Der Tanz, bei dem ich mein Herz verlor

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Seit Logan auf der Hochzeit seines Bruders mit Olivia getanzt hat, herrscht eine magische Spannung zwischen ihnen. Aber eine vornehme Frau wie sie passt eigentlich nicht zu ihm. Wird sie ihm gleich wieder den Rücken kehren, wenn sie von seinem Ruf als Bad Boy erfährt?


  • Erscheinungstag 21.09.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751528009
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Olivia Wilder liebte Hochzeiten, auch wenn sie nicht mehr an die Ehe glaubte. Zumindest nicht an ihre eigene.

Aber sie war niemand, der aufgrund persönlicher Probleme einer anderen Frau den schönsten Tag ihres Lebens verderben würde. Vor allem nicht einer Frau, die das Glück so sehr verdiente wie ihre Freundin Sara Wellens – das heißt Sara Travers, wie sie nun offiziell hieß.

Allerdings konnte Olivia ihre Gefühle nicht völlig verbergen. Vielleicht lag es an dem Champagner, den sie nach einer sehr ergreifenden Ansprache ein bisschen schneller als nötig heruntergekippt hatte. Mit dem Handrücken strich sie sich vorsichtig über die Augen, um die Tränen wegzuwischen.

„Freudentränen“, versicherte sie Sara. Ihre Freundin betrachtete sie mit einer Mischung aus Verständnis und Mitgefühl, die Olivia erst recht die Kehle zuschnürte. „Ich freue mich sehr für dich und Josh.“

„Ich weiß, meine Liebe.“ Sara legte den Arm um sie. Während der vergangenen sechs Monate waren sie enge Freundinnen geworden. So eng, dass Olivia ihr schließlich alle Einzelheiten des Desasters anvertraut hatte, in dem ihre Ehe geendet war. „Glaub mir, ohne diesen schleimigen Kerl bist du besser dran“, raunte Sara ihr zu, als hätte sie ihre Gedanken gelesen.

Olivia nickte. „Und du wirst es besser haben. Josh ist ein toller Mann. Er liebt dich über alles.“ Ein leiser Hickser kam über ihre Lippen. „Ganz anders als Craig.“

„Craig ist ein Armleuchter“, erklärte Sara entschieden.

Olivia konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Anders als ihre Freundin würde sie nie wagen, so über Männer zu reden – dafür hatte ihre strenge Erziehung noch immer zu viel Einfluss auf ihr Leben.

„Und ein Weiberheld obendrein“, meldete sich Natalie zu Wort. Die drei Frauen hatten sich von der Hochzeitsgesellschaft entfernt und in ein ruhiges Zimmer zurückgezogen, um Sara beim Packen für die Flitterwochen zu helfen.

Natalie Holt war ebenfalls eine Freundin, die Olivia in Crimson kennengelernt hatte. Crimson war ein hübsches Bergstädtchen in Colorado inmitten der Rocky Mountains, und Olivia hatte sich sofort in diesen idyllischen Ort verliebt.

Für ihren Mann Craig bedeutete seine Heimatstadt allerdings nichts weiter als den ersten Schritt auf seiner politischen Karriereleiter. Kurz, nachdem sie geheiratet hatten, war Craig Bürgermeister von Crimson geworden.

Olivia hatte sich hier zum ersten Mal in ihrem Leben zu Hause gefühlt. Zumindest mehr als in ihrer Geburtsstadt St. Louis oder dem College an der Ostküste, wo sie zum Studieren hingezogen war. Sie konnte sich sogar vorstellen, für immer hierzubleiben. Aber Craig hatte mehr als einmal deutlich gemacht, dass sich ihr Leben nach seiner Karriere richten würde.

„Lasst uns nicht über meine verpfuschte Ehe reden“, bat Olivia. Sie bemühte sich, einen möglichst lockeren Ton anzuschlagen. „Schließlich geht es heute nur um dich und deinen heißen Mann.“

Ein verträumter Ausdruck trat in Saras Gesicht. „Er ist ziemlich niedlich, nicht wahr?“

Natalie lachte. „Hündchen und Regenbogen sind niedlich. Josh Travers ist definitiv heiß. Sogar ich würde mich in ein Flugzeug wagen, um ihn am Strand von Hawaii zu sehen – in Badehosen.“

Olivia lächelte. Sie wusste, dass ihrer Freundin allein der Gedanke an Flugzeuge den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Sie wandte sich an Sara. „Bist du so weit? Hast du alles eingepackt, was du brauchst?“ Sara und Josh wollten nach der Feier nach Denver fahren, um von dort aus morgen früh ins Flugzeug zu steigen.

Sara deutete auf einen winzigen Koffer. „Ich habe alles.“

Olivia riss die Augen auf. „Wirklich? Das soll dein gesamtes Gepäck für eine Woche sein?“

Bei ihrer eigenen Hochzeitsreise hatte Craig auf eine schicke teure Kreuzfahrt bestanden, für die sie zwei riesige Koffer gebraucht hatte, um alle Abendkleider, Kostüme und Anzüge unterzubringen.

„Sara wird nichts brauchen außer einem Bikini“, erklärte Natalie mit einem wissenden Lächeln. „Und den wird Josh ihr sowieso bald ausziehen.“

„Na, das hoffe ich doch.“ Sara zwinkerte ihrer Freundin zu. Beim Anblick von Olivias Gesicht schüttelte sie den Kopf. „Hey, du wirst doch nicht etwa rot!“

„Na ja … ich …“

Natalie schnaubte wenig damenhaft. „War Craig etwa so ein Schlaffi? Sogar in den Flitterwochen? Nun, eigentlich ist das kaum überraschend …“

Olivia hob die Schultern. „Es war schon in Ordnung.“ Aber nichts an ihrer Beziehung war in Ordnung gewesen, nicht einmal die Flitterwochen. Sie hatte geglaubt, dass das ihre Schuld war. Zumindest hatte Craig damals versucht, ihr das einzureden.

Sie widmete sich dem Falten des Brautschleiers, um den Blicken ihrer Freundinnen zu entgehen. Dann fragte Sara sanft: „Aber du bist doch noch da, wenn ich zurückkomme?“

Ihre Frage versetzte Olivia einen Stich ins Herz. Olivias Tage in Crimson waren gezählt. Wegen des Desasters mit Craig.

„Warum musst du überhaupt gehen?“, fragte Natalie dazwischen. „Du lebst doch gern in Crimson. Diese Stadt tut dir gut.“

Natalies Empörung brachte Olivia zum Lächeln. Sie hatte das Gefühl, ihr ganzes Leben auf der Suche nach echten Freundinnen gewesen zu sein. Und erst in Crimson hatte sie welche gefunden. „Craig hat seinen Ruf ruiniert. Und meinen gleich dazu. Selbst wenn ich genug Geld hätte, um das Haus zu halten, könnte ich mich in Crimson nicht mehr frei bewegen.“

„Na hör mal! Er hat Mist gebaut. Er war derjenige, der fremdgegangen ist und hier alles in den Sand gesetzt hat. Nicht du.“

„Du weißt doch, wie es in der Kleinstadt läuft.“

Natalies Lippen wurden zu einem dünnen Strich. Seufzend strich sie sich das weiche braune Haar hinter das Ohr. Sie war in Crimson aufgewachsen und wusste besser als jeder andere, was es hieß, in einem Provinznest zu leben. „Tja, so ist das in Crimson. Die Hilfsbereitschaft der Leute ist gleichzeitig Fluch und Segen. Sie sind sofort bereit, dir zu helfen – aber dabei wollen sie so viel wie möglich über dich herausfinden.“

„Trotzdem meinen sie es gut mit dir“, mischte sich Sara ein.

Olivia musterte ihre Freundinnen. Sara war eine echte Schönheit. Und das nicht nur in ihrem Hochzeitskleid. Mit ihren leuchtend blauen Augen, dem glänzenden blonden Haar und der gertenschlanken Figur sah sie immer anbetungswürdig aus.

Natalie dagegen war ein ganz anderer Typ. Sie war kleiner als ihre beiden Freundinnen, hatte sanfte, dunkle Augen und dunkelbraunes Haar. Nur die Schatten um ihre Augen verrieten, dass sie sich in letzter Zeit ein bisschen zu viel aufbürdete. Sie war praktisch rund um die Uhr auf den Beinen, um gleichzeitig ihre Stelle im Seniorenheim und ihren Job als private Pflegerin auszuüben.

Außer Sara und Natalie zählte Olivia nur noch ihre langjährige Freundin April zu den engen Verbündeten, die ihr das Leben leichter machten, nachdem Craig es dermaßen aus den Fugen gebracht hatte.

Vor zwei Monaten hatte sich Craig mit seiner Geliebten und dem Inhalt ihres gemeinsamen Sparkontos aus dem Staub gemacht – und dabei hatte er Olivias Selbstwertgefühl gleich mitgenommen.

„Wir sollten zurückgehen“, schlug Olivia vor. „Sonst verpassen wir die Party.“

Sara fasste sie scharf ins Auge. „Du brauchst einen Mann.“

„Josh hat zwei Brüder“, schlug Natalie eifrig vor.

„Ich brauche keinen Mann“, murmelte Olivia verlegen. „Ich bin gerade erst einen losgeworden.“

„Craig war eine Schlange, kein Mann.“ Sara wedelte ungeduldig mit der Hand. „Der zählt also nicht. Aber Joshs Brüder werden nicht lange in der Stadt bleiben. Die kommen demnach auch nicht infrage. Jake hat mir erzählt, dass er schon am Dienstag wieder in der Klinik sein muss. Und auf Logan kann man sich nicht verlassen. Er ist ein echter Windhund.“

Natalie wollte noch nicht aufgeben. „Wie wäre es dann mit …“

„Hört endlich auf!“, rief Olivia. „Ich suche nicht nach einem Mann.“ Sie sah Natalie streng an. „Davon abgesehen bin ich nicht die einzige Frau, die allein dasteht. Wie wäre es, wenn wir dir einen Mann suchen?“

Natalie hob abwehrend die Hände. „Hier geht es nicht um mich.“

Sara versuchte zu schlichten: „Wir wollen doch nur, dass du in Crimson bleibst.“

Die Anspannung wich aus Olivias Körper. „Ich weiß.“ Und insgeheim wollte sie das auch. Sie konnte sich bloß nicht vorstellen, wie sie es bewerkstelligen sollte. „Ich werde nicht gehen, bevor du aus den Flitterwochen zurückkommst“, versprach Olivia ihrer Freundin. „Außerdem treffe ich mich diese Woche noch mit dem neuen Bürgermeister. Vielleicht kommt mir dann eine Erleuchtung.“

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Kurz darauf trat Josh Travers ein.

„Hallo, Ehemann“, begrüßte Sara ihn fröhlich. Ihre Augen begannen zu leuchten.

„Hallo, Ehefrau“, erwiderte er und zog sie in seine Arme. „Die Gäste fragen schon nach dir.“ Er nickte Natalie und Olivia zu. „Hätten die Damen etwas dagegen, mich kurz mit meiner Frau allein zu lassen?“

„Natürlich nicht.“ Natalie hakte sich bei Olivia unter. „Komm, wir genehmigen uns noch ein Glas Champagner.“

Bevor sie sich zum Gehen wandten, flüsterte Sara in Olivias Ohr: „Du verdienst es genauso, glücklich zu sein.“

Olivia nickte stumm. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie war froh, dass sie sich an Natalie lehnen konnte, die sie durch die Menge der Hochzeitsgäste gezielt zur Bar führte.

Logan Travers trank einen Schluck aus der Bierflasche und musterte die ausgelassenen Partygäste. Vor einer halben Stunde hatte man Josh und Sara unter lautem Jubel und mit den besten Wünschen auf die Hochzeitsreise geschickt. Die Abwesenheit des Brautpaares hatte der Party jedoch keinen Dämpfer verpasst.

Er freute sich für seinen Bruder, und Sara schien eine wundervolle Frau zu sein. Doch das hieß noch lange nicht, dass er Hochzeiten mochte. Unwillig zerrte er an dem steifen Kragen seines gestärkten Hemds. Zum ersten Mal in seinem Leben trug er einen Smoking. Hoffentlich blieb es das einzige Mal.

Am liebsten wäre er sofort zu Joshs Ranch gefahren und hätte sich ins Bett gelegt. Sein Bruder Jake hatte es richtig gemacht: Unter dem Vorwand, Joshs kleine Tochter Claire ins Bett zu bringen, hatte er sich vorzeitig verabschiedet und Logan in dem Tanzsaal allein gelassen, der sich über dem Restaurant befand, wo sie das Abendessen eingenommen hatten.

Wenn er Sara nicht versprochen hätte, mit einer ihrer Single-Freundinnen zu tanzen, wäre er ebenfalls gegangen. Es war nahezu unmöglich, seiner Schwägerin einen Gefallen abzuschlagen. Bevor sie gegangen war, hatte sie Logan in eine Ecke gedrängt und ihm eingebläut, nicht zu gehen, bevor er die Dame aufgefordert hatte.

Und das, obwohl er sich vorgenommen hatte, heute Abend einen großen Bogen um jede weibliche Begleitung zu machen. Die einzige, mit der er bisher getanzt hatte, war seine dreizehnjährige Nichte. Und diese lag nun friedlich schlummernd in den Federn.

Seufzend betrachtete er die tanzenden Paare. Dann schweifte sein Blick zum Rand der Tanzfläche. Eine Frau in einem rosafarbenen Kleid saß allein an einem Tisch und beobachtete ebenfalls die Tänzer. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien sie sich ebenso unwohl zu fühlen wie er.

Sie hatte ihr langes braunes Haar zu einem festen Knoten gesteckt, was ihr ein klassisches, beinahe strenges Aussehen verlieh. Sara hatte das Aussehen ihrer Freundin beschrieben als ‚eine sehr hübsche Bibliothekarin‘. Logan war sich zwar nicht sicher, ob er dieser Beschreibung zugestimmt hätte, doch er kam zu dem Schluss, dass es sich dabei um diese Frau handeln musste.

Während er auf sie zuging, wechselte die Musik zu einer langsamen Ballade. Verdammt. Er hatte gehofft, sie zu einem schnellen Line-Dance auffordern und sich dann aus dem Staub machen zu können. Für einen kurzen Moment dachte er darüber nach, wieder kehrtzumachen, aber da blickte sie hoch und fing seinen Blick auf.

„Würden Sie gern tanzen?“, fragte er und streckte die geöffnete Hand aus.

Sie betrachtete seine Hand, als sei sie eine giftige Schlange. „Warum fragen Sie?“

Damit hatte er nicht gerechnet. Logan konnte sich nicht erinnern, dass ihm eine Frau jemals einen Korb gegeben hätte. Er grinste. „Das hier ist eine Hochzeit.“ Er trat einen Schritt näher und stemmte die Hand in seine Hüfte. „Ich bin Logan Travers, Joshs Bruder.“

Der Blick ihrer großen grauen Augen richtete sich für eine Sekunde auf ihn, bevor sie wieder auf die Tanzfläche sah. „Ich weiß, wer du bist. Und ich wette, Sara hat das Ganze eingefädelt.“

Er hatte nicht vor zu leugnen. „Ich kenne sie nicht besonders gut, aber sie kann ziemlich hartnäckig sein, wenn sie etwas will.“

„Das Brautpaar ist gegangen“, antwortete sie tonlos. „Du bist aus dem Schneider.“

Dasselbe hatte Logan sich noch vor wenigen Minuten gewünscht. Aber jetzt fühlte es sich so an, als würde er einen Korb bekommen. Kein schönes Gefühl. „Glaubst du nicht, dass Sara später einen ausführlichen Bericht verlangen wird?“

„Offensichtlich kennst du Sara doch besser, als du glaubst.“ Ein echtes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.

Logan griff erneut zu seinem Kragen. Mit einem Mal war ihm, als wäre es noch heißer im Raum geworden. Die Frau erhob sich, und zu seiner Überraschung reichte sie ihm bis zum Kinn. Mit seiner beeindruckenden Größe war Logan es gewohnt, dass die Leute zu ihm aufblickten. Aber diese Lady brauchte nicht einmal High Heels, um in die Nähe seines Gesichts zu kommen.

Plötzlich hätte Logan nichts lieber getan, als sie in die Arme zu schließen, um herauszufinden, ob sie sich ebenso gut an seinen Körper anschmiegen würde, wie er es sich vorstellte.

„Ich bin Olivia.“ Sie streckte die Hand aus.

Er ergriff sie und nutzte die Gelegenheit, um sie zur Tanzfläche zu führen.

„Du musst das nicht machen“, protestierte sie.

„Ich will es aber.“ Mit diesen Worten zog er sie an sich. Vielleicht ein bisschen enger, als nötig gewesen wäre.

Sie legte die linke Hand auf seine Schulter, während er ihre rechte Hand fest umschlossen hielt. Er kam nicht umhin, den mächtigen Diamanten zu bemerken, den sie an ihrem Ringfinger trug. Er wurde regelrecht davon geblendet, wenn sich das Licht der Scheinwerfer darin brach. Sara hatte ihn zwar gebeten, mit ihrer Single-Freundin zu tanzen, doch offensichtlich hatte diese eine Vergangenheit.

Er bezähmte seine Neugier und konzentrierte sich auf den Tanz. Dann strich er über den seidigen Stoff ihres Kleides. Einige Strähnen ihres mahagonifarbenen Haars hatten sich gelöst und schmiegten sich an ihren Hals. Wenn er den Kopf wandte, berührten sie samtweich seine Wange. Sie duftete nach Blumen. Er widerstand dem Impuls, das Gesicht in ihre Halsbeuge zu schmiegen und ihren Duft genießerisch zu inhalieren.

Er rief sich zur Ordnung. Ganz offensichtlich war es schon viel zu lange her, dass er die Gesellschaft einer Frau genossen hatte. Sonst hätte er wohl kaum so heftig auf Olivia reagiert. Denn im Grunde war sie überhaupt nicht sein Typ. Sie war viel zu vornehm. Und so zerbrechlich und distanziert. Logan bevorzugte extrovertierte und laute Frauen, mit denen man Spaß haben konnte. Für begrenzte Zeit.

Alles an Olivia rief Nicht deine Liga. Und Logan war klug genug, sich daran zu halten.

„Warum hast du keine Begleitung?“, wagte er zu fragen.

Er spürte, wie sich ihr Körper straffte. Sie sagte ruhig: „Mein Mann ist vor einigen Monaten mit seiner Sekretärin durchgebrannt.“

Ihre Unverblümtheit brachte ihn für einen Augenblick aus der Fassung. Er lehnte sich zurück, um ihr in die Augen zu sehen. „Dann hatte er dich überhaupt nicht verdient“, gab er zurück.

Sie öffnete den Mund und sah ihn an. Doch es kam kein Laut über ihre Lippen. In ihrem Blick lag eine stille Verzweiflung. Logan erinnerte sich, wo er diesen Blick schon einmal gesehen hatte: in den Augen seiner Zwillingsschwester. Das war nun fast zehn Jahre her.

Und plötzlich verstand er. Olivia Wilder war tief verletzt. Und obwohl er ihren Mann nicht kannte, hatte er das heftige Bedürfnis, ihm mit der Faust ins Gesicht zu schlagen.

„Er hat das Glück anderswo gesucht“, erklärte sie schließlich. „Er fühlte sich offenbar eingeengt.“

„Du wirst diesen Idioten doch nicht etwa verteidigen.“

Sie schüttelte den Kopf, wich aber seinem Blick aus. „Auf lange Sicht ist es wohl besser so.“

„Hat er das gesagt?“

Ich sage mir das, um den Tag zu überstehen.“ Sie blinzelte, um die aufsteigenden Tränen zu bekämpfen.

Das Lied erstarb, und sie löste sich aus seinen Armen, doch er hielt ihre Hand fest. „Lass uns ein Bier trinken.“

Sie schüttelte den Kopf. Sie machte den Eindruck, als sei es ihr unangenehm, etwas über sich verraten zu haben. Trotzdem folgte sie ihm zur Bar.

Logan spürte die Blicke der anderen Gäste, als sie gemeinsam durch die Menge schritten. Seit beinahe zehn Jahren hatte er keinen Fuß mehr in diese Stadt gesetzt. Er sah keinen Sinn darin, sich für die kurze Dauer seines Aufenthaltes mit jemandem anzufreunden. Denn sobald Josh und Sara aus Hawaii zurück waren, würde er Crimson verlassen – und das, ohne sich noch einmal umzudrehen.

An der Bar ließ er sich zwei Flaschen geben und geleitete Olivia hinaus ins Treppenhaus. Er wäre gern an die frische Luft gegangen, aber er befürchtete, dass Olivia in ihrem leichten Kleid frieren würde. Der März neigte sich dem Ende zu, aber hier oben in Crimson, auf knapp zweieinhalbtausend Metern Höhe, wurde es nachts noch empfindlich kalt.

Die Rocky Mountains erhoben sich majestätisch zu beiden Seiten des Höhenplateaus, das dem kalten Wetter ausgesetzt war, und jeder Bewohner der Stadt wusste, dass man noch einige Zeit mit Schnee rechnen musste.

Anstatt nach draußen zu gehen, brachte Logan sie die Treppe hinunter und zurück in das Restaurant, wo zu dieser späten Stunde nur noch die Bar besetzt war. Er wählte einen Tisch in einer gemütlichen Ecke und bot Olivia einen Stuhl an.

Erschöpft sank sie darauf und vergrub das Gesicht in den Händen. Ihre Schultern zuckten verräterisch. „Bitte geh weg“, murmelte sie zwischen den Fingern.

Logan öffnete das Bier und stellte eine Flasche vor ihr auf den Tisch. „Trink das“, forderte er sie auf. Er nahm einen Schluck von seinem eigenen Bier und fuhr sich durch das Haar.

„Ich hätte lieber Weißwein“, erklärte sie. Ihre Stimme war noch immer unsicher.

„Der ist mir gerade ausgegangen.“

Sie hob den Kopf und musterte ihn mit einer Mischung aus Verzweiflung und Ärger.

Gut. Mit Wut konnte er sehr viel besser umgehen als mit Tränen. „Lass sie nicht sehen, dass es dir nicht gut geht. Das erregt zu viel Aufmerksamkeit. So ist das eben in der Kleinstadt.“ Sobald er es ausgesprochen hatte, fragte er sich, ob er mit diesem Ratschlag nicht vielmehr sich selbst gemeint hatte. Und er fragte sich, warum ihm das Schicksal dieser Fremden so naheging.

„Seit ich nach Crimson gekommen bin, ist jeder nett zu mir gewesen.“ Sie nippte an dem Bier, verzog das Gesicht und zwang sich zu einem größeren Schluck. „Davon abgesehen fühle ich mich nun einmal mies. Mein Mann war Bürgermeister von Crimson. Unser Leben fand in der Öffentlichkeit statt. Ein ziemlich perfektes Leben. Und jetzt stehe ich da wie ein Volltrottel.“

„Ich werde jetzt nicht mit dir darüber streiten, wie das perfekte Leben auszusehen hat. Aber wenn er dich betrogen hat, hat er sich zum Gespött der Leute gemacht. Das ist sein Problem.“

„Es ist mein Problem, weil er auf dem Weg gleich noch unsere Ersparnisse mitgenommen hat. Und weil er seit Monaten nicht die Hypothek abgezahlt hat.“ Sie schlug sich die Hände vor den Mund. „Du willst meine Probleme doch gar nicht hören.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher. Wie hieß denn dieser tolle Stadtchef?“

Sie zerpflückte das Etikett der Bierflasche. „Craig Wilder. Er kommt aus einer angesehenen Familie in Crimson.“

Logan presste die Kiefer zusammen. „Ich weiß, wer die Wilders sind.“

„Warst du mit Craig befreundet?“

Logan hätte beinahe gelacht. „Er ist mit meinem älteren Bruder zur Schule gegangen.“

Sie warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. „Wie alt bist du, Logan?“

„Sechsundzwanzig.“

„Ein Junge“, flüsterte sie.

„Kaum“, gab er zurück. „Und was hast du jetzt vor?“

Sie trank einen weiteren Schluck. „Ich weiß nicht. Ich war dabei, das Bürgerzentrum in der Innenstadt zu renovieren. Zumindest hatte ich das vor. Aber das ließe sich nur mit Spenden und freiwilligen Helfern bewerkstelligen. Im Nachhinein glaube ich, dass Craig mir dieses Projekt nur anvertraut hat, um mich zu beschäftigen. Und von seinen … außerehelichen Aktivitäten abzulenken.“ Sie seufzte.

„Ich weiß gar nicht, wie ich das Projekt jetzt noch stemmen könnte. Denn obendrein ist der Bauunternehmer, mit dem ich die Pläne ausgehandelt hatte, der Ehemann von Craigs Geliebter. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass er nicht gerade scharf darauf ist, weiterhin mit mir zu arbeiten.“

„Aber was wird aus dir?“

„Ich bin in St. Louis aufgewachsen. Meine Mutter lebt noch immer dort, also werde ich zuerst mal dahin zurückkehren, um mich zu sammeln.“

„Und was wird aus dem Bürgerzentrum?“

Sie schob die Flasche weg und schlang die Arme um sich. „Die Erneuerung hätte der Stadt gutgetan. Ich hatte so viele Pläne: Malkurse, Veranstaltungen, Theater, Workshops für Senioren. Ich wollte eine Begegnungsstätte für verschiedene Generationen erschaffen. Außerdem wollte ich die lokalen Künstler fördern und Gastlehrer einladen. Es gab so viel Potenzial.“

Zum ersten Mal bemerkte Logan die Leidenschaft in ihrem Blick. Sie war stärker als die Enttäuschung. Sogar stärker als die Trauer, auch wenn Olivia versuchte, ihre Gefühle zu überspielen.

Autor

Michelle Major

Die USA-Today-Bestsellerautorin Michelle Major liebt Geschichten über Neuanfänge, zweite Chancen - und natürlich mit Happy End. Als passionierte Bergsteigerin lebt sie im Schatten der Rocky Mountains, zusammen mit ihrem Mann, zwei Teenagern und einer bunten Mischung an verwöhnten Haustieren. Mehr über Michelle Major auf www.michellemajor.com.

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