Das Geschenk einer spanischen Nacht

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Schuld ist nur der Mond über Barcelona: Überraschend findet Cat sich während eines Medizinkongresses in den Armen ihres charmanten Kollegen Dominic wieder! Mit Folgen, die ihre Seele tief verletzen könnten - oder endlich ihr Lachen zurückbringen …


  • Erscheinungstag 11.05.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746544
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

So hatte sie sich den Juli nicht vorgestellt.

„Hey, Cat!“

Catriona Hayes blieb stehen, als ihre Freundin aus dem Behandlungszimmer kam, konnte aber nicht zurücklächeln.

„Ich muss nur eben noch auf der Entbindungsstation nach einer Patientin schauen, dann können wir …“ Gemma brach mitten im Satz ab. Aus der Nähe konnte sie sehen, dass es Cat gar nicht gut ging. In ihren grünen Augen schimmerten Tränen, ihr langes, lockiges schwarzes Haar war zerzaust, und sie war außer Atem, als ob sie gerade gerannt wäre. Schnell war Gemma klar, dass Cat nicht wegen ihrer Verabredung zum Shoppen ins London Royal gekommen war.

Nach ihrer Schwangerschaftsuntersuchung in dem Krankenhaus, in dem sie arbeitete, war Cat wie ferngesteuert in die U-Bahn zum Royal gestiegen, wo Gemma als Assistenzärztin in der Geburtshilfe arbeitete. Stumm vor Panik hatte sie in der Bahn gesessen, und obwohl sie in der zwanzigsten Schwangerschaftswoche war und nur ein dünnes Wickelkleid und hohe Schuhe trug, war sie die Rolltreppe hochgelaufen, statt einfach stehen zu bleiben und sich nach oben fahren zu lassen.

„Du bist nicht hergekommen, um mich zum Shoppen abzuholen, oder?“, fragte Gemma, und Cat erinnerte sich wieder an die Verabredung, die sie vor ein paar Wochen ausgemacht hatten. Sie hätten heute beide um vier Uhr Feierabend gehabt und wollten einkaufen gehen, da Cat jetzt wissen würde, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen bekam.

Sie hatten alles durchgeplant – sie wollten einen Tee trinken gehen, bei dem Cat dann das Geschlecht ihres Babys verraten würde. Danach wollten sie Babysachen in den passenden Farben kaufen und Schuhe für Cats und Mikes Hochzeit aussuchen, die schon drei Wochen später stattfinden würde.

Zumindest hatten sie sich das so gedacht.

Doch jetzt war alles anders.

„Wir haben doch gesagt, dass wir Berufliches und Privates trennen wollen, weißt du noch?“ Cat kam die eigene Stimme fremd vor, als sie mit ihrer besten Freundin sprach. „Kann ich mir das doch noch mal anders überlegen?“

Und weil sie und Gemma schon seit dem Medizinstudium befreundet waren, musste sie nicht erklären, was sie meinte.

„Natürlich“, antwortete Gemma, nichts Gutes ahnend. „Gehen wir in mein Zimmer.“

Als Cat erfahren hatte, dass sie schwanger war, hatte sie mit ihrem Hausarzt und ihrem Verlobten besprochen, dass es wohl keine gute Idee war, die beste Freundin als Frauenärztin zu haben.

Entgegen ihrem Bauchgefühl hatte sie daher beschlossen, sich während der Schwangerschaft von einer angesehenen Kollegin von Mike behandeln zu lassen.

Heute allerdings hatte sie die beiden einfach stehen gelassen.

Auf wackligen Beinen betrat Cat jetzt zum ersten Mal als Patientin das Sprechzimmer ihrer Freundin. Sie setzte sich hin und fragte sich, wie sie am besten erklären könnte, was passiert war. In den letzten zwei Wochen war sie Gemma aus dem Weg gegangen.

Gemma schenkte ihr ein Glas Wasser ein, und Cat ließ sich Zeit beim Trinken. Schließlich hatte sie sich wieder so weit gefangen, dass sie reden konnte.

„Vor ein paar Wochen hatte ich einen Ultraschall“, begann sie. „Es gab ein paar Probleme … Ich weiß, ich hätte mit dir darüber sprechen können, aber Mike wollte warten, bis alle Testergebnisse da sind, bevor wir etwas sagen. Wenn wir überhaupt jemandem etwas sagen würden …“ Ihre Tränen liefen ihr nun ungebremst über das Gesicht, aber sie hatte aufgehört zu schluchzen und konnte weitersprechen. „Die Ergebnisse sind nicht gut, Gemma. Ganz und gar nicht gut. Ich hatte eine Fruchtwasseruntersuchung, beim Baby wurde das Edwards-Syndrom festgestellt. Freie Trisomie 18.“ Sie schaute Gemma an und sah, wie ihre Freundin schlucken musste, als sie die Tragweite der Diagnose begriff.

„Was sagt Mike dazu?“

Cat hatte nicht nur erfahren, dass ihr Baby schwer krank war, sie hatte in den letzten zwei Wochen auch ihre Beziehung in die Brüche gehen sehen.

„Mike sagt, dass das so nicht geplant war … Also, er hatte nicht den Mumm, es so auszudrücken. Er hat gesagt, dass er als Kinderarzt am besten weiß, womit das Baby zu kämpfen hat und was das für uns bedeuten würde. Die Anomalien sind sehr schwerwiegend. Es besteht kaum Hoffnung, dass das Baby die Geburt überstehen wird, und selbst wenn, wird es wahrscheinlich nur ein paar Stunden leben.“ Sie sprach immer lauter. „Er hat gesagt, dass es nicht unsere Schuld ist, dass wir immer noch ein gesundes Baby bekommen könnten, dass wir es einfach hinter uns lassen und noch mal versuchen sollen …“ Cats Augen blitzten vor Wut. „Er ist Kinderarzt, verdammt noch mal, und will, dass ich eine Spätabtreibung machen lasse …“

„Cat, was möchtest du?“, unterbrach ihre Freundin sie vorsichtig. „Weißt du überhaupt, was du willst?“

„Ein gesundes Baby.“

Schweigend sah Gemma sie an.

„Und das ist nicht möglich“, sagte Cat.

Jetzt endlich akzeptierte sie es.

Sie sagte nichts weiter, saß nur da. Seit zwei Wochen verspürte sie das erste Mal wieder so etwas wie Frieden. Nach dem ersten Ultraschall hatten sie die Ergebnisse auf Mikes dringenden Wunsch hin für sich behalten, sodass sie alles in sich hineinfressen musste. Irgendwie hatte sie es geschafft, weiter als Assistenzärztin in der Notaufnahme zu arbeiten, die Hochzeit wie geplant vorzubereiten und einem Gespräch mit Gemma möglichst aus dem Weg zu gehen.

Zuerst war Cat jeden Morgen tränenüberströmt und voller Sorge um ihr Baby aufgewacht. Heute jedoch war sie mit Wut im Bauch wach geworden, hatte ihren Verlobten unsanft geweckt und ihm gesagt, dass Schluss sei. Dass selbst, wenn ein Wunder geschehen und die Fruchtwasseruntersuchung heute ohne Befund sein würde, ihre Beziehung am Ende sei.

Doch die Fruchtwasseruntersuchung hatte ihre schlimmsten Befürchtungen nur bestätigt.

Cat war das schon vorher klar gewesen. Schließlich hatte sie die Ultraschallbilder gesehen und gewusst, dass ihre Probleme nicht wie von Zauberhand verschwinden würden. Ihr Anfangsverdacht hatte sich als wahr erwiesen.

Gemma gönnte ihr eine Pause, und Cat fühlte die Tritte ihres Babys und das schnelle Schlagen des eigenen Herzens. Beides beruhigte sich schließlich, denn ihr Entschluss stand fest, seit sie die schlechten Nachrichten bekommen hatte.

„Ich weiß, dass das jeder für sich entscheiden muss. Wenn ich es eher erfahren hätte, hätte ich vielleicht abgetrieben.“ Sie wusste wirklich nicht, was sie in diesem Fall getan hätte, konnte nur auf ihr jetziges Gefühl hören. „Aber ich bin schon in der zwanzigsten Woche. Ich weiß, dass es ein Junge ist, und ich spüre seine Bewegungen. Da, jetzt tritt er gerade.“ Sie legte eine Hand auf ihren Bauch und fühlte ihn, lebendig und sicher. „Mike sagt immer wieder, dass es humaner wäre, aber ich frage mich, humaner wem gegenüber?“

Nachdem Gemma geduldig zugehört hatte, rief sie das Krankenhaus an, in dem Cat bisher in Behandlung gewesen war, und ließ sich alle Ergebnisse schicken.

Sie schaute sich alles genau an und rief dann noch einen Kollegen an, der bei Cat einen weiteren Ultraschall durchführte.

Ihr Baby war unvollkommen – von seinem zu kleinen Kopf bis zu seinen winzigen gewölbten Füßen –, doch Cat sah nur ihren Sohn. Gemma erklärte ihr behutsam, dass sein Zustand sehr ernst war und dass er, wenn er die Geburt überstehen würde, nur sehr kurz leben würde.

„Ich will so viel Zeit mit ihm haben, wie ich bekommen kann“, sagte Cat.

Gemma nickte. „Ich stehe dir zur Seite. Vielleicht würde Mike …“

„Ich rede darüber nicht mehr mit Mike“, unterbrach Cat sie. „Ich werde ihm sagen, was ich entschieden habe, und dann kann er machen, was er will, aber zwischen uns ist es aus.“

„Du musst jetzt keine vorschnelle Entscheidung über deine Beziehung treffen. Das wäre für jedes Paar schwer …“

„Wir sind kein Paar mehr.“ Cat schüttelte den Kopf. „Das habe ich ihm heute früh mitgeteilt. Seit die Probleme in meiner Schwangerschaft aufgetreten sind – und eigentlich auch schon vorher – hatte ich das Gefühl, gar keine Stimme zu haben. Jetzt reicht es mir, und ich werde mein Baby bekommen.“

Es war ein langer und schwerer Monat, aber auch ein sehr kostbarer.

Cat sagte die Hochzeit ab und war sich bewusst, dass sie bald eine Beerdigung planen müsste, doch diesen Gedanken schob sie so weit wie möglich von sich.

Ihre Eltern waren keine große Hilfe. Ihre Mutter war der gleichen Meinung wie Mike, und ihr Vater verschwand immer in seinem Arbeitszimmer, wenn Cat einmal vorbeikam. Doch sie hatte noch ihren Bruder Greg, der all ihre Sachen aus Mikes Haus holte.

Zu Cats großer Erleichterung blieb Mike weitgehend friedlich.

Und sie hatte natürlich noch Gemma.

Ende Juli, in der fünfundzwanzigsten Woche, bekam Cat Wehen, und mit Gemmas Hilfe brachte sie einen kleinen Sohn zur Welt, Thomas Gregory Hayes. Thomas, weil sie den Namen sehr mochte, Gregory nach ihrem Bruder.

Cat würde jede kostbare Minute der zwei Tage und der einen Nacht, die Thomas lebte, für immer im Herzen bewahren.

Fast jede.

Wegen seiner stark ausgeprägten Lippen-Kiefer-Gaumenspalte konnte sie ihn nicht stillen, obwohl sie sich so danach sehnte. Sie würde nie vergessen, wie ihre Mutter das Gesicht verzog, als sie ihren Enkel und seine Fehlbildungen sah – Cat hatte sie weggeschickt.

Zwei Tage lang hielt sie die Tür zu ihrem Zimmer auf der Entbindungsstation geschlossen und ließ nur Liebe, positive Gefühle und nette Menschen herein: ihren Bruder, Gemma und ihren neuen Partner Nigel, ein paar andere langjährige Freunde und das Krankenhauspersonal, das ihr half, ihren Sohn zu pflegen.

Alle waren für sie da, und als Cat so müde war, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, kümmerten sich Greg, Gemma oder Nigel um ihn. Außer beim Wickeln wurde Thomas kein einziges Mal abgelegt.

Sein ganzes Leben lang lernte ihr Sohn nur Liebe kennen.

Nach der Beerdigung, als Cats Eltern und einige andere Familienmitglieder ihr erzählen wollten, dass Thomas’ Tod vielleicht das Beste war, hielt Gemma Cats Hand, während diese eine scharfe Antwort hinunterschluckte.

Statt alles hinter sich zu lassen und zu versuchen, wieder zur Normalität zurückzukehren, wie man ihr empfahl, nahm Cat die gesamte Zeitspanne ihres Mutterschutzes in Anspruch und zog sich zurück, um zu trauern. Doch als ihr erster Arbeitstag näher rückte, war ihr immer weniger danach, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, insbesondere weil sie dort unweigerlich auf Mike treffen würde.

Also bewarb sie sich auf eine Stelle in der Notaufnahme des London Royal, dem Krankenhaus, in dem ihr Baby geboren worden war und wo Gemma arbeitete.

Auf den Tag genau vier Monate nachdem sie ihren Sohn verloren hatte, ging Cat wieder in die Welt hinaus … Doch sie war nicht mehr dieselbe.

Sie war eine deutlich zähere Version ihres alten Selbst.

1. KAPITEL

Sieben Jahre später

„Cat, du hast eine viel zu schlechte Meinung über Männer.“

„Das glaube ich nicht“, antwortete Cat. „Ich bleibe dabei, ich will ein Jahr lang nichts von ihnen wissen.“

Cat packte. Während sie zwischen Kleiderschrank und Koffer hin und her lief, sprach sie mit ihrer besten Freundin Gemma, die auf dem Bett lag und E-Mails auf ihrem Smartphone beantwortete.

Beide Frauen hatten auf der Arbeit immer viel um die Ohren, und doch schafften sie es normalerweise, sich ein paar Mal in der Woche zu sehen, sei es in der Krankenhauskantine, bei einem Kaffee, in der Weinbar oder bei einem kurzen Besuch zu Hause.

An diesem Abend würde Cat sich auf den Weg nach Barcelona zu einer internationalen Notfallmedizin-Konferenz machen, wo sie am nächsten Morgen einen Vortrag halten sollte. Sie hatte ihre Schicht im Krankenhaus vorzeitig beendet, um noch packen zu können, und Gemma war vorbeigekommen, um die letzten Details für das darauffolgende Wochenende zu besprechen. Die Taufe der Zwillinge von Gemma und Nigel, Rory und Marcus, stand an, und Cat sollte Rorys Taufpatin sein.

Sie waren daran gewöhnt, sich zwischen Tür und Angel auszutauschen. Allzu oft fielen ihre Pläne in letzter Minute ins Wasser – mal war Cats Arbeit als Ärztin in der Notaufnahme schuld, mal lag es an Gemma, die als Mutter zweier achtzehn Monate alter Jungen und in Vollzeit arbeitender Frauenärztin alle Hände voll zu tun hatte.

In vielerlei Hinsicht führten die Freundinnen ein ganz ähnliches Leben, doch in manchen Aspekten unterschied es sich grundlegend voneinander.

„Zwischen dir und Rick ist es also definitiv aus?“, fragte Gemma.

„Er ist seit einem Monat weg, also sieht es ganz danach aus.“

„Und du willst nicht noch mal drüber nachdenken?“

„Warum sollte ich nach Yorkshire ziehen, wenn ich hier glücklich bin?“

„Weil man das in einer Beziehung manchmal so macht.“

„Also wenn Nigel plötzlich beschließen würde, dass er nach …“ Cat überlegte einen Moment und erinnerte sich dann, dass Nigel Französischunterricht nahm. „Wenn er nach Frankreich ziehen wollte, würdest du also mitgehen?“

„Nicht einfach so“, sagte Gemma. „Da ich die Brötchen verdiene, müsste es dafür schon einen guten Grund geben, aber wenn Nigel das wichtig wäre, dann würde ich darüber nachdenken, na klar. In Beziehungen muss man Kompromisse eingehen.“

„Und immer muss die Frau nachgeben“, warf Cat ein, aber Gemma schüttelte den Kopf.

„Das sehe ich nicht so.“

„Du warst nie in der Situation, mit über dreißig eine neue Beziehung einzugehen.“

„Doch, Nigel und ich haben erst letztes Jahr geheiratet.“

„Ja, aber ihr zwei wart davor schon seit Ewigkeiten zusammen. In unserem Alter ist das anders, Gemma. Die Männer behaupten vielleicht, dass sie nichts gegen unabhängige, berufstätige Frauen haben, und das stimmt sicher auch, solange die Frauen vor ihnen nach Hause kommen und das Essen auf den Tisch stellen.“

„Unsinn!“, protestierte Gemma aus dem Blickwinkel der glücklich verheirateten Ehefrau. „Schau dir Nigel an – ich arbeite, er hat seine Stelle als Lehrer gekündigt und kümmert sich zu Hause um die Kinder, den Haushalt und mich.“

„Ja.“ Cat lächelte. „Du und Nigel, ihr seid die berühmte Ausnahme, die meine Regel bestätigt.“

Doch Gemma war plötzlich abgelenkt, als sie sah, was Cat gerade in den Koffer legen wollte. „Bitte, lass die hier“, bat Gemma mit Blick auf Cats Sportschuhe. „Die sind echt hässlich.“

„Aber praktisch“, entgegnete Cat. „Und sehr bequem. Ich hoffe, dass ich Sonntagnachmittag nach der Konferenz noch ein bisschen Zeit für Sightseeing habe. Es gibt dort ein Museum für moderne Kunst, vielleicht finde ich da etwas Inspiration für dieses Zimmer.“

Sie sah die schrecklichen beigefarbenen Wände, den beigefarbenen Teppich und die beigefarbenen Vorhänge an und wünschte, sie hätte eine Idee zur Gestaltung dieses Zimmers.

Gemma stand auf und nahm ein Paar Espadrilles aus Cats Schrank.

„Nimm lieber die mit.“

„Zum Laufen?“

„Ja, Cat, zum Laufen, nicht zum Rennen.“ Sie schaute sich den Inhalt von Cats Koffer genauer an. „Ich wusste gar nicht, dass es so viele Grautöne gibt, wie deprimierend. Du fliegst doch nach Spanien!“

„Ich bin nur zwei Tage in Spanien, und zwar wegen einer Konferenz, nicht um Urlaub zu machen. Wahrscheinlich werde ich noch nicht mal den Strand zu Gesicht bekommen“, stellte Cat klar. „Ich wünschte, ich würde in den Urlaub fahren“, sagte sie und setzte sich aufs Bett. „Ich hasse den Juli.“

„Ich weiß.“

Thomas’ Todestag jährte sich zum siebten Mal.

Ihre Trauer war zwar nicht allgegenwärtig, aber an Tagen wie diesen schmerzte die Erinnerung. Gemma lächelte, als ihre Freundin das Foto von Thomas aus der Schublade ihres Nachtschranks nahm. Dort bewahrte sie es auf – nah genug, um es jederzeit anschauen zu können, und weit genug weg, dass ihr nicht ständig die Tränen kamen.

„Rick hat gefragt, wie wahrscheinlich es ist, dass ich noch einmal so ein Kind bekomme“, erzählte Cat. Das war der eigentliche Grund für das Ende ihrer letzten Beziehung gewesen. „Ich habe ihm von Thomas erzählt und ihm das Foto gezeigt …“

„Er ist kein Arzt, Cat“, hielt Gemma dagegen. „Das ist doch eine normale Frage, du selbst hast sie auch gestellt.“

„Ich weiß. Das Problem war eher, wie er das …“ Sie war sehr empfindlich, was die Reaktionen anderer Menschen auf ihren Sohn anging.

„Es war so toll, wie er gelächelt hat, wenn man seine Füßchen berührte“, erinnerte sich Gemma, und ihre Worte überzeugten Cat wieder einmal davon, was für eine wunderbare Freundin sie in ihr hatte. „Er ist so hübsch.“

Das war er tatsächlich gewesen.

Vielleicht nicht für andere, aber sie beide hatten in seine entzückenden Augen gesehen und gespürt, wie sich seine kleinen Hände an ihren Fingern festklammerten, hatten seine weiche Haut gestreichelt und ihn leise weinen gehört.

Und das war das Schwere daran gewesen.

Es war Ende Juli, und Cat würde an diesen Tagen nicht da sein.

An Thomas’ Geburtstag und an seinem Todestag.

„Nehme ich das Foto von ihm mit?“, fragte Cat, und Gemma überlegte einen Moment.

„Ich glaube nicht, dass du das Foto brauchst, um dich an ihn zu erinnern.“

„Aber ich kann ihn doch nicht einfach in der Schublade lassen.“

„Dann gib ihn mir“, sagte Gemma. „Ich werde ihn für dich anschauen.“

Ja, ich habe wirklich die beste Freundin der Welt, dachte Cat und übergab Gemma das Wertvollste, das sie besaß. Den Tränen nahe, wechselte sie schnell das Thema. „Hey, hast du dieses Kleid für die Taufe eigentlich noch gefunden?“

Gemma schüttelte den Kopf, während sie das Foto in ihrer Tasche verstaute. „Ich wusste, dass ich es gleich hätte kaufen sollen. Es war so perfekt.“

„Es war schon sehr hübsch, aber …“ Cat sprach nicht weiter. Ein romantisches Neckholder-Kleid mit Spitzenstickerei und weitem, fließendem Rockteil war für ihren Geschmack etwas sehr auffällig, aber es sollte ja für Gemma sein.

Cat selbst hatte einen etwas anderen Stil.

Sie zog eine weiße Leinenhose und ein farbiges Oberteil an und schlüpfte auch noch in die Espadrilles.

„Ist das jetzt mädchenhaft genug für dich?“

„Das steht dir super.“ Gemma lachte. „Aber auf der Konferenz wirst du dann aussehen wie alle anderen auch.“

„Genau das war mein Ziel“, antwortete Cat. „Ich muss gleich los.“

„Aber dein Flug geht doch erst um einundzwanzig Uhr?“

„Ja, aber ich habe unterwegs noch einen Friseurtermin.“

Zweimal pro Woche ließ sie sich ihre langen schwarzen Locken glätten.

Sie gingen nach unten und redeten weiter, während Cat ein paar letzte Dinge erledigte. „Dein Vortrag ist am Vormittag?“, fragte Gemma.

Cat nickte. „Um neun. Ich wäre gern schon gestern Abend geflogen, aber ich bin nicht weggekommen. Hamish kommt erst morgen wieder, und Andrew übernimmt dieses Wochenende für mich. Wie immer. Ich hätte schon Lust gehabt, noch ein paar Tage länger in Barcelona zu bleiben.“

„Wirst du jemals Urlaub machen?“

„Im Oktober habe ich drei Wochen frei.“ Cat lächelte. „Dann sind meine Prüfungen vorüber, und das werde ich feiern, indem ich mein Schlafzimmer umgestalte. Ich kann kaum erwarten, daraus ein Zimmer zu machen, indem ich mich gern aufhalte.“

„Du hast das Haus toll hinbekommen.“

Nach einem Jahr Suche hatte Cat letztes Jahr in einer grünen Gegend am Stadtrand von London ein kleines Haus mit drei Zimmern gekauft. Nachts brauchte Cat mit dem Auto zwanzig Minuten bis zur Arbeit, weshalb sie, wenn sie Bereitschaft hatte, im Krankenhaus übernachten musste. Sie hätte vielleicht auch ein Haus finden können, das näher lag, aber auf diese Weise konnte sie nach der Arbeit wenigstens genügend Abstand gewinnen.

Hier in ihrem Haus konnte sie alte Shorts und ein T-Shirt anziehen und ihrer zweiten Leidenschaft nachgehen – Wände einzureißen, zu verputzen und zu streichen. Das Haus war dringend renovierungsbedürftig gewesen, und Cat hatte ihre Freude daran gehabt.

Unter dem grausigen lila Teppich war Parkettboden zum Vorschein gekommen, der nach gründlichem Abschleifen und Ölen dem Haus eine warme Atmosphäre verlieh. Im Wohnzimmer hatte sie eine eingezogene Wand eingerissen und dahinter einen gemütlichen Kamin gefunden. Das früher in Lilatönen gehaltene Badezimmer war nun mit weißen Fliesen und dunklem Holz gestaltet, und Cats Lieblingsstück war die freistehende Badewanne mit nostalgischen Füßen.

„Verkaufst du das Haus, wenn du mit dem Schlafzimmer fertig bist?“

„Ich bin mir noch nicht sicher. Das war zwar der Plan, aber jetzt gefällt es mir hier richtig gut. Allerdings …“

„Allerdings was?“, hakte Gemma nach.

„Es hat mir großen Spaß gemacht, das Haus Stück für Stück herzurichten. Das werde ich vermissen.“

„Nach dem Schlafzimmer musst du dich noch dem Garten widmen.“

„Oh nein!“ Cat schüttelte den Kopf. „Dafür lasse ich jemanden kommen.“

Auf dem Weg nach draußen, als Cat die Haustür abschloss, schaute sich Gemma den kleinen Vorgarten an.

„Der hat doch gerade mal die Größe eines Handtuchs“, bemerkte sie. Es gab nur einen holprigen Weg und zwei vernachlässigte Blumenbeete. Auch der Garten hinter dem Haus bestand, wie Gemma wusste, nur aus einem schmalen Streifen Gras und einem alten Holzschuppen. „Das könntest du in ein paar Tagen erledigt haben.“

„Nichts da!“ Cat lächelte. „Schließlich habe ich nicht gerade einen grünen Daumen.“

An der Straße verabschiedeten sie sich.

„Wir werden uns bald mal wieder richtig zusammensetzen“, versprach Cat. „Nach der Konferenz komme ich bei dir vorbei. Ich habe die Zwillinge seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Ich glaube, ich bringe jedem von ihnen einen Plüschesel aus Spanien mit.“

„Bitte nicht!“, flehte Gemma und schaute auf ihrem Telefon nach der Uhrzeit. „Oh, vielleicht schaffe ich es rechtzeitig nach Hause, um sie vor dem Schlafengehen noch zu baden. Nigel kocht heute ein romantisches Abendessen für uns zwei.“

„Wie schön.“

„Viel Spaß in Spanien!“, rief Gemma. „Vielleicht findest du ja einen sexy Flamenco-Tänzer oder Stierkämpfer …“

„Auf einer Notfallmedizin-Konferenz?“, erwiderte Cat lachend. „Ich glaube nicht, dass die Chancen da gut stehen.“

„Na dann vielleicht einen hübschen Kellner mit Schlafzimmerblick und …“

„Gemma, bitte!“

„Warum denn nicht? Wenn dir ein richtiges Liebesleben zu viel ist, dann bring in deinem überfüllten Terminkalender doch wenigstens ein paar Affären unter.“ Gemma zwinkerte ihr zu.

„In der nächsten Woche gibt es noch eine Konferenz in Spanien, zu der du vielleicht gehen willst“, bemerkte Cat trocken. „Sexuelle Gesundheit. Du als Frauenärztin solltest die Gefahren von heißen One-Night-Stands doch am besten kennen.“

„Natürlich kenne ich die, aber Sex ist gesund.“ Gemma grinste. Sie wollte auch mal eine Mauer einschlagen – die Mauer, die ihre Freundin um sich herum aufgebaut hatte, nachdem ihr Baby gestorben war.

„Weißt du, was so toll an einem One-Night-Stand ist, Cat?“

„Gemma …“ Cat schüttelte den Kopf. Sie hatte jetzt wirklich keine Zeit für so etwas, aber ihre Freundin ließ nicht locker.

Gemma redete unglaublich gern über Sex. „Er muss nicht perfekt sein, du musst dir keine Gedanken machen, ob ihr beide gut zusammenpasst, ob er die Klobrille oben lässt oder ob er dich in deiner Karriere unterstützt und so weiter, denn du suchst gar nicht nach dem Richtigen. Er kann der völlig Falsche sein, er kann ein Arsch sein, völlig egal … Gott, wie ich One-Night-Stands vermisse.“

„Weiß Nigel, wie du denkst?“

„Natürlich nicht.“ Gemma grinste, dann wurde sie wieder ernst. „Es wird Zeit, dass du ein bisschen Spaß hast, Cat. Das ist eine ärztliche Anweisung! Am Flughafen kaufst du dir eine Packung Kondome.“

Cat lachte, winkte ihrer Freundin zu, setzte sich in ihr Auto und fuhr zum Friseur.

Sie vergötterte Gemma.

Und Nigel.

Aber …

Was sie ihrer besten Freundin nicht gesagt hatte, war, dass sie einen Mann wie Nigel für sich selbst gar nicht wollte. Sie wollte keinen Partner, der jeden Abend fragte, was es zu essen gab, aber genauso wenig wollte sie diejenige sein, die nach der Arbeit nach Hause kam und „Hallo, Schatz, ich bin da“ rief.

Sie parkte an der üblichen Stelle hinter der Kirche, schnappte sich ihre Tasche und ging zügig zum Friseurgeschäft. Doch die Tür war zu. Dann sah sie das „Geschlossen“-Schild.

„Tu mir das nicht an, Glynn!“

Ihr Friseur vergaß ihre Termine normalerweise nie.

„Ganz ruhig“, murmelte Cat, als sie einsehen musste, dass ihr Rütteln an der Tür nichts bringen würde.

Es ist nur ein Friseurtermin, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Im Hotel gibt es bestimmt auch einen Friseur. Doch ihr Vortrag war schon morgens um neun, und sie wollte vorher eigentlich noch gemütlich im Zimmer frühstücken, um ihr Lampenfieber zu bekämpfen.

Außerdem war morgen Thomas’ Geburtstag.

Ich werde jetzt nicht wegen eines verpassten Friseurtermins heulen.

Sie weinte nicht deswegen, als sie zum Flughafen fuhr. Sie weinte, weil sie sich vorstellte, der Kofferraum sei voller Geschenke und Geschenkpapier und sie würde schnell noch die Geburtstagstorte abholen …

Warum war das alles immer noch so schwer zu ertragen?

Da sie es nicht mehr geschafft hatte, ihre wilde Lockenmähne in langes, glänzendes glattes Haar verwandeln zu lassen, kaufte sie am Flughafen ein Haarserum, gab dann ihr Gepäck auf und war viel zu früh am Gate.

Auf der Toilette richtete sie ihr Haar so gut wie möglich her und band es zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie beschloss, im Hotel selbst mit dem Glätteisen Hand anzulegen.

Sie setzte sich und las auf dem Tablet ihren Vortrag durch. Es ging um Palliativpflege in der Notaufnahme, und eigentlich kannte sie ihren Text schon in- und auswendig. Stundenlang hatte sie recherchiert, sich Notizen gemacht und Fälle studiert, und der Vortrag war jetzt die Quintessenz all ihrer Bemühungen.

Und nach der Konferenz?

Standen ihre Prüfungen an.

Und dann?

Cat atmete schwer aus. Ihre Karriere glich auffällig ihrem Hausrenovierungsprojekt.

Autor

Carol Marinelli
<p>Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
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