Collection Baccara Band 313

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Heiratsantrag von einem Milliardär von SULLIVAN, MAXINE
Ihre Leidenschaft lebt, aber was ist mit Liebe? Gemma weiß, warum ihr der Milliardär Tate Chandler einen Antrag macht: Er hat erfahren, dass er der Vater ihres Babys ist. Doch bei aller Lust - eine Ehe ohne tiefe, zärtliche Gefühle kann Gemma sich nicht vorstellen …

Wie verführt man seine Feindin? von JACKSON, BRENDA
Ihr siebter Sinn verrät der jungen Reporterin Jasmine, dass Wesley Brooks ein brisantes Geheimnis hat. Ein Familienskandal vielleicht? Sie muss sich entscheiden: Für den siebten Himmel der Lust in seinen Armen - oder für die beste Story ihrer Karriere …

Kuss für Kuss von BAILEY, RACHEL
Die berühmte Jazz-Sängerin April Fairchild ist schön, verführerisch - und eine eiskalte Lügnerin. Seth glaubt ihr einfach nicht, dass sie ihr Gedächtnis verloren hat. Er sieht nur eine Möglichkeit, die Wahrheit herauszufinden. Er muss sie verführen …


  • Erscheinungstag 10.03.2012
  • Bandnummer 0313
  • ISBN / Artikelnummer 9783864940972
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maxine Sullivan, Rachel Robinson, Harlequin Books S.A.

COLLECTION BACCARA, BAND 313

MAXINE SULLIVAN

Heiratsantrag von einem Milliardär

Milliardär Tate Chandler traut seinen Augen nicht: Seine Exgeliebte Gemma hat ein Baby auf dem Arm – kein Zweifel, der kleine Blondschopf ist sein Sohn! Offenbar blieben ihre heißen Nächte nicht ohne Folgen. Tate muss einen Skandal vermeiden: Eine Blitzhochzeit ist die Lösung! Auch wenn zwischen ihm und Gemma noch nie von Liebe die Rede war …

RACHEL ROBINSON

Kuss für Kuss

Kuss für Kuss kehrt Aprils Erinnerung zurück. Plötzlich weiß sie, was vor dem Unfall geschehen ist. Und jetzt versteht sie auch, warum der attraktive Seth ihre Nähe sucht: Er will von ihr ein wichtiges Dokument. Aber das kommt nicht infrage! Denn dann hat er, was er wollte und wird sie verlassen. Doch April ist verrückt nach seinen Küssen – und mehr …

HARLEQUIN BOOKS S.A.

Wie verführt man seine Feindin?

Jasmine macht ihn einfach wahnsinnig! Zum einen, weil die neugierige junge Reporterin in seinen Angelegenheiten herumschnüffelt. Zum anderen aber auch, weil sie einfach wie Feuer in seinem Blut ist. Was soll Wesley nur tun? Auf seinen Verstand hören oder sich auf eine gefährliche Affäre mit der Feindin seiner Familie einlassen?

1. KAPITEL

Gemma Watkins trat aus dem Wartezimmer des Krankenhauses und blieb wie angewurzelt stehen. Auf dem Flur kam ein hochgewachsener Mann auf sie zu. Seine breiten Schultern, sein zielstrebiger Gang erinnerten sie an … Oh nein, bitte nicht Tate Chandler!

In diesem Moment sah er sie. Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte er, bevor er seine Schritte beschleunigte. „Gemma.“

Sofort löste seine Stimme ein vertrautes, köstliches Prickeln bei ihr aus. Das war der Mann, der einmal ihr Liebhaber gewesen war. Der Mann, in den sie sich verliebt und der ihr vor zwei Jahren das Herz gebrochen hatte. Sie konnte kaum glauben, dass er nun vor ihr stand.

Tate Chandler war Australier und hatte dem Unternehmen seiner Familie, einer Uhrenmanufaktur, zu internationalem Ansehen verholfen. Er machte in jeder Lebenslage eine gute Figur – hier im Krankenhaus genauso wie hinter dem Schreibtisch in seinem exquisit eingerichteten Büro oder in seinem luxuriösen Penthouse in einem der wohlhabendsten Vororte von Melbourne. Er war Milliardär und sah fantastisch aus. Noch beeindruckender waren jedoch die Kraft und Präsenz, die er ausstrahlte. Zudem hatte er ein goldenes Händchen … Wie magisch seine Berührungen waren, wusste sie aus eigener Erfahrung. Sie schluckte. „Hallo, Tate.“

Aus seinen blauen Augen musterte er sie von den blonden Haaren, die ihr über die Schultern fielen, bis zu den leicht geröteten Wangen, als könnte er den Blick nicht von ihr abwenden. Dann musterte er sie misstrauisch. „Ich hoffe, es ist nur ein Zufall, dass du hier bist.“

„Ich bin nicht sicher, was du meinst“, erwiderte Gemma irritiert.

Er sah sie skeptisch an. „Meine Familie hat heute hier im Namen meines Großvaters die neue Kinderstation feierlich eingeweiht. Sicherlich hast du davon gehört. Alle Medien haben darüber berichtet.“

„Nein, das habe ich nicht.“ Sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen zu arbeiten und den Kopf über Wasser zu halten. „Dann ist dein Großvater also … gestorben?“

„Vor drei Monaten.“

„Das tut mir leid.“ Sie wusste, dass Tate ihm sehr nah gestanden hatte. „Aber du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich heute hergekommen bin, um dich zu treffen. Wenn ich das wollte, könnte ich dich jederzeit sehen.“

„Meinst du?“

Gemma tat das Herz weh. Er hatte ihr also ihren angeblichen Betrug immer noch nicht verziehen. Aber hatte sie das wirklich erwartet? Diese Überlegung erinnerte sie daran, weshalb sie heute im Krankenhaus war. Was für ein Pech, dass sie gerade jetzt die Krankenschwester aus dem Aufwachraum suchen wollte. Vermutlich konnte sie dankbar sein, wenn der Rest seiner Familie nicht auch noch auftauchte. „Nun, ich muss …“

„Was machst du dann hier?“, fragte er ohne einen Funken von Freundlichkeit.

„Jemand, mit dem ich … befreundet bin, wird hier behandelt.“

„Ein Mann?“

„Äh …Gewissermaßen.“

„Natürlich ist es ein Mann“, sagte Tate abfällig. „In dieser Hinsicht hat sich nichts geändert, oder?“

Durch ihr Zögern wirkte sie tatsächlich schuldbewusst. Allerdings aus einem völlig anderen Grund, als er glaubte. „Das hat nichts mit dir zu tun. Mach es gut.“ Sie reckte das Kinn und wollte an ihm vorbeigehen.

Aber er hielt sie am Arm fest. „Weiß der arme Kerl, dass er einer von vielen ist?“

„Ich …“

„Was? Dich kümmert das nicht? Glaub mir, das weiß ich besser als jeder andere.“

Gemma war von diesen Anschuldigungen, die aus heiterem Himmel auf sie niederprasselten, zutiefst verletzt. Sie war Tate damals auf einer Party begegnet, die ihr Chef, ein Architekt, gegeben hatte. Für sie war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Doch jetzt war sie heilfroh, Tate nie ihre Gefühle gestanden zu haben. Dadurch hatte sie es irgendwie geschafft, sich ihren Stolz zu bewahren, als er sie fallen gelassen hatte. Ihre Affäre hatte einen Monat gedauert. Während dieser Zeit hatten sie nur selten sein Penthouse verlassen. Tates bester Freund war der Einzige gewesen, der von ihrer Beziehung gewusst hatte. Die Erinnerung daran ließ sie schaudern. Es war einfach nicht fair, dass sie ihm so unerwartet begegnete, denn sie konnte ihm die Wahrheit nicht sagen.

„Oh, hier sind Sie, Gemma“, erklang eine Frauenstimme ganz in der Nähe.

Sie drehte sich zu der Krankenschwester um. Meine Güte, für einen kurzen Moment hatte sie vergessen, weshalb sie hier war.

„Es geht ihm gut“, sagte Deirdre. „Sie können zu ihm gehen.“

„Dem Himmel sei Dank!“ Sie war so erleichtert, dass sie gar nicht mehr an Tate dachte. Die Ärzte hatten zwar gesagt, es handele sich nur um einen kleinen Eingriff, aber jede Operation barg Risiken. Sie bemerkte das leichte Stirnrunzeln, mit dem die Krankenschwester registrierte, dass Tate sie am Arm festhielt. Also setzte sie schnell ein beruhigendes Lächeln auf. Sie wollte nicht, dass es irgendwelche Probleme gebe. Je schneller sie Tate loswürde, desto besser. „Ich komme sofort. Danke.“

Deirdre gab sich schließlich damit zufrieden. „Ich gehe schon mal zu Nathan und sage ihm, dass seine Mommy gleich bei ihm ist.“ Damit kehrte sie in den Aufwachraum zurück.

Gemma konnte förmlich spüren, wie Tates Anspannung zunahm. Ihr Herz hämmerte, als sie den Mut aufbrachte, ihm in die Augen zu sehen. Sie war hin und her gerissen. Einerseits wollte sie so schnell wie möglich zu Nathan, andererseits die Stellung halten, um ihren Sohn zu schützen.

„Du hast einen Sohn?“

„Ja“, antwortete sie leise. Wie hätte sie diese Tatsache jetzt noch abstreiten können?

Tate zuckte tief getroffen zusammen. Dann plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck. „Und er heißt Nathan?“, fragte er argwöhnisch.

Sie nickte.

„Mein Großvater hieß Nathaniel.“

„Das ist ein ziemlich häufiger Name.“ Jetzt ärgerte sie sich darüber, sich die Sentimentalität erlaubt zu haben, dem Kleinen zumindest durch seinen Namen etwas von seinem Vater mitzugeben.

Plötzlich fluchte er, ließ ihren Arm los und ging entschlossen an ihr vorbei.

Mit einem Satz holte Gemma ihn ein, um ihn aufzuhalten. „Er ist erst zehn Monate alt“, log sie.

Er blieb stehen. „Drake ist nicht der Vater, oder?“

„Nein!“ Von Anfang an hatte sie sich in Drake Fultons Nähe unbehaglich gefühlt. Er war jedes Mal unangenehm freundlich zu ihr gewesen, wenn sie zufällig mit ihm allein gewesen war, und er hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er sie wollte. Am Ende hatte er sie nicht bekommen, aber dafür gesorgt, dass Tate sich von ihr trennte. Denn Tate hatte nie an ihre Unschuld geglaubt, sondern seinem besten Freund vertraut.

„Dann ist also ein anderer Mann der Vater.“

„Ja.“ Du. Sie hoffte inständig, dass Tate sich umdrehen und verschwinden würde. Doch zu ihrer Überraschung ging er weiter auf die Tür des Aufwachraums zu. Fast verrückt vor Angst und Sorge stellte sie sich ihm in den Weg. „Wo… Wohin willst du?“

Er schob sie entschlossen zur Seite. „Du hast mich schon einmal angelogen.“

„Das habe ich nicht. Ich …“ Gemma machte einem entgegenkommenden Paar Platz, bevor sie ihn wieder einholte.

Tate aber ignorierte sie und drückte den Schalter neben dem Aufwachraum, um die Tür elektronisch zu öffnen. Gemma betrat mit ihm den Raum und beobachtete, wie er sich umsah. Deirdre kümmerte sich jetzt um einen anderen Patienten. Schließlich entdeckte er das Kinderbett, das sich ein wenig abseits von den anderen Betten befand.

Einen Augenblick lang schien die Zeit stillzustehen. Dann setzten Gemma und er sich fast gleichzeitig in Bewegung und hielten erst inne, als sie bei dem kleinen blonden Jungen angekommen waren, der mit seinem Teddybär spielte. Nathan sah hoch.

Sie hielt den Atem an. Tate konnte es nicht wissen. Er konnte einfach nicht … Dann wandte er sich zu ihr um. Er war kalkweiß und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Dafür würde sie teuer bezahlen.

In demselben Moment, in dem das Baby Tate ansah, spürte er die tiefe Verbindung zu dem Jungen und schloss ihn für immer ins Herz. Fast wünschte er sich, dass es nicht sein Sohn wäre. Dass er sich umdrehen und verschwinden könnte und Gemma nie mehr sehen müsste. Er wollte nicht, dass sie wieder eine Rolle in seinem Leben spielte. Aber ein Blick genügte ihm, um zu wissen, dass er Nathans Vater war. Also würde er nirgendwo hingehen.

Dann entdeckte der Junge seine Mutter, ließ den Teddybär fallen und streckte mit einem Juchzer die Arme nach ihr aus. Sofort beugte Gemma sich zu ihm und hob ihn hoch. „Alles ist gut, mein Schatz. Mommy ist da“, murmelte sie, nahm ihn in die Arme und beruhigte ihn. Dann lehnte sie sich ein bisschen zurück, um ihn genau zu betrachten.

„Was stimmt nicht mit ihm?“, fragte Tate. Seine Stimme war belegt. Er war nicht sicher, ob er die Wahrheit ertragen konnte.

Gemma blickte ihn an. „Was meinst du? Er ist perfekt.“

Offensichtlich hatte sie seine Frage in den falschen Hals bekommen. „Ich rede davon, warum er hier im Krankenhaus ist.“ Das Kind zeigte äußerlich keinerlei Anzeichen einer Krankheit oder Verletzung.

„Natürlich.“ Sie atmete tief ein. „Er hatte häufiger mit Mittelohrentzündungen zu kämpfen, und daher sind seine Ohren voller Sekret, das nicht von allein abfließt. Deshalb kann er nicht besonders gut hören, was seine Sprachentwicklung gefährdet. Die Ärzte haben ihm Paukenröhrchen gelegt, um die Flüssigkeit zu entfernen.“

So ernst sich das anhörte, entspannte sich Tate doch ein bisschen. Zum Glück war Nathans Zustand nicht kritisch. Doch dann erinnerte er sich an Gemmas Lügen. „Und du hast nicht daran gedacht, mich darüber zu informieren?“, fragte er flüsternd, weil sie nicht allein in dem Aufwachraum waren.

„Warum sollte ich?“

„Weil er mein Sohn ist, verdammt.“

Sie schlang die Arme fester um Nathan. „Nein, das ist er nicht.“

„Lüg mich nicht an. Er hat meine Augen.“

„Nein, er ist blond wie ich.“ Wieder fühlte sie Angst in sich aufsteigen. „Er sieht mir ähnlich und nicht dir. Und er ist erst zehn Monate alt.“

„Er ist mein Sohn und ein Jahr alt. Daran gibt es für mich keinen Zweifel.“

„Tate, bitte. Hier ist weder der richtige Ort noch ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren.“

„Gemma …“ Er musste es einfach wissen. Er musste sicher sein.

Sie zögerte. „Ja, du bist sein Vater.“

Tate blieb einen Moment lang die Luft weg, und ihm wurde schwindelig. Die letzte halbe Stunde hatte sein Leben komplett verändert. Als er sich wieder gefasst hatte, sah er seinen Sohn an. Er wollte ihn unbedingt in seinen Armen halten und spüren. Aber ihm war auch bewusst, dass er die Sache langsam angehen lassen musste, um das Kind nicht zu überfordern.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte Gemma unsicher.

Er musste sich konzentrieren – was ihm außerordentlich schwerfiel, weil er so verdammt wütend auf sie war. „Zuerst müssen wir einen Vaterschaftstest machen lassen. Als Beweis.“

„Dann bist du dir also doch nicht so sicher? Dein Misstrauen verletzt mich, merkst du das nicht?“

„Ich möchte lediglich jeglichen Zweifel ausschließen. Außerdem wäre es nicht das erste Mal, dass ich von dir zum Narren gehalten werde, nicht wahr?“ Er würde nie vergessen, dass er sie dabei erwischt hatte, wie sie seinen besten Freund küsste. Drake erzählte ihm dann, dass sie ihm von Anfang an Avancen gemacht hatte. Tate hätte beide umbringen können. Wenigstens hatte sein Freund sich nicht von ihr verführen lassen, was für ihn sprach. Vorhin im Flur hatte er Gemma gefragt, ob das Kind von Drake sei, obwohl er eigentlich davon überzeugt war, dass sein Freund nicht mit ihr geschlafen hatte. Er hatte einfach nur sichergehen wollen. Drake würde so etwas nicht tun. Im Gegensatz zu Gemma, die Drake mit Sicherheit nicht abgewiesen hätte.

„Ich habe praktisch zugegeben, dass er dein Sohn ist, Tate. Wir brauchen keinen Vaterschaftstest.“

„Ich fürchte, dass mir dein Wort nicht reicht. Wir reden später über alles.“

„Nein, das muss warten. Sobald der Arzt ihn aus dem Krankenhaus entlässt, nehme ich ihn mit nach Hause.“

„Wir fahren zu mir.“

Sie rang nach Luft. „Das ist nicht nötig.“

„Nein?“

Gemma schluckte. „Nathan ist bereits durcheinander, weil er hier ist. Ich möchte, dass er zurück in seine gewohnte Umgebung kommt. Gerade jetzt braucht er die Geborgenheit seines Zuhauses.“

Nur um das Wohl seines Sohns willen gab Tate nach. „Dann komme ich mit und übernachte bei dir. Aber morgen fahren wir zu mir.“

„Was?!“

„Keine Sorge. Ich schlafe auf dem Sofa. Wir müssen reden, und ich lasse dich nicht mehr aus den Augen.“

„Können wir das nicht auf morgen verschieben? Es ist erst Mittagszeit. Ich bin sicher, du willst zurück in dein Büro, um deine Arbeit zu erledigen.“

„Nein.“ Das war sein letztes Wort. Ihm war bereits das erste Lebensjahr seines Sohnes entgangen, und er wollte keine weitere Minute verpassen. Dass sie ihm nichts von seinem Kind gesagt hatte, war unverzeihlich. Was wäre, wenn er nie erfahren hätte, dass er Vater war? Wenn Nathan ihn gebraucht hätte?

Die Krankenschwester tauchte neben ihnen auf. „Der Arzt ist da. Sie dürfen Ihr Kind mit nach Hause nehmen.“

Gemma nickte. „Danke für alles, Deirdre.“

Der junge Arzt blieb vor ihnen stehen, sah Tate an, dann Nathan und dann wieder Tate. „Sie sind also der Vater“, stellte er fest.

Während Gemma leicht zusammenzuckte, fühlte Tate väterlichen Stolz in sich aufsteigen. Die Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem Sohn war also für jeden unverkennbar. Er räusperte sich. „Ja, ich bin Nathans Vater.“ Was für ein großartiges Gefühl es war, diese Worte auszusprechen. Als der Arzt dann seine Aufmerksamkeit dem Baby zuwandte, warf Tate Gemma einen Blick zu, der alles sagte. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

„Sieh geradeaus und geh weiter auf die Limousine zu.“ Tate legte Gemma den Arm um die Taille, als wollte er sie vor dem Mann abschirmen, der auf dem Parkplatz stand.

Oder wohl eher seinen Sohn. Sie trug Nathan auf dem Arm und versuchte, Tates vermeintlich fürsorgliche Geste zu ignorieren. „Wer ist der Typ?“

„Ein Fotograf, der bei der Einweihung der neuen Kinderstation war. Ich bin nicht sicher, warum er immer noch hier ist. Wahrscheinlich haben wir einfach Pech, dass er das Krankenhaus zur selben Zeit wie wir verlassen hat.“

Der Fahrer hielt die hintere Tür der Limousine bereits für sie auf. Schnell schlüpften sie auf den Rücksitz. Tate wies den Fahrer an, Nathans Kindersitz aus Gemmas Auto zu holen. Nach dem Gemma ihm ihren Schlüssel gegeben und erklärt hatte, wo ihr Wagen zu finden war, machte er sich auf den Weg. Nachdem er zurückgekehrt war und den Sitz montiert hatte, setzte er sich hinters Steuer. Tate drückte einen Knopf, um die getönte Trennscheibe herunterzulassen. „Direkt nach Hause, Clive. Aber immer mit der Ruhe.“

Offensichtlich dachte er an Nathan, der jetzt zwischen ihnen saß. Nachdem Gemma sich vergewissert hatte, dass ihr Sohn es bequem und seinen Teddybär im Arm hatte, sah sie hoch. „Ich will, dass wir zu mir fahren, Tate.“

„Damit wir die Medien auf direktem Weg zu dir und Nathan führen?“

„Es war nur ein Fotograf, der nichts von der Angelegenheit wissen kann. Du hast vorhin gesagt, du bringst mich nach Hause und veranlasst, dass jemand mein Auto holt. Sicherlich willst du zurück in dein Büro. Du kannst heute Abend vorbeikommen. Dann reden wir.“ Sie brauchte etwas Zeit, um sich über einige Dinge klar zu werden.

Tate schnaubte. „Um dann festzustellen, dass du mit Nathan verschwunden bist?“

„Wohin sollten wir gehen?“

„Fürs Erste zu deinen Eltern.“

„Du würdest mich sofort finden.“ In ihrem Elternhaus wollte und konnte sie keine Zuflucht suchen. Ihre konservativen Eltern hatten sie aus ihrem sogenannten ehrenwerten Leben ausgeschlossen. Aber das konnte sie Tate nicht sagen. Abgesehen davon, dass es zu sehr schmerzte, verliehe sie ihm damit zu viel Macht über sie. Und ihre sonstigen Verwandten wohnten nicht in greifbarer Nähe, sondern im fernen Großbritannien. Ihre Eltern waren damals nach ihrer Hochzeit von England hierher nach Australien ausgewandert, um ein neues Leben anzufangen.

Tate zog ein Handy aus der Tasche seines Anzugs und erteilte einer gewissen Peggy, die offenbar seine Haushälterin war, Anweisungen.

Gemma akzeptierte, dass sie im Augenblick nichts an der Situation ändern konnte, und blendete Tates Gegenwart aus. Sie fühlte sich noch immer überfordert. Heute wie auch in den letzten zwei Jahren war so viel passiert. Sie bereute es keinen Moment, Nathan bekommen zu haben. Aber ihr Leben hatte sich völlig verändert, seitdem sie Tate begegnet war.

Sie hatte nicht gewollt, dass er von ihrem gemeinsamen Kind erfuhr. Daher hatte sie ihren Job bei einem Architektenbüro gekündigt, ihre schicke Wohnung in der Innenstadt gegen ein Einzimmerapartment in einem Vorort eingetauscht und sich dort eine Stelle gesucht. Auf diese Weise entfiel der lange Arbeitsweg von zwei Stunden Fahrzeit, die sie so nun ihrem Kind widmen konnte. Sie hatte ihr Bestes getan, und es war gut genug gewesen. Dennoch war es ihr nicht leichtgefallen, sich nicht an Tate zu wenden. Ihre Angst, dass er ihr Nathan wegnähme, hatte sie davon abgehalten. Er hatte sich schon einmal von ihr abgewendet. Sie bezweifelte nicht, dass er es wieder täte und ihren Sohn behielte, wenn er glaubte, das Richtige zu tun. Mit seinem Geld und seinen Beziehungen wäre das sicherlich kein Problem für ihn.

Dieser ganze Kummer wäre ihr erspart geblieben, wenn er ihr vor anderthalb Jahren geglaubt hätte. Er hatte eine Geburtstagsparty für seinen besten Freund gegeben und sie gebeten, als Gastgeberin zu fungieren. Sie war so aufgeregt gewesen. Später am Abend hatte sie Tate durch einen Kellner eine Notiz zukommen lassen, dass sie ihn für einen Kuss in seinem Arbeitszimmer erwartete.

Im Zimmer war es dunkel gewesen, als er hereingekommen und sie ihm um den Hals gefallen war. Aber es war nicht Tate gewesen, sondern sein bester Freund. Tate dagegen hatte eine Sekunde später die Tür geöffnet und gesehen, wie sie Drake küsste. Anscheinend war sein bester Freund ihr in das Zimmer gefolgt. Und sie hatte sich vor lauter Schreck schuldig gefühlt, obgleich sie nichts in böser Absicht getan hatte.

Sie verdrängte die Erinnerung an diesen fürchterlichen Moment, es tat immer noch zu weh. Eine Weile später bog die Limousine in eine Einfahrt ein. Ein Wachmann öffnete zwei große Tore, und ihr Blick fiel auf ein schönes, herrschaftliches Wohnhaus. „Das ist nicht dein Apartment.“

„Das ist jetzt mein Zuhause.“

Gemma holte tief Luft. Dieses Anwesen war mehr als groß genug für eine Familie. „Hast du vor zu heiraten?“

„Eines Tages.“

„Dann gibt es also einen besonderen Menschen in deinem Leben?“

„Nur meinen Sohn.“

Sie wandte den Blick ab. In den Zeitungen war Tate häufig mit einer schönen Frau abgebildet gewesen. Diese Bilder hatten ihr jedes Mal einen Stich versetzt. Jetzt, da sie annehmen konnte, dass er zurzeit keine Beziehung von Bedeutung führte, fühlte sie sich besser. Als die Limousine anhielt, bestand sie darauf, Nathan ins Haus zu tragen. Normalerweise war er ein fröhliches Kind. Aber sie spürte, dass er verwirrt war. Und er war nicht der Einzige!

Tate stellte sie kurz der Haushälterin vor, die sie beide anlächelte. „Er ist ein prachtvoller Junge, Mr Chandler.“

Sein Gesicht wurde weich, als er seinen Sohn ansah. „Ja, das ist er, Peggy. Ist die Suite neben meiner fertig?“

„Ja.“ Sie zögerte. „Mr Chandler … Clive und ich haben ein Kinderbett. Es ist nicht besonders exklusiv. Wir brauchen es nur, wenn wir auf unsere Enkel aufpassen. Bis Sie sich ein Kinderbett angeschafft haben, können Sie es gern benutzen.“

Er nickte. „Gute Idee, Peggy. Danke, dass Sie daran gedacht haben.“

Sie lächelte erfreut. „Clive kümmert sich sofort darum.“

Tate umfasste Gemmas Ellbogen und führte sie zur Treppe. „Gut. Ich sage Ihnen bald, was wir sonst noch brauchen.“

Eine eigene Suite, natürlich, dachte Gemma. Er hatte sie nicht mehr gewollt, nachdem er sie mit Drake „ertappt“ hatte. Er würde sie auch jetzt nicht wollen. Als er die Tür zur Suite aufmachte, deutete er auf seine Räumlichkeiten auf der anderen Seite des Treppenabsatzes. Ein beträchtliches Stück entfernt, Gott sei Dank! Die Suite war größer als ihr Apartment und bestand aus einem riesigen Schlafzimmer mit Doppelbett, einem luxuriösen Bad sowie einem Wohnzimmer. Allerdings war das Wohnzimmer im Gegensatz zum Schlafzimmer definitiv nicht kindersicher. „Wegen Nathan müsste ich einige Dinge aus dem Weg räumen. Und diese Samtcouch braucht einen Überwurf, sonst machte er sie schmutzig.“

„Die Möbel sind mir egal. Aber ich will nicht, dass er sich wehtut. Also hast du freie Hand. Ich veranlasse, dass Peggy möglichst bald den Rest des Hauses kindersicher macht.“ Tate stellte die Tasche mit den Babysachen, die sie für Nathans Krankenhausaufenthalt gepackt hatte, auf einen Stuhl. „Muss irgendetwas für ihn warm gemacht werden?“

„Nein.“ Gemma hatte ein Fläschchen mit Saft in der Wickeltasche. Da Nathan unruhig war, setzte sie ihn mit seinem Teddybären auf den flauschigen Teppich und schloss die Wohnzimmertür, damit er nicht wegkrabbeln konnte.

„Clive bringt das Kinderbett herauf. Ich bin gleich wieder zurück. Peggy benötigt eine Liste mit allem, was Nathan braucht. Morgen bestellen wir ein Kinderbett und die anderen Dinge, damit sie so schnell wie möglich hier sind.“

Es musste wundervoll sein, einfach nur mit den Fingern zu schnippen, um alle Wünsche erfüllt zu bekommen, dachte Gemma. Wenn es möglich wäre, würde sie sich wünschen, dass sie und Nathan von hier verschwinden könnten. „Zu Hause habe ich alles, was er braucht.“

„Mein Sohn soll nur das Beste bekommen“, entgegnete Tate überheblich.

„Das hat er. Er hat mich.“

„Natürlich. Und du musst dir um alles andere jetzt keine Gedanken mehr machen.“

Diese Bemerkung verschlug Gemma den Atem. „Was meinst du?“

„Wir heiraten.“

„Heiraten?“, wiederholte sie perplex. Sie hätte von der ersten Minute an damit rechnen müssen, dass er altmodisch genug war, auf einer Heirat zu bestehen. Aber es tatsächlich von ihm zu hören, ließ sie völlig aus der Fassung geraten. Und dennoch … Wenn ihr Sohn bei ihr bliebe, hätte sie alles, was für sie zählte. „Dann versuchst du also nicht, mir Nathan wegzunehmen.“

„Nein.“ Tate machte eine Pause. „Aber wenn du mich nicht heiratest, kämpfe ich natürlich um das Sorgerecht. Ein Kind sollte mit beiden Elternteilen aufwachsen.“

Mit dem Mann zusammenzuleben, den sie einmal geliebt hatte, und zu wissen, dass er glaubte, sie hätte ihn betrogen – würde das nicht die Hölle für sie sein? Und inwiefern würde Nathan in Mitleidenschaft gezogen?

„Auch wenn wir uns nicht lieben?“

„Ja.“

„Auch wenn du mich für eine Lügnerin hältst?“

„Ja.“

„Das wäre keine Ehe, sondern ein Albtraum. Nicht nur für uns. Auch für Nathan.“

„Wenn dir dein Sohn etwas bedeutet, sorgst du dafür, dass das Arrangement funktioniert“, entgegnete er stur.

„Das ist unfair.“

„Ist es das?“

„Vielleicht können wir uns das Sorgerecht teilen“, begann Gemma, obwohl sie nicht sagen konnte, warum sie nicht einfach nachgab. Sie wusste doch, dass sie den Kampf verlieren würde. Tate gewann immer.

„Nein.“

„Hör mich an. Ich …“ In diesem Moment plapperte Nathan irgendetwas. Als sie zu ihm hinsah, hatte er sich an der Seite des Bettes hochgezogen, hielt sich am Quilt fest und grinste so verschmitzt, als wollte er ihnen sagen, wie clever er seiner Meinung nach war. Ihr schien das Herz vor Liebe fast überzufließen. Aus einem Impuls heraus schaute sie den Vater ihres Kindes an. In seinen Augen konnte sie lesen, wie sehr er sich nach dem Sohn sehnte, von dessen Existenz er ein Jahr lang nicht einmal etwas geahnt hatte. „Tate, ich …“

„Lass es, Gemma“, sagte er knapp. Dann drehte er sich um und verließ das Zimmer.

Tate stand am Wohnzimmerfenster und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Die Ereignisse des Tages waren regelrecht auf ihn eingestürzt. Er war schockiert und in einem völligen Ausnahmezustand gewesen. Aber dann hatte Nathan gelächelt, und die Sonne war aufgegangen. Jetzt wusste er, dass es einen Grund dafür gab, Gemma heute über den Weg gelaufen zu sein. Sein Sohn hatte eine Mutter. Aber er brauchte auch seinen Vater. Da war Tate absolut sicher.

Wie hatte Gemma ihm Nathan nur vorenthalten können? Und wie hatte sie ihn auch nur einen Moment lang glauben lassen können, dass sie ein Kind von einem anderen Mann hatte? Er hatte sich ganz krank gefühlt. Bislang hatte es ihm in seinem Leben nur zweimal derart den Atem verschlagen. Einmal, als er Gemma dabei erwischt hatte, wie sie Drake küsste. Und das andere Mal im Alter von zwölf Jahren, als seine Mutter seinen Vater wegen eines anderen Mannes verlassen hatte.

Darlene Chandler war angeblich abgereist, um einen kranken Cousin zu besuchen. Aber Tate hatte einem Telefongespräch seines Vaters mit ihr gelauscht. Er würde nie vergessen, wie sein großer, starker Vater seine Frau angefleht hatte, ihn nicht allein zu lassen. Als alles Flehen nichts geholfen hatte, war Jonathan Chandler buchstäblich in sich zusammengesunken und apathisch geworden. Eine Woche später war seine Mutter zurückgekommen.

Danach war Tate seinem Vater gegenüber immer sehr fürsorglich gewesen. Er liebte seine Mutter, und irgendwie war die Ehe seiner Eltern nach diesem Vorfall besser als vorher gewesen. Aber er hatte nicht vergessen können, wie sehr es einen Mann zugrunde richten konnte, eine Frau zu lieben. Er war entschlossen, dass ihm so etwas niemals passierte.

Und bestimmt nicht mit Gemma. Bei ihnen war es nur um Sex gegangen. Er hatte noch nie eine Frau so gewollt wie sie. Seit der ersten Begegnung hatte er sie fast schmerzlich begehrt. Im folgenden Monat hatte er jede freie Minute damit verbracht zu versuchen, sein Verlangen zu stillen. Sie waren in seinem Penthouse kaum noch aus dem Bett herausgekommen. Er war davon überzeugt gewesen, dass die Affäre nach einiger Zeit ihren Reiz verlöre. Er war nicht so dumm gewesen zu glauben, dass Liebe im Spiel wäre. Er hatte noch keiner Frau sein Herz geschenkt.

Sicherlich würde er eines Tages heiraten und Kinder haben. Aber bis dahin – das hatte er jedenfalls geglaubt – hatte er noch viel Zeit, um Gemma überdrüssig zu werden und dann seinen Spaß mit der nächsten Frau zu haben. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Gemma diejenige sein würde, die ihren Spaß hatte – und das auch noch mit seinem besten Freund. Sie mochte nicht mit Drake geschlafen haben, aber sie hatte es versucht.

Die Erinnerungen kamen zurück. Er hatte Gemma gebeten, bei der Geburtstagsparty, die er für Drake ausgerichtet hatte, als Gastgeberin aufzutreten. Kein Wunder, dass sie so enthusiastisch eingewilligt hatte. Er hatte geglaubt, der Grund dafür wäre gewesen, dass sie endlich seine anderen Freunde kennenlernte. Aber in Wirklichkeit hatte sie geplant, seinen besten Freund zu verführen.

Verdammt, war er ein Idiot gewesen. Sie hatte ihn vor zwei Jahren benutzt und ihm weisgemacht, dass sie vertrauenswürdig wäre. Wie konnte er eine Frau wie sie immer noch wollen? Sicherlich war sie sehr schön. Selbst jetzt, da ihr Gesicht Anzeichen von Müdigkeit und Erschöpfung zeigte. Aber diesmal war er ihr einen Schritt voraus. Er hatte sich schon einmal von ihrem Charme einwickeln lassen. Ein zweites Mal würde das nicht passieren.

Nachdem Clive das Kinderbett und Peggy ein Tablett mit Sandwiches und einer Kanne Kaffee sowie zwei Tassen gebracht hatten, bedankte sich Gemma und legte Nathan für ein Mittagsschläfchen ins Bett. Dann saß sie endlich allein im Wohnzimmer auf dem Sofa und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Die Sandwiches rührte sie nicht an. Im Moment brachte sie keinen Bissen hinunter.

Sie konnte kaum glauben, dass sie innerhalb von nur ein paar Stunden die Kontrolle über die Situation verloren hatte. Meine Güte, warum hatte sie sich vor zwei Jahren nur auf eine Affäre mit Tate Chandler eingelassen? Warum hatte sie sich nicht einen anderen, einen durchschnittlicheren Mann gesucht? Sie verfluchte Tate dafür, dass er in mehr als einer Hinsicht Substanz hatte. Ob steinreich oder mittellos – er würde darum kämpfen, seinen Sohn zu bekommen. Daher hatte sie keine Wahl.

Tate klopfte leise an. Nachdem sie ihm geöffnet hatte, warf er zuerst einen Blick auf Nathan, bevor er sie ansah. „Alles in Ordnung?“

Er meint seinen Sohn. „Ja. Einen Kaffee?“ Ohne auf seine Antwort zu warten, führte sie ihn ins Wohnzimmer und machte die Verbindungstür hinter ihnen zu, damit Nathan nicht gestört wurde. Auf einmal nahm sie wahr, dass Tate hinter ihr stand und sie dabei beobachtete, wie sie Kaffee einschenkte. Sie reichte ihm die Tasse und zeigte auf einen Sessel, um ihm deutlich zu machen, dass sie sich auf ihrem Territorium befand. Auf diese Weise hatte sie das Gefühl, zumindest in ihrer Suite die Oberhand zu behalten. Aber dieses Gefühl hielt nicht lange an.

Er setzte sich nicht, sondern ging zum Fenster, um hinauszuschauen und den Kaffee im Stehen zu trinken. „Übrigens bekommst du dein Auto nicht wieder.“

Gemma erstarrte. „Wie meinst du das?“

Langsam wandte er sich um. „Sie konnten noch nicht einmal den Motor starten. Geschweige denn, das Auto vom Krankenhausparkplatz fahren. Ich habe Clive gesagt, dass er es loswerden soll.“

Gemma fiel fast die Kaffeetasse aus der Hand. „Was?“ Sie dämpfte ihre Stimme, um ihren Sohn nicht zu wecken. „Dazu hattest du kein Recht.“

„Du fährst meinen Sohn nicht in diesem Schrottauto durch die Gegend.“

Sie ignorierte die Tatsache, dass es ihm egal war, dass auch sie damit fuhr. „Mein Auto ist erst fünf Jahre alt. Ich gebe zu, dass es ab und zu beim Starten seine Macken hat. Aber abgesehen davon läuft es wie geschmiert.“ Als sie wenig Geld zur Verfügung gehabt hatte, war das Auto ein guter Kauf gewesen. Und ihre finanzielle Situation hatte sich in der Zwischenzeit auch nicht entscheidend gebessert. „Außerdem brauche ich mein Auto, um zur Arbeit zu kommen.“

Tate hob die Augenbrauen und wirkte dabei sehr arrogant. „Du arbeitest?“

„Stell dir vor. Das müssen ganz gewöhnliche Menschen tun, um ihre Rechnungen bezahlen zu können“, erwiderte Gemma sarkastisch.

„Wenn du mich von Anfang an über Nathans Existenz informiert hättest, müsstest du dir um Rechnungen keine Gedanken machen.“

„Dann hätte ich größere Probleme gehabt, nicht wahr?“

„Die hast du jetzt.“

„Hol dich der Teufel, Tate.“

Einen Moment lang herrschte eisiges Schweigen. „Warum hast du mir nichts von dem Kind erzählt?“, fragte er dann angespannt.

„Ich hatte meine Gründe.“

„Du hast mir meinen Sohn vorenthalten. Das müssen verdammt gute Gründe sein.“

Keinesfalls würde sie ihn merken lassen, wie sehr sie noch immer darunter litt, dass er sie einfach fallen gelassen hatte. „Du hattest bereits die denkbar schlechteste Meinung von mir. Ich hatte nichts mehr zu verlieren.“

„Und deshalb wolltest du ihn nicht mit mir teilen?“

Sie wäre sogar froh gewesen, alles, was mit Nathan zu tun hatte, mit ihm zu teilen. Doch sie war davon überzeugt gewesen, dass es Tate niemals gereicht hätte, sich das Sorgerecht zu teilen. „Wenigstens musste ich es nur mir recht machen“, erwiderte Gemma impulsiv.

„Er brauchte uns beide. Er braucht immer noch uns beide.“

„Wir sind ohne dich sehr gut klargekommen.“

Wut blitzte in seinen Augen auf. „Wirklich?“

Gemma fragte sich, ob Tate irgendwoher wusste, wie sie darum kämpfen musste, das Essen auf den Tisch zu bringen – nicht für ihren Sohn, aber für sich. Aber wie sollte er davon erfahren haben? Jedenfalls hatte sie dafür gesorgt, dass Nathan alles hatte, was er brauchte. Vor allem Liebe, was am wichtigsten war. Ihre Liebe für Tate mochte erkaltet sein, als er sich von ihr getrennt hatte, aber sein Kind hatte sie immer vorbehaltlos geliebt. „Tate, denk mal darüber nach. Angenommen wir heiraten – willst du wirklich, dass dein Sohn in einer derart angespannten Atmosphäre aufwächst? Unter diesem Stress? Denn der ist doch vorprogrammiert.“

„Im Moment scheint er nicht sehr unter Stress zu stehen. Er schläft.“

„Das sind wahrscheinlich noch die Nachwirkungen der Narkose. Sieh mal“, fügte sie nach einem Moment hinzu, „ich bezweifle nicht, dass all die Aufmerksamkeit, die er von dir bekommt, etwas Besonderes für ihn sein wird. Aber das ist noch längst nicht alles. Zum Vatersein gehört mehr, als das Anrecht auf sein Kind geltend zu machen.“

„Du hast mir ja noch nicht einmal eine Chance gegeben, ihm ein Vater zu sein.“

„Mich hast du auch wie eine heiße Kartoffel fallen lassen.“ Gemma war überrascht, wie gelassen sie klang.

„Diese beiden Dinge kann man nicht miteinander vergleichen“, sagte er abfällig. „Und diesen Schuh musst du dir anziehen. Ich würde sagen, dass du die wahrscheinlich am wenigsten geeignete Person bist, die auf Dauer zuverlässig für ein Kind da sein kann.“

Das saß! Und tat weh. „Ich bin eine sehr gute Mutter.“

„Und ich werde ein sehr guter Vater sein.“ Tate ging erneut zum Angriff über. „Wer kümmert sich überhaupt um Nathan, wenn du arbeitest?“

„Er geht in eine hervorragende Kita“, verteidigte sie sich. „Wenn sie nicht so gut wäre, würde ich ihn nicht dort unterbringen.“

„Und dein Job? Ich bin vor einiger Zeit deinem Boss über den Weg gelaufen. Er sagte mir, dass du nicht mehr für ihn arbeitest.“

„Ich habe einen Job bei einem Kurierdienst angenommen. In der Versandabteilung.“

„Das ist eher ein Abstieg, nicht wahr?“

„Die Arbeit fordert mich. Jeder dort arbeitet sehr hart.“

„Ich habe nicht die Kurierbranche abgewertet.“

„Nein, nur mich.“

„Als meine Frau musst du nicht arbeiten.“

„Ich lasse meine Kollegen nicht im Stich“, meinte Gemma und hätte sich im selben Moment auf die Zunge beißen können. Denn sie hatte keinesfalls andeuten wollen, dass sie auch nur in Erwägung zog, sich in einem weiteren Punkt seinen Vorstellungen zu fügen.

„Ich glaube nicht, dass du das durchdacht hast. Es gibt genug Leute, die Arbeit suchen. Dem einen oder anderen könnte es nicht gefallen, dass die Frau eines reichen Mannes jemand anderem den Job wegnimmt, der ihn dringend braucht. Wäre dir wohl dabei?“

Gemma war mittlerweile echt sauer. Warum lief heute nichts so, wie sie es wollte? Tate hatte recht, verdammt. Wie würden ihre Kollegen reagieren, die darum kämpften, ihre Jobs zu behalten, wenn sie als Tates Ehefrau weiterhin dort arbeitete?

„Wäre es dir nicht lieber, zu Hause bei Nathan zu bleiben?“, fragte er jetzt ruhiger.

„In Ordnung. Ja“, gab Gemma schließlich zu. „Ich habe es vermisst, mit ihm zusammen zu sein.“ Sie hasste es, Nathan fast jeden Morgen zu verlassen. Auch wenn sie wusste, dass er in guten Händen war.

„Das kannst du jetzt tun. Problem gelöst.“

Er war bei allem, was er tat, in erster Linie daran interessiert, Ergebnisse zu erzielen. Daran hatte sich nichts geändert. „Für dich ist alles schwarz oder weiß, nicht wahr? Es gibt keine Grautöne.“

„Die Dinge sind, wie sie sind. Vorläufig nutzt du deine freie Zeit, um zu Hause bei Nathan zu bleiben. Um die Zukunft machen wir uns später Gedanken. Er braucht seine Mutter. Und dir tut es bestimmt gut, dich eine Weile von der anstrengenden Doppelbelastung zu erholen.“

Innerlich atmete sie vor Erleichterung auf. Sie wusste, dass sie Unterstützung bekam, wenn sie Tate heiratete. Das war das einzig Gute daran. Sie war so furchtbar müde. Sie war viel zu lange allein für alles verantwortlich gewesen. Sie hatte unter dem Trauma der Trennung gelitten, realisiert, dass sie schwanger war, und dann akzeptieren müssen, dass ihre Eltern sich weigerten, ihr zu helfen. Sich zur Abwechslung an jemanden anlehnen zu können, wäre schön.

„Wenigstens weiß ich, dass du nicht vorsätzlich schwanger geworden bist.“

Gerade als Gemma angefangen hatte, sich ein wenig zu entspannen, überraschte er sie mit diesem äußerst zweifelhaften Kompliment. „Ich könnte mit einer Nadel Löcher in eines der Kondome gestochen haben“, provozierte sie ihn, um ihn aus der Fassung zu bringen.

Er musterte sie durchdringend. „Hast du das getan?“

Sie blinzelte. „Natürlich nicht. Warum sollte ich?“

„Das scheint mir offensichtlich zu sein.“ Tate blickte sich im Zimmer um. „Du hast eine Menge zu gewinnen.“

Auch diese Bemerkung war mehr als beleidigend. „Ich kann mich nicht erinnern, dich um irgendetwas gebeten zu haben. Tatsächlich will ich nichts von dir. Absolut nichts.“

„Weißt du, ich sehe dich an und frage mich, wie ich ein solcher Narr gewesen sein kann“, meinte er spöttisch und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Natürlich hast du einen tollen Körper und kannst einem Mann den Kopf verdrehen. Aber das weißt du ja, nicht wahr? Du musst mich nicht daran erinnern, wie schnell ich mit dir ins Bett gegangen bin … Und wie schnell du dich darauf eingelassen hast.“

Mit einem Mal wurde Gemma klar, dass sie um mehr als um ihren Sohn kämpfte. Allerdings war sie nicht sicher, worum noch. Vielleicht um das Recht, aufrichtig und fair beurteilt und respektvoll behandelt zu werden. „Ganz egal, was in der Vergangenheit zwischen uns war, Tate – ich bereue es nicht. Ebenso wenig, wie Nathan bekommen zu haben.“ Entschlossen reckte sie das Kinn. „Also reagiere deinen Frust an mir ab – nicht an ihm.“

Einen Moment lang blitzte Bewunderung in seinen Augen auf. Dann klopfte es plötzlich. Tate öffnete die Tür.

„Ein Anruf für Sie, Mr Chandler“, informierte ihn die Haushälterin. „Es ist Ihr Vater. Er meinte, es sei dringend.“

Tate nickte Gemma zu, bevor er das Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloss. Sie war froh, dass er weg war, und sank auf das Sofa. Sie brauchte einen Augenblick für sich allein, um tief durchzuatmen. Aber Tate kam viel zu schnell zurück. Diesmal machte er sich nicht die Mühe anzuklopfen. Sein Gesicht war wie versteinert. „Was ist los?“, fragte sie.

„Das Krankenhaus hat vor ein paar Wochen angekündigt, dass meine Familie einen Preis für ihr humanitäres Engagement bekommt. Damit soll unsere langjährige Unterstützung für das Krankenhaus und insbesondere für die Kinderstation gewürdigt werden.“

„Das ist doch sehr nett.“ Im Augenblick ging ihr zu viel im Kopf herum, um sich vor Enthusiasmus zu überschlagen.

Tate wirkte jedoch alles andere als glücklich. „Der Redakteur einer Zeitung hat gerade meinen Vater angerufen. Er hat ihn gefragt, wie es sich anfühlt, Großvater zu sein. Sie haben von Nathan erfahren.“

„Was?“ Gemma war völlig perplex.

„Verdammt, Gemma, sie wollen wissen, warum ich mich nicht um meinen Sohn gekümmert habe.“

„Nein!“

„Welche Story, glaubst du, machen sie daraus?“ Plötzlich warf Tate ihr einen argwöhnischen Blick zu. „Hast du der Krankenschwester irgendetwas von uns erzählt, bevor du das Krankenhaus verlassen hast? Es kommt mir merkwürdig vor, dass ein Fotograf auf uns gewartet hat, nachdem die Einweihung schon lange vorbei war.“

Sie schnappte nach Luft. „Nein! Warum sollte ich?“

„Du wusstest, dass ich dir meinen Sohn nicht kampflos überlasse. Vielleicht dachtest du, du könntest die Öffentlichkeit auf deine Seite bringen, indem du mich wie einen verantwortungslosen Rabenvater aussehen lässt. Auf diese Weise könntest du jeden Sorgerechtsstreit gewinnen.“

„Nein!“ Wie kam Tate dazu, ihr so etwas zu unterstellen? Gemma war entsetzt. Niemals würde sie ihren Sohn instrumentalisieren – trotz allem, was Tate ihr angetan hatte. Eines Tages würde Nathan erwachsen sein, und sie wollte, dass er seinen Vater respektierte. „Mein Sohn ist keine Handelsware, die man nach Belieben benutzt.“

Nachdenklich erwiderte er ihren Blick. „Ich bin erleichtert, dich das über unseren Sohn sagen zu hören.“ Er überlegte. „Es muss jemand aus dem Krankenhaus gewesen sein.“

Tate glaubte ihr? Gemma war unendlich erleichtert. „Deirdre kommt meiner Meinung nach nicht infrage. Sie ist zu professionell. Und der Arzt schien dich nicht erkannt zu haben.“ Sie versuchte, sich genau an alles zu erinnern. „In dem Aufwachraum waren noch viele andere Leute. Jeder von ihnen hätte eins und eins zusammenzählen können.“ Aber das Kinderbett hatte abseits von den anderen Betten gestanden. Also waren sie und Tate außer Hörweite gewesen. „Unsere Körpersprache könnte uns verraten haben.“

„Stimmt. Verdammt, wenn eine Zeitung davon Wind bekommen hat, kannst du wetten, dass die restlichen Blätter ebenfalls demnächst Bescheid wissen. Falls das Krankenhaus entscheidet, uns den Preis doch nicht zu verleihen, wird meine Großmutter am Boden zerstört sein. Sie und mein Großvater haben hart gearbeitet, um das Krankenhaus zu unterstützen, und meine Eltern haben diese Tradition fortgesetzt.“

„Würden sie deiner Familie den Preis wirklich aberkennen?“

„Meinst du, dass meine Familie für ihr humanitäres Engagement ausgezeichnet wird, wenn es so aussieht, als könnten wir nicht einmal die Verantwortung für ein eigenes Kind übernehmen?“, fragte er bitter. „Zur Hölle, der Zeitpunkt könnte nicht ungünstiger sein.“

„Es tut mir leid, wenn du das Gefühl hast, dass unser Sohn Unannehmlichkeiten bereitet“, meinte Gemma herausfordernd.

„Das habe ich nicht gemeint, und das weißt du.“ Tate fuhr sich durch die Haare und machte das erste Mal einen wirklich nervösen Eindruck. „Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als öffentlich zu erklären, dass Nathan mein Sohn ist und wir so bald wie möglich heiraten.“

„Aber um Nathans willen heiraten wir doch sowieso.“

„Ja. Jetzt müssen wir allerdings eine richtige Show abziehen. Ich möchte nicht, dass mein Sohn sein ganzes Leben lang unter einem Skandal leidet“, sagte er ernst.

Ihr wurde warm ums Herz, als sie begriff, wie viel ihm an Nathans Wohlergehen lag. „Welche Art Show?“

„Wir sagen, dass es ein Missverständnis zwischen uns gab, das wir jetzt aus der Welt geschafft haben. Dann zeigen wir ihnen, wie verliebt wir ineinander sind.“ Er hielt inne. „Ich bin sicher, dass es für dich kein Problem ist, deinen Part zu spielen. Das hast du ja schon einmal getan, erinnerst du dich? Du hast mich gekonnt hinters Licht geführt.“

Nun waren sie also wieder an diesem Punkt angelangt, und Gemma hatte jetzt definitiv genug. „Es reicht. Bitte, geh“, forderte sie ihn mit erhobenem Kopf auf. Womöglich hatte es zuvor noch nie jemand gewagt, in diesem Ton mit ihm zu sprechen.

Nach einem Moment, in dem seine Anspannung förmlich greifbar war, drehte Tate sich um und griff nach der Türklinke. „Meine Eltern treffen innerhalb der nächsten Stunde hier ein. Sie wollen ihren Enkel sehen.“ Damit verließ er das Zimmer.

Mich wollen sie also nicht sehen, dachte sie und kam sich klein und unbedeutend vor. Wie ein Niemand, der in der Familie nicht zählte, in die sie bald einheiratete. Willkommen in der Welt der Chandlers.

2. KAPITEL

Zehn Tage später stand Tate am Ende des roten Teppichs im Landhaus seiner Familie nördlich von Melbourne und beobachtete, wie Gemma die geschwungene Treppe zum alten Ballsaal hinunterschritt. Stolz realisierte er, dass die Gäste vor Freude und Erwartung den Atem anhielten. Sie sah so schön und elegant in dem langen, trägerlosen weißen Hochzeitskleid aus. Wenn er in sie verliebt wäre, hätte er jetzt einen Kloß im Hals. Unter den richtigen Umständen wäre er glücklich, sie zur Frau zu bekommen.

Meine Güte, sie wusste wirklich, wie man einen glänzenden Auftritt hinlegte – selbst bei ihrer eigenen Hochzeit. Wahrscheinlich beabsichtigte sie das. Dennoch bemerkte er, dass sie mit einer Hand kurz das Geländer umklammerte. Vielleicht war sie nicht so selbstsicher, wie sie vorgab. Was Gemma anging, war nichts so, wie es schien.

Dazu zählte auch die Sache mit ihren Eltern, die sich derzeit im Ausland aufhielten. Sie hatte gesagt, keine anderen Verwandten zu haben. Also hatte sein Vater ihr angeboten, sie bei der Hochzeit zum Bräutigam zu führen. Doch sie hatte dankend abgelehnt und damit alle schockiert.

Letztendlich machte das keinen Unterschied. Sie heirateten heute. Nur sein engster Familienkreis wusste, dass sie nicht ineinander verliebt waren. Die anderen Gäste mussten davon überzeugt werden, dass sie sich aus Liebe das Jawort gaben. Tate wollte nicht, dass die Zukunft seines Sohnes mit Gerüchten belastet sein würde, dass sein Vater ihn nicht gewollt hatte. Nathan sollte in dem Glauben aufwachsen, dass er seine Eltern wieder zusammengebracht hatte. Heute ging es wirklich nur um seinen Sohn. Gemma würde langfristig auch Nathan enttäuschen, wenn sie Tate enttäuschte. Ihr war klar, wie viel von ihrem Auftreten heute abhing.

In diesem Augenblick betrat sie den roten Teppich und hielt eine Sekunde inne, bevor sie begann, auf dem Gang zwischen den Stuhlreihen auf ihn zuzuschreiten. Sein Herz klopfte laut. Er ließ sie nicht aus den Augen. Als sie fast bei ihm angekommen war, warf sie einen Blick nach links auf die vorderste Stuhlreihe. Dort hielt seine Mutter Nathan im Arm, der einen winzigen Smoking trug und unglaublich niedlich aussah.

Ohne Vorwarnung ging Gemma einen Schritt auf ihren Sohn zu und küsste ihn auf die Wange. Das zustimmende Raunen der Gäste und das Klicken von Kameras erfüllten einen Moment lang den Saal. Sofort fragte Tate sich, ob ihre liebevolle Geste inszeniert gewesen war, um die Herzen ihres Publikums zu gewinnen. Dann setzte sie ihren Weg auf dem roten Teppich fort. Als sie vor ihm stehen blieb, trafen sich ihre Blicke. Jetzt konnte er ihr ansehen, wie nervös sie war. Aus einem Impuls heraus hielt er ihr die Hand hin. Sie zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie ihre Hand in seine legte. Formvollendet gab er ihr einen Handkuss. Sie ist nicht die Einzige, die mit liebevollen Gesten beeindrucken kann, dachte er.

Dann konzentrierte er sich auf die Trauungszeremonie. Als sie sich das Jawort gaben und die Ringe tauschten, kam es ihm so vor, als wenn ein anderes Paar heiraten würde. Er wollte keinesfalls sentimental werden. Schließlich war es Zeit, die Braut zu küssen. In diesem Moment wurde ihm auf einmal bewusst, dass er es vermisst hatte, Gemma zu küssen. Er schaute ihr tief in die Augen. Jeder musste denken, dass er mit diesem Blick seine Liebe ausdrücken wollte. Nur sie konnte sehen, was er ihr damit in Wahrheit sagte: Küss mich, als ob es uns ernst wäre.

Er berührte mit dem Mund leicht ihre Lippen, die sich kalt anfühlten. Damit konnte er umgehen. Er wollte schließlich, dass sie sich kühl begegneten. Leidenschaft war bei dieser Show nicht gefragt. Dieser Kuss war dazu da, ihr Jawort zu besiegeln. Aber dann zitterten Gemmas Lippen ein wenig. Ohne darüber nachzudenken, intensivierte Tate den Kuss. Sie öffnete leicht die Lippen, und er schmeckte sie.

Sie beendeten den Kuss nur widerstrebend, als sie ein lautes Geräusch hörten. In Gemmas Augen konnte er sehen, dass sie genauso schockiert war wie er, bevor er sich umdrehte, um nachzuschauen, was passiert war. Nathan hatte sein Spielzeugauto auf den Parkettboden fallen lassen.

„Ihr kleiner Junge braucht jetzt wohl Ihre Aufmerksamkeit“, sagte die Standesbeamtin. Alle lachten. Die Zeremonie war vorbei.

„Ja, das liegt in der Natur der Dinge.“ Tate war froh, ignorieren zu können, wie hingebungsvoll Gemma seinen Kuss erwidert hatte. Er war weder glücklich darüber, welchen Part er bei diesem Kuss gespielt hatte, noch über dessen Nachwirkungen. Er hatte gedacht, gegen sie immun zu sein. Jetzt wusste er, dass er sich geirrt hatte. Er könnte ihrem Charme erneut sehr leicht erliegen und musste dafür sorgen, sie – wenn überhaupt – nicht zu oft zu küssen. Heute sollte eine Ausnahme gewesen sein.

„Am besten gewöhnt ihr euch daran, gestört zu werden“, meinte ein Onkel, der mit seiner Frau näher kam und leise lachte. „Seht nur, Gemma wird schon rot.“

Tate legte den Arm um seine Frau, und der Fotograf machte einige Bilder. Anschließend kamen all die anderen Gäste auf das Paar zu, um zu gratulieren. Danach waren Tate und Gemma irgendwie voneinander getrennt.

Er warf einen Blick durch die verglasten Verandatüren, die auf die Terrasse und den riesigen Rasen führten, auf dem ein Zelt mit einer Tanzfläche aufgebaut worden war. Weiter unten in der großzügigen Gartenlandschaft schimmerte das Wasser des künstlichen Sees. Sie hatten sich gegen eine formelle Hochzeitsfeier entschieden und beschränkten sich auf die Trauungszeremonie und möglichst wenige Reden. Dafür gab es reichlich zu essen, zu trinken und die Gelegenheit, ausgiebig zu tanzen. „Wo ist Nathan?“, fragte er seine Mutter, die neben ihm auftauchte.

„Bree gibt mit ihm an.“

Er schaute sich um und lächelte, als er beobachtete, wie seine jüngere Schwester Nathan dazu animierte, für einige Gäste in die Hände zu klatschen.

„Das war eine wirklich schöne Trauung.“

Nur zögernd wandte er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Mutter zu, und sein Gesicht verhärtete sich. „Ja, es war sehr überzeugend.“

Darlene ignorierte die Veränderung, die ihn ihm vorging. „Wie schade, dass Gemmas Eltern nicht dabei sein konnten.“

„Ihre Eltern machen eine Mittelmeerkreuzfahrt, die sie wegen der Hochzeit hätten unterbrechen müssen. Sie hat darauf bestanden, ihre Eltern nicht zu stören.“

Seine Mutter runzelte die Stirn. „Also irgendetwas stimmt da nicht.“

Das sah Tate genauso. Aber ihm ging zu viel im Kopf herum, um sich jetzt darüber Gedanken zu machen. „Gemma wollte es so. Also haben wir das zu respektieren. Das ist nicht unsere Angelegenheit.“

Darlene seufzte. „Was für ein Jammer, dass auch Drake nicht kommen konnte.“

„Ja“, log er. Er hatte seinen besten Freund erst vor ein paar Tagen angerufen und vorgehabt, ihm zu sagen, dass es das Beste wäre, wenn er nicht zur Hochzeit käme. Aber bevor es dazu gekommen war, hatte Drake ihm alles Gute gewünscht und mitgeteilt, dass er nicht bei der Hochzeit dabei sein könnte. Er wusste, dass dies Drakes Art war, ihm ein guter Freund zu sein, und war sehr erleichtert gewesen.

„Du hast gesagt, dass er in Japan ist“, fuhr seine Mutter fort, als Gemma zu ihnen kam.

„Drake steckt mitten in geschäftlichen Verhandlungen.“ Er spürte, dass Gemma innerlich erstarrte, und wollte das Thema wechseln. Sofort.

„Dennoch ist er dein bester Freund und sollte hier sein.“

Tate zwang sich, seine Ehefrau anzulächeln, und legte die Hand auf ihren Arm. Er wünschte, dass seine Mutter endlich den Mund hielte. „Alles sieht großartig aus, findest du nicht, Gemma?“

Nach einem Moment schaffte sie es, sich zu einem schwachen Lächeln aufzuraffen. „Ja, du hast einen tollen Job gemacht, Darlene.“

Sie sah ihre frischgebackene Schwiegertochter voller Wärme an. „Danke. Ich wollte, dass es für euch beide ein ganz besonderer Tag wird.“

Dann hättest du die Sprache nicht auf Drake bringen sollen. Er war überrascht, dass seine Mutter und Gemma sich so gut verstanden. Natürlich hatten die beiden Frauen viel gemeinsam, ohne es zu wissen. Beide hatten die Männer in ihrem Leben betrogen. Vielleicht hatte seine Mutter deswegen eine Schwäche für ihre Schwiegertochter. Und vielleicht spürte Gemma das – was viel erklärte.

Tate war dankbar, dass sich Bree in diesem Moment mit Nathan auf dem Arm zu ihnen gesellte. Er wollte nicht daran denken, was zwischen Drake und Gemma passiert war. Sie war jetzt seine Frau. Die beiden bekämen in Zukunft keine Gelegenheit, zusammenzukommen. Dafür würde er sorgen.

„Ich nehme ihn dir ab, Bree.“ Gemma streckte die Arme nach Nathan aus. Sie versuchte, so zu tun, als ob sie nicht gehört hätte, dass Darlene und Tate über Drake geredet hatten. Zumindest wusste sie jetzt, warum sein bester Freund nicht zur Trauung gekommen war. Zum Glück! Sie hatte ihn an ihrem Hochzeitstag ganz bestimmt nicht sehen wollen, es aber nicht gewagt, ihn zu erwähnen. Sonst hätte Tate vielleicht noch angenommen, dass sie an Drake interessiert wäre – was definitiv nicht der Fall war.

Ihre Schwägerin trat einen Schritt zurück und setzte ein kühles Lächeln auf. „Nein, Nathan geht es gut bei mir. Außerdem wollen wir nicht, dass dein schönes Kleid schmutzig wird.“

Das Kleid war Gemma nun völlig egal, auch wenn es Unsummen gekostet hatte. „Das geht schon in Ordnung, Bree.“

„Nein, ich bestehe darauf. Außerdem müsst ihr euch als frischgebackenes Ehepaar gemeinsam den Gästen präsentieren. Ich kümmere mich sehr gern um meinen Neffen.“ Mit diesen Worten drehte Bree sich um und ging mit Nathan weg.

Unter anderen Umständen wäre Gemma ihr nachgegangen und hätte sich ihren Sohn zurückgeholt. Aber Nathan lachte leise, als Tates Schwester mit ihm spielte. Also beließ sie es dabei. So oder so war offensichtlich, dass Bree Probleme mit ihr hatte, was sie Tate gegenüber auch schon erwähnt hatte. Doch er hatte erwidert, dass sie sich das einbilden musste. Aber Gemma war klar, dass alle ihr übelnahmen, dass sie ihnen Nathan vorenthalten hatte. Alle außer seiner Mutter, die ihr als Einzige der Familie Chandler Sympathie entgegenbrachte.

Zwei ältere Ladies kamen zu ihnen. „Oh, das war eine schöne Trauung“, meinte die eine Frau.

„Und wie Sie ihren kleinen Jungen auf die Wange geküsst haben, war entzückend“, fügte die andere hinzu.

„Ja, das ist allen ans Herz gegangen“, schaltete Tate sich ein.

Gemma ignorierte seinen ironischen Unterton. „Danke. Ich wollte Nathan natürlich einbeziehen.“

„Das ist Ihnen gelungen. Es ist gut, dass er jetzt beide Elternteile um sich hat, finden Sie nicht?“, sagte die eine Lady gutmütig.

Bevor Gemma etwas erwidern konnte, schaltete sich Darlene ein. „Da drüben ist jemand, der Sie beide treffen will.“ Damit führte sie die beiden Frauen weg.

„Ich habe Nathan nicht geküsst, um eine Show abzuziehen, Tate“, zischte Gemma. „Auch wenn du das offenbar denkst.“

„Wirklich? Das ist weit über das hinausgegangen, was deine Pflicht ist.“

„Ich küsse mein Kind nicht aus Pflicht.“

„Wenn du das sagst.“

„Fahr zur Hölle“, fuhr sie ihn impulsiv an.

Er wirkte tatsächlich amüsiert. „Das würde dir so gefallen, nicht wahr?“

„Am selben Tag zu heiraten und Witwe zu werden? Für mich hört sich das gut an.“

„Wenn wir später allein sind, bist du nicht mehr so gewitzt.“

„Was meinst du damit?“ Ihr Herzschlag geriet einen Moment lang aus dem Takt.

Tate hielt inne, bevor er den Blick abwandte. „Nichts. Absolut nichts.“

Gemma hatte das Gefühl, dass er – wie sie – geredet hatte, ohne groß nachzudenken. Ähnliche Dialoge hatten sie manchmal geführt, als sie Geliebte gewesen waren. Auch wenn sie nicht darüber gesprochen hatten, wusste sie, dass er es sich verbieten würde, sie erneut zu begehren. Ihr Hochzeitskuss mochte sich für ein paar Sekunden wie eine Wiedervereinigung angefühlt haben. Aber weder er noch sie ließen sich ein weiteres Mal zu irgendeiner Schwäche hinreißen.

Dann kamen noch mehr Gäste zu ihnen. Obwohl sie versuchte, einen entspannten Eindruck zu machen, war sie froh, als Tate sich entschuldigte, um zu seiner Großmutter und seinem Vater auf der anderen Seite des Ballsaals zu gehen. Bree gesellte sich zur Familie, und er nahm seiner Schwester Nathan liebevoll aus den Armen. Gemma, die bereits während der letzten zehn Tage Tates Umgang mit Nathan beobachtet hatte, bezweifelte nicht, dass er seinen Sohn liebte. Inzwischen hatte auch Nathan eine Beziehung zu seinem Vater entwickelt. Die vier Generationen der Chandlers schienen sich wohl miteinander zu fühlen.

Sie war die Außenseiterin. Wahrscheinlich würde sie nie wirklich ein Teil dieser Familie sein. Zudem hatten sich ihre Eltern von ihr abgewandt. Plötzlich fühlte sie sich von aller Welt verlassen. Mit Ausnahme ihres Sohnes natürlich. Nathan liebte und brauchte sie. Um seinetwillen hatte sie sogar versucht, sich telefonisch mit ihren Eltern in Verbindung zu setzen, um sie zur Hochzeit einzuladen. Dann hatte sie am Arbeitsplatz ihres Vaters angerufen und erfahren, dass ihre Eltern derzeit eine Mittelmeerkreuzfahrt unternahmen. Sie war froh gewesen, dass ihre Eltern nicht kommen konnten. Denn sie wusste nicht, ob sie in deren Gegenwart die Fassade hätte aufrechterhalten können. Ihre Eltern hatten ihr ungeheuer wehgetan.

Als Nathan zu weinen anfing, schob sie den Anflug von Selbstmitleid entschieden beiseite. Ihr armer kleiner Schatz war überfordert und übermüdet. Der Arzt hatte gesagt, dass ihm die Nachwirkungen der Operation noch etwas zu schaffen machen könnten. Sie entschuldigte sich bei den Gästen und ging zu ihm. „Mommy ist da, Süßer.“ Sie hob Nathan aus Tates Armen und sah die anderen an. „Es ist Zeit für ein Schläfchen. Ich bringe ihn nach oben.“ Als sie im Begriff war, sich wegzudrehen, tauchte Tates Fahrer bei ihnen auf.

„Mr Chandler, die Reporter sind hier. Sie wollen wissen, wann Sie und Ihre Frau nach draußen kommen.“

Gemma stöhnte innerlich. Ihr war klar, dass dieser Teil zur Abmachung gehörte. Aber doch nicht jetzt!

„Sag ihnen, dass die beiden in Kürze da sind“, forderte Jonathan Clive auf, bevor Tate etwas sagen konnte. Dann machte ihr Schwiegervater Anstalten, Gemma Nathan wegzunehmen. „Ich weise jemanden vom Personal an, den Jungen nach oben zu bringen, während du und Tate tut, was ihr tun müsst.“

Sofort hielt sie ihren Sohn außer Reichweite. „Entschuldige, Jonathan. Aber ich beabsichtige, ihn selbst ins Bett zu bringen.“

„Aber die Reporter …“

„Die können warten“, sagte sie fest. Nathan brauchte sie. Und sie brauchte eine Atempause.

„Gemma hat recht, Dad“, ergriff Tate zu ihrer Überraschung ihre Partei. „Nathans Bedürfnisse sind wichtiger. Die Reporter können warten.“

„In Ordnung, mein Sohn“, stimmte Jonathan nach einem Moment zu.

Gemma musste sich auf die Zunge beißen. Ihre Einwände wurden ignoriert. Aber auf Tate hörten sie. Sie hoffte inständig, dass es nicht ihr ganzes Leben lang so bliebe.

„Ich gehe zu ihnen und rede mit ihnen, während Gemma Nathan ins Bett bringt.“ Tate wandte sich ihr zu. „Komm herunter, wenn du fertig bist.“

Sie war dankbar, die Flucht ergreifen zu können. Allerdings war sie nicht sicher, ob sie jemals in der Lage sein würde, ihnen allen wieder gegenüberzutreten. Wenn dieser Tag nur schon vorbei wäre. Oben gab sie Nathan sein Fläschchen, bevor sie in dem kleinen Schlafzimmer, das mit ihrem verbunden war, die Windeln wechselte. „Das ist erledigt, Süßer“, sagte sie und legte ihn ins Kinderbett. Ihm fielen fast sofort die Augen zu. Sie lächelte und betrachtete ihn noch ein paar Minuten lang liebevoll.

Erst als sie das Zimmer verlassen wollte, registrierte sie, dass sie in einem Dilemma steckte. Tate hatte ihr zwar das neueste digitale Babyfon gekauft, sodass sie Nathan in jedem Zimmer hören konnte. Aber sie ließe ihren Sohn keinesfalls hier allein, solange eine Unmenge fremder Leute im Haus waren. In der Hoffnung, jemanden zu sehen, der ihrem Ehemann eine Nachricht zukommen lassen könnte, warf sie einen Blick in den Flur. Doch dort war niemand. Dann rief sie per Haustelefon in der Küche an. Niemand meldete sich. Wahrscheinlich waren alle zu beschäftigt. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als auf Tate zu warten, der ganz sicher irgendwann nach ihr sehen würde. Schließlich brauchte er sie für die Fotografen.

Etwa eine Viertelstunde später klopfte er an die Tür, die sie schnell aufmachte. Wütend funkelte er sie an. „Ist das eine Art Protest?“

Dieser Ton! Der störte sie gewaltig. „Vermutlich.“

„Nicht jetzt, Gemma. Wir müssen …“

„Ich lasse Nathan nicht allein hier oben.“

Er brauchte einen Augenblick, um die Information zu verdauen. Dann nickte er. „Ich sage Sandy, dass sie bei ihm bleiben soll.“

Sie hatte Peggys und Clives einundzwanzigjährige Tochter kennengelernt und vertraute ihr Nathan gern an. „In der Küche geht niemand ans Telefon.“

„Ich hole sie.“ Zehn Minuten später war er mit Sandy zurück, hakte Gemma unter und führte sie die Treppe hinunter.

Auf der untersten Stufe angekommen, bekam sie jedoch Angst und blieb stehen. „Es …Es geht doch nur um ein paar Fotos, oder?“

Tate drückte ihren Arm. „Nur um ein paar Fotos vor dem Springbrunnen. Ich beantworte die Fragen der Reporter. Aber wenn sie dich etwas fragen, gib einfach dein Bestes.“

„In Ordnung.“

Er zog sie näher an seine Seite. „Bereit?“

Dass er sie nicht unvorbereitet den Wölfen zum Fraß vorwerfen wollte, tat ihr gut und überraschte sie. „Ja.“ Gemma war nicht sicher, wie sie es schafften. Aber sie wirkten wie ein Paar, das sich liebte, als sie vor einem aufsehenerregenden Springbrunnen auf dem Rasen für die Fotografen posierten. Sie hoffte, dass ihre Nervosität nur allzu verständlich war.

„Ein Kuss für die Kamera“, schlug einer der Männer vor.

Einen Augenblick lang hatte sie den Eindruck, dass Tate sich weigerte. Wenn er das nur täte. Sie wollte die Empfindungen, die sein letzter Kuss ausgelöst hatte, nicht noch einmal erleben.

Plötzlich neigte er ihr das Gesicht zu und zog sie wie ein Schauspieler in einem romantischen Film schwungvoll in seine Arme. Ihr war bewusst, dass all das nur eine Show für die Reporter und Fotografen war. Dennoch stockte ihr der Atem. Mit aller Macht versuchte sie, diesmal unempfänglich für seinen Kuss zu bleiben. Aber der Kuss nahm kein Ende, und je länger er dauerte, desto mehr schmolz ihr Widerstand dahin. Gerade als sie im Begriff war, sich ihren Empfindungen hinzugeben, ließ Tate sie los. Der Ausdruck in seinen Augen verriet nichts. Aber seine Wangen waren leicht gerötet.

So geübt wie jemand, der im Rampenlicht groß geworden war, wandte er sich selbstsicher lächelnd an die Fotografen. „War das gut genug, Leute?“

„Großartig!“

„Fantastisch!“

„Was hat denn die frischgebackene Mrs Chandler dazu zu sagen?“, fragte eine Reporterin.

Gemma bemühte sich, einen klaren Kopf zu bekommen. Sie musste das Spiel mitspielen und durfte sich keinesfalls anmerken lassen, wie viel Angst sie hatte. Also setzte sie ein möglichst überzeugendes Lächeln auf. „Übung macht definitiv den Meister.“

Das Gelächter übertönte das erneute Klicken der Kameras. „Tolles Zitat! Und jetzt …“

Tate hob die Hand. „Das muss reichen. Meine Frau und ich wollen zurück zu unserer Hochzeitsfeier.“ Er zwinkerte den Reportern zu. „Und in die Flitterwochen.“ Er begann, Gemma ins Haus zu führen.

„Aber was ist mit dem Preis für das humanitäre Engagement Ihrer Familie? Was denken Sie darüber?“

Er blieb kurz stehen. „Ich bin sehr stolz auf meine Familie. Eine solche Auszeichnung zu bekommen, ist eine große Ehre.“

„Und was ist mit …?“

Gemma bemerkte einen Hubschrauber in der Ferne, der Kurs auf das Grundstück nahm.

Tate musste ihn ebenfalls gesehen haben. „Das ist alles, Leute.“ Sie gingen schnell ins Haus. Clive schloss die Tür hinter ihnen. „Kümmern Sie sich um den Hubschrauber, Clive, sonst laufen hier noch mehr Reporter und Fotografen herum. Und sorgen Sie dafür, dass alle das Grundstück wieder verlassen. Sie haben genug Fotos geschossen.“

„Sicher, Mr Chandler.“

„Zum Glück ist es vorbei“, brachte Gemma heraus. Sie war noch immer aufgeregt. Tates Bemerkung über die Flitterwochen hatte sie zusätzlich erschreckt. Sie wusste, dass er es nicht so gemeint hatte. Aber dadurch hatte er sie daran erinnert, dass er ein viriler Mann war und nicht gerne lange enthaltsam lebte. Nähme er sich eine Geliebte? Eine sehr unangenehme Vorstellung – und sie entschied kurz entschlossen, dass Tate so etwas nicht tun würde. Zumindest noch nicht. Er riskierte nicht, dass eine solche Affäre publik würde und seine Familie weiterhin eine schlechte Presse bekäme.

Aber wollte er dann mit ihr ins Bett gehen? Sie nahm an, dass der Sex mit ihm voller Feindseligkeiten sein würde. Doch seine Küsse heute waren alles andere als wütend gewesen. Sie schluckte. Weil wir Publikum hatten, sagte sie sich. All das war nur eine Inszenierung gewesen und nichts weiter.

Dennoch hatte sie letzte Woche begonnen, zur Vorsicht die Pille zu nehmen. Der Arzt hatte ihr empfohlen, noch einen Monat lang zusätzlich auf andere Verhütungsmethoden zurückzugreifen. Sie ging jedoch nicht davon aus, davon Gebrauch zu machen.

„Es ist noch nicht ganz vorbei“, riss Tate sie aus ihren Gedanken. „Wir müssen zurück zu unseren Gästen.

Nach dieser Tortur mit den Reportern ist der Rest der Hochzeit bestimmt ein Kinderspiel. Kurze Zeit später war Gemma mit Tates Großmutter allein und sich da nicht mehr so sicher.

„Ich hoffe, dass du anständig mit meinem Enkel umgehst.“ Helen Chandler zeigte sich ihr gegenüber genauso kühl wie ihre Enkelin Bree.

„Solange Tate anständig mit mir und Nathan umgeht, tue ich das.“

„Das steht außer Frage. Mein Enkelsohn weiß um seine Verantwortung.“

„Da bin ich sicher.“ Sein Pflichtgefühl war schließlich der Grund, warum sie heute hier standen, nicht wahr?

Dann schien Helen zu zögern. „Tate nimmt sich Dinge zu Herzen. Er hat tiefe Gefühle … wie sein Vater.“

Die ältere Frau schien ihr etwas sagen zu wollen. Schließlich stand es außer Frage, dass Tate alles andere als oberflächlich war. Wovon genau redete seine Großmutter? Gibt es etwas, dass Helen weiß und ich nicht? fragte sie sich.

In diesem Moment tauchte Tate vor ihnen auf. „Ich fürchte, ich muss dir Gemma wegnehmen, Gran. Man erwartet von uns, dass wir den Tanz eröffnen.“

Also ging es wieder nur um eine Pflicht, die er erfüllen musste. Sie glitt in seine Arme, und sie fingen an zu tanzen. „Jetzt weiß ich, von wem du und deine Schwester das habt.“

„Was?“

„Eure Haltung. Sie werden mir nie verzeihen, oder?“

„Gran ist alt.“

„Und Bree?“

„Sie ist jung. Aber sie hat bei Weitem nicht so viele Erfahrungen wie du gesammelt.“

Gemma schluckte ihren Ärger hinunter. Seine Bemerkung hatte geklungen, als wenn sie mit dem gesamten Footballteam vor Ort im Bett gewesen wäre. „Solange sie das nicht an Nathan auslassen, können sie mich so kühl behandeln, wie sie wollen.“

„Niemand aus meiner Familie wird meinem Sohn wehtun.“

„Unserem Sohn.“ Diese unsägliche Unterhaltung brachte Gemma ins Grübeln. Seitdem der Vaterschaftstest gemacht worden war, hatte Tate ihn nicht mehr erwähnt. Vielleicht dauerte es eine Weile, bis das Ergebnis vorlag.

„Deinen Eltern wird es leidtun, all das verpasst zu haben.“

Eilig versuchte sie, das Thema zu wechseln. „Aua! Du bist auf meinen Zeh getreten.“ Sie wollte nicht über ihre Eltern reden. Wenn sie zur Hochzeit gekommen wären, dann nur aus Pflichtgefühl. Und sie wäre wahrscheinlich gekränkt gewesen.

„Entschuldige.“ Er lächelte. „Das ist mir nicht mehr passiert, seitdem ich ein Teenager war.“

„Vielleicht machst du erneut die Pubertät durch“, scherzte sie und entlockte Tate damit ein leises Lachen.

Einen kurzen Moment lang waren sie auf derselben Wellenlänge. Wie in alten Zeiten. Aber von den alten Zeiten sind wir weit entfernt, dachte Gemma und sah schnell weg.

Nach dem Tanz führte er sie zu seinen Eltern, die darüber redeten, einen kindersicheren Zaun um den Garten und das Grundstück errichten zu lassen, um zu verhindern, dass Nathan sich verlaufen oder in den See fallen würde. Gemma war überrascht und bedauerte es jetzt, ihnen Nathan so lange vorenthalten zu haben. So schmerzhaft es war, mit einem Mann verheiratet zu sein, der sie hasste, war sie doch froh, dass Tate seinen Sohn angenommen und Nathan Menschen um sich hatte, die immer für ihn sorgten. Das war eine große Beruhigung.

Bald darauf begannen die Gäste aufzubrechen. Nachdem die Caterer aufgeräumt hatten, verabschiedete sich gegen Abend auch die Familie. Die Fahrt zurück in die Stadt dauerte eine Stunde. Doch sie waren übereingekommen, dass es merkwürdig aussähe, wenn die Familienmitglieder das frischgebackene Ehepaar während der Flitterwochen nicht allein ließen – selbst wenn das Haus so groß wie ein Footballfeld war. Nur Peggy und Clive, die in einem separaten Trakt im Hinterhaus untergebracht waren, blieben bei ihnen.

Schließlich gingen Tate und Gemma nach oben, wo Peggys Tochter auf dem Fußboden mit Nathan spielte. Sobald ihr Sohn seine Eltern sah, krabbelte er ihnen entgegen. Sein Vater kam ihm entgegen und hob ihn hoch. „Hallo, kleiner Mann.“

Obwohl sie sich über den Anblick freute, war ihr auch ein bisschen seltsam zumute. Da sich die Ereignisse überschlagen hatten, war sie noch nicht dazu gekommen, darüber nachzudenken, dass sie Nathans Liebe jetzt mit Tate teilen musste. Bislang war immer sie es gewesen, die ihren Sohn auf den Arm genommen hatte.

„Ich passe auf Nathan auf, während du dich umziehst“, sagte Tate mit einem Blick auf Gemmas Hochzeitskleid, nachdem Sandy wieder zu Peggy und Clive zurückgekehrt war.

Sie nickte, verließ das Zimmer und schloss die Verbindungstür hinter sich. Letzte Woche hatte er auf seine Kosten neue, exklusive Kleider für sie liefern lassen. Zum Glück lauter Sachen, die ihr gefielen. Und welche Frau sagte schon Nein, wenn sie neu eingekleidet wurde? Insbesondere wenn ihre eigenen Kleider schon ziemlich abgetragen waren? Sie zog eine schwarze Hose und ein elegantes Seidentop an.

Als er im Zimmer nebenan mit seinem Sohn sprach, nahm sie auf einmal ganz bewusst seine tiefe Stimme wahr. Früher waren ihr immer schon beim Klang seiner Stimme die Knie weich geworden. Daran hatte sich nichts geändert. Selbst sein kurzer, desinteressierter Blick beruhigte ihre Nerven nicht, als sie in das Zimmer zurückkam, in dem Vater und Sohn auf dem Boden spielten.

Tate erhob sich. „Ich muss noch ein paar Dinge erledigen. Ruf in der Küche an, falls Nathan noch wach sein sollte, wenn du zum Abendessen hinuntergehst. Peggy kümmert sich gern um ihn.“

„Warte!“ Gemma schluckte. „Danke. Aber wenn du nichts dagegen hast, esse ich heute Abend lieber in meinem Zimmer.“

„Ich habe etwas dagegen“, entgegnete er frostig.

Autor

Brenda Jackson
Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...
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