Die Eislady und der feurige Gentleman

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Eingeschneit mit dem berüchtigten Sir Clayton Powell - ein Spiel mit dem Feuer beginnt! Denn nichts würde Ruth lieber tun, als sich in die wärmenden Arme des gut aussehenden Gentleman zu schmiegen. Aber sie, eine junge Witwe, die auf ihren Ruf achten muss, und dieser heiratsscheue Frauenheld? Der Skandal wäre perfekt …


  • Erscheinungstag 06.11.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728298
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich muss Sie wirklich bitten, sich zu verabschieden, Sir.“

Leider wurde die in bestimmtem Tonfall hervorgebrachte Aufforderung keiner Antwort gewürdigt. Der Gentleman, dem sie galt, lief weiterhin so erregt in dem winzigen Salon auf und ab, dass Ruth Hayden um ihren ohnehin schon abgeschabten Teppich fürchtete.

„Dr. Bryant!“ Diesmal klang ihre Stimme ein wenig schärfer. „Bitte ersparen Sie es mir, Sie noch einmal zum Gehen auffordern zu müssen.“

Der Angesprochene blieb endlich stehen, doch nur, um wütend die Arme in die Seiten zu stemmen. „Ich kann es einfach nicht fassen, dass Sie sich weigern, mich auch nur anzuhören. Lassen Sie mich doch wenigstens erklären, welche Vorteile eine solche …“

„Geben Sie sich keine Mühe“, unterbrach Ruth ihn. „Ich habe sehr wohl verstanden, was Sie mir vorschlagen, und möchte uns beiden jede weitere unangenehme Diskussion ersparen. Ihr Antrag ehrt mich, aber ich kann Sie wirklich nicht heiraten. Auf Wiedersehen, Sir.“

Eiligen Schrittes ging Ruth zur Salontür, um sie dem Besucher vielsagend offen zu halten.

Als Dr. Ian Bryant gewahr wurde, dass man ihn ohne viel Federlesens hinauskomplimentierte, wich die Überraschung in seiner Miene einem Ausdruck der Wut.

Ihm, einem der Honoratioren des Landstädtchens Willowdene, war eine solche Schmach noch nie widerfahren. Und nun zeigte ihm ausgerechnet eine Frau die kalte Schulter, die man in der hiesigen Gesellschaft allerhöchstens duldete. Wieso begriff sie nicht, dass ihr als seiner Gemahlin wieder alle Türen offenstehen würden?

Dr. Bryant, ein Mann von etwas über dreißig Jahren, sah auf eine gewisse raue Art gut aus. Er war hochgewachsen und besaß breite Schultern. Nun richtete er sich zu voller Größe auf, um sich beleidigt zum Gehen zu wenden.

„Glauben Sie mir, Madam: Hätten Sie mir nicht Anlass zu der Vermutung gegeben, dass Ihnen meine Werbung nicht unwillkommen wäre, so wäre ich heute nicht gekommen.“ Befriedigt nahm er wahr, dass die Spitze ihr Ziel nicht verfehlt hatte.

Röte stieg Ruth ins Gesicht und betonte ihre hohen Wangenknochen noch stärker. Natürlich erinnerte sie sich gut an den Zwischenfall, auf den er anspielte. Doch sie hob stolz das Kinn und begegnete Dr. Bryants Blick geradeheraus. „Ich fürchte, Sie haben damals das Geschehene missdeutet. Als mein Vater starb, brauchte ich nichts so dringend wie Trost und Zuspruch. Dass Sie mir beides gewährt haben, dafür danke ich Ihnen. Aber nun gibt es nichts weiter zu sagen.“

Sie öffnete ihm die Tür ein Stück weiter, doch Dr. Bryant schien immer noch unwillig, endlich zu gehen. Stattdessen musterte er Mrs. Hayden von Kopf bis Fuß.

Man konnte nicht anders und musste sie als Schönheit bezeichnen, auch wenn sie nicht dem modischen Ideal mädchenhafter Lieblichkeit entsprach. Ihre Züge waren regelmäßig, aber nicht zart, und ihr Teint hätte durchscheinender sein müssen, um als wahrhaft elegant zu gelten. Einige Locken des dichten braunen Haares, das sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen hatte, waren der schlichten Frisur entschlüpft und kringelten sich vorwitzig an ihren Schläfen. Unter geschwungenen Brauen sahen schokoladenbraune Augen klar und offen in die Welt.

In Ruth Haydens Benehmen fand sich keine Spur von Koketterie. Sie mochte eben errötet sein und die Lider niedergeschlagen haben, aber Dr. Bryant wusste, dass dies ein Zeichen ihrer Verlegenheit gewesen war. Zu flirten lag nicht in ihrer Natur.

Doch so kühl sie sich auch gab: Ihr sinnlicher Körper schien diese Zurückhaltung Lügen zu strafen. Nur zu gut erinnerte Dr. Bryant sich an den kurzen Moment, in dem er ihre weiblichen Rundungen gespürt hatte. Die vollen Brüste und runden Hüften hatten sich höchst verführerisch an seinen Körper geschmiegt, und er sehnte sich danach, Ruths schmale Taille noch einmal mit seinen Händen zu umfassen.

Mrs. Haydens unzweideutige Zurückweisung versetzte nicht nur seinem Stolz einen empfindlichen Schlag – nein, sie überraschte ihn auch aufs Höchste. Eine Frau in ihrer Lage hätte eigentlich einen Antrag, der ihre gesellschaftliche Position entscheidend zu verbessern versprach, ohne zu zögern, annehmen müssen. Nun sah Dr. Bryant seinen Plan durchkreuzt, diese verführerische Frau in sein Bett zu holen. Mehr noch: Durch diese Heirat hätte er auch eine neue Mutter für seinen kleinen Sohn ins Haus gebracht. Eine klare Stimme riss ihn aus seinen bitteren Gedanken.

„Ich habe zu tun, Sir, und muss Sie wirklich bitten, jetzt zu gehen. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.“

Ohne Mrs. Hayden eines weiteren Wortes zu würdigen, stolzierte er hinaus.

Als Ruth hörte, wie die Tür ins Schloss fiel, schloss sie erleichtert die Augen. Im nächsten Augenblick erschien das Dienstmädchen im Salon und erkundigte sich besorgt: „Soll ich Wasser aufsetzen, Mrs. Hayden?“

Ruth lächelte dankbar und nickte. Sicher hatte Cissie nicht gelauscht, aber sie schien zu wissen, dass ihre Herrin eine Stärkung nötig hatte. Vielleicht ahnte sie auch, was gerade vorgefallen war, und brannte darauf, mehr zu erfahren. Sie fragte sich bestimmt, weshalb sie den Antrag eines Mannes abgelehnt hatte, der ihr ein sorgenfreies Leben ermöglichen könnte.

Ein Blick in den Salon offenbarte jedem zufälligen Besucher, dass Mrs. Hayden in bescheidenen Verhältnissen lebte. Der Raum war zwar makellos sauber und duftete nach Lavendel, aber die Möbel zeigten deutliche Spuren der Abnutzung. Auch die Bezüge und Vorhänge hatten ihre besten Tage bereits hinter sich. Jeder Außenstehende musste daraus den Schluss ziehen, der auf der Hand lag: dass sich das Los dieser jungen Witwe durch die Ehe mit einem reichen Witwer entscheidend verbessern ließe.

Und nach Ansicht der hiesigen Gesellschaft war Dr. Bryant eine hervorragende Partie. Er besaß nicht nur ein ansehnliches Heim und ein stattliches Einkommen; durch die erste Eheschließung hatte er außerdem sein Vermögen noch vergrößern können. Sein Beruf galt daher allgemein eher als menschenfreundlicher Zeitvertreib denn als Broterwerb.

Cissie war in der Küche verschwunden, um Tee zu machen, und Ruth ließ sich erschöpft in einen Sessel sinken. Warum hatte sie Dr. Bryant so bestimmt abgewiesen, ohne auch nur einen Gedanken an die Vorteile der Verbindung zu verschwenden? Immerhin hätte sie ihn bitten können, ihr Zeit zum Nachdenken zu geben.

Schon einmal war sie von einem Heiratsantrag überrascht worden. Damals, achtzehn Jahre alt und kaum dem Schulzimmer entwachsen, war sie von Paul Hayden aus heiterem Himmel um ihre Hand gebeten worden. In ihrer Unschuld hatte sie geglaubt, nach so kurzer Bekanntschaft mit einem Gentleman nicht übereifrig wirken zu dürfen, und hatte ihn stammelnd um Bedenkzeit gebeten. Sie musste immer noch lächeln, wenn sie daran zurückdachte. Doch ihr Galan hatte sich damals kaum zum Gehen gewandt, als sie schon im Überschwang der Gefühle zu ihm eilte und ausrief, sie wolle seine Frau zu werden. Sie hatte ihn so sehr geliebt, dass sie es nicht ertrug, ihn im Ungewissen zu lassen.

Dr. Bryant weckte keine solchen Gefühle in ihr. Trotzdem hatte sie ihn für einen guten Freund gehalten – bis zu jenem Tag, an dem er ihr angeboten hatte, seine Geliebte zu werden. Nun hat er seine Frau im Kindbett und keine Zeit verloren, zu mir zurückzukommen und mir ein verbessertes Angebot zu machen, dachte Ruth bitter.

Und sie hatte abgelehnt. War es töricht von ihr, von Liebe zu träumen, statt sich die unbestreitbaren Vorteile einer Ehe vor Augen zu halten?

„Du wiederholst dich, meine Liebe, und das finde ich ermüdend“, erklärte der Gentleman der kokett schmollenden Brünetten, die sich nackt inmitten zerknitterter Satinlaken rekelte.

Doch Lady Loretta Vane ließ sich dadurch nicht entmutigen. Sie drehte sich auf den Bauch und schlug die blauen, von langen Wimpern beschatteten Augen weit auf. Sogleich bemerkte sie befriedigt, wie der Blick ihres Liebhabers zu den üppigen Brüsten wanderte, die sie ihm verführerisch auf einem Kissen darbot.

Sir Clayton Powell ließ die Hände sinken, mit denen er gerade sein Hemd zugeknöpft hatte, und schlenderte gemächlich zu dem ausladenden Bett zurück. Kaum war er nahe genug herangekommen, als Loretta die langen, schlanken Finger ausstreckte und ihn näher zu sich heranzog.

„Komm zurück ins Bett“, lockte sie. „Vielleicht kann ich dich umstimmen, wenn ich dir zeige, auf welche Freuden du in Zukunft verzichten musst. Jedenfalls, sofern du auf deiner Weigerung beharrst, mich zu einer ehrlichen Frau zu machen.“

Clayton beugte sich über sie, die Hände rechts und links von ihrem schlanken Körper auf die Matratze gestützt. Mit einer einzigen fließenden Bewegung drehte Loretta sich wieder auf den Rücken und schlang dem Geliebten die Arme um den Nacken.

„Denk doch bloß daran, was für hübsche Kinder wir haben würden: ein kleines Mädchen mit deinen blonden Haaren und einen dunkelhaarigen Jungen – deinen Erben –, der mir ähnlich sieht.“

Clayton lächelte spöttisch, bevor er Loretta küsste. „Und was hält dein Verlobter von Bigamie und unehelichen Kindern?“

Amüsiert warf sie den Kopf in den Nacken und lachte, sodass sie ihrem Geliebten den schlanken Hals zum Liebkosen darbot. „Natürlich wäre er höchst entsetzt – aber das spielt keine Rolle. Du weißt genau, dass ich Pomfrey jederzeit für dich fallen ließe.“

„Ja, das ist mir klar.“ Einen Augenblick lang begegnete der Blick aus seinen schiefergrauen Augen dem ihren, dann drückte Clayton seiner Mätresse einen seltsam gleichgültigen Kuss auf die Lippen.

Noch vor nicht allzu langer Zeit hatten sich auf dem Bett leidenschaftliche Szenen abgespielt. Doch plötzlich ließen Loretta Vanes Verführungskünste Clayton kalt. Das lag nicht allein an der Beharrlichkeit, mit der sie nach einem Heiratsantrag angelte. Nein, ihn störte auch die kühle Berechnung, mit der sie ihren Verlobten für einen dickeren Fisch über Bord zu werfen bereit war. Clayton hatte nicht die Absicht, sich deswegen in eine Auseinandersetzung mit dem Honourable Ralph Pomfrey verwickeln zu lassen.

Erst kürzlich war dem Ton zu Ohren gekommen, dass Pomfrey möglicherweise nicht ganz so reich war, wie alle Welt glaubte: Jedenfalls hatte er Claude Potts gebeten, ihm aus einer finanziellen Klemme zu helfen. Leider war Potts eine stadtbekannte Plaudertasche. Deshalb wusste nun jedermann darüber Bescheid, wie sehr Pomfreys Vermögen unter seiner Pechsträhne auf der Rennbahn gelitten hatte. Es ging sogar das Gerücht, dass seine Verlobte mehr auf der Bank liegen hatte als er.

Diese Tatsache ließ nun auch seine Werbung um Loretta Vane in einem anderen Licht erscheinen – um eine Frau, die zwar die gesellschaftliche Stellung einer Dame beanspruchen konnte, aber die Seele einer Kurtisane besaß.

Loretta nannte ein hübsches Vermögen ihr Eigen, das ihr verstorbener Gatte Lord John Vane ihr hinterlassen hatte. Doch nachdem sie einen erheblichen Teil davon verschwendet hatte, musste sie nun befürchten, durch eine Heirat mit Ralph, dem jüngsten Sohn des Earl of Elkington, auch den Rest zu gefährden. Ganz sicher war es kein Zufall, dass ihre Gefühle für Pomfrey in dem Augenblick abkühlten, in dem das Ausmaß seiner Schwierigkeiten offenbar wurde.

Besorgt darüber, dass ihr Liebhaber so wenig leidenschaftlich auf ihre Verführungskünste reagierte, zupfte Loretta an Claytons Hemd. Gleichzeitig ließ sie die Zunge zwischen seine Lippen gleiten.

„Du bist mit Pomfrey verlobt“, erinnerte Clayton sie und hielt sie an den Handgelenken von sich fern. „Er ist der richtige Mann für dich.“ Damit ließ er Loretta los, nahm seinen Rock von der samtbezogenen Chaiselongue und schlüpfte hinein.

„Du bist der richtige Mann für mich!“ Als Loretta einsah, dass von Clayton keine befriedigende Antwort zu erwarten war, sprang sie auf. Ihre Gesichtszüge wirkten nicht länger sinnlich weich, sondern hart und entschlossen. Sie hatte die Augenbrauen zusammengezogen und die vollen Lippen zu einem Strich zusammengepresst.

„Glaub mir – ich bin für keine Frau der richtige Mann“, gab Clayton zurück, während er achtlos sein Krawattentuch in die Rocktasche stopfte. „Möchtest du morgen Abend in die Oper gehen?“

„Heirate mich!“, verlangte Loretta herrisch. „Ich will dich und wollte dich schon immer. Wenn du es nicht tust, dann … dann …“ Sie zögerte, die Drohung auszusprechen.

„Dann?“, erkundigte Clayton sich. Lässig an den Türrahmen gelehnt, beobachtete er sie interessiert. „Komm schon, was hast du vor, um mich zu strafen?“

„Dann beende ich unsere Affäre“, erklärte sie eisig und hob das Kinn. „Ich werde so schnell wie möglich Pomfrey heiraten, und wenn wir den Bund erst geschlossen haben, teile ich das Bett nur noch mit meinem Gatten.“

Unwillkürlich musste Clayton lachen. „Oh, ich bin beeindruckt – du als treue Ehefrau! Das wird in der Tat eine neue Erfahrung für dich, meine Liebe. Dein verstorbener Mann dürfte sich im Grabe herumdrehen, wenn er wüsste, dass dieser tugendhafte Entschluss für ihn zu spät kommt. Hoffentlich weiß Pomfrey dein Opfer zu schätzen.“

Ralph Pomfrey wusste natürlich so gut wie jeder andere im Ton, dass seine künftige Gattin seit über einem halben Jahr Clayton Powells Geliebte war, aber dieses Wissen schien ihn nicht sonderlich zu stören. Selbstverständlich ging man allgemein davon aus, dass die Affäre noch vor der Hochzeit ihr Ende finden würde – zumindest so lange, bis Loretta ihre eheliche Pflicht erfüllt und ihrem Gemahl den rechtmäßigen Sohn und Erben geschenkt hätte.

„Warte nur – wenn ich es wahr mache, bleibt dir noch das Lachen im Halse stecken!“ Loretta wusste, dass ihr einziges Ass übertrumpft worden war. „Ich glaube kaum, dass du eine andere Frau findest, die dir genauso viel Lust bereitet wie ich.“

Insgeheim musste Clayton ihr recht geben, und diese Einsicht ließ ihn zögern. Loretta Vane hatte ihm Stunden ungehemmter Leidenschaft geschenkt, und der Anblick ihres sinnlichen nackten Körpers weckte sein Begehren erneut. Ob sie ihre Beteuerung ernst meinte, dass sie Pomfrey nach der Hochzeit treu sein wollte? In ihren Kreisen galt es durchaus als üblich, dass Eheleute diskret dem eigenen Vergnügen nachgingen, sobald die Erbfolge gesichert war.

Clayton warf Loretta ein Lächeln zu und kehrte zum Bett zurück.

„Woher weißt du, dass du mir Lust bereitest?“, murmelte er, während er mit den Lippen ihren Hals liebkoste.

„Das spürt man“, erwiderte sie. Ein Glitzern erschien in ihren Augen. „Soll ich dich zwingen, es auszusprechen?“

„Glaubst du, das liegt in deiner Macht?“

„Ich glaube es nicht nur, ich weiß es.“ Zärtlich biss sie in sein Ohrläppchen.

„Nun ja … dann wäre es wohl unhöflich, die Herausforderung auszuschlagen.“ Sein Kuss wurde härter, fordernder, während sie die Hände zu den Knöpfen seiner Pantalons gleiten ließ …

Es war bereits sechs Uhr morgens, als Clayton zum zweiten Mal den Rock zuknöpfte und sich zum Gehen wandte. Auf einen leisen Ruf vom Bett her drehte er sich lächelnd zu Loretta um.

„Ich weiß, dass ich dir Lust bereitet habe“, sagte sie, und Clayton fühlte sich an eine schnurrende Katze erinnert. „Versuch gar nicht erst, es zu leugnen.“

„Das stimmt. Du bist eine begabte Liebhaberin.“

„Ich wäre eine noch bessere Ehefrau. Das meinte ich ernst, Clayton.“

Er lächelte nur. „Ich meine Antwort auch.“ Damit ging er und schloss die Tür hinter sich.

Auf der Straße begrüßte ihn kühler Nebel. Clayton schlug den Weg zum Berkeley Square ein, denn das größte Haus an diesem eleganten baumbestandenen Platz gehörte ihm.

Da das Apartment, das John Vane seiner jungen Witwe hinterlassen hatte, mitten im besten Viertel der Stadt lag, brauchte Clayton für den Heimweg nicht lange.

Zu seiner Überraschung kam sein Butler Hughes in der Eingangshalle auf ihn zugeschritten, als hätte er die Ankunft seines Dienstherrn erwartet. Obwohl man Hughes die fortgeschrittenen Jahre ansah, hielt er sich aufrecht und schritt zackig aus wie bei einer Militärparade – ein Überbleibsel aus seiner Zeit als Soldat der königlichen Armee.

„Eine dringende Nachricht wurde soeben für Sie abgegeben, Sir Clayton“, erklärte der Butler und reichte ihm das Schreiben auf einem Silbertablett. Sofern er es merkwürdig fand, dass sein Dienstherr erst bei Tagesanbruch nach Hause kam, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken.

„Danke. Bitte lassen Sie Wasser für ein Bad heiß machen. Außerdem hätte ich gerne Kaffee und Toast“, erklärte Clayton, während er den Brief entgegennahm.

„Sehr wohl, Sir“, erwiderte Hughes und verschwand.

Kaum hatte Clayton die Handschrift auf dem Schreiben gesehen, da lächelte er. Was ihm Gavin Stone, Viscount Tremayne wohl mitzuteilen hatte? Vermutlich befand sich sein guter Freund bereits auf dem Weg von seinem Herrensitz in Surrey nach Mayfair. Clayton ging in sein Arbeitszimmer, ließ sich in den Schreibtischsessel sinken und las die überaus willkommene Nachricht, dass Gavin Stone bereits heute in London eintreffen würde.

2. KAPITEL

Wie bitte? Du hast ihn nicht mitgebracht? Dabei wollte ich ihn so gerne auf den Arm nehmen und drücken!“

„Drück stattdessen mich!“, forderte die Viscountess Tremayne ihre Freundin Ruth lächelnd auf und umarmte sie. „Ich habe dich vermisst.“

„Und ich dich“, antwortete Ruth schlicht und erwiderte die Umarmung. „Außerdem brenne ich darauf, alle Neuigkeiten aus Surrey zu erfahren. Aber wo hast du denn deinen niedlichen kleinen Sohn gelassen?“

„Nachdem er neulich ein bisschen verschnupft war, wollte ich ihn bei dem kalten Winterwetter nicht mitnehmen. Ich habe ihn in der Obhut seines Kindermädchens drüben auf Willowdene Manor gelassen. Außerdem bekommt er Zähne, und dann ist er immer besonders anfällig für Erkältungen.“ Die stolze Mama strahlte. „Aber er ist einfach ein entzückender kleiner Schatz und seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Manchmal glaube ich, dass ich vor lauter Liebe sterben muss.“

Während Sarah von ihrem Sohn schwärmte, hakte Ruth sie unter und führte sie in den Salon, wo sie es sich vor dem prasselnden Kaminfeuer bequem machten. Kalte Winde pfiffen durch die Ritzen und blähten die Gardinen.

Ruth nahm die Kanne von dem Teetablett, das auf einem niedrigen Tischchen bereitstand, und schenkte das dampfende Getränk ein. Gleichzeitig setzten die Freundinnen ihr Gespräch fort und fanden mühelos wieder zu dem alten, vertrauten Ton zurück. Es war, als wären sie nicht über viele Monate hinweg getrennt gewesen. Ein zufälliger Beobachter hätte sie für Schwestern halten können.

„Wie lange bleibt ihr auf Willowdene Manor?“

„Bis Herbst, genauer gesagt Michaeli … jedenfalls, wenn es nach mir geht“, antwortete Sarah mit einem Zwinkern.

Ruth zog eine Augenbraue hoch. „Und ich vermute, dass es meistens nach dir geht.“ Sie seufzte theatralisch. „Armer Gavin!“

„Ja, ja, der Arme!“ Sarah lächelte, als sie an ihren geliebten Mann dachte. „Aber so bin ich nun einmal und war es schon immer, wie du weißt …“

Schweigen senkte sich über den Salon, als beide Frauen in die Flammen blickten und an die Ereignisse des vergangenen Jahres dachten. Noch vor zwölf Monaten hatte Sarah, damals noch Miss Marchant, im Ort Willowdene als leichtlebige Person gegolten, weil sie unverheiratet mit ihrem Geliebten zusammenlebte. Nach seinem überraschenden Tod drohten ihr Armut und Elend, doch dann begegnete sie Gavin Stone, dem neuen Herrn auf Willowdene Manor. Sie verliebte sich in ihn, ihre Liebe wurde erwidert, und wenige Monate nach der Hochzeit war sie mit ihm als Viscountess Tremayne auf seinen Herrensitz in Surrey gezogen.

Sarah verkehrte nun in höchsten Kreisen, war verheiratet und Mutter eines kleinen Sohnes, während Ruth nach wie vor in bescheidenen Verhältnissen in Willowdene lebte. Gesellschaftlich trennte eine tiefe Kluft die beiden Frauen, aber Ruth neidete der Freundin das Glück nicht.

„Ich wusste, dass du mit Gavin die richtige Wahl getroffen hast“, bemerkte Ruth zufrieden. „Dieses ganze dumme Gerede über seine angeblichen Ausschweifungen – das war doch nichts als Wichtigtuerei.“

„Nicht ganz“, widersprach Sarah. „Aber Gavin sagt, dass er inzwischen zu viel Verantwortung trägt, um sich noch irgendwelchen Ausschweifungen hinzugeben. Das überlässt er seinem Freund Sir Clayton Powell. Nach allem, was man hört, hat er in ihm einen würdigen Nachfolger gefunden.“

Ruth senkte die Teetasse und neigte den Kopf zur Seite. „Sir Clayton Powell? Das war doch Gavins Freund, der letztes Jahr eine Weile hier zu Besuch weilte.“

„Ja, das stimmt. Wäre es schlimm, wenn du ihn bald wiedersehen würdest?“ Sarah erinnerte sich noch gut daran, dass Ruth dem Freund Lord Tremaynes eher reserviert begegnet war. „Abgesehen davon, dass ich dich besuchen wollte, sind wir nämlich auch deshalb nach Willowdene gekommen, um James in der Kapelle von Willowdene Manor taufen zu lassen. Und wir möchten dich herzlich bitten, seine Patin zu werden. Bitte sag Ja!“

„Mit dem größten Vergnügen: ja.“ Ruths Stimme klang plötzlich belegt, und Freudentränen traten ihr in die Augen.

„Wunderbar! Clayton soll der andere Pate werden. Jedenfalls besteht Gavin darauf, dass wir ihn fragen. Er sagt, unter der Fassade des Lebemannes schlägt ein Herz aus reinem Gold. Anscheinend kann man sich darauf verlassen, dass Clayton seine Verantwortung ernst nimmt. Er kommt sogar für die Schulbildung seines Neffen auf, der einmal sein Erbe antreten wird. Seine eigene Ehe ist kinderlos geblieben.“

„Er ist verheiratet?“, erkundigte Ruth sich belustigt. „Und dann gibt er sich den Vergnügungen des Großstadtlebens hin, als sei er ledig?“

„Nein, nein – er war verheiratet.“ Sarah beugte sich vertraulich vor. „Soweit ich weiß, ist das aber schon lange her – eine mésalliance, die lediglich ein Jahr währte. Seine Gattin Priscilla ist ihm zuerst nach allen Regeln der Kunst auf der Nase herumgetanzt, um dann mit einem ausländischen Grafen durchzubrennen. Die genauen Einzelheiten kenne ich nicht, aber die Ehe wurde jedenfalls annulliert. Bei Clayton hat das zur Verbitterung geführt, und er hat sich geschworen, nie wieder zu heiraten. Deshalb soll sein Neffe einmal den Platz einnehmen, der eigentlich seinem eigenen Sohn zukäme.“

„Dann hätte ich mir also keine Sorgen machen müssen, dass er die dunklen Flecken in meiner Vergangenheit herausfinden könnte? Vermutlich hat er genug damit zu tun, den Skandal in seiner eigenen Vergangenheit nicht wieder publik werden zu lassen. Um daher deine Frage zu beantworten: Nein, es macht mir nichts aus, ihn wiederzusehen.“

„Ich glaube nicht, dass du dir von ihm unangenehme Fragen gefallen lassen musst. In den letzten Monaten habe ich ihn kennen- und schätzen gelernt. Er ist ein charmanter Mann mit einwandfreien Manieren.“

Nach einer kurzen Pause fuhr Sarah fort: „Du musst heute Abend zum Dinner kommen – keine Widerrede“, unterbrach sie sich, als sie gewahr wurde, dass die Freundin höflich ablehnen wollte. „Gavin ist noch nicht hier, weil er Geschäfte in London zu erledigen hatte. Aber er kommt gegen sechs, rechtzeitig zum Dinner. Wir fanden beide, dass es schön wäre, mit dir zusammen unsere Rückkehr nach Willowdene zu feiern. Außerdem bekommst du dann natürlich den kleinen James zu Gesicht.“ Die letzten Worte wurden in einem schmeichelnden Tonfall geäußert, der Ruth unwillkürlich lächeln ließ.

„Also gut, wenn ihr darauf besteht, komme ich gerne.“

Sarah drückte ihr die Hand. „Wunderbar! Und jetzt erzähl mir, was in Willowdene vorgefallen ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich brenne darauf, den neuesten Klatsch zu hören!“

Doch Ruth blieb ernst. „Du kommst gerade recht, um es als Erste zu erfahren. Bald dürften es die Spatzen ohnehin von den Dächern pfeifen. Dr. Bryant hat mir einen Heiratsantrag gemacht, den ich abgelehnt habe.“

Erstaunt riss Sarah die Augen auf. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, dass der Arzt Ruth vor einem Jahr ein anrüchigeres Angebot gemacht hatte, noch bevor seine Frau am Kindbettfieber gestorben war. „Und wie hat er es aufgenommen?“

„Schlecht, fürchte ich. Offenbar hat meine Reaktion ihn zutiefst überrascht, und ich musste ihn regelrecht hinauskomplimentieren.“

„Er hat geglaubt, du würdest ihn heiraten?“

„Nicht nur das – vermutlich dachte er, ich wäre ihm darüber hinaus noch dankbar. Das hat er zwar nicht gesagt, aber seine Miene sprach Bände. Und ganz Willowdene dürfte ihm zustimmen, dass nur eine Närrin eine so günstige Partie ausschlagen würde.“ Ruth lachte auf, aber es lag keine Heiterkeit darin. „Er ist unangekündigt hier aufgetaucht und hat mich mit seinem Antrag vollkommen überrascht. Aber warum habe ich ihn abgewiesen, ohne auch nur vernünftig darüber nachzudenken?“

„Vielleicht, weil du ihn nicht liebst?“, schlug Sarah in sanftem Tonfall vor.

„Das stimmt, ich liebe ihn nicht. Doch ist das Grund genug, ein behagliches Heim und ein sorgenfreies Leben in den Wind zu schlagen?“

„Das kann ich dir nicht beantworten. Aber du hast Paul von ganzem Herzen geliebt. Ich verstehe gut, dass du auf dieses Glück in einer Ehe nicht verzichten möchtest.“

„Jetzt erweist es sich als schwere Bürde, dass ich bereits eine Liebesheirat erlebt habe. Und dass die beste Freundin mit ihrem reichen, gut aussehenden Gatten im siebten Himmel schwebt, macht die Sache keineswegs besser.“ Ruth warf Sarah einen gespielt strengen Blick zu. „Jetzt beklage ich mich ständig beim Schicksal darüber, dass es sich mir nicht ähnlich gnädig erweist.“

„Falls es dir hilft: Vor nicht allzu langer Zeit habe ich häufig genug darum gebetet, dass sich mein Los verbessert.“ Tröstend ergriff Sarah die Hände der Freundin. „Und schlussendlich wurde ich erhört.“

„Wie lange ich darauf wohl warten muss? Nach den Jahren der Witwenschaft sollte ich vielleicht vernünftig werden, statt auf den Prinzen zu warten, der auf seinem weißen Pferd vorbeigaloppiert kommt.“ Ruth seufzte. „Ich muss zugeben: Wenn man mir eine Liste aller Gentlemen von Willowdene und Umgebung vorlegt, die als Ehemänner infrage kämen, würde ich vermutlich Dr. Bryant auswählen.“

„Und trotzdem hast du seinen Antrag abgelehnt, ohne auch nur zu zögern“, erinnerte Sarah sie sanft. „Also bleibt dir nur, den Blick über die Grenzen von Willowdene hinaus zu richten. Komm mit nach London und begleite mich zu Gesellschaften. Ich bin mir sicher, dass die Verehrer dich bald umschwärmen wie Bienen einen Topf Honig.“

„Ich bezweifle sehr, dass eine mittellose Witwe von achtundzwanzig Jahren – bald neunundzwanzig –, die darüber hinaus vergessen hat, wie man tanzt und tändelt, die Herren Drohnen zu fesseln vermag.“

„Tanzen und Flirten kann ich dir beibringen“, bot Sarah verschmitzt an. „Allerdings glaube ich kaum, dass du die Nachhilfe brauchst, wenn der richtige Gentleman auftaucht.“

Ruth lehnte sich in ihrem Sessel zurück und lächelte Sarah an. „Danke – du bringst es immer fertig, mich aufzuheitern. Ich tue mir schon viel weniger leid. Ganz so verzweifelt sieht mein Los auch nicht aus, denn immerhin hat mein Papa mir dieses Cottage und eine kleine Summe auf der Bank hinterlassen. Ich komme schon zurecht, und bis mein strahlender Märchenprinz auftaucht, lebe ich einfach mein bescheidenes Leben in Willowdene weiter. Als Mauerblümchen bei Almack’s würde ich mich sicher deutlich unwohler fühlen.“

Bei dem Gedanken an diese ehrwürdige Institution des Londoner Heiratsmarkts überlief sie ein Schauder. Als siebzehnjährige Debütantin hatte sie dort Abend für Abend mit jungen Herren getanzt, die sich nach einer standesgemäßen Braut umsahen. Ihrem späteren Mann Paul Hayden war sie dann allerdings im Haus ihrer Tante begegnet. Trotzdem erinnerte sie sich nur zu gut an die Nische im Ballsaal von Almack’s, in der sich jene Damen versammelten, die als sitzen geblieben galten. Meist besuchten sie den Klub als Anstandsdamen und Gesellschafterinnen der Debütantinnen. Schon damals hatte die Vorstellung Ruth abgeschreckt, einmal zu diesen bedauernswerten Geschöpfen zu gehören.

Doch Sarah riss sie aus ihren trüben Gedanken. „Komm, ich warte, während du dich umkleidest, und dann fahren wir gemeinsam nach Willowdene Manor. Auf diese Weise kannst du James noch auf den Arm nehmen, bevor Rosie ihn zu Bett bringt. Außerdem gibt es noch so vieles, was ich dir noch von Tremayne Park erzählen will! Wenn wir dorthin zurückkehren, musst du uns begleiten.“

„Möchte dein Gatte nicht erst einmal die Flitterwochen mit dir nachholen, nachdem du wieder reisen kannst?“, wandte Ruth lachend ein. Sie stand auf, um sich fertig zu machen. Die Aussicht, einen angenehmen Abend mit guten Freunden zu verbringen und außerdem Sarahs Sohn auf dem Arm halten zu dürfen, munterte sie auf.

„Das silbergraue Seidenkleid hat mir an dir immer besonders gut gefallen. Aber natürlich ist die Robe aus pflaumenblauem Satin auch sehr hübsch.“

„Also gut, dann ziehe ich das Silbergraue an“, entschied Ruth und hängte das andere Kleid wieder weg.

„Glaubst du, dass du Dr. Bryant ein für alle Mal entmutigt hast, oder kann es sein, dass er sein Glück bei dir erneut probiert?“, fragte Sarah, während Ruth sich umkleidete. Ohne dass es irgendwelcher Worte bedurfte, ging Sarah der Freundin dabei zur Hand, half ihr, das Kleid zuzuknöpfen und die Locken am Hinterkopf hochzustecken.

„Angesichts seines Ärgers bezweifle ich, dass er einen weiteren Versuch unternimmt“, antwortete Ruth. Sie erhob sich von dem Stuhl vor dem Toilettentisch und betrachtete ihr Erscheinungsbild im Spiegel. Was sie sah, erfüllte sie mit Zufriedenheit. Nachdem sie den warmen Mantel angezogen und den Hut aufgesetzt hatte, setzte sie hinzu: „Ich glaube, dass ich ihn so schnell nicht wiedersehen werde. Als er ging, wirkte er tief in seinem Stolz getroffen.“

„Du hast sie empfindlich in ihrem Stolz getroffen. Einer abgewiesenen Frau sollte man nach Möglichkeit aus dem Weg gehen.“

„Ein wahres Wort“, stimmte Clayton dem Freund zu. Doch seine düstere Laune ließ sich nicht durch die heitere Gelassenheit aufhellen, mit der Viscount Tremayne die Angelegenheit offenbar betrachtete. Während jener in sich hineinlachte, lehnte sich Clayton in den üppigen Polstern zurück. Die elegante Reisechaise mit dem Wappen der Tremaynes auf dem Schlag verfügte über eine ausgezeichnete Federung. Beinahe konnte man vergessen, mit welcher Geschwindigkeit sie ihrem Ziel entgegenrollte. Die Reisenden hofften, Willowdene Manor noch zu erreichen, bevor die bleigrauen Schneewolken ihre kalte Fracht über das Land verteilten.

Clayton war froh, dass sein bester Freund ihn ablenkte, und er freute sich ebenfalls, das Stadtleben für eine Weile hinter sich lassen zu können. Doch tief in seinem Innern nagte der Verdacht an ihm, dass er damit einer unangenehmen Situation entfloh. Und Rückzug entsprach so gar nicht seiner Art. Insgeheim verwünschte er Loretta Vane, weil es ihr gelungen war, das lang ersehnte Wiedersehen mit Gavin zu überschatten.

Kurz nachdem der Freund am Nachmittag am Berkeley Square eingetroffen war, hatte Clayton ein Schreiben seiner Geliebten erhalten. Darin befahl sie ihm unmissverständlich, den Gazetten augenblicklich die Nachricht von ihrer bevorstehenden Vermählung zu übermitteln. Vorsorglich habe sie bereits Pomfrey geschrieben und die Verlobung mit ihm gelöst. Mit der ihr eigenen Unverfrorenheit ließ Loretta in ihrem Brief an Clayton durchblicken, was sie Pomfrey als Begründung genannt hatte: dass sie diesen Schritt auf besonderen Wunsch ihres künftigen Bräutigams Clayton Powell unternehme. Dieser ballte die Faust bei der Erinnerung. Als hätte er damit irgendetwas zu tun!

Sprachlos hatte er den Brief, den man nicht anders als eine schamlose Erpressung nennen konnte, noch einmal gelesen und einen Augenblick lang zwischen Lachen und Fluchen geschwankt. Schließlich jedoch hatte der Zorn die Oberhand gewonnen. Clayton hatte den zart parfümierten Bogen mit aller Kraft in den Kamin geworfen. Nur mit Mühe hatte er sich davon zurückhalten können, stehenden Fußes zu dem ihm wohlbekannten Apartment zu stürmen und diese intrigante kleine Hexe zu schütteln, bis sie Vernunft annahm.

Niemals würde er sich in eine Ehe mit ihr zwingen lassen, gleichgültig, welche Ränke sie noch schmiedete! Dies hatte er ihr in einer kurz angebundenen Nachricht mitgeteilt, in der er Loretta außerdem das unwiderrufliche Ende ihrer Affäre verkündete. Sein Rechtsanwalt werde sich in Kürze mit ihr in Verbindung setzen, um ein angemessenes Abschiedsgeschenk auszuhandeln.

Als Clayton spürte, dass der Blick seines Freundes auf ihm ruhte, wandte er den Kopf ab und starrte hinaus auf die dämmrige Landschaft. Schon fielen die ersten Schneeflocken vom grauen Himmel, aber Clayton nahm sie kaum wahr. Lorettas Verrat beschäftigte ihn immer noch. „Dieses Weibsbild setzt alles daran, Pomfrey und mich gegeneinander aufzuhetzen“, bemerkte er wie zu sich selbst.

„Lass dich nicht provozieren.“

„Ich habe nicht die Absicht. Aber wozu Pomfrey imstande ist, kann ich dir nicht sagen. Es dürfte ihm widerstreben, sich in der ganzen Gesellschaft zur Zielscheibe des Spotts zu machen. Schließlich muss er an den guten Namen seiner Familie denken.“

„Meinst du, er besteht darauf, dir im Morgengrauen mit gezückter Pistole gegenüberzutreten?“ Gavin konnte ein spöttisches Lächeln nicht unterdrücken, denn er wusste so gut wie jedes andere Mitglied des ton, dass Clayton als ausgezeichneter Schütze galt. Kein Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte würde ihn zu einem Duell fordern. „Pomfrey mag zwar bankrott sein, aber dumm ist er deshalb noch lange nicht. Ihm dürfte es ebenso wenig schmecken wie dir, sich von dieser Frau zur Marionette machen zu lassen.“

„Sie ist eine höchst begabte, allerdings auch äußerst dreiste Puppenspielerin, wenn es um Männer geht.“

„Das glaube ich dir aufs Wort“, räumte Gavin mit einem trockenen Lachen ein. „Hoffen wir, dass Pomfrey ihren Überredungskünsten ebenso gut zu widerstehen weiß wie du.“

Clayton streckte die langen Beine bequem vor sich aus. „Du kannst deinem Kutscher sagen, er soll die Pferde zügeln. Das schlechte Wetter hat uns eingeholt.“

Bei diesen Worten drehte sich Gavin herum und sah prüfend zum Fenster hinaus. Er wollte seine geliebte Frau und seinen kleinen Sohn so schnell wie möglich in die Arme schließen. Deshalb zögerte er, dem Vorschlag seines Freundes zu folgen. Doch ein Blick in das Schneetreiben draußen überzeugte ihn, dass er beide womöglich nie mehr wiedersehen würde, wenn er die Pferde weiterhin zu solch halsbrecherischer Geschwindigkeit antreiben ließ. Bald würden die Straßen unter einer trügerischen weißen Decke verschwinden, die Schlaglöcher und Hindernisse unsichtbar machte.

Nachdem er den Kutscher angewiesen hatte, die Fahrt langsamer fortzusetzen, lehnte er sich in die Polster zurück und nahm den Faden der Unterhaltung wieder auf.

„Vielleicht handelt es sich auch um ein Täuschungsmanöver, und Lady Vane hat Pomfrey noch gar nicht geschrieben“, bemerkte er. „Ich glaube kaum, dass sie einen ihrer Trümpfe vorschnell aus der Hand gibt. Möglicherweise zögert sie, mit Pomfrey zu brechen, solange sie nicht sicher sein kann, dass du auf ihre Erpressung eingehst.“

„So ähnlich sehe ich das auch“, stimmte Clayton nachdenklich zu. „Meine Antwort dürfte allerdings keinen Zweifel daran gelassen haben, dass ich für solche Spielchen nicht zur Verfügung stehe. Und sollte die Dame sich als schwer von Begriff erweisen, erkläre ich es ihr gerne noch einmal persönlich, sobald ich nach London zurückkehre.“

„Es gibt einen Weg, ihr unzweideutig klarzumachen, dass du es ernst meinst und sie niemals heiraten wirst.“

„Und der wäre?“, erkundigte Clayton sich.

„Heirate eine andere.“

3. KAPITEL

Ich hoffe wirklich, Gavin war vernünftig genug, in einem Gasthof abzusteigen. Bei solchem Wetter unterwegs zu sein ist sträflicher Leichtsinn.“

Ruth legte den kleinen James sorgsam in sein Bettchen zurück, bevor sie sich seiner Mutter zuwandte. Sie hatte den ängstlichen Unterton in Sarahs Stimme wahrgenommen. Deshalb überraschte es sie nicht, dass die Freundin trübsinnig aus dem Fenster starrte.

Im Innern von Willowdene Manor sorgten prasselnde Feuer in den Kaminen für Wärme und Behaglichkeit, aber draußen war das Grün des Rasens binnen weniger Stunden unter eisigem Weiß verschwunden. Die Uhr auf dem Kaminsims hatte acht geschlagen. Gavins Ankunft verzögerte sich demnach bereits um über zwei Stunden. Immerhin hatte das Schneetreiben nachgelassen, aber das tiefe Dunkelblau des wolkenfreien Himmels ließ für die Nacht bitteren Frost erwarten. Im funkelnden Sternenlicht glitzerte der Schnee.

„Vielleicht ist er gar nicht erst aufgebrochen“, gab Ruth zu bedenken. „Falls der Schnee aus der Londoner Richtung kam, war Gavin sicher vernünftig genug, dort zu bleiben.“ Seit es begonnen hatte zu schneien, hatte sie schon mehr als einmal versucht, Sarah zu beruhigen. Aber die Freundin biss sich unruhig auf die Unterlippe, und die Besorgnis ließ sich nicht aus ihrer Miene verscheuchen. Verloren blickte sie erneut aus dem Fenster, als wolle sie die Reisekutsche ihres Mannes durch pure Willenskraft dazu bewegen, am Ende der Auffahrt aufzutauchen.

Autor

Mary Brendan
Mary Brendan wurde in Norden Londons als drittes Kind von sechs Kindern geboren. Ihr Vater hatte eine Klempnerfirma, und ihre Mutter, die sie zum Lesen und lernen anregte, arbeitete als Schulsekretärin.
Mary Brendan heiratete mit 19 Jahren und arbeitete in einer internationalen Ölfirma als Büroangestellte und später dann als Sekretärin in...
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