Der letzte Tanz ist nur für dich

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"Darf ich dich heimfahren?" Ein Tanz auf dem Klinikball, und Dr. Hamilton ist verzaubert von Hebamme Felicia. So verzaubert, dass er sie über ihre Schwelle trägt - hinein in eine unvergessliche Nacht. Mehr kann er der Schönen niemals geben. Seine Vergangenheit verbietet es ihm ...


  • Erscheinungstag 01.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747213
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Alles begann kurz vor Mittag am Strand von Port Melbourne. Felicia Lawrence, oder Flick, wie sie in der Familie und von Freunden genannt wurde, blinzelte in der gleißenden Sonne. In diesem Moment merkte sie, dass sie ihre Sonnenbrille in der Küche hatte liegen lassen.

Als ihre Füße in den weichen warmen Sand einsanken, beschloss sie jedoch, nicht extra wieder zu ihrem Apartment zurückzulaufen. Die Sonne fühlte sich auf ihren bloßen Schultern so herrlich an. Drinnen würden ihr mit Sicherheit irgendwelche Arbeiten im Haushalt einfallen, oder sie würde sogar anfangen zu lernen. Dabei sollte der heutige Tag anders sein als sonst.

Normalerweise stand sie für ihren täglichen Spaziergang sehr früh auf, um noch vor sechs Uhr unter der Dusche zu stehen. Aber heute Abend wollte sie auf den Ball des Victoria Hospital gehen, die erste große Gala-Veranstaltung ihres Lebens. Deshalb sollte der ganze Tag etwas Besonderes sein.

Flick war Hebammenschülerin im letzten Ausbildungsjahr in der Melbourne Maternity Unit, der Geburtsklinik des Victoria. Sophia, die Hebamme, die sie zur Zeit ausbildete, hatte sie dazu ermutigt, an dem glamourösen Event teilzunehmen. Und da sie beide Singles waren, konnten sie zusammen hingehen.

Flick hatte heute etwas länger geschlafen, sich einen leichten Brunch gegönnt und lief nun in Jeans-Shorts und Bikini-Top hinunter ans Wasser. Auf Zehenspitzen ging sie vorsichtig über den breiten Saum aus angespülten Muschelresten. Als sie den festen feuchten Sand erreicht hatte, klingelte ihr Handy. Es war ihre jüngere Halbschwester.

„Hi, Megan.“

„Hi, Flick. Ich hoffe, du tust gerade absolut gar nichts, so wie ich es dir gestern Abend gesagt habe“, meinte Megan. „Kein Haushalt, kein Lernen, null. Genieß diesen Tag ausnahmsweise mal nur für dich.“

„Zu Befehl.“ Sie lachte. „Ich laufe gerade am Strand entlang durchs Wasser.“

„Sehr gut“, lobte Megan. „Und wie wäre es, wenn du dir heute Abend mal einen Freund suchen würdest? Es ist schon eine Ewigkeit her, seit du mit einem Mann zusammen warst.“

Entnervt verdrehte Flick die Augen. „Ich gehe mit Sophia hin. Wir wollen bloß mal was anderes anziehen als Krankenhauskluft und ein bisschen Spaß haben.“

„Na ja, ich schätze, das ist ein Anfang“, antwortete Megan etwas ernüchtert. „Wenigstens gehst du mal aus. Das ist schon ein großer Fortschritt gegen dein sonstiges nicht vorhandenes Privatleben.“

Am Rand der Uferwellen blieb Flick stehen und ließ ihre Zehen im nassen Sand versinken. Das lauwarme Wasser stieg ihr bis zu den Knöcheln. „Ich bin im letzten Ausbildungsjahr und muss lernen. Ich glaube kaum, dass das die beste Zeit ist, um an mein Privatleben zu denken.“

„Ich sag ja nur, falls du heute Abend auf dem Ball einen schönen Prinzen triffst, dann lauf nicht wieder fluchtartig weg, wie du’s so gerne tust“, gab Megan zurück. „Lass es einfach mal zu. Du könntest eine Überraschung erleben.“

„Ich bin nicht auf der Suche.“

„Ich weiß, das warst du noch nie. Du hast insgesamt genau zwei Freunde gehabt, was nicht weiter erstaunlich ist, weil du immer zwei Jobs gleichzeitig hattest, um uns beiden eine Ausbildung zu finanzieren“, erklärte Megan. „Du hast dein Leben darauf aufgebaut, dich ständig um alle anderen zu kümmern. Schau dich doch an, Flick, sogar in deinem Beruf bringst du die Babys anderer Frauen zur Welt. Außerdem hast du noch diesen winzigen Kräutergarten, deine neueste Art der Zeitverschwendung, um eine Beziehung zu vermeiden. Du brauchst dich nicht vor Männern zu verstecken. Es gibt ein paar nette Kerle da draußen in der Welt. Nur hat unsere Mutter nie solche mit nach Hause gebracht. Und bloß, weil keiner deiner Exfreunde der Richtige war, heißt das noch lange nicht, dass es ihn nicht doch irgendwo gibt.“

Während Flick sich die schwesterliche Predigt anhörte, war ihr bewusst, dass Megan durchaus recht hatte. Ihre zwei Freunde waren vielleicht etwas zu nett gewesen. Flick hatte sie gewählt, weil sie ganz anders waren als die Männer, für die ihre Mutter sich interessierte. Bald hatte Flick jedoch festgestellt, dass das Gegenteil von dem Typ ihrer Mutter keine Garantie für Liebe war. Es hatte überhaupt nicht geknistert, es gab keine Funken, kein Feuerwerk. Irgendetwas hatte gefehlt, und Flick hätte es unfair gefunden, ihre Freunde hinzuhalten. Weil es keine Leidenschaft zwischen ihnen gab, hatten sie sich freundschaftlich getrennt. Und beide Männer hatten mittlerweile geheiratet.

Flick wollte ihre Kinder in einer glücklichen Familie aufziehen, aber sie wusste, dass sie dafür in den Vater ihrer Kinder auch absolut verliebt sein musste. Sie wollte im Sturm erobert werden und ihr Leben mit dem Mann ihrer Träume verbringen. Ihr war allerdings schon ziemlich früh klar geworden, dass es eben nur ein Traum war, mehr nicht.

„Machen wir uns nichts vor, wir hatten eine ziemlich üble Kindheit“, unterbrach Megan ihre Gedanken. „Ich kann mich an kein Weihnachten erinnern, an dem unsere Mutter nach einem Essen vom Imbiss nicht verschwunden ist, um einen ihrer potenziellen Freunde zu treffen. Weil sie jede freie Minute mit ihren Online-Dating-Portalen beschäftigt war, hat sie sich nicht mal die Mühe gemacht, unsere Geschenke einzupacken. Und jedes Mal, wenn sie mal wieder von einem Kerl verlassen wurde, hat sie uns die Schuld daran gegeben. Als wären wir Kinder eine Last gewesen, die sie daran hinderte, ihre wahre Liebe zu finden.“

„Die wahre Liebe findet man nicht in einer Hotelbar“, erwiderte Flick.

„Aber dafür unsere beiden Väter“, meinte Megan.

Die zwei Schwestern seufzten gleichzeitig. An ihre Kindheit hatten sie keine schönen Erinnerungen, und sie kannten auch ihre Väter nicht. Aber wenigstens hatten sie einander.

„Ich weiß, du hast mich aufgezogen“, fuhr Megan fort. „Und als große Schwester nimmst du normalerweise keine Ratschläge von mir an. Außerdem bin ich ungefähr eine Million Jahre jünger als du …“

„Nicht ganz.“ Lachend setzte Flick ihren Weg am Uferrand fort. „Vier kommt der Sache schon näher.“

„Trotzdem, nimm den Rat deiner kleinen Schwester an und mach dir einfach mal einen schönen Abend, ohne allzu viel darüber nachzudenken“, sagte Megan. „Du bist dein ganzes Leben lang immer wahnsinnig verantwortungsbewusst gewesen. Jetzt solltest du mal ein bisschen abenteuerlich sein, auch wenn es bloß für einen Abend ist. Und verschwende keinen Gedanken an unsere Mutter. Sie denkt jedenfalls nicht an uns, glaub mir.“

„Wie kommst du darauf?“

„Flick, sie hat noch nie an uns gedacht“, stellte Megan fest. „Gestern ist sie nach Bali geflogen, und solange ihr neuester Freund Geld für sie ausgibt, werden wir nichts von ihr hören. Also, befolge meinen außerordentlich klugen Rat und denk heute einfach nur an dich selbst.“

„Vielleicht hast du recht. Danke, Megan.“

„Gern geschehen, große Schwester. Mach mich stolz, genieß das Leben und riskier mal was. Aber poste nichts in den Social Media“, warnte Megan. „Was heute Abend passiert, muss dein Geheimnis bleiben.“

Flick fand, dass sie den Tag genau richtig begonnen hatte. Sie genoss die warme Brise, die vom Meer her wehte, und stieß mit den Füßen spielerisch das salzige Wasser hoch. Wenn sie heute mal abenteuerlich sein wollte, musste sie auch noch unbedingt ihre Zehennägel rot lackieren. Lächelnd dachte sie an den Nagellack, den Megan ihr zum Geburtstag geschenkt hatte und der bisher unbenutzt im Badezimmerschrank stand.

Sie begegnete Joggern und Leuten, die ihre Hunde ausführten. Andere saßen unter Sonnenschirmen und lasen Bücher oder Zeitschriften. Kleine Kinder bauten Sandburgen und rannten kreischend zu den seichten Uferwellen, um dort Wasser für die Burggräben zu schöpfen.

Jeder hier schien sich einen schönen Tag zu machen. Die Leute wirkten entspannt, und manche grüßten auch, als Flick vorbeikam. Inzwischen ging sie schneller, doch als sie fast wieder zu Hause war, erregte eine auffallende Gestalt am Strand ihre Aufmerksamkeit. Plötzlich war sie wie gebannt und konnte ihren Blick nicht mehr abwenden.

Ein kraftvoller, durchtrainierter Mann mit bloßem Oberkörper joggte auf sie zu. Am liebsten hätte Flick ihre Augen mit der Hand beschattet, um ihn besser sehen zu können. Doch sie zügelte ihre Neugier und setzte ihren Weg fort, wobei sie den Blick auf das flache, kristallblaue Wasser gerichtet hielt. Obwohl die Mittagssonne senkrecht am Himmel stand, war ihr aus einem anderen Grund auf einmal heiß geworden. Aus dem Augenwinkel sah sie den Mann näherkommen. Er war tief sonnengebräunt, athletisch gebaut, und auf einmal kam er ihr sehr bekannt vor.

Als er sie fast erreicht hatte, schaute Flick auf und erkannte Dr. Tristan Hamilton, den ausgesprochen attraktiven Säuglingskardiologen aus dem Victoria Hospital. Wieder senkte sie schnell den Blick. Schon im OP-Anzug sah Dr. Hamilton fantastisch aus. Aber jetzt, mit seinen Bermuda-Shorts, die tief auf seinen Hüften saß, wirkte er einfach umwerfend.

Flick spürte, wie sie rot wurde. Zum Glück wusste er nicht, wer sie war, und würde einfach an ihr vorbeijoggen. Ihre Reaktion auf seine Erscheinung war ihr äußerst peinlich. Megan hat recht, ich muss öfter mal ausgehen, dachte sie.

„Felicia?“

Sie erstarrte, und ihre Wangen brannten. Der Mann hatte sie nicht nur erkannt, sondern wusste sogar ihren Namen.

„Dr. Hamilton.“ Sie bemühte sich um einen lockeren Tonfall.

Er blieb neben ihr stehen, seine gebräunte Haut schweißglänzend vom Joggen. „Bitte nennen Sie mich Tristan. Hier ist kein Patient weit und breit, also können wir die Formalitäten beiseitelassen. Ich nehme zwar an, dass Sie um einiges jünger sind als ich, aber bei diesem ganzen Doktor-Ding komme ich mir vor, als wäre ich hundert. Also bitte bleiben Sie bei Tristan.“ Seine Stimme klang rau und atemlos vom Laufen.

Flick war beinahe schwindelig zumute, und ihr Körper reagierte auf eine Weise, wie sie es noch nie erlebt hatte. „Klar“, antwortete sie etwas nervös. „Tristan. Sie joggen also gerne?“

Was für eine dumme Frage.

Aber er nickte nur lächelnd, nahm einen Schluck aus seiner Aluminium-Trinkflasche und schaute hinaus auf das kristallklare Meer. „Ein schönes Fleckchen Erde, oder?“

Sie war überrascht über seine lockere Art. Eigentlich hatte sie angenommen, er wäre eher etwas steif und abweisend. Aber er schien ganz anders zu sein als einige der kühlen, eitlen Fachärzte, die sie in ihren vorherigen Kliniken kennengelernt hatte. Damit hatte Flick nicht gerechnet. Normalerweise verhielt sie sich nicht so unbeholfen, aber mit seinem entspannten, freundlichen Verhalten brachte Tristan Hamilton sie ziemlich aus der Fassung.

Im Krankenhaus hatte er ihr immer nur flüchtig zugenickt. Sie hätte nie gedacht, dass er sie wirklich bemerkt hatte, obwohl er ihr durchaus aufgefallen war. Zwar war Flick häufig außerhalb des Krankenhauses bei werdenden Müttern im Einsatz, doch im Krankenhaus schien er ihr häufig über den Weg zu laufen. Jedes Mal setzte ihr Herzschlag einen Moment lang aus. Allerdings sagte ihr die Vernunft, sie sollte sich lieber von ihm fernhalten. Er war sicher kein Mann zum Heiraten. Auch wenn es in Bezug auf ihn keine Gerüchte gab, hielt sie ihn für einen Junggesellen mit einem kleinen schwarzen Buch voller Frauennamen.

„Ja, das stimmt.“ Flick versuchte, einen beiläufigen Ton anzuschlagen, doch ihr Herzschlag war vollkommen aus dem Rhythmus geraten.

„Ich komme gern hierher, wenn niemand da ist. Morgens ist es manchmal so ruhig, dass das Wellenrauschen und das Geschrei der Möwen das Einzige ist, was man hört“, sagte Tristan. „Es tut der Seele gut, wenn man Zeit hat, dankbar zu sein, weil man lebt.“

Flick bemerkte einen versonnenen Ausdruck in seinen Augen, als ob er wirklich dankbar dafür wäre.

„Wohnen Sie hier in der Nähe oder kommen Sie mit dem Auto her, so wie ich?“, fragte er.

Sie zeigte auf ein weißgetünchtes Gebäude mit blauen Dachziegeln. Unter all den sonstigen Hochhäusern mit ihren modernen Glasfassaden an der Uferstraße fiel es besonders auf. Das Gebäude war etwa vierzig Jahre alt und erinnerte an die Häuser auf einer griechischen Insel. Das war kein Wunder, da Flicks Vermieter das halbe Jahr auf Mykonos lebten und nur die Sommermonate in Australien verbrachten.

„Ich wohne in einem Apartment auf der zweiten Etage mit Blick auf den Strand. Ich liebe es, wenn ich aufwache und auf das Meer schauen kann“, antwortete sie.

„Hübsch“, meinte Tristan. „Eine hervorragende Wohnlage. Allerdings hätte ich mir so was als Student nicht leisten können. Hebammenschülerinnen werden anscheinend gut bezahlt.“

„Die Miete ist nicht so hoch wie in den modernen Häusern hier, nehme ich an. Die könnte ich garantiert nicht bezahlen. Mein Apartment ist ziemlich altmodisch und winzig klein. Aber mir gefällt es, und ich verzichte eben auf andere Dinge, um hier zu wohnen. Das ist kein großes Opfer. Ich fahre ein zwanzig Jahre altes Auto, habe aber dafür eine fantastische Aussicht.“ Auf einmal war ihre Nervosität verschwunden, und Flick konnte sich entspannt mit ihm unterhalten.

Als er lächelnd seine Sonnenbrille abnahm, sah sie, dass in seinen dunklen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern ebenfalls ein Lächeln lag. „Eine kluge Wahl, Felicia. Wer würde nicht gerne jeden Morgen mit Meerblick aufwachen?“

Sie bemerkte eine lange Narbe auf seiner Brust, die kurz oberhalb des Nabels endete. Schon ziemlich verblasst, vermutlich von einer lange zurückliegenden Operation.

„Sieht so aus, als hätte das Krankenhaus uns beiden heute frei gegeben“, stellte Tristan fest. „Oder schwänzen Sie etwa?“

Flick lachte ein bisschen verlegen. „Nein, heute ist mein regulärer freier Tag.“ Da er schwieg, wandte sie sich ab und begann den Strand hinauf zu ihrem Haus zu gehen.

„Bleiben Sie doch noch“, rief er ihr nach. „Hätten Sie vielleicht Lust, einen Kaffee oder einen Saft mit mir zu trinken? Oben an der Straße ist ein nettes Café, wo es ausgezeichneten Kaffee und die besten Smoothies gibt.“

Schnell drehte sie sich um. Sie wollte nicht unhöflich sein und ablehnen, fühlte sich jedoch unbehaglich bei dem Gedanken, mit ihrer sparsamen Bekleidung in einem Café zu sitzen. „Ich mache auch guten Kaffee“, rief sie daher zurück. „Zwar nicht gerade wie ein Barista, aber ganz anständig. Wenn Sie mit raufkommen wollen, können Sie einen bei mir kriegen.“

„Ich möchte mich nicht aufdrängen oder Ihren Spaziergang verkürzen“, erwiderte Tristan.

„Das tun Sie nicht.“ Flick spürte, wie ein Gefühl der Wärme sie durchströmte. Aha, sie war also gerne mit ihm zusammen. „Ich bin sowieso auf dem Rückweg und habe in der nächsten Stunde nichts weiter vor. Mit dieser Kleidung fühle ich mich zu Hause jedenfalls entschieden wohler.“

„Na ja, ich schätze, mein Outfit ist auch nicht gerade passend für ein Lokal.“ Prüfend blickte er an sich herunter auf seine Shorts und Laufschuhe und dann zurück zu ihr. „Obwohl Sie toll aussehen. Ich glaube kaum, dass irgendjemand sich beschweren würde, wenn Sie so im Café auftauchen.“

„Folgen Sie mir.“ Sie lächelte etwas nervös und fragte sich, warum sie Tristan zu sich eingeladen hatte. Sie kannte ihn ja kaum. Trotzdem fühlte sie sich sicher. Es war verrückt, aber ihr Instinkt schubste sie in eine Richtung, die ihre Vernunft normalerweise nie zugelassen hätte. „Ach ja, und wenn wir schon dabei sind, die Formalitäten über Bord zu werfen: Meine Freunde nennen mich Flick.“

Sie unterhielten sich mehr als eine Stunde auf dem schmalen Balkon des Apartments. Flick störte es nicht einmal, dass sie ihren Haushalt noch nicht fertig hatte. Dazu fühlte sie sich viel zu wohl. Eigentlich war es mehr ein breiter Sims als ein Balkon. Obwohl die verwitterten Balkonmöbel schon bessere Tage gesehen hatten, erfüllten sie ihren Zweck und gestatteten ihnen, ihren Kaffee mit einem freien Blick auf Strand und Meer zu genießen.

Den winzigen Platz an der Sonne teilten sie sich noch mit einer dreistufigen Blumentreppe, in deren Kästen Flick Küchenkräuter zog. Basilikum benutzte sie am liebsten, wie sie Tristan erzählte. Und ihr Vermieter liebte Oregano. Daher schenkte sie ihm jeden Freitagmorgen ein Sträußchen davon, wenn sie ihre Miete bezahlte.

„Sie kochen also gerne und machen Strandspaziergänge“, meinte Tristan. „Aber was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf als Hebamme?“

„Alles“, antwortete Flick sofort. „Es ist etwas Besonderes, eine Frau bis zur Geburt ihres Babys zu begleiten. Aber auch danach, wenn man sieht, wie das neue Familienmitglied allmählich ins Leben hineinwächst. Und wie schnell sich jeder in diesen kleinen Menschen verliebt.“

Bei dem Thema wurde ihr Gesicht lebhaft, und man konnte ihr die Liebe zu ihrer Arbeit ansehen.

„Was finden Sie schöner, Hausgeburten oder die Geburt im Krankenhaus?“, fragte Tristan weiter.

„Hausgeburten“, erwiderte sie. „Ich arbeite gerne auf der Entbindungsstation. Aber draußen vor Ort zu sein und bei einer Hausgeburt mitzuhelfen, dafür lohnt sich alles. Dabei geht es hauptsächlich um eine umfassende Betreuung. Die werdende Mutter fühlt sich sicher, weil sie uns kennt. Und vom vierten Monat bis sechs Wochen nach der Geburt sind wir wie ein Teil der Familie. Es ist eine schöne Zeit, und ich freue mich, an einer so wunderbaren Erfahrung teilhaben zu dürfen.“

Sie plauderten weiter über das Krankenhaus, ihre jeweiligen Berufe und auch über den Gala-Ball am Abend, zu dem beide hingehen wollten.

Schließlich wurde Tristan bewusst, wie lange er schon da war und Flicks Zeit in Anspruch genommen hatte. Widerstrebend stand er auf, um sich zu verabschieden.

„Soll ich Sie heute Abend zur Gala mitnehmen?“, fragte er. „Ich könnte vorbeikommen und Sie abholen, falls Sie noch keine Mitfahrgelegenheit haben.“

Er ging nur selten aus, und dass er eine Kaffee-Einladung von einer Frau annahm, war ebenfalls sehr ungewöhnlich für ihn. Tristan war nicht sicher, was da gerade passierte, denn sein Herz schien sich auf eine Weise zu öffnen, mit der er nicht gerechnet hatte.

Die letzte Stunde war wie im Flug vergangen, und er wünschte, es wäre noch nicht zu Ende. Er wollte mehr. Flick war nicht nur schön, sondern auch intelligent, amüsant und besaß eine große Leidenschaft für ihren Beruf.

„Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich bin schon mit meiner Freundin Sophia verabredet“, sagte Flick. „Sie ist Gemeindehebamme, und ich bin ihr für mein letztes Praktikum zugeteilt worden. Sie hat für uns extra eine Limousine bestellt, die uns zum Ball bringt.“

„Das verstehe ich vollkommen“, gab Tristan zurück. „Auch wenn ich einen schönen Wagen habe, mit einer Limousine kann er nicht konkurrieren.“

Flick lächelte. „So sollte sich das eigentlich nicht anhören.“

Er erwiderte ihr Lächeln und stellte sich gleichzeitig vor, wie es wäre, sie zu küssen. Tristan musste sich beherrschen, um sie nicht an sich zu ziehen und ihren weichen Mund zu spüren. Zweifellos wäre ihr Kuss genauso süß wie sie, aber ihre Lippen und ihr Körper auch voller Leidenschaft.

Stattdessen griff er rasch nach dem gekühlten Wasser auf dem Tisch und trank das ganze Glas auf einmal aus. Dann blickte er Flick nach, die gerade barfuß hineinging, um ihr Glas und ihre Kaffeetasse zur Spüle zu bringen. Sie war auf bezaubernd natürliche Weise sexy. Allein ihre Gestalt löste schon das Verlangen in ihm aus, ihren Körper an seinem zu fühlen. So etwas sah Tristan gar nicht ähnlich.

Unwillkürlich musste er schlucken, ehe er ihrem Beispiel folgte. Auf dem Weg zur Tür stellte auch er sein Glas in die Spüle. Flick faszinierte ihn. Noch nie zuvor hatte er nach so kurzer Zeit schon solche Gefühle entwickelt. Diese Hebamme, die wie ein Strandmädchen gekleidet war, ging ihm unter die Haut.

Er lief die Außentreppe hinunter, die bis zur Straße führte, während Flick oben stehen blieb.

Unten wandte er sich noch einmal um. „Vielleicht kann ich Sie ja dazu überreden, heute Abend mit mir zu tanzen.“

Statt einer Antwort lächelte sie nur. Dazu brauchte er sie nicht lange zu überreden.

In einem trägerlosen langen Kleid aus dunkelblauem Satin mit strassbesetztem Mieder stieg Flick aus der Limousine und betrat den roten Teppich. Beim Anblick des Preisschildes hatte es ihr den Atem verschlagen. Doch dann hatte sie beschlossen, dass das Kleid, das sie zu ihrem ersten Ball trug, eines sein sollte, an das sie sich immer erinnern würde. Deshalb hatte sie es trotzdem gekauft. Das blonde Haar hing ihr in sanften Wellen bis zu den Schultern.

Außerdem trug sie Slingbacks mit einem kleinen spitzen Absatz, kleine Kristall-Ohrstecker und eine farblich auf das Kleid abgestimmte Abendtasche. Normalerweise ging Flick sehr vorsichtig mit ihrem Geld um. Daher konnte sie es sich leisten, gelegentlich auch mal über die Stränge zu schlagen.

Als Sophia ebenfalls ausstieg, meinte sie: „Oh, ein roter Teppich. Sehr schön.“ Sie trug ein langes, schulterfreies Abendkleid aus cremefarbener Seide, das einen starken Kontrast zu ihren kastanienbraunen Locken bildete. Dazu Goldriemchen-Schuhe mit einem extrem hohen Absatz, denn Sophia war zierlich und fast fünfzehn Zentimeter kleiner als Flick.

Lächelnd betraten sie gemeinsam den Ballsaal, der von lautem Stimmengewirr erfüllt war, das von der Musik einer Jazzband noch übertönt wurde.

Sophia hakte sich bei Flick unter. „Dann schauen wir doch mal, was der heutige Abend so bringt.“

Sie saßen an einem runden Tisch für acht Personen, gemeinsam mit einem Gefäßchirurgen und seiner Frau, zwei alleinstehenden Krankenschwestern sowie zwei Medizinstudenten, die sich von den attraktiven Schwestern hingerissen zeigten. Diese ignorierten sie jedoch höflich, da sie viel zu jung waren.

Die Tischdekoration bestand aus zwölf langstieligen weißen Rosen in einer großen viereckigen Glasvase, zusammengebunden mit einer cremefarbenen Organza-Schleife. Tischtuch und Servietten waren schwarz. Es war die mit Abstand eleganteste Veranstaltung, an der Flick je teilgenommen hatte. Erleichtert stellte sie fest, dass ihr Kleid dem Anlass genau entsprach.

Einer köstlichen Lachs-Vorspeise folgte als Hauptgang Lammfilet in Rotwein-Sauce. Während die Teller abgeräumt wurden, schaute Flick sich verstohlen nach Tristan um. Beim Apéritif vorhin hatte sie ihn nicht gesehen, und auch jetzt konnte sie ihn unter all den elegant gekleideten Gästen nirgendwo entdecken. Vermutlich war er zu einem Notfall ins Krankenhaus gerufen worden. Die tiefe Enttäuschung, die sie empfand, überraschte sie.

Den ganzen Tag lang hatte sie an ihn gedacht. Zwar spürte sie eine starke Anziehung ihm gegenüber, doch der Gedanke, diesen Gefühlen tatsächlich nachzugeben, erschreckte sie. Eine seltsame Mischung, die sie noch nie zuvor erlebt hatte.

Als sie am Rücken von einem Stück Stoff gestreift wurde, nahm sie an, es wäre ein Kellner, der noch mehr Wein bringen wollte.

„Nein, danke. Ein Glas reicht mir.“ Sie legte eine Hand auf den Rand ihres Weinglases.

„Das werde ich mir merken, Flick. Jetzt, da Sie mich aufgeklärt haben, werde ich Ihnen sicher nicht jedes Mal Wein einschenken, wenn ich an Ihnen vorbeigehe“, erklärte jemand hinter ihr.

Sie erkannte seine Stimme sofort. Als sie sich zu ihm umdrehte, lächelte Tristan zu ihr herunter. Im OP-Anzug bei der Arbeit sah er schon attraktiv aus, und in den Bermudashorts heute Morgen war er umwerfend gewesen. Aber als Flick ihn mit seinen knapp eins neunzig im schwarzen Smoking erblickte, verschlug es ihr den Atem. Das schlichte weiße Hemd betonte seine Sonnenbräune, und er war frisch rasiert. Flick fielen sogar die Manschettenknöpfe aus Platin und Onyx auf, ebenso wie seine glänzend polierten Lacklederschuhe. Er sah aus wie ein männliches Model, nur noch viel besser. Und der Duft seines Aftershaves machte ihr bewusst, wie nahe er ihr war.

„Ich hoffe, Sie amüsieren sich gut“, meinte Tristan.

„Ja, sehr“, antwortete sie. „Sie auch?“

Er nickte nur und begrüßte die anderen Gäste am Tisch, ehe er weiterging.

Flick sah hinreißend aus, was seinen Entschluss bestätigte, erst später zum Ball zu kommen. Er fühlte sich viel zu stark zu ihr hingezogen, und daraus konnte nichts Gutes werden. Zwar wollte er sich auf nichts einlassen, aber dennoch schaffte er es nicht, einfach wegzubleiben. Obwohl es wahrscheinlich besser gewesen wäre. Auf dem Ball gab es sicher mehrere andere Ärzte, die ihr das geben würden, was er ihr nicht geben konnte.

Flick war enttäuscht, dass Tristan so schnell verschwand. Vermutlich musste er sich jedoch auf diesem Event mit allen möglichen wichtigen Leuten treffen.

Wie sie feststellte, war sein Tisch nicht weit von der Bühne vorne im Saal entfernt.

Autor

Susanne Hampton
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