Die große Liebe des Wüstenprinzen

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Der heimliche Sohn des Scheichs - Olivia Gates

Scheich Ghaleb ist fassungslos: Vor ihm steht Viv LaSalle - die Frau, die er einmal abgöttisch geliebt und die sein Herz gebrochen hat! Warum ist die schöne Ärztin nach Omraania gekommen? Und wer ist der kleine Junge an ihrer Seite, der ihn so hoffnungsvoll anschaut?

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  • Erscheinungstag 10.02.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513838
  • Seitenanzahl 480
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Olivia Gates, Meredith Webber, Lucy Monroe

Die große Liebe des Wüstenprinzen

IMPRESSUM

Der heimliche Sohn des Scheichs erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
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Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2008 by Olivia Gates
Originaltitel: „The Desert Surgeon’s Secret Son“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN
Band 37 - 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Claudia Weinmann

Umschlagsmotive: GettyImages_proud_natalia, Irina Devaeva

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733717186

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Scheich Ghaleb Ben Abbas Al Omraan kämpfte verbissen gegen die Welle von Frustration an, die ihn zu überwältigen drohte. Er musste es sich endlich eingestehen, dass er nicht länger für alles allein zuständig sein konnte.

Schon viel zu lange hatte er sich überwiegend um seine Arbeit als Chirurg und um die Erneuerung des Gesundheitssystems in Omraania gekümmert – und darüber seine Pflichten als Thronfolger des kleinen Königreichs sträflich vernachlässigt. Selbst sein sonst so gutmütiger Vater hatte ihn bereits ermahnt, sich intensiver um die Staatsgeschäfte zu kümmern. Ghaleb fühlte sich zerrissen zwischen seiner Arbeit als Chefarzt des Jobail Advanced Medical Center und den Erwartungen, die an ihn als künftigen Herrscher des Landes gestellt wurden.

Es hatte ihm von Anfang an widerstrebt, die Klinikleitung mit jemandem zu teilen, denn die Medizin war seine große Leidenschaft. Erst als ihm völlig übermüdet während eines Routine-Eingriffs ein grober Fehler unterlaufen war, hatte er eingesehen, dass er Hilfe brauchte. Sein Assistent Adnan hatte diese Gelegenheit sofort genutzt, um vorzuschlagen, vorübergehend einen stellvertretenden medizinischen Leiter zu engagieren. So hätte Ghaleb Zeit, seine Angelegenheiten zu ordnen, und könnte sich dann in Ruhe entscheiden, ob er die Leitung ganz abgeben oder sie mit der anderen Person teilen würde.

Adnan hatte die Position in allen wichtigen Fachzeitschriften weltweit ausgeschrieben, und entsprechend zahlreich waren die Bewerbungen gewesen. Wegen der hohen Anforderungen, die Ghaleb zur Bedingung gemacht hatte, schieden fast alle Bewerber von vornherein aus. Am Ende war Adnan in die USA geflogen, um mit den wenigen verbleibenden Kandidaten Auswahlgespräche zu führen. Und das Ergebnis dieses Auswahlverfahrens würde heute eintreffen. In wenigen Minuten, um genau zu sein.

Ghaleb machte sich auf den Weg zu Adnans Büro und trat ohne anzuklopfen ein.

Erschrocken fuhr sein Assistent auf. „Ich werde gleich Ihre neue Stellvertreterin empfangen, Prinz Ghaleb, und ihr alles zeigen. Möchten Sie, dass ich sie zu Ihrem Büro bringe, nachdem Sie mit dem OP-Programm für heute fertig sind?“

Sie? Ghaleb hatte nicht gewusst, dass sein Stellvertreter eine Frau sein würde.

„Machen Sie sich keine Mühe, Adnan“, erklärte Ghaleb, während er sich bereits umdrehte und den OP-Trakt ansteuerte. Adnan musste rennen, um mit seinem Chef mithalten zu können. „Ich werde meine Stellvertreterin im OP kennenlernen. Sie muss mich weder mit ihrem Aussehen noch mit ihrer Persönlichkeit beeindrucken. Mich interessiert ausschließlich ihre fachliche Kompetenz.“

„Ich bin mir sicher, dass sie Sie nicht enttäuschen wird“, bemerkte Adnan. „Sie war die einzige Kandidatin, die alle Ihre Anforderungen erfüllte. Ihre Qualifikationen sind wirklich bemerkenswert.“

„Wenn sie wirklich jede einzelne meiner Bedingungen erfüllt hat, ist ihr Lebenslauf zu gut, um wahr zu sein.“

„Ich glaube nicht, dass sie gemogelt hat. Doch für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie die hohen Erwartungen nicht erfüllt …“

„Werde ich Sie dafür verantwortlich machen.“

Adnan blickte ihn so betreten an, dass Ghaleb augenblicklich seine harschen Worte bereute. Adnan war nicht nur seine rechte Hand und sein Berater, er war auch sein Freund. Vielleicht der Einzige, den er hatte. Seine Position als Thronfolger machte es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, engere Kontakte zu knüpfen.

Entschuldigend drückte er Adnans Arm. „Natürlich vertraue ich Ihrem Urteil, Adnan. Oft genug sogar mehr als meinem eigenen. Wenn es wirklich nicht klappt mit dieser Frau, dann ist es auch nicht so schlimm. Sie müssten die Stelle dann eben noch einmal ausschreiben. Auf ein paar Monate mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.“

„Genau das beunruhigt mich, Prinz Ghaleb. Es würde mich nicht stören, einen neuen Arzt zu suchen, doch ich möchte nicht noch länger mit ansehen, wie Sie sich zwischen Klinik und Palast aufreiben.“

„Wir werden nicht schon wieder darüber diskutieren, Adnan. Ich bin grundsätzlich bereit, die Klinikleitung mit jemandem zu teilen, doch diese Person muss perfekt sein. Bevor ich mich mit Mittelmaß zufriedengebe, mache ich lieber weiterhin alles allein.“

Besorgt sah Adnan ihn an, sagte jedoch nichts. Ghaleb atmete erleichtert auf. Die leidige Diskussion war zu Ende. Mit Schwung wandte er sich zur Tür, doch mitten in der Bewegung hielt er inne. Und auch seine Gedanken schienen ins Stocken zu geraten. Wie gelähmt starrte er auf die Gruppe von Menschen, die ihm aus der Eingangshalle entgegenkam.

Vier von Adnans Gehilfen umringten eine Frau von klassischer Schönheit und geleiteten sie wie einen hochrangigen Ehrengast zu Adnans Büro.

Alles an dieser Frau versetzte Ghaleb einen Stich.

Ihr tadelloses, sowohl dem Klima als auch den kulturellen Gepflogenheiten angemessenes Kostüm, das ihre atemberaubenden Kurven und ihre Anmut perfekt zur Geltung brachte. Der strenge Haarknoten, der nicht verbergen konnte, dass sie volles, seidig glänzendes Haar hatte. Die klaren Augen, die so viel Selbstbeherrschung widerspiegelten. Sie bewegte sich mit der Gelassenheit einer Frau, die sich ihres Wertes und ihrer Wirkung voll bewusst war.

Ghaleb war so gebannt, dass er kaum Atem holen konnte.

Diese Ärztin dort hatte nur noch sehr wenig gemeinsam mit der feingliedrigen, braun gebrannten Frau, die seit sieben Jahren seine Gedanken beherrschte.

Und dennoch gab es nicht den geringsten Zweifel.

Sie war es.

Viv.

Die Frau, die ihm gezeigt hatte, was Liebe bedeutete. Die ihn gelehrt hatte, seinen Gefühlen und Bedürfnissen nachzugeben. Die Frau, ohne die er sich sein Leben nicht mehr hatte vorstellen können. Zu der er geeilt war, um sie zu bitten, mit ihm nach Omraania zu kommen und für immer bei ihm zu bleiben. Für die er alles aufzugeben bereit gewesen war. Doch noch ehe es dazu gekommen war, hatte er mit anhören müssen, dass er ihr nicht das Geringste bedeutete.

Viv. Die Frau, die er seit jenem verhängnisvollen Tag aus seinen Gedanken zu verbannen versucht hatte. Vergeblich. Und nun war sie hier. Stolzierte durch sein Krankenhaus, als gehörte es ihr, und sah aus wie eine Prinzessin. Sie schien die prüfenden Blicke seiner Mitarbeiter zu ignorieren und hatte ihn noch nicht bemerkt.

Was zum Teufel tat sie hier?

„Ah, da ist sie ja. Dr. Vivienne LaSalle. Pünktlich auf die Minute.“

Adnans freundliche Begrüßung riss Ghaleb aus seinen Gedanken.

Sie war die Ärztin, die er als seine Stellvertreterin eingestellt hatte?

Ghaleb taumelte einen Schritt zurück. Sein Herz klopfte so laut, dass er glaubte, alle Anwesenden müssten es hören.

Alarmiert sah Adnan ihn an. „Ist alles in Ordnung?“

Nein, gar nichts war in Ordnung. In seinem ganzen Leben war Ghaleb nicht so schockiert gewesen. Nach all den Jahren, in denen er sicher gewesen war, sie würde nur noch eine bittere Erinnerung sein, stand sie nun plötzlich vor ihm. Mitten in seinem Königreich, in seinem Leben.

Wie hatte das passieren können? Weshalb hatte sie sich um die Stelle bei ihm beworben? Und warum um alles in der Welt hatte Adnan gerade sie ausgesucht?

Es konnte dafür nur eine Erklärung geben: Sie hatte es irgendwie geschafft, ihn zu täuschen. Genau wie sie ihn, Ghaleb, damals getäuscht hatte, als sie unbedingt seine Forschungsassistentin werden wollte. Es war nicht ihre Qualifikation gewesen, die ihn dazu bewogen hatte, ihr die Stelle zu geben. Nur ein einziger Blick hatte genügt, und Ghaleb hatte gewusst, dass er sie haben musste. Ihre Sinnlichkeit und ihre überschäumende Energie hatten ihn in dem Moment gefangen genommen, als er sie zum ersten Mal sah. Er war ihr augenblicklich verfallen.

Trotzdem hatte er zunächst versucht, ihr zu widerstehen. Er konnte sich noch gut an diese qualvollen Tage erinnern. Nur zu genau hatte er gewusst, dass in seinem Leben kein Platz für Viv war. Doch sie ließ sein Nein nicht gelten, und innerhalb weniger Tage hatte er kapituliert. Er hatte sich auf sie eingelassen und war mit Leib und Seele buchstäblich von ihr verzehrt worden.

Diesmal hatte er sich auf Adnan verlassen, doch es hatte nichts genützt. Sie hatte auch ihn getäuscht.

Wut, Bitterkeit und Entsetzen mischten sich mit einem längst vergessen geglaubten Verlangen. Doch mitten in dem Durcheinander, das in seinem Kopf und in seinem Herzen tobte, meldete sich Ghalebs Vernunft. Er musste dafür sorgen, dass sie Omraania wieder verließ. Sofort.

Sonst könnte er für nichts garantieren.

Warum war sie überhaupt hier? Vermutlich aus dem gleichen Grund, der sie damals in seine Arme getrieben hatte. Sie wollte als seine Geliebte ein Leben in Luxus und Wohlstand führen. Sollte er darauf eingehen? Sie war ja gerade dabei, sich ihm quasi auf dem Silbertablett anzubieten. Warum also nicht?

Doch Ghaleb war bewusst, dass er im Grunde etwas anderes wollte.

Dies war seine Chance, ihr wahres Gesicht zu erkennen und endlich das völlig verklärte Bild von ihr abzuschütteln, das sich ihm ins Gedächtnis gebrannt hatte.

Endlich würde alles ein Ende haben, und er wäre frei von der Wehmut, die ihn seit Jahren beherrschte.

Und er wusste auch, wie er es anstellen musste.

Entschlossen wandte er sich an Adnan. „Suchen Sie mir bitte umgehend einen neuen Stellvertreter.“

Erschrocken über die Heftigkeit von Ghalebs Worten, versuchte Adnan, ihn zu beschwichtigen. „Prinz Ghaleb, ich weiß genau, was Sie denken. Als ich diese Frau das erste Mal sah, konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass sie für die Stelle geeignet wäre. Aber …“

„Aber sie hat Sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln überzeugt?“, fragte Ghaleb sarkastisch. „Nun, mal sehen, ob sie auch mich überzeugen kann. Sagen Sie ihr, dass ich sie im OP erwarte.“

Verständnislos sah Adnan ihn an. „Dann wollen Sie also doch ein Einstellungsgespräch mit ihr führen?“

„Im Gegenteil. Ich will einfach nur den OP-Plan für heute abarbeiten.“ Ghaleb wandte sich um und ging zu seiner Bürotür. „Und Sie fangen bitte mit der Suche an.“

Vivienne sah sich aufmerksam in der Klinik um, die als eine der modernsten auf der Welt galt. Ihre vier Begleiter benahmen sich, als sei sie ein Staatsoberhaupt, das bewacht werden musste.

Sie konzentrierte sich darauf, ruhig zu atmen und Gelassenheit auszustrahlen, ohne zu sehr auf die neugierigen Blicke zu achten, die ihr von allen Seiten zugeworfen wurden. Übelkeit und Unsicherheit hatten sie befallen, noch bevor sie die Klinik betreten hatte. Und völlige Erschöpfung.

Sie hatte bis kurz vor ihrem Abflug im OP gestanden, war dann nach Hause gefahren, um Sam und Anna abzuholen, und hatte während des dreizehnstündigen Flugs nicht geschlafen. Nachdem sie dann vor zwei Stunden in Omraania gelandet waren, hatte sie Sam und Anna in dem großzügigen Haus abgesetzt, das ihr zur Verfügung gestellt worden war, und war sofort zu ihrem neuen Arbeitsplatz gefahren.

Als sie bemerkte, dass sie von allen wie ein Mitglied der königlichen Familie behandelt wurde, war sie sprachlos vor Erstaunen gewesen. Doch Adnan El Khalil hatte ihr erklärt, dass dies eben das übliche Gebaren gegenüber hochgestellten Persönlichkeiten war. Und als stellvertretende Leiterin des größten medizinischen Zentrums des Landes stellte sie eine solche Persönlichkeit dar. Prinz Ghaleb hätte jedem anderen, der diese Position innehatte, die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt.

Genau da lag ein weiteres Problem. Vivienne konnte es noch immer nicht fassen, dass er tatsächlich ihr diese Stelle gegeben hatte – auch wenn sie natürlich seinen Anforderungen zu hundert Prozent entsprach.

Als sie sich beworben hatte, wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass sie tatsächlich eine Chance haben könnte. Doch man hatte sich für sie entschieden, und Vivienne hatte mehr als einmal überlegt, ob Ghaleb sie vielleicht ganz einfach vergessen hatte. Oder betrachtete er ihre gemeinsame Vergangenheit als so unbedeutend, dass er sich deshalb nicht davon abhalten lassen wollte, die beste Bewerberin einzustellen?

Wie auch immer – nun war sie hier. In seinem Königreich. Und es würde sich nicht vermeiden lassen, dass sie sich begegneten.

Vivienne war sich nicht mehr sicher, ob sie das wollte. Wie sollte sie dem Mann gegenübertreten, den sie einst so maßlos geliebt hatte, dass nicht einmal ein winziger Rest von Selbsterhaltungstrieb übrig war? Zumal dieser Mann, nachdem sie sich ihm hingegeben hatte, einfach ohne ein Wort des Abschieds aus ihrem Leben verschwunden war?

Doch die Verzweiflung darüber, ihn verloren zu haben, trat schon bald genauso in den Hintergrund wie die Trauer und die Wut darüber, dass er sie so rücksichtslos und grausam abserviert hatte. Eine Schwangerschaft verändert die Prioritäten im Leben einer jeden Frau. Und ihr Kind hatte sie verändert. Für immer.

Obwohl sein Verrat sie schrecklich verletzt hatte, zwang Vivienne sich, nicht aufzugeben. Schließlich trug sie die Verantwortung für ihr Kind. Aus ihr war eine selbstbewusste Frau geworden. Und eine Ärztin, die hart für ihren Erfolg gekämpft hatte, um ihrem Sohn das Leben zu ermöglichen, das er verdiente. Er war ihr ein und alles.

Lange hatte sie sich mit der Frage gequält, ob sie Ghaleb von seinem Sohn erzählen sollte. Doch sie hatte sich dagegen entschieden. Das Risiko war einfach zu hoch gewesen.

Als Thronfolger eines äußerst konservativen Königreichs war in Ghalebs Leben nun einmal kein Platz für sie. Die wenigen Monate in den USA waren lediglich eine kurze, gestohlene Zeitspanne gewesen. Da Vivienne nicht hatte abschätzen können, wie er auf die Neuigkeit reagieren würde, hatte sie geschwiegen. Zu groß war ihre Angst gewesen, dass er Mittel und Wege finden würde, um ihr den Sohn wegzunehmen.

Sie hatte es geschafft, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie auch ohne Ghaleb leben konnte. Und sie war entschlossen gewesen, dafür zu sorgen, dass auch Sam nicht den Vater vermisste. Als dann noch ihre Tante Anna zu ihnen zog, war für Vivienne die kleine Familie perfekt.

Doch je älter Sam wurde, desto hartnäckiger fragte er nach seinem Vater. In der letzten Zeit waren seine Fragen immer drängender und verzweifelter geworden.

Nur schwer hatte sie der Versuchung widerstanden, ihm einfach zu sagen, dass sein Vater gestorben sei. Letztlich hatte sie es nicht übers Herz gebracht, ihn derart zu belügen. Stattdessen hatte sie monatelang darüber nachgegrübelt, was sie tun sollte. War es ihre Pflicht, Vater und Sohn zusammenzubringen? Würde es Sam guttun, wenn Ghaleb eine Rolle in seinem Leben spielte? Sollte sie es wagen, ihn zu kontaktieren?

Es war ihr wie ein Wink des Schicksals erschienen, als genau zu dieser Zeit Ghalebs Stellenangebot in der internationalen medizinischen Presse erschien. Dieser fachlich und finanziell äußerst attraktive Job stellte die einmalige Gelegenheit dar, völlig unverbindlich für eine Weile in Omraania zu leben. Die Chance, die Antwort auf ihre Fragen zu finden.

Und nun war Vivienne hier. Sie hatte Ghaleb – wenn auch nur von Weitem – bereits gesehen, und sicher würde sich bald die Gelegenheit zu einem Gespräch ergeben.

Doch was würde geschehen, wenn er sie genauso verächtlich behandelte, wie er es damals getan hatte? Könnte sie eine weitere Demütigung ertragen? War es denkbar, dass er Sam entführte und sie aus seinem Land auswies?

Hatte sie einen schrecklichen Fehler gemacht?

Sollte sie so schnell wie möglich mit Anna und Sam wieder abreisen?

Schluss jetzt! Atme tief durch. Das alles hast du schon tausendmal in Gedanken durchgespielt.

Ihre Entscheidung war richtig gewesen. Vivienne war es Sam schuldig, sich mit Ghaleb auseinanderzusetzen.

Entschlossen löste sie ihre verkrampften Finger und atmete tief ein. Sie würde es schaffen. Und danach würde alles besser sein …

„Dr. LaSalle? Würden Sie mir bitte folgen?“

Sie zuckte zusammen. Wie hatte sie nur so mit ihren Gedanken abschweifen können? Verlegen räusperte sie sich und sah Adnan an, der direkt vor ihr stand. „Wie bitte?“

„Verzeihen Sie. Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass das heutige OP-Programm ansteht.“

„OP-Programm?“, fragte sie verblüfft. „Ich dachte, wir machen heute nur einen Rundgang durch die Klinik …“

„Das muss leider warten“, erklärte Adnan, der sich sichtlich unbehaglich fühlte. „Es gab eine kleine Programmänderung.“

Was hatte das zu bedeuten? Zweifellos steckte Ghaleb dahinter. Aber was bezweckte er damit?

„Gab es einen Notfall?“, fragte sie bemüht ruhig.

„Nein, Dr. LaSalle“, erwiderte Adnan einsilbig und führte sie zum OP-Trakt. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Ghaleb blickte auf seine Hände, die das Waschbecken umklammert hielten. Sein Griff war so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Gleich war es so weit.

Er würde Vivienne zeigen, dass es ihr diesmal nicht gelungen war, ihn zu täuschen.

Es war vollkommen legitim, ihre Qualifikation zu überprüfen. Am OP-Tisch würde er ihr die Möglichkeit geben, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Oder aber ihre Defizite.

Ghaleb zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass sie versagen würde.

In den USA hatten sie nie zusammen im OP gestanden. Es hieß zwar, sie sei eine exzellente Chirurgin. Doch er hatte immer angenommen, ihr vermeintlicher Erfolg beruhe auf der Tatsache, dass ihr Vater der kaufmännische Leiter der Klinik gewesen war.

Und nun hatte sie sich schon zum zweiten Mal eine Stelle bei ihm erschlichen. Es würde ein Leichtes sein, ihr ihre Unzulänglichkeit zu demonstrieren.

Danach würde er sie fortschicken. Und niemand würde ihm vorwerfen können, er hätte sie aus persönlichen Gründen abgelehnt. Einzig und allein ihre mangelhaften Fähigkeiten wären daran schuld. Und dann wäre es endlich vorbei. Er würde das unselige Kapitel Vivienne endgültig schließen können.

Plötzlich spürte er, wie seine Haut prickelte. Sie war da. Ohne sich umzudrehen, wusste er, dass sie den Raum betreten hatte. Selbst nach all diesen Jahren reagierte sein Körper noch auf sie.

Er wandte sich um, und ein Gefühl von Déjà-vu überwältigte ihn. Genau so hatte sie damals im OP-Vorraum vor ihm gestanden, als sie ihn überredet hatte, sie zu seiner Forschungsassistentin zu machen. Und genau wie damals setzte sein Verstand aus. Nur mit Mühe konnte Ghaleb sich zurückhalten, sie an sich zu ziehen, ihren wundervollen Körper zu berühren und sie zu küssen. Es war, als seien die letzten sieben Jahre mit einem Schlag ausgelöscht.

In ihrer Miene spiegelten sich seine Empfindungen wider. Auch sie schien aus der Fassung zu sein.

Was hatte das alles zu bedeuten?

Ghaleb zwang sich, tief durchzuatmen. Er war fest entschlossen, ihren Verführungskünsten diesmal zu widerstehen.

Doch was war das für ein Gefühl, das sich mit aller Kraft seinen Weg bahnte? Verlangen? Wünschte er sich wirklich, in ihren Augen ein eindeutiges Angebot zu lesen?

Mit der Zungenspitze fuhr er über seine ausgetrockneten Lippen und blickte Vivienne erwartungsvoll an. Wie lange würde es dauern, bis ihr kühler und distanzierter Blick verschwinden und der glühenden Leidenschaft von damals Platz machen würde?

„So trifft man sich also wieder, Dr. Al Omraan. Oder muss ich dich jetzt mit ‚Eure königliche Hoheit Kronprinz Ghaleb’ ansprechen?“

2. KAPITEL

Ghaleb starrte die Frau verständnislos an, die abgesehen von ihrem Äußeren keinerlei Gemeinsamkeiten mit der Vivienne von früher zu haben schien.

Der schockierte Ausdruck auf ihrem Gesicht, den er vorhin zu sehen geglaubt hatte, war einer grimmigen Entschlossenheit gewichen. „Ich vermute, du warst es, der mich in den OP bestellt hat?“

B’hag dschahim – was zur Hölle …?

Ihre Stimme war noch die gleiche – sinnlich und voll. Doch er hatte nicht geahnt, dass sie so kalt klingen konnte.

„Natürlich warst du es“, beantwortete sie ihre eigene Frage. „Ich bin erst seit zwei Stunden hier und habe schon gelernt, dass man in diesem Land ohne deine Erlaubnis noch nicht einmal atmen darf. Von eigenständigem Denken, Sprechen und Handeln mal ganz zu schweigen.“ Sie musterte ihn abschätzig und wandte dann den Blick ab. „Ich vermute, du möchtest, dass ich mich einwasche?“

Ich möchte, dass du mir sagst, wo die alte Viv geblieben ist, wäre ihm beinahe laut herausgerutscht.

Wo war die Frau geblieben, die ständig wie ein Schmetterling um ihn herumgeflattert war? Die nie genug von ihm bekommen konnte und wie gebannt an seinen Lippen gehangen hatte? Auch wenn sie ihm nur etwas vorgemacht hatte, fragte er sich, warum sie ihre Charade aufgegeben hatte.

Aus Erfahrung wusste er bereits, dass Frauen sehr fantasievoll sein konnten, wenn es darum ging, wohlhabende Männer zu erobern. Und als einer der reichsten Männer der Welt – noch dazu als angehender Herrscher und berühmter Chirurg – war er eine der begehrtesten Partien, die man sich vorstellen konnte.

War dies also ihre Taktik? Glaubte sie, durch ihr abweisendes Verhalten sein Interesse anzustacheln?

Falls ja, zeigte dieser Plan bereits erste Erfolge.

Nun, warum eigentlich nicht? Er würde auf ihr Spiel eingehen und ihre wahren Absichten aus ihr herauskitzeln. Und wenn sie sich dann am Ziel glaubte, würde er sie aus Omraania ausweisen. Aus seinem Land und aus seinem Leben. Und diesmal würde es für immer sein.

„Deine Vermutung ist korrekt“, erwiderte er schließlich. „Allerdings nur, was die Aufforderung betrifft, in den OP zu kommen. In dem anderen Punkt irrst du dich gewaltig. Mir ist wirklich nicht daran gelegen, mich mit blind gehorchenden Untertanen zu umgeben.“

„Natürlich. Danke für die Information.“

War das etwa Sarkasmus? Ghaleb konnte ihre Reaktion nicht einordnen.

„Würdest du dann bitte deinen Lieblingsuntertanen bitten, mir den Weg zu meinem OP zu zeigen? Ich werde in genau zehn Minuten fertig sein.“

Es war tatsächlich Sarkasmus. Ghaleb verzog grimmig den Mund. „Adnan gehört nicht zum medizinischen Personal. Seine Aufgabe endete mit deiner Begrüßung hier. Ab jetzt kümmere ich mich um dich.“

„Prima. Ganz wie du möchtest. Was steht heute Morgen auf dem Programm?“

„Zehn Eingriffe.“

Ohne mit der Wimper zu zucken zog sie ihre Jacke aus. Ghaleb betrachtete ihre braun gebrannten, schlanken Arme und spürte, wie sein Verlangen nach ihr wuchs. Daran konnte auch die kühl-sterile Umgebung nichts ändern. Verlegen blickte er zur Seite.

Sie bemerkte offensichtlich nicht, was in ihm vorging, und stellte sich unbeeindruckt an das nächste Waschbecken, um sich auf die Operation vorzubereiten. „Ist jemand hier, der mir beim Anziehen des OP-Kittels hilft?“

Ghaleb schluckte und versuchte verzweifelt, die Erinnerung an die unzähligen Gelegenheiten zu verdrängen, bei denen er sie ausgezogen hatte.

Als er schließlich antwortete, war seine Stimme nur noch ein raues Krächzen. „Ich werde dir helfen.“

Spöttisch hob Viv die sorgfältig gezupften Augenbrauen. Hatte sie bemerkt, was in ihm vorging?

Doch ihr Blick blieb unbeteiligt, als sie antwortete: „Ich weiß ja, ich bin hier, um mir mit dir die Klinikleitung zu teilen, doch geht die Zusammenarbeit jetzt nicht ein wenig zu weit?“

„Ich kann dir versichern, dass es ganz normal für mich ist, einer Kollegin zu helfen.“

Viv war inzwischen mit dem Händewaschen fertig und trocknete sich mit einem sterilen Handtuch ab. „Tatsächlich? Im Arbeitsvertrag des ehrwürdigen Kronprinzen steht also im Kleingedruckten, dass er auch die Aufgaben der OP-Schwester zu erledigen hat? Wer hätte das gedacht?“

Ghaleb zuckte zusammen. Niemand durfte so mit ihm sprechen. Nicht einmal sie. Vor allem nicht sie. Doch warum verletzte ihr Spott ihn so? Hatte er insgeheim erwartet, dass sie ihm Respekt und Achtung erweisen würde? Er war es nicht gewohnt, dass jemand in seiner Gegenwart unbefangen seine Meinung sagte. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er während der letzten Jahre immer unnahbarer und herrschsüchtiger geworden war.

„Das Leben steckt voller Überraschungen“, entgegnete er.

Viv sparte sich eine Antwort und griff stattdessen nach einem OP-Kittel.

Ghaleb trat auf sie zu, wie magisch angezogen. Der Duft ihres Parfüms beschwor längst vergessene Erinnerungen herauf. Ja, es war tatsächlich dasselbe Parfüm wie damals. Süß und köstlich und voller Sinnlichkeit.

Sanft drehte er sie herum, damit er ihren Kittel hinten zubinden konnte. Ihm stockte der Atem, als er dabei ihre sanft geschwungenen Hüften berührte. Doch Viv reagierte nicht auf seine Berührungen. Sie stand mit gesenktem Blick vor ihm und rührte sich nicht. Gerade als er etwas sagen wollte, kam der Rest des OP-Teams herein.

Ghaleb fluchte innerlich vor Enttäuschung. Jetzt gab es keinen Grund mehr für ihn, sie zu bitten, ihm ebenfalls beim Ankleiden zu helfen. Frustriert drehte er sich zum Waschbecken um und begann, sich zu waschen.

Als er sich ihr einige Minuten später wieder zuwandte, stockte ihm erneut der Atem.

Sie lächelte.

Ein warmherziges, offenes Lächeln, das allerdings nicht ihm, sondern seinen Assistenzärzten galt. Ihn hatte sie noch nicht ein einziges Mal angelächelt, seitdem sie hier war.

Er ärgerte sich, dass es ihm etwas ausmachte. Und dass es ihm sogar einen Stich der Eifersucht versetzte. Höchste Zeit, diese lächerliche Szene zu beenden. Schließlich hatte er einen konkreten Plan für diesen Tag.

Wortlos ging er zur Tür, die in den Operationssaal führte. Erst als er auf den Türöffner drückte, drehte er sich noch einmal zu seinen Kollegen um. „Da Dr. LaSalle sich bereits selbst vorgestellt hat, können wir ja nun mit dem OP-Programm beginnen.“

Das Team folgte ihm schweigend und mit betretenen Blicken. Jedem war die grobe Unhöflichkeit von Ghaleb bewusst, sie nicht offiziell vorzustellen und willkommen zu heißen.

Lediglich Viv selbst schien wie immer unbeeindruckt.

Viv betrat als Letzte den OP – mit zitternden Knien.

So hatte sie sich das Ganze nicht vorgestellt.

Sie hatte diese Stelle in der Hoffnung angenommen, Ghaleb gelegentlich zu sehen. Gelegentlich! Wieso sollte sie jetzt mit ihm zusammen eine ellenlange OP-Liste abarbeiten? Warum überließ er ihr nicht einfach diese Aufgabe?

Ganz offensichtlich wollte er sie testen. Hätte er auch einen anderen Kandidaten auf die Probe gestellt? Wahrscheinlich schon. Sie würde es schon schaffen. Das hoffte sie zumindest. Es könnte aber auch sein …

Schluss damit! Warum ließ sie sich nur so von ihm aus dem Konzept bringen?

Die Antwort auf diese Frage war einfach. Als sie vorhin den Waschraum betreten und Ghaleb dort stehen gesehen hatte, war ihr, als sei sie geradewegs in die Vergangenheit katapultiert worden.

Bevor sie damals all ihren Mut zusammengenommen und ihn um die Stelle als Forschungsassistentin gebeten hatte, war sie ihm bereits mehrer Male begegnet und hatte ihn unauffällig beobachtet. Und jedes Mal waren ihr seine Autorität und sein Charisma, gepaart mit seinem umwerfenden Aussehen, schmerzhaft bewusst geworden.

Als sie ihn dann näher kennenlernte, war es um sie geschehen. Ihre Selbstsicherheit hatte sich in seiner Gegenwart in Luft aufgelöst, und sie war seiner Anziehungskraft restlos verfallen. Sie hatte gewusst, dass er ihr das Herz brechen würde, doch sie hatte sich nicht dagegen wehren können. Eines Tages war er dann verschwunden, und ihre Welt war zusammengebrochen. Es hatte Monate gedauert, bis sie sich einigermaßen wieder gefangen hatte. Und jetzt geriet sie erneut in seinen Bann. Wie hatte das nur passieren können?

Dass er ihr mit dem OP-Kittel geholfen hatte, hatte ihr Herz schneller schlagen lassen und sie ganz schwindelig gemacht. Schmerzlich war Viv wieder bewusst geworden, was sie in den letzten Jahren verleugnet hatte: Sie begehrte diesen Mann mehr als alles andere auf der Welt. Diese Erkenntnis hatte ihr den Atem geraubt.

Sie musste sich unbedingt von ihm fernhalten. Zumindest so lange, bis sie eine Entscheidung getroffen hatte. Seine verheerende Wirkung auf sie durfte keinesfalls ihr Urteilsvermögen beeinflussen. Sie musste an Sam denken. Nur er war wichtig.

Doch dies war nicht der Augenblick, um Ghaleb aus dem Weg zu gehen, denn er wartete am OP-Tisch auf sie.

Trotz ihrer Verunsicherung gelang es Viv, ihren Platz ihm gegenüber einzunehmen. Zwei OP-Pfleger rollten bereits die ersten beiden Patienten herein.

Viv warf einen Blick auf die Frau, die vor ihr lag. Ja, sie war nach Omraania gekommen, um eine persönliche Angelegenheit zu regeln. Doch sie war auch als Ärztin hier, und sie hatte vor, wie immer ihr Bestes zu geben. Für Gefühle und Unsicherheit war jetzt keine Zeit.

Sie holte tief Luft und zwang sich, Ghaleb anzusehen. Als sie seinem durchdringenden Blick begegnete, hätte sie am liebsten gesagt: Der Ring ist eröffnet.

Doch natürlich war sie vernünftig und fragte stattdessen: „Wo willst du mich haben?“

In meinem Büro, nackt auf meinem Schreibtisch liegend und darum bettelnd, dich zu nehmen.

Ghaleb biss die Zähne zusammen. Sein Verlangen nach ihr nahm langsam groteske Züge an. Und es machte ihn wütend.

Er verspürte einen unbändigen Zorn auf Viv, weil sie dafür sorgte, dass er sich schwach und unsicher fühlte. Er hasste sich selbst dafür, dass sie eine solche Macht über ihn besaß. Entschlossen kämpfte er gegen das Gefühl an und versuchte, sachlich zu bleiben. „Ich möchte, dass du genau hierbleibst.“

„Ich soll also diese Patientin übernehmen?“

„Wir werden gemeinsam operieren.“

„Warum? Wir sind zwei Chirurgen und haben zwei Patienten. Ist es nicht etwas unwirtschaftlich, wenn wir gemeinsam operieren?“

„Nein. Während wir Afaf es-Sayedah operieren, wird Elwan es-Sayed auf seinen Eingriff vorbereitet.“

Forschend sah sie ihn an, sagte aber nichts. Ohne ein weiteres Wort studierte sie die Patientenakte. „Also, was machen wir? Entfernen wir nur den Tumor oder gleich die ganze Brust?“

„Nur den Tumor.“ Er ließ die Röntgenbilder aufrufen, und Viv studierte sie aufmerksam.

Nach weniger als einer Minute hatte sie ihr Urteil gefällt. „Isolierter Tumor im Unterbrustgewebe. Keine Anzeichen von Metastasen. Wir werden die Brust erhalten können. Wird sie nach dem Eingriff strahlentherapeutisch behandelt?“

„Warum fragst du?“

Sie zuckte die Schultern. „Ich frage, weil sie schon über siebzig ist und viele Experten der Ansicht sind, dass eine Bestrahlung für jemanden in ihrem Alter keine verbesserte Prognose schafft. Wie ist die Lehrmeinung dazu hier in dieser Klinik?“

„Was würdest du empfehlen?“

„Ich würde sie auf jeden Fall bestrahlen – sofern ihr Allgemeinzustand es erlaubt. Auch wenn bei Frauen in ihrem Alter hormonell bedingte Rezidive selten sind, haben diejenigen Patientinnen, die trotzdem bestrahlt wurden, neuesten Studien zufolge eine höhere Lebenserwartung als die Vergleichsgruppe.“

„Und was glaubst du, wofür wir uns hier in meiner Klinik entschieden haben?“

„Woher soll ich das wissen? Ich habe schon oft festgestellt, dass vor allem in hochrangigen Kliniken ein gewisses Misstrauen neuen Erkenntnissen gegenüber besteht. Vor allem, wenn jemand anderes sie gewonnen hat.“

Sprachlos vor Empörung über ihre angedeutete Kritik sah Ghaleb sie an. „Du kannst mir glauben, dass im Jobail Advanced Medical Center alle wissenschaftlich belegten Neuerungen unverzüglich umgesetzt werden. Wir verwenden einen großen Teil unserer finanziellen und personellen Ressourcen für Forschungsprojekte. Bestrahlung nach einer Tumorentfernung ist daher auch bei älteren Frauen Standard hier.“

Sie nickte nur kurz und setzte ihre Untersuchung fort.

War das alles gewesen? Keine weiteren Kommentare? Keine Sticheleien?

Nein. Keine. Was war geschehen? Wie hatte diese junge, lebhafte, vor Energie überschäumende Frau sich so verändern können? Woher nahm sie ihre neue Gelassenheit und Selbstsicherheit?

Ghaleb rief sich zur Ordnung. Er sollte sich jetzt besser um seine Arbeit kümmern, anstatt über Viv nachzudenken.

Mit einer Kopfbewegung bedeutete er dem OP-Pfleger, ihm das Skalpell zu reichen. Er starrte es einige Sekunden lang an, bevor er es mit undurchdringlichem Blick an Viv weiterreichte.

„Natürlich lasse ich unserer neuen stellvertretenden Klinikleiterin den Vortritt.“

Wortlos nahm sie das Skalpell entgegen. Bevor er noch etwas sagen konnte, hatte sie bereits mit geübtem Griff einen präzisen Schnitt um die Aorta herum gemacht. Genau das hatte er ihr vorschlagen wollen.

Er beugte sich über die Patientin und assistierte Viv, die mit geschickten Bewegungen erst den Tumor entfernte und dann die umliegenden Gewebeschichten abtrug, ohne dabei die äußere Form der Brust zu beschädigen.

Nachdem sie den Tumor in eine Petrischale gelegt hatte, eilte eine der OP-Schwestern damit ins Labor.

„In wenigen Minuten werden wir das Ergebnis haben“, sagte Ghaleb. „Du kannst ja schon mal weitermachen.“

Sofort setzte sie zum nächsten Schnitt an, diesmal in der Achselhöhle der Patientin.

„Entfernst du prophylaktisch die axillären Lymphknoten?“, fragte Ghaleb scharf.

„Nein, ich mache nur vorsorglich eine Biopsie.“ Sie bedachte ihn mit einem überheblichen Blick. „Oder schlägst du etwas anderes vor?“

Natürlich nicht. Er bedeutete ihr, fortzufahren.

Als sie den ersten Knoten präparierte, hielt Ghaleb die Luft an. Auch sehr erfahrene Chirurgen hatten ihre Probleme mit diesem Eingriff. Doch mit jeder ihrer fließenden, kompetenten Bewegungen entspannte er sich weiter. Er hätte es selbst nicht besser machen können.

Vivs Anspannung ließ erst nach, als die OP-Schwester das Ergebnis des Schnellschnitts verkündete. Zufrieden schloss sie die Operationsstelle mit der feinsten und unauffälligsten Naht, die Ghaleb je gesehen hatte.

Endlich waren sie fertig und konnten die Patientin dem OP-Team überlassen. Viv erhob sich von dem Stuhl, um den sie während der Operation gebeten hatte, und streckte sich. Wie gebannt verfolgte Ghaleb jede ihrer Bewegungen.

Als ihm bewusst wurde, dass sie seine Blicke bemerkte, setzte er eine betont abweisende Miene auf.

Unbeeindruckt sagte sie: „Der Nächste.“

Während der folgenden zehn Stunden arbeiteten sie sich durch das OP-Programm. Nicht einmal eine kurze Mittagspause gönnten sie sich. Nachdem auch die letzte Operation überaus erfolgreich beendet war, hatte Ghaleb keinerlei Zweifel mehr an Vivs Kompetenz.

Seine Vorbehalte waren schon beim ersten Eingriff ins Wanken geraten, und da sie jede Aufgabe mit Bravour gelöst hatte, musste er sich eingestehen, dass er sich geirrt hatte.

Sie hatte bei der Beschreibung ihrer Fähigkeiten eher untertrieben. Ihre diagnostischen Fähigkeiten waren geradezu unheimlich, ihr chirurgisches Geschick beispiellos.

Mit Erschütterung registrierte Ghaleb, wie sehr diese Erkenntnis ihn enttäuschte.

Denn nun schien es doch recht wahrscheinlich, dass sie allein wegen des Jobs nach Omraania gekommen war.

Und diese Möglichkeit gefiel Ghaleb ganz und gar nicht.

Viv eilte in den – glücklicherweise leeren – Umkleideraum und stützte sich auf das Marmorwaschbecken. Als sie sich aufrichtete und ihr Spiegelbild erblickte, schnappte sie entsetzt nach Luft.

So hatte sie in der schlimmsten Zeit ihres Lebens ausgesehen. Nachdem Ghaleb sie benutzt und fallengelassen hatte. Sie erkannte den Ausdruck von Verletzlichkeit und Niedergeschlagenheit wieder, der damals ihr ständiger Begleiter gewesen war.

Wut stieg in ihr auf. Wut und Scham darüber, dass sie es zuließ, sich erneut so unsicher und schlecht zu fühlen.

Sie würde nicht zulassen, diesen Gefühlen nachzugeben. Und erst recht würde sie es nicht erlauben, dass Ghaleb sich wieder in ihr Herz schlich.

Verflixt – die starke Wirkung, die er auf sie hatte, ließ sich nur leider nicht leugnen. Es war fast schlimmer als früher. Seine Gegenwart hatte ihr so schwer zugesetzt, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben während einer Operation nach einem Stuhl verlangt hatte.

Einen positiven Aspekt gab es allerdings doch zu verzeichnen: Offensichtlich hatte sie Ghalebs Test bestanden. Und zwar mit Bravour. Auch wenn sie zwischendurch befürchtet hatte, unter seinem prüfenden Blick zusammenzubrechen.

Eines war Viv heute überdeutlich klar geworden: Zu glauben, dass das Wiedersehen mit ihm ihr die Entscheidung leichter machen würde, hatte sich als Trugschluss erwiesen.

Aber jetzt war nicht der richtige Moment für düstere Gedanken. Sie war völlig übermüdet und hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Nach einem erholsamen Nachtschlaf würde morgen alles anders aussehen.

Erst auf dem Weg nach draußen wurde ihr der Luxus bewusst, mit dem das Gebäude ausgestattet war: Marmorböden, riesige Blumenarrangements, exquisite Möbel. Gleichzeitig verfügte die Klinik über einen medizinischen Standard, wie Viv ihn noch nie erlebt hatte. Auch das Haus, in dem sie und ihre Familie für die kommenden zwei Monate untergebracht waren, hatte Anna und Sam zu wahren Begeisterungsstürmen hingerissen.

Vielleicht sollte sie den Aufenthalt hier einfach zu genießen versuchen, wie eine Art Abenteuer in Tausendundeiner Nacht. Ja, das war eine gute Idee.

Mit leichten Schritten verließ sie das Gebäude durch die automatischen Türen – und stieß fast mit einem Mann zusammen.

Ghaleb. Viv erstarrte.

Ohne Umschweife erklärte er: „Selbstverständlich steht dir für deinen Aufenthalt hier ein Fahrer zur Verfügung. Er ist rund um die Uhr für dich da. Als Erstes wird er dich jetzt nach Hause fahren. Schaffst du es, dich innerhalb einer Stunde fertigzumachen?“

Verwirrt sah Viv ihn an. Was wollte er von ihr? „fertigmachen? Wofür?“

„Für unser Arbeitsessen. Um Punkt viertel nach acht geht es los.“ Noch ehe sie etwas erwidern konnte, hatte er sich umgedreht und ging davon. Bevor er um die Ecke bog, wandte er sich noch einmal kurz um. „Sei bitte pünktlich!“

3. KAPITEL

Sei bitte pünktlich.

Der Befehl hallte in Vivs Gedanken nach. Am liebsten hätte sie laut geschrien. Wie konnte er es wagen, sie so herumzukommandieren? Und wieso ging er wie selbstverständlich davon aus, dass sie seinen Anweisungen Folge leisten würde?

Andererseits – was konnte man von einem Despoten auch anderes erwarten? Er gab sich zwar gern wohlwollend, tolerant und fortschrittlich, aber im Grunde unterschied er sich nicht von seinen tyrannischen, dekadenten Vorfahren, die noch mit einem Schwert in der Hand durch die Wüste geritten waren.

Gut. Genug gejammert. Sie sollte sich auf andere Dinge konzentrieren. Zum Beispiel auf Jobail, die traumhafte Stadt, durch die sie gerade chauffiert wurde.

Doch Ghaleb ging ihr nicht aus dem Kopf.

Ihre mühsam erarbeitete Selbstbeherrschung hatte er in Sekunden zerstört. Durch seine bloße Anwesenheit. Eine einzige Begegnung mit ihm hatte gereicht, um sie völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Viv schloss die Augen. Sie sollte das bevorstehende Dinner nicht als Niederlage betrachten, sondern vielmehr als eine gute Gelegenheit, ihren Plan umzusetzen. Nach diesem Abend würde es ihr vielleicht leichter fallen, endlich eine Entscheidung wegen Sam zu treffen.

Zufrieden lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück. Als sie die Augen wieder aufschlug, hielt der Chauffeur bereits vor der Auffahrt des Hauses, das Ghaleb ihr überlassen hatte. Die Villa lag inmitten eines riesigen, parkähnlichen Gartens am Ende einer von Palmen gesäumten Stichstraße. Mindestens dreißig Personen fänden mühelos in dem Haus Platz. In der Abenddämmerung sah es noch eindrucksvoller aus als am Morgen.

Ein Pförtner öffnete das Tor, damit die Limousine die letzten Meter bis zur Eingangstür passieren konnte.

Noch bevor Viv sich bewegen konnte, hatte der Fahrer ihr die Tür geöffnet. Nun stand er ehrerbietig da und wartete darauf, dass sie ausstieg. Bis jetzt hatte er noch kein einziges Wort an sie gerichtet. Hatte Ghaleb seinen Angestellten verboten, mit ihr zu sprechen?

Sie würde ihren Fahrer jedenfalls nicht wie einen seelenlosen Lakaien behandeln, der nur dazu da war, ihre Wünsche zu erfüllen.

Rasch stieg sie aus und blieb vor ihm stehen. Als der Mann sie verunsichert musterte, lächelte Viv freundlich. „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Es war eine wundervolle Fahrt.“

Sichtlich verlegen erwiderte er mit gesenkter Stimme: „Ich habe nur meinen Job gemacht, ya Sayedati.“

„Trotzdem wollte ich Ihnen danken …“ Sie sah ihn entschuldigend an. „Ich kenne Ihren Namen noch gar nicht.“

Er zögerte. „Khadamek Abdur-Rahman.“

„Freut mich sehr. Ich bin Vivienne LaSalle.“ Lächelnd streckte sie ihm die Hand entgegen.

Verunsichert wich er ihrem Blick aus. Plötzlich wurde Viv klar, wo das Problem lag.

Dieser Mann hatte nicht nur von Ghaleb, seinem Chef, den Befehl erhalten, sie wie eine Königin zu behandeln – er gehörte auch einer völlig anderen Kultur an als sie. Der silberne Ring an seinem Finger zeigte ihr, dass er verheiratet war. Außerdem war es in seiner Kultur nicht üblich, fremden Frauen die Hand zu geben, das käme einer Respektlosigkeit gleich. Daran erinnerte sich Viv wieder.

Sie bedachte ihn mit einem freundlichen Lächeln. „Ich werde Ihnen rechtzeitig Bescheid geben, wenn ich zur Arbeit fahren möchte.“

„Aber … ya Sayedati, das wird nicht nötig sein. Ich warte hier in der Dienstbotenunterkunft auf Ihre Anweisungen.“

„Warum?“, fragte sie verdutzt. „Selbst wenn Sie am anderen Ende der Stadt leben, brauchen Sie doch weniger als eine halbe Stunde hierher. Ich habe einen festen Dienstplan, auf den Sie sich einstellen können. Es ist vollkommen unnötig, auf Abruf bereitzustehen.“

Unglücklich sah er sie an. Viv wusste, was ihn bedrückte: Ghaleb, dessen Anweisungen gänzlich anders lauteten. Doch Viv hatte nicht die Absicht, sich einen Haussklaven aufzwingen zu lassen. „Es ist in Ordnung. Ich werde Prinz Ghaleb alles erklären. Und nun fahren Sie bitte nach Hause.“

Sie winkte ihm zu und verschwand im Haus. Doch erst als sie bereits im zweiten Stock angekommen und durch den langen Korridor zu Sams Zimmer gegangen war, hörte sie, wie die Limousine gestartet wurde. Neugierig überlegte sie, ob Abdur-Rahman sich ihrem Wunsch fügen oder an den Anweisungen Ghalebs festhalten würde.

Leise öffnete Viv die Tür zu Sams Zimmer und schlich auf Zehenspitzen hinein. Diese Vorsichtsmaßnahme wäre allerdings nicht nötig gewesen, denn der dicke Teppich, mit dem der Raum ausgelegt war, dämpfte ihre Schritte. Doch sie wollte kein Risiko eingehen. Sam hatte einen sehr leichten Schlaf – genau wie sein Vater. Beim kleinsten Geräusch war er augenblicklich hellwach.

Vorsichtig setzte sie sich neben ihn auf die Bettkante, gegen den üblichen schlaftrunkenen Protest gewappnet. Aber Sam rührte sich nicht. Eine dunkle Vorahnung ließ Viv erschaudern. Sie beugte sich über ihren Sohn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Wieder keine Reaktion. Panik stieg in Viv auf.

Mit zitternden Fingern tastete sie nach seinem Puls und knipste mit der anderen Hand die Nachttischlampe an.

„Mo-om … Licht aus … müde … kann heute nicht zur Schule gehen …“

Viv schluchzte, und Tränen der Erleichterung strömten ihr über die Wangen. Trotz Sams mürrischen Protests nahm sie ihn in den Arm und drückte ihn fest an sich.

„Heute ist keine Schule, mein Liebling. Mommy hatte dir nur noch keinen Gutenachtkuss gegeben.“

Sam blinzelte verschlafen. „Das waren aber genau zehn Küsse.“

Sie lachte. „Du hast mitgezählt?“

Er zog sich sein Kissen über das Gesicht und murmelte etwas Unverständliches.

Lächelnd knipste Viv die Lampe wieder aus, nahm ihm das Kissen vom Gesicht und gab ihm einen letzten Kuss, bevor sie das Zimmer verließ.

Draußen lehnte sie sich erschöpft an die Tür. Sie war in einer weit schlechteren Verfassung als angenommen. Wenn es um Sams Sicherheit ging, war sie schon immer etwas zwanghaft gewesen, doch die gerade durchlebte lähmende Angst hatte eine neue Dimension angenommen.

Sie sah auf ihre Uhr. Noch genau fünfunddreißig Minuten, bis sie zum Abendessen abgeholt wurde.

Gestresst setzte sie sich in Bewegung, blieb dann jedoch unvermittelt stehen. Herrje, was tat sie denn da? Sie würde jetzt ein entspannendes Bad nehmen, sich die Haare waschen und sich dann in aller Ruhe anziehen. Der Fahrer würde eben warten müssen. Und Ghaleb ebenso.

Sie betrat ihr luxuriöses Schlafzimmer, suchte ihre Badeutensilien zusammen und ging in das angrenzende Badezimmer. Trotz ihres Vorsatzes, sich alle Zeit der Welt zu lassen, war sie genau dreißig Minuten später fertig. Mist. Jetzt würde Ghaleb doch nicht auf sie warten müssen. Sollte sie sich vielleicht noch etwas hinlegen?

Sofort verwarf sie diese Idee wieder. Sie würde vor Erschöpfung ins Koma fallen, wenn sie der Müdigkeit jetzt nachgab. Und so sehr wollte sie sich dann doch nicht verspäten.

Ein melodiöser Klingelton ließ sie zusammenzucken. Seufzend richtete sie sich auf und ging zur Tür. Auf die Minute pünktlich. Wie nicht anders zu erwarten von seinen Bediensteten.

Betont gemächlich stieg sie die Treppe hinab. Wieder läutete es. Was sollte diese Ungeduld?

Mit Schwung öffnete sie und zwang sich zu einem Lächeln. Ghalebs Leute konnten schließlich nichts dafür, dass ihr Herrscher ihnen diese Verhaltensweisen befahl.

Im nächsten Moment meinte sie, ihr würde das Herz stehen bleiben, und ein leichter Schwindel erfasste sie.

Vor ihrer Tür stand keineswegs ein Diener. Er war es selbst. Ghaleb.

Ungeniert musterte er sie von Kopf bis Fuß, sein sinnlicher Mund zu einem herausfordernden Lächeln verzogen. Sein durchtrainierter Körper steckte in einem handgefertigten Anzug aus reiner Seide. Wie immer sah er unverschämt gut aus …

Und unverschämt fand sie es auch, einfach unangemeldet vor ihrer Tür aufzutauchen.

Vivs erster Schock wich heftiger Verärgerung. Na, da konnte man nur von Glück sagen, dass Anna und Sam schon im Bett waren. Mit hochgezogenen Augenbrauen funkelte sie Ghaleb an.

„Wo ist denn deine Armee von Dienstboten geblieben?“

Vivs Anblick verschlug ihm buchstäblich den Atem.

Ihr elegantes Kleid betonte ihre weiblichen Rundungen so vorteilhaft, dass er sich zusammenreißen musste, um es ihr nicht vom Leib zu reißen. Ihr glänzendes, volles Haar lud förmlich dazu ein, die Hände darin zu vergraben. Und ihre vollen roten Lippen und die großen, ausdrucksvollen Augen zogen ihn wie magisch an.

Vor allem ihre Augen … Heftige Gefühle spiegelten sich jetzt in ihrem Blick wider. Gefühle, die er nur schwer einordnen konnte. Verärgerung? Trotz?

Er hätte sie noch stundenlang einfach nur ansehen können, doch er zwang sich, ihr zu antworten. Es gelang ihm sogar, einen ruhigen, überlegenen Ton anzuschlagen. „Du hast doch nicht etwa gedacht, ich schicke einen meiner Assistenten, um dich zu einer Einladung zum Abendessen bei mir abzuholen?“

Sie schob das Kinn vor. „Haben wir beide wirklich eine so unterschiedliche Wahrnehmung? Du denkst allen Ernstes, du hättest mich eingeladen? Wann soll das denn gewesen sein?“

Er verzog seinen Mund zu einem amüsierten Lächeln. Ya Allah! Jede ihrer zutiefst respektlosen Bemerkungen rief etwas Eigenartiges in ihm hervor. Vergnügen?

Sie sprach schon weiter. „Du hast mir mitgeteilt, dass wir gemeinsam zu Abend essen. Du hast die Zeit vorgegeben. Und wir wollen auch nicht das ‚Sei bitte pünktlich!‘ vergessen.“

„Wie ich sehe, hat alles geklappt. Du bist fertig. Ich nehme also an, dass du trotz allem meinen … Vorschlag angenommen hast.“

„Natürlich habe ich das. Aber es handelte sich nicht um einen Vorschlag, sondern um einen Befehl. Als Kronprinz kannst du wahrscheinlich nicht anders, oder? Ich sollte dir deshalb nicht böse sein.“

„Willst du mich nicht hereinbitten?“

Viv zuckte zusammen. Wieso bestürzte seine Bitte sie so dermaßen?

Im nächsten Augenblick hatte sie sich wieder gefangen. Sie beantwortete seine Frage laut, deutlich und abschließend.

„Nein.“

Sie wollte ihn also nicht hereinlassen. Wieso hatte er die Einladung zum Abendessen bloß für eine gute Idee gehalten? Und wieso zum Teufel war er persönlich hergekommen, um sie abzuholen?

Er intensivierte seinen Blick. Ihr leichtes Erröten verriet ihm, dass seine Nähe sie nervös machte. „Wenn du mich nicht hereinbitten willst, musst du eben herauskommen.“

„Ich muss gar nichts. Außer vielleicht, dir eine gute Nacht wünschen und endlich ins Bett gehen.“

Ins Bett … Ghaleb konnte sich nichts vorstellen, was er jetzt lieber täte, als mit ihr ins Bett zu gehen und all die Dinge mit ihr zu tun, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gingen, seitdem er sie wiedergesehen hatte.

Er atmete schwer. „Du wirst jetzt nicht schlafen gehen, Viv. Wir werden gemeinsam zu Abend essen. Notfalls lasse ich einen Tisch direkt hier in deiner Eingangstür aufstellen.“

„Das brächtest du tatsächlich fertig, nicht wahr?“ Lag da etwa ein Lächeln auf ihren Lippen? „Es wäre auf jeden Fall sehr originell.“

Doch eine Sekunde später verdüsterte sich ihre Miene wieder. „Du kannst nicht einfach über mich bestimmen. Oder wirst du deinen Dienstboten befehlen, mich aus dem Haus zu tragen?“

Anscheinend war Viv nicht dazu bereit, sich auf einen Flirt mit ihm einzulassen.

Stimmte es also? War sie wirklich nur wegen des Jobs hier? Und konnte er das Risiko eingehen, ihr diesen Job zu geben? Würde er es aushalten, sie ständig in seiner Nähe zu haben? Da alle seine Handlungen Auswirkungen auf sein ganzes Land hatten, konnte er es sich keinesfalls leisten, seinem Verlangen nachzugeben. Vor allem jetzt, da seine Hochzeit immer näher rückte. Eine Hochzeit, einzig arrangiert aus Gründen der Staatsräson und Diplomatie.

Sein Verstand gab ihm eine klare Antwort auf seine Fragen. Doch seine Libido sprach eine andere Sprache.

Aber weder sein Verstand noch die unschönen Erinnerungen an das Ende ihrer Beziehung hielten ihn letztendlich davon ab, seinem drängenden Verlangen nachzugeben. Es war vielmehr der feindselige Ausdruck in ihren Augen, der ihn innehalten ließ.

Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er alles dafür geben würde, diesen Blick fortzuwischen. Auch wenn er wusste, dass sie schon wieder ein falsches Spiel spielte. Sie hatte offenbar keine Ahnung, dass er damals die Wahrheit herausgefunden hatte.

Ihre Affäre hatte nur drei Monate gedauert, und er hatte streng auf Diskretion geachtet, um einen Skandal in Omraania zu verhindern. Als er dann plötzlich nach Omraania zurückbeordert wurde, hatte er alle Vorbehalte über Bord geworfen. Obwohl schon zweiunddreißig und durchaus erfahren im Umgang mit Frauen, hatte er seiner verzehrenden Liebe nichts entgegenzusetzen gehabt. Und so hatte er beschlossen, Viv zu bitten, mit ihm in sein Königreich zu kommen.

Er war in die Klinik geeilt und wollte gerade in das Arztzimmer stürmen, als er hörte, wie sie jemandem erklärte, er bedeute ihr nicht das Geringste. Nicht das Geringste – das waren ihre Worte gewesen.

Sein erster Impuls war gewesen, sie sofort zur Rede zu stellen. Doch er hatte befürchtet, sie würde ihn wieder belügen. Er konnte ihr nicht mehr vertrauen. Also war er zutiefst verletzt abgereist. Es zerriss ihm fast das Herz, dass auch Viv sich nicht von den anderen Frauen unterschied, die ihn nur wegen seines Reichtums und seiner Macht umschmeichelten.

Ohne ein Wort des Abschieds war er gegangen.

Dann hatte er jedoch den Fehler gemacht, zurückzublicken. Sie hatte mit tränenüberströmtem Gesicht in der Auffahrt seines Hauses gestanden und seinem Wagen nachgesehen. Ihre Verzweiflung und Trauer waren offensichtlich gewesen. Dieses Bild hatte sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt.

Monatelang hatte ihn die Erinnerung daran gequält. Er hatte sich eingeredet, dass er genau das Richtige getan hatte. Dass sie ihm das Herz gebrochen hätte, wäre er bei ihr geblieben. Doch der Schmerz war nicht gewichen.

Und nun stand sie wieder vor ihm – schöner als je zuvor. In Gedanken versunken trat er einen Schritt näher. Er konnte die Distanz zu ihr nicht länger ertragen. Instinktiv wich sie zurück.

Ghaleb spürte, dass es so nicht weitergehen konnte. Sieben Jahre waren eine lange Zeit, und er wollte nicht länger seinen Erinnerungen nachhängen. Doch am allermeisten störte ihn die Heuchelei.

Er straffte die Schultern. „In Ordnung, Viv. Es reicht jetzt. Hören wir auf, so zu tun, als wären wir einander fremd.“

Sie lehnte sich an den Türrahmen, als suchte sie Halt. „Ich habe nicht so getan.“

Zain. Gut. Dann war ich es eben. Entschuldige bitte. Es war ein ziemlicher Schock für mich, dich plötzlich in meiner Klinik zu sehen und dann auch noch festzustellen, dass du meine neue Stellvertreterin bist. Das musste ich erst einmal verdauen.“

Überrascht sah sie ihn an. „Willst du damit sagen, dass du gar nicht wusstest, wen du da eingestellt hast?“

„Nein. Das wusste ich tatsächlich nicht.“

„Du hast dir nicht die Mühe gemacht, herauszufinden, wen Adnan ausgewählt hat?“, meinte sie skeptisch. „Dann war es wahrscheinlich keine sehr angenehme Überraschung, mir so unvermittelt gegenüberzustehen. Bestimmt hättest du mich am liebsten sofort wieder zurückgeschickt. Warum hast du es nicht getan?“

Erstaunt über ihre scharfsinnige Schlussfolgerung sah er sie an. „Du denkst also, du hättest es verdient, sofort wieder weggeschickt zu werden?“

„Das denke ich keineswegs“, gab sie scharf zurück. „Warum sollte ich?“

„Vielleicht, weil dein Verhalten von damals gegen dich spricht? Und weil ich guten Grund habe anzunehmen, dass deine beruflichen Kompetenzen genauso mangelhaft sind?“

Ihre Wangen röteten sich vor Zorn. „Mein ‚Verhalten von damals‘? Worauf spielst du an? Auf unser Liebesleben? Du hast mir mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass du meine Fähigkeiten im Bett als mangelhaft einstufst. Doch was hat das alles mit meiner medizinischen Kompetenz zu tun?“

Um Himmels willen! Eine derart unverblümte Direktheit hatte er lange nicht erlebt. Sie verschwendete keine Zeit mit Floskeln oder Beschönigungen. Allerdings irrte sie sich grundlegend. Dachte sie im Ernst, er sei im Bett mit ihr nicht auf seine Kosten gekommen? Hatte sie sich damit seine plötzliche Abreise erklärt? Fast hätte er laut aufgelacht, so absurd kam ihm dieses Missverständnis vor.

„Ich habe von deinen fachlichen Fähigkeiten gesprochen“, stellte Ghaleb klar. „Du hast mich damals überredet, dich als Forschungsassistentin einzustellen, doch besonders viel Forschungsassistenz hat ja nicht stattgefunden.“

Sie verschränkte die Arme und sah ihn mit kaltem Blick an. „Es lag nicht in meiner Absicht, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen“, erklärte sie eisig. „Aber da du das Thema selbst ansprichst, möchte ich dich daran erinnern, dass auch du nicht viel Forschung betrieben hast, bei der ich dir hätte assistieren können.“

„Und wir wissen beide, was mich davon abgelenkt hat“, entgegnete er abrupt. „So sehr abgelenkt, dass ich meine Vorhaben nicht zu Ende führen konnte.“

„Dafür gibst du mir die Schuld?“ Sie lachte freudlos. „Ich war doch nur eine deiner zahlreichen Ablenkungen. Nur eine deiner vielen Möglichkeiten, etwas Dampf abzulassen. Zweifellos hast du nach deiner Abreise deine wissenschaftliche Arbeit erfolgreich fortgesetzt. Mit neuen Forschungsassistentinnen, die nicht so unzureichend waren wie ich. Mich betrafen die Folgen unserer ‚Ablenkung‘ etwas weitreichender, denn meine Arbeit litt tatsächlich so sehr darunter, dass ich um ein Haar meinen Job verlor.“

Sein Puls beschleunigte sich. Wie konnte sie nur so unverfroren lügen? Und wieso hörte sich gleichzeitig alles, was sie sagte, so aufrichtig und schlüssig an? Verwirrt bemerkte Ghaleb, dass er anfing zu zweifeln. „Willst du damit andeuten, dass unsere Affäre sich negativ auf deinen Job auswirkte?“

Ein trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht. „So könnte man es auch ausdrücken. Doch ich will fair sein. Es war nicht deine Schuld. Man ist selbst dafür verantwortlich, wie viel Bedeutung man anderen Menschen in seinem Leben einräumt. Ich habe zugelassen, dass du mich ablenkst. Und als mich dann … gewisse Leute aus dem Weg haben wollten, verwendeten sie unsere Affäre gegen mich.“

„Aber Adnan hat dich wegen deines überaus beeindruckenden Lebenslaufs ausgewählt. So schlimm können deine beruflichen Probleme also nicht gewesen sein.“

„Und warum nicht?“ Verächtlich sah sie ihn an. „Traust du mir nicht zu, wieder aufzustehen, wenn ich am Boden liege?“

„Nachdem ich dich heute im OP erlebt habe, traue ich dir fast alles zu. Deine handwerklichen Fähigkeiten sind überragend. Die Sicherheit, mit der du auch schwierigste Eingriffe durchführst, besitzen andere Chirurgen erst nach zwanzig oder mehr Jahren Erfahrung. Es ist beeindruckend, dass du dir in nur sieben Jahren eine solche Expertise angeeignet hast.“

„Glaubst du etwa, dass ich erst durch dich auf die Idee gekommen bin, Chirurgin zu werden? Dass ich erst, nachdem du fort warst, anfing, mich in das Gebiet einzuarbeiten? Weißt du denn gar nichts über mich? Ich war bereits in meinem dritten Assistenzarzt-Jahr und schon eine verdammt gute Chirurgin, als wir uns kennenlernten. Ich habe mich ausschließlich wegen der wissenschaftlichen Herausforderung bei dir beworben. Und es ist wohl kaum meine Schuld, dass du meine Fähigkeiten nicht genutzt hast. Damals dachte ich nicht darüber nach, weshalb du nicht mit mir gearbeitet hast, doch jetzt ist mir klar, dass du mich schlicht für unfähig gehalten hast. Du hast mich gar nicht wegen meiner beruflichen Fähigkeiten ausgewählt.“

Wieder ein Volltreffer genau ins Schwarze. Ein neues, für ihn unbekanntes Gefühl beschlich Ghaleb.

Scham. Er schämte sich dafür, dass er sich von seinen Vorurteilen hatte leiten lassen. Und für das Unrecht, das er ihr damit angetan hatte.

Gab es noch etwas, was er übersehen, wo er einen entscheidenden Fehler gemacht hatte?

Nein. Er war sich sicher.

Ghaleb holte tief Luft. „Ich gebe zu, dass ich mich im Hinblick auf deine Fähigkeiten geirrt habe.“

Nach kurzem Zögern fuhr er fort: „Und dass ich dich aus unlauteren Gründen eingestellt habe. Es war natürlich unverzeihlich, eine intime Beziehung anzufangen. Äußerst unprofessionell. Von da an lief alles aus dem Ruder.“

Sie seufzte. „Wir hatten doch gar keine richtige Beziehung. Du hast genommen, was ich dir anbot, und bist verschwunden, als du genug von mir hattest.“ Klang da Bitterkeit aus ihren Worten? Oder ein Vorwurf? Doch ihre Stimme war fest. Ihre nächsten Worte bestätigten seinen Eindruck, dass sie in diesem Punkt leidenschaftslos war. „Auch dafür mache ich dich nicht verantwortlich. Es war meine eigene Schuld. Genau wie der berufliche Rückschlag, der darauf folgte.“

Die Sachlichkeit, mit der sie sprach, ließ ihn erstarren. War dies der endgültige Beweis dafür, dass er ihr nichts bedeutet hatte? Er wartete auf weitere Erklärungen, doch für Viv schien das Thema beendet zu sein.

„Nachdem du fort warst, habe ich die verlorene Zeit wieder wettgemacht“, lautete ihre abschließende Bemerkung.

„Um den Job hier habe ich mich beworben, weil ich über die nötige Qualifikation dafür verfüge. Aufgrund unserer gemeinsamen Vergangenheit rechnete ich trotzdem nicht damit, dass du mich einstellen würdest. In Gedanken spielte ich verschiedene Szenarien durch.“

War sie wirklich derart abgeklärt? Oder war sie in der Vergangenheit so schwer verletzt worden, dass sie es nicht riskieren konnte, ihren Gefühlen je wieder zu trauen? Er musste es herausfinden.

„Welche Szenarien?“

„Zunächst einmal, dass du mich aufgrund meiner Fähigkeiten einstellen würdest, ohne dir darüber klar zu sein, dass ich es bin. In diesem Fall hätte ich mit einer baldigen Entlassung gerechnet. Andererseits war es natürlich auch möglich, dass du dich weder an meinen Namen noch an mein Gesicht erinnerst und mich völlig unvoreingenommen behandelst.“

„Ich könnte dich niemals vergessen“, brachte er rau hervor. „Ich kann mich noch an alles erinnern. Welche Uni du besucht hast, wo du gewohnt hast …“

Er verstummte. Im Grunde wusste er nichts weiter über sie. Zumindest keine harten Fakten. Aber er kannte sie – ihr Lieblingsessen, ihre Lieblingsmusik, ihre Begeisterung für Bücher, ihre Vorliebe für alte Filme und weitere tausend Kleinigkeiten, angefangen bei ihrer bevorzugten Zahnpasta-Sorte bis hin zu der Art, wie sie ihren Kaffee trank. Und natürlich kannte er ihre intimen Wünsche. Er wusste genau, wie und wo sie berührt werden wollte, was er tun musste, damit sie ihn anflehte, nicht aufzuhören, und was ihr eine solche Lust bereitete, dass sie vor Verlangen stöhnte. Doch über ihr tägliches Leben und ihre Vergangenheit wusste er fast nichts. Nicht einmal ihr Alter konnte er mit Sicherheit sagen.

Bekümmert sah sie ihn an. „Siehst du? Mehr weißt du nicht. Und es ist auch nicht mehr wichtig. Keines der Szenarien ist eingetreten, denn du hast die Stellensuche Adnan übertragen und erst als ich vor dir stand bemerkt, wen ihr da eingestellt habt. Nun frage ich mich, weshalb du mich nicht postwendend wieder weggeschickt hast. Entweder bist du neugierig auf mich, oder du bist sehr professionell. Ich tippe auf Ersteres.“

Wieder lag sie genau richtig.

Abrupt lenkte er das Gespräch in eine andere Richtung. „Ich denke, wir haben jetzt lange genug über meine damaligen und gegenwärtigen Motive und Handlungen diskutiert. Wie wäre es, wenn wir uns jetzt mal deine vornehmen?“

Mit undurchdringlicher Miene erwiderte sie: „Da gibt es nichts zu analysieren. Ich war früher einfach zu naiv. Und jetzt bin ich ausschließlich aus beruflichen Gründen hier.“

„Falls das wirklich so ist, warum fällt es dir dann so schwer zu glauben, dass es auch mir nur um die Arbeit geht?“

Sie nickte zögernd. „Es ist also unter deinem Niveau, deine Macht zu missbrauchen, um irgendwelche Spielchen mit mir zu spielen? Wie schön. Ich bin nämlich nur ein ganz normaler Mensch und im Moment am Ende meiner Kräfte. Würdest du daher bitte so nett sein, unser Abendessen zu vergessen und mich einfach schlafen gehen zu lassen?“

4. KAPITEL

Ghaleb starrte Viv an. Leider irrte sie sich. Es war ganz und gar nicht unter seinem Niveau, seine Macht zu missbrauchen. Zumindest nicht, wenn es um sie ging. Er wollte mehr von ihr: von ihrer Gegenwart, ihrer Schlagfertigkeit, ihrer Schönheit. Und er würde alles tun, um das Chaos, das sie in seinem Leben anrichtete, wieder unter Kontrolle zu bringen.

Warum übte gerade sie eine solche Anziehungskraft auf ihn aus? Eine Frau, die ihm nicht die geringsten Gefühle entgegenbrachte. Doch sie war nun einmal seine Traumfrau. Und jetzt war sie hier. Anscheinend hatte er sich in einigen Punkten in ihr getäuscht. Falls sie wirklich nur die Arbeit herführte, dann war es nur fair, wenn er ihr erlaubte zu bleiben. Zumindest, bis er einen Ersatz fand. Oder bis er genug von ihr hatte.

Ja, das war die Lösung. Sie würde erst dann aus seinem Kopf und seinem Herzen verschwinden, wenn er sie nicht mehr wollte. Wenn er für immer jeden Gedanken an sie verbannen wollte, gab es nur eine Lösung: Er musste ihre Affäre wieder aufleben lassen und dieses Mal mit einem klaren Abschluss beenden.

Ghaleb spürte, wie er sich entspannte. Herausfordernd lächelte er sie an. „Du sagst mir nicht die ganze Wahrheit.“

Viv blinzelte erstaunt. Sein Sinneswandel war ihr anscheinend nicht entgangen. In ihren Augen blitzte ein Ausdruck auf, den er nicht so recht einordnen konnte. Panik? Unsinn. Wovor sollte sie Angst haben? Vor ihm etwa?

Prüfend sah er sie an, doch sie hatte sich bereits wieder verschlossen, und ihr Blick verriet nichts.

Mit rauer Stimme fragte sie schließlich: „Was meinst du denn jetzt damit?“

Er zuckte mit den Schultern. „Na, deine Behauptung, du seist auch nur ein ganz normaler Mensch. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der erst um die halbe Welt gereist ist, danach ohne die kleinste Verschnaufpause zehn anspruchsvolle Operationen mit atemberaubender Perfektion durchführt – und der dann noch den Nerv hat, stundenlang mit mir über die Vergangenheit im Allgemeinen und die Abendgestaltung im Besonderen zu diskutieren.“

Autor

Olivia Gates
Olivia Gates war Sängerin, Malerin, Modedesignerin, Ehefrau, Mutter – oh und auch Ärztin. Sie ist immer noch all das, auch wenn das Singen, Designen und Malen etwas in den Hintergrund getreten ist, während ihre Fähigkeiten als Ehefrau, Mutter und Ärztin in den Vordergrund gerückt sind.
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