Das geheime Vermächtnis des Milliardärs - 8-teilige Serie

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DIE VERBOTENEN KÜSSE DES PLAYBOYS

Playboy Matteo Di Sione liebt das wilde Leben! Da wird er auch die widerspenstige Abby zähmen! Das verlangt ihr Vater von ihm im Tausch gegen eine prachtvolle Smaragdkette, die für Matteo von unschätzbarem Wert ist. Und die eigenwillige Unternehmertochter davon zu überzeugen, ihn auf einen Ball zu begleiten, reizt Matteo besonders! Denn Abby ist nicht nur faszinierend anders, neu für ihn ist auch, dass sein Charme sie kalt lässt ...

EIN WÜSTENPRINZ FÜR EINE NACHT?

Allegra Di Sione will nur eins: Die Fabergé-Schatulle für ihren Großvater finden! Als die Suche sie in den Palast von Scheich Rahim führt, glaubt sie sich am Ziel ihrer Reise. Doch Rahim weigert sich, ihr das Schmuckstück zu geben. Verzweifelt stiehlt Allegra sich in die Privatgemächer des Prinzen und wird von ihm auf frischer Tat ertappt. Atemlos ergibt sie sich seiner Leidenschaft. Um am nächsten Morgen etwas viel Kostbareres unter dem Herzen zu tragen: Rahims Erben!

DER TYCOON UND DIE SCHÖNE RIVALIN

Rache am Imperium der Familie Di Sione! Das wünscht sich der russische Selfmade-Milliardär Liev Dragunov über alles. Und mit dem kostbaren Armband, das Bianca Di Sione unbedingt in ihren Besitz bekommen will, hat er endlich einen wunden Punkt entdeckt: Natürlich kann die unnahbare Schönheit die Juwelen haben - wenn sie dafür seine Verlobte spielt! So kann er die schillernde PR-Lady am besten für seine Zwecke einsetzen! Doch je näher sie sich kommen, desto gefährlicher wird dem Tycoon seine schöne Rivalin ...

STÜRMISCHE RÜCKKEHR IN DEINE ARME

Eigentlich sollte Dario Di Sione triumphieren - aber alles was er fühlt ist Wut! Denn die schöne Anwältin, die ihm auf Hawaii die kostbaren Ohrringe für seinen Großvater überreicht, ist niemand anders als Anais, seine Frau, die ihn vor Jahren infam betrogen hat! Einst ist Dario in ihren dunklen Mandelaugen vor Verlangen versunken, jetzt fühlt sich ihr Wiedersehen an wie ein böser Traum ...

DER PREIS BRENNENDER SEHNSUCHT

Einmal so verführerisch zu sein wie die Models, die sie täglich trifft! Für die scheue Stylistin Willow ist es ein Wink des Schicksals, als Dante Di Sione am Flughafen heiß mit ihr flirtet. Kein Wunder, dass sie die Chance ergreift und den sexy Erben einer Reeder-Dynastie einfach erpresst: Wenn Dante sie auf die Hochzeit ihrer Schwester begleitet, erhält er die Diamanten seiner Familie zurück ...

HERZEN AUS EIS, KÜSSE WIE FEUER

Ein privater Termin bei dem brillanten Topmanager Angelos Mena? Utopisch! Kein Wunder, dass sich Talia als neue Nanny für seine Tochter ausgibt, um an das Buch zu kommen, nach dem ihr Großvater so verlangt! Doch während Talia im Nu das Herz des Kindes erobert, verschanzt sich der eisige Workaholic hinter Zynismus. Erst als die Vergangenheit Talia einholt und Angelos ihr überraschend Schutz anbietet, entbrennt zwischen ihnen feurige Leidenschaft …

SINNLICHER DEAL MIT DEM MILLIARDÄR

"Heirate mich!" Dieser traumhaft attraktive Fremde will sie vor ihrem brutalen Verlobten retten, indem er sie selbst vor den Altar führt? Und er verlangt dafür nichts als einen alten Ring? Die freiheitsliebende Mina kann ihr Glück kaum fassen, denn an der Seite von Hoteltycoon Nate Brunswick erwarten sie nicht nur Luxusreisen, schon bald will sie auf seine verzehrenden Küsse nicht mehr verzichten ...

DER LEUCHTENDE ZAUBER DER LIEBE

Liebe? Bedeutet für Finanzgenie Alex Di Sione nur Chaos! Was für ihn zählt ist Geld! Doch als er auf der Suche nach einem Gemälde die überirdisch schöne Prinzessin Gabriella trifft, fühlt er plötzlich etwas erschreckend anderes. Sie bei Mondschein auf der Isola D’Oro zu küssen, wirkt auf ihn wie ein sinnlicher Zauber! Doch ein Happy End scheint unmöglich: Als Gabriella ihn bittet, sie zur Frau zu nehmen, weist er sie kalt ab ...


  • Erscheinungstag 09.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735159
  • Seitenanzahl 1152
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Carol Marinelli, Maya Blake, Rachael Thomas, Caitlin Crews, Sharon Kendrick, Kate Hewitt, Jennifer Hayward, Maisey Yates

Das geheime Vermächtnis des Milliardärs - 8-teilige Serie

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2016 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Di Sione’s Innocent Conquest“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 142017 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Gudrun Bothe

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733708481

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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PROLOG

Matteo Di Sione kannte seine Defizite und Unzulänglichkeiten nur zu gut. Sie ihm unter die Nase zu reiben, war überflüssig.

Kein Wunder, dass seine Laune zunehmend sank! Herbeizitiert von seinem Großvater Giovanni, fuhr er mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zur Di Sione Residenz, einem prachtvollen Anwesen an der Gold Coast von Long Island.

Nach dem Unfalltod von Matteos Eltern hatte Giovanni sich der sieben Vollwaisen angenommen, die sein Sohn Benito und dessen Frau Anna zurückließen. Für Matteo, damals gerade fünf, wurde die Residenz sein neues Zuhause.

Inzwischen lebte er in einem Penthouse Apartment mit grandiosem Blick auf Manhattans Skyline. Trotzdem blieb das Haus seines Großvaters der Ort, dem er sich am engsten verbunden fühlte.

Hier traf sich die Familie, mehr oder weniger freiwillig, zu verschiedenen Anlässen. Der eine oder andere schaute auch zwischendurch vorbei. Matteo allerdings fuhr heute keinesfalls freiwillig her. Ihm stand eine weitere Gardinenpredigt bevor.

Die Pressefritzen konnten seinen Niedergang offenbar kaum abwarten. Unentwegt waren sie ihm auf den Fersen. Natürlich auch Samstagnacht in Vegas! Und genauso natürlich traten sie seinen Millionen-Dollar-Verlust am Spieltisch genüsslich in ihren Schmierblättern breit. Dass er ebendiesen Verlust bereits vor dem Morgen doppelt wettgemacht hatte, davon stand natürlich nichts in der Zeitung. Aber das war ihm egal.

Matteo beschäftigte etwas ganz anderes. Als er heute Morgen in Manhattan angekommen und von seinem Jet in die wartende Limousine gewechselt war, hatte er sich wie üblich während der Fahrt über die neuesten Nachrichten informiert.

‚Erinnerungen werden wach!‘

Unter der beziehungsvollen Schlagzeile zeigte ein Bild, wie er im Morgengrauen das Casino verließ. Nach der langen Nacht war es kein Wunder, dass er ein wenig heruntergekommen wirkte: blass, unrasiert, das dunkle Haar wild zerzaust, am Arm eine Blondine. Daneben ein zweites Foto, aufgenommen vor dreißig Jahren, in Matteos Geburtsjahr.

Es zeigte Benito Di Sione, unrasiert und mit dem gleichen nachtschwarzen Haar, das ihm in stechend marineblaue Augen fiel, die sein Sohn von ihm geerbt hatte. An seinem Arm eine aufreizende Blondine, die nicht Matteos Mutter war.

Matteo bezweifelte ernsthaft, dass sein Vater sich am Tag danach auch nur an ihren Namen hatte erinnern können, während er immer wusste, wie seine Geliebten hießen. Am Samstagabend beispielsweise war es Lacey gewesen, ein wirklich heißer Feger …

Der Zeitungsartikel unter den Fotos bestand hauptsächlich in einer Auflistung der Ähnlichkeiten zwischen Vater und jüngstem Sohn. Er beschrieb ihre Risikofreudigkeit, den dekadenten, ausschweifenden Lebensstil und endete mit der Warnung, dass Matteo möglicherweise ein ähnlich tragisches Schicksal drohe: tot in seinem Sportwagen, um einen Laternenpfahl gewickelt, mit seiner sterbenden Gattin neben sich.

Nein, Matteo war absolut nicht scharf auf die bevorstehende Begegnung mit seinem Großvater. Er wusste genau, was er sich würde anhören müssen.

Während er in die lange Auffahrt einbog, war er blind für die Schönheiten des luxuriösen Anwesens. Mit grimmiger Miene parkte er den Wagen auf dem Kiesrondell, stieg aus, marschierte hocherhobenen Hauptes in Richtung Haus und fragte sich, wie der Empfang wohl aussehen würde.

Wenn er sonst herkam, dann meist, um seinen Großvater abzuholen und mit Giovanni zum Lunch in dessen Club zu fahren.

„Ich bin’s, Matteo!“, rief er beim Betreten der großzügigen Eingangshalle und lächelte, als er Almas vertraute Gestalt erblickte.

„Master Matteo!“, rief die ältliche Haushälterin sichtlich erleichtert aus.

„Wo ist er?“, erkundigte Matteo sich.

„In seinem Arbeitszimmer. Soll ich Signor Giovanni sagen, dass Sie hier sind?“

„Nicht nötig, ich gehe gleich zu ihm. Ich glaube, er erwartet mich.“ Matteo rollte vielsagend mit den Augen und erntete ein kleines Lächeln von Alma.

„Wie geht es ihm?“, fragte Matteo, wie er es immer tat, wenn er herkam.

„Er möchte selbst mit Ihnen reden“, kam es etwas steif zurück.

Seufzend machte er sich auf den Weg und stoppte vor der schweren Mahagonitür, hinter der das Arbeitszimmer seines Großvaters lag. Er klopfte und trat ein, nachdem er dazu aufgefordert wurde.

„Hey …“, begrüßte er seinen Großvater betont munter, sah dabei aber nicht ihn, sondern die Zeitung auf Giovannis Schreibtisch an. „Ich hab’s schon gelesen. Und wenn ich irgendetwas gar nicht brauchen kann, dann eine Strafpredigt“, trat er die Flucht nach vorn an.

„Wann hat mich eine an dich gerichtete Strafpredigt auch nur einen Schritt weitergebracht, Matteo?“, erwiderte der alte Mann ruhig. „Oder dich?“

Seine Stimme klang matter als gewohnt, und Matteo runzelte die Stirn. Giovanni war erschreckend blass und wirkte gebrechlich. Die sonst so strahlend blauen Augen hatten einen trüben Schimmer.

Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihm aus, und auf einmal hätte er überhaupt nichts mehr gegen eine Gardinenpredigt gehabt. Im Gegenteil, sollte sein Großvater ihm ruhig gehörig den Kopf waschen. Alles erschien ihm besser als das, was möglicherweise kommen würde.

„Ich habe dich hergebeten, um dir zu sagen …“

Matteo wollte es nicht hören. Als Meister der Ausreden und Ablenkung griff er rasch nach der Zeitung und schlug sie geräuschvoll auf. „Bei allen angeblichen Ähnlichkeiten haben sie einen entscheidenden Punkt übersehen“, führte er aus. „Er hatte Verantwortung zu tragen, ich nicht.“

„Ich weiß, die hatte er bei Gott“, bestätigte Giovanni müde. „Aber du auch, Matteo. Und zwar in erster Linie dir selbst gegenüber. Du scheinst ständig auf der Suche nach Ärger und neuen Problemen zu sein. Die Gesellschaft, in der du dich bewegst, die Risiken, die du eingehst …“

„Betreffen nur mich allein“, unterbrach Matteo ihn. „Mein Vater war verheiratet und hatte sieben Kinder, als er starb“, argumentierte er hitzig und tippte mit dem Finger auf das Foto. „Zumindest sieben, zu denen er stand.“

„Matteo …“ Die Unterredung mit seinem Enkel lief nicht so, wie Giovanni sie geplant hatte. „Setz dich.“

„Nein!“ Matteos Wut richtete sich nicht gegen seinen Großvater, sondern den Rest der Welt, und hauptsächlich gegen die ewigen Vergleiche mit seinem toten Vater. „Dass vergessen sie nämlich immer zu erwähnen … Ich schicke niemanden in die Hölle, durch die wir alle seinetwegen gehen mussten!“

Diese Entscheidung hatte er schon vor Jahren für sich getroffen. Er war nicht ohne Grund Single, und so sollte es auch bleiben.

Sorgenvoll betrachtete Giovanni seinen Enkel. Lebenshungrig und charismatisch wie sein Vater, verhielt er sich nicht nur oft wie Benito, sondern glich ihm auch noch äußerlich bis aufs Haar.

Aus ganz privaten Gründen hatte Giovanni nie eine enge Bindung zu seinem Sohn aufbauen können. Gesprochen hatte er darüber mit niemandem. Es war ein Geheimnis, das er mit ins Grab nehmen würde.

Nach Benitos und Annas Tod konnte er den kleinen Matteo, diese frappierende Kopie seines Vaters, kaum in seiner Nähe ertragen. Als sich dann noch herausstellte, dass der Junge die Fehler seines Vaters wiederholte, anstatt aus ihnen zu lernen, zog Giovanni sich von seinem Enkel zurück.

So wuchs Matteo wild und ungezähmt auf. Niemand nahm sich seiner an oder versuchte zumindest, seine ungestüme Persönlichkeit in geordnete Bahnen zu lenken. Nachdem er gleich zu Beginn des zweiten Jahres vom College flog, schien sein Weg vorgezeichnet zu sein. Matteo verkündete großspurig, Schule und Studium würden ihm nichts bringen, da ‚Geld zu machen‘ quasi in seiner DNA verankert sei. Er wolle lieber auf dem Aktienmarkt und an der Börse sein Glück versuchen, statt Schul- oder Unibänke zu drücken.

Und Giovanni hatte sich wieder einmal bemüßigt gefühlt, ihm vorzuhalten, er sei wie sein Vater, und dass er ernsthaft fürchte, Matteo würde enden wie er.

Vorwürfe und Anschuldigungen, die Matteo sich nicht länger anhören wollte, schon gar nicht von seinem Großvater.

Es sei ohnehin zu spät, um ihm noch Vernunft beizubringen, hatte Giovanni ihm ins Gesicht geschrien.

„Als ob du das je versucht hättest!“ Es war das einzige Mal gewesen, dass er seinem Großvater einen Einblick in den Schmerz gewährte, der schon sein Leben lang in ihm wütete. „Du hast mich in diesem Haus wohnen lassen, mich ansonsten aber tunlichst ignoriert. Also tu jetzt nicht so, als würde dir etwas an mir liegen.“

Harsche Worte auf beiden Seiten, die ihr Verhältnis bis heute belasteten.

„Setz dich, Matteo.“

Doch dafür war er viel zu beunruhigt von Giovannis offensichtlicher Gebrechlichkeit. Nervös tigerte er zum Fenster und starrte hinaus in die grüne Weite, die einmal sein Spielplatz gewesen war. Seine Großmutter hatte er nie kennengelernt. Sie war vor seiner Geburt gestorben. Daher hatte seine Schwester Allegra ihre beiden jüngeren Schwestern großgezogen, während seine drei großen Brüder ein Internat besuchten.

Matteo blieb sich selbst überlassen.

„Erinnerst du dich an die Zeit vor dem Tod deiner Eltern, als ihr mich alle zusammen besucht habt?“

„Ich denke nie an früher.“

„Du warst natürlich noch sehr jung. Aber vielleicht kannst du dich erinnern …“

Und ob ich das kann!

Plötzlich erstanden vor Matteos innerem Auge Bilder von wütenden Menschen, lautstarken Auseinandersetzungen und verängstigten Kindern, inklusive er selbst. Mit peinigender Klarheit sah er wieder die ständigen Kämpfe vor sich, und die unsichere familiäre Existenz. Entweder sie lebten in Saus und Braus oder sie standen mit einem Bein auf der Straße. Erst viel später verstand er, dass exzessiver Drogenmissbrauch eines der Hauptprobleme in seiner Chaosfamilie gewesen war.

„Damals erzählte ich euch die Geschichte von meinen ‚Verlorenen Geliebten‘.“

Giovannis unverständliche Andeutungen zerrten an seinen Nerven. Matteo blickte zum See hinunter und auf einen Baum am Ufer, der so hoch war, dass sich sein Magen bei der Erinnerung an den Tag zusammenzog, als er ihn erklommen hatte und heruntergefallen war. Glücklicherweise hatte ein starker Ast seinen Sturz abgebremst. Sonst hätte er ihn wahrscheinlich nicht überlebt.

Niemand hatte es beobachtet, und Matteo behielt es für sich.

Aber der Sturz vom Baum war nicht seine schlimmste Erinnerung. Eine andere, die ihm bis heute kalten Schweiß auf die Stirn trieb, würde er nie mit jemandem teilen können. Die an jene grauenhafte Autofahrt, als er seinen Vater angefleht hatte, langsamer zu fahren und ihn bitte heil nach Hause zu bringen.

Seit jenem Tag hatte er nie wieder offen Angst gezeigt. Es half ohnehin nichts. Wenn überhaupt, stachelte es andere nur an.

„Denk noch einmal nach“, forderte Giovanni hartnäckig. „Die ‚Verlorenen Geliebten‘. So nannte ich sie in Erinnerung an eine andere Liebe, die …“ Seine Stimme brach ab.

„Keine Ahnung.“ Genervt schüttelte Matteo den Kopf.

„Dann helfe ich dir auf die Sprünge.“ Der innere Drang, etwas Wichtiges ins Reine zu bringen, solange er dazu noch in der Lage war, trieb den alten Mann an.

Bitte nicht! dachte Matteo, schwieg aber und ließ seinen Großvater reden.

„Frag mich nicht, wie ich zu ihnen gekommen bin. Ein alter Mann darf seine Geheimnisse für sich behalten …“

Matteo verzog keine Miene, während Giovanni im Geiste in die Vergangenheit eintauchte. „Als ich damals nach Amerika auswanderte, besaß ich nur Plunder – und meine besonderen Schätze. Sie bedeuteten mir mehr, als du dir je wirst vorstellen können. Doch um zu überleben, musste ich sie verkaufen …“ Er brach ab und suchte nach einer Regung in Matteos blassem, angespanntem Gesicht. „Erinnerst du dich jetzt?“

„Nein.“ Langsam hatte Matteo genug von den kryptischen Andeutungen. Er sah keinen Sinn darin, in die Vergangenheit abzutauchen, und heute schon gar nicht. „Wollen wir nicht hier raus?“, schlug er vor. „Wir könnten in deinen Club fahren …“

„Matteo!“ Trotz ihres belasteten Verhältnisses liebte Giovanni seinen Enkel. Ihm war klar, dass er das Thema wechseln wollte, aber das brachte sie nicht weiter. „Ich muss dir etwas Wichtiges sagen.“

„Komm, lass uns fahren. Wir können doch auch unterwegs reden.“ Matteo hatte das absurde Gefühl, als würde sich eine Schlinge um seinen Hals legen.

„Ich werde sterben.“ Giovanni beobachtete die Reaktion seines Enkels, doch der ließ sich seine wahren Gefühle – wie immer – nicht anmerken.

„Das werden wir alle … irgendwann“, gab er in leichtem Ton zurück, während sein Herz wie ein Vorschlaghammer klopfte und sein Verstand sich weigerte, die niederschmetternde Nachricht zu akzeptieren. Der Gedanke, dass sein Großvater tatsächlich sterben könnte und die Familie sich an seinem Grab wiedersehen würde, verursachte ihm Übelkeit. Bis heute verfolgten ihn die Pressefotos von der Beerdigung seiner Eltern, von der Begräbnisprozession und von den sieben Kindern, die den Särgen ihrer Eltern gefolgt waren.

Nonno darf nicht sterben!

„Die Leukämie ist zurück“, sagte Giovanni ruhig.

„Was ist denn mit der Behandlung, die du damals bekommen hast?“ Vor siebzehn Jahren hatte ihn nur eine Knochenmarkspende retten können. Alle Enkel wurden getestet, doch niemand kam als Spender infrage. Schließlich hatte sein ältester Bruder Alessandro gestanden, dass er von einem Fehltritt seines Vaters wisse. Von einem weiteren Sohn. Zum Glück war es ihnen damals gelungen, ihn aufzuspüren. „Könnte Nate nicht noch einmal …“

„Eine Transplantation steht in meinem jetzigen Zustand nicht zur Disposition“, unterbrach ihn Giovanni. „Die Ärzte hoffen auf eine Remission. Wenn sie nicht eintritt, ist es nur noch eine Frage der Zeit. In Wahrheit bestenfalls ein Jahr.“

„Verdammt! Du weißt doch, wie ich Wahrheiten hasse“, brummte Matteo.

Sein Großvater lächelte. „Ja, ich weiß.“

Tatsächlich schien Matteo ständig davor zu fliehen: in Casinos, Clubs, waghalsige Eskapaden. Immer bereit, seinem Körper und den Hedgefonds, mit denen er ein Vermögen gemacht hatte, alles abzuverlangen.

Nichts wünschte Giovanni in diesem Moment mehr, als die verletzenden und zerstörerischen Worte gegen Matteo auslöschen zu können, weil er lange nicht zwischen Vater und Sohn hatte unterscheiden können. Bei aller Ähnlichkeit gab es doch gravierende Unterschiede. Als es mit Giovannis Gesundheit bergab gegangen war und seine Leistungskraft nachgelassen hatte, war es Matteo gewesen, der regelmäßig vorbeigekommen war und ihn dazu gebracht hatte, trotz aller Einschränkungen wieder am Leben teilzunehmen. „Ich möchte, dass du etwas für mich tust. Etwas, das mir sehr wichtig ist und das unbedingt erledigt werden muss, damit ich meinem Ende getrost entgegensehen kann.“

Matteo holte tief Luft und wappnete sich innerlich. Jetzt kam die Moralpredigt!

„Ich möchte, dass du mir einen meiner vermissten Schätze wiederbringst.“

Verblüfft wandte Matteo sich um und starrte seinen Großvater an, als habe der den Verstand verloren. „Wovon, um alles in der Welt, redest du da?“

„Von meinen verlorenen Kostbarkeiten!“ Langsam verlor Giovanni die Geduld mit seinem begriffsstutzigen Enkel. Mit steifen Schritten ging er zum Schreibtisch, zog eine Schublade auf und nahm ein Bild heraus.

Verblüfft sah Matteo, wie sich das Gesicht seines Großvaters beim Betrachten des Fotos erhellte und die trüben blauen Augen vor Aufregung glänzten. Giovannis Hand zitterte, als er seinem Enkel das Bild aushändigte. „Diese Halskette ist eine meiner ‚Verlorenen Geliebten‘.“

Misstrauisch begutachtete Matteo das abgebildete Schmuckstück: Eine ungewöhnliche, prachtvolle Smaragdkette, schlicht gearbeitet, aber zweifellos kostbar. „Weißgold?“

Sein Großvater schüttelte den Kopf. „Platin.“

Matteo schaute noch einmal genauer hin. Allein die funkelnden Smaragde, in der Größe von Rotkehlcheneiern, mussten ein Vermögen wert sein. Selbst auf dem Foto wirkten sie so plastisch, dass er das Bedürfnis verspürte, sie zu berühren. „Wir dachten immer, es wären vielleicht alte Münzen …“, murmelte er selbstvergessen.

„Also erinnerst du dich doch!“, triumphierte Giovanni.

„Nur daran, dass du uns dieses Märchen immer wieder erzählt hast.“ Er nahm die Halskette genauer unter die Lupe und stieß einen leisen Pfiff aus. „Die ist doch locker …“ Normalerweise konnte er derartige Dinge gut einschätzen, diesmal war er unsicher. „Millionen?“

„Fast.“

„Wer ist der Designer? Beziehungsweise der Juwelier …“

„Unbekannt“, unterbrach Giovanni ihn so brüsk, dass Matteo irritiert die Brauen zusammenschob. Bei einem derartig außergewöhnlichen Schmuckstück hätte er eine ganz besondere Geschichte vermutet.

„Dann hat diese Kette also mit deinen Anfängen hier zu tun?“ Langsam sah er klarer. Zur Überraschung aller war es Giovanni Di Sione damals gelungen, quasi aus dem Nichts ein Reederei-Imperium aufzubauen. Wenn er für das nötige Grundkapital derart exquisite Stücke veräußert hatte, war es kein Wunder, dass sein Unternehmen so rasant gewachsen war. Blieb die Frage: Wie kam ein junger sizilianischer Auswanderer in den Besitz so kostbarer Schmuckstücke?

Die Erklärungen seines Großvaters klangen ausweichend und verschwommen, so sehr Matteo auch drängte und nachhakte.

„Ich möchte, dass du die Kette findest und sie mir zurückbringst“, beendete Giovanni das unergiebige Frage- und Antwortspiel. „Ich habe sie vor sechzig Jahren an einen Mann namens Roche verkauft. Danach verliert sich ihre Spur.“

Wie sehr dieses Thema ihn bewegte, war nicht zu übersehen. Und Matteo konnte seine Neugier nicht bezwingen. „Und wie bist du zu ihr gekommen?“, versuchte er noch einmal sein Glück.

In Giovannis Mundwinkel stahl sich ein feines Lächeln. „Wie gesagt, ein alter Mann darf seine Geheimnisse …“

„Schon gut.“ Matteo erwiderte das Lächeln. Jetzt ergab dieses fast vergessene Märchen wenigstens mehr Sinn.

„Ich muss diese Kette wiederhaben!“

Beim Blick in die bittenden Augen seines Großvaters wünschte Matteo, über seinen Schatten springen und Giovanni sagen zu können, wie viel er ihm bedeutete. Und ihm außerdem zu sagen, dass er absolut nachvollziehen konnte, wie hart die Anfangsjahre für ihn gewesen sein mussten. Besonders, als er zu allem anderen auch noch die Obhut für sieben verwaiste Enkel hatte übernehmen müssen.

Doch mehr als ein Lächeln brachte Matteo nicht zustande, also nickte er nur.

1. KAPITEL

Matteo mochte Ellison nicht.

Mit stoischer Miene ließ er seinen Blick über die Jagdtrophäen wandern, die alle vier Wände des Arbeitszimmers zierten, bevor er sich wieder dem Mann hinter dem massigen Mahagonischreibtisch zuwandte.

„Sehe ich aus, als würde ich Geld brauchen?“, schnarrte Ellison.

Mit einem lässigen Schulterzucken überspielte Matteo, wie sehr ihn die Reaktion auf sein großzügiges Angebot überraschte. Bisher war es ihm weder gelungen, den Designer der außergewöhnlichen Halskette aufzuspüren, noch den Juwelier, der sie verkauft hatte. Dafür hatte er herausgefunden, dass Roche die Kette vor mehr als zwanzig Jahren an Ellison veräußert hatte.

Er war dem Mann auf verschiedenen Fundraising-Galas begegnet und wusste daher, dass Ellison verrückt nach Macht und Geld war. Darum sollte ihm ein besonders raffinierter Schachzug die Halskette sichern: eine mehr als üppige Spende, um Ellisons politische Ambitionen zu unterstützen.

Gezündet hatte seine grandiose Idee bisher leider noch nicht.

„Die Kette war ein Geschenk für meine verstorbene Frau …“

Dank entsprechender Hintergrundinformationen wusste Matteo, dass Ellison nicht der untröstliche Witwer war, für den er sich ausgab. Trotzdem spielte er das Spiel mit. „Das tut mir sehr leid“, sagte er ruhig und stand auf. „Es war taktlos von mir, überhaupt danach zu fragen. Trotzdem, vielen Dank, dass Sie mich empfangen haben“, schloss er mit einem höflichen Lächeln und streckte die Hand aus.

Ellison ignorierte sie, und Matteo wusste, dass seine Chancen, das Haus mit der Halskette zu verlassen, drastisch stiegen. Es war nur eine Frage der Zeit.

„Allerdings empfinde es ich als wahre Schande, ein so wundervolles Schmuckstück unter Verschluss zu halten“, formulierte Ellison bedächtig. „Setzen Sie sich, Sohn.“

Er hasste es, so genannt zu werden – egal, wie alt sein Gegenüber sein mochte.

Es war nicht mehr als ein Machtspielchen, ein Kräftemessen. Eine Chance, Oberhand zu gewinnen. Aber da Matteo diese momentan innehatte, machte er gute Miene zum bösen Spiel und nahm wieder Platz. Wenn du wüsstest, wie wenig ich dich mag, dachte er und sah grimmig zu, wie Ellison zwei Drinks mixte.

„Wie kommt es, dass Sie sich ausgerechnet für diese Halskette interessieren?“

„Ich habe ein Faible für wahre Schönheit“, behauptete Matteo geschmeidig und erntete dafür ein süffisantes Lächeln.

„Genau wie ich.“ Natürlich wusste Ellison, wer sein Gast war. Jeder kannte die Di Siones. Und ebenso gut kannte jeder Matteos geradezu legendären Ruf als Womanizer. Oh ja, Matteo Di Sione hatte wahrhaftig einen ausgeprägten Sinn für Schönheit.

„Sind Sie und die Prinzessin nicht …“

„Ich habe keine Beziehung“, unterbrach Matteo ihn kühl, und Ellison lachte.

„Gut zu hören.“ Es hätte nur noch gefehlt, dass Ellison sich die Hände rieb. „Wie weit sind Sie bereit zu gehen? Mit Ihrem Angebot, meine ich.“

„Wie viel wollen Sie denn haben?“

„Nicht wie viel, sondern wie weit ist die Frage, Sohn“, korrigierte Ellison ihn, und Matteo wäre fast erneut aufgestanden, um zu gehen „Ich glaube nämlich, Sie lieben nicht nur die Schönheit, sondern auch Herausforderungen.“

„Wohl wahr.“

„Und wenn es stimmt, was ich über Sie gelesen habe, lassen Sie sich auch nicht von extrem hohen Einsätzen schrecken.“

„Nein.“ Im Gegenteil, je höher und riskanter, umso besser. Aber das musste er ja nicht laut sagen.

„Kommen Sie her“, forderte Ellison. „Und sehen Sie sich das an.“ Kurz darauf standen beide Männer vor einem Foto von Ellison, seiner Frau und ihren zwei Töchtern. „Dieses Bild ist vor zwölf Jahren bei einer unserer Charity-Galas aufgenommen worden.“

„Ihre Gattin war eine sehr schöne Frau.“ Und steinreich, fügte Matteo in Gedanken hinzu. Ein Großteil von Ellisons Vermögen stammte aus der Familienschatulle seiner Frau.

„Anette war außerdem eine starke Persönlichkeit mit unnachahmlicher Contenance. Am Tag, bevor dieses Foto aufgenommen wurde, hatten wir einen furchtbaren Streit. Sie war dahintergekommen, dass ich mit meiner Assistentin schlief. Und doch ist ihr auf diesem Bild absolut nichts anzumerken, oder?“

„Nein.“ Gedankenvoll betrachtete Matteo die attraktive Frau, die neben ihrem Gatten stand und zu ihm hochlächelte. „Absolut nicht.“ Ellisons Enthüllung schockiert ihn keineswegs, er fühlte sich einfach nur abgestoßen und wandte seine Aufmerksamkeit den beiden Töchtern zu.

Zwei makellose Produkte einer typischen Vorzeigefamilie der oberen Zehntausend.

Eine gekleidet in dezentem Steingrau, die andere in Beige, beide mit exquisiten Perlenketten um den schlanken Hals. Eine trug ihr Haar hochgesteckt, die andere …

Matteos Mundwinkel hoben sich, als er die jüngere der beiden genauer unter die Lupe nahm. Das dunkle wellige Haar wirkte trotz des violetten Satinbands ungezähmt. Die Augen funkelten ärgerlich. Ihr Lächeln war gezwungen. Und die Hand des Vaters auf ihrer Schulter ähnelte keiner vertraulichen Geste der Zuneigung, sondern sah aus, als wolle er seine Tochter daran hindern, der gestellten Szene zu entfliehen.

„Das ist Abby.“ Ellisons abgrundtiefer Seufzer ließ Matteo vermuten, dass er nicht gerade vor Stolz auf seine jüngste Tochter platzte, sondern sie eher als Nagel zu seinem Sarg betrachtete. „Schauen Sie sich das an“, forderte er Matteo auf und wies auf ein anderes gerahmtes Foto. „Das ist etwa …“ Er runzelte die Stirn. „Da war Abby ungefähr fünf, dann muss es zweiundzwanzig Jahre her sein.“

Abbys Augen waren rot. Nein, eigentlich eher strahlend smaragdgrün, entschied Matteo bei näherer Betrachtung. Aber ganz offensichtlich hatte sie geweint.

„Die einzige Chance, sie in einem Kleid zu fotografieren, war, ihr ein Spielzeugauto in die Hand zu drücken. Schon damals war sie von Autos geradezu besessen.“

Matteo hatte keine Ahnung, wohin das führen sollte, ließ Ellison aber weiterplappern, da er früh gelernt hatte, dass umfassende Informationen die solideste Basis für zukünftige Erfolge waren. Aus den Augenwinkeln betrachtete er dabei die Halskette, die Anette auf dem Familienporträt trug. Es war das spektakuläre Schmuckstück, nach dem sein Großvater sich nahezu verzehrte.

„Abby war völlig aufgelöst, weil wir an dem Tag ihre Nanny entlassen haben. Beide Mädchen hingen wie die Kletten an ihr, aber meine Frau hatte sich trotzdem durchgesetzt.“

Ah, langsam dämmert es mir! Matteo hatte Mühe, seinen Ekel zu verbergen, angesichts der Erkenntnis, dass offenbar nicht nur Ellisons kleine Töchter sich zu der Nanny hingezogen gefühlt hatten.

„Und dies ist das letzte Foto von meiner Tochter in einem Kleid.“ Mit resignierter Geste wies Ellison auf ein weiteres Bild. Es zeigte Abby auf einem roten Teppich, an ihrer Seite ein attraktiver blonder Hüne.

Der Mann kam Matteo irgendwie bekannt vor.

„Hunter Coleman“, sagte Ellison und Matteo nickte, weil er ihn jetzt einordnen konnte. Hunter war ein berühmter Rennfahrer, und seine Reputation, was den Umgang mit Frauen anging, stand der von Matteo in nichts nach.

„Abby und er gingen eine Weile miteinander aus. Wie auch immer, Automobile waren von jeher ihre größte und dauerhafteste Liebe. Wenn ich sie früher finden wollte, musste ich nur in die Garage gehen, wo sie unter dem Bentley lag oder den Motor aus meinem Jaguar ausbaute. Ich habe alles versucht, ihr diese unselige Leidenschaft auszutreiben. Es schickt sich einfach nicht für eine junge Frau ihres Standes.“

Ellison seufzte erneut, und Matteo hätte sich fast vor Widerwillen geschüttelt.

„Als sie aus dem College kam, entschied sie sich für ein Modedesign-Studium und fing an, sich mit Hunter zu verabreden. Ich hoffte, dass sie die jungenhaften Flausen überwunden hätte. Das Problem ist nur, im Gegensatz zu ihrer Mutter war meine jüngere Tochter noch nie bereit, Ratschläge von mir anzunehmen. Nein! Abby musste natürlich die Fahrtechnik eines Weltklasse-Rennfahrers kritisieren, und zwar auf ihre ganz eigene Art.“

Matteo lachte kurz auf und betrachtete das Bild erneut. Hunters Finger lagen fest um Abbys Handgelenk, und ihr Blick erschien ihm diesmal nicht trotzig oder verärgert, sondern … Er kniff die Augen zusammen und sah noch genauer hin.

Wachsam, ja, das traf es. Trotz des breiten Lächelns war es nicht das Gesicht einer glücklichen jungen Frau, in das er gerade schaute.

„Was soll ich sagen, sie hat ihn abgeschossen!“ Offenbar schockierte das Ellison bis heute. „Der Himmel weiß, worauf dieses Mädchen wartet. Auf jeden Fall schmiss sie dann auch noch ihr Modedesign-Studium und wechselte zu Maschinenbau. Jetzt ist sie …“

„Das Boucher Team!“ Endlich konnte Matteo sie unterbringen. Nicht speziell über Abby, aber über das aufstrebende Rennteam hatte er tatsächlich in letzter Zeit einiges läuten hören.

„Boucher war der Mädchenname meiner Frau“, informierte Ellison ihn trocken. „Auf jeden Fall ist es ein ziemlich kostspieliges Hobby.“

„Kann ich mir vorstellen.“

„Das glaube ich kaum“, behauptete Ellison und schüttelte den Kopf. „Besonders, wenn die Rennstallbesitzerin eine genossenschaftliche Unternehmensführung rigoros ablehnt und zahlungswillige Sponsoren brutal vor den Kopf stößt! Erst letzte Woche habe ich Abby nachdrücklich klargemacht, dass sie auf mich nicht zählen kann.“

„Hat sie denn um Ihre Unterstützung gebeten?“

Noch nicht!“, trumpfte Ellison auf. „Aber der Großteil des Fonds, den ihre Mutter ihr hinterlassen hat, ist bis zu ihrer Hochzeit oder ihrem dreißigsten Geburtstag fest angelegt. Dass Abby sich, von egal wem, vor den Altar zerren lässt, ist vollkommen ausgeschlossen. Was bedeutet, sie steht noch weitere drei Jahre ohne Einkommen da.“

„Warum erzählen Sie mir das alles?“

Schlagartig änderte sich Ellisons Gesichtsausdruck. Aus dem frustrierten Vater wurde im Sekundenbruchteil ein Optimismus versprühender Senatsanwärter. „Wie Sie bestimmt wissen, habe ich mich nach einer angemessenen Trauerzeit dazu entschlossen, in die Politik zurückzukehren. Im Juli beabsichtige ich, auf Drängen vieler treuer Freunde, die erste Spenden- beziehungsweise Benefiz-Gala nach dem Tod meiner Frau abzuhalten. Ich habe Abby versprochen, ihr für den Fall, dass sie auf der Party erscheint und mir zur Seite steht – natürlich nicht in Jeans und ölverschmiert – eine finanzielle Unterstützung für die nächste Zeit zu gewähren.“

„Und? Hat sie zugesagt?“

„Noch nicht.“ Ellisons Miene verfinsterte sich. „Aber ich brauche sie hier. In der Politik ist Image einfach alles. Und ich möchte nicht den Hauch eines Zweifels oder einer vermuteten Missstimmung kolportieren. Meine ältere Tochter Annabel weiß, was sie zu tun hat. Aber ich brauche Abby, um das Bild perfekt zu machen. Mit der Halskette ihrer Mutter und wenigstens einmal als Frau erkenntlich!“

Noch mehr Frau als auf den Fotos? schoss es Matteo durch den Kopf.

„Können Sie sich das vorstellen?“

„Pardon?“

„Sie sagten, dass Sie Herausforderungen lieben. Und Frauen. Das ist der Deal: Wenn Sie es schaffen, dass Abby ladylike hier auftaucht und ihren Part spielt, gehört die Halskette am Ende der Nacht Ihnen.“

„Wie könnte ich sie überzeugen, wenn nicht einmal Sie …“, überlegte Matteo laut und brach ab, als er Ellisons bedeutungsvollem Blick begegnete. „Keine Chance!“

Ellison lachte spröde. „Ich verlange nicht, dass Sie Abby verführen, Sohn! Ich befürchte, so weit würden selbst Sie nicht bei ihr kommen. Gerüchte besagen, dass meine Tochter sich überhaupt nicht für Männer interessiert.“

Dass Matteo den Mann nicht mochte, war absolut untertrieben. Er ekelte sich geradezu vor Ellison.

„Seit Hunter hat es in ihrem Leben keinen Mann mehr gegeben, was in der Öffentlichkeit natürlich nicht unbemerkt geblieben ist.“ Stirnrunzelnd betrachtete Ellison das Foto seiner jüngeren Tochter. „Allein schon, um den Gerüchten entgegenzuwirken, will ich sie hier haben, in elegantem Kleid und kostbarem Schmuck, mit einem attraktiven Mann an ihrer Seite.“ Jetzt nahm er Matteo mit einem bemerkenswert scharfen Blick ins Visier. „Sie könnten Abby gegenüber als potenzieller Sponsor auftreten, der ein erkleckliches Sümmchen in ihr Rennteam investieren will.“

„Wir haben April“, warf Matteo ein. „Ihre Spenden-Party findet, wie ich verstanden habe, im Juli statt. Wie lange soll ich denn den investitionswilligen Sponsor spielen, ohne mich zu ruinieren?“

„Da ich Ihnen die Halskette im Erfolgsfall quasi schenke, dürften die Investitionskosten kaum den Wert des Schmuckstücks übersteigen“, konterte Ellison unbeeindruckt.

„Und wenn sie trotzdem nicht zu Ihrer Party kommt?“

„Dann gibt es keine Kette.“

Matteo war kurz davor, dem alten Widerling einen Kinnhaken zu verpassen, als Ellison sich abwandte, zum Safe ging und kurz darauf mit einer polierten Holzschachtel zurückkehrte, die er ihm aushändigte.

Grundgütiger! schoss es Matteo durch den Kopf, als er die Schatulle aufschnappen ließ. Das Foto, das Giovanni ihm schon wie einen kostbaren Schatz präsentiert hatte, wurde dem Original nicht annähernd gerecht. Wie, zur Hölle, ist Giovanni an ein Schmuckstück gekommen, das als Lösegeld für einen König herhalten könnte? Zumindest verstand Matteo jetzt, warum er die Kette unbedingt wieder in seinen Besitz bringen wollte.

Ihn selbst hatten Juwelen nie besonders interessiert oder beeindruckt. In diesem Fall jedoch war es anders.

Ellison seufzte. „So sehr ich es mir wünsche … ich bezweifle, dass es Ihnen tatsächlich gelingt, Abby in ein Galakleid zu bekommen.“

Matteo warf Ellison einen scharfen Blick zu, sah noch einmal kurz auf die Kette – und natürlich nahm er den väterlichen Seufzer als das an, was er war: ein Fehdehandschuh, eine Herausforderung. Und dazu hatte er noch nie Nein gesagt.

Sein Entschluss stand fest. „Geben Sie mir die Kontaktdaten ihrer Tochter.“

2. KAPITEL

In einem Punkt musste Matteo Abbys Vater widerstrebend recht geben: Was die gängigsten Gepflogenheiten im Wirtschaftsleben betraf, schien Abby ein Versager zu sein.

Oder Verweigerer? Beides war wenig kooperativ, im schlimmsten Fall sogar extrem geschäftsschädigend.

Zwei Wochen wartete er auf eine Antwort-Mail von ihr, die dann auch nicht vor Interesse und Enthusiasmus strotzte, sondern eher kühl klang. Natürlich befasste er sich daraufhin intensiver mit dem Boucher Team.

Wenn er selbst schon ein bekennender Risiko-Junkie war, toppte Abby Ellison ihn um Längen. Es war ihre zweite Saison im internationalen Rennzirkus und das beste Ergebnis ein fünfter Platz im letzten Jahr. Für gewöhnlich belegten sie den letzten oder bestenfalls vorletzten Platz. Aktuell hatte sich das Team für den Henley Cup qualifiziert, ein internationales Prestige-Event, das über drei Rennen ging.

Niemand schien zu erwarten, dass sie dabei eine führende Rolle spielen würden. Die Presse hielt das Boucher Team für kaum erwähnenswert.

Schlussendlich beschloss Matteo, Abby einfach anzurufen. Als überschwänglich konnte man ihre Reaktion wahrlich nicht bezeichnen, als sie ihn knapp informierte, dass sie sich nicht treffen könnten, da sie schon halb auf dem Weg nach Dubai sei.

„Was für ein Zufall! Genau wie ich …“

„Pardon?“

„Dort finden gerade ein paar interessante Pferderennen statt, die ich mir anschauen will. Außerdem plant meine Schwester, die dort lebt, Anfang Mai ein Charity-Event. Warten Sie …“ Matteo checkte seinen Terminkalender. „Ja, es ist erst am kommenden Samstag. Wie wäre es also mit Lunch am Freitag?“

„Mittags habe ich keine Zeit.“

„Dann zum Dinner?“, ließ er nicht locker … und als nichts kam: „Frühstück?“

„Sie könnten kurz auf der Rennstrecke vorbeischauen.“

„Bestens“, sagte Matteo. „Ich freue mich auf unser Treffen …“

Doch das hörte Abby nicht mehr, weil sie längst aufgelegt hatte.

Die Hitze in Dubai war unerträglich. Von der extrem hohen Luftfeuchtigkeit ganz zu schweigen! Unnötig zu erwähnen, dass Matteo seinen Kater lieber in der klimatisierten Hotelsuite auskuriert hätte, anstatt am Rand einer Rennstrecke. Die sengende Sonne schien von allen Seiten zu brennen, während er sich missmutig auf den Weg zum Boucher Rennstall machte.

Matteo war bereits seit drei Tagen in Dubai. Seit drei tollen, aufreibenden Tagen!

Der erste verflog als ausgelassene Willkommensparty auf der Yacht seines Freundes Scheich Kedah. Dieser schien eisern entschlossen, sich für die wilde Woche zu revanchieren, die Matteo in New York City für ihn organisiert hatte. Den zweiten Tag verbrachte Matteo mit seinem Freund am Strand, wo sie in einem privaten, halsbrecherischen Galopprennen gegeneinander antraten, das für Matteo vorzeitig endete, als er sich bei einem Sturz vom Pferd das Schultergelenk auskugelte. Kedah verständigte auf der Stelle seinen Leibarzt, der ihn wieder einrenkte.

Doch mit dem Arm in der Schlinge war Matteo für ihn kein ernstzunehmender Gegner mehr, also verbrachten sie den Rest des Tages mit ein paar Wetten bei einem Kamelrennen. Die drohenden zwei Jahre Gefängnis für illegale Wetten bedeuteten für Matteo nur einen zusätzlichen Anreiz.

Nach diesem äußerst erfreulichen Auftakt hatte es ihn jetzt offensichtlich zurück auf den Boden der harten Realität katapultiert. Der Geruch von Motoröl verursachte ihm Übelkeit, und das Röhren der Motoren brachte seinen malträtierten Schädel fast zum Platzen. Dazu war ihm die Armschlinge noch irgendwo abhandengekommen, weshalb seine verletzte Schulter höllisch schmerzte.

Und Abby Ellison schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Da es nach sechzehn Uhr war, fragte Matteo sich, ob sie vielleicht schon Feierabend gemacht hatte. Eine Gruppe Männer sah zu, wie Bouchers Fahrer Pedro in seinem Boliden über die Rennstrecke heizte. Dass es Pedro war, wusste Matteo, weil er das dunkle Grün der Boucher Rennwagen erkannte.

Seine Recherche hatte natürlich noch mehr ergeben.

Das Boucher Team nahm am prestigeträchtigen Henley Cup teil, der aus einer Serie von drei Rennen bestand – Dubai, Mailand und Monte Carlo. Das letzte Rennen fand im Juli, eine Woche vor Ellisons Spenden-Gala statt.

Als Newcomer im Rennzirkus wurde das Boucher Team nicht ernst genommen. Umso weniger, da der Rennstallbesitzer auch noch eine Frau war. Daddys Girl: ebenso reich wie gelangweilt und unausgelastet, lautete das allgemeine Urteil.

Bei Pedro Sanchez, ihrem Fahrer, sah das schon anders aus. Es gab genügend Rennexperten, die ihn beobachteten und verschiedene Rennställe, die ernsthaftes Interesse an ihm bekundeten.

Unbeachtet von der Männertruppe an der Rennstrecke, hielt Matteo sich im Hintergrund. Er labte sich an seiner Literflasche eisgekühlter Cola und beobachtete träge das Geschehen auf dem Kurs. Oder besser, anfangs träge …

Da seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren, hatte er sich nie besonders fürs Autorennen erwärmen können. Nur einmal hatte sein Vater ihn als Fünfjährigen zu einer vergnüglichen Ausfahrt mitgenommen – ein Horrortrip, an den Matteo keine guten Erinnerungen hatte!

Das hier jedoch war etwas völlig anderes.

Pedro jagte den Wagen so souverän über die Piste, als laufe er auf Schienen. Und jedes Mal, wenn der Bolide mit röhrendem Motor an ihnen vorbeiraste, bekam Matteo eine Gänsehaut, aber eine der angenehmen Sorte.

„Uaah!“, stieß einer der Männer hervor, als der Wagen abzuheben drohte, doch in letzter Sekunde zwang Pedro ihn wieder auf den Boden zurück und war auch schon außer Sicht. In der nächsten Runde näherte er sich ihnen im normalen Tempo, wurde immer langsamer und kam genau vor der Männertruppe zum Stehen.

„Hey …“

Matteo hatte sich bereits abgewandt, drehte sich bei dem Anruf aber wieder um und blinzelte irritiert.

„Pedro?“ Dank ausgiebiger Recherche erkannte er den jungen Rennfahrer sofort und ergriff dessen ausgestreckte Hand. „Sorry, ich wollte nicht unhöflich sein, aber ich vermutete Sie da draußen auf der Rennstrecke. Ich wusste nicht, dass es zwei Fahrer im Boucher Team gibt.“

„Nein, nein, mich werden Sie gleich noch fahren sehen“, erklärte Pedro grinsend. „Das da ist Abby. Sie wollte nach ein paar technischen Änderungen an ihrem Baby einen kurzen Check machen.“

Matteo schaute zurück zum Rennwagen und hielt den Atem an, als er die schmale Gestalt in Leder sah, die sich aus dem flachen Boliden schälte. Ganz offensichtlich kein Mann, wie er jetzt unschwer erkannte. Und prompt war sie wieder da, die Gänsehaut, diesmal verbunden mit einem verräterischen Ziehen in der Lendengegend.

Bisher hatte er nicht gewusst, wie sexy ein Lederoutfit sein konnte, das vom Hals bis zu den Fingerspitzen und hinunter bis zu den Knöcheln reichte! Der Rennsport hatte offensichtlich mehr zu bieten, als ihm bisher bewusst gewesen war.

Fasziniert beobachtete er, wie die Fahrerin Helm und Feuerschutz abnahm, bevor sie mit einer unglaublich weiblichen Geste das lange glänzende Haar ausschüttelte. Sie war groß, schlank und mit genügend hinreißenden Kurven versehen, um als echte Beauty durchzugehen. Hätte sie jetzt noch ein Lächeln auf den vollen Lippen, würde er es bereitwillig erwidern …

Immerhin bescheinigte man ihm ein Lächeln, das Eisberge zum Schmelzen brachte. Andererseits war er nicht hier, um Miss Ellison zu bezirzen, sondern um ihr ein geschäftliches Angebot zu unterbreiten.

„Ich habe gehört, Sie haben ein Meeting mit Abby?“

„So ist es.“

„Gut“, meinte Pedro, und Matteo hörte einen leisen, aber deutlich vernehmbaren Misston in seine Stimme. „Dann wird es Zeit, Ihnen einen kleinen Eindruck von meinem Fahrstil zu vermitteln.“ Er schaute zu Abby hinüber und fragte: „Und, wie ist sie?“

„Jetzt läuft sie perfekt und schnurrt wie ein Kätzchen.“

Sie sprachen von dem Rennwagen wie von einem Menschen!

„Ich habe sie ein bisschen für dich aufgewärmt“, sagte Abby, als Pedro an ihr vorbei auf den Wagen zusteuerte. Sie schien Matteo erst jetzt zu bemerken. „Di Sione?“

„Ja.“ Er lächelte. „Aber Sie können mich Matteo nennen.“

Sein Lächeln wurde nicht erwidert. Stattdessen wandte Abby sich Pedro zu, der gerade in den Rennwagen kletterte. Wenn sie mit potenziellen Sponsoren immer so umsprang, wunderte er sich nicht über den Engpass beim Boucher Team.

„Wie lange hat Pedro hier schon unter diesen Bedingungen trainieren können?“, fragte Matteo und wollte eigentlich wissen, wie lange er wohl brauchen würde, um sich an dieses Klima zu gewöhnen.

„Lange genug.“ Immer noch war ihre volle Aufmerksamkeit auf Pedro gerichtet, der in Startposition ging, um ein paar Runden zu drehen.

„Warum gehen wir nicht …“ Matteo brach ab, weil der Motorenlärm seine Stimme übertönte. Er versuchte es noch einmal, als von Pedro nur noch eine Staubwolke zu sehen war. „Warum gehen wir nicht irgendwo hin, wo wir in Ruhe reden können?“

Diesmal antwortete sie erst, nachdem Pedro die ersten Runden gedreht hatte. „Ich glaube nicht …“

„Wie bitte?“

„Dass ich einen Investor brauche, der mich von meiner Arbeit ablenken will.“

„Aber Pedro ist fertig.“

„Ich will noch die Konkurrenz sehen.“

„Aber Sie brauchen einen Investor“, versuchte Matteo einen erneuten, etwas energischeren Vorstoß.

Nicht diesen! dachte Abby.

Natürlich war ihr der Name Di Sione ein Begriff, und ebenso selbstverständlich hatte auch sie Hintergrundrecherchen betrieben. Rücksichtslos, wild und ausschweifend waren die herausragenden Attribute, die die Regenbogenpresse Matteo Di Sione bescheinigte. Nachdem sie außerdem etliche Fotos ihres potenziellen Sponsors angeschaut und ein bisschen mehr über ihn gelesen hatte, kam Abby zu dem Schluss, dass er darüber hinaus extrem sexy und gefährlich war. Genau die Sorte Mann, mit der sie rein gar nichts anfangen konnte.

Um es auf den Punkt zu bringen: Matteo Di Sione machte ihr Angst.

Sie hatte ihn bereits im Visier gehabt, als sie noch im Rennwagen gesessen hatte. In Fleisch und Blut war er noch besser als auf Fotos, was ihr verräterischer Puls ihr bestätigte. Abby war auch nicht entgangen, wie er mit seinen unverschämt blauen Augen ihren Körper gescannt hatte, als sie auf ihn zugegangen war. Dass ihre Wangen nun wie Feuer brannten, verdankte sie allein diesem Blick.

„Kann ich vielleicht Ohrstöpsel bekommen?“ Ein anderes Team testete nun seinen Boliden, was Matteos Kater ihm ernsthaft übel nahm. „Wir können uns ja mit Zeichensprache verständigen, wenn Sie unbedingt hier bleiben wollen. Oder wir unterhalten uns irgendwo anders gepflegt.“

„Gepflegt?“ Abby runzelte die Stirn. Der will ein ernstzunehmender Sponsor fürs Boucher Team sein? fragte sie sich gereizt. Weiß er denn nicht, dass statt Blut Motoröl durch meine Adern fließt?

Angespannt verfolgte sie, wie Evan seinen Wagen über die Bahn lenkte. Diesem Moment hatte sie den ganzen Tag entgegengefiebert. Evan Lewis, Fahrer vom Carter Team, war einer von Bouchers gefährlichsten Konkurrenten. Ihre Freundin Belle, mit der Abby Maschinenbau studiert hatte, arbeitete für sein Team und hatte ihr anvertraut, dass der Rennwagen in Kombination mit diesem Fahrer nur ein Attribut verdiente: Poetry in Motion … Poesie in Bewegung.

Jetzt bekam sie endlich Gelegenheit, das live in Augenschein zu nehmen, und schaffte es nicht, sich auf Evan zu konzentrieren. Neben ihr trank Matteo ständig aus seiner Colaflasche, was sie daran erinnerte, wie durstig sie war. Und als sie sich unbewusst mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen fuhr, bot er ihr die Flasche an, als wären sie seit Ewigkeiten beste Kumpel.

Sie schüttelte nur knapp den Kopf, worauf er nach vorn an die Bande ging, um sich mit den Ellenbogen abzustützen.

Verdammt! Sie brachte es einfach nicht fertig, den Blick von seinem breiten Kreuz und den langen Beinen zu lösen. Das weiße, leicht knitterige Leinenhemd ließ seine Haut noch dunkler erscheinen, aber er wirkte trotz der Hitze nicht verschwitzt. Eben war ihr eine frische Narbe über seiner linken Braue aufgefallen, und Abby fragte sich, wie er wohl zu ihr gekommen war. Und jetzt stellte er zu allem Überfluss auch noch die Colaflasche neben sich auf dem Boden ab und knöpfte sich das Hemd auf.

Was, zur Hölle …

Matteo drehte sich um, schnitt eine kleine Grimasse und bedachte sie mit einem schiefen Lächeln, während er aus dem Leinenhemd eine Schlinge knotete, sie umlegte und seinen Arm reinhängte. „Hab mir die Schulter verletzt“, erklärte er.

Weder gab Abby einen Kommentar dazu ab, noch erwiderte sie sein Lächeln, stattdessen marschierte sie einfach davon. Langsam reichte es Matteo. Er würde einen anderen Weg finden müssen, um an Giovannis Kette zu kommen. Denn wenn Abby einen zukünftigen Sponsor schon so begrüßte, konnte er sich lebhaft vorstellen, wie sie reagierte, wenn er ihr eröffnete, dass sie auf ihres Vaters Fundraising-Party erwartet wurde. Und erst recht, wenn sie erfuhr, welches Outfit sie dabei tragen sollte.

„Nur zu Ihrer Information …“, sagte Matteo grimmig, sobald er sie eingeholt hatte. „In diesem Moment verlieren Sie einen Sponsor, der weder den Drang verspürt, sich über Gebühr einzumischen, noch Ihnen Zeit zu stehlen, die Ihnen offenbar kostbarer ist als Geld. Ich ziehe mein Angebot zurück, da ich mit Ihnen nicht geschäftlich verbunden sein will, Miss Ellison. Leider sind Sie ebenso rüde wie unprofessionell.“ In diesem Moment sah er so etwas wie ein Lächeln in den grünen Katzenaugen aufblitzen.

„Und nicht besonders umgänglich“, fügte er hinzu.

„Stimmt, das bin ich alles nicht“, gab sie zu und entwaffnete ihn damit.

Jetzt trafen sich ihre Blicke, und zum ersten Mal spürte Matteo einen Kontakt zwischen ihnen. Vielleicht konnten sie doch zusammenarbeiten.

„Okay, ein Normalmaß an Höflichkeit würde mir schon genügen“, lenkte er ein.

Abby maß ihn mit einem langen abschätzenden Blick. Es gefiel ihr, wie offen er seinen Ärger geäußert hatte und dass er sich nicht übermäßig einmischen wollte. Das war nämlich der ausschlaggebende Grund für die Trennung von ihrem bisherigen Sponsor gewesen.

„Höflich kriege ich hin.“

„Gut.“ Matteo trank seinen letzten Schluck Cola. „Ich muss langsam etwas essen.“

Was Abby darauf sagte, ging im Motorenlärm unter. Er sah nur, wie sich ihr Mund bewegte.

Hilflos hob er die Schultern und zuckte prompt vor Schmerz zusammen. „Ich kann Sie nicht hören.“

Jetzt war es Abby, die auf Matteos Mund starrte.

„Dinner?“, schlug er vor, und da keine Reaktion erfolgte, noch einmal lauter in eine kurze Lärmpause hinein. „Dinner?“

„Hier?“

Irritiert sah Matteo sich um. Da das Rennen erst nächste Woche stattfand, waren noch keine Catering-Unternehmen vor Ort. „Tja, ich würde zwar ein nettes Dinner in meinem Sterne-Hotel vorziehen, aber wenn Sie darauf bestehen, können wir auch hier dinieren. Gibt’s in Dubai Hotdogs?“

„Hotdogs vielleicht nicht gerade …“ Sie brach ab und krauste die Stirn. Der Mann wollte mit ihr übers Big Business sprechen, da war Fast Food wahrscheinlich nicht angemessen. Doch bevor sie seinem Vorschlag zustimmte, wollte sie etwas klarstellen. „Wenn Sie davon sprechen, in Ihrem Hotel zu essen, meinen Sie das Restaurant, oder?“

„Natürlich, was denn sonst?“ Matteo grinste bei ihrer immer noch skeptischen Miene. „Sie sollten nicht alles glauben, was Sie über mich lesen, Abby. Ich mag ja schnell sein, aber so schnell dann doch nicht.“

Da lachte sie.

Matteo hatte nicht gewusst, was für ein seltenes Geräusch das war.

„Wollen wir uns dort treffen?“

„Sicher.“

Er nannte ihr den Namen seines Hotels.

„Ich ziehe mich nur noch schnell um.“

„Bitte …“ Bitte nicht, hatte er sagen wollen. Sie sah einfach hinreißend aus. Von Kopf bis Fuß in enges Boucher-grünes Leder gehüllt. Doch etwas riet ihm, sich zurückzuhalten. „Okay, wir treffen uns in einer Stunde. Ist es in Ordnung, wenn ich mich hier noch ein wenig umsehe, bevor ich fahre?“

„Natürlich.“

Einer der Mechaniker bot Matteo an, ihn durchs Trainingslager zu führen. Allein der logistische Aufwand, der hier betrieben wurde, faszinierte ihn. Eine komplette Wand rund um den Kurs, errichtet aus Stapeln von Autoreifen. Und das für ein einziges Rennen.

Abby stand mit gerunzelter Stirn vor ihrem Spind. Sie wusste nicht, was sie anziehen sollte und war unglaublich nervös. Natürlich bekam sie häufiger Einladungen zum Dinner oder Lunch, nur nicht von jemandem, der so attraktiv war und sie auch noch zum Lachen brachte.

Sie wusste, dass sie sich nicht gerade damenhaft benahm und manchmal etwas kratzbürstig rüberkam, aber so barsch wie heute gab sie sich nur selten. Allerdings hatte das einen triftigen Grund, den Matteo natürlich nicht kannte.

Also, was trägt man nun zum Dinner in einem Sterne-Hotel in Begleitung eines Womanizers, wenn man nichts weiter zur Auswahl hat als abgerissene Jeans, ein simples schwarzes T-Shirt und flache Sandalen?

Bestens! Mangels Masse: Problem gelöst! machte Abby sich über sich selbst lustig.

Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, fuhr sich kurz mit einer Bürste durchs Haar und schnitt ihrem Spiegelbild eine kleine Grimasse. Im Vorraum stieß sie auf Matteo, der den Absprung von der Rennbahn immer noch nicht geschafft hatte.

„Sorry, ich dachte, Sie wären mit dem eigenen Wagen da“, entschuldigte er sich. „Warum haben Sie denn nichts gesagt?“

„Weil …“ Sie brach ab und zuckte mit den Schultern.

„Kommen Sie.“ Auch Matteo setzte eine Sonnenbrille auf, bevor sie nach draußen, ins gleißende Licht traten.

Was ist nur mit dieser Frau los? überlegte Matteo auf dem Weg zu seinem Wagen. Es war, als scheue Abby keine Anstrengung, um möglichst unattraktiv auszusehen. Die Jeans waren viel zu warm, und was das unförmige T-Shirt betraf …

Plötzlich erschienen ihm Hotdogs als doch keine so schlechte Idee.

Matteo schaute nach unten – und stutzte. Was er da sah, war eine echte Premiere: unlackierte Fußnägel an einer Frau! Um sich so fertigzumachen hat sie eine halbe Stunde gebraucht?

„Glauben Sie, dass man in Ihrem Hotel etwas gegen Jeans einzuwenden hat?“, fragte Abby während der Fahrt.

„Nicht, wenn man sie trägt wie Sie…“, erwiderte Matteo charmant, wandte den Kopf und lächelte ihr zu. „Sie sehen einfach großartig aus.“

Abby konnte nicht anders als laut loszulachen. „Was für eine dreiste Lüge!“ Sie schüttelte den Kopf. „Als Entschuldigung muss gelten, dass ich nicht erwartet hatte, heute zum Dinner ausgeführt zu werden. Ich weiß sehr wohl, dass ich schlecht angezogen bin.“

„Für wen?“

Er schaffte es tatsächlich, sie zu entspannen. „Wie ist das mit Ihrem Auge passiert?“, fragte sie spontan.

„Ich bin vom Pferd gefallen. Dabei habe ich mir auch die Schulter ausgekugelt. Eigentlich müsste ich den Arm in einer Schlinge tragen.“

„Und warum tun Sie es dann nicht?“

„Ich habe sie irgendwo verloren.“

„Oh.“ Trotz Verletzung wirkte er umwerfend attraktiv. Sie fühlte sich neben ihm schrecklich farblos und langweilig. „Wir könnten kurz zu meinem Hotel fahren, damit ich mich noch schnell umziehe.“

„Nicht nötig.“ Obwohl … das Restaurant, in das sie fuhren, war ziemlich schick. Genaugenommen sogar sehr elegant und exklusiv. Glücklicherweise hatte er dort in Begleitung von Scheich Kedah innerhalb der letzten drei Tage extrem großzügige Trinkgelder verteilt, was ihm auch heute unter Garantie einen herzlichen Empfang bescheren würde.

„Ein Tisch für zwei“, orderte er daher nach einer überaus herzlichen Begrüßung durch den Empfangschef.

Ohne das geringste Anzeichen von Irritation führte dieser sie zu ihrem Tisch. Ohne die riesige Sonnenbrille und mit der Jeans außerhalb seines Sichtfeld gab Abby Ellison ein mehr als reizendes Bild ab. Tatsächlich war sie eine sehr schöne Frau.

Ihre Augen schimmerten in einem tiefen geheimnisvollen Grün und waren umrahmt von langen, dichten Wimpern. Und sie war die erste Frau, die ihm völlig ungeschminkt in einem Restaurant gegenübersaß.

So würde sie also am Morgen aussehen, nachdem sie …

Matteo rief sich streng zur Ordnung und richtete den Blick auf den arabischen Golf, heute besser bekannt als persischer Golf, wie er sich automatisch verbesserte.

„Ich liebe es, hier zu sein“, bekannte er zu seiner eigenen Überraschung. „Das hätte ich nicht gedacht. Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht genau, was mich hier erwartet.“

„Ich habe noch nicht viel von der Umgebung gesehen“, gestand Abby. „Wir sind erst gestern gelandet.“

Geschickt nutzte Matteo die Chance zum Themenwechsel. „Wie kommt Pedro eigentlich mit der extremen Hitze zurecht?“

Seine Frage bewies Verständnis und eine Kompetenz, die sie nicht erwartet hätte. „Ein paar Tage mehr zum Akklimatisieren wären in jedem Fall von Vorteil gewesen.“

„Ist er wirklich so ein Temperamentsbündel, wie die Presse behauptet?“

„Schlimmer!“ Abby seufzte. „Gleichzeitig ist genau das seine Stärke. Er hat wirklich bemerkenswertes Talent.“

„Sie setzen ihn ziemlich früh den Anforderungen im großen Rennzirkus aus.“ Matteo erinnerte sich, gelesen zu haben, dass Pedro gerade mal einundzwanzig war, und Abby ihn bereits als Neunzehnjährigen ihrem Rennstall verpflichtet hatte. „Sollte er sich nicht lieber noch eine Weile auf der Gokart-Bahn austoben?“

Abby lächelte, aber ihr Blick war wachsam. „Er wird sich im Rennzirkus bestens schlagen“, prophezeite sie. „Er tut es jetzt schon.“

Er sah die Anspannung in ihren Augen und wusste sofort, was ihr durch den Kopf ging. Wenn sie recht behielt, würde bald jemand mit einer dickeren Geldbörse versuchen, sich ihren Fahrer unter den Nagel zu reißen.

„Wenn Sie ihn für einen Star halten, dann behandeln Sie ihn auch so“, riet Matteo. „Sorgen Sie dafür, dass Pedro nie von Ihnen wegwill.“ Er sah, wie ihre Lippen schmal wurden. „Raus damit, worum ging es bei seiner letzten Beschwerde oder Forderung?“

Da war es wieder, ihr leises Lachen, das sich jedes Mal ein bisschen wärmer anhörte. „Nun, einige der anderen Fahrer geben ziemlich an mit ihrem eigenen Fitness-Studio … natürlich inklusive Whirlpool!“, ging sie auf seinen leichten Ton ein. „Und diese Jungs sind tatsächlich unglaublich durchtrainiert und fit. Ich weiß selbst, wie anstrengend es ist, auch nur ein paar nette Trainingsrunden in diesen Geschossen zu absolvieren.“

„Nett sah für mich dabei gar nichts aus“, erwiderte Matteo. „Wie ist es? Ich meine, einen Rennwagen zu fahren?“

Das war der Moment, in dem Abby abwägen musste, was sie als Nächstes sagte. Sonst könnte sie schnell in einen heißen Flirt verstrickt sein. „Es ist fantastisch“, behauptete sie, wo jeder Kerl gesagt hätte, es sei besser als Sex.

Was in ihrem Fall keine Kunst war! Denn ihr einziges Erlebnis auf diesem Sektor war die reine Hölle gewesen.

„Pedro hat eine tief verwurzelte Abneigung gegen Hotel-Gyms und Pools“, fuhr sie rasch fort, um ihre Gedanken in andere Bahnen zu lenken. „Und ich kann das sogar nachvollziehen, allerdings …“ Wie sie es hasste, über Geld reden zu müssen! Aber saßen sie nicht genau deshalb in diesem Nobel-Restaurant? „Unser Budget lässt eben keine Extravaganzen zu“, endete sie spröde.

„Was Pedro bestimmt nicht gefällt“, mutmaßte Matteo.

„Er ist wirklich ein Schatz“, verteidigte Abby den ungestümen jungen Fahrer. „Wie das gesamte Team. Es ist nicht leicht, die anderen in angesagte Restaurants und Bars gehen zu sehen, während wir uns in Burger-Buden herumdrücken. Wir wollen alle höher hinaus und wissen, dass wir dafür hart arbeiten müssen. Ich will gar nicht abstreiten, dass es ein schwieriger Balanceakt ist. Und ich weiß auch, dass Pedro recht hat. Mit der richtigen Unterstützung und Förderung könnte er sein Potenzial noch effektiver nutzen und wäre damit noch besser und erfolgreicher als ohnehin schon. Und mir wäre viel wohler, wenn ich mehr Zeit hätte, mich auf den Wagen und die Konkurrenz zu konzentrieren.“

„Anstatt den Buchhalter zu spielen?“, fragte Matteo.

„Und meine eigene PA, Reiseagentin, Personalbetreuerin …“

„Schon gut, ich habe verstanden.“

Was Abby stark bezweifelte. Wie sollte er das, bei seinem Status? „Warum wollen Sie ausgerechnet in meinen Rennstall investieren?“

„Nun, ich traue Ihnen Einiges zu. Und ich will unbedingt mit im Boot sein, wenn Sie auf Erfolgskurs gehen. Ich hatte schon immer eine Schwäche für Außenseiter …“ Matteo griff zur Weinkarte. „Was wollen wir trinken?“

„Für mich Wasser.“

„Was für ein preiswertes Date …“

„Das ist kein Date, Matteo.“

„Stimmt, das ist es nicht.“ Wenigstens sprach sie ihn mit seinem Namen an. Ein erster Erfolg. Zu seiner eigenen Überraschung lag Matteo plötzlich ernsthaft daran, Abby und ihr Team zu unterstützen. Er war schon immer eine Spielernatur gewesen, und hier bot sich ihm eine außerordentliche Herausforderung.

In diesem Moment verschwendete Matteo nicht einen Gedanken an die Kette seines Großvaters.

Aber wenn er als Sponsor für das Team Boucher antrat, dann nur unter bestimmten Bedingungen. Und die würde er festlegen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. „Apropos Date. Was meinen eher zweifelhaften Ruf betrifft, gebe ich offen zu, dass meine Beziehungen zum anderen Geschlecht eher Stunden als Tage dauern. Sie wollen unter Garantie nicht wissen …“

„Ich weiß bereits mehr, als mir lieb ist!“, unterbrach sie ihn brüsk.

„Ich meine, wenn wir zusammenarbeiten, heißt das: keine privaten Kontakte.“

„Das kommt mir sehr entgegen.“

„Umso besser. Ich gehe also nicht mit Ihnen aus.“

„Und ich trinke keinen Alkohol.“

Matteo hob die Brauen. „Gar nicht?“

„Nein.“

„Nie?“

„Nein, nie.“ Sein fast entsetzter Blick brachte sie zum Schmunzeln. „Ich habe es probiert, und es hat mir nicht gefallen.“

„Okay, also Wasser für zwei.“

„Sie können sich ruhig etwas anderes bestellen.“

„Ich weiß, aber ein klarer Verstand kann mir in Ihrer Gesellschaft nicht schaden“, murmelte er, griff nach der Menükarte, schaute hinein und stöhnte begehrlich. „Hmm, ich weiß, was ich nehme: Jakobsmuscheln an Champagnerschaum mit schwarzen Trüffeln.“

Der Laut ließ Abby schaudern, auf eine seltsam angenehme Art. Und als Matteo hochblickt, leuchteten seine Augen im tiefsten Marineblau. Ohne sich dessen bewusst zu sein, erwiderte sie sein breites Lächeln.

„Schon besser“, sagte er zufrieden. „Sie sehen fast entspannt aus.“

Warum bringt er mich nur immer wieder zum Lachen? Matteo Di Sione war nett, das konnte Abby nicht länger leugnen. Nett, mehr aber auch nicht …

Das Essen war hervorragend, die Gesellschaft überaus anregend, und Matteo erwies sich als guter Zuhörer, der ihre Probleme und Besorgnisse absolut ernst zu nehmen schien. Abby wusste nicht, wann sie sich das letzte Mal so wohlgefühlt hatte.

„Im letzten Jahr hatten wir einen Sponsor, wenn auch keinen besonders großzügigen“, vertraute sie Matteo an. „Dafür war er rund um die Uhr am Telefon, wollte ständig neue Erfolgsprognosen auf seinem Schreibtisch haben, und die Renntage waren die reine Hölle. Schon früh morgens hing er einem auf der Pelle, bestand darauf, dass ich ihm und seinen Buddies beim Champagner-Lunch Gesellschaft leiste und wollte Pedro auf sämtlichen öffentlichen Events sehen, die …“

„Hören Sie, Abby“, unterbrach Matteo sie sanft. „Mir ist völlig klar, dass Sie niemand wollen, der seine Nase ungefragt in Dinge steckt, die ihn nichts angehen. Ich nehme meinen Lunch gern allein und bevorzugt ohne Champagner zu mir und habe nicht vor, einen wie immer gearteten Druck auf Sie und Ihr Team auszuüben. Ich schraube meine Erwartungen in diesem Jahr auch nicht allzu hoch und …“

„Oh, nein!“, platzte Abby lebhaft heraus. „Wir können den Henley Cup gewinnen.“

Matteo ließ sie nicht aus den Augen. „Wie gesagt, ich bin geduldig …“

„Ich werde Pedro nicht viel länger halten können. Er ist ein aufstrebender Stern am Rennfahrerhimmel. Früher oder später wird ihm jemand ein Angebot machen, das ich unmöglich toppen kann.“

Matteo nickte. „Durchaus möglich. Wie ich gehört habe, will Hunter zum Jahresende abtreten“, dachte er laut nach und wandte sich abrupt Abby zu. „Hey, waren Hunter und Sie nicht …“

„Wir können in diesem Jahr gewinnen“, beharrte Abby und ignorierte seine Anspielung. „Ich will den Henley Cup unbedingt, erst Dubai, dann Italien und zum Schluss Monte Carlo.“

Matteo musterte ihr leuchtendes Gesicht, schließlich nickte er. „Dann sollten wir uns beeilen, Pedro glücklich zu machen. Wie knapp sind Sie bei Kasse?“

Das wusste niemand außer ihr. Abby empfand es als extrem unangenehm, sich Matteo anvertrauen zu müssen.

Ihr innerer Kampf blieb ihm nicht verborgen. „Das Einzige, worauf ich in unserer Geschäftsbeziehung bestehe, ist Aufrichtigkeit“, stellte er klar und schmunzelte selbstironisch. „Dann kann ich mich vielleicht auch gleich daran gewöhnen.“

Damit brachte er Abby zum Lachen, und der Bann war gebrochen.

„Okay, halten wir das fest“, resümierte Matteo. „Zwischen uns beiden herrscht unbedingte Aufrichtigkeit. Was immer Sie mir anvertrauen, bleibt auch bei mir, egal, was wir danach entscheiden zu tun. Einverstanden?“

Seltsam, sie kannte ihn kaum, trotzdem glaubte sie Matteo. Und sie vertraute ihm. Vielleicht wäre es tatsächlich entlastend, endlich jemandem zu gestehen, wie schlecht es tatsächlich um sie stand. Ihr Team wusste zwar, dass sie knapp bei Kasse war, aber nicht, wie viele durchwachte Nächte und innere Kämpfe es sie kostete, stark zu bleiben.

Und nicht zu Kreuze zu kriechen, indem sie sich von ihrem Vater erpressen ließ und im Gegenzug für die dringend benötigte Finanzspritze auf seiner Spenden-Gala erschien. Allein der Gedanke machte sie krank.

Ob das Foto von mir und Hunter noch immer in seinem Arbeitszimmer hängt? Abby schloss für einen Moment die Augen, um nicht von aufsteigender Panik überwältigt zu werden. Oh nein! Ich werde nicht wie erwartet als verlorene Tochter ins Haus meines Vaters zurückkehren!

Sie hob die Lider, begegnete Matteos gelassenem Blick und entschied spontan, ihm die Wahrheit zu sagen. „So, wie es momentan um uns steht, wird es für Italien nicht mehr reichen.“

Matteo schwieg und wartete ruhig ab.

„Mit dem Wagen und Equipment ist alles klar, aber ich kann das Team nicht dort hinschaffen.“

„Liegt es nur am fehlenden Geld?“

Abby nickte und hielt für einen Moment den Atem an. Aber Matteo stand weder auf und ging, noch begann er zu diskutieren. Er saß einfach nur abwartend da und dachte nach.

Zwischendurch schob er das Wasserglas von sich und bestellte einen doppelten Cognac. Anschließend verfiel er wieder in Schweigen, offensichtlich tief in Gedanken versunken.

Und die kreisten nicht um die Smaragdkette, wegen der er eigentlich in Dubai war. Stattdessen dachte er über einen Rennstall nach, rasante Boliden, ein engagiertes Team mit einem jungen Heißsporn als Fahrer. All das bescherte ihm einen größeren Kick, als er ihn je in einem Casino oder an der Börse verspürt hatte.

Dabei hatte er sich bisher nie mit Motorsport befasst. Rennwagen gehörten zu den wenigen Lastern, denen er nicht verfallen war. An ihnen hingen einfach zu viele schmerzliche Erinnerungen.

Aber jetzt wendete sich das Blatt.

Erst Abby und dann Pedro auf der Rennstrecke zu sehen, das Gespräch mit den Mechanikern, die Proberunden des Konkurrenz-Teams …

Ganz und gar unerwartet übte das alles eine Faszination auf ihn aus, der Matteo sich unmöglich entziehen konnte. Und auch gar nicht wollte! Wann hatte er sich das letzte Mal derart belebt und animiert gefühlt?

Mit dem Cognacglas in der Hand forderte er konkrete Zahlen von Abby, die sie ihm mit hochroten Wangen zögernd preisgab und dann angespannt wartete, während Matteo sie in einen Taschenrechner eingab und eine Weile stumm auf der Tastatur herumtippte.

Nicht auf seinem Handy, nicht auf einem Zwei-Dollar-Taschenrechner, sondern einem separaten Kalkulator, wie Abby fasziniert feststellte.

Matteo erkannte schnell, dass er ihr Geschäftsmeeting an dieser Stelle abbrechen müsste, wenn er noch bei Verstand war. Die Summe, die Abby zur Lösung der akuten Probleme brauchte, überstieg bei Weitem den Wert der Halskette, ohne eine Garantie auf Rückzahlung oder einen zu erwartenden Gewinn.

„Warum glauben Sie, beim Henley Cup eine reelle Chance zu haben?“

„Ich habe den Wagen selbst konstruiert“, lautete die schlichte Antwort. „Und ich habe den furchtlosesten Fahrer in meinem Team, dem ich je begegnet bin. Pedro ist noch ein wenig ungeschliffen, was in diesem Fall von entscheidendem Vorteil sein kann. Er lässt sich von nichts und niemand irritieren oder beeindrucken und ist unberechenbar.“

Keines der aufgezählten Attribute trug zu Matteos Beruhigung bei.

„Niemand außer mir … und selbst das nur bis zu einem bestimmten Grad, kann voraussagen, wozu er wirklich fähig ist.“

Matteo schwieg immer noch.

„Das einzige, was er braucht, ist das richtige Werkzeug, der optimale Untersatz, und den hat er in meinem Wagen“, behauptete sie mit einem Selbstbewusstsein, das keinen Platz für Zweifel ließ.

Da er unbedingte Aufrichtigkeit von ihr gefordert hatte, entschloss sich Abby schweren Herzens auch noch zum nächsten Schritt.

„Neun Jahre habe ich auf diesen einen Moment gewartet“, gestand sie rau, ohne zu erklären warum. Sie sagte nur, dass es so war.

In der ganzen Zeit hatte Matteo sie nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen, und was er vorrangig in ihrem Blick las, war eiserne Entschlossenheit. Ohne Wenn und Aber. Die Zahlen mochten nicht aufgehen … genauer gesagt waren sie katastrophal, aber was zählte, war sein Bauchgefühl.

„Ich sag Ihnen was …“, begann Matteo, und Abby hielt automatisch den Atem an. „Wenn Sie hier in Dubai auf einem der ersten fünf Plätze landen, übernehme ich den Transport des gesamten Teams nach Italien.“

„Werden Sie persönlich an der Rennstrecke stehen?“

„Das würde ich mir niemals entgehen lassen! Tut mir leid, wenn Ihnen das nicht gefällt, aber sollten Sie zu den Top-Five gehören, werde ich auch in Italien dabei sein. Keine Angst, ich werde nicht hinter Ihnen stehen und Ihnen vor Aufregung in den Nacken pusten“, fügte er angesichts ihres wachsamen Blicks hinzu.

Und zum ersten Mal, seit sie überhaupt denken konnte, stellte Abby sich genau das vor. Einen Mann, der hinter ihr stand, und dessen Atem sie auf ihrem Nacken spürte, und nicht nur da …

Und nicht irgendeinen Mann, sondern ihn.

Halb erwartete Matteo, zurechtgewiesen zu werden, halb, dass sie kniff, doch Abby erwiderte nur stoisch seinen Blick.

„Wir werden besser abschneiden, als den fünften Platz zu belegen.“

Das hoffte er auch. „Okay.“ Er bat den Kellner um die Rechnung und fragte Abby nach ihren Bankdaten.

„Wir haben uns noch nicht platziert.“

„Dafür werde ich sorgen.“ Matteo zahlte die Rechnung und orderte eine Limousine, die Abby zu ihrem Hotel bringen sollte. „Meine Schwester Allegra veranstaltet morgen eine große Charity-Gala. Ich denke, wir sollten hingehen.“

„Aber Sie sagten doch …“

„Jeder wird dort sein. Auch die Presse. Es könnte die Konkurrenz etwas aufmischen und beunruhigen zu hören, dass Sie neuerdings einen Di Sione mit an Bord haben“, argumentierte er grinsend. „Kein Date, reine Strategie. Sie verstehen?“

Das würde die anderen Teams unter Garantie aufrütteln! Und sie konnte jede Unterstützung gebrauchen, die sich ihr bot. Abby dachte an Hunter und jene furchtbare Nacht und wusste nur eins: Sie musste ihn dieses Jahr unbedingt schlagen. Es war ihre einzige Chance auf eine Revanche.

„Abby, Sie müssen Stärke und Zuversicht demonstrieren“, ermahnte Matteo sie eindringlich. „Ganz egal, wie es in Ihnen aussieht.“

„Ha!“, schnaubte sie und rollte mit den Augen. „Sie haben leicht reden!“

„Sie kennen mich nicht“, gab er ruhig zurück. „Aber Sie dürfen mir glauben, dass es ein großer Fehler ist, andere die eigene Angst riechen zu lassen.“

Sie nickte.

„Dann werden Sie kommen?“

„Ja.“

„Gut“, meinte Matteo zufrieden. „Nach morgen werde ich Sie in Ruhe Ihren Vorbereitungen überlassen. Passt es, wenn ich Ihnen um zehn Uhr eine Limousine schicke?“

„Nicht nötig, wir treffen uns hier.“

„Okay.“

Als die bestellte Limousine vorfuhr, um Abby zu ihrem Hotel zu bringen, war es Matteo, der ihr anstelle des Chauffeurs die Wagentür öffnete und beim Einsteigen half.

„Wir sehen uns morgen. Dazu sollten Sie sich allerdings aufstylen.“

„Pardon?“

„Was Sie in Ihrer Freizeit tragen, ist mir egal. Aber wenn Sie den Namen Di Sione auf Ihrem Wagen und den Overalls haben wollen, müssen Sie auch dementsprechend repräsentieren, zumindest, wenn wir zusammen unterwegs sind.“

„Ich dachte, ein Lunch am Renntag wäre für Sie schon eine Zumutung?“ In dieser Sekunde war Abby drauf und dran, Matteo Di Sione in die Wüste zu schicken. Aber weder konnte sie sich das leisten, noch wollte sie es wirklich, wie sie irritiert feststellte.

Außerdem hatte Matteo nicht ganz unrecht. Wenn sie ihr Team nach vorn bringen wollte, kam sie wohl nicht umhin, sich an die herrschenden Regeln zu halten – gesellschaftstechnisch gesehen. Und mit ihm zusammen war es vielleicht nur halb so schlimm wie befürchtet.

Er hatte sie nicht wegen ihrer Jeans kritisiert, und selbst, als sie ihm das finanzielle Dilemma geschildert hatte, war es ihm irgendwie gelungen, dass sie sich trotz des peinlichen Themas in seiner Gesellschaft entspannte.

„Die Verabredung morgen fällt unter das Motto Arbeit“, stellte Matteo noch einmal klar. „Was nicht heißen muss, dass wir uns während der Arbeitszeit nicht auch amüsieren können“, fügte er mit einem Lächeln hinzu, das sie schwach machte.

Matteo schloss die Wagentür und trat einen Schritt zurück.

Abbys Herz klopfte bis zum Hals. Was für ein Glück, dass sie die Grundregeln für ihre Zusammenarbeit bereits festgelegt hatten. Keine wie auch immer geartete Beziehung, außer notwendigen Arbeitstreffen. Zu denen auch die Charity-Gala seiner Schwester gehörte – wie Matteo überzeugend dargelegt hatte –, um Presse und Konkurrenten zu provozieren.

Ihm schien das keine Schwierigkeiten zu bereiten. Bei sich selbst war Abby da allerdings nicht mehr so sicher. Und wer trug die Schuld daran?

Natürlich Matteo Di Sione, wer sonst?

3. KAPITEL

Was Abby auch versuchte, sie konnte nicht einschlafen.

Ihr Gespräch mit Matteo hätte sie entspannen müssen, aber so war es nicht. Und dafür gab es einen triftigen Grund. Sie hatte ihn belogen.

Egal, was sie behauptet hatte, die Aussicht, auf einem der ersten fünf Plätze zu landen, war unrealistisch. Versuchen mussten sie es trotzdem. Und nicht nur, damit Matteo sie sponserte.

Als ihr Frühstück kam, beschloss Abby spontan, es im Bett einzunehmen. Ein dickes Kissen im Rücken, bewaffnet mit Laptop und Kaffeetasse, hockte sie sich auf die Tagesdecke und rief die neuesten Nachrichten auf.

Sportnachrichten natürlich!

Es dauerte einen Moment, bis sie eine kleine Notiz über das Boucher Team entdeckte. Dafür war das Carter Team in Bestform, wie sie lesen konnte, und das Lachance Team wurde ebenso oft erwähnt.

Besser gesagt, Hunter!

Aus eng zusammengekniffenen Augen studierte sie das abgebildete Foto. Die vertraute gelbe Lederkombi, das aufreizend arrogante Lächeln …

Wenn es so etwas wie puren Hass gab, dann empfand Abby ihn in genau diesem Moment. Aber zumindest ihre Angst war verflogen. Neun Jahre waren seit jener schrecklichen Nacht vergangen. Doch anstatt weiterhin in Furcht zu leben, empfand sie nur noch Zorn. Oder, genauer gesagt, eine Mordswut, die eine ebenso starke Revanche forderte.

Hunter war jetzt sechsunddreißig. In den letzten zehn Jahren hatte er den Henley Cup neun Mal für sich entschieden. Das Jahr, in dem er den Sieg verpasst hatte, war das Jahr gewesen, in dem ihre kurze Beziehung nach nur vier Wochen auf übelste Weise zerbrochen war.

Möglicherweise war ihr Timing nicht perfekt gewesen, aber das entschuldigte Hunters unsägliches Verhalten in keiner Weise. Es waren Rennwagen gewesen, über die sie beide ins Gespräch gekommen waren, und ihre unterschiedlichen Ansichten zu diesem Thema. Abby hatte schnell erkannt, dass Hunter keine kontroversen Diskussionen zuließ, schon gar nicht mit einer Frau. Er redete, und sie hatte fasziniert zu lauschen.

Okay, wer würde sich mit achtzehn nicht geschmeichelt fühlen, von einem Superstar der Rennszene auserwählt und mit seinem Privatjet nach Monte Carlo eingeflogen zu werden? Doch noch bevor es dazu kam, war der Reiz für Abby längst verflogen. Als sie den Flug canceln wollte, hatte ihr Vater sie gedrängt, doch zu fliegen. Es gehöre sich nicht, einem Mann wie Hunter einen Korb zu geben, wenn sein Jet schon unterwegs sei, hatte er sie wieder und wieder ermahnt.

Am Ende hatte sich Abby seinem Wunsch gefügt.

Was die Einladung nach Monte Carlo betraf, hatte Hunter von separaten Hotelzimmern gesprochen, weil er vor dem Rennen dringend seine Ruhe brauche. Aber Abby wusste, was nach dem Rennen passieren würde. Damals war sie noch Jungfrau, nahm aber schon die Pille. Doch bereits während des Flugs erkannte sie, dass sie nicht zu mehr bereit war als einem Flirt.

Wann immer Hunter in ihre Nähe kam, machte er sie nervös, und das nicht im positiven Sinne. Es war ein seltsamer Zustand, der sie zunehmend irritierte.

Während des Rennens trank Abby ein, zwei Drinks, um ihre Nervosität in den Griff zu bekommen. Und noch einen in Hunters Suite, während er nach seiner überraschenden Niederlage den Journalisten im Hotelfoyer in einer spontan anberaumten Pressekonferenz Rede und Antwort stand.

Bei seiner Rückkehr wollte sie ihm eröffnen, dass sie es sich anders überlegt und schon für diese Nacht ihren Rückflug nach New York gebucht hatte.

Ihr Vater hatte sie später dahingehend belehrt, dass man keinen Mann, der gerade eine Niederlage hatte einstecken müssen, mit der Trennung überfallen dürfe.

Für Abby war das damals kein Problem gewesen. Nachdem sie für sich beschlossen hatte, dass Hunter nicht ihr erster Lover werden sollte, hatte sie nur aus Höflichkeit auf ihn gewartet, um sich im Guten von ihm zu verabschieden.

Und, hatte ihr Vater noch hinzugefügt, sollte sie tatsächlich auf die wahnwitzige Idee verfallen, einen internationalen Sportstar wegen Vergewaltigung anzeigen zu wollen, würden Hunters Anwälte Hackfleisch aus ihr machen. Insbesondere, da sie sich freiwillig in seiner Suite aufgehalten hatte … betrunken!

„Nicht betrunken, Dad“, hatte Abby versucht, sich zu rechtfertigen. „Ich war …“ Doch dann hatte sie geschwiegen, weil es Dinge gab, die sie einfach nicht laut aussprechen konnte und wollte.

Als Hunter nach der Pressekonferenz in die Suite kam, erklärte Abby ihm, dass sie jetzt gehen würde, um ihren Flug nach New York noch zu erreichen, und dass es zwischen ihnen aus sei.

„Nicht ganz!“, hatte er geknurrt.

Wiederum laut ihrem Vater hatte sie sich anschließend einfach nicht energisch genug gewehrt. Immerhin hätte Hunter keine einzige Schramme davongetragen.

Damals hatte sie sekundenlang starr vor Schock verharrt und dann versucht, die Tür zu erreichen. Doch Hunter war schneller gewesen, hatte sie brutal ins Bad und zu Boden gestoßen und auf dem kalten Marmorfliesen entjungfert. Als es vorbei war, und Abby dachte, sich nie elender und gedemütigter fühlen zu können als in diesem Moment, spuckte er neben ihr aus, während er den Reißverschluss seiner Hose hochzog.

Damals hatte er sie gebrochen, aber heute war sie wieder da. Er musste mit ihr rechnen, ob es ihm bewusst war oder nicht.

„Ich werde dir den Sieg nehmen“, schwor sich Abby vor dem Monitor ihres Laptops mit geballter Faust. „Und du wirst als der große Verlierer in die Annalen des Rennsports eingehen, Hunter Coleman …

Matteo hatte recht. Es ging hauptsächlich um Psychospielchen und Strategie.

Heute würden Hunter und die anderen Teams erfahren, wer ihr neuer Sponsor war, und das würde alle ganz schön nervös machen. Das Di Sione Imperium mischte in den unterschiedlichsten Wirtschaftszweigen mit, angefangen bei Schiffen bis hin zur IT-Branche und allem, was dazwischenlag und horrende Gewinne versprach.

Auch damit lag Matteo richtig: Was sie jetzt demonstrieren musste, waren Stärke und Zuversicht, nicht Angst und Zweifel.

Vielleicht genau der richtige Zeitpunkt, um endlich an ihre äußere Erscheinung zu denken, selbst, wenn sie nicht wusste, wie sie die nächste Hotelrechnung begleichen sollte. Sie hatte zwar ein Kleid, das eventuell beim gestrigen Dinner seinen Dienst getan hätte, aber nicht beim Charity-Event von Matteos Schwester. Und dann gab es noch das Outfit, das Abby für den Moment reserviert hatte, in dem sie es aufs Siegerpodest schaffen würde. Es war extrem sexy, aus mattsilbernem Stoff, mit einem smaragdgrünen Schimmer, und für heute absolut unbrauchbar.

Deshalb checkte Abby online ihren Kontostand und spürte heiße Röte in ihre Wangen schießen, als sie die eingegangene Summe sah.

Lieber Himmel! Matteo hatte nicht übertrieben mit seiner Zusicherung, alles zu tun, um ihre Chancen auf den Sieg zu optimieren. Nervös, aufgeregt und ein bisschen erleichtert schob Abby ihre Shopping-Pläne für den Moment zur Seite und ließ sich mit der Hotelrezeption verbinden. Nachdem alle notwendigen Arrangements getroffen waren, rief sie Pedro an.

„Hi“, begrüßte sie ihn, nachdem er abgenommen hatte.

„Abby, ich habe keine Zeit zum Reden“, fertigte Pedro sie ab. „Ich bin auf dem Weg zum Hotelpool, danach will ich noch zum Body-Building.“

„Genau darum geht’s“, bremste sie ihn aus. „Ich habe gerade mit der Rezeption telefoniert, die dich in eine neue Suite mit Pool und eigenem Gym umgebucht hat.“

„Ist das dein Ernst?“, kam es nach einer Pause zurück.

„Absolut. Es ist bereits jemand unterwegs, um dir beim Umzug zu helfen.“

„Abby … danke!“, stammelte Pedro völlig überwältigt. „Das wird mir extrem bei meiner Trainingsvorbereitung helfen.“

„Gut.“

Auf den ersten Blick mochte das wie überflüssiger Luxus wirken, aber Abby wusste, dass es nicht so war. Mit eigenem Gym war Pedro wenigstens nicht gezwungen, draußen in der Mittagshitze zu trainieren, da er jede Gelegenheit nutzte, um seinen Körper zu stählen und sich aufs Rennen vorzubereiten.

Jetzt konnte auch sie endlich daran denken, sich für heute zu präparieren.

Shopping in Dubai galt allgemein als umwerfendes Erlebnis, doch dafür hatte Abby weder die Zeit noch die Nerven. Allerdings waren ihr beim Einchecken einige Boutiquen im Erdgeschoss des Hotels aufgefallen.

Anstatt sich von den Namen internationaler Modeschöpfer blenden zu lassen, betrat Abby eine Boutique mit Kreationen einheimischer Designer. Die Kleider waren exquisit, und sobald die Verkäuferin wusste, zu welchem Event Abby ein passendes Outfit benötigte, nahm sie die junge Frau begeistert unter ihre Fittiche.

Abby hatte ein Jahr Modedesign studiert. Rein theoretisch konnte sie für jeden das perfekte Outfit zusammenstellen, nur für sich selbst nicht. Trotzdem wusste sie, welchen Stil sie bevorzugte. Und der war mit zwei Worten definiert.

Pures Understatement …

„Das ist es!“, sagte die Verkäuferin und präsentierte ihr einen Traum in blassem Korallenrot. Ein hauchzartes Gebilde aus mehreren transparenten Lagen über einem engen Unterkleid, sehr feminin und fast feenhaft.

Ein Kleid, das Abby nie ausgewählt hätte.

„Was ist mit dem hier?“, fragte sie und griff nach einem schlichten Kleid in Steingrau, doch ihre Beraterin schüttelte energisch den wohlfrisierten Kopf.

„Probieren sie das Korallenfarbene an.“

Wie ich so etwas hasse!

Es fühlt sich an wie die Vorbereitungen für diese quälenden Familienfotos von früher, dachte Abby missmutig, während sie die große Umkleidekabine betrat. Doch dann ermahnte sie sich, dass es schließlich ums Geschäft ging und zog sich um.

„Sie sehen sehr elegant aus“, bescheinigte ihr die Verkäuferin, als Abby sie fragte, ob das Kleid auch passe.

„Ich finde es eine Spur übertrieben.“ Abby hob sich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, ob High Heels dazu passen würden. Die Verkäuferin hatte anderes im Sinn. Sie verschwand wortlos nach hinten, um kurz darauf mit einem Paar flacher Riemchensandalen zurückzukommen. Trotz der winzigen Steinchen auf den Lederriemen erschienen sie angezogen eher schlicht, und Abby musste ihrer Beraterin recht geben – das Kleid wirkte so viel aufregender und überzeugender als mit hohen Absätzen.

„Ich mag es“, gab sie widerstrebend zu.

Als Abby mit Verspätung das Foyer von Matteos Hotel betrat, wo er sie bereits erwartete, war sie schrecklich nervös.

„Wow!“ Matteo stieß einen Pfiff aus. „Das Warten hat sich gelohnt …“

Abby lächelte schwach. Sie fühlte sich willkommen und getadelt zugleich.

„Wir müssen uns sofort auf den Weg machen“, erklärte Matteo.

Offensichtlich hatte er keine Ahnung, welche Anstrengung es sie gekostet hatte, so auszusehen. Und genau das gefiel ihr an ihm. Auf dem Weg zur wartenden Luxus-Limousine war sie sich seiner Nähe sehr bewusst. Erst recht, als er sie leicht am Arm berührte, während er ihr beim Einsteigen half. Extrem bewusst!

Sobald er neben ihr im Wagen saß, löste Matteo einige Schmerztabletten in einem Glas Wasser aus der Minibar auf.

„Kopfschmerzen?“, fragte Abby in der Annahme, dass er in irgendwelchen angesagten Clubs unterwegs gewesen war, nachdem sie sich gestern getrennt hatten.

„Meine Schulter.“

„Sie sollten eine Schlinge tragen.“

„Ich weiß …“, murmelte er, zuckte mit den Schultern, stöhnte unterdrückt auf und wechselte das Thema. „Wie geht’s Pedro?“

„Wie besprochen ist er in eine luxuriösere Suite umgezogen“, erzählte Abby und lächelte unwillkürlich. „Und damit ist er wesentlich glücklicher als gestern um diese Zeit.“

„Sehr gut“, meinte Matteo zufrieden. „Ist Pedro glücklich, sind wir es alle.“

„Danke“, murmelte Abby leise. „Ob es einen Unterschied macht oder nicht …“

„Oh, das wird es auf jeden Fall!“, behauptete er voller Zuversicht, da sich Abby offensichtlich fragte, was passieren würde, wenn sie nicht auf einem der ersten fünf Plätze landeten. „Konzentrieren Sie sich voll und ganz auf die Vorbereitungen und genießen Sie den Renntag. Reden können wir später.“

Erst beim Aussteigen wurde Matteo bewusst, wie groß und bedeutend die Charity-Gala seiner Schwester tatsächlich war. Allein die Vorbereitungen mussten Tage in Anspruch genommen haben.

Abby war überwältigt von der Masse an eleganten Menschen um sie herum und kam sich kein bisschen overdressed vor. Tatsächlich war sie enorm erleichtert, dass die versierte Verkäuferin sie davon abgehalten hatte, das graue Kleid zu kaufen.

Es war ein wundervoller Sommertag, und sie fühlte sich ausgesprochen wohl an Matteos Seite, während sie sich auf die Suche nach seiner Schwester machten.

„Wie ist sie so?“

„Wer? Allegra?“ Matteo lächelte schief und rollte mit den Augen. „Jemand, der immer alles richtig macht. Die typische große Schwester. Erwähnen Sie bloß nicht meine verletzte Schulter!“

„Warum nicht?“

„Weil sie sich sonst gleich wieder Sorgen … da ist sie!“, rief er, winkte mit dem unverletzten Arm und wurde kurz darauf von einer attraktiven Frau mit herzlichen Küssen auf beide Wangen begrüßt.

„Das ist Abby“, stellte Matteo vor. „Mein neues Projekt.“

„Matteo!“, rügte Allegra seine Ausdrucksweise.

Er grinste, weil sie wie erwartet reagiert hatte. „Businessprojekt natürlich“, erklärte er. „Und wie geht es dir, Schwesterherz?“

„Gestresst“, gestand sie mit einer kleinen Grimasse. „Was ist mit deinem Auge?“

„Bin gegen eine Tür gelaufen.“

„Was ich dir keine Sekunde glaube“, kam es prompt zurück. „Und noch weniger kann ich fassen, dass du bereits seit Tagen in Dubai bist und ich dich erst jetzt zu Gesicht bekomme.“

„Ich wollte nicht stören, du warst doch hiermit beschäftigt.“

„Es war wirklich verrückt“, gestand Allegra, brachte den Satz aber nicht zu Ende, weil jemand nach ihr rief. „Ich würde so gern mit euch plaudern, aber ich befürchte, das müssen wir auf später …“

„Allegra, ich muss mit dir über Giovanni sprechen.“

„Jetzt?“

Matteo nickte und wirkte sehr ernst. „Es geht ihm nicht gut.“

„Ich weiß. Bianca und ich haben mit ihm telefoniert.“

„Ich glaube, du solltest dir die Zeit nehmen, ihn zu besuchen. Möglichst bald.“

Für einen Moment schloss Allegra die Augen. Abby sah, wie betroffen sie war. „Ich weiß, dass er gesundheitliche Probleme hat, aber …“

„Komm schon, es dauert nur eine Sekunde.“ Mit einem entschuldigenden Blick in Abbys Richtung legte Matteo eine Hand unter Allegras Ellenbogen und zog sie zur Seite.

Beim Weggehen drückte Allegra liebevoll die Schulter ihres Bruders.

Die verletzte! Armer Matteo …

Ohne sich etwas anmerken zu lassen, nahm Matteo sanft Allegras Hand von seiner Schulter, und dann unterhielten sich die beiden offenkundig angespannt über ein Thema, das sie sehr zu bewegen schien.

Abby rührte das Bild, das sie dabei abgaben. So anders, als in ihrer Familie üblich. Ihre Schwester Annabel und sie hatten nur wenig Kontakt und auch keinen besonders engen. Und was ihren Vater betraf …

Er hatte sie damals mit seiner Reaktion auf Hunters Übergriff extrem verletzt. Trotzdem, Familie war Familie. Ob sie von sich aus einen Schritt auf ihn zumachen sollte?

Abby zuckte zusammen, als Matteo plötzlich wieder neben ihr stand.

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich. „Allegra wusste zwar, dass es unserem Großvater nicht gut geht, aber nicht, wie ernst es wirklich ist.“

„Ist er sehr krank?“

Matteo nickte. Einen Moment dachte er darüber nach, ob er ihr von der Kette und dem wahren Grund erzählen sollte, weshalb er Kontakt zu ihr aufgenommen hatte. Fast fühlte es sich so an, als wäre das möglich. Bis er sich wieder an das spröde Wesen von gestern erinnerte, zu dem er nur schwer Zugang gefunden hatte, und sich lieber zurückhielt.

Hier ging es um ihr Team, das er ernsthaft und inzwischen aus echter Überzeugung unterstützen wollte. Warum also zwei Sachen unnötig miteinander verquicken? Die Halskette konnte warten.

„Kommen Sie“, sagte er und legte eine Hand unter Abbys Arm.

„Wohin?“

„Auf direktem Weg in den Himmel.“ Ihr verblüffter Blick ließ ihn schmunzeln.

Es dauerte einen Moment, bis Abby begriff, dass es um einen Helikopterrundflug ging, der zu den zahlreichen Attraktionen der gigantischen Charity-Veranstaltung gehörte. Und nicht …

Mit sanft geröteten Wangen folgte sie ihm zum Hubschrauberlandeplatz, und kurz darauf überflogen sie die Palm Islands. Die künstlich angelegten Inselgruppen im Persischen Golf beeindruckten Abby enorm. Doch noch aufgeregter war sie, als sie die Rennstrecke für das erste Rennen des Henley Cups von oben sah. Nächste Woche um diese Zeit würde sie dort unten zittern und bangen.

Nachdem sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten, brauchte Abby einen Moment länger als Matteo, um ihre Landbeine zurückzugewinnen.

„Macht einen ganz schwindelig, oder?“, fragte Matteo verständnisvoll. Da Abby immer noch leicht benommen wirkte, nutzte er die Chance, um ihr vorzuschlagen, dass sie als neues Dream-Team getrost auf die steife Anrede verzichten könnten und darauf gleich hier anstoßen sollten. „Lass uns sehen, wo wir etwas zu essen und trinken finden.“

Normalerweise hätte sie sich nicht so leicht überfallen lassen, aber alles, was sie an anderen Männern befremdete, fühlte sich bei Matteo … normal und richtig an.

Weit mussten sie nicht gehen, und sie hatten die Qual der Wahl an einer fantastischen Auswahl köstlichster Speisen aus der orientalischen Küche. Nachdem sie sich gestärkt fühlten, zog es Matteo zu einer weiteren Hauptattraktion des Events: der Parade edler Rennpferde.

„Grundgütiger! Schau dir nur diesen Burschen an!“, rief er beim Anblick eines schneeweißen Arabers. Der hochgezüchtete Hengst war so nervös und voller Power, dass er jeden Moment durchzugehen drohte.

„Dieser Bastard!“ Matteo lachte hart, kam aber zu keiner weiteren Erklärung, weil ihm jemand von hinten auf die Schulter schlug. Und wieder auf die verletzte!

„Kedah!“ Matteo grinste etwas gequält, als er seinen Freund sah. „Abby, das ist Scheich Kedah, der mit mir zusammen in New York studiert hat“, stellte er vor.

„Bis du plötzlich weg warst.“

Matteos Grinsen wurde breiter. „Ich bin immer noch da, und dies hier ist Abby, Besitzerin und Managerin des Boucher Rennteams.“

„Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.“

Was für ein interessanter Mann, dachte Abby. Der Scheich sah einfach prachtvoll aus in blassgoldener Robe und Guthra. Mit der gleichen selbstbewussten Kopfhaltung und demselben herausfordernden Funkeln in den dunklen Augen gaben er und Matteo ein extrem attraktives Duo ab. Abby konnte sich die Schwierigkeiten, in die dieses Freundespaar früher unter Garantie regelmäßig geraten war, lebhaft vorstellen.

„Ihr Fahrer hat sich im letzten Jahr nicht schlecht geschlagen. Fünfter Platz, wenn ich mich recht erinnere?“

Abby nickte überrascht, da Pedro nicht mal auf dem Treppchen gelandet war.

„Wie geht’s der Schulter?“, wandte sich Kedah an seinen Freund.

„Tut immer noch höllisch weh“, gab Matteo zu. „Schwarzblau …“

Der Scheich nickte. „Wie der Doktor prophezeit hat. Willst du ihn trotzdem noch haben?“

„Unbedingt!“ Matteo schaute hinüber zu dem temperamentvollen Hengst. „Abby und ich haben ihn gerade bewundert.“

Abby verschlug es den Atem, und gleich aus zwei Gründen. Einmal, weil Matteo sich offenbar verletzt hatte, als er von einem für hochdotierte Rennen trainierten Vollbluthengst gefallen war. Außerdem musste sie ständig an seine nackte Schulter denken. Und das, obwohl sie das Thema Sex seit Jahren ad acta gelegt hatte und beim leisesten Gedanken an Intimität Panik in ihr aufstieg. Dabei waren es nicht Sorge oder Mitleid, die sie momentan bewegten.

Stattdessen träumte sie davon, mit Matteo zurück in seine Suite zu fahren, das Hemd von seiner Schulter zu streifen und die geschundene Haut zu berühren.

Mit meinen Lippen …

„Alles okay bei dir?“, fragte Matteo, dem ihre Anspannung nicht entgangen war.

„Wie bitte?“

„Kedah sagte gerade, dass er gern zum Rennen kommen würde.“

„Oh!“

Matteo lachte. „Wir dürfen sie aber nicht ansprechen während des Rennens“, warnte er seinen Freund.

Kedahs schwarze Augen funkelten. „Ich kann es kaum abwarten“, vertraute er Abby an, dann wandte er sich an seinen Freund. „Wenn das Boucher Team es aufs Siegerpodest schafft, gehört der Hengst dir“, versprach er, streckte die Hand aus, und Matteo schlug ohne zu zögern ein.

„Nimmst du eigentlich jede Wette an?“, fragte Abby, nachdem Kedah gegangen war.

„Nicht jede, ich …“ Er brach ab, als er ihrem Blick begegnete. Zum Beispiel hätte er nicht einen Penny darauf verwettet, dass er sich heute amüsieren würde. Für gewöhnlich langweilte er sich auf derartigen Events zu Tode und wusste auch nie, worüber er sich mit seinen Begleiterinnen unterhalten sollte.

Und wäre das heute ein normales Date gewesen, hätte er Abby unter einem Vorwand in sein Hotel gelockt, mit ihr geschlafen und danach weggeschickt, um die Nacht noch für Kedah und sich zu haben, damit sie gemeinsam die Stadt aufmischen konnten.

Matteo wusste nicht, wann er sich das letzte Mal so gut unterhalten hatte und konnte kaum fassen, wie die Zeit verflog. Dafür gab es einen ganz bestimmten Grund …

„Was, zur Hölle, hat dich dazu getrieben, dich auf diese Bestie zu setzen?“, fragte Abby. „Kannst du überhaupt reiten?“

„Nicht wirklich.“

„Wenn du nicht wirklich sagst, meinst du dann …“

„Gar nicht“, gab er widerstrebend zu.

„Du hättest sterben können!“, rief sie ehrlich entsetzt aus. „Warum gehst du so ein Risiko ein?“

„Fragst du das Pedro auch, wenn er das Gaspedal bis zum Anschlag durchtritt?“

„Das kann man nicht vergleichen, denn Pedro ist ein ebenso trainierter wie versierter Fahrer“, warf Abby trocken ein. „Und du bist für einen Jockey ohnehin zu groß.“

Unter seinem intensiven Blick färbten sich ihre Wangen dunkelrot, und in den grünen Augen blitzte es kurz auf. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle an sich gezogen und ihr ins Ohr geflüstert, dass er durchaus seine Qualitäten als Jockey habe, sie damit zum lachenden Protest gereizt und die Warnung kassiert, dass ein öffentlicher Ort wie dieser nicht die richtige Umgebung für eine derartige Bemerkung sei.

Aber so gut kannten sie sich noch nicht, obwohl es sich für ihn so anfühlte.

„Komm“, sagte Matteo rau, umfasste Abbys Hand und zog sie mit sich. „Die Modenschau beginnt gleich. Die willst du sicher nicht verpassen, da du doch selbst …“

Er brach ab, als ihm einfiel, dass es ihr Vater gewesen war, der ihm erzählt hatte, dass Abby ein Modedesignstudium begonnen hatte, bevor sie zu Maschinenbau gewechselt war.

„Da ich selbst …“

„Hast du nicht mal etwas mit Mode gemacht?“, fragte er harmlos nach.

Sie runzelte die Stirn. „Woher weißt du das denn?“

„Keine Ahnung, irgendwo gelesen, als ich wegen des Teams recherchiert habe, nehme ich an.“ Er log, redete sich aber ein, dass es nicht so wichtig wäre. Abby und er waren nur geschäftlich miteinander verbunden, und das auch nur temporär.

Selbst wenn sie doch irgendwann im Bett landeten, was angesichts der wachsenden sexuellen Spannung zwischen ihnen nicht unwahrscheinlich war, würden sie einander nicht näherkommen als rein körperlich.

Abby fragte nicht weiter nach. Sie genoss es, einen freien Tag zu haben – ohne Autos! Sie waren ihr Job und gleichzeitig ihr Hobby, aber gegen ein paar Stunden Entspannung in Matteos Gesellschaft hatte sie nichts einzuwenden.

Seite an Seite begutachteten sie die Models auf dem Laufsteg, und bei jedem zweiten Ensemble raunte Matteo ihr zu: „Darin würdest du einfach umwerfend aussehen.“ Oder: „Das würde dir viel besser stehen.“

Doch als anschließend ebenso schöne wie erotische Dessous vorgeführt wurden, gab Matteo nicht einen Kommentar ab. Sie bemühten sich beide, so unbefangen wie möglich zu bleiben, und das strengte sie so an, dass sie sich einig waren, nach dem Ende der Modenschau zu gehen.

„Ich will mich nur noch kurz von Allegra verabschieden …“

„Kein Problem, ich warte hier.“

„Danke.“ Abby war weder anhänglich noch neugierig. Das gefiel Matteo.

Sie gefiel ihm …

Auf der Rückfahrt zum Hotel reichte Matteo ihr sein iPhone, damit sie sich das Pressefoto ansehen konnte, das Paparazzi während der Modenschau von ihnen geschossen und bereits ins Netz gestellt hatten. Sie wirkten so vertraut, als würden sie sich seit Ewigkeiten kennen und nicht die geringsten Sorgen oder Probleme haben.

Business oder Romanze? lautete die Headline.

„Oh, nein!“, japste Abby. „Wie kommen die denn auf die absurde Idee?“

„Mach dir keine Gedanken“, riet Matteo.

„Aber sie werden annehmen …“

„Sollen sie doch.“

Die Limousine hielt vor ihrem Hotel, und Abby fragte sich, ob Matteo ein Business Dinner vorschlagen würde und sie seine Einladung akzeptieren sollte.

Doch Matteo, in alter Manier und infiltriert von dem voreiligen Pressekommentar, ließ Vorspeise, Hauptgang und Dessert einfach weg und kam gleich zum Wesentlichen. „Wir könnten auch zu mir gehen.“

Was Abby noch mehr schockierte als sein dreister Vorschlag, war ihre unerwartete Bereitschaft, ihm zu folgen, wohin er sie auch führen wollte. „Ich nehme an, damit ist nicht das Restaurant in deinem Hotel gemeint?“

„Nein.“ Für Matteo musste Sex unkompliziert, und befriedigend sein. Das war’s dann aber auch.

„Was ist mit der Regel, streng beim Business zu bleiben?“

„Ich kann beides managen.“ Er schaute in Abbys wundervolle grüne Augen, doch statt Offenheit und Amüsement las er in ihnen nur Wachsamkeit und Ablehnung.

„Wir sehen uns am Tag des Rennens …“, sagte sie kühl. „Falls du dann noch interessiert bist.“ Sie wartete nicht auf den Chauffeur, sondern öffnete selbst die Wagentür, stieg aus und knallte die Tür wieder zu.

Matteo, nicht gewohnt, mit unwilligen Gespielinnen umzugehen, wies den Chauffeur mit einem Nicken an weiterzufahren und hielt den Blick starr geradeaus gerichtet.

Du bist nicht hier, um sie zu verführen! ermahnte er sich streng und grübelte darüber nach, ob er zum ersten Mal in seinem Leben einem Missverständnis erlegen war.

Nein, unmöglich! Abby hatte genau wie er in jeder Sekunde ihres Zusammenseins diese sengende Hitze verspürt, die der Sonne an Dubais Himmel ernsthafte Konkurrenz machte.

Aber so ist es besser … für uns beide, entschied Matteo, als er seine Luxussuite betrat. Außerdem war er froh, Abby nicht den wahren Grund für seine Anwesenheit verraten zu haben, da er inzwischen mehr als ernsthaft am Boucher Team interessiert war.

Ebenso wie an der Teamchefin, was er sich als eingefleischtem Junggesellen nur widerwillig eingestand. Zum Glück hatte Abby ihm einen Korb gegeben …

4. KAPITEL

Wie habe ich bisher nur ohne diesen ultimativen Kick leben können?

Am Morgen des Renntages verspürte Matteo ein Kribbeln und eine Nervosität, die jedes Casino wie einen Kinderspielplatz wirken ließ. Der Motorenlärm, die Menschenmassen, der Geruch, und all das verbunden mit dem erregenden Gefühl, ein Teil der elektrisierenden Szenerie zu sein. Energiegeladen startete er in Richtung Autoschuppen, der das Boucher Team beherbergte.

Ein bisschen sorgte er sich um den zu erwartenden Empfang, stellte aber schnell fest, wie überflüssig das war. Kein Mensch schien an ihm interessiert zu sein, was Matteo äußerst erfrischend fand.

Pedro vertrieb sich die Wartezeit mit Videospielen und blockte alles andere ab, um sich auf seine ganz eigene Art auf das zu fokussieren, was vor ihm lag. Abby, in flaschengrünen Monteurhosen und ölverschmierten Top, das lange Haar unter einer Baseballkappe versteckt, checkte noch ein letztes Mal die Computerdaten. Das Team werkelte am Rennwagen herum, und Matteo hielt sich schlauerweise im Hintergrund.

Natürlich hatte sie ihn bemerkt.

Abby fragte sich, ob sie ihre Chance auf einen mehr als großzügigen Sponsor ein für allemal verwirkt hatte. Sie war sich durchaus bewusst, unklare Signale ausgesandt zu haben und nicht ganz unschuldig an Matteos eindeutigem Vorschlag gewesen zu sein.

Warum sie so reagierte, würde sie ihm aber ganz sicher nicht verraten.

Es erleichterte sie maßlos, ihn hier zu sehen – und noch mehr, als er sich zurückzog, ohne ein Update über die Rennvorbereitungen zu fordern. Oder jemandem von dem Team in letzter Minute Zeit und Nerven zu stehlen.

Matteo und Kedah gönnten sich einen stärkenden Lunch und gaben ihre Wetten ab. Matteo wettete darauf, dass sich das Boucher Team platzieren würde. In der letzten Sekunde, als die Rennwagen bereits ihre Positionen einnahmen und die Wettbüros schließen wollten, setzte er spontan außerdem noch einen lächerlichen Betrag auf Sieg.

Das Röhren der starken Motoren gab die Schlagzahl seines hämmernden Herzschlags vor, und Matteo wusste, dass er eine neue Liebe gefunden hatte.

Autorennen …

Er schaute zu Abby, aber die war für ihn verloren – zumindest, was die nächsten Stunden betraf. Ihr Fokus lag allein auf der Bahn, womit er gut zurechtkam. Matteo war immer noch froh, dass Abby die Notbremse gezogen hatte, und wollte sich später bei ihr für seinen Ausrutscher entschuldigen.

Inzwischen konnte er ihre Leidenschaft für den Rennsport absolut nachvollziehen. Und nicht nur das! Trotz seiner Vorbehalte war er bereits infiziert.

Abby selbst hielt ihre Aufmerksamkeit zu hundert Prozent auf ein Rennen gerichtet, das über zwei Stunden lief. Und das, ohne auch nur eine Sekunde zu schwächeln.

Matteo war inzwischen so aufgeregt, dass sein Mund ganz trocken war. Gebannt starrte er auf die Zeittafel, als die Top Vier in ihre letzte Runde gingen. Unfassbar! Wie es aussah, würde das Boucher Team auf einem der vorderen Plätze landen. Mit Glück sogar auf dem Podium!

Beim Einbiegen in die letzte Gerade zog Pedro an Evan vorbei. Jetzt war er nur noch einen Sekundenbruchteil hinter Lachance. Er kratzte schon fast an Hunters Hinterrädern und lauerte darauf, ihn auch noch zu killen. Da Hunter ihm die Chance verweigerte, übernahm Pedro selbst die Initiative, mit einem Wagemut und einer Entschlossenheit, die der Renngemeinde einen kollektiven Aufschrei entlockte.

Kurz vor Ende der Rennstrecke, in der Zielkurve, zog der junge, geniale, verrückte Wilde tatsächlich an Hunter vorbei!

Der Lärm und die Lautstärke im Boucher Team übertönte sogar das Röhren der Rennmotoren. Selbst Abby gab ihre Konzentration auf, ließ locker und schrie sich die Lunge aus dem Hals. Vor Erleichterung, Begeisterung, Triumphgefühl und vollzogener Revanche …

Pedro hatte es geschafft. Wir haben gewonnen!

Der Lärm um sie herum war ohrenbetäubend, doch Abby war in ihrer ganz eigenen Welt. Sie fühlte sich hochgehoben, von unzähligen Händen, wie es schien, und über die Köpfe ihrer Mechaniker und anderen Teammitglieder immer weitergereicht, bis sie irgendwann unsicher wieder auf den eigenen Beinen landete.

Direkt vor Matteo. Zum ersten Mal an diesen Tag nahm sie ihn ganz bewusst wahr: in schwarzen engen Jeans und schwarzem T-Shirt, unrasiert, dunkel, gefährlich. Das Einzige an ihm, was den Druck in ihrer Brust milderte, war sein Lächeln, das direkt an sie gerichtet war.

„Du hast es geschafft“, sagte er.

Natürlich meinte er den Sieg. Wie sollte er auch wissen, was sie außerdem geschafft hatte und was ihr sehr viel mehr bedeutete als der erste Platz. Sie hatte Hunter geschlagen und sich endlich von ihm befreit, obwohl es ihr weniger Genugtuung bereitete, als sie erwartet hätte.

„Tut mir leid wegen gestern Abend“, fuhr Matteo fort, ohne den Blickkontakt abzubrechen.

„Mir auch“, entgegnete Abby zu ihrer eigenen Überraschung. Euphorie hatte offensichtlich Aufrichtigkeit zur Folge … weshalb sie zugab, was sie bisher nicht einmal sich selbst eingestanden hatte: Sie bedauerte es, Nein gesagt zu haben.

Und dann lagen sie einander in den Armen, und er küsste sie. Wenn Abby in den letzten Jahren überhaupt an einen Kuss gedacht hatte, dann war es immer ein sanfter gewesen.

Ganz anders als der von Matteo!

Er war leidenschaftlich, direkt, geradezu unverfroren … und führte dazu, dass sich ihre Lippen ihm wie von selbst öffneten. Zum sinnlichsten, aufwühlendsten und wildesten Kuss, den Abby je bekommen und erwidert hatte.

Lieber Himmel, bin ich schamlos! schoss es ihr durch den Kopf, aber nur kurz – und begeistert.

Matteo hatte ihr Basecap einfach zu Boden geworfen und eine Hand um ihren Nacken gelegt, um den Kuss noch zu vertiefen. Die andere Hand legte er auf ihren runden Hintern und presste Abby so hart gegen seinen Körper, dass sie das volle Ausmaß seiner Erregung an ihrem Unterleib spürte. Anstatt zurückzuzucken, drängte sie sich noch fester an ihn, ebenso erregt und begierig wie er.

Dann schienen sie sich plötzlich an die vereinbarten Regeln zu erinnern und lösten sich zögernd voneinander.

„Neue Regel …“, murmelte Matteo. „Wenn wir gewinnen, ist Küssen erlaubt.“

Abby nickte stumm.

„Wenn wir uns platzieren, ist zumindest das erlaubt“, sagte er und küsste sie schmatzend auf die Wange, was Abby zum Lachen brachte. „Und wenn wir verlieren, werden wir uns auf diese Art trösten …“ Nun liebkoste er die zarte Stelle hinter ihrem Ohr mit seinen Lippen, was ihr am ganzen Körper eine Gänsehaut bescherte.

Sekundenlang versanken ihre Blicke ineinander, dann lächelte Matteo und strich mit einem Finger sanft über ihre Wange. „Wie fühlt es sich an, gewonnen zu haben?“

„Besser als Sex.“ Abby konnte kaum glauben, dass sie das gesagt hatte.

Anstatt zu lachen, sie erneut an sich zu ziehen oder in ähnlicher Manier zu antworten, wurde Matteos Blick noch eine Spur intensiver.

„Dann war er nicht der Richtige für dich“, erwiderte er ruhig und beschloss, dieses Thema später am Tag zu vertiefen.

Nein!

Hunter stieg aus seinem Wagen, drehte sich um und starrte aus schmalen Augen zu der Frau, die er verletzt und blutend auf dem kalten Marmorboden des Hotelbades hatte liegen lassen. Um sicherzugehen, dass sie, die es gewagt hatte, Hunter Coleman zu verschmähen, ihn nie vergessen würde, hatte er noch vor ihr ausgespien.

Jetzt, in der Stunde seiner ultimativen Niederlage, stand sie hoch erhobenen Hauptes da, unbefangen und offensichtlich glücklich.

„Woah! Damned!“, schrien Reporter und Fotografen in den verschiedensten Sprachen, als Hunter den Helm zu Boden warf und gegen seinen Wagen trat. Laut fluchend stürmte er los, ohne sich von Anrufen aufhalten zu lassen.

Abby und Matteo bekamen davon nichts mit.

Sie waren viel zu aufgeregt und lachten lauthals über einen Scherz, den Kedah unfreiwillig gemacht hatte, als er verkündete, dass Matteo jetzt stolzer Besitzer eines äußerst temperamentvollen Rosses sei.

„Ihr Name ist Abby“, korrigierte Matteo seinen Freund grinsend.

„Und ich bin kein Pulverfass, sondern extrem gefühlvoll“, setzte Abby hinzu.

Was sie kurz darauf bewies, als Pedro auf dem Siegerpodest stand und sie mit den Tränen kämpfen musste. „Fast wäre ich geneigt, mit Champagner auf diesen Sieg anzustoßen“, scherzte sie, als sie sah, wie großzügig Pedro diesen aus der Magnumflasche auf sämtliche Umstehende spritzte.

Das Carter Team war auf dem zweiten Platz, und Carter nahm die traditionelle Champagnerdusche gutmütig hin. Hunter versuchte auf Platz drei, es ihm nachzutun.

Es war ein guter Tag, ein brillanter Tag!

Und die ganze Welt wartete gespannt auf die anschließende Pressekonferenz.

Was für ein selbstverliebter, arroganter Haufen! dachte Matteo mit widerwilliger Bewunderung, als die Rennpiloten hereinkamen und ihre Plätze einnahmen.

Pedro fläzte sich breitbeinig und von einem Ohr bis zum anderen grinsend auf seinen Stuhl. Evan machte es genauso, nur eine Spur dezenter. Selbst Hunter schien sich vom ersten Schock erholt zu haben und zeigte wieder sein gewohnt selbstsicheres, süffisantes Lächeln.

„Ich möchte Pedro zu seinem grandiosen Sieg gratulieren …“, waren die ersten Worte aus seinem Mund, die von den umstehenden Reportern anerkennend aufgenommen wurden.

„Er ist eben doch ein charmanter Bursche“, meinte jemand neben Abby und Matteo.

„Das sind Narzissten für gewöhnlich“, murmelte Matteo und stellte nicht zum ersten Mal fest, dass er diesen Hunter nicht ausstehen konnte.

„Ich war für einen Sekundenbruchteil abgelenkt, und Pedro hat seine Chance genutzt.“

Damit lenkte Hunter erfolgreich alle Aufmerksamkeit von Pedros grandioser Leistung auf sich selbst.

Matteo spürte, wie Abby sich neben ihm versteifte. „Mach dir keinen Kopf wegen dieses Idioten“, raunte er ihr zu. „Du weißt, wer der wahre Sieger ist.“

„Was hatte Ihre heftige Reaktion nach dem Rennen zu bedeuten?“, fragte ein Reporter. „Sie wirkten ziemlich sauer.“

„Ha!“ Hunter brauchte einen Moment, um sich zu fassen, dann zuckte er mit den Schultern. „Mir fehlt als Verlierer offenbar die Erfahrung.“ Langsam wandte er den Kopf und sah direkt in Matteos Richtung. „Normalerweise bin immer ich die Nummer Eins.“

Matteo stutzte und überlegte, was das bedeuten sollte. Doch als Hunters Blick weiter zu der Frau an seiner Seite glitt, wusste er Bescheid.

„Das war für mich gedacht …“, murmelte Abby gepresst, wie zur Bestätigung seiner Vermutung.

Was da gerade ablief, konnte Matteo nicht ergründen, aber Abby schien es nicht gut zu gehen. Er legte schützend einen Arm um ihre Schulter. „Alles in Ordnung“, versicherte er ihr ruhig.

Das hörte Abby schon nicht mehr. Die Welt um sie schien sich aufzulösen. Ihre Brust drohte unter einem ungeheuren Druck zu zerspringen, und sie begann am ganzen Körper zu zittern. „Ich … ich bekomme keine Luft!“, keuchte sie.

„Abby …“

Verzweifelt klammerte sie sich an seinen Arm und grub ihre Nägel so tief in sein Fleisch, dass Matteo unwillkürlich aufstöhnte.

„Lass nicht zu, dass Hunter mich so sieht“, flüsterte sie erstickt.

Seine Reaktion erfolgte blitzschnell und ohne etwas zu fragen. Sobald er Abby aus der Pressekonferenz gelotst und in einen ruhigen Winkel geschafft hatte, zwang er sie auf einen hässlichen Plastikstuhl und forderte sie auf, den Kopf zwischen die Knie zu legen und so zu verharren. „Du hast eine Panikattacke“, erklärte er, zumindest äußerlich ruhig.

Mit wenigen Schritten war er bei einem Mann, der gerade einen Hamburger auspackte, bat ihn um die leere Papiertüte und kehrte zu Abby zurück. „Du musst hier reinatmen“, sagte er und hielt sie ihr vor den Mund. „Es wird dir gleich bessergehen. Meine Schwester Natalia hatte früher öfter Panikattacken.“ Dann blieb er ruhig neben ihr sitzen, bis der Anfall vorbei war.

Abby zitterte und schwitzte am ganzen Körper. Ihr Gesicht war totenbleich, die Augen weit aufgerissen und voller Panik. Nur langsam wurde ihr Atem ruhiger und gleichmäßiger. Irgendwann ließ sie die Hand mit der Tüte sinken und fuhr sich mit der anderen zitternd übers Gesicht. „Er hat verloren …“

Matteo hörte Schmerz, Erschöpfung und Genugtuung in ihrer rauen Stimme und wusste, dass es hier nicht allein um das heutige Rennen ging. Er fühlte sich krank, wich aber Abbys brennendem Blick nicht aus.

„Er … er hat schon einmal ein Rennen verloren …“, würgte sie mühsam hervor. „Und heute habe ich gewonnen.“

Den Sinn hinter ihren gestammelten Worten verstand Matteo nicht, wartete aber mit erzwungener Ruhe ab, dass Abby weitersprach.

„Wir … wir sind nur ein paar Mal ausgegangen. Aber wir haben nie …“

Matteo hielt den Atem an, umfasste ihre Hand und hielt sie einfach nur fest.

„Er … Hunter war so wütend nach dem verlorenen Rennen.“

Wie sollte er darauf reagieren?

„Ich … ich vertraute mich hinterher meinem Vater an. Er sagte, es hätte keinen Sinn, ihn anzuzeigen. Ich … ich war nämlich betrunken, aber nicht richtig …“

Jetzt wusste Matteo, was er sagen wollte. „Dann hätte dieser Mistkerl dafür sorgen müssen, dass du sicher nach Hause kommst.“

„Ich … ich habe in seiner Hotelsuite auf ihn gewartet.“

Nein, dahin sollte ich nicht zurückkehren, nicht mal gedanklich! „Dann hätte er sich ein anderes Zimmer nehmen oder auf dem Sessel schlafen müssen“, erklärte Matteo kompromisslos. „Für das, was er getan hat, gibt es keine Entschuldigung.“

„Er … es war so gewalttätig und demütigend“, gestand sie und suchte seinen Blick.

„Er hätte dich behutsam wie Glas behandeln müssen“, murmelte Matteo rau.

„Es war mein erstes Mal …“

„Dann erst recht wie kostbares Kristallglas!“, stieß Matteo brüsk hervor und zog Abbys Hand an seine Lippen. „Und es war nicht dein erstes Mal, sondern nichts weiter als schnöder, aufgezwungener Sex.“

„Aber der einzige, den ich kenne …“ Und dann kam die Panik zurück, weil die Pressekonferenz offensichtlich vorbei war und von allen Seiten Menschen auf sie zuströmten. „Er darf mich nicht so sehen!“, flehte Abby, schaffte es aber nicht, auf die Beine zu kommen.

„Was hältst du davon, wenn wir es nach einem ganz besonders intimen Moment aussehen lassen?“, schlug Matteo geistesgegenwärtig vor. „Wäre das okay für dich?“

Abby nickte, ihre Augen waren riesengroß.

Liebevoll zog er sie an seine Brust, streichelte ihr Haar und küsste ihre Schläfe. Während Hunter im gelben Lederanzug an ihnen vorbeistrebte, spürte Abby Matteos Herzschlag ruhig und kraftvoll an ihrer Wange und versuchte verzweifelt, ihren Atem zu kontrollieren. Sie spürte die Anspannung in seinem Körper und wusste, dass er sich kaum davon abhalten konnte, aufzuspringen, Hunter nachzulaufen und das zu tun, was ihr Vater damals hätte tun müssen – in welcher Form auch immer.

„Bitte nicht …“, flüsterte sie, ohne sich dessen bewusst zu sein.

„Ich bleibe bei dir“, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Es schien ihn ungeheure Kraft zu kosten. „Aber vielleicht brauche ich gleich die Papiertüte …“

Selbst in einer Situation wie dieser brachte er sie zum Lächeln.

Abby wartete auf die quälenden Fragen, die unweigerlich folgen mussten. Doch als sie endlich wieder normal atmen konnte, sich sanft aus Matteos Armen löste und zu ihm hochblinzelte, lächelte er sie nur an und fragte, ob sie einen Schluck Wasser wolle.

„Ja, bitte.“

Er stand auf, ging zu einem Wasserspender und kam mit einem vollen Becher zurück, den sie durstig leerte. Ihre Panikattacke war vorbei.

„Besser?“

„Viel besser!“

„Wo möchtest du als Nächstes hingehen?“

„Hingehen?“

„Wir sollten deinen Sieg feiern.“ Er schaute zum Boucher Team hinüber, das immer noch an den Handys hing, um die gute Nachricht in der ganzen Welt zu verbreiten, oder für die verschiedenen Kamerateams posierte. Matteo grinste unwillkürlich, als er seinen Freund Kedah bestens gelaunt inmitten des Trubels entdeckte. „Ich nehme an, du möchtest nicht in großer Runde …“

„Nein.“

„Aber du hast gewonnen“, beharrte er. „Und zwar an jedem einzelnen Tag, seit dieser Mistkerl dir das angetan hat. Und weißt du was? Wenn jemand es verdient, diesen Sieg zu feiern, dann du!“

Sein Enthusiasmus entlockte ihr ein Lächeln. „Ich schätze, du hast recht.“

„Bestens! Dann gehst du jetzt zu Pedro und sagst ihm, dass alles bezahlt wird, was er sich heute Nacht gönnen will.“

Ihre Brauen schossen nach oben. „Ist dir klar, was du da sagst?“

Er grinste. „Vergiss nicht, mit wem du redest. Wenn einer weiß, wie wilde Nächte auszusehen haben … nein, ernsthaft: Für den Erlös der Wette, die ich in letzter Sekunde auf ihn abgeschlossen habe, kann Pedro richtig auf die Pauke hauen. Aber damit du beruhigt bist, werde ich Kedah bitten, ihn ein wenig im Auge zu behalten.“

„Das ist wirklich dein Ernst?“, vergewisserte sich Abby noch einmal.

„Absolut.“

„Pedro!“

Als er Abby auf sich zukommen sah, schloss der junge Rennfahrer seinen Boss überschwänglich in die Arme und schwenkte Abby wild herum. „Mal ehrlich, wie super war das denn?“, feierte er sich selbst. „Hunter zu schlagen!“

„Du warst einfach grandios, Pedro. Gigantisch!“, schwärmte Abby. „Ehrlich gesagt weiß ich immer noch nicht, wie du das fertiggebracht hast.“

„Erzähl ich dir alles heute Abend beim Dinner.“

„Tja, tut mir leid, daraus wird wohl nichts. Ich bin bereits mit unserem Sponsor verabredet, um die nächsten Schritte zu besprechen“, redete Abby sich heraus. Eine gewisse Erleichterung bei der Crew war nicht zu verkennen, obwohl alle versuchten, sie so gut wie möglich zu verbergen. Abby nahm es den Männern nicht übel. Viel zu lachen hatten sie bei ihr in letzter Zeit nicht gehabt.

„Ach komm schon, Abby“, drängte Pedro, der Stimmungen um sich herum nur selten mitbekam. Doch sie schüttelte den Kopf.

„Gönn dir eine heiße Nacht, Champion, die hast du dir wahrlich verdient“, sagte sie lächelnd. „Kedah wird dich an die richtigen Orte bringen und alle Rechnungen einsammeln, die Matteo partout begleichen will.“

Ihr Fahrer runzelte die Stirn. „Kein Witz?“

Abby lachte. „Nein, und jetzt schieb los und genieß deinen Triumph. Das hast du dir redlich verdient. Aber nicht vergessen, morgen gibt es ein offizielles Frühstück.“

„Sag deinem Super-Sponsor, dass ich ihn bei nächster Gelegenheit auf eine Runde in meinem Siegerwagen mitnehme!“

„Werd ich ausrichten“, versprach Abby und ging zurück zu Matteo.

„Okay, und was wollen wir beiden jetzt unternehmen?“

Sie hob die Schultern. „Keine Idee.“

„Aber ich“, verkündete Matteo spontan. „Als erstes geht’s zu meinem Hotel, damit ich mich umziehen kann.“

„Ich muss mich auch noch umziehen.“

Er musterte ihren ölverschmierten Overall und wiegte den Kopf. „Keine schlechte Idee …“

„Willst du dir nicht hier ein Kleid kaufen?“, schlug Matteo vor, als sie vor seinem Hotel hielten. „Im Foyer gibt es jede Menge exquisiter Boutiquen.“

„Nein. Ich habe mir schon vor Jahren ein Kleid für diesen Tag gekauft und mir geschworen, es anzuziehen, wenn wir es je aufs Siegerpodest schaffen. Ich hatte es nur nicht gerade heute erwartet.“ Sie konnte immer noch nicht glauben, dass es wirklich passiert war.

Als sie aus dem Wagen stiegen, war Matteo kurz davor, Abby zu fragen, ob sie nicht mit in seine Suite kommen wollte, entschied sich aber spontan dagegen. Erst jetzt verstand er ihre Frage vom ersten Tag, ob er das Restaurant oder seine Suite meinte, als er sie zum Dinner einlud.

Wenn er an ihre Panikattacke nach dem Rennen dachte, zog sich sein Herz sofort wieder zusammen. „Wird nicht lange dauern“, versprach er mit einem Lächeln.

Während Abby in der luxuriösen Lounge im Foyer auf ihn wartete, stellte sie fest, dass sie über fünfzig Anrufe verpasst hatte, einige von ihrem Vater. Und noch mehr Textnachrichten. Wo waren all diese Leute vor meinem Sieg?

Sie schaltete ihr iPhone aus, steckte es weg und blickte mit klopfendem Herzen dem Mann entgegen, der heute für sie dagewesen war und jetzt gerade den Lift verließ. Er trug einen eleganten schwarzen Anzug zu weißem Hemd und dunkler Krawatte und hatte sich offensichtlich frisch rasiert.

Für mich.

Anstatt kurz darauf vor Abbys Hotel im Wagen zu bleiben, begleitete Matteo sie bis ins Foyer. „Jetzt ist es an mir, auf dich zu warten“, meinte er lächelnd, nahm in der Besucherlounge Platz, und schaute Abby hinterher, die zum Lift ging. Auf dem Weg dorthin wurde sie von der Rezeptionistin aufgehalten. Abby unterzeichnete irgendetwas und bekam ein Päckchen ausgehändigt.

Im Lift schloss sie die Augen, dachte an den Kuss und an Matteo, der jetzt ihr Geheimnis kannte. Ein weiches Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie sich an seine Reaktion erinnerte. Ihr gefiel es, dass er gesagt hatte, Hunter zähle gar nicht. Und wie er es gesagt hatte, machte sie irgendwie zu einer siebenundzwanzigjährigen Jungfrau.

Oben holte Abby das Kleid aus dem Schrank, fand es aber plötzlich zu aufreizend und sexy – alles, wovon sie geträumt hatte, es eines Tages zu sein.

Doch so weit war sie noch nicht. Sie hatte Angst vor ihrer eigenen Sexualität. Angst davor, Matteo zu suggerieren, von ihm verführt werden zu wollen, wenn sie sich heute Abend zu sehr aufstylte.

Sie öffnete das Päckchen, dessen Empfang sie eben bestätigt hatte, und seufzte, als sie die formelle Einladung ihres Vaters in Händen hielt, gedruckt auf cremefarbenem Büttenpapier. Daran hing eine kleine Notiz: Abby, wie besprochen …

Keine Unterschrift, keine Grüße, keine Küsse, kein: In Liebe, Dad. Nur die Erinnerung daran, was von ihr verlangt wurde, wenn sie von ihm Geld haben wollte, um ihr Team zu unterstützen.

Bisher war Abby entschlossen gewesen, die Einladung ihres Vaters zu ignorieren. Doch seit sie Matteo und Allegra zusammen gesehen hatte, dazu noch in der gemeinsamen Sorge um ihren Großvater, musste sie ständig daran denken, wie sehr sie selbst eine intakte Familie vermisste.

Gedankenverloren wickelte sie die Walnussschatulle aus und ließ sie aufspringen. Als sie darin die Lieblingskette ihrer verstorbenen Mutter fand, sank Abby mit zitternden Knien auf die Bettkante. Behutsam nahm sie das Schmuckstück in die Hand und hielt es so, dass es die letzten Nachmittagssonnenstrahlen einfing. Ein außergewöhnliches Kleinod aus Platin, Diamanten und den wundervollsten Smaragden, die man sich nur vorstellen konnte … und das perfekte Accessoire für ihr Kleid.

Es war wie ein Zeichen. Als wollte ihre Mutter ihr Mut machen, endlich nach dem vollen Leben zu greifen, das ihr solche Angst machte. „Oh Mum …“

Abby hatte ihre Mutter sehr geliebt und vermisste sie entsetzlich. Würde sie noch leben, hätte Hunter in echten Schwierigkeiten gesteckt. Anette mochte gegen ihren Mann nicht angekommen sein, für ihre Mädchen aber hatte sie immer gekämpft wie eine Löwin.

Zieh das Kleid an, Abby.

Sie glaubte fast, die Stimme ihrer Mutter zu hören.

Sei wie du bist und nicht so, wie andere dich sehen wollen.

Sie duschte rasch, steckte ihr Haar hoch, legte mit unruhiger Hand ein leichtes Make-up auf und schlüpfte in ihr Traumkleid. Sobald die kühle Seide ihre Haut berührte, schienen ihre Wangen in Flammen zu stehen. Wegen des tiefen Rückenausschnitts konnte sie keinen BH darunter tragen. Wenn sie genau hinschaute, sah sie, wie sich die Brustspitzen ganz schwach unter dem dünnen Stoff abzeichneten – nicht ordinär, sondern aufreizend sexy. Ihre neuen flachen Sandalen mit den funkelnden Steinen auf den Riemchen komplettierten das Outfit.

Was jetzt noch fehlte, war die Kette. Fast zärtlich legte Abby sie um ihren Hals. Es war, als hätte der Designer sie speziell für dieses Kleid entworfen. Die Smaragde ließen ihre Augen in einem dunklen geheimnisvollen Grün leuchten, und Abby erschrak vor ihrem eigenen Spiegelbild, weil sie so aufreizend sexy und fast lasziv wirkte.

Dabei hatte sie sich doch vorgenommen, auf keinen Fall den Tiger in Matteo die Sione zu wecken.

Gleichzeitig vertraute sie ihm und war sicher, dass er nicht ohne Aufforderung zubeißen würde. Und eines stand fest: Sie und ihr Kleid wollten heute Nacht unbedingt feiern!

Matteo wartete und wartete …

Diesmal entschieden länger als eine halbe Stunde. Ketzerisch überlegte er, dass es doch kaum so lange dauern konnte, sich in irgendein Jeans-Outfit und Doc Martens zu werfen! Noch während er bei der Vorstellung grinste, glitten die Lifttüren auf und heraus trat eine strahlende Beauty, in einem Traumkleid, das wie kostbares altes Silber schimmerte. Und um ihren Hals … aber das sollte heute kein Thema sein!

Matteo genoss jede einzelne Sekunde, während Abby auf ihn zukam – umwerfend schön, aber eine Spur zu unsicher und nervös, um aufreizend zu wirken.

Wie sollte er ihr nur jemals die Wahrheit gestehen? Zum ersten Mal froh über seinen perfekt funktionierenden Verdrängungsmechanismus, verbannte er die Verlorenen Geliebten seines Großvaters weit in den Hinterkopf.

„Du siehst …“ Normalerweise vermied Matteo es bewusst, Abby zu sagen, was ihm tatsächlich durch den Kopf ging, doch heute wollte er nicht vorsichtig sein und sich nicht beschränken. „Du bist die schönste und aufregendste Frau, der ich je begegnet bin.“

Es war die reine Wahrheit. Und genau das irritierte und beunruhigte ihn. Nie zuvor hatte er sich um eine Frau so viele Gedanken gemacht und sich in jeder Hinsicht für sie verantwortlich gefühlt.

Matteos Überraschungsprogramm für diesen Abend toppte alles, was Abby bisher an Restaurants kennengelernt hatte.

Ein Candle-Light-Dinner am Meer. Gab es etwas Romantischeres?

„Champagner?“, fragte Matteo, nachdem sie Platz genommen hatten.

Es war wie ein neuer Anfang – zumindest empfand Abby es so. Matteo kannte jetzt die Wahrheit über sie, und das gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, wie sie es lange nicht mehr empfunden hatte.

„Ausnahmsweise“, flüsterte sie und errötete unter seinem bewundernden Blick.

„Auf das Boucher Team und seine geniale Chefin. Gut gemacht!“

Sie aßen gemeinsam von einer delikaten Seafood-Platte, wobei sich ihre Finger immer wieder berührten. Dabei plauderten sie wie gute Freunde und flirteten, als hätten sie sich eben erst kennengelernt. Aber vor allem feierten sie den spektakulären Erfolg.

„Pedro muss überglücklich sein“, sagte Matteo.

„Zumindest im Moment. Ich kenne ihn, seit er sechzehn ist, und beobachte ihn seitdem sehr genau. Momentan ist er natürlich aus dem Häuschen, aber das wird nicht lange anhalten. Bald wird er unruhig werden und weiterziehen wollen. Wofür ich vollstes Verständnis habe.“

„Legst du es deshalb darauf an, unbedingt in diesem Jahr den Henley Cup gewinnen zu müssen?“

Sie zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie sich entschloss, ihm die Wahrheit zu sagen. „Es ist Hunters letzte Saison, und ich will meine Revanche. Ich weiß, dass es gesünder und großherziger wäre, ihm zu vergeben, aber …“

„Du wirst auf jeden Fall gewinnen, wenn nicht in diesem, dann im nächsten Jahr“, prophezeite Matteo mit einer Entschiedenheit, die keinen Zweifel zuließ. „Aber räum diesem Mistkerl nicht so einen großen Platz in deinem Leben ein. Das ist er nicht wert.“

„Ich weiß.“

„Konzentriere dich lieber darauf, Pedro bei der Stange zu halten. Schmeichle ihm, verwöhne ihn, er ist deine Trumpfkarte. Du bist jetzt auf der Gewinnerschiene.“

„Im letzten Jahr war er hier Fünfter.“ Abby lächelte bei der Erinnerung an den unerwarteten Erfolg. „Unser erstes offizielles Rennen, und niemand hatte Pedro auf dem Zettel. Aber er ist ein Genie, und jetzt weiß es jeder. Nach dem fünften Platz lud er mich großspurig zum Dinner ein und bestand darauf, die Rechnung zu bezahlen. Da war er gerade mal zwanzig und ich seine Managerin. Natürlich wusste ich, was der Hintergrund war. Das Lachance Team hatte versucht, ihn abzuwerben. Ich bat ihn, noch für dieses eine Jahr und den Henley Cup zu bleiben, und er sagte zu.“

„Inzwischen hat sich die Sachlage verändert“, warf Matteo ein. „Pedro ist jetzt Teil eines Gewinnerteams. Der Star eines aufstrebenden Teams auf Siegerkurs, während der Lachance Mob immer noch im alten Trott läuft. Daran musst du ihn erinnern.“

„Keine schlechte Strategie“, gab sie zu. „Vielleicht schaffst du es ja, ihm diese Perspektive näherzubringen. Pedro möchte nämlich unbedingt eine Runde mit dir auf der Rennstrecke drehen, wenn wir nach Mailand kommen.“

„Oh nein, lieber nicht!“, wehrte Matteo spontan ab und senkte rasch den Blick, als er Abbys fragenden Blick bemerkte. Dank seines Rufs hatte sie bestimmt angenommen, er würde diese Chance sofort begeistert wahrnehmen. „Aber besten Dank für das Angebot“, fügte er mit belegter Stimme hinzu.

„Danke für heute“, erwiderte sie leise in die entstehende Pause hinein, froh über die zunehmende Dunkelheit. So blieben ihm ihre brennenden Wangen hoffentlich verborgen.

„Warum?“, wollte Matteo wissen.

„Ich hatte bisher noch nie eine Panikattacke, jedenfalls keine so heftige. Ich … ich glaubte wirklich, dass ich ersticke. Du sagtest, deine Schwester kennt das auch?“

Er nickte, sagte aber nichts weiter dazu.

„Mich hat das völlig überrascht. Ich hätte nie mit so einer heftigen Reaktion gerechnet, da ich Hunter schließlich immer wieder mal zwischendurch sehe.“

Matteo kniff die Brauen zusammen, weil ihm der Gedanke überhaupt nicht gefiel.

„Wir sind naturgemäß zur selben Zeit im Rennzirkus unterwegs, aber ich achte immer darauf, ein anderes Hotel als er zu buchen. Deshalb läuft er mir höchstens am Rand der Rennstrecke über den Weg. Damit hatte ich bisher keine Probleme. Jedenfalls noch nie so wie heute …“

„Vielleicht lag es daran, dass er vor Ärger und Hass geradezu überschäumte. Auch wenn er versucht hat, es zu kaschieren.“

„Mag sein. Ich hasse es, dass er mich immer wieder fertigmachen kann.“

„Dich fertigmachen?“ Matteo schnaubte verächtlich. „Schwerlich! Er hat’s versaut und dein Team hat gewonnen.“

„Du weißt schon, wie ich es meine …“ Sie hatte Matteo heute viel mehr von sich gezeigt als beabsichtigt. Aber es war nun einmal passiert, und jetzt wusste er, dass es nach Hunter keinen Mann mehr in ihrem Leben gegeben hatte.

„Es ist alles nur eine Frage der Zeit.“

„Das ist über neun Jahre her!“

Ihr empörter Ausruf entlockte ihm ein Auflachen. „Neun Jahre ohne … Wie, zur Hölle, kannst du nachts überhaupt schlafen?“, zog er sie auf. „Also, ich brauche abends einen Drink oder Sex – bevorzugt beides.“ Einen Moment schien er nachzusinnen. „Unempfänglich bist du auf keinen Fall“, murmelte er dann und schmunzelte über Abbys offensichtliche Verlegenheit. „Trotz all der Zuschauer hätte ich dich heute Nachmittag mitten auf der Rennbahn haben können.“

„Außerordentliche Umstände …“, führte Abby errötend an und konnte es nicht fassen, wie locker Matteo ein Thema erörterte, das ihr zum Trauma geworden war. Aber irgendwie schien seine Unbefangenheit auch für sie alles schöner und leichter zu machen. „Hunter … er hat mich irgendwie aus der Bahn geworfen. Möglicherweise sogar auf Dauer verkorkst“, fügte sie mehr für sich selbst hinzu.

„Wir sind alle ein bisschen verkorkst, Abby.“

„Du nicht.“

„Hast du eine Ahnung! Unsere gesamte Familie ist es.“

Der bittere Zug um seinen Mund war eben noch nicht dagewesen.

„Weil deine Eltern gestorben sind?“, hakte sie behutsam nach.

„Eher wegen ihrer Lebensweise davor“, kam es so hart und abweisend zurück, dass Abby lieber schwieg.

Matteo war es nicht gewohnt, sich einem anderen Menschen gegenüber zu öffnen. Schon früh hatte er gelernt, über Gott und die Welt zu plaudern und dabei nichts von sich selbst preiszugeben. So war es einfacher, der Vergangenheit zu entfliehen.

Doch nachdem Abby sich ihm heute anvertraut hatte, war es wohl unfair, sie in dem Glauben zu lassen, er wäre tatsächlich der strahlende, sorgenfreie Sonnyboy, den er allen anderen vorspielte. „Weißt du, warum ich so ablehnend auf Pedros Angebot reagiert habe, mich in seinem Geschoss mitzunehmen?“

Abby schüttelte stumm den Kopf.

„Allein der Gedanke, in einen Wagen zu steigen, der in hoher Geschwindigkeit gefahren wird, verursacht mir Übelkeit.“

„Aber auf einem wilden Hengst zu reiten nicht?“

Matteo presste die Lippen zusammen. „Als ich fünf war, weckte mich mein Vater eines nachts auf. Im Rückblick ist mir klar, dass er zu dem Zeitpunkt auf einem Kokain-Trip war. Doch damals hatte ich noch keinen Schimmer von Drogen. Ich wusste nur, dass es Zeiten gab, zu denen es für uns alle besser war, ihn zu meiden. Und dies war so ein Moment. Aber er hatte den Rennwagen beim Pokern gewonnen …“

Einen Moment schien Matteo in der Vergangenheit gefangen zu sein.

„In unserer Garage stand ein ziemlich großer Fuhrpark, aber nein, es musste dieser sein. Silbern und sehr flach. Mein Vater befahl mir einzusteigen, was ich auch tat …“

Matteo schaute Abby an und fühlte sich noch weit aufgewühlter, als er es damals möglicherweise gewesen war.

„Er hat sich nicht mal vergewissert, dass ich angeschnallt war. Er raste einfach drauflos.“

„Wohin?“

Matteo zuckte mit den Schultern, es wirkte seltsam hilflos. „Ohne Ziel und Verstand. Es war die längste Nacht meines Lebens. Ich weiß nur noch, dass ich mich vor Angst und Panik eingenässt habe. Aber mein Vater lachte und schrie und fuhr immer schneller. Ich war überzeugt, sterben zu müssen. Doch irgendwie schafften wir es zurück nach Hause. Wenige Wochen später hatten meine Eltern einen fürchterlichen Streit, und mein Vater flüchtete sich einmal mehr in Alkohol und Drogen. Voll bis unter die Haarspitzen setzte er sich in besagten Wagen und wollte losrasen. Meiner Mutter stieg im letzten Moment mit ein – wahrscheinlich, um die Dinge ein für allemal zu klären. Es heißt, der Wagen sei außer Kontrolle geraten, aber ich frage mich bis heute …“

„Glaubst du, sie hatte damals genauso viel Angst wie du?“

Matteo nickte. „Meine Mutter war zu dem Zeitpunkt clean, aber …“ Er brach ab, als er sah, wie Abby skeptisch die Stirn runzelte. „Glaub mir, fast wünschte ich, es wäre anders gewesen. Der Gedanke, dass sie so voller Angst und Panik gewesen sein könnte wie ich, ist für mich noch unerträglicher.“

„Wie denken deine Geschwister darüber?“

„Es gibt gewisse Dinge, die werden in unserer Familie nicht thematisiert. Wir reden über alles Mögliche, nur die Vergangenheit bleibt da, wo sie ist – in der Versenkung. Sie haben bestimmt ihre eigenen Erinnerungen und Befindlichkeiten, aber davon weiß ich nichts. Und von jener Schreckensnacht habe ich bis heute niemandem erzählt.“

Ein schiefes Lächeln erhellte Matteos Gesicht. „Also richte Pedro meine besten Grüße aus, aber nein danke. So leid es mir tut, ich muss sein großzügiges Angebot ablehnen.“ Er schenkte Abby den letzten Schluck Champagner ein. „So, Schluss mit den traurigen Geschichten“, forderte er dann betont munter. „Schließlich sind wir zum Feiern hier.“

Sie tanzten am Strand zu einem romantischen, langsamen Lied, und Abby feierte damit nicht nur ihren Etappensieg oder dass sie endlich ihr schickes Kleid und die Halskette ihrer Mutter trug. Nein, noch viel besser war, dass sie dabei entspannt Champagner trinken und in den Armen eines aufregenden Mannes tanzen konnte. Und dass dieser offenbar sonst eher emotional verschlossene Mann ihr etwas sehr Privates über sich selbst erzählt hatte.

Etwas, das nicht einmal seine Familie wusste.

Das perfekte Ende eines perfekten Tages, dachte Abby versonnen.

In Matteos Augen war der Tag längst nicht so perfekt verlaufen. Dafür war das, was er von und über Abby erfahren hatte, zu verstörend, bedrückend und kriminell. Nicht nur, was sie damals hatte erleben müssen, sondern auch die Tatsache, dass dieses traumatische Erlebnis sie heute noch einschränkte und quälte. Ganz abgesehen von dem Effekt, den ihre Eröffnung auf ihn gehabt hatte!

Zum ersten Mal, seit er denken konnte, wollte Matteo mehr von einer Frau als ein unverbindliches Techtelmechtel. Doch das würde auch bedeuten, ihr mehr anbieten zu müssen, als er sich geschworen hatte, es jemals zu tun.

Er dachte an ihren leidenschaftlichen Kuss und die unbestreitbare Anziehung zwischen ihnen und daran, wie grausam es wäre, Abby unter diesen Umständen auch nur denken zu lassen, er wäre zu einer ernsthafteren Beziehung fähig.

Als die Musik endete, tat Matteo daher das einzig mögliche … er brachte Abby sicher zurück in ihr Hotel.

5. KAPITEL

Abby schlug die Augen auf, blickte zu ihrem wunderschönen Silberkleid, das über einem Stuhl hing, und schauderte wohlig.

Matteo hatte sie in mindestens so große Verwirrung gestürzt wie sie sich selbst. Er ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie wollte ihn … unbedingt! Mit jeder Faser ihres Körpers verzehrte sie sich nach ihm. Der gestrige Abend war einfach perfekt gewesen.

Bis auf ein winziges, aber entscheidendes Detail.

Ganz anders als bei dem innigen, intensiven Kuss nach ihrem phänomenalen Sieg hatte Matteo sie gestern Nacht vor ihrem Hotel fast brüderlich auf die Wange geküsst. Möglicherweise war ihre traurige Geschichte, die sie ihm anvertraut hatte, doch zu starker Tobak gewesen.

Egal, Matteo Di Sione war für sie ohnehin ein paar Nummern zu groß. Davon abgesehen war eine flüchtige Affäre das Letzte, was Abby wollte.

Zumindest bis gestern Abend …

Jetzt lag sie mit Herzklopfen in ihrem Bett und fragte sich, wie es wohl sein mochte, heißen, wilden Sex mit Matteo zu haben.

Leider war es ihr nicht vergönnt, sich noch länger derart aufregend erotischen Fantasien hinzugeben, da es an der Zimmertür klopfte. Bevor sie ‚Herein‘ rief, zog Abby die Bettdecke bis unters Kinn hoch und kühlte mit den Handrücken ihre brennenden Wangen.

Anstatt eines kompletten Frühstücks wurde ihr nur der starke Kaffee serviert, den sie telefonisch geordert hatte. Denn in weniger als einer Stunde würde sie ohnehin mit dem gesamten Team beim offiziellen Frühstück sitzen. In welcher Verfassung sie ihre Jungs heute Morgen wohl antreffen würde?

Nach Kaffee und Dusche eilte Abby nach unten ins Frühstücksrestaurant, wo sie auf ihr Team traf – alle im gleichen Outfit wie sie, aber deutlich derangierter.

„Na, wie war die Nacht?“

„Kedah hat einen ausgesprochen schlechten Einfluss auf uns ausgeübt“, erzählte Pedro. „Ich sehe immer noch rosa Elefanten!“

„Du Ärmster …“, spöttelte Abby.

„Weißt du, dass er uns jetzt auch sponsern will?“

Dazu gab Abby keinen Kommentar ab, sondern widmete sich ihrem Frühstück. Allerdings wurden sie ständig von Fotografen und Reportern unterbrochen, die offenbar noch immer nicht genügend Bilder geschossen und Kommentare eingefangen hatten. Pedro musste sogar auf einen zweiten Kaffee verzichten, um weitere Interviews zu geben.

„Na, wie geht es unserem Helden heute Morgen?“

Matteos tiefe, warme Stimme ließ Abby fast aus der Haut fahren. „Sehr gut“, erwiderte sie rau. „Aber was machst du hier?“

„Verrat ich dir gleich, ich will vorher nur kurz mit Pedro reden.“

Was immer er dem neuen Champion zu sagen hatte, kam Abby wie eine Ewigkeit vor.

„Können wir irgendwo anders hingehen?“, fragte Matteo, als er zurückkam.

Abby nickte und schluckte angesichts seines geschäftlichen Tons. Matteo wirkte müde und abgespannt, so sah sie ihn zum ersten Mal. Etwas abseits fanden sie einen leeren Tisch. Sie bestellte sich einen Tee, und Matteo folgte ihrem Beispiel.

„Sieht aus, als hättest du nur wenig Schlaf bekommen.“

„Weder ich noch mein Anwalt.“

Fragend runzelte Abby die Stirn.

„Ich bin dabei“, verkündete er trocken und schob ihr über den Tisch hinweg einen dicken Ordner zu.

„Ganz offiziell?“

„Ja. Für die nächsten achtzehn Monate bin ich der offizielle Sponsor vom Boucher Team. Du kannst jederzeit aus dem Vertrag aussteigen, ich nicht. Nimm dir Zeit, ihn gut durchzulesen und auf Herz und Nieren zu prüfen.“

Sie blätterte flüchtig die ersten Seiten durch und hielt automatisch den Atem an. Angesichts der Zahlen konnte sie sich keinen Grund vorstellen, der sie dazu bringen könnte, den Kontrakt ihrerseits aufzulösen. „Was springt für dich bei diesem Deal heraus?“

„Der Name Di Sione auf dem Rennwagen, auf Pedros Anzug und deinem scheußlichen Shirt.“ Missbilligend musterte Matteo das wenig kleidsame Teil. „Wie wäre es, wenn wir eine Klausel bezüglich deines Outfits hinzufügen würden, damit du nicht ständig in Männerklamotten …“

„Kein Problem“, unterbrach sie ihn lächelnd. „Und weiter?“

Er erwiderte ihr Lächeln. „Das war’s eigentlich schon. Zu meiner eigenen Überraschung bin ich absolut fasziniert und hingerissen von diesem Rennzirkus und verstehe sehr gut, dass er deine große Liebe ist.“

„Es ist nicht immer so aufregend und erfreulich wie im Moment“, warnte sie ihn. „Ehrlich gesagt, ist die momentane Euphorie so etwas wie eine Premiere. Sie kann ganz schnell wieder vorbei sein.“

„Schon klar“, räumte Matteo ein. „Ich habe eben mit Pedro vereinbart, dass wir beide in New York zusammen losziehen, um ihm einen heißen Privatflitzer zu besorgen. Das wird seinem Ego schmeicheln.“ Zufrieden registrierte er, wie Abby erleichtert aufatmete. „Damit kannst du dich voll und ganz auf die Rennwagen konzentrieren.“

Das alles klang zu gut, um wahr zu sein. Insgeheim wartete Abby immer noch auf den Haken, der unweigerlich kommen würde.

„Jetzt lies dir den Vertrag sorgfältig durch und ändere, was dich stört oder noch fehlt. Eins sollst du noch wissen: Ich bleibe bei meinen Zusagen, egal, wie es sich zwischen uns privat entwickelt.“

Abby hob den Kopf und suchte seinen Blick. „Uns?“, fragte sie gedehnt.

„Soll ich es buchstabieren?“

„Vielleicht?“

„Feste Beziehungen sind nichts für mich“, erklärte er fast trotzig. „Ich hatte nie eine und gedenke, daran auch nichts zu ändern. Aber dass wir beide irgendwann im Bett landen werden, ist dir doch ebenso klar wie …“

„Ist es nicht“, unterbrach Abby ihn.

„Oh doch“, erwiderte er ruhig. „Aber keine Sorge, ich bin ein geduldiger Mensch. Wir lassen es langsam angehen, schließlich wollen wir es genießen, oder? Also mach dir keinen Stress und konzentrier dich in erster Linie auf das Renngeschehen. Du sollst nur wissen, selbst wenn wir als erbärmliche Exlover enden sollten, werde ich immer für dich und dein Team da sein.“

Das meinte Matteo genau so, wie er es sagte.

Den Großteil der Nacht bis hinein in den Morgen hatte er mit seinem Anwalt via E-Mail ein lebhaftes Pingpongspiel betreffs juristischer Fakten und Formalitäten absolviert und dabei kontinuierlich Abby vor Augen gehabt.

Eine gemeinsame Zukunft mit ihr stand nicht zur Disposition. Doch was er aus dem Hintergrund absichern konnte, war eine sichere, möglichst stressfreie Zukunft für Abby.

„Matteo …“

„Ich muss jetzt gehen“, erklärte er rau. „Genau genommen bin ich bereits auf dem Weg nach New York. Morgen steht ein wichtiges Meeting an. Ich weiß, dass jeder denkt, ich hätte nur Partys im Sinn, dabei arbeite ich ziemlich hart“, gestand er mit einem schiefen Lächeln, das Abby nicht erwiderte.

Gerade hatte er ihr ein Sponsoring in Millionenhöhe und unverbindlichen Sex angeboten, und jetzt ließ er sie einfach stehen.

„Besorg du dir die Pille, ich werde mich um die entsprechenden Tests kümmern.“

„Tests?“

„Nicht, dass sie wirklich notwendig wären, denn ich benutze grundsätzlich ein Kondom. Aber bei dir möchte ich darauf verzichten.“

Dass er ein für sie derart delikates Thema so nüchtern erörterte, entlockte Abby zur eigenen Überraschung ein Lächeln, anstatt sie zu schockieren.

„Alles okay mit dir, Abby?“

Pedros besorgte Stimme ließ sie zusammenfahren. Er war unbemerkt an ihren Tisch getreten und offenkundig besorgt angesichts ihrer auffällig geröteten Wangen.

„Ich habe dir viel Stoff zum Nachdenken geliefert, Abby“, schloss Matteo in geschäftsmäßigem Ton. „Nimm dir alle Zeit, die du brauchst. Wir sehen uns in Mailand.“

Bis dahin sind es noch vier ganze Wochen! dachte Abby entsetzt.

„Wie schon einmal gesagt, ich bin nicht der Typ, der dir im Nacken sitzt und dich drängt.“ Er schüttelte erst ihre Hand, dann Pedros, und in der nächsten Sekunde war er weg.

„Matteo überlässt mir für eine Woche seinen Privatjet zur alleinigen Verfügung, wenn ich den Henley-Cup gewinne“, platzte Pedro heraus, offenbar immer noch völlig überwältigt. „Er ist wirklich ein Pfundskerl!“

„Hände weg von ihm, ich warne dich“, neckte Abby schmunzelnd. Sie lachten beide. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie mit einem Freund einen derart albernen Scherz teilen und gemeinsam darüber lachen konnte.

Matteo tat genau das, was er angekündigt hatte, und hielt sich absolut zurück.

Sämtliche Informationen zu Buchungen für Flüge und Ähnliches bekam Abby nicht von ihm, sondern von irgendeiner virtuellen Assistentin.

Scheich Kedah stand zu seinem Wort und unterstützte ihr Team ebenfalls großzügig. Das Training und die Vorbereitungen für das nächste Rennen liefen auf Hochtouren. Doch das Aufregendste in dieser turbulenten Zeit war für Abby ihr Untersuchungstermin in einer gynäkologischen Praxis, die sie eine Stunde später mit rosigen Wangen und einem Rezept für die Antibabypillen verließ.

Immer noch hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie es mit ihr und Matteo weitergehen würde. Sie war verrückt nach ihm, das stand völlig außer Frage, doch der Rennsport war und blieb ihre erste, große Liebe, die sie für nichts und niemanden aufs Spiel setzen wollte. Der Vertrag mit Matteo mochte tatsächlich wasserdicht sein, doch sich mit einem derart großzügigen und souveränen Sponsor zu erzürnen, wäre ein großer Fehler.

Dass es dennoch irgendwann dazu kommen würde, bezweifelte Abby nicht eine Sekunde.

Sich mit Matteo auf ein erotisches Abenteuer einzulassen, war sicher himmlisch und wundervoll, aber seine Warnung, dass es nur ein vorrübergehendes Intermezzo sein würde, stand ihr glasklar vor Augen.

Abby war eine extrem schlechte Verliererin. Nur deshalb hatte sie es in dem von Männern dominierten Rennzirkus überhaupt so weit gebracht.

Matteo zu verlieren, oder auch nur seine Freundschaft und den Spaß, den sie miteinander hatten, war etwas, das sich Abby selbst nach der kurzen Zeit nur schwer vorstellen konnte. Vielleicht sollte sie sich mit dem bescheiden, was sie bisher hatten, anstatt nach den Sternen zu greifen?

Zurück in New York fand Abby sogar die Zeit, sich mit ihrer Freundin Bella auf einen Kaffee zu verabreden, während Pedro auf Matteo wartete, da ihre geplante Shopping-Tour anstand.

Da Bella Mitglied im Carter Team war, galt die strikte Regel, keine Insiderinformationen auszutauschen, trotzdem genossen die beiden Frauen es, wenigstens als Freundinnen zu plaudern.

„Und? Schwebst du immer noch auf Wolke sieben nach deinem spektakulären Erfolg in Dubai?“, fragte Bella.

„Wir tun alle unser Bestes, um uns voll und ganz auf Milano zu konzentrieren, aber ja, es fühlt sich einfach fantastisch an“, gestand Abby.

„Wie, um alles in der Welt, hast du es nur geschafft, einen Di Sione mit ins Boot zu holen? Ich will ja nicht ins Detail gehen, aber du weißt sicher selbst, dass jeder völlig aus dem Häuschen ist deswegen! Wer wünscht sich nicht einen derart potenten Sponsor? Und dann noch so einen Hot-Shot wie Matteo Di Sione!“

„Reiner Zufall. Wie es heißt, ist er besonders risikofreudig. Da stellten wir mit unserem Status vermutlich die größte Herausforderung für ihn dar.“

„Wenn du mich fragst und angesichts der aktuellen Schlagzeile, bist nicht du, sondern eher er das Risiko!“, erwiderte Bella. „Entschuldige, ich dachte, du hättest es schon gesehen“, sagte sie und reichte Abby ihr iPhone rüber, als diese irritiert die Stirn runzelte.

Das Bild auf der Titelseite eines Boulevardblatts zeigte Matteo, der frontal in die Kamera starrte. Trotz Abendanzug und geröteten Augen war das Foto nicht vor einer Bar oder in einem Casino aufgenommen worden. Es handelte sich eindeutig um ein Polizeifoto.

Abby überflog den dazugehörigen Artikel und erfuhr, dass Matteo nach einer tätlichen Auseinandersetzung in einem Nobelrestaurant verhaftet worden war, weil der Restaurantmanager sich nicht anders zu helfen gewusst hatte, als die Polizei zu rufen. Die Stammgäste, durchweg Vertreter der gehobenen Gesellschaft, waren schockiert und zutiefst erschüttert.

„Typisch Matteo!“ Schulterzuckend gab Abby das iPhone zurück, während ihr Herz sank. Matteo Di Sione stand offensichtlich für Chaos.

Und mit so einem Mann hatte sie erwogen, ins Bett zu gehen!

Nun, damit war es vorbei. Ausgeträumt!

Sobald sie allein war, versuchte sie Pedro zu erreichen, weil sie davon ausging, dass Matteo ihn versetzt hatte. Doch er meldete sich nicht. Abby seufzte und tat ihr Bestes, um Matteo und alle Spekulationen darüber, warum er so unüberlegt gehandelt haben mochte, aus ihren Gedanken zu verbannen.

Nur gut, dass wir morgen endlich nach Mailand aufbrechen!

Dort wartete bereits ihr Baby auf sie. Der Rennwagen war von Dubai aus direkt nach Italien verschifft worden, und sobald sie im Trainingslager wäre, würde es nur noch um Motoren, das letzte Feintuning und die finalen Rennvorbereitungen gehen.

Zuvor aber eine letzte Nacht in New York, um zu entspannen …

Verdammt, Matteo! grollte sie innerlich, als sie die Nachrichten anschaltete und erneut sein ramponiertes Konterfei über den Bildschirm flimmern sah. Frustriert schaltete sie den Fernseher aus und fluchte erneut, als es klingelte.

Vor der Tür stand Pedro. Ein völlig veränderter Pedro, den Abby mit offenem Mund anstarrte. Im edlen Designeranzug, mit frisch geschnittenem und stylish frisiertem Schopf. Dem breiten Grinsen und glänzendem Schlüsselbund, das er um den Finger wirbeln ließ, zu urteilen, war er außerdem noch stolzer Besitzer eines brandneuen Luxusschlittens.

„Dann hat Matteo es also doch geschafft …“, murmelte Abby, schob ihren Frust zur Seite und zwang ein Lächeln auf die Lippen. „Und, wie war’s?“

„Einfach super!“

„Ich habe versucht, dich anzurufen.“

„Mein Handy habe ich bei Bernadette vergessen. Ich bin gerade auf dem Weg zu ihr“, erklärte Pedro leichthin.

„Was war eigentlich mit Matteo los?“, konnte sich Abby sich trotz aller guten Vorsätze nicht zurückhalten. „Wie ich hörte, hat man ihn verhaftet.“

„Und ohne Anklage oder Auflagen wieder entlassen.“ Pedro zuckte lässig mit den Schultern und folgte ihr ins Apartment. „Irgendein Kerl hat sich mit seiner Frau gestritten und ist ausfallend geworden. Matteo ging dazwischen, und da hat der Typ seine Wut an ihm ausgelassen. Hey, Abby …“, fuhr er dann in völlig verändertem Ton fort. „Ich wollte dich noch was fragen. Glaubst du, dass Bernadette mit nach Mailand kommen kann?“

Wahrscheinlich auch ein Vorschlag von Matteo, dachte Abby, immer noch nicht im Reinen mit ihrem neuen Sponsor. Pedro hätte Bernadette schon beim letzten Mal gern dabeigehabt, aber ihr Budget war so knapp bemessen gewesen, dass Ehefrauen und Freundinnen nicht mit auf dem Plan standen. Jetzt lagen die Dinge anders.

„Aber sicher.“ Sie hätte Pedro gern noch etwas länger über seine Shopping-Tour ausgequetscht. Doch ihr Rennfahrerstar konnte plötzlich nicht schnell genug zu seiner Liebsten kommen, um sich und den neuen Wagen zu präsentieren und ihr die aufregenden Neuigkeiten zu erzählen.

Frustriert ging Abby ins Bett und verbrachte den Rest des Abends und die Nacht damit, sich zu fragen, ob Matteo nicht doch noch anrufen würde.

Er tat es nicht.

So war sie morgens am Flughafen nicht gerade bester Laune oder scharf darauf, Matteo Di Sione zu begegnen. Während sie an Bord seines Privatjets gingen, fühlte sie sich wie die Lehrerin einer reinen Jungentruppe kurz vor dem Start zu einer Klassenfahrt. Alle außer ihr schnatterten aufgedreht durcheinander, doch Matteo war nirgends zu sehen. „Wow, was für eine Luxussuite!“, staunte Pedro auf seinem Inspektionsgang durch den Jet. „Wer schläft denn da drin?“, wandte er sich an den Steward, der abwartend im Hintergrund stand.

„Na, Sie natürlich …“, entgegnete der lächelnd.

Jetzt wusste Abby, dass Matteo nicht mit ihnen fliegen würde.

6. KAPITEL

In Mailand hatte sich Abbys Laune um keinen Deut gehoben. Ausdruckslos starrte sie aus dem Fenster des Luxus-Reisebusses, der das gesamte Team vom Flughafen zum Hotel brachte. Sobald bekannt war, wo das Hunter Team absteigen würde, hatte sie ein anderes Hotel gebucht. Daher war wenigstens in dieser Hinsicht kein zusätzlicher Stress zu erwarten.

Abby wartete, bis alle eingecheckt hatten und auf den Weg in ihre Zimmer waren, bevor sie die Rezeptionistin fragte, ob jemand eine Nachricht für sie hinterlegt hätte. Das war nicht der Fall.

„Ist Matteo Di Sione schon eingetroffen?“, erkundigte sie sich.

„Nein.“

„Wissen Sie, wann er kommen wird?“

„Wir sind nicht befugt, derartige Informationen herauszugeben.“

„Ich bin eine Kollegin von ihm“, versuchte sie es noch einmal, ohne dafür auch nur ein Wimpernzucken zu ernten. „Eine sehr enge Mitarbeiterin.“

„Dann fragen Sie Signor Di Sione am besten selbst.“ Das professionelle Lächeln saß wie festgemeißelt auf den perfekt geschminkten Lippen. „Gibt es sonst noch etwas, das ich für Sie tun kann, Signora?“

Abby presste die Lippen zusammen, schüttelte den Kopf und nahm sich zum x-ten Mal vor, sich ab sofort ausschließlich um die Rennvorbereitungen zu kümmern.

Es würde eine harte Woche werden, mit wenig Zeit und Gelegenheit, an Matteo zu denken. Oder sich zu fragen, wann er endlich anreisen würde. Oder, ob überhaupt …

Pedro kannte die Rennstrecke in Dubai, war aber noch nie in Mailand gefahren. Also schauten sie sich endlose Aufzeichnungen der Rennen aus den vergangenen Jahren an, gingen akribisch jede Kurve und jedes noch so winzige Detail des Kurses durch. Abby spürte, wie Pedros Anspannung stetig wuchs.

„Ich hätte Bernadette lieber doch nicht mitnehmen sollen“, vertraute er ihr an, während er den Helm aufsetzte, um in die erste Trainingsrunde zu starten. „Sie soll mich nicht auf dem letzten Platz landen sehen.“

„Denk nicht daran, fahr einfach los, und bekomm erst mal ein Gefühl für den Kurs.“

„Matteo hat mir eben eine SMS geschickt und wünscht mir viel Glück.“

Abby verbiss sich jeden Kommentar.

„Seinen Jet für eine Woche nutzen zu dürfen, kann ich wohl vergessen.“

„Hör zu, Pedro“, sagte Abby streng. „Du hast das Rennen in Dubai souverän gewonnen. Und du kannst auch dieses zu deinem Rennen machen.“

Yeah, aber diesmal stehe ich in der Pflicht und muss den Beweis antreten, dass es nicht nur reines Anfängerglück war, wie Hunter es in der Hotellobby so laut herumposaunt hat, dass ich es hören musste!“

Abby spürte, wie sich ihr Magen hob und schloss für einen Sekundenbruchteil die Augen. Gestern hatte es in der Unterkunft vom Lachance Team ein Problem mit der Hotel-Security gegeben, weshalb Hunter und sein Gefolge in ihr Hotel gewechselt waren.

„Hör nicht auf das, was Hunter von sich gibt“, erwiderte sie mit fester Stimme. „Schau nicht mal in seine Richtung. Ignorier ihn und halt ihm innerlich ein Messer an die Kehle, jedes Mal, wenn er in deine Nähe kommt – hier im Hotel und in jeder Runde auf der Rennstrecke, wenn du an ihm vorbeiziehst.“

Genau so würde sie es auch halten …

Die erste Trainingsrunde verlief nicht so glatt wie erhofft, und Abby musste all ihr psychologisches Geschick aufbieten, um Pedro, der ernsthaft erschüttert war, zu beruhigen und wiederaufzubauen. Um sechs fuhr er frustriert zurück ins Hotel, um sich nach einem schnellen Dinner früh schlafen zu legen.

Abby selbst nahm letzte Änderungen am Rennwagen vor und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, als sie viel später müde und hungrig die Hotellobby enterte. In einem Zustand, in dem sie sich Matteo freiwillig nie präsentiert hätte!

Als sie ihn an der Rezeption stehen sah, senkte sie rasch den Kopf, huschte auf die Fahrstühle zu und drückte heftig auf den Knopf neben der schimmernden Stahltür.

„Willst du mich gar nicht begrüßen?“

Nach einem tiefen Atemzug wandte sie sich lächelnd um. „Hallo Matteo, ich war mir nicht sicher, ob du nicht lieber gleich in deine Suite und dich von der Reise erholen willst.“

„Genau das habe ich vor“, bestätigte er grinsend und gähnte – vollkommen ungeniert. „Ich habe tatsächlich einen langen Tag hinter mir. Wie laufen die Vorbereitungen?“, erkundigte er sich, während er hinter Abby den Fahrstuhl betrat.

Sie seufzte. „Es war nicht unser bester Tag. Pedro ist ziemlich deprimiert und verunsichert. Er bezweifelt, an seinen Erfolg von Dubai anknüpfen zu können. Aber gegen Ende des Trainings war er wieder etwas gelassener.“

Matteo nickte. „Ich habe die Pressekonferenz von gestern gesehen. Da machte er auf mich den Eindruck, kneifen oder gleich alles hinschmeißen zu wollen. Was hast du noch so spät draußen gemacht?“

„Am Wagen geschraubt“, gab Abby knapp zurück, die sich vor Hunger kaum noch auf den Beinen halten konnte. „Wie wäre es mit einem gemeinsamen Dinner?“, fragte sie spontan und hielt sofort darauf erschrocken den Atem an.

„Zu müde. Ich wollte mir was aufs Zimmer bestellen. Du kannst ja mitkommen und mir Gesellschaft …“ Matteo brach ab und suchte Abbys Blick. „Entschuldige, das war gedankenlos von mir“, sagte er, obwohl es ihm gerade noch als das Natürlichste auf der Welt erschienen war. Er war müde und hungrig und hatte das ebenfalls von Abby angenommen. Allerdings …

„Zimmerservice hört sich großartig an“, entgegnete Abby lächelnd. „Ich bin auch total fertig und sterbe vor Hunger.“ Sie in seine Suite einzuladen, um mit ihr das Dinner zu teilen, war die netteste Reaktion, die Abby sich von Matteo vorstellen konnte, nachdem sie ihm ihre intimsten und belastendsten Geheimnisse anvertraut hatte. Die Angst, dass er sie jetzt anders behandeln würde, war in den Tagen, in denen sie ihn nicht gesehen hatte, ständig gewachsen.

Aber ganz offensichtlich dachte er weit weniger über sie nach als umgekehrt. Und das passte ihr ausgezeichnet!

Der Lift beförderte sie rasch und lautlos direkt in die Penthouse-Suite, wo alles besser, heller und schöner war als in Abbys Welt. Dabei hatte sie schon geglaubt, für Pedro die beste Suite gebucht zu haben. Doch offenbar verfügte das Hotel noch über ganz besondere Kleinode, die den Di Siones dieser Welt vorbehalten waren.

Die großzügigen Räumlichkeiten ließen eher an eine Luxuseigentumswohnung als an eine Hotelsuite denken. Die bodentiefe Fensterfront bot einen fantastischen Blick auf Mailands City, aber Matteo schloss sofort nach dem Eintritt via Fernbedienung die schweren rohseidenen Vorhänge. „Ich habe diese spektakulären Ausblicke langsam satt.“

Ein Butler hatte sein Gepäck schon nach oben gebracht und räumte gerade die Schränke ein. Mit einem prüfenden Blick auf den prominenten Gast fragte er höflich, ob er ihm einen Drink einschenken solle.

Matteo nickte. „Bitte.“

Anders als in Abbys Zimmer gab es hier keine Mini-Bar, sondern einen eleganten Barschrank mit einer Karaffe aus schwerem Kristall, die vermutlich auch noch mit Matteos Lieblings-Cognac gefüllt war. Abby schüttelte den Kopf, als auch ihr ein Glas angeboten wurde. „Danke, ich hätte lieber eine Cola.“

„Die nehme ich auch noch dazu“, entschied Matteo.

Kurz darauf waren sie allein. Abby mit einer eisgekühlten Cola in der Hand, Matteo versorgt mit zwei Getränken. Nachdem er seine Cola in einen Zug heruntergestürzt hatte, ließ er den Cognac im Kristallschwenker rotieren und betrachtete versonnen die goldene Flüssigkeit.

„Ich muss gestehen, dass ich hier in Mailand nicht zwingend mit einem derart spektakulären Erfolg wie in Dubai rechne“, trat Abby die Flucht nach vorn an.

„Da hat sich Pedro auch auf vertrautem Boden bewegt“, konterte Matteo gelassen.

Abby quittierte seine Bemerkung mit einem Nicken, erleichtert über so viel Verständnis. „Ich mache mir trotzdem Sorgen und bin furchtbar nervös. Nach unserem ersten Platz sind die Erwartungen ungeheuer hoch.“

„Nicht, was mich betrifft“, beruhigte Matteo sie. „Ich habe Pedro vorhin angerufen und ihm versichert, dass mein Jet ihm auf jeden Fall für eine Woche gehört, egal, wie das Rennen nächsten Sonntag ausgeht. Außerdem habe ich ihm geraten, es Bernadette erst nach dem Rennen zu sagen, egal, auf welchem Platz er landet.“

Er stellte das Glas ab, zog sein Jackett aus und warf es achtlos über die Sofalehne. Dann schüttelte er sich die Schuhe von den Füßen.

„Du siehst todmüde aus“, stellte Abby fest.

„Das bin ich auch. Die letzte Woche war höllisch anstrengend.“ Er gähnte noch einmal. „Familienkram.“

„Und dann noch die Sache mit der Polizei …“, fügte Abby hinzu. „Wie kam es eigentlich dazu?“

„Immer die alte Leier“, murmelte er vage. Er wollte nicht an jene Nacht erinnert werden. Nicht an seine Verhaftung und noch weniger an den Kampf, den er in der Arrestzelle mit sich selbst ausgefochten hatte.

Ob ich in dem Restaurant auch dazwischengegangen wäre, wenn Abby mir nicht kurz zuvor anvertraut hätte, was ihr passiert ist?

Nein. Vielleicht hätte ich das Management oder die Security verständigt oder …

Matteo wusste es nicht. Er wusste nur, dass er plötzlich rot gesehen hatte, einen wütenden Mann gewaltsam von seiner Partnerin weggerissen und ihm empfohlen hatte, sich lieber mit jemandem anzulegen, der eher sein Kaliber war. Und der Bastard hatte ihn auch noch ohne zu zögern beim Wort genommen!

Trotzdem waren es weder die furchtbare Nacht noch die Familienprobleme, die Matteo ständig im Kopf herumgingen. Auch ohne den Polizeiarrest waren es harte, lange Wochen gewesen, in denen er unzählige Male versucht gewesen war, zum Handy zu greifen, um Abby anzurufen oder einfach gleich zu ihr zu fahren.

Dabei hatte Sex für ihn bisher immer nur Entspannung bedeutet.

Diese neuen ungewohnten Gefühle waren es, die ihn irritierten, frustrierten und nicht zur Ruhe kommen ließen. Und Abby, mit der er mehr Zeit verbringen wollte. Gleichzeitig hatte er entsetzliche Angst, falsche Signale auszusenden. Abby sollte auf keinen Fall merken, wie sehr er sie vermisst hatte.

Matteo schnappte sich die Menükarte und studierte sie angestrengt.

Als Abby sich auf ihrer Inspektionstour durch die Suite in einem der hohen Spiegel sah, stieß sie einen spitzen Laut aus.

Matteo grinste.

„Das hättest du mir sagen müssen!“, warf sie ihm vor und rieb sich die ölverschmierte Wange. „Besser ich spring vor unserem Dinner noch schnell unter die Dusche.“

„Das kannst du doch auch hier tun“, schlug er spontan vor und schnitt gleich darauf eine Grimasse. „Ich dachte nur …“

„Schon gut“, stoppte sie ihn. „Nach dem, was ich dir erzählt habe, müsste es sich für mich seltsam anfühlen, allein mit dir in deiner Hotel-Suite zu sein, aber so ist es nicht“, vertraute sie ihm offen an. Auch die Nervosität und Unsicherheit, die sie während seiner Abwesenheit gequält hatten, waren verschwunden.

„Matteo? Alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie irritiert, da er sie unverwandt anstarrte.

„Nein“, gestand er rau und kam näher. „So wollte ich dich eigentlich begrüßen!“ Abrupt schloss er sie in die Arme und küsste Abby mit einer Inbrunst, die Tränen in ihre Augen trieb. Es war ein Kuss, der den langen, ermüdenden Tag auf einen Schlag auslöschte. „Ich habe dich schrecklich vermisst.“

„Du hättest anrufen können.“

„Hast du nicht gesagt, dich nerven aufdringliche Sponsoren?“

Nicht so sehr, wie sie bisher gedacht hatte. „Du hättest ja nicht wegen des Rennens anrufen müssen.“

„Ehrlich gesagt, bin ich nicht der ‚Na, wie war dein Tag‘-Typ.“ Er versuchte so aufrichtig wie möglich zu sein, ohne gleich sein Gefühlschaos preiszugeben. „Und wenn ich dann in einer Woche anrufe und in der nächsten nicht …“ Er zuckte mit den Schultern. „Das alles ist mir zu kompliziert.“

Und das, dachte Abby, ist der gravierende Unterschied! Er hält einen Anruf pro Woche für zu viel, während mir einer in der Stunde zu wenig ist.

„Jetzt hast du auch Motoröl im Gesicht“, murmelte sie rau und löste sich von ihm, um den Schaden auf seinem Hemd zu begutachten.

„Nimm ein Bad“, riet Matteo, der das Gefühl hatte, Abstand zu brauchen, um sich wieder zu fangen.

Zur Hölle! Er würde diesem verdammten Bastard Hunter nicht erlauben, sein Verhalten Abby gegenüber derart zu beeinflussen, dass er sich wie ein unbeholfener Teenager benahm!

„Entweder hier oder in deinem Zimmer. Ich jedenfalls bin völlig fertig und entschlossen, mein Dinner im beziehungsweise auf dem Bett einzunehmen. Und so ölverschmiert, wie du bist, werde ich dich nicht auf meine Decke lassen.“

„Hast du nicht schon im Flieger geschlafen?“

„Nein, ich musste Arbeit aufholen.“ Matteo studierte erneut die Menükarte. „Manchmal ist alles, was man zum Glück braucht, ein dickes Steak.“

„Hört sich großartig an, ich möchte meins gut durchgebraten.“

„Banausin!“ Das klang eher zärtlich als strafend.

Während er die Bestellung aufgab, verschwand Abby im Bad und seufzte wohlig, als sie endlich die dreckigen, verschwitzten Sachen los war und im duftenden Schaumbad lag. Herrlich! Besonders, weil noch ein saftiges Steak auf sie wartete.

Und, quasi als Sahnehäubchen, ein nicht unattraktiver Mann, dachte sie träumerisch und schloss die Augen.

Sie erwachte von einem Klopfen an der Tür und Geräuschen, die verrieten, dass in diesem Moment nebenan ihr Dinner serviert wurde. Wie Phönix aus der Asche tauchte Abby aus der Wanne auf – sauber und duftend. Anspannung und Muskelschmerzen, die sie den ganzen Tag gequält hatten, waren verschwunden.

Sie schlüpfte in einen kuscheligen Hotelbademantel, benutzte Kamm und Zahnbürste aus einem Kulturset mit Hotel-Logo und verließ das Bad. Matteo hatte sein Hemd ausgezogen und es sich am Kopfende des Betts gemütlich gemacht. Neben ihm stand ein silberner Servierwagen.

„Es war total ölverschmiert“, entschuldigte er sich, als Abby den Blick von seiner nackten Brust zu dem Hemd auf dem Boden und wieder zurück wandern ließ. „Und, im Gegensatz zu dir muss ich heute Nacht in diesem Bett schlafen.“

„Mir hat ein bisschen Motorenöl noch nie etwas ausgemacht“, erklärte sie fast trotzig und ignorierte den unverblümten Wink, dass die Matteo Di Sione-Suite offenbar begrenzte Öffnungszeiten hatte. Nachdem sie Matteo den Teller mit seinem fast rohen Steak gereicht hatte, nahm sie neben ihm Platz.

Obwohl Abby versuchte, ihn nicht anzustarren, glitt ihr Blick immer wieder zu seiner gebräunten Brust. „Was macht die Schulter?“, fragte sie, um sich abzulenken.

„Fast wieder voll bewegungsfähig. Ich liebe es, im Bett zu essen“, verkündete Matteo zufrieden und würzte sein Steak aus der Pfeffermühle nach. „Ich hatte sogar mal überlegt, ein Restaurant mit Betten statt Tischen zu eröffnen. Dante und Dario haben es mir ausgeredet.“

„Deine Brüder?“

Matteo nickte. „Sie sind viel schlauer als ich … und viel vernünftiger. Die beiden haben Libertine entwickelt und auf den Markt gebracht.“

„Diese App für die Superreichen?“ Davon hatte Abby zumindest schön gehört. Wie es aussah, hatte Matteos Familie die Finger in jedem lukrativen Geschäft!

„Ja, sie besorgen dir einfach alles, solange du es dir leisten kannst. Wie auch immer, ich habe ihren Rat beherzigt und meine Idee mit der Betten-Restaurant-Kette auf Eis gelegt, obwohl ich immer noch glaube, dass die Idee funktionieren könnte.“

Abby lächelte. „Womöglich so gut, dass niemand mehr nach Hause will.“ Ich am allerwenigsten …

„Was ist eigentlich mit …“ Matteo hatte sie spontan nach ihrer Schwester fragen wollen, biss sich aber gerade noch rechtzeitig auf die Zunge, weil er sich nicht mehr erinnern konnte, welche Hintergrundinformationen von Abbys Vater und welche von ihr stammten. „Was ist mit dir? Hast du auch Geschwister?“

„Eine ältere Schwester, Annabel. Wir haben allerdings kaum Kontakt.“

„Weil …“

„Weil ich offenbar dazu neige, alles zu komplizieren“, gab Abby widerstrebend zu und rollte mit den Augen. „Annabel ist quasi mit meinem Vater verheiratet! Soll heißen, die beiden sind immer einer Meinung und …“

„Verstehe.“

„Und jetzt ist sie auch noch schwanger. Irgendwann Ende Oktober werde ich Tante, dabei habe ich meine Schwester ewig nicht mehr gesehen.“

„Überhaupt nicht?“

„Weihnachten telefonieren wir miteinander, aber zu Hause war ich schon seit Jahren nicht mehr.“

„Seit Jahren?“

Ein kurzes Nicken und keine weitere Erklärungen. Sie genossen eine Weile stumm ihr Dinner und plauderten dann über unverfängliche Themen. Und nur, weil alles so schön ruhig und entspannt verlief, wagte Matteo es überhaupt, ein Thema anzuschneiden, das er bisher erfolgreich verdrängt hatte. Vielleicht war dies genau der richtige Moment für ein Geständnis, das er ihr längst hätte machen müssen.

„Weißt du, deine wundervolle Kette, die so fantastisch zu deinen Augen …“

„Eigentlich ist es gar nicht meine“, unterbrach Abby ihn. „Sie gehört meinem Vater.“

„Aber …“

„Meine Mutter hat sie ihm hinterlassen.“ Klang da ein Hauch Bitterkeit in ihrer Stimme mit? „Und da er weiß, wie sehr ich sie liebe, nutzt er sie als Druckmittel, um mich auf eine Art Wahlparty zu zwingen, die er im Juli plant. So richtig schick und im vollen Ornat!“ Das klang eindeutig bitter. Und trotzig.

Matteo schluckte trocken.

„Aber ich gehe nicht hin.“

Erleichtertes Aufatmen. „Und warum nicht?“

Abby zuckte mit den Schultern. „Aus tausend Gründen“, erwiderte sie leichthin. „Aber hauptsächlich, weil am selben Abend in L. A. eine Riesenparty für alle Teilnehmen des Henley-Cups stattfindet. Also habe ich einen legitimen Grund, mich zu drücken. Du solltest auch kommen.“

„Ich?“

„Immerhin bist du unser Sponsor.“

„Und?“ Matteos Erleichterung, dass sie nicht auf der Wahlparty ihres Vaters auftauchen würde, hellte seine Stimmung blitzartig auf und machte ihn leichtsinnig. Warum sich auch über Probleme den Kopf zerbrechen, die offensichtlich gar nicht akut sind? fragte er sich, rückte näher und zupfte an den Enden von Abbys Bademantelgürtel.

Er würde ihr ganz ungeschminkt von dem absurden Deal mit ihrem Vater erzählen. Von Giovannis Verlorenen Geliebten und allem anderen. Aber nicht jetzt, sondern zu einem günstigeren Zeitpunkt. Am besten gleich nach dem Rennen.

„Hast du inzwischen über uns und alles andere nachgedacht?“

„Habe ich“, erwiderte Abby so gelassen wie möglich.

Ihre knappe Antwort ermutigte ihn genügend, um durch den weichen Frotteestoff mit dem Daumen eine steil aufgerichtete Brustspitze zu massieren. Zärtlich und zugleich herausfordernd. „Und?“

„Weiß nicht …“

„Immerhin kein Nein. Damit lässt sich arbeiten.“

Wie das gemeint war, erlebte Abby mit wohligem Schaudern. Und als sie Matteos Lippen warm und fest auf ihren spürte, gab sie sich ganz dem beseligenden Gefühl hin, begehrt zu werden. Dieser Kuss war ganz anders als der vorherige und ermutigte sie dazu, voller Neugier mit tastenden Fingerspitzen Matteos nackten Oberkörper zu erforschen.

Unfassbar, dass sie sich mit ihren siebenundzwanzig Jahren noch bei keinem Mann so weit vorgewagt hatte …

Als sie spürte, wie Matteo tiefer rutschte, ein Bein über ihres legte und die Hand auf den Knoten ihres Bademantelgürtels, schlug ihr Herz ganz oben im Hals. Aber anstatt den Knoten aufzuziehen, zupfte er nur spielerisch daran, und Abby widerstand nur mühsam dem Drang, ihm zu helfen.

Warum habe ich nur einen Doppelknoten machen müssen?

Mit geschlossenen Augen zog Matteo eine Spur aus heißen Küssen von ihrem Mundwinkel hinunter zu der kleinen Kuhle unterhalb der gewölbten Kehle, wo ihr Puls wie ein gefangener Vogel flatterte … dann zu der empfindlichen Stelle hinter ihrem Ohr.

Abby biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut aufzustöhnen. Wie von selbst glitten ihre Finger über Matteos harte Bauchmuskeln, tasteten, streichelten und wagten sich immer weiter vor, bis zur Barriere seines Ledergürtels. Weiter traute sie sich nicht, obwohl der Drang fast übermächtig war.

Matteo zwang sich zur Geduld. Noch ein kleiner Wink von Abby, und er könnte sich nicht länger beherrschen!

Doch stattdessen küssten und streichelten sie sich zärtlich und abwartend. Irgendwann gelang es ihm wie beiläufig, den Doppelknoten von Abbys Bademantel zu lösen. Er schob ihn auseinander, bis sich ihre nackten Oberkörper berührten, gerade so viel, dass es nicht genug war.

„Dräng mich nicht …“, murmelte sie.

„In spätestens zehn Minuten schmeiß ich dich hier raus“, warnte Matteo sie, nahm ihre Hand und legte sie dahin, wo er sie schon die ganze Zeit über hatte fühlen wollen. Dann küsste er sie mit einer Leidenschaft, die sie überwältigte. Sein pulsierendes Verlangen unter ihren Fingern zu spüren, machte sie schwindelig vor Begierde.

Sie wollte Matteo! Aber sie wollte mehr von ihm, als er jemals zu geben bereit wäre.

„Ich … ich habe es nicht darauf angelegt, dich zu verführen, falls du das denkst.“

Matteo stutzte, suchte Abbys Blick und lächelte schief. „Verführ mich, wann immer dir danach ist“, ermutigte er sie.

„Am besten, ich gehe nach unten … ich meine, in mein Zimmer!“, ergänzte sie hastig, als er grinste.

„Ich weiß“, gestand Matteo seufzend. „Aber Träumen ist doch wohl erlaubt.“

Er brachte es immer wieder fertig, dass sie sich sexy fühlte. Und begehrt.

Abby lächelte, doch Matteo spürte ihr Widerstreben, als sie ihren Bademantel vor der Brust zusammenzog und aus seinem breiten Bett stieg.

Es war besser so, für sie und für ihn. Er gehörte einfach nicht in die Liga verblendeter Romantiker, die Dinge sagten wie: „Du bist es mir wert zu warten.“

Und doch war es genau das, was ihm gerade durch den Kopf schoss.

Als Abby nach nebenan gehen wollte, hielt er sie zurück. „Du kannst doch nicht den ölverschmierten Kram anziehen.“

„Noch weniger werde ich im Bademantel durchs Hotel marschieren.“

„Dann ordere ich den Butler, damit er etwas zum Wechseln aus deinem Zimmer holt“, bot Matteo an und griff bereits zum Hörer.

Wie der Blitz war Abby bei ihm. „Auf keinen Fall! Sonst denkt er noch …“

„Wen interessiert, was der Mann denkt?“

„Mich.“

„Lieber Himmel, bist du prüde!“ Matteo lachte, aber nicht zynisch, sondern eher belustigt. „Dann gehe ich eben runter und erledige das. Bei der Gelegenheit kann ich ja ein bisschen in deiner Dessousschublade herumkramen“, neckte er sie augenzwinkernd und stand auf, um sich ein Hemd überzuziehen.

Wieder hatte er es geschafft, mit einer frivolen Bemerkung ihre Anspannung in Luft aufzulösen. Besser noch! Plötzlich fühlte sie sich leicht wie eine Feder. Dazu ein bisschen wagemutig und behütet zugleich.

Abby händigte Matteo ihre Schlüsselkarte aus, und er machte sich sofort auf den Weg. Im Lift drückte er den Knopf für die zehnte Etage. Natürlich hätte er Abby viel lieber in seiner Suite behalten, doch er wollte sie nicht drängen.

Keine Minute später änderte Matteo seine Meinung.

Und zwar in dem Moment, als der Lift im achtzehnten Stock hielt und Hunter ihn betrat. Sich vorzustellen, Abby würde jetzt an seiner Stelle sein, allein und im Bademantel, jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Matteo spürte, wie sich seine Hände automatisch zu Fäusten ballten. Während Hunter einfach nur geradeaus schaute, ließ Matteo ihn keine Sekunde aus den Augen. Der Mistkerl wusste ganz genau, wer er war und wo er ihn einordnen musste! Matteo sah das am nervösen Zucken seiner Mundwinkel und der Anspannung seines Körpers.

Ich könnte ihn gleich hier erledigen! schoss es ihm durch den Kopf. Dann war’s das für ihn mit dem Rennen.

Aber das würde Abby ihm unter Garantie übelnehmen. Sie wollte Hunter auf ihre eigene Weise schlagen.

Der Lift hielt im zehnten Stockwerk, doch Matteo rührte sich nicht von der Stelle. Er wollte nicht einmal den Hauch des Verdachts aufkommen lassen, er könnte auf dem Weg zu Abbys Zimmer sein. Die Türen glitten wieder zu, und Hunter gab sich einen sichtbaren Ruck.

„Gibt es ein Problem?“, fragte er, gereizt durch Matteos beständiges Starren.

„Nur der üble Geruch.“

Sekundenlang sah es so aus, als würde Hunter explodieren, doch als sich die Lifttüren erneut öffneten, trat er mit steifen Schritten hinaus auf den Hotelflur. Matteo hielt sich mit aller Gewalt davon zurück, ihm zu folgen.

Als er endlich in Abbys Zimmer stand, das der Room Service schon für die Nacht vorbereitet hatte, inklusive einem Täfelchen Schokolade auf dem Kopfkissen, klopfte sein Herz immer noch wie ein Vorschlaghammer.

Hatte Abby nicht gesagt, dass Hunter und sie grundsätzlich in verschiedenen Hotels abstiegen? Okay, sie kommen aus derselben Branche, da ist es ganz natürlich, wenn sie sich immer mal über den Weg laufen, sagte sich Matteo. Aber überzeugen tat ihn das nicht.

Hastig packte er ein paar Wechselsachen zusammen. Dann verfasste er eine alberne kleine Nachricht, die er neben die Schokolade aufs Kopfkissen legte, bevor er sich auf den Rückweg in seine Suite machte.

Ein Blick in sein Gesicht und Abby wusste, das etwas schiefgelaufen war.

„Hier.“ Er händigte ihr die Sachen aus und wollte sie schon drängen, sich mit dem Umziehen zu beeilen, damit er sie noch zu ihrem Zimmer begleiten könne, bevor er selbst ins Bett ging. Oder ihr vorschlagen, noch heute Abend das Hotel zu wechseln. Aber herauskam: „Bleib heute Nacht bei mir.“

Abby musterte seine angespannte Miene. „Matteo?“

„Hunter ist hier.“

Sie nickte. „In seinem Hotel gab es ein Problem mit der Security. Deshalb …“

„Oh nein!“, unterbrach er sie stürmisch. „Das kaufe ich dem Kerl keine Sekunde ab. Hast du wirklich geglaubt, du kannst in Ruhe deinen Masterplan abspulen, während Hunter dir dabei tatenlos zusieht?“

Abby presste die Lippen zusammen. „Es wird nicht noch einmal passieren.“

„Davon rede ich gar nicht. Aber du hast in ein Hornissennest gestochen, und Hunter platzt fast vor Wut und Rachegelüsten. Das ist nicht zu übersehen.“

„Hast du ihm gegenüber irgendetwas erwähnt?“

„Er weiß, dass ich es weiß“, knurrte Matteo.

„Verdammt, Matteo! Was hast du ihm gesagt? Warum mischt du dich …?“

„Ich habe gar nichts gesagt oder getan!“, gab er in gleicher Lautstärke zurück. „Schon während der Pressekonferenz war ihm klar, dass ich Bescheid weiß. Eben, im Fahrstuhl, habe ich es ihm nur noch mit einem entsprechenden Blick bestätigt. Abby, der Kerl brütet etwas aus. Ich schwöre dir, er wird alles tun, um dich zu verunsichern und aufzureiben.“

Sie lachte hart. „Bei Pedro ist ihm das bereits gelungen!“ So ungern sie es zugab: Matteo hatte recht. Dass Hunter in ihrem Hotel wohnte, war ganz sicher kein Zufall.

„Bleib“, drängte Matteo, als sie sich abwandte. „Ich werde dich in Ruhe lassen. Ich …“ Er brach ab und ballte hilflos die Hände zu Fäusten. „Ich will dich einfach nur hier in meinem Bett haben!“, polterte er unbeherrscht los.

„Matteo …“ Abby lächelte schwach. „Du kannst nicht immer um mich sein.“

„Lass uns erst mal durch diese Nacht kommen, dann sehen wir weiter.“ Anstatt an Sex zu denken, sorgte er sich um Abby. Um beruhigt einschlafen zu können, musste er dringend ihre warme Haut an seiner spüren.

Unentschlossen stand sie neben dem breiten Bett und sah zu, wie Matteo sich auszog. Komplett! Wahrscheinlich kam ihm gar nicht in den Sinn, anders ins Bett zu steigen als sonst.

Ich kann ja eine Kissenmauer bauen, überlegte sie mit klopfendem Herzen. Doch nicht allein Matteos nackter, muskelbepackter Astralkörper beunruhigte sie, sondern ihre eigenen widerstreitenden Gefühle.

Rasch warf sie den Bademantel ab und schlüpfte neben Matteo unter die Decke.

Für ihn das Zeichen, die Nachttischlampe auszuknipsen und mit einem wohligen Seufzen zu ihr rüberzurollen. Sanft küsste Matteo ihre nackte Schulter und schlang einen Arm um Abbys Taille. An ihrem Rücken spürte sie, wie sein harter Herzschlag langsam zur Ruhe kam. Ganz still lag sie da, lauschte auf die immer tiefer werdenden Atemzüge und genoss das Gefühl von Matteos warmer Hand auf ihrem Bauch.

Insgeheim wartete sie darauf, dass er seine Meinung änderte und irgendetwas versuchen könnte, doch offenbar war er bereits in einen tiefen, festen Schlaf gesunken.

Für Abby fühlte es sich an wie ein Geschenk: Eine Nacht lang nackt, ohne Angst und ohne Erwartungen in den Armen eines Mannes zu verbringen.

In Matteos Armen …

7. KAPITEL

Zuerst dachte Abby, sie hätte Matteo geweckt, dann begriff sie, dass es genau umgekehrt war.

Matteo hatte das Gefühl zu fallen, diesmal aber nicht von einem Baum. Er stand vor einem offenen Fahrstuhlschacht und musste hilflos mit ansehen, wie die Kabine mit Hunter und Abby an Bord in einem gähnend schwarzen Abgrund verschwand. Er griff nach dem Stahlseil, um sie aufzuhalten, verfehlte es und stöhnte frustriert auf.

Noch gefangen zwischen Schlafen und Wachen spürte er Abbys warme, wohlige Nähe und wusste, dass es nur ein Albtraum gewesen war. Erleichtert glitt er zurück in tiefen Schlaf.

Abby betrachtete sein gequältes Gesicht, das sich langsam entspannte. Anstatt an das heute bevorstehende Rennen zu denken, sann sie über den Mann an ihrer Seite nach und wünschte, der Wecker würde niemals klingeln.

Natürlich tat er es trotzdem.

Matteo reagierte mit einem unwilligen Grunzen auf die Störung und zog sie noch dichter an sich. Sie genoss seine Wärme, spürte, wie sein Begehren erwachte, und lächelte. Wie konnte sich etwas, das absolutes Neuland für sie war, nur so vertraut anfühlen? Mit klopfendem Herzen wartete Abby auf den nächsten Schritt. Sie hatte längst akzeptiert, dass sie diesem wundervoll aufregenden Mann mit der erklärten Bindungsangst hier und jetzt gehören wollte – und stellte fest, dass er wieder eingeschlafen war.

Immer noch umfangen von seinen Armen wandte Abby ihm den Kopf und betrachtete sein entspanntes Gesicht. Die Versuchung, ihn wachzuküssen und einzufordern, was sein erregter Körper ihr zuvor versprochen hatte, war groß.

Als der Alarm zum zweiten Mal losging, stöhnte Matteo laut auf und zog sich das Kissen über den Kopf. In diesem Moment schwand jeder Gedanke an Hunter und ihre Revanche. Es gab nur noch sie, den Mann an ihrer Seite und den brennenden Wunsch, die Vergangenheit abzuschütteln und jeden Morgen auf diese Weise begrüßen zu dürfen.

Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Seufzend rollte sie zur Seite und stellte den Wecker aus. „Matteo, ich muss los.“

Entschlossen kämpfte er sich ins Hier und Jetzt, während die Erinnerung an den gestrigen Abend langsam zurückkehrte. „Ich begleite dich nach unten …“, murmelte er mit belegter Stimme und rappelte sich auf.

„Nicht nötig, ich brauche keinen Bodyguard.“ Sie brauchte ihn, den Mann, doch das war es nicht, was Matteo ihr gerade angeboten hatte. „Schlaf weiter.“

Abby duschte kurz und schlüpfte in die Sachen, die Matteo gestern Abend aus ihrem Zimmer geholt hatte. Als sie zurück ins Schlafzimmer kam, saß er aufrecht im Bett und verfolgte grimmig jeden ihrer Schritte. Keine Frage, dass er sauer war. Das verdankte sie unter Garantie Hunters Anwesenheit im Hotel.

„Hör zu, Matteo, du reist morgen ab, und ich muss noch ein paar Tage hierbleiben, um den Wagen zu demontieren und auf den Weg nach Monte Carlo zu bringen, bevor ich selbst dorthin fliege. Erscheint es dir da nicht selbst albern, mich jetzt in mein Zimmer zu eskortieren?“

Verbissenes Schweigen. Was sollte er auch dazu sagen?

Abby hatte Recht. Morgen um diese Zeit wäre er bereits wieder unterwegs, und was noch schwerer wog: Jemandem ungebeten auf die Pelle zu rücken, war noch nie sein Ding gewesen. Seine Brust wurde ganz eng, während er nach den richtigen Worten suchte. „Viel Glück für heute“, brachte er schließlich gepresst hervor.

„Danke“, kam es genauso gezwungen zurück.

Nachdem Abby gegangen war, lag Matteo flach auf dem Rücken und starrte an die Zimmerdecke der luxuriösen Penthouse-Suite, die ihm plötzlich bedrückend und trostlos wie ein Gefängnis erschien. Morgen würde er endlich zurück in Manhattan sein und sein normales Leben wiederaufnehmen.

Sein bis dato normales Leben!

Seit dem Candle-Light-Dinner mit Abby am Strand von Dubai hatte er schlagartig das Interesse am Rest der Weltbevölkerung verloren und an Dingen, die zuvor sein Motor und Lebensinhalt gewesen waren.

Matteo fluchte lautlos und griff nach dem Hörer des Hoteltelefons.

Abby stürmte in ihr Zimmer, um in die flaschengrüne Arbeitskluft zu schlüpfen, bevor sie sich auf den Weg zum Rennplatz machte.

Sie schnappte sich die Schokolade vom Kopfkissen und runzelte die Stirn, als sie den Notizzettel sah.

Liebe Abby, wie es aussieht, brauchst du dringend neue Unterwäsche. Darf ich dich zu einer Shoppingtour einladen? Und lässt du mich bitte aussuchen? Matteo

Genau in dieser Sekunde klingelte ihr Telefon.

„Hast du meine Nachricht gefunden?“

Sie wusste, es war hauptsächlich ein Kontrollanruf, ob sie heil in ihrem Zimmer gelandet war, und lächelte. „Einverstanden, du suchst aus“, sagte Abby leichthin, wurde dann aber ernst. „Du musst dir keine Sorgen machen, Matteo. Mir passiert schon nichts. Momentan denkt jeder allein ans Rennen.“

„Ich weiß, tut mir leid, dass ich eben so brummig war. Ich wünsche dir für heute alles Glück der Welt, Abby.“

„Danke.“

Matteo verbrachte einen Großteil des Vormittags in einer luxuriösen Lingerie-Boutique – teils zum Befremden, aber noch mehr zum Amüsement etlicher verblüffter Frauen, durch deren neugierige Blicke und verstecktes Getuschel er sich nicht irritieren ließ. Völlig unbefangen begutachtete er die aktuelle Dessous-Kollektion und ließ einen Großteil von ihr in Abbys Hotelzimmer schicken.

Nach einem leichten Lunch machte Matteo sich auf den Weg zur Rennstrecke.

Je näher er seinem Ziel kam, desto überfüllter waren die Straßen, gesäumt von unzähligen Zuschauern. Endlich gelang es ihm, bis zu den Boxen vom Boucher Team vorzudringen, wo er sich, wie versprochen, dezent im Hintergrund hielt.

Bis Pedro ihn entdeckte, das Videospiel auf seinem Handy unterbrach und sich zu ihm gesellte.

Als Abby die beiden Männer Seite an Seite stehen und launig plaudern sah, wurde ihr Herz ganz weit. Egal, wie ihre persönlichen Gefühle für Matteo aussahen, ihn als Sponsor für ihr Rennteam zu gewinnen, war das Beste, was ihr hatte passieren können.

Der Rennstart rückte heran, und vergessen waren Matteo, Hunter und sämtliche Rachegelüste. Was zählte, war allein der Rennwagen, ihre Konstruktion, ihr Baby … und seine acht Geschwister im Hintergrund des Wagenschuppens.

In den nächsten zwei Stunden arbeitete das Boucher Team hochkonzentriert Seite an Seite. Matteo beobachtete fasziniert, wie Abby ihrem Fahrer letzte Instruktionen gab.

Später, während des Rennens, gebärdete sich besonders das italienische Team noch lauter und lebhafter als in Dubai, und als die drittletzte Runde annonciert wurde, steuerte die Stimmung an der Rennstrecke langsam ihrem Höhepunkt zu.

Hunters Rennerfahrung sicherte ihm eine Spitzenposition, die Evan ihm allerdings streitig machte, während Pedro sich auf den fünften Platz vorgekämpft hatte. Als er nach einem ebenso spontanen wie riskanten Manöver plötzlich auf Platz vier lag, ging ein Raunen durch die Zuschauermenge, und Matteo ertappte sich dabei, wie er vor Aufregung an den Nägeln kaute.

Die letzte Runde.

Matteo schaute zu Abby hinüber, deren Gesicht geisterhaft blass wirkte, während sie anscheinend völlig ruhig und konzentriert über ihr Headset mit Pedro sprach. Dabei musste sie fast verrückt vor Anspannung und Nervosität sein.

Mit Evan dicht hinter ihm lag Hunter immer noch weit vor Pedro, der, wie Matteo vermutete, die dritte Position anpeilte. Völlig unerwartet brach er aus, drohte vom Rennkurs getragen zu werden, bekam in letzter Sekunde wieder Bodenhaftung und zog an seinem Konkurrenten vorbei, womit er sich einen Platz auf dem Siegerpodest eroberte.

Abby hat recht, der Bengel ist ein Genie, dachte Matteo, während er an den verunsicherten Einundzwanzigjährigen dachte, den er mit der düsteren Prophezeiung, garantiert auf dem letzten Platz zu landen, vor dem Rennen in den Boliden hatte steigen sehen. Jetzt stand Pedro triumphierend auf dem Siegertreppchen, vom gesamten Boucher Team und vielen neugewonnenen Fans frenetisch beklatscht und gefeiert.

Abby verschwendete in diesem Moment keinen Gedanken an Matteo, sondern versuchte verbissen, sich zu Pedro durchzukämpfen.

„Was zur Hölle …“, stieß sie heiser hervor und verschluckte den Rest ihrer Strafpredigt, als sie sich von Pedro hochgehoben und fast zerquetscht fühlte.

„Sie ist einfach abgehoben, Abby!“, schrie er, wobei seine Stimme vor Begeisterung fast überschnappte. „Dein Baby ist geflogen wie ein Vogel.“

Obwohl er sich ausgeschlossen fühlte, genoss Matteo es, die beiden erneut von ihrem Rennwagen schwärmen zu hören, als ginge es um ein Wesen aus Fleisch und Blut. Fast empfand er schon genauso. Und dieser dritte Platz war für alle offenkundig ein noch süßerer Sieg als die vorherige Erstplatzierung.

Auch die Pressekonferenz verlief diesmal ganz anders als in Dubai.

Abby und Matteo hielten sich bewusst im Hintergrund, Hand in Hand, und verfolgten, wie Hunter weitschweifig über seine langjährige Rennerfahrung referierte. Evan, ein Mann weniger Worte, zuckte nur vage mit den Schultern, als er um eine Prognose für das dritte und letzte Rennen gebeten wurde.

Pedro verfolgte das ganze Theater mit einem breiten Grinsen. „Warten wir ab, was in Monte Carlo passiert“, war alles, was die Reporter ihm entlocken konnten.

Natürlich verlief auch die Siegesfeier völlig anders als beim letzten Mal. Das Boucher Team enterte ein exquisites Restaurant und okkupierte es allein für sich. Abby fand weder Zeit noch Gelegenheit, sich umzuziehen, und niemand störte sich daran. Sie genoss die beste Pasta ihres Lebens, und Pedro widmete ihr eine leidenschaftliche Lobeshymne, die in dem Satz gipfelte, dass es kein perfekteres Paar geben könne als Abby und den von ihr entworfenen Rennwagen.

Als die Party immer wilder und ausgelassener wurde, beschlossen Matteo und Abby in stillem Einverständnis, sich zurückzuziehen. Doch vorher nahm er Pedro noch einmal kurz zur Seite.

„Na, eine weitere Shopping-Tour als Belohnung?“, neckte Abby auf der Rückfahrt zum Hotel, doch Matteo zuckte nur vage mit den Schultern.

Was Pedro und er besprochen hatten, musste Abby nicht wissen.

Als sie im Lift standen, zog Matteo sie sanft an sich. „Was hatten wir noch vereinbart, sollte Pedro es aufs Treppchen schaffen?“, raunte er und eroberte ihre Lippen in einem hungrigen Kuss. Diesmal gab es kein Überraschungsmoment wie in Dubai, nur heißes Begehren.

Der Weg bis zu Abbys Zimmer schien endlos, weshalb sie auch nicht voneinander abließen, sondern engumschlungen den langen Hotelflur entlangtaumelten. Nach einem wilden Gerangel mit der Schlüsselkarte waren sie endlich am Ziel, und Matteo schloss die Tür hinter ihnen mit einem energischen Fußtritt.

„Zur Hölle!“, stieß er hervor und lachte atemlos, während er Abby mit dem Gewicht seines Körpers gegen die Tür drängte und gleichzeitig mit Gürtel und Knöpfen ihrer Monteurkluft kämpfte. „Irgendwie fühlt sich das seltsam an …“

„Ich … ich bin noch nicht bereit“, keuchte sie erstickt.

„Wofür?“, fragte Matteo rau, schob eine Hand in den Bund ihrer Hose und fühlte etwas ganz anderes.

Wie sollte sie ihm nur verständlich machen, dass sie auf der einen Seite fast verging vor Sehnsucht und Verlangen, auf der anderen aber schreckliche Angst davor hatte, ihr Herz an ihn zu verlieren? Und damit die Kontrolle über ihr Leben.

„Ich …“

Matteo spürte ihre Anspannung und sah die verstreuten Päckchen auf dem Bett liegen. „Warum starten wir nicht mit einer kleinen Modenschau?“, versuchte er die Situation zu entspannen.

Gleichzeitig enttäuscht und erleichtert über den gewährten Aufschub schalt Abby sich eine Närrin und folgte ihm zum Bett. Während sie ein Päckchen nach dem anderen öffnete, versuchte Matteo dasselbe mit den Knöpfen an ihrem Hemd, was zu einem erneuten erotischen Gerangel führte.

Einige der Dessous, die Matteo ausgesucht hatte, schimmerten in den Farben des Sommers, von Sonnengelb bis Mintgrün, andere in sämtlichen Schattierungen der Sünde.

„Weißt du, warum ich gerade das ausgesucht habe?“

Zweifelnd begutachtete Abby das dunkelviolette Samtmieder in ihrer Hand. „Weil es im Schritt offen ist?“

„Das ist mir noch gar nicht aufgefallen“, sagte Matteo verblüfft und streifte wie selbstverständlich das grüne Hemd von ihren Schultern. „Ich habe es genommen, weil es nicht nur außen samtig ist.“

Tatsächlich! stellte Abby nach einer Tastprobe fest.

„Ich dachte, es könnte sich gut auf der Haut anfühlen.“

Abby schluckte und nickte vage.

„Zieh es an.“

„Ich bin noch nicht so weit, mit dir zu schlafen, Matteo.“

Das honorierte er mit einem lässigen Schulterzucken, öffnete geschickt ihren BH, warf ihn achtlos zur Seite und hielt Abby das violette Samtmieder hin. „Aber ein netter Orgasmus vorab wäre doch nicht zu verachten, oder?“

Bei ihm hörte sich das an, als könnte man diese Dinge wie ein Menü aufs Zimmer bestellen! Für Abby unvorstellbar. Oder nicht?

Sie dachte an die letzte Nacht in Matteos Bett und daran, wie allein seine Nähe sie angetörnt hatte und wie erregt sie sich jetzt fühlte. Vielleicht sollte ich mich einfach vertrauensvoll in seine Hände begeben? Was habe ich schon zu verlieren? Selbst ein klitzekleiner Orgasmus wäre schon so etwas wie ein Wunder!

Ihr zögerliches Nicken wertete Matteo als Einverständnis, und nur Sekunden später war Abby so heiß, als würde sie in Dubai mitten in der prallen Mittagshitze im Freien stehen.

„Erinnerst du dich noch an die Modenschau auf dem Charity-Event meiner Schwester?“, fragte Matteo mit belegter Stimme. „Dort habe ich die ungemütlichste halbe Stunde meines Lebens verbracht, weil ich mir dich in den vorgeführten Dessous vorgestellt habe“, gestand er grinsend. „Du warst meine Dubai-Fantasie, und jetzt ist sie wahrgeworden …“

Abby schluckte. Offenbar tickten sie beide völlig unterschiedlich. Was für sie die aufregendste Erfahrung ihres bisherigen Lebens gewesen war, bedeutete für Matteo anscheinend nicht mehr als ein unterhaltsames Highlight nach einem erfolgreichen Tag.

Während er es sich mit einem Glas Brandy in der Hand auf ihrem Bett bequem machte, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, seine deutlich sichtbare Erektion zu kaschieren, verschwand Abby mit brennenden Wangen und diversen Dessous unterm Arm in Richtung Bad.

„Vergiss nicht, die High Heels mitzunehmen!“, rief Matteo ihr hinterher.

Sieh nur, wie weit es mit dir gekommen ist! rügte Abby ihr geschminktes Konterfei. Nicht nur, dass sie die wahrscheinlich heißesten Dessous der Welt zu mörderischen Stilettos trug, auf denen sie kaum stehen konnte. Sie steckte auch noch freiwillig ihr Haar zu einem frivolen Lockengebilde hoch und legte blutroten Lippenstift auf.

Es war eine Maskerade. Ein aufregendes Kostüm für ein Spiel, dessen Regeln Matteo festgelegt hatte und das sie entschlossen war zu gewinnen.

Als Abby aus dem Bad trat, erinnerte Matteo sich an die schüchterne Beauty im silbernen Traumkleid, die in Dubai den Hotellift verlassen hatte und zögernd auf ihn zugekommen war. Diese Frau gab es nicht mehr. An ihre Stelle war eine aufregende Sirene getreten, die mit ausholenden Schritten den Raum durchquerte und am Fußende des Betts sogar noch eine kurze Pose einnahm. Ungeachtet offenkundiger Probleme mit den High Heels.

Nervös vielleicht, aber nicht schüchtern.

„Es mangelt noch etwas am sexy Hüftschwung“, stellte er sachlich fest und trank genüsslich seinen Brandy, während Abby den Catwalk wiederholte.

„Schon besser“, lobte Matteo. „Noch etwas langsamer und lasziver.“

„Wirst du auch mal für mich modeln?“, fragte sie neckend.

Er grinste. „Jederzeit, nur im Moment nicht. Komm her“, forderte er heiser, und Abby gehorchte. Wortlos befreite er sie von der Samtkorsage, drückte sie in die Kissen und ließ sie keine Sekunde aus den Augen, während er ihre nackten Brüste, mit den steil aufgerichteten Spitzen in teurem Brandy badete. „Der einzig akzeptable Weg, einem derart exklusiven Getränk gerecht zu werden …“

Dekadent, schoss es Abby durch den Kopf. Absurd und regelrecht pervers.

Anfühlen jedoch tat es sich einfach wundervoll, als sie kurz darauf über ihm kniete und versuchte, ihren Atem zu kontrollieren, während Matteo sicherstellte, keinen der kostbaren Tropfen zu verschwenden, die ihre linke Brust benetzten. Dabei streichelte er sie an ihrer empfindlichsten Stelle. Ohne die erotischen Liebkosungen zu unterbrechen, wechselte er zur anderen Brust, und Abby fürchtete schon ohnmächtig zu werden vor unterdrückter Lust.

Bis Matteo sich dem einen magischen Punkt widmete, der sie in schwindelnde Höhen und weit darüber hinaus an einen Ort allerhöchster Wonne und Lust katapultierte, von dem Abby nur widerwillig und völlig atemlos ins Hier und Jetzt zurückkehrte.

Noch vor einer halben Stunde hatte sie sich gefragt, wie es sich wohl anfühlen mochte. Jetzt wusste sie es.

„Und, wie war es?“, fragte Matteo nach einer langen Pause fast zärtlich und dachte dabei an seinen ersten Orgasmus.

„Besser als Sex …“, murmelte Abby und kuschelte sich dicht an ihn.

Matteo erwachte zuerst.

Viel Schlaf hatten sie nicht bekommen. Die Modenschau hatte sich bis in die frühen Morgenstunden fortgesetzt, und ausprobiert hatten sie so ziemlich alles, bis auf das eine.

Also keinen echten Sex, konstatierte Matteo selbstironisch, obwohl es sich nach noch weit mehr angefühlt hatte. Abby wollte keine unverbindliche Affäre als ihren ersten Lover, und er respektierte das.

Nicht, dass es ihm gefiel, doch er verstand es. Matteo seufzte.

Reglos lag er auf dem Rücken, starrte an die Zimmerdecke und dachte an ein Versprechen, das er sich selbst vor langer Zeit gegeben hatte. Keine Frage, er war ein leidenschaftlicher Spieler, doch als er den Kopf wandte und Abby anschaute, die langsam erwachte, wusste er, dass der Einsatz diesmal zu hoch war. Er durfte es nicht riskieren, ein Herz zu brechen, das schon einmal schwer misshandelt worden war.

„Du musst los?“ Im Aufwachen hatte Abby die veränderte Stimmung gespürt und sich gefragt, wie lange es dauern mochte, bis Matteo ihr einen höflichen Abschiedskuss geben und sie verlassen würde.

„Ja“, bestätigte er ihre Ahnung. „Und du musst einen Wagen auseinandernehmen.“

Sie blickte ihm nach, als er im Bad verschwand, um zu duschen, und entschied, dass es richtig gewesen war, nicht noch weiter zu gehen. Trotzdem würde nach der letzten Nacht nichts mehr sein wie zuvor.

Die Spannung in der Luft war fast greifbar, als Matteo ins Zimmer zurückkam und sich schnell anzog. „Wenn du noch etwas für Monte Carlo brauchst …“

„Danke, wir sind bestens versorgt.“

„Gut. Aber falls Pedro …“

„Der fliegt für ein paar Tage mit Bernadette nach Rom“, unterbrach Abby ihn knapp. „Das Team trifft sich erst fünf Tage vor dem Rennen vor Ort.“

„Hm … könnte sein, dass ich es erst am letzten Tag schaffe.“

„Oder eine Stunde davor.“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Für dich besteht keine Anwesenheitspflicht, Matteo.“

„Mal sehen, wie schnell ich die anstehende Arbeit erledigen kann.“ Was für ein grässliches Ende einer so wundervollen Nacht. Er hätte sie gern geküsst, doch Abby hielt den Kopf abgewandt. Besser so. Er wollte und konnte sich seinen Gefühlen für sie nicht stellen, selbst in einer Situation wie dieser. Inzwischen war Matteo sogar froh, dass sie sich ihm letzte Nacht verweigert hatte. Das machte es ihm leichter, sich jetzt von ihr zu trennen.

Er rief nicht an, warum auch?

Abby hatte es vorher gewusst, trotzdem schmerzte es mehr, als es durfte. Matteo war Weltmeister darin, Mauern um sich herum zu errichten. Sie musste lernen, das zu akzeptieren – und sich wieder voll und ganz auf das Rennen zu konzentrieren.

Während Pedro und Bernadette sich eine romantische Auszeit in Rom gönnten, war der Rest des Teams bereits auf dem Weg nach Monaco. Normalerweise wäre Abby mit dabei gewesen, um Transport und Zusammenbau ihres Babys zu überwachen, doch in letzter Minute hatte sie ihren Flug spontan gecancelt.

An Monte Carlo hafteten zu viele negative Erinnerungen.

Matteo wusste das und rief trotzdem nicht an. Obwohl er jede Minute jeden einzelnen Tages versucht war, es zu tun.

Verdammt! Er wollte sein altes Leben zurück!

Das, in dem Giovannis Verlorene Geliebte nur ein Märchen aus frühen Kindertagen gewesen war. Ein Leben voller Herausforderungen und heißem Sex ohne Verpflichtungen, anstatt wie jetzt unsinnigen Erinnerungen nachzuhängen.

Er war wütend, auf sich, auf Abby und den Rest der Welt.

Jedes Mal, wenn er drohte, der Versuchung zu erliegen und Abby doch anzurufen, beschwor Matteo vor seinem inneren Auge das Bild seines Vaters herauf, wie er vor gut dreißig Jahren aus der Spielbank gestolpert war. Er dachte an das Foto von sich selbst, in einer ähnlichen Situation. Und als ob das noch nicht reichte, erhielt er kurz darauf eine E-Mail von Ellison.

Irgendwelche Fortschritte zu verzeichnen? Abby hat auf meine Einladung mit einer formellen Absage reagiert …

Braves Mädchen! dachte Matteo und hätte auf die verdammte Mail am liebsten mit einer gezielten Unflätigkeit geantwortet, was die Verbindung zwischen ihm und Abbys Vater auf der Stelle gekappt hätte.

Doch egal, was er jetzt unternahm, ein Fakt blieb bestehen: Er hatte sich mit dem Vorhaben, Abby zur Teilnahme an der verdammten Wahlparty zu zwingen, zu seinem Komplizen gemacht.

Autor

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