens und seiner Position in der feinen Gesellschaft von Athen hatte er viele Jahre ebenso kurze wie oberflächliche Affären genossen. Mit Anfang dreißig wollte er gern noch ein paar weitere Jahre so verbringen, bevor er sich auf eine Ehe einließ.

Diese Einstellung passte nicht zu den beiden Verpflichtungen, die schwer auf seinen Schultern lasteten. Er musste für den Fortbestand der jahrhundertealten Linie der Familie Lakaris sorgen, die sich bis zu Edelleuten im Byzantinischen Reich zurückverfolgen ließ. Außerdem hatte er den Grundsatz seines Vaters zu beherzigen: Altes Vermögen muss kontinuierlich durch neues ergänzt werden, sonst droht es zu verschwinden.

Sein Großvater hatte die Familie mit einem verschwenderischen Lebensstil und leichtsinnigen Investitionen fast ruiniert. Xandros’ Kindheit und Jugend waren von Geldsorgen überschattet gewesen. Die Gläubiger hatten seinen Vater verfolgt, und seine Mutter hatte in ständiger Angst gelebt, das prächtige Anwesen in der Nähe von Athen müsse verkauft werden. Sein Vater hatte sich abgerackert, um das Familienunternehmen wieder auf Erfolgskurs zu bringen.

Mit großem Erfolg, doch Xandros war mit dem Druck aufgewachsen, das Werk seines Vaters fortführen und sicherstellen zu müssen, dass die Familie nie wieder Geldsorgen plagen würden. Das Vermögen durfte nie riskiert, sondern musste unbedingt vermehrt werden.

Eine ideale Gelegenheit dafür bestand in der höchst lukrativen Fusion mit dem Coustakis-Imperium, dessen Geschäftszweige – von Risikokapitalgesellschaften bis zu Versicherungen – genau zum Portfolio der Familie Lakaris passten.

Xandros’ Vater hatte vor seinem plötzlichen Tod alles darangesetzt, diesen Deal abzuschließen. Nicht nur aus finanziellen Gründen. Die Beziehung zu Coustakis könne und solle noch enger werden, hatte er oft betont. Er hielt Stavros’ Tochter Ariadne trotz ihres ungehobelten Vaters wie geschaffen für die Rolle als Xandros’ Ehefrau …

Das stimmte. Vielleicht war Ariadne mit Anfang zwanzig ein wenig jung, doch Xandros verstand sich ausgezeichnet mit der schönen, klugen und kultivierten Brünetten, die in denselben elitären Kreisen wie er verkehrte. Obendrein war sie nicht nur Stavros’ Erbin; ihre verstorbene Mutter stammte aus einer sehr guten Familie und war die beste Freundin von Xandros’ Mutter gewesen.

Auch Stavros lag daran, aus dem Deal mehr als nur den Zusammenschluss zweier Firmen zu machen. „Ich will Schwiegervater von einem Lakaris und Großvater von einem Lakaris-Enkel werden“, hatte er unverblümt erklärt. „Da ich ja selbst so ein Niemand bin.“ Bei seinem sarkastischen Lächeln war Xandros kalt geworden.

Trotz des Vermächtnisses seines Vaters und des Drängens seiner Mutter war ihm die Entscheidung nicht leichtgefallen, doch schließlich hatte er in die Verlobung eingewilligt.

Genau wie Ariadne, hatte er gedacht, die ihrem herrischen Vater entkommen wollte. Zugegeben, sie waren nicht verliebt, doch sie mochten einander gern. Xandros wollte sein Bestes geben, um ein treuer Ehemann zu sein, der seine Frau unterstützte und den gemeinsamen Kindern ein liebevoller Vater war. Das hätte doch genügt, oder?

Die SMS, die er heute Nachmittag erhalten hatte und derentwegen er schnurstracks zu Stavros’ protzigem Anwesen in einem exklusiven Vorort von Athen gefahren war, hatte seine Illusionen zerstört:

Xandros – ich kann dich doch nicht heiraten. Ich verlasse Athen. Es tut mir leid. Ariadne.

Jetzt, wo Ariadne von der Bildfläche verschwunden war, konnte er das tun, was er die ganze Zeit gewollt hatte, und einen rein geschäftlichen Deal mit Coustakis Corp abschließen.

„Also gut“, meinte er kühl. „Es geht nicht länger um Ariadne. Wie ich von Anfang an erklärt habe, ist meine Hochzeit mit Ihrer Tochter keine notwendige Voraussetzung für die Fusion.“ Er sah Stavros an, der hinter seinem opulent vergoldeten Schreibtisch saß, und wollte nur noch möglichst schnell aus diesem überladenen Haus verschwinden. Sein eigener Geschmack ging in Richtung Minimalismus, wie sein Apartment in Athen bewies. Oder, noch besser, seine schlichte weiße Villa mit den blauen Fensterläden auf Kallistris.

Kallistris! Schon der Name hob seine Stimmung. Seine eigene Insel, nur einen kurzen Hubschrauberflug von Athen entfernt. Dorthin zog er sich zurück, wann immer Arbeit und gesellschaftliche Verpflichtungen es erlaubten. Als er volljährig geworden war, hatte Xandros die Insel mit der Gewissheit gekauft, dass sie eine sichere Zuflucht sein würde, egal, was das Leben für ihn bereithielt.

Heute Abend wollte er wieder hinfliegen und übers Wochenende bleiben. Weg von all dem hier. Von diesem Mann, den er so unsympathisch fand und dessen Tochter er nie wirklich hatte heiraten wollen. Und nun musste er es auch nicht, denn offenbar hatte sie ihn ebenfalls nicht heiraten wollen. Stavros Coustakis konnte seine Ambitionen hinsichtlich seines Stammbaums vergessen.

Doch bevor Xandros sich verabschiedete, brauchte er eine verbindliche Zusage für das, was er tatsächlich wollte: die Fusion. Er schätzte es nicht, hingehalten zu werden. Bei einem Verhandlungspartner wie diesem musste man mit harten Bandagen kämpfen.

„Sie werden eine Grundsatzvereinbarung unterzeichnen müssen – oder auch nicht.“ Er blickte auf seine Armbanduhr. Es war eine kalkulierte Geste, das wusste Coustakis ebenso gut wie er, aber so spielte man dieses Spiel nun mal. „Ich fliege noch heute nach Kallistris.“

Er wollte zeitig genug dort sein, um von der Bucht aus zuzuschauen, wie die Sonne unter- und der Mond über der Landzunge aufging …

Konzentrier dich, mahnte er sich und musterte Stavros. Der Ausdruck in dessen graugrünen Augen mit den schweren Tränensäcken veränderte sich. Xandros bemerkte ein sarkastisches Funkeln, das ihm nicht gefiel.

„Schade“, sagte der ältere Mann milde. Zu milde. „Wissen Sie …“

Der herausfordernde Unterton gefiel Xandros sogar noch weniger.

„Da Sie so scharf auf diese Fusion sind, hatte ich gehofft, Sie würden stattdessen nach London fliegen.“ Stavros lächelte.

Es war kein nettes Lächeln. Xandros’ Verstand schaltete auf Alarmbereitschaft.

„Um jemanden abzuholen.“ Coustakis lächelte breiter, spöttisch, und blickte sein Gegenüber unverhohlen belustigt an. „Meine andere Tochter.“

Xandros erstarrte.

1. KAPITEL

Seufzend hockte Rosalie sich neben den Eimer mit Seifenlauge. Sie trug Gummihandschuhe. In einer Hand hielt sie einen Scheuerschwamm. Mit der anderen spritzte sie Scheuermilch auf die ekelige festgetretene Schmiere vor dem ebenso ekeligen, mit Fettspritzern übersäten Herd.

Der Rest der Küche sah genauso grässlich aus. Wer auch immer hier wohnte, war ein Dreckschwein. Hier zu putzen, glich einer Strafe, aber es musste halt erledigt werden.

Wieder seufzte sie. Ihre Miete war fällig, und dann und wann aß sie auch ganz gern etwas.

Eines Tages werde ich nicht mehr den Dreck anderer Leute wegmachen! Eines Tages werde ich nicht in einer Bruchbude wohnen und ein Vermögen dafür zahlen! Eines Tages wird meine Garderobe nicht nur aus Secondhand-Klamotten bestehen! Eines Tages werde ich es mir leisten können, auszugehen, und nicht nur von Bohnen auf Toast leben …

Eines Tages würde sie nicht mehr arm sein.

Ihre alleinerziehende Mutter war immer krank gewesen und hatte Sozialhilfe bezogen. Noch mit über zwanzig hatte Rosalie ihre Mum in der schäbigen Sozialwohnung im Londoner East End gepflegt. Nie Zeit gehabt, um sich ein eigenes Leben aufzubauen.

Was ihren Vater anging – der wusste nicht mal, dass es sie gab. Voller Wehmut war Rosalies Mutter wegen der einzigen, viel zu kurzen Romanze in ihrem traurigen Leben gewesen: „Er war Ausländer und hat hier in London auf einer Baustelle gearbeitet. Als ich gemerkt habe, dass ich schwanger bin, hatte er England schon wieder verlassen. Ich habe an die Baufirma geschrieben, damit die ihn informiert, dass du unterwegs bist. Aber man konnte ihn wohl nicht ausfindig machen, denn es ist nie eine Antwort gekommen.“

Ihren Vater hatte Rosalie schon als Kind abgehakt. Sie und ihre arme schwache Mum hatten nur einander gehabt.

Ihre Miene verfinsterte sich. Im eisigen letzten Winter war ihre Mutter an einem chronischen Lungenleiden gestorben. Das bedeutete: keine Sozialwohnung mehr, keine Invalidenrente, kein Pflegegeld. Allerdings war Rosalie jetzt frei.

Trotz aller Trauer um ihre Mum wusste sie, dass sie mit sechsundzwanzig Jahren endlich anfangen konnte, ihr Leben zu gestalten. Etwas aus sich zu machen. Sich weiterzubilden und den tristen Straßen ihres heruntergekommenen Viertels zu entkommen.

Ihr unterer Rücken tat weh, als sie den dreckigen Boden schrubbte. Seit acht Uhr morgens putzte sie schon. Jetzt war es nach vier. Sie würde noch gut eine Stunde brauchen, bevor sie abschließen, den Schlüssel zur Agentur bringen und sich in ihr winziges möbliertes Zimmer setzen konnte, um zu lernen.

Sie hatte sich für Onlinekurse in Buchhaltung eingeschrieben und musste die Prüfungen unbedingt bestehen. Diese Qualifikationen waren ihr Weg aus der Armut, also putzte Rosalie von früh bis spät, um Geld für die Kurse, Miete und Lebensmittel zu verdienen.

Ruckartig stand sie auf, schüttete das Schmutzwasser weg und gab ein paar Spritzer Putzmittel in den leeren Eimer. Während frisches Wasser hineinlief, holte sie den Mopp, um den Rest des Bodens zu wischen. Plötzlich runzelte sie die Stirn und drehte den Wasserhahn zu.

Hatte da gerade jemand an der Tür geklingelt?

Dieses Haus lag nicht gerade in der besten Gegend. Zögernd ging Rosalie mit Eimer und Mopp in die Diele. Dort stellte sie den Eimer ab und öffnete vorsichtig die Tür. Ein Mann stand auf der Schwelle. Er war so groß, dass man von der Straße hinter ihm fast nichts sah.

Ihre Augen weiteten sich: Er war groß, hatte dunkle Haare, unglaubliche Augen, und erst sein Gesicht …

Wer um alles in der Welt …? Sie schluckte und starrte ihn an.

„Ich bin auf der Suche nach Rosalie Jones.“

Seine Stimme klang tief und schroff. Den Akzent konnte Rosalie nicht einordnen. Dazu hatte sie auch gar keine Zeit. Sie war überwältigt vom Anblick des Fremden. Erst mit Verspätung wurde ihr bewusst, was er gesagt hatte. „Wer sind Sie?“, fragte sie scharf.

Ein Mann wie er passte nicht hierher. Ausländer gab es zwar viele in London, aber dieser – elegant, gebildet, weltgewandt – wirkte wie aus einer anderen Welt. Einer Welt voller Luxus und Reichtum. Der schicke Anzug, der Seidenschlips mit der goldenen Krawattennadel, die polierten Schuhe … So etwas trug man in diesem Viertel nicht.

Am abwegigsten allerdings war, dass ein solcher Mann sie suchte.

Er sah sie an, als wäre er nicht an Widerspruch gewöhnt. „Ich muss mit ihr reden“, erwiderte er ungeduldig, ohne ihre Frage zu beantworten. „Ist sie hier?“

Sie schloss die Finger fester um die Türklinke und sagte widerstrebend: „Ich bin Rosalie Jones.“ Gerade wollte sie ihre Frage wiederholen, da entgleisten seine Gesichtszüge.

„Sie?“ Ungläubig taxierte er sie mit seinen dunklen Augen. „Sie sind Rosalie Jones?“ Er presste die Lippen aufeinander. „Das kann nicht sein.“

Rosalie ertappte sich dabei, wie sie sich unter dem Blick dieses geradezu verboten attraktiven Mannes verspannte. Aus seiner Miene sprach nicht nur Fassungslosigkeit. Irgendetwas lag darin, das ihr jäh bewusst machte, welches Bild sie abgab. Was der Mann gerade sah.

Mich, und ich gleiche einer Vogelscheuche, weil ich den ganzen Tag diesen Saustall geputzt habe.

Unvermittelt trat er ins Haus. Jetzt war sie nicht mehr befangen, sondern ängstlich. „Was zum …?“, begann sie verärgert.

Er schloss die Tür. „Sie sind Rosalie Jones?“, vergewisserte er sich grimmig.

Warum klingt er, als könne er es nicht glauben? In dieser kleinen dunklen Diele kam ihr der Fremde umso größer und überlegener vor. Die perfekt geschnittenen schwarzen Haare, seine glänzenden handgearbeiteten Schuhe, die langen Wimpern um die dunklen Augen, mit denen er sie von Kopf bis Fuß musterte, als fände er ihre Auskunft völlig abwegig.

„Ja“, fauchte sie. „Wer sind Sie, und was in aller Welt wollen Sie von mir?“

Um seinen Mund erschien ein harter Zug. „Mein Name ist Alexandros Lakaris, und ich bin wegen Ihres Vaters hier.“

Mit leerem Blick schaute die junge Frau ihn an. In der nächsten Sekunde wich die Farbe aus ihrem Gesicht. Sie war schockiert – ähnlich wie er selbst, seit Stavros Coustakis die Bombe hatte platzen lassen.

„Ihre andere Tochter?“, hatte Xandros verständnislos wiederholt.

„Ja. Sie lebt in London. Ich erwarte, dass Sie hinfliegen und meine Tochter zu mir bringen.“ Stavros hatte einen Moment verstreichen lassen. „Falls Ihnen denn nach wie vor etwas an der Fusion liegt …“

„Erzählen Sie mir bitte etwas mehr.“ Es war Xandros gelungen, sachlich zu klingen, obwohl es in ihm ganz anders ausgesehen hatte. Mit seinen Gefühlen konnte er sich später beschäftigen. Erst brauchte er Informationen.

„Sie heißt Rosalie Jones und lebt bei ihrer Mutter … zumindest bis vor Kurzem. Ich bin ihrer Mutter – mal sehen – vor über fünfundzwanzig Jahren begegnet, als ich in England gearbeitet habe. Es war eine flüchtige Affäre. Allerdings wusste ich stets von der Existenz meiner Tochter, und nun ist es an der Zeit, dass sie nach Athen kommt. Um den Platz meiner fehlgeleiteten früheren Tochter, Ariadne, einzunehmen. Ich freue mich schon auf ihre Ankunft.“

Mehr hatte Xandros nicht aus ihm herausbekommen. Er hatte den Kürzeren gezogen. Anscheinend wollte Stavros noch immer Schwiegervater eines Lakaris werden.

Nun, der Mann würde sein Ziel nicht erreichen! Die Wut verstärkte Xandros’ miese Laune noch. Er war nur aus einem einzigen Grund nach London gekommen: um dieser bisher gänzlich unbekannten Tochter jegliche Illusionen zu rauben, die Stavros Coustakis in ihr geweckt haben mochte.

Eine Hochzeit mit Ariadne, die er seit Jahren kannte, wäre die eine Sache gewesen. Ihre fremde englische Halbschwester zu heiraten, war eine derart absurde Idee, dass er keinen Gedanken daran verschwenden würde! Das Letzte, was er wollte, war, dass diese Frau in Athen aufkreuzte und ihn belästigte!

Zorn brodelte in ihm hoch, als er sich an Stavros’ Aufforderung erinnerte, die andere Tochter zu holen. Doch der Grund dafür war nun ein anderer. Einer, den er kaum glauben konnte.

Die Frau, die wie angewurzelt vor ihm stand, konnte nicht jene sein, für die sie sich ausgab. Es war einfach unmöglich!

Stavros Coustakis hätte bestimmt für sein Kind gesorgt, wie kurz die Liaison mit der Mutter seiner Tochter auch gewesen sein mochte. Schließlich war er einer der reichsten Männer Griechenlands. Also musste seine zweite Tochter die Londoner Version von Ariadne sein, mit einem standesgemäßen Zuhause in Chelsea, Notting Hill oder Hampstead.

Xandros hatte die Stirn gerunzelt angesichts der Adresse in dem schäbigen Viertel Londons, die Stavros ihm vorhin ins Hotel geschickt hatte. War die Frau vielleicht in der Bausanierung tätig und wollte hier ein Objekt besichtigen?

Die Wahrheit, die sich ihm nun aufdrängte, war schier unfassbar.

Das schmutzige T-Shirt. Die feuchten Flecken auf der schlabberigen Baumwollhose. Der Eimer, dessen Inhalt nach Putzmittel stank. Die gelben Gummihandschuhe, mit denen sie einen Mopp umklammerte. Ihre langen blonden Haare waren auf dem Kopf zu einem Dutt zusammengezwirbelt, aus dem zerzauste Strähnen hervorstanden. Und ihr Gesicht …

Er kniff die Augen leicht zusammen. Ihre Haut war bleich und fleckig, sie war sichtlich erschöpft, und über eine Wange zog sich eine Schmutzspur. Doch sie hatte schöne Gesichtszüge, einen weichen Mund und ausdrucksstarke Augen, trotz der dunklen Schatten, die darunter lagen. Graugrüne Augen.

Thee mou – sie ist tatsächlich seine Tochter, dachte er entgeistert – und sah dieselbe Emotion in ihrer Miene.

„Mein Vater?“, keuchte sie.

Klappernd fiel der Mopp zu Boden. Rosalie sah verschwommen. Die Welt schien auf einmal unscharf zu werden.

Sie hatte den Mann eben etwas sagen hören, das er nicht gesagt haben konnte.

Denn ich habe keinen Vater. Ich hatte nie einen.

Jetzt stieß er etwas in einer fremden Sprache hervor. Rosalie verstand es nicht – merkte nur, dass die Welt noch unschärfer wurde und der Boden näherkam …

Der Mann packte sie fest am Arm, schob sie in die Küche und bugsierte sie auf einen Stuhl.

Endlich ließ der Schwindel nach. Sie blinzelte.

Fassungslos sah sie den Mann an, der vor ihr stand und bestätigte: „Ihr Vater. Stavros Coustakis.“

„Stavros Cous… Cous…?“

Mit einem Teil ihres Hirns, der eigentlich untätig hätte sein sollen, nahm sie wahr, dass sein Stirnrunzeln die klassischen Gesichtszüge noch attraktiver machte. Seine Augen schienen noch etwas dunkler zu werden. Dieser Mann löste etwas in Rosalie aus, das jetzt absolut unwichtig war. Jetzt, wo er ihr etwas erzählte, mit dem sie nie im Leben gerechnet hätte.

„Stavros Coustakis“, wiederholte er.

„Ich habe einen Vater?“

Die senkrechte Falte zwischen seinen Augen grub sich tiefer ein. „Wussten Sie das nicht? Wussten Sie nicht, dass Stavros Coustakis Ihr Vater ist?“

„Nein.“

Er blickte sie an, als würde er ihr kein Wort glauben.

Vater. Das Wort hallte durch ihren Kopf. Rosalie sprach es nie aus, weil es nichts mit ihr zu tun hatte. Weil er nicht existierte – nur ein paar armselige Wochen im Leben ihrer Mum hatte es ihn gegeben.

Doch in diesem Moment existierte er, erkannte sie. „Wie hat er mich gefunden?“, fragte sie leise jenen Mann, dem sie die unglaubliche Nachricht verdankte. Ihr Leben würde nie mehr sein wie zuvor.

Mein Vater weiß von mir! Er hat jemanden geschickt, um mich zu suchen! Rosalie war dermaßen aufgewühlt, dass sie nicht bemerkte, wie sich ein Schatten über die dunklen Augen des Mannes legte.

„Das müssen Sie ihn selbst fragen“, antwortete er knapp.

„Wo ist er denn?“ Sie konnte die Worte gar nicht schnell genug aussprechen.

„Er lebt in Athen.“

„Athen?“ Ihr Vater war Grieche?

„Ja.“

Ihr Besucher wirkte angespannt. Als würde er ihr etwas vorenthalten. „Falls Sie weitere Fragen haben sollten: Die können warten. Holen Sie Ihre Sachen. Wir gehen.“

Verdattert sah sie ihn an. „Wie meinen Sie das?“

Seine Augen funkelten ärgerlich. „Ich bringe Sie nach Athen. Zu Ihrem Vater.“

Verstohlen blickte Xandros in der Limousine zu seiner Begleiterin. Sie wirkte noch immer, als könne sie das alles nicht richtig begreifen.

Dann sind wir schon mal zwei, dachte er verdrossen. Er war nach London geflogen, um Rosalie Jones vor den Plänen ihres Vaters zu warnen. Nun gab es einen neuen Grund für seinen Zorn auf den Mann. Er wusste ja schon lange, dass Stavros Coustakis skrupellos war, aber was der seiner englischen Tochter angetan hatte, war unverzeihlich. Sie im Ungewissen darüber zu lassen, dass er ihr Vater war, und sie nicht vor einem Leben in Armut zu beschützen …

Stavros wollte, dass seine Tochter nach Athen gebracht wurde? Tja, den Gefallen tat Xandros ihm gern! Auf keinen Fall konnte er ihr einfach den Rücken kehren und sie in diesem Slum zurücklassen.

Sie war bereitwillig mitgekommen. Natürlich wollte sie den Vater kennenlernen, von dem sie eben erfahren hatte. Warum sollte sie zögern, wenn sie in London gezwungen war, sich als Putzfrau über Wasser zu halten?

Also hatte er gewartet, bis sie Eimer, Mopp und Gummihandschuhe weggeräumt, eine abgetragene Jacke übergezogen und einen fadenscheinigen Stoffbeutel geschnappt hatte. Nachdem sie den Hausschlüssel in den Briefkasten geworfen hatte, war sie in die Limousine mit Xandros’ Chauffeur gestiegen.

Er war froh, dass Rosalie keine weiteren Fragen gestellt hatte. Die Antworten wären ihm nämlich schwergefallen – vor allem, wenn es darum ging, wie Stavros von der Existenz seiner Tochter erfahren hatte.

Das soll er ihr selbst ins Gesicht sagen.

Xandros hatte dafür gesorgt, dass sie ihren Reisepass holte. Der lag bei ihr zu Hause, in einem Reihenhaus in einer anderen schäbigen Straße dieses Viertels. Die Farbe blätterte von der Fassade, das Geländer war verrostet und kaputt. Auf den Stufen lagen leere Flaschen und Müll, und hinter dem Fenster hing eine Gardine durch.

Nach zehn Minuten war Rosalie mit einem abgewetzten Koffer aus dem Haus gekommen. Jetzt sah sie etwas besser aus. Sie trug billige ausgebleichte Jeans und ein Sweatshirt, ihr Dutt war ordentlicher, und sie roch stark nach Deo, nicht mehr nach Schweiß. Ihre Haut allerdings war nach wie vor blass und fleckig, und sie sah müde aus. Die leuchtenden graugrünen Augen waren das einzig Schöne an ihr.

Er riss den Blick von ihr los und holte sein Handy aus der Hosentasche. Was kümmerte es ihn, wie Stavros Coustakis’ englische Tochter aussah? Die impulsive Entscheidung, sie nach Athen mitzunehmen, beruhte lediglich auf seiner Wut darüber, wie herzlos ihr Vater sie einem Leben in Armut überlassen hatte.

Vielleicht schämte Stavros sich so, dass er sie endlich finanziell unterstützte. Oder sie verklagte ihn. Sie könnte ihre Story sogar an die Boulevardblätter verkaufen: Wie einer der reichsten Griechen sein eigen Fleisch und Blut zum Elend verdammte …

Was hingegen garantiert nicht passieren würde, war, dass Stavros’ Wunsch in Erfüllung ging und diese erbarmungswürdige englische Tochter Ariadnes Platz an Xandros’ Seite einnahm.

Er presste die Lippen aufeinander. Wenn er die Hoffnungen auf den Deal aufgeben musste, den er eigentlich so gern in trockene Tücher bringen wollte – sei es drum.

Auf gar keinen Fall würde er auch nur in Erwägung ziehen, die Fusion zu retten, indem er Rosalie Jones heiratete.

Völlig ausgeschlossen.

2. KAPITEL

Rosalie klammerte sich an ihren fadenscheinigen Stoffbeutel und schaute aus dem getönten Fenster. Noch nie hatte sie in einem Wagen mit getönten Fenstern gesessen. Ebenso wenig wie in einer Limousine mit Chauffeur. Oder neben einem Mann wie diesem.

Sie hielt möglichst viel Abstand zu ihm. Er checkte gerade die Nachrichten auf seinem hypermodernen Handy und beachtete sie nicht. Egal.

Alexandros Lakaris. So hatte er sich vorgestellt, doch wer er war, spielte keine Rolle. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie in ihrem Leben noch nie einem derart fabelhaft aussehenden Mann begegnet war. Rosalie hingegen hatte in ihrer Putzfrauenkluft schrecklich ausgesehen.

Verächtlich hatte er sie mit seinen faszinierenden dunklen Augen taxiert …

Aber warum sollte es sie kümmern, was er von ihr hielt? Wichtig war nur, was er ihr erzählt hatte.

Mein Vater – er existiert! Es gibt ihn wirklich! Und er hat von mir erfahren. Er will mich treffen! Mein Vater …

Immer wieder schwirrten ihr diese Worte durch den Kopf. Sie war unbeschreiblich aufgeregt.

Benommen hatte sie in ihrem Zimmer Klamotten in den Koffer gestopft und ihren Reisepass geholt, den sie sich so hoffnungsvoll besorgt, aber noch nie gebraucht hatte. Dann hatte sie sich hastig ausgezogen und mit kaltem Wasser Katzenwäsche am winzigen Waschbecken in der Ecke gemacht. Ihre Haare waren schmutzig, aber zum Duschen war keine Zeit geblieben. Sie hatte nur großzügig Deo aufsprühen und saubere Sachen anziehen können.

Alexandros Lakaris habe ich damit wenig beeindruckt, dachte sie und verzog den Mund. Als sie wieder eingestiegen war, hatte sie noch einen verächtlichen Blick geerntet.

Und wenn schon? Der Mann war egal. Nur dieses Wunder zählte, das gerade passierte.

Sie spürte ein sehnsuchtsvolles Ziehen in der Brust. Oh Mum! Wenn du das nur miterleben könntest – der Mann, in den du verliebt warst, hat mich gefunden!

Autor

Julia James
Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills & Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen.

Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen...
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