Die Jacobs - Reiche Rancher, echte Liebe - 6 Romane

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Erlebt in sechs Bänden mit, wie die reichen Rancher auch in der Liebe ihr wahres Glück finden!

DAS VERSPRECHEN DEINER LIPPEN
Mandy funkelt ihren neuen Nachbarn empört an. Schlimm genug, dass der reiche Großstädter Caleb die Ranch geerbt hat, die eigentlich seinem Bruder zustünde. Jetzt will er das Anwesen auch noch verkaufen! Sie müsste ihn dafür hassen - doch sein muskulöser Körper und seine Küsse sind unwiderstehlich. Kann sie an seine Liebe glauben? Oder wird er nach dem Verkauf der Ranch seiner Heimat - und ihr - endgültig den Rücken kehren?

FEURIGES VERLANGEN - UNERFÜLLTE SEHNSUCHT?
Was für eine Schönheit ist aus dem Mädchen geworden, das damals die Ranch verlassen hat! Reed begehrt die grazile Ballerina Katrina - und auch in ihren Augen lodert Verlangen. Doch die Tänzerin liebt die Großstadt und hasst die Einsamkeit Colorados. Bald steht Reed vor der schwersten Entscheidung: Soll er mit Katrina nach New York gehen? Oder ihre Liebe nur als leidenschaftlichen Tanz eines Sommers in Erinnerung behalten?

SINNLICHE STUNDEN MIT DEM FREMDEN
Bei seinem Lächeln werden Abigail die Knie weich, seine Küsse versprechen den Himmel auf Erden. Also warum nicht eine Nacht mit diesem sexy Fremden genießen? Zumal es Abigails letzter Abend in der Stadt ist und sie morgen zurück auf die Ranch ihrer Familie fährt. Die Spielregeln sind einfach: Keine Namen, keine Vergangenheit, nur er und sie und Lust ohne Reue … Doch die leidenschaftlichen Stunden mit dem Unbekannten sind einfach zu gut! Aus der Nacht wird eine heiße Affäre, und plötzlich steht Abigail vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens.

DAS TAGEBUCH DER VERFÜHRUNGEN
Höchst verführerisch - und ebenso gefährlich: Die schöne Niki hat die Macht, Sawyer Laytons Familie zu zerstören. Um ihr schnellstmöglich das Handwerk zu legen, verfolgt Sawyer sie bis in die Wildnis von Colorado. Dort hat sich Niki im Haus ihrer Brüder versteckt und sucht verzweifelt nach dem berüchtigten Tagebuch ihrer Mutter - dasselbe Tagebuch, hinter dem Sawyer her ist. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt: Sawyer muss das Buch finden, bevor es einen Skandal provozieren kann. Und bevor er komplett Nikis fataler erotischer Anziehungskraft verfällt …

REICH, SEXY - UND GEFÄHRLICH
Darby weiß, wie man mit mächtigen Männern umgeht: Um den Bau einer Eisenbahn zu stoppen, fordert sie sogar den smarten Bürgermeister Seth zu einem Flirt heraus. Ein gewagtes Spiel, denn sprühende Funken sind eine Sache. Aber leider kämpft ihr liebster Feind nicht fair …

LEIDENSCHAFT AUF DEN ZWEITEN BLICK
Warum hat dieser Cowboy bloß so einen knackigen Hintern? Als Travis ihr flirtend in einer Bar gegenübersteht, muss Danielle sich entscheiden: Zeigt sie ihm die kalte Schulter, weil er noch von früher ihr Feind ist - oder wagt sie einen gefährlich engen Tanz mit ihm?


  • Erscheinungstag 02.03.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776909
  • Seitenanzahl 780
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Barbara Dunlop

Die Jacobs - Reiche Rancher, echte Liebe (6 Romane)

IMPRESSUM

Das Versprechen deiner Lippen erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2012 by Barbara Dunlop
Originaltitel: „A Cowboy Comes Home“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1751 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Edigna Hackelsberger

Umschlagsmotive: Halfpoint, IVASHstudio / Shutterstock

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733775469

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Staub wirbelte unter Caleb Terrells Slippern auf, als er auf den Eingang seines Elternhauses zuging. Er wollte zu seinem Bruder, der ihn zehn Jahre lang mit Verachtung gestraft hatte. In seiner Bulgari-Aktentasche befand sich eine Kopie des Testaments seines verstorbenen Vaters, und quälende Fragen schwirrten ihm im Kopf herum. Die Terrell-Ranch hatte sich kaum verändert. Das zweistöckige Backsteinhaus war perfekt instand gehalten, und die frische Bergluft Nord-Colorados duftete vertraut nach Weizengras und Kiefern.

Er trat auf die breite Veranda und wünschte sich, er hätte in Lyndon haltgemacht und Jeans und Stiefel angezogen. Doch mittlerweile war er ein erfolgreicher Geschäftsmann und kein Cowboy mehr. Und das Letzte, was er wollte war, sich hier zu Hause zu fühlen.

Sein Bruder Reed würde alles andere als erfreut sein, ihn hier zu sehen, aber ungewöhnliche Zeiten erforderten ungewöhnliche Maßnahmen.

Caleb überlegte, ob er einfach ohne Vorwarnung ins Haus platzen sollte. Schließlich gehörte ihm dieses Anwesen, und Reed hatte über eine Woche lang seine Anrufe ignoriert. Allerdings hatte sich Caleb in den vergangenen zehn Jahren kein einziges Mal bei seinem Zwillingsbruder gemeldet. Auch Reed hatte in all den Jahren keinen Kontakt zu Caleb gesucht.

Nun war jedoch ihr Vater gestorben. Sonst hätte Caleb sicher niemals mehr einen Fuß auf die Terrell-Ranch gesetzt. Hätte er es versucht, hätte man ihn wahrscheinlich wie einen streunenden Kojoten erschossen. Was den Inhalt des Testaments umso verblüffender machte.

Caleb klopfte dreimal kurz und kräftig.

In der darauf folgenden Stille ließ er den Blick über den Hof schweifen, frischte seine Erinnerungen auf und bereitete sich innerlich auf das bevorstehende Gespräch vor.

Die große Scheune war wohl erst vor Kurzem dunkelgrün gestrichen worden, und die kerzengeraden Zaunpfosten der Pferdekoppeln glänzten weiß in der Nachmittagssonne. Er wusste, jeder Winkel des Zauns maß genau neunzig Grad, die Pfosten standen exakt einen Meter achtzig auseinander, und zwischen den Querstangen war ein Abstand von jeweils sechzig Zentimetern. Die Sonne blendete, und er kniff die Augen zusammen, um schärfer zu sehen.

Auf der Weide dahinter grasten schwarze Angusrinder auf den grünen Hügeln zwischen Espen- und Kiefernwäldchen. Am Horizont ragten die schneebedeckten Gipfel der Rockies in den dunstigen Himmel. Ein halbes Dutzend Pick-ups standen vor den Geräteschuppen. Am hinteren Ende der Scheune glänzte ein blitzblanker Mähdrescher in der Sonne, und eine Hühnerschar pickte rund um die gewaltigen Profilreifen im Boden herum. Auf einer der Koppeln bäumte sich ein Rappe auf, stürmte mit glänzend schwarzer Mähne über den Sand und kam dicht vor der Einzäunung mit wütend geblähten Nüstern zum Stehen.

Caleb kannte das Tier nicht, das war allerdings nicht anders zu erwarten gewesen. Früher hatte er jedes einzelne der über fünfzig Pferde auf der Ranch beim Namen nennen können. Er atmete tief ein und roch den scharfen Duft nach Pferdedung. Sein Körper verspannte sich, als er sich an das jähzornige Temperament seines Vaters erinnerte. Ja, hier war fast alles beim Alten geblieben, und er hatte keinerlei Sehnsucht danach, hierher zurückzukehren.

Sobald er die Erbangelegenheiten geregelt hätte, würde er in seinen Mietwagen steigen, zum Lyndon Flughafen fahren und mit seinem Privatjet nach Chicago zum Verwaltungssitz seines Unternehmens zurückfliegen.

Auf Nimmerwiedersehen, Colorado!

Er klopfte noch einmal.

Diesmal rührte sich etwas im Haus. Er hörte leichte Schritte durchs Wohnzimmer eilen – also nicht sein Bruder Reed.

Die Tür ging auf, und Caleb stand vor einer hübschen, brünetten jungen Frau. Sie mochte etwa eins fünfundsiebzig groß sein und trug ein dunkelblaues Kapuzenshirt mit tiefem V-Ausschnitt. Ihr Haar war lang und glänzend, die Lippen von einem dunklen Korallenrot, der Teint frisch, die Augenbrauen sanft geschwungen. Aus moosgrünen Augen blickte sie ihn klar und forschend an.

Irgendwie kam sie ihm bekannt vor, aber vielleicht war das auch nur Wunschdenken. Selbst in verwaschenen Jeans und abgewetzten braunen Stiefeln fand Caleb sie so attraktiv, dass er sich wünschte, sie näher kennenzulernen. Dieser Impuls wurde sogleich gedämpft durch den Gedanken, sie könnte die Freundin, vielleicht sogar die Frau seines Bruders sein.

Reflexartig fiel sein Blick auf ihre linke Hand. Kein Ring. Aber das musste ja noch nichts heißen.

„Wollen Sie etwas … verkaufen?“, fragte sie. Ihr Blick wanderte von seiner Seidenkrawatte zu seiner Aktentasche. Ihre melodische, leicht rauchige Stimme ließ ihn angenehm erschauern.

Er musste sich einen Moment sammeln. „Ich will zu Reed.“

Neugierig runzelte sie die Stirn. „Erwartet er Sie?“

„Ich habe vor ein paar Tagen angerufen“, erwiderte Caleb ausweichend. Allerdings hatte er seinen Bruder nicht erreicht, nur Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen, aber das wollte er mit einer Fremden nicht erörtern.

Sie verschränkte die Arme über der Brust, verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein und schob dabei eine ihrer schlanken, wohlgerundeten Hüften nach außen. „Heißt das, Reed hat sie eingeladen?“

Caleb konnte seine Neugier nicht länger zügeln. „Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

Da war es wieder – dieses Gefühl, sie von irgendwoher zu kennen. „Wohnen Sie hier?“

„Das geht Sie nichts an.“

„Wo ist Reed?“

Die Frau schwieg einen Moment, dann sagte sie mit ihrem korallenroten Schmollmund: „Geht Sie auch nichts an.“

Seltsamerweise war er eher fasziniert als verärgert. „Wollen Sie mir überhaupt irgendetwas sagen?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Sind wir uns nicht schon mal begegnet?“

„Ist das jetzt eine Anmache?“

„Eher eine Frage.“

„Nach meiner Erfahrung beginnt eine Anmache meist mit so einer Frage.“

Caleb musste lächeln, und auch ihre grünen Augen funkelten amüsiert.

Er sah sie abwartend an, dann klemmte er sich die Aktentasche unter den Arm und streckte ihr die Hand hin. „Caleb Terrell.“

Überrascht riss sie ihre wunderschönen Augen auf. „Caleb?“

Bevor er reagieren konnte, warf sie sich ihm mit einem Freudenschrei in die Arme. „Du bist nach Hause gekommen!“

Er legte seinen freien Arm spontan um ihre schlanke Taille und drückte sie fest an sich. Dabei atmete er den süßen Duft ihres Haars ein und hoffte inständig, sie möge nicht Reeds Freundin sein.

Sie blickte zu ihm auf. „Erinnerst du dich nicht an mich?“

Bedauernd schüttelte er den Kopf.

Sie klopfte ihm mit dem Handballen gegen die Schulter. „Ich bin’s, Mandy.“

Vor Überraschung blieb Caleb der Mund offen stehen. „Mandy Jacobs?“

Sie nickte, und er zog sie wieder an sich. Nicht, dass sie sich früher besonders gut gekannt hätten. Sie war erst dreizehn gewesen, als er mit siebzehn von zu Hause fortgegangen war. Inzwischen war er siebenundzwanzig. Aber es fühlte sich erstaunlich gut an, sie im Arm zu halten.

Nach einem etwas zu langen Moment ließ er sie widerstrebend los.

„Du hast die Beerdigung verpasst.“ Ihr Ton war halb bedauernd, halb anklagend. Sie trat zurück ins Haus und bedeutete ihm, ihr zu folgen.

„Ich bin nicht wegen der Beerdigung hergekommen“, erklärte er trocken, als er über die Schwelle trat. Der eigentliche Grund seines Kommens fiel ihm wieder ein, und seine Entschlossenheit kehrte zurück.

„Er war dein Vater“, sagte sie vorwurfsvoll und führte ihn ins große Wohnzimmer.

Caleb folgte ihr und ließ sein Schweigen für sich sprechen. Wenn Mandy nicht hoffnungslos naiv war, dann kannte sie die Geschichte der Terrells. Wilton Terrell mochte zwar Calebs Vater gewesen sein, zugleich war er aber auch der übelste Mistkerl in Nordwest-Colorado.

Er ließ den Blick durch den altvertrauten Raum schweifen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Warum war Mandy hier, und wo war Reed? „Also du und Reed, ihr seid …“

Sie schüttelte den Kopf. „Er ist nicht da.“

„Das sehe ich.“ Es war ein großes Haus, zwei Stockwerke, vier Schlafzimmer, aber wäre Reed da gewesen, dann hätte Mandys Freudengeheul ihn wohl herbeigelockt. Caleb wollte unbedingt herausfinden, was für eine Rolle sie hier spielte. „Du wohnst hier?“

Sie sah ihn verblüfft an. „Was?“

Er wiederholte seine Frage: „Wohnst du hier?“

„Du willst also wissen, ob ich mit deinem Bruder schlafe?“

„Ich frage dich, ob du eine Beziehung mit ihm hast, ja.“ Das wäre die plausibelste Erklärung für ihre Anwesenheit.

„Nein, keins von beiden“, erwiderte sie augenzwinkernd.

„Okay.“

Gut. Sehr gut. Nicht, dass das für Caleb irgendwie von Bedeutung gewesen wäre. Nichts in Lyndon Valley oder auf der Terrell-Ranch war für Caleb von Bedeutung. Sein Aufenthalt hier war nichts weiter als eine kleine Störung seines normalen Lebens. Mandy spielte darin keine Rolle.

Ihr Ton wurde sarkastisch. „Aber wie höflich von dir, dich nach meinem Liebesleben zu erkundigen.“

„Nun ja, ich treffe dich hier an und nicht ihn“, erläuterte Caleb. Sie hatte ihm die Tür aufgemacht und schien sich hier ganz zu Hause zu fühlen. Da lag die Vermutung durchaus nahe, dass sie hier wohnte.

Sie strich mit dem Zeigefinger über den abgeschrägten Rand eines polierten Zedernholztischchens. „Ich bin hier, um nach dem Rechten zu sehen.“ Dann nahm ihr Gesicht einen bedrückten Ausdruck an. „Ich hab mir Sorgen gemacht.“

„Warum das?“

„Weil seit der Beerdigung vor fünf Tagen niemand mehr Reed gesehen hat.“

Mandy Jacobs war fast zehn Jahre lang eng mit Reed befreundet gewesen. Davor, in der Highschool, hatte sie ihn fast wie einen Helden verehrt – seit jenem Tag, an dem sie beim Kopfsprung in den Stump Lake ihr Bikinioberteil verloren und er sie vor einer entsetzlichen Blamage bewahrt hatte. Die Jungs ihrer Klasse hatten unter johlendem Gelächter und schadenfrohem Glotzen nur darauf gewartet, dass die Kälte des Wassers sie aus dem See trieb.

Als sie gerade aufgeben wollte und ihre Blöße so gut wie möglich mit den Armen bedeckte, war Reed vorbeigekommen und hatte den Jungs die Leviten gelesen. Dann hatte er die Stiefel ausgezogen, war ins Wasser gewatet und hatte ihr sein T-Shirt gereicht. Dabei hatte er kein einziges Mal zu ihr hingesehen, während sie es sich zähneklappernd unter Wasser übergezogen hatte. Anschließend hatte er den Jungs mit schlimmen Konsequenzen gedroht, sollten sie es wagen, sie künftig damit aufzuziehen.

Als sie zwei Jahre später vom College in Denver nach Hause zurückkehrte, waren Reed und sie sich noch näher gekommen. Im Laufe der Jahre hatte sie vom Tod seiner Mutter, vom Jähzorn und der Härte seines Vaters und von den Gründen erfahren, die seinen Zwillingsbruder Caleb von zu Hause fortgetrieben hatten.

Reed hatte nun keine Geschwister mehr als Unterstützung, und auch Mandys zwei Brüder machten ständig nur Späße auf ihre Kosten. Ihre älteste Schwester Abigail war ein Bücherwurm, und die jüngere, Katrina, war schon mit zehn Jahren ins Internat gekommen. Hätte sich Mandy einen Bruder wünschen können, so wäre es Reed gewesen.

An diesem Morgen hatte sie sich wirklich ernsthaft Sorgen um ihn gemacht und beschlossen, auf der Ranch nach dem Rechten zu sehen. Sie hatte den Ersatzschlüssel benutzt, um in das vertraute Haus zu gelangen, hatte den Anrufbeantworter abgehört, Reeds Post durchgesehen und sogar seinen Kleiderschrank überprüft, bevor ihr klar wurde, dass sie gar nicht merken würde, ob etwas von seiner Kleidung fehlte. Seine Brieftasche war aber definitiv nicht da, und sein geliebter Stetson hing nicht am Garderobenhaken beim Vordereingang.

Offenbar hatte er die Ranch also aus freien Stücken verlassen. Und er war ein bärenstarker Kerl – unvorstellbar, dass ihn jemand gegen seinen Willen zu irgendetwas zwingen konnte.

Dennoch war sie froh, dass Caleb aufgetaucht war. Irgendetwas stimmte hier nicht, und er konnte ihr helfen herauszufinden, was geschehen war.

Caleb stellte seine Aktentasche energisch auf dem Parkett ab und unterbrach damit ihr Grübeln. Er baute sich neben der braunen Ledercouch vor dem Panoramafenster vor ihr auf und fragte mit forschendem Blick: „Was meinst du mit verschwunden?“

„Reed ist von der Beerdigung abgehauen“, erklärte Mandy und suchte in ihrer Erinnerung nach kleinen Details in den Ereignissen letzter Woche, die ihr vielleicht entgangen sein und die einen Hinweis darauf geben könnten, was passiert war. „Er hat einen der Ranch-Pick-ups genommen, und ich dachte, er würde hierher zurückfahren.“

Sie sah hinüber zu einer Reihe Fotos auf dem Kaminsims, und ihr Blick blieb an einer jüngeren Aufnahme von Reed beim Lyndon Rodeo hängen. „Nach der Beerdigung kamen wir alle zum Leichenschmaus hier im Haus zusammen. Ich habe Reed nicht gesehen, habe mir aber nichts dabei gedacht. Schließlich hatte er gerade seinen Vater verloren und wollte vielleicht lieber allein sein.“

Caleb bemerkte in kühlem Ton: „Du willst doch nicht etwa behaupten, Reed hätte um unseren Vater getrauert?“

Mandy überlegte, was sie ihm antworten sollte. Unwillkürlich verglich sie die beiden Brüder. Sie waren so verschieden, wie zwei Menschen nur sein konnten. Beide waren von attraktiven Teenagern zu gut aussehenden Männern herangewachsen. Doch während Reed eher wild und robust, ein echter Naturbursche war, wirkte Caleb wie der typische Großstädter, manierlich und gepflegt.

Reed war über einen Meter neunzig groß, hatte dunkles Haar, tiefbraune Augen, einen breiten Brustkorb sowie muskulöse Arme und Beine – ein richtiges Kraftpaket. Caleb musste etwas über einsfünfundachtzig sein. Auch er war breitschultrig, aber nicht so athletisch gebaut; er hatte ein runderes Kinn, strahlend blaue Augen und einen intelligenten, wachsamen Blick. Sein Haar war von einem helleren Braun, und seine Stimme klang eher nach Bass als nach Bariton.

„Mandy?“ Caleb forderte eine Antwort, und ihren Namen aus seinem Mund zu hören ließ ihr Herz schneller schlagen. Was um alles in der Welt sollte das nun bedeuten?

„Ich glaube auch nicht, dass seine Trauer um euren Vater besonders groß war“, räumte sie ein. Nach Calebs Weggang hatte sich das Verhältnis zwischen Reed und seinem Vater Wilton noch weiter verschlechtert. Wilton hatte immer etwas zu kritisieren gehabt, egal wie hart Reed gearbeitet hatte. Und egal was Reed auf der Ranch erreicht hatte, sein Vater war nie zufrieden gewesen und hatte ihn das ständig spüren lassen.

Aufgrund Wiltons schroffer Art hatte Mandy das Haus der Terrells nur besucht, wenn er nicht da war. Was glücklicherweise oft der Fall gewesen war. Wilton, das Paradebeispiel eines mürrischen, verschrobenen Alten, zog offenbar die Gesellschaft seiner Rinder den Menschen vor und verbrachte viele Nächte in den Viehhütten auf seinem Weideland.

Sie hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um Reed beizustehen. Als sie sechzehn und Reed zwanzig gewesen war, hatte Wilton bei einem besonders heftigen Streit seinem Sohn einen Schlag mit einem dicken Kantholz auf die Schulter verpasst. Damals hatte sie Reed spontan angeboten, ihn zu heiraten, damit er auf die Ranch der Jacobs ziehen könnte.

Aber Reed hatte nur gelacht, ihr das Haar verwuschelt und gesagt, er liebe sie wie eine Schwester, nicht aber wie eine Frau, und er werde seinem Vater einfach nie wieder den Rücken zudrehen. Wenig später war er dann groß und stark genug gewesen, um sich gegen Wilton zu wehren.

„Er hätte damals mit mir zusammen weggehen sollen“, unterbrach Caleb ihr Grübeln.

„Du hättest hierbleiben sollen“, konterte Mandy unverblümt. Hätte Caleb weiter auf der Ranch gelebt, wären sie zwei gegen einen gewesen, und Wilton hätte seinem Jähzorn nicht ungezügelt freien Lauf lassen können.

Calebs Augen funkelten sie an. „Und ihn auch noch dafür belohnen, dass er meine Mutter auf dem Gewissen hat, indem ich mich tagein, tagaus für ihn krumm mache?“

„Reed hat das nicht so empfunden.“ Mandy erkannte, wie anders Reed seine Situation eingeschätzt hatte. Und sie bewunderte ihn dafür.

Die Terrell-Ranch war aus einem Zusammenschluss des Besitzes von Wilton Terrells Familie und dem seiner jungen Frau Sasha, Reeds und Calebs Mutter, hervorgegangen. Nach ihrem Tod hatte Reed gelobt, das Erbe seiner Mutter zu bewahren, komme, was da wolle. Er hatte große Pläne für die Ranch gehabt – er wollte seine Mutter auf diese Weise ehren.

Das machte sein Verschwinden, besonders zum jetzigen Zeitpunkt, nur noch rätselhafter. Wo steckte er bloß?

„Reed war ein Dummkopf“, sagte Caleb.

Mandy trat einen Schritt vor, straffte die Schultern und ballte die Hände wütend zu Fäusten. „Ich liebe Reed.“

„Du hast doch gerade gesagt …“

„Wie einen Bruder.“

„Ach ja?“, spottete Caleb und sah sie aus seinen blauen Augen herausfordernd an. „Willst du mir jetzt etwa Nachhilfe in Bruderliebe geben?“

Sein sarkastischer Ton stand im Widerspruch zu der Kränkung, die in seinen Augen aufblitzte, und ihr Zorn verflog.

„Warum bist du gekommen?“, fragte sie.

Vielleicht gab es ja Anlass zur Hoffnung, dass Caleb auf Versöhnung aus war? Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als dass die beiden Brüder ihr Kriegsbeil begruben. Sie wusste, dass Reed im tiefsten Inneren seinen Bruder vermisste, und sicher ging es Caleb mit Reed ebenso.

Auf einmal erinnerte sie sich an einen der Briefe, die sie am Morgen sortiert hatte. Der brachte sicher eine Antwort. „Er hat dich erwartet.“

„Was?“

Sie ging in die helle, gelb gestrichene Küche mit den rustikalen Holzschränken und Arbeitsflächen aus Granit. Dort lag der Stapel Post, in dem sie noch am Morgen keinerlei Hinweise auf Reeds Verbleib hatte entdecken können. Caleb folgte ihr.

„Hier ist der Beweis.“ Sie zog ein Kuvert hervor, auf dem Calebs Name gekritzelt stand. Reed musste also gewusst haben, dass sein Bruder herkommen würde. Vielleicht fand sich ja in dem Umschlag ein Hinweis.

Sie reichte ihn Caleb. „Mach ihn auf“, befahl sie ungeduldig.

Caleb runzelte die Stirn. „Ich hab ihm nicht gesagt, dass ich komme.“ Als Nachricht auf dem Anrufbeantworter hatte er nur kurz und knapp ein barsches „Ruf mich an, wir müssen reden!“ hinterlassen. Reed würde schon verstehen, was damit gemeint war.

„Warum hat er dir dann diesen Brief hinterlassen? Als ich heute Morgen ins Haus kam, lag das Kuvert hier auf der Küchentheke.“

Caleb holte tief Luft und riss den Umschlag auf. Er zog ein einzelnes Blatt Papier heraus und las. Dann entfuhr ihm ein deftiger Fluch.

Mandy schrak zusammen, nicht wegen seiner Worte, sondern wegen des Tonfalls. Neugierig spähte sie Caleb über die Schulter und las, was da in Reeds großer, kühner Handschrift geschrieben stand: Von mir aus kannst du daran ersticken.

Fragend blickte sie zu Caleb auf. „Das verstehe ich nicht. Was hat das zu bedeuten?“

„Es bedeutet, dass sich das jähzornige Temperament meines Bruders in den vergangenen zehn Jahren kein bisschen verändert hat.“

„Weißt du, wo er hingegangen ist?“ Reeds knappe Botschaft war für Mandy rätselhaft.

Caleb starrte den Brief finster an. „Du verdammter Idiot.“

„Was ist los?“, fragte Mandy energisch.

Caleb zerknüllte das Papier und lachte bitter auf. „Reed vertraut mir nicht. Er glaubt doch tatsächlich, ich würde meinen eigenen Bruder betrügen.“

„Wieso betrügen?“ Sie hatte gedacht, Reed sei fortgegangen, um mit seinen widersprüchlichen Gefühlen nach dem Tod seines verhassten Vaters ins Reine zu kommen. Aber Calebs Reaktion beunruhigte sie nun noch mehr.

Er musterte sie mit einem eisigen Blick, und seine Kiefermuskeln waren angespannt. Der innere Kampf ließ sich an seinem Gesicht ablesen.

Schließlich entschied er sich doch zu einer Antwort und zitierte das Testament: „Wilton Terrell hinterlässt in seiner grenzenlosen Weisheit seinen gesamten Besitz, darunter die Terrell-Ranch, seinem Sohn … Caleb.“

Mandy stützte sich schwer auf der Küchentheke ab und fragte stockend: „Er … hat die Ranch dir vermacht?“

„Er hat sie mir vermacht“, bestätigte er grimmig.

Mandy war fassungslos. Das war sehr unfair. Es war lächerlich und boshaft – unverzeihlich. Reed hatte sich mit Blut, Schweiß und Tränen für diese Ranch aufgeopfert, und nun sollte Caleb einfach hier aufkreuzen können und alles übernehmen?

Mit tiefem Abscheu in der Stimme zischte sie ihn an: „Wie konntest du nur?“

„Wie bitte?“ Er schnaubte verächtlich. „Das war Wiltons Entscheidung.“

„Aber du profitierst davon.“

„Ich bin hergekommen, um das Erbe zurückzugeben, Mandy. Aber vielen Dank für dein großes Vertrauen in meinen Charakter. Die schlechte Meinung, die du von mir hast, wird nur noch übertroffen von der meines idiotischen Bruders.“

„Du wirst das Erbe ausschlagen?“ Die Skepsis in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Würde er wirklich eine Ranch zurückgeben, die zig Millionen Dollar wert war?

„Ich lebe in Chicago. Warum zum Teufel sollte ich an einen verhassten Ort zurückkehren, an den ich nur schlimme Erinnerungen habe. Außerdem ist Reed mein Bruder. Wir kommen zwar vielleicht nicht gut miteinander aus, aber wir hassen uns nicht.“

Wollte man seiner gekränkten Miene und seiner aufgebrachten Erwiderung Glauben schenken, so hatte Caleb wohl tatsächlich vor, sich ehrenhaft zu verhalten. Aber daran hatte Reed wohl ebenso gezweifelt wie jetzt Mandy. Aus dem Brief sprach unbändige Wut, und er hatte offensichtlich lieber das Weite gesucht, statt mitanzusehen, wie sein Bruder herkam und alles an sich riss.

Doch sogleich keimte wieder Sorge in ihr auf. „Wir müssen ihn finden. Ihm alles erklären und dafür sorgen, dass er wieder nach Hause kommt.“

„Er ist doch kein entlaufener Welpe.“

„Er ist dein Bruder.“

Caleb zeigte sich erstaunlich ungerührt. „Was genau bedeutet das?“

Das Haus seines Bruders war der letzte Ort, an dem Caleb bleiben wollte. Er mochte nicht in dieser Küche essen oder im Wohnzimmer sitzen, und noch weniger Lust verspürte er, oben in seinem alten Schlafzimmer zu übernachten.

Er hatte, seit er hierhergekommen war, schon zu viele Déjà-vus erlebt.

Die Küche sah aus, als wäre die Zeit stehen geblieben. Eine Grünpflanze stand auf der Küchentheke, Servierbesteck steckte kopfüber in einem weißen Topf neben dem Herd, über dem Telefon hing eine Pinnwand, und unter dem Lichtschalter stand eine Fruchtschale, daneben die Kaffeemaschine unter der Einbaumikrowelle.

Er wusste, der Zucker befand sich auf dem dritten und die Kaffeebohnen auf dem zweiten Regalbrett in der Speisekammer neben dem Esszimmer und die Milch in der Tür des Edelstahlkühlschranks. Er hätte jetzt liebend gern eine Tasse Kaffee getrunken, aber er mochte es sich hier drin nicht gemütlich machen.

Mandy hingegen schien sich ganz wohlzufühlen. Sie setzte sich auf einen der hohen, schwarz gepolsterten Stühle an der Küchentheke und tippte eine Nummer in ihr Handy.

„Bist du oft hier gewesen?“, fragte Caleb unwillkürlich. Er konnte sich nicht erinnern, in diesem Haus jemals einen Menschen so entspannt dasitzen gesehen zu haben.

Sie hob das Handy ans Ohr und sah ihn mit einem kleinen Lächeln an. „Nur wenn dein Vater nicht da war. Reed und ich haben hier oft Wein getrunken und Poker gespielt.“

„Nur ihr beide?“ Caleb hob erstaunt die Augenbrauen. Das Verhältnis zwischen seinem Bruder und Mandy war ihm noch nicht klar.

Sie strich sich die losen Haarsträhnen aus der Stirn. „Ich hab dir doch gesagt, dass wir nichts miteinander hatten.“ Nach einer Weile fügte sie hinzu: „Wenn ich über Nacht hiergeblieben bin, hab ich in deinem Bett geschlafen. Oh, hallo Seth“, sagte sie ins Handy.

Betroffen von ihrer scharfen Erwiderung zog sich Caleb ins Wohnzimmer zurück. Er wollte in Ruhe sein weiteres Vorgehen überdenken, denn seine Reise verlief ganz und gar nicht nach Plan.

Zum Flughafen in Lyndon waren es zwei Stunden. Er könnte also noch am selben Abend nach Chicago zurückfliegen. Oder er könnte sich ein Hotel in Lyndon nehmen. Er konnte aber auch auf der Ranch bleiben und sich überlegen, was zum Teufel er als Nächstes tun sollte.

Sein Blick wanderte zur Treppe. Einen Stock höher lag sein Schafzimmer. Wo Mandy offenbar geschlafen hatte. Vielleicht hatte sie ihm das aber auch nur vorgeflunkert, um ihn zu provozieren.

Und selbst wenn sie in seinem Bett geschlafen hatte, es ging ihn nichts an. Die Frau konnte schließlich schlafen, wo sie wollte.

Er hörte sie aus der Küche ins Wohnzimmer kommen, dann stellte sie sich vor ihn hin und steckte das Handy in die Vordertasche ihrer Jeans. „Seth schickt ein paar Leute rüber.“

„Wohin?“

Sie sah ihn erstaunt an. „Hierher natürlich.“

„Warum?“

„Zum Aushelfen.“

„Ich habe nicht um Hilfe gebeten.“ Caleb wollte nicht undankbar klingen, aber er hatte keine Lust, sich von Mandy das Heft aus der Hand nehmen zu lassen. Er hatte keine Ahnung, was ihm hier noch alles bevorstand, und wollte selbst entscheiden, was zu tun war.

Sie zwinkerte ihm zu. „Ich weiß. Aber ich wollte dir einen Gefallen tun.“

„Nächstes Mal fragst du mich um Erlaubnis.“

„Ich soll dich um Erlaubnis bitten, wenn ich dir einen Gefallen tue?“

„Du sollst um Erlaubnis bitten, wenn du dich in meine Angelegenheiten einmischst.“

„Nennst du das Einmischung, wenn ich dir zwei tüchtige Aushilfen besorge, die hier auf der Ranch nach dem Rechten sehen, während wir nach deinem Bruder suchen?“

Caleb sah, dass sie ihm entschlossen ihr Kinn entgegenreckte, eine kampflustige Haltung einnahm und ihre leuchtend blauen Augen ihn anfunkelten. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, einen Streit vom Zaun zu brechen.

„Nächstes Mal frag mich bitte“, bat er in gemäßigterem Ton.

„Keine Sorge, ein nächstes Mal wird es nicht geben“, schoss sie zurück.

Schön. Kein Problem. Er war auch bisher im Leben ohne Hilfe zurechtgekommen. Er würde seinen Bruder schon finden, und zwar bald. Danach würde er wieder in sein gewohntes Leben zurückkehren. Unwillkürlich musste er daran denken, wie seine Finanzanwältin, Danielle Marin, darauf reagieren würde, dass er hier in Colorado festgehalten wurde.

Active Equipment befand sich in einer kritischen Phase bei der Gründung einer neuen Niederlassung in Südamerika. Danielle arbeitete sich gerade mühsam durch die komplizierten Steuer- und Buchhaltungsvorschriften Brasiliens.

Mandy trat zu ihm. „Was hast du jetzt vor?“

„Reed suchen. Und ihn mit Gewalt nach Hause zurückzerren.“

„Und in der Zwischenzeit? Was wird aus der Ranch? Was aus den Tieren?“

„Ich werde mich darum kümmern.“

Mandys Stimme bekam einen spöttischen Unterton. „Aber ein bisschen Hilfe dabei kann doch nicht schaden, oder?“

„Es kann auch nicht schaden, wenn du dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmerst.“

„Ich erfülle nur meine Pflicht als gute Nachbarin“, wandte sie ein.

„Bewirbst du dich etwa für die Nachbarschaftshilfe-Verdienstmedaille?“

Sie hob die Augenbrauen. „So etwas gibt es tatsächlich?“

„Warst du schon immer so neunmalklug?“

„Erinnerst du dich nicht, wie ich früher war?“

„Du warst vier Klassen unter mir. Ich hab dich kaum wahrgenommen.“

„Ich fand dich damals scharf.“

Caleb schwieg verblüfft.

„Das waren bloß Schulmädchenfantasien“, sagte Mandy gelassen. „Damals kannte ich deinen wahren Charakter nicht.“

„Den kennst du heute auch nicht“, versetzte er. Doch ihre Worte lösten in ihm eine leise körperliche Regung aus. Auf einmal fand er sie scharf – nicht damals, sondern hier und jetzt. Und das komplizierte seine Situation unnötig.

„Bist du verheiratet?“, fragte er hoffnungsvoll. „Oder verlobt?“

Sie schwenkte ihre unberingte Hand vor seiner Nase.

„Gehst du mit jemandem aus?“, forschte er weiter und hoffte inständig auf ein Ja, das ihn dazu verpflichten würde, jeden Gedanken, sie nackt in den Armen zu halten, aus seinem Kopf zu verbannen.

„Warum willst du das wissen?“

„Ich wüsste gern, wen ich bemitleiden soll.“

Trotz dieses Seitenhiebs konnten beide den Blick nicht voneinander lassen, und in Mandys Augen blitzte ein Begehren auf, das nicht verglühte. Er schaffte es einfach nicht, sein aufkeimendes Verlangen zu unterdrücken.

„Ich gehe mit niemandem aus.“

Nein, er wollte sie wirklich nicht küssen. Wieso denn auch?

Sie legte herausfordernd den Kopf in den Nacken, und ihr volles dunkles Haar fiel herab wie ein Vorhang. „Ich helfe dir nur, deinen Bruder zu finden. Mach dir bloß keine falschen Hoffnungen.“

„Ich hab dich nicht um Hilfe gebeten.“ Eigentlich wollte er nur, dass sie fortging und fortblieb, damit er seine Gefühle im Zaum halten konnte.

„Du bekommst sie aber trotzdem, Nachbar.“

„Es gibt aber wirklich keinen Verdienstorden dafür.“

„Ich will ja schließlich auch, dass Reed zurückkommt.“

Caleb hatte gar kein besonderes Interesse daran, Reed zurück nach Lyndon Valley zu holen. Er wollte sich nur das Problem der Terrell-Ranch vom Hals schaffen. Und es gab mehr als einen Weg, das zu erreichen.

„Ich könnte die Ranch auch verkaufen“, bemerkte er.

Sie erstarrte und wich entsetzt vor ihm zurück. „Das kannst du doch nicht machen!“

„Und ob ich das kann!“

„Das lasse ich nicht zu.“

Ihre Drohung war lächerlich. „Und wie willst du das verhindern?“

„Ich appelliere an deine Ehre und deine moralischen Grundsätze.“

„Ich habe keine“, erwiderte er ehrlich, und gleichzeitig brandete das Verlangen nach ihr heiß in seinem Körper auf. Sicher war es in dieser Situation nicht besonders ehrenhaft, auf die Nachbarin seines Bruders scharf zu sein.

Mandy schüttelte langsam den Kopf, und ihre Zungenspitze berührte dabei die Unterlippe. „Immerhin bist du hierhergekommen, oder nicht? Du hast diese weite Reise gemacht, um Reed die Ranch zurückzugeben. All diese guten Absichten kannst du nicht leugnen, auch wenn du dich einen oder zwei Tage verspätet hast.“

Caleb zögerte. Je schneller die Angelegenheit erledigt war, desto besser, fand er. „Du meinst, wir können ihn wirklich innerhalb eines Tages oder so finden?“

„Sicher“, sagte sie vage. „Das kann doch wohl nicht so schwer sein.“

Caleb verkniff sich einen Einwand.

Warnend hob sie den Zeigefinger. „Aber ich hab dir gesagt, du sollst dir keine falschen Hoffnungen machen.“ Das Flackern in ihrem Blick verriet ihm, dass sie die Doppeldeutigkeit ihrer Bemerkung ebenso herausgehört hatte wie er.

„Du hast eine lebhafte Fantasie.“

„Und deine Miene spricht Bände. Du wärst ein schlechter Pokerspieler.“

„Zumindest würde ich nie gegen dich spielen.“

„Also gibst du zu, dass ich recht habe?“ In ihrer Miene lag ein Hauch von Triumph.

„Ich kann meine Gefühle beherrschen, wenn du das auch kannst.“

„Ich brauche keine Beherrschung.“

„Immerhin findest du mich scharf“, erinnerte er sie.

„Das war, als ich dreizehn war und minderjährig.“

„Aber jetzt bist du nicht mehr minderjährig.“

Sie zeigte mit dem Finger auf ihn, dann auf sich selbst. „Du und ich, Caleb.“

Sinnliche Vorfreude durchrieselte ihn.

Doch sie hatte ihren Satz noch nicht beendet. „Wir beide werden deinen Bruder finden, ihm seine Ranch zurückgeben und dann beide wieder unserer Wege gehen.“

Caleb unterdrückte eine absurde Enttäuschung. Was hatte er denn als Antwort erwartet?

2. KAPITEL

Nach ihrer Begegnung mit Caleb saß Mandy auf dem Verandageländer vor der Haustür der Terrell-Ranch und versuchte, nicht an die Gefühle zu denken, die jedes Mal in ihr erwachten, wenn Caleb sprach.

Und wenn er sie umarmte.

Junge, Junge! Sie fächelte sich mit ihrem weißen Stetson Luft zu, denn das zarte Kribbeln und die pulsierende Wärme in ihr, als er seinen Körper gegen ihren gepresst hatte, gingen ihr nicht aus dem Sinn. Obgleich die Brüder Zwillinge waren, hatte sie niemals auch nur etwas entfernt Vergleichbares bei einer Umarmung von Reed empfunden.

Dann hörte sie das Geräusch, auf das sie gewartet hatte. Ein Pick-up der Jacobs-Ranch kam im Eiltempo die Zufahrt herauf. Sie setzte sich den Hut wieder auf, als der Pick-up mit einem Satz über das letzte Schlagloch fuhr. Kies spritzte nach allen Seiten, als der Wagen auf den Wendeplatz einbog und mit einem Ruck zum Stehen kam. Zwei Arbeiter der Jacobs-Ranch kletterten vom Beifahrersitz und winkten Mandy auf dem Weg zur Scheune zu. Ihr Bruder Travis stieg an der Fahrerseite aus, drückte sich den abgewetzten Hut fest auf den Kopf und kam zu ihr herüber.

„Und?“, grüßte er sie mit einem Heben der Augenbrauen.

Mandy deutete mit dem Daumen zum Eingang, und in diesem Moment tauchte Caleb im Türrahmen auf.

Dank seiner langen Beine erklomm Travis die Stufen zur Veranda hinauf mit einem Schritt.

„Das wollte ich doch mit eigenen Augen sehen“, begrüßte er Caleb und musterte ihn von Kopf bis Fuß, bevor er ihm die Hand hinstreckte.

Caleb schüttelte sie, und Mandy hopste vom Geländer herunter und trat mit klackenden Stiefelabsätzen auf die beiden zu.

„Schön, dich zu sehen, Travis“, erwiderte Caleb in gemessenem Ton.

„Ich dachte schon, Seth nimmt mich auf den Arm“, sagte Travis. „Aber hier stehst du, live und in Farbe. Ein bisschen zu geschniegelt und gebügelt – aber zumindest hast du dich noch zu uns hergetraut.“

„Du hast also Bierbauch und Doppelkinn erwartet?“

„Und dazu eine käsige Gesichtsfarbe.“

„Tut mir leid, dass ich deine Erwartungen enttäuschen muss.“

Travis zuckte die Schultern. „Was hat dich zurückgebracht?“

Calebs Blick suchte Mandys.

Travis sah zwischen den beiden hin und her. „Was ist?“

Caleb zögerte, offensichtlich unschlüssig, ob er Travis verraten sollte, was in Wiltons Testament stand.

„Travis kann dichthalten“, versicherte ihm Mandy. Ihre Familie würde Caleb besser helfen können, wenn er ihnen gegenüber offen und ehrlich war.

Travis fragte ihn geradeheraus: „Was hast du angestellt?“

„Nichts“, erwiderte Caleb ruhig. „Ich will keine Probleme schaffen, sondern lösen. Aber ich kann mich noch gut erinnern, dass sich Klatsch hier wie ein Lauffeuer verbreitet.“

„Willkommen daheim“, spottete Mandy.

Caleb sah sie vorwurfsvoll an. Sein Blick war frei von jeder Anzüglichkeit, trotzdem wurde sie rot.

„Bist du zurückgekommen, um auf dem Grab deines Vaters zu tanzen?“, fragte Travis.

„Wollen wir das bei einem Bier besprechen?“, schlug Caleb vor. Er klang gar nicht verärgert über Travis’ Taktlosigkeit.

Mandy ergriff die Gelegenheit, aus Calebs Nähe zu flüchten. Sie trat ins Haus und rief den Männern über die Schulter zu: „Ich hol euch eins.“

Sie ging in die Küche und versuchte dabei, ihre kribbelnde Erregung abzuschütteln. Keine Frage, die Chemie zwischen ihr und Caleb stimmte, aber das hieß noch lange nicht, dass sie der Verlockung nachgeben musste. Sicher, er sah umwerfend aus. Dazu hatte er definitiv eine sexy Stimme und einen exquisiten Geschmack in puncto Kleidung.

Zweifellos würde er in Jeans und Westernhemd genauso gut aussehen. Bei der Umarmung hatte sie seine harten Muskeln an Brustkorb, Bauch, Schenkeln und Armen gespürt. Was immer er in den vergangenen zehn Jahren in Chicago gearbeitet hatte, ein bloßer Schreibtischhocker war er sicher nicht.

Sie überlegte fieberhaft, warum sie eigentlich in die Küche gegangen war, und nahm dann drei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank.

Als sie wieder auf die Veranda trat, hatte Caleb offenbar Travis bereits von dem Testament erzählt. Die beiden Männer hatten es sich in den Holzstühlen bequem gemacht. Mandy reichte ihnen die Bierflaschen, und dabei strichen ihre Fingerspitzen kurz über Calebs Hand. Sie wich seinem Blick aus, doch bei der Berührung zuckte etwas durch ihren Arm wie bei einem Stromstoß.

Sie zog die Hand blitzschnell zurück und setzte sich wieder auf das Verandageländer.

„Etwas Gemeineres kann man sich kaum vorstellen“, sagte Travis und öffnete seine Bierflasche.

Caleb nahm einen langen Schluck aus seiner Flasche. „Nur Wilton schafft es, uns beiden noch aus dem Grab heraus das Leben zu versauen.“

Mandy musste ihm recht geben. Offenbar hatte Calebs Vater einen weiteren Keil zwischen seine beiden Söhne treiben wollen. Der Schaden war nur durch Calebs Angebot, Reed die Ranch zu überlassen, wiedergutzumachen.

„Wie sollen wir Reed bloß finden?“, fragte sie.

„Wenn er nicht gefunden werden will“, erwiderte Travis, „haben wir keine Chance.“

„Er will sicher nicht gefunden werden“, vermutete Caleb. „Das würde heißen, er ist endlich zur Vernunft gekommen und hat diesem Ort den Rücken gekehrt.“

„Er glaubt doch, du willst ihm seine Ranch wegnehmen“, korrigierte ihn Mandy in anklagendem Tonfall.

„Und warum hat er mich dann nicht angerufen und mit mir darüber geredet? Ich stehe schließlich im Telefonbuch.“

„Wahrscheinlich dachte er, du würdest ihn nur auslachen“, meinte sie.

„Dein Vertrauen in mich ist wirklich herzerwärmend.“

Sie hatte ihn nicht kränken wollen. „Ich hab mir nur vorgestellt, was sich Reed vielleicht gedacht haben könnte. Ich persönlich meine das überhaupt nicht.“ Sie trank einen Schluck von dem kalten Gerstensaft. Bier war nicht ihr Lieblingsgetränk, aber manchmal gab es eben nichts anderes.

„Du dachtest doch auch, ich würde die Ranch behalten“, erinnerte Caleb sie.

„Aber als du gesagt hast, das hättest du nicht vor, habe ich dir geglaubt“, entgegnete sie.

„Willst du Bonuspunkte dafür?“

„Oder eine Verdienstmedaille.“ Der Scherz rutschte ihr unwillkürlich heraus.

Caleb lächelte gequält. Dann musterte er sie einen Moment nachdenklich. „Ich sollte das verdammte Ding einfach verkaufen.“

„Das wäre ein unverhoffter Geldsegen, nicht?“

„Du denkst also, ich würde das Geld für mich behalten?“

Sie schwieg betroffen, als sie seinen gekränkten Gesichtsausdruck sah. „Na ja …“

Caleb schüttelte angewidert den Kopf. „Ich würde das Geld Reed geben, Mandy.“

„Reed braucht die Ranch, nicht das Geld“, versetzte sie, um ihren Patzer zu überspielen.

„Aber warum kämpft er dann nicht darum?“

„Gute Frage“, warf Travis ein. „Ich an seiner Stelle würde mich mit Zähnen und Klauen gegen dich wehren. Verdammt, ich würde lügen, betrügen und stehlen, um mir mein Land zurückzuholen.“

„Also, wo ist er?“ Calebs Frage richtete sich an Mandy.

„Ich werde es rausfinden“, versprach sie.

Zwei Tage später war Mandy noch keinen Schritt weitergekommen. Caleb hingegen verfolgte bereits eifrig seinen Plan B. Er war zu dem Schluss gelangt, dass es für ihn das Günstigste war, vorerst auf der Ranch zu bleiben. Er hatte einen Grundstücksmakler engagiert, ein Gutachter sah sich auf der Terrell-Ranch um, und ein Fotograf machte Aufnahmen für die Website des Maklers. Und er hatte Mandy mitgeteilt, wenn Reed in den nächsten Tagen nicht auftauchte, würde die Ranch zum Verkauf angeboten.

Obwohl die Uhr tickte, versuchte Mandy, ganz gezielt vorzugehen: Sie hatte das Verlaufsprotokoll von Reeds Internetbrowser nach Hotel-Websites durchsucht, hatte noch einmal probiert, ihn auf seinem Handy zu erreichen, und hatte sogar – nur für den Fall – alle Krankenhäuser im Umkreis von dreihundert Meilen angerufen.

Um die Mittagszeit betrat sie müde, frustriert und hungrig die Küche der Terrell-Ranch und fand dort in der Gefriertruhe eine Hühnerbrust, im Kühlschrank Käse und ein halbes Glas Salsa sowie im Gemüsefach ein paar Tomaten, Paprika und Zwiebeln.

Da sie annahm, Caleb und der Gutachter würden wohl von ihrem Rundgang hungrig zurückkehren, taute sie die Hühnerbrust in der Mikrowelle auf. Dann nahm sie eine Bratpfanne, Mehl, Backfett und ein Nudelholz und knetete einen Tortillateig.

Als Caleb eine halbe Stunde später hereinkam, schnitt sie gerade die Tomaten, und die Hühnerbrust brutzelte auf dem Herd.

Da Caleb allein war, fragte sie: „Wo ist der Gutachter?“

„Auf dem Rückweg nach Lyndon.“

„Hatte er keinen Hunger?“

Caleb schnappte sich ein Stück Tomate. „Er wusste nicht, dass es etwas zu futtern gibt.“

„Du hast ihm keinen Imbiss angeboten?“ Nach Lyndon fuhr man mehr als zweieinhalb Stunden.

„Ich fand das Risiko zu groß.“

Sie sah ihn fragend an.

„Ich kann nicht kochen“, gab er zu.

„Red keinen Unsinn.“ Geschickt wendete sie die letzte Tortilla in der Pfanne. „Jeder kann kochen.“

„Ich nicht.“

Sie gab das Gemüse zum Huhn. „Das kann doch gar nicht sein. Du hast gesagt, du lebst allein. Jetzt sag bloß nicht, du hast Bedienstete.“

„Ich hab keine Bediensteten. So was hat man heutzutage in meinem Alter nicht mehr. Ich wohne in einem Wolkenkratzer im Zentrum von Chicago. Rundherum gibt es ausgezeichnete Restaurants.“

„Du gehst jeden Abend auswärts essen?“ Für sie war das unvorstellbar.

„Ich habe sehr oft Geschäftsessen“, erklärte er gelassen. „Aber die meisten Restaurants im Viertel bieten auch Gerichte zum Mitnehmen an.“

„Willst du mir erzählen, du ernährst dich hauptsächlich von Junkfood?“ Sie schnippelte weiter Tomaten. Wie schafft er es bloß, so gut in Form zu bleiben, wenn er nur Pizza und Burger und solches Zeug isst?

„Es gibt nicht nur Junkfood zum Mitnehmen.“ Er stützte sich neben ihr mit den Handflächen auf der Granitplatte ab. „Gleich bei mir um die Ecke ist André’s, und von dort kann ich mir Filet Mignon, Kartöffelchen in feiner Dillsoße und gemischten Salat mit Papaya-Dressing kommen lassen.“

Auf einmal fand Mandy ihr Tortillarezept sehr langweilig. „Du musst viel verdienen, dass du dir solche Mahlzeiten leisten kannst.“

Er schwieg eine Weile, und sie spürte, dass ihre Bemerkung taktlos gewesen war. Es ging sie nichts an, wie viel er verdiente.

„Ich habe mein Auskommen“, räumte er schließlich ein.

„Erzähl mir von deiner Arbeit.“ Sie versuchte, elegant das Thema zu wechseln. Außerdem war sie neugierig. Was war aus dem siebzehnjährigen Cowboy geworden, der mit nichts weiter als einem Highschoolabschluss nach Chicago aufgebrochen war? Sicher war ihm dort nichts in den Schoß gefallen.

„Die Firma heißt Active Equipment.“ Er schnappte sich ein weiteres Stück Tomate.

Sie drohte ihm spielerisch mit dem Gemüsemesser.

Aber er lachte nur. „Wir verkaufen schweres Gerät an Baufirmen, Erkundungs- und Versorgungsgesellschaften und auch an Rancher.“

„Also gewissermaßen wie ein Autohändler.“

„Kein Händler. Active Equipment ist ein multinationaler Konzern. Wir stellen die Gerätschaften selbst her und verkaufen sie dann.“ Blitzschnell schnappte er sich ein weiteres Tomatenstück, steckte es in den Mund und leckte sich den Saft von den Fingerspitzen.

„Bald ist nichts mehr für die Tortillas übrig“, warnte sie.

„Das riskiere ich.“

„Und was machst du in diesem Unternehmen?“

„Ich leite es.“

„Welche Abteilung?“

„Alle.“

Sie hörte auf zu schneiden. „Du leitest einen ganzen Konzern?“ Er hatte es also mit siebenundzwanzig schon bis an die Spitze eines internationalen Unternehmens geschafft. Das konnte doch wohl nicht wahr sein.

„Ja.“

„Das verstehe ich nicht ganz.“

Er lachte heiser auf. „Ich bin Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender.“

„Du bist in der Hierarchie so weit aufgestiegen?“

„Das nun nicht gerade. Man überlässt mir die Leitung, weil man keine andere Wahl hat. Das Unternehmen gehört mir.“

Mit ungläubiger Miene legte sie das Messer weg. „Dir gehört Active Equipment?“

Er nickte.

„Wie hast du denn das geschafft?“

Er zuckte die Schultern. „Mit viel Arbeit, Geschäftssinn … und einige finanzielle Risiken waren schon auch mit im Spiel.“

„Aber …“

„Warum staunst du so sehr darüber, dass ich kein Verlierer bin?“

Er schien auf eine Antwort zu warten, aber ihr fiel keine ein.

„Trotzdem muss ich zugeben, dass ich nicht kochen kann“, räumte er also mit schiefem Grinsen ein. „Vermutlich habe ich mich eher auf die Dinge konzentriert, die ich konnte, und ansonsten hab ich mich durchgewurstelt.“

„Mit Filet Mignon und Kartöffelchen. Du Armer!“ Sie behielt ihren flapsigen Ton bei, insgeheim musste sie ihm aber recht geben. Sie sollte damit aufhören, immer so erstaunt über seine guten Seiten zu sein.

„Das war nicht immer so“, versicherte er ihr, nun ernster. „Anfangs gab es wirklich nur Junkfood, ein Kellerloch als Wohnung und zwei Jobs.“

Dann richtete er sich auf und straffte die Schultern. „Aber ich wollte nie mehr hierher zurückkommen. Lieber wollte ich verhungern, als mit eingekniffenem Schwanz zu Wilton zurückzuschleichen.“

Augenblicklich galt ihr Mitgefühl dem Teenager von einst. „War es so schlimm? Hast du wirklich am Hungertuch genagt?“

Seine Haltung entspannte sich wieder. „Es bestand keine echte Lebensgefahr. Ich war jung und gesund. Die viele Arbeit tat mir gut. Und nicht einmal die ausbeuterischsten Bosse waren so schlimm wie Wilton Terrell.“

Sie gab die Tomatenstücke vom Holzbrettchen in eine Glasschüssel. „Du bist also ein echter Selfmademan.“

„Beeindruckt dich das?“

Mandy zögerte mit einer Antwort. Geld war schließlich nicht alles. „Bist du glücklich?“

„Überglücklich.“

„Hast du Freunde? Ein Privatleben? Eine Freundin?“ Sie ging zum Herd, legte die letzte Tortilla auf den Stapel und schaltete die Kochplatte aus. Er sollte nicht ihren Gesichtsausdruck sehen, wenn er von seiner Freundin erzählte.

„Keine Freundin“, sagte er hinter ihr.

„Warum nicht?“, fragte sie, ohne sich umzudrehen.

„Keine Zeit dafür vermutlich. Hab nie die Richtige getroffen.“

„Du solltest dir aber Zeit dafür nehmen.“ Sie wandte sich zu ihm um. „Und ein nettes Mädchen kennenlernen.“

Seine Miene wurde nachdenklich, und er betrachtete sie mit sichtlicher Neugier. „Und was ist mit dir? Warum hast du keinen Freund?“

„Weil ich hier in der Pampa festsitze. Wie soll ich da einen Mann kennenlernen?“

„Geh nach Denver. Kauf dir ein hübsches Kleid.“

Unwillkürlich blickte sie hinunter auf ihr schlichtes T-Shirt und die verwaschenen Jeans und wurde verlegen. „Es gefällt dir nicht, was ich anhabe?“

„Für hier ist das schön und gut, wir sind im Moment ja nicht zum Tanzen in einem Club.“

„Ich war noch nie in einem richtigen Club.“ In einer Scheune, ja gut, und im Weasel in Lyndon, aber noch nie in einem schicken Club.

„Im Ernst?“

Sie verdrehte die Augen über seinen erstaunten Tonfall. „Wo soll ich denn hier in einem Club zum Tanzen gehen?“

Er ging um die Kücheninsel herum, und seine blauen Augen strahlten förmlich, als er sagte: „Wenn wir in Chicago wären, würde ich mit dir einen ausgedehnten Einkaufsbummel machen, und dann würden wir schön zusammen ausgehen.“

„An Selbstvertrauen mangelt es dir wohl nicht, oder?“ Gleichzeitig schlug ihr Herz höher bei dem Gedanken daran, mit Caleb zu tanzen.

Er fasste sie bei der Hand und wirbelte sie herum. Dann zog er sie an sich und tanzte mit ihr einen Twostep durch die Küche. Reflexartig folgte sie seiner geschmeidigen Führung.

„Du hast definitiv Übung im Nachtleben von Chicago“, bemerkte sie.

„Stell dir einfach stimmungsvolle Beleuchtung und jede Menge Leute auf der Tanzfläche vor“, flüsterte er ihr ins Ohr.

„Und vielleicht auch eine Band?“, fragte sie. Die Wärme seines Körpers drang durch ihre Haut, und ihr Atem ging schneller und heftiger.

„Magst du Countrymusic?“, fragte er. „Blues? Jazz? Es gibt in Chicago einige fantastische Jazzclubs.“

„Ich bin ein Countrygirl“, erwiderte sie fröhlich und kämpfte darum, ihr wachsendes Verlangen zu verbergen.

„Jazz würde dir sicher auch gefallen“, schwärmte er.

Das Klingeln des Küchenweckers verkündete das Ende der Garzeit für das Huhn, und sie blieben beide stehen. Ihre Blicke trafen sich, und sie spürten beide den Atem des anderen.

Mandy konnte ahnen, was er dachte. „Nein“, sagte sie mit heiserer Stimme, obwohl sie dasselbe fühlte wie er. Sie durften diese Anziehungskraft zwischen ihnen nicht zu einem Kuss ausufern lassen.

„Doch“, entgegnete er, und seine Fingerspitzen verstärkten den Druck auf ihr Kreuz. „Aber noch nicht jetzt.“

Caleb war klar gewesen, es war nur eine Frage der Zeit, bis Maureen Jacobs, Mandys Mutter, die sprichwörtliche Gastfreundschaft des Lyndon Valley auf ihn ausdehnen würde. Er war eigentlich nicht in der Stimmung für Geselligkeit, aber eine Absage ihrer Einladung zum Abendessen hätte sie als Kränkung empfunden. Daher fuhr er den Bürocomputer der Ranch frühzeitig herunter und seufzte enttäuscht, weil die Ranch noch nicht auf der Makler-Website angeboten wurde. Dann lenkte er den Mietwagen über die Schotterstraßen zur Jacobs-Ranch.

Dort erwiderte er freundliche Umarmungen und fühlte sich zu seiner Überraschung bald ganz zu Hause. Er beobachtete Mandys tatkräftige Essensvorbereitungen vom Wohnzimmer aus. Die Jacobs hatten immer das größte Haus, die größten Weideflächen und die größte Familie im Tal gehabt. Als Kind und Teenager hatte Caleb unzählige Male hier zum Abendessen um den Familientisch gesessen. Er, Reed und Travis waren damals gute Freunde gewesen.

Er hatte Mandy noch nie bewusst beobachtet, sondern sie damals stets mit ihren beiden Schwestern in einen Topf geworfen – kleine Mädchen mit Pferdeschwänzen und abgewetzten Jeans. Nun konnte er den Blick nicht von ihr wenden, während sie zwischen der großen Wohnküche und dem Essbereich hin und her eilte und dabei mit ihrer Mutter und ihrer Schwester schwatzte, Eistee nachschenkte, prüfend nach den Gerichten auf dem Herd und im Ofen sah und dabei die letzten Handgriffe beim Decken des großen rechteckigen Tischs erledigte.

Caleb konnte sich nicht vorstellen, wie man es fertigbrachte, jeden Abend ein Abendessen für sieben Personen zu zaubern. An diesem Abend war neben Mandys beiden Brüdern, Travis und Seth, dem ältesten, noch eine ihrer beiden Schwestern da. Mandys Eltern, Hugo und Maureen, sahen um einiges älter aus, als Caleb erwartet hatte, besonders Hugo, der ihm blass und etwas wacklig auf den Beinen vorkam.

„Meine Schwester scheint dich ja sehr zu interessieren“, sagte Travis scherzend, als er sich im Sessel gegenüber von Caleb niederließ.

„Ich bewundere nur, wie gut sie hier reinpasst“, erwiderte Caleb – was nicht mal gelogen war. Tatsächlich dachte er aber auch noch eine Menge anderer Dinge, die er lieber für sich behielt.

„Das stimmt“, pflichtete Travis ihm bei, „aber das habe ich damit nicht gemeint.“

„Sie ist sehr schön“, räumte Caleb ein. Er wollte nichts abstreiten, aber auch nicht zugeben, wie sehr er sich zu Mandy hingezogen fühlte.

„Ja, das ist sie.“ Travis stellte seinen Eistee auf dem Couchtisch ab und rückte sich in dem weichen Polstersessel zurecht.

Caleb sah Mandy zu, wie sie vom Herd zur Küchentheke ging, wo ihre Mutter einen Salat zubereitete. Er beobachtete, wie die beiden über eine Bemerkung Mandys lachten. Obwohl er Travis’ Verdacht nicht weiter nähren wollte, gewann seine Neugier die Oberhand. „Waren sie und Reed je …?“

Travis schüttelte den Kopf. „Dein Bruder hat keinen richtig an sich herangelassen. Er wurde verschlossen und abweisend, nachdem du dich ohne ihn vom Acker gemacht hattest.“

Caleb spürte Ärger in sich aufsteigen. Er hatte Reed nicht im Stich gelassen, sondern seinen Bruder inständig gebeten, mit ihm zu kommen. „Nicht mein Fortgehen hat ihn so werden lassen.“

„Aber es hat es auch nicht besser gemacht.“

Caleb warf ihm einen warnenden Blick zu.

„Ich will damit nur sagen, zuerst hat er seine Mutter verloren, dann dich, und er musste dann ganz allein mit dem Jähzorn und den übertriebenen Erwartungen deines Vaters fertigwerden.“

Caleb nahm einen großen Schluck von seinem Eistee. „Er hätte mit mir kommen und Wilton hier verrotten lassen sollen.“

„Du kapierst nicht, warum er das nicht tun konnte, oder?“

„Nein.“ Caleb würde nie verstehen, warum Reed sich geweigert hatte, mit ihm zu kommen.

„Wegen deiner Mutter.“

„Ich weiß, dass er das damals als Grund angegeben hat.“ Aber Caleb hatte das nie nachvollziehen können.

Obwohl die Ranch das Vermächtnis ihrer Mutter war, hatte er sich nicht verpflichtet gefühlt, dort zu bleiben. Im Gegenteil. Für ihn und seinen Bruder barg der Ort nur schlimme Erinnerungen. Ihr Vater hatte ihre Mutter auf dieser Ranch ins Grab gebracht.

Wieder erklang fröhliches Lachen aus der Küche. Caleb verglich die lebendige Stimmung auf dieser Familienranch mit seiner eigenen ruhigen, perfekt aufgeräumten Penthousewohnung voller ultramoderner Designermöbel und kühlen Flächen aus Glas und Metall.

Als Maureen an ihrem Mann vorbeiging, strich sie ihm spontan zärtlich über die Schulter, und er erwiderte die Geste mit einem verschwörerischen Lächeln und einem kurzen Händedruck.

Auch diese Erfahrung war Caleb versagt geblieben: entspannte und liebevolle Eltern. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass seine Mutter seinen Vater jemals freiwillig berührt hätte. Und sein Vater hatte seine Frau Sasha sicher nie voller Zuneigung angesehen.

Travis beugte sich in seinem Sessel zu ihm vor. „Reed dachte, du wärst zu feige, um dazubleiben und zu kämpfen.“

Caleb erstarrte. „Zu feige?“

Mit einem Schulterzucken gab ihm Travis zu verstehen, dass er nicht seine eigene Meinung wiedergab.

„Ich habe meinen Vater gehasst“, stellte Caleb klar. „Aber ich hab nie aus Angst vor ihm gekuscht.“

Das war natürlich eine Lüge. Als Kind hatte Caleb eine Heidenangst vor seinem Vater gehabt. Wilton war unerbittlich streng und fordernd gewesen, und Prügel oder Ohrfeigen waren an der Tagesordnung. Doch mit siebzehn hatte Caleb seinen Vater um einen halben Kopf überragt, und er hätte sich zur Wehr gesetzt, wenn sein Vater versucht hätte, ihm etwas zu tun. Reed war sogar noch größer und stärker gewesen als Caleb, und Wilton hatte für ihn keine körperliche Bedrohung mehr dargestellt.

„Was meinst du, wohin Reed gegangen ist?“, fragte Travis.

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung“, erwiderte Caleb. Sein Bruder war hoffentlich glücklich dort, schließlich war es seine eigene Entscheidung gewesen, sich aus dem Staub zu machen.

Caleb hatte in den vergangen Tagen intensiv darüber nachgedacht. Es war Reeds gutes Recht, sein Leben so zu gestalten, wie er es für richtig hielt. Das Gleiche galt für ihn selbst, daher wuchs seine Überzeugung, das Richtige zu tun, wenn er die Ranch verkaufte.

Reed konnte dann mit dem Geld tun, was immer er wollte. Und derzeit war Caleb einfach nicht in der Lage, länger im Lyndon Valley zu bleiben und sich um alles zu kümmern.

Vermutlich hätte er auch einen professionellen Verwalter für die Ranch einsetzen können, aber was wäre damit gewonnen? Er selbst würde nie wieder hierher zurückkommen. Und Reed hatte durch sein Verschwinden eine Entscheidung getroffen. Hätte er irgendein Interesse daran gehabt, die Ranch zu behalten, dann hätte er unter seine Nachricht nur eine Telefonnummer schreiben müssen. Caleb hätte ihn angerufen, und sie hätten beide eine Lösung finden können.

Mandy trug eine riesige Schüssel Stampfkartoffeln zum Tisch. Sie hatte heute statt ihrer üblichen Jeans eine graue Hose und ein ärmelloses moosgrünes Oberteil an. Es betonte ihre Figur und brachte ihre Augenfarbe gut zur Geltung. In der Hose hatte sie einen knackigen Po, und ihr volles kastanienfarbenes Haar umspielte ihre feingliedrigen nackten Schultern wie ein Vorhang.

„Mir entgeht nicht, wie du meine Schwester ansiehst“, wiederholte Travis.

Caleb wandte schuldbewusst den Blick ab.

„Wenn du ihr wehtust“, fügte Travis hinzu, „dann kriegst du’s mit mir zu tun.“

„Ich hege nichts als Respekt für Mandy“, behauptete Caleb. Das stimmte zwar, aber gleichzeitig fühlte er ein immer unbändigeres Verlangen nach ihren sinnlichen Reizen.

„Wir sind hier nicht in Chicago“, warnte ihn Travis.

„Das weiß ich“, entgegnete Caleb. Außerdem galten in Chicago auch keine solchen Unsitten.

„Essen ist fertig“, verkündete Maureen.

Mandy schenkte Caleb ein breites Lächeln und wies ihn zum großen Tisch. Dann bemerkte sie offenbar Travis’ düstere Miene, und sie zog die Augenbrauen in offensichtlicher Verwirrung zusammen.

„Sie ist eine schöne, intelligente und sehr willensstarke Frau“, sagte Caleb leise zu Travis. „Du solltest dir lieber Sorgen darum machen, dass sie nicht mir wehtut.“

Travis stand auf. „Um dich mach ich mir keine so großen Sorgen. Und ich würde meine Schwester auch nicht hinter die Scheune zerren und sie mit meinen Fäusten zur Vernunft bringen.“

„Weiß sie, dass du Männer auf diese Weise einzuschüchtern versuchst?“

Bei dieser Frage zeigte sich in Travis’ Miene ein Hauch Besorgnis. Caleb versuchte sich Mandys Reaktion auf Travis’ brüderlichen Beschützerinstinkt bildhaft vorzustellen.

Er verkniff sich ein Lachen. „Wir sind also quitt.“

„Aber wehe, du benimmst dich daneben. Dann wirst du mich kennenlernen.“

„Ich werde behutsam mit Mandy umgehen“, versprach Caleb.

Mandy sollte sich ihre eigene Meinung über ihn bilden. Schließlich war sie eine erwachsene Frau, und wenn sie ihm einen Kuss anbot, dann würde er nicht Nein sagen. Wenn sie mehr anbot … nun ja, vermutlich würde er nicht lange genug hier sein, bis so etwas passierte. Es hatte also keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Er setzte sich bewusst auf den Platz gegenüber von Mandy statt neben sie. Travis brummte zustimmend. Während die Gerichte herumgereicht wurden, entspann sich eine lebhafte Unterhaltung.

„Ich kann nicht erkennen, dass da irgendwelche widerstreitenden Interessen bestehen“, sagte Mandys Schwester Abigail gerade. „Entscheidend ist nur, dass so viele Rancher wie möglich zum ersten Treffen kommen.“

„Wir brauchen eine einheitliche Linie“, warf Hugo ein und nahm sich eine Scheibe Roastbeef von der Platte, bevor er sie an Travis weiterreichte. „Mir kommt es verdächtig vor, dass man die Prüfung fünf Jahre früher ansetzt als sonst.“

„Die Gesetzgebung sieht irgendwann zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahren eine Überprüfung der Wassernutzung vor“, erwiderte Abigail. „Theoretisch sind sie nicht zu früh dran.“

Seth, der älteste Bruder, nahm sich ein Brötchen. „Wann hat die Regierung von Colorado jemals etwas zum frühestmöglichen Zeitpunkt getan? Dad hat recht, da steckt irgendwas dahinter, was sie uns nicht sagen.“

„Du solltest Caleb erklären, worum es geht“, schlug Mandy vor.

„Das ist auch für dich wichtig“, sagte Travis, und Caleb wartete auf seine Erläuterung.

„Jede Verringerung unserer Wasserlizenzen senkt den Wert des Weidelandes.“

„Wen kümmert schon der Wertverlust?“, wandte Seth ein. „Vor allem die Weidedichte würde dadurch beeinträchtigt. Die Stevensons zum Beispiel haben nirgends auf ihrem Weideland einen Zugang zum Fluss. Ein paar kleine Bäche, aber ansonsten sind sie auf ihre Quellen angewiesen.“

„Seth“, tadelte ihn Maureen. „Hat dich irgendjemand gebeten, beim Abendessen Volksreden zu halten?“

Seth presste einen Moment verärgert die Lippen zusammen, doch dann senkte er den Blick. „Schon gut, Mom.“

Maureens Lippen verzogen sich zu einem freundlichen Lächeln. „Nun, Caleb. Wie lange hast du vor, in Lyndon zu bleiben?“

Caleb schluckte einen Mundvoll Kartoffeln mit der besten Bratensoße, die er je gekostet hatte. „Ein paar Tage. Vielleicht eine Woche.“

„Wir finden es schade, dass du die Beerdigung verpasst hast.“ Maureens Ton war neutral, aber er konnte einen leisen Vorwurf heraushören. Ein Blick in Mandys Gesicht bestätigte ihm seine Vermutung.

„Ich hatte berufliche Verpflichtungen“, sagte er.

„Wusstet ihr, dass Caleb seine eigene Firma in Chicago hat?“, fragte Mandy.

Caleb war froh über den Themenwechsel und dankte Mandy im Stillen. Die Jacobs würden noch früh genug herausfinden, dass er die Terrell-Ranch verkaufen wollte. Bald würden alle von Wiltons Testament erfahren. Aber er wollte die unvermeidlichen Fragen lieber noch ein wenig hinausschieben.

„Active Equipment“, erläuterte er. „Schwere Geräte. Wir sind in Asien und Kanada auf dem Vormarsch und hoffen, auch bald auf dem südamerikanischen Markt präsent zu sein.“

„Das klingt wunderbar, Caleb“, bemerkte Maureen, dann huschte ihr Blick von einem Teller zum anderen, ob noch jemand Nachschlag brauchte.

„Active Equipment?“, fragte Hugo interessiert. „Ist das diese Firma, die Schaufellader und Bagger herstellt?“

„Ja“, bestätigte Caleb.

„Hm, da kannst du mir ja sicher Rabatt einräumen?“

Maureen sah ihren Mann tadelnd an. Travis lachte, und Mandys Augen blitzten amüsiert auf.

„Kein Problem“, erwiderte Caleb. Er konnte den Blick nicht von Mandy wenden. Ihre Augen funkelten im Licht der Esstischlampe wie Smaragde, und er hatte noch nie Lippen gesehen, die er lieber geküsst hätte. „Du musst mir nur sagen, was du brauchst.“

„Seth und ich stellen dir eine Liste zusammen“, sagte Hugo.

„Freut mich, wenn ich helfen kann“, erwiderte Caleb.

Mandys Wimpern senkten sich einen Moment, und sie fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Caleb wagte nicht, zu Travis hinüberzusehen.

3. KAPITEL

Mandy starrte die große, elegante brünette Frau überrascht an, die auf der Eingangsveranda der Terrell-Ranch stand. Sie trug ein schickes taupefarbenes Jackett mit schwarzer Paspelierung am Kragen sowie an Schößchen und Ziertaschen, dazu einen passenden, gerade geschnittenen Rock. Ihr hauchzartes schwarzes Top war am Ausschnitt mit Spitze besetzt, und die schwarzen High Heels hatten an den Seiten geflochtene Einsätze.

Große Ohrhänger aus einem Kupfergeflecht mit geometrischem Muster baumelten unter einem modischen Kurzhaarschnitt hervor. Ihr Make-up war dezent: korallenfarbene Lippen, dichte schwarze Wimpern, gezupfte Augenbrauen und ein Hauch dunkler Lidschatten, der ihre kastanienbraunen Augen betonte. Unter den einen Arm hatte sie sich ihre schwarze, strassbesetzte Handtasche geklemmt, und in der anderen Hand trug sie eine lederne Aktenmappe.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte Mandy.

„Ich möchte zu Caleb Terrell.“ Die Stimme der Frau klang kühl und geschäftsmäßig.

„Er ist leider im Augenblick nicht da.“

Sichtlich ungeduldig presste die Frau die Lippen zusammen.

„Erwartet er Sie?“, fragte Mandy gleichermaßen verwirrt und neugierig.

Ich habe ihn erwartet. Schon vor zwei Tagen in Chicago.“ Die Unbekannte stand eindeutig in so enger Beziehung zu Caleb, dass sie Erwartungen an ihn hatte, und sie hielt sich nicht zurück, ihre Enttäuschung zu äußern, falls er sie nicht erfüllte.

Eine Freundin? Seine Geliebte? Er hat gesagt, er hätte keine, aber der Gegenbeweis steht direkt hier vor mir, dachte Mandy.

„Möchten Sie nicht hereinkommen?“, bot sie an, als sie sich wieder an ihre guten Manieren erinnerte. Calebs Privatleben ging sie schließlich nichts an. „Er muss jeden Moment zurückkommen.“

Gut, er hatte einige flirtende Bemerkungen in ihre Gespräche eingestreut, aber nur ganz harmlose. Er hatte sie noch nicht einmal geküsst. Sie hatte definitiv nichts davon ernst genommen.

Die Frau lächelte und streckte ihr eine perfekt manikürte Hand hin. „Verzeihen Sie. Ich heiße Danielle Marin.“

Mandy zögerte nur einen Moment, dann reichte sie ihr ihre braun gebrannte, leicht schwielige Hand mit kurz geschnittenen Fingernägeln.

Insgeheim wünschte sie sich, sie hätte etwas anderes an als die schlichte Baumwollbluse und Jeans. Aber wenigstens hatte die Bluse am Kragen eine Stickerei, und an ihren Stiefeln klebte kein Kuhmist.

„Mandy Jacobs“, stellte sie sich vor. „Ich bin … ähm … ich helfe hier auf der Ranch aus.“

„Da freut sich Caleb sicher.“ Danielle trat kopfschüttelnd ein. „Aber ich muss sagen, diese ganze Situation wird langsam lächerlich.“

Mandy schloss die Tür hinter ihnen. „Wenn wir Reed finden, wird sich alles klären.“

„Gibt es bei der Suche nach ihm Fortschritte?“, fragte Danielle. „Caleb sagte mir, dass Sie sich hauptsächlich darum kümmern.“

Mandy wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie wollte einer Fremden keine Details weitergeben, konnte allerdings Danielle auch nicht nach ihrer Beziehung zu Caleb fragen, ohne unhöflich zu sein.

Danielle schlenderte unbefangen ins Wohnzimmer. „Ich nehme an, Sie haben die Hotels, in denen er üblicherweise absteigt, schon überprüft?“

Mandy folgte ihr. „Reed verreist nicht oft. Aber ich habe in allen Hotels, Krankenhäusern und Polizeistationen im Umkreis bis Fort Collins nachgefragt.“

„Auch die Mietwagenfirmen?“

„Er hat den Truck der Ranch mitgenommen.“

Danielle nickte. „Haben Sie versucht herauszubekommen, wo er mit seiner Kreditkarte bezahlt hat?“

Mandy fragte sich, ob Danielle scherzte. Nach ihrer Miene zu urteilen meinte sie es allerdings durchaus ernst.

„Ich habe keine Ahnung, wie man das macht“, erwiderte Mandy gedehnt. War so etwas überhaupt legal?

„Ich hätte da ein paar Kontakte …“ Danielle blieb vage.

Mandy schwieg. Wollte Danielle sie etwa zu einem Gesetzesverstoß anstiften?

Die Eingangstür ging auf, und man hörte Stiefelschritte. Mandy spähte um die Ecke. Gott sei Dank, es war Caleb.

Auf dem Weg durch den Korridor sah er sie fragend an. Dann blieb er beim Blick ins Wohnzimmer abrupt stehen. „Danielle?“

„Ja“, erwiderte sie knapp und trat auf ihn zu.

„Was um alles in der Welt machst du hier in Colorado?“

„Was um alles in der Welt machst du immer noch hier in Colorado?“

„Ich hab dir doch gesagt, es würde ein paar Tage dauern“, entgegnete er.

„Das war vor ein paar Tagen.“

„Vor zwei Tagen.“

„Willst du, dass unsere Verhandlungen in Brasilien platzen?“, fragte sie vorwurfsvoll.

Mandy verdrückte sich in die Küche, um bei der privaten Unterredung nicht zu stören. Eins war klar, wenn Caleb ständig mit anderen Frauen flirtete, dann war seine Beziehung zu Danielle definitiv zum Scheitern verurteilt.

„Wir müssen am Sechzehnten in São Paulo sein.“ Mandy hörte Danielles Stimme bis in die Küche. „Wir haben eine Zusage gemacht. Und es gibt für solche Geschäfte keine Rücktrittskostenversicherung, Caleb.“

„Hältst du mich etwa für so leichtsinnig?“, fragte Caleb.

Mandy spitzte trotz schlechten Gewissens die Ohren.

„Du meinst, abgesehen von deinem Umzug hierher nach Colorado?“

„Ich bin nicht hierher umgezogen.“

Einen Moment herrschte Schweigen.

„Du musst zurückkommen, Caleb“, sagte Danielle dann eindringlich.

„Ich kann noch nicht weg hier.“

„Du hast gesagt, du würdest verkaufen.“

„Ich werde auch verkaufen.“

Mandy musste sich mühsam verkneifen, zu protestieren. Seit Jahren hatte sie davon geträumt, die beiden Brüder würden sich wieder versöhnen, und jetzt wäre die Gelegenheit so günstig. Was auch immer zwischen den beiden stand, sie war fest davon überzeugt, dass sie sich liebten. Sie hatten außer einander ja keine Familie mehr.

„Du kannst dich um die Kaufangebote auch von Chicago aus kümmern“, wandte Danielle ein.

„Und wer führt bis dahin die Ranch?“

„Was ist denn mit dieser Mandy?“

„Sie tut mir schon einen großen Gefallen, indem sie einfach nur da ist.“ Ein weiteres Schweigen folgte. „Mandy“, rief Caleb, „wo bist du?“

„In der Küche“, rief sie zurück und machte sich rasch an der Theke zu schaffen. „Wollt ihr beiden einen Kaffee?“

„Du musst uns keinen Kaffee kochen“, rief Caleb zurück.

„Das mach ich doch gern.“

Sie hörte seine Schritte hinter sich, drehte sich aber nicht um. „Du und deine Freundin, ihr solltet euch hinsetzen und …“

„Meine Freundin?“

„… alles in Ruhe besprechen“, beendete Mandy ihren Satz. „Aber ich finde wirklich, du solltest noch etwas abwarten, bevor du verkaufst, Caleb. Ich kenne Reed …“

Caleb legte seine Hand auf ihren Oberarm und drehte sie zu sich herum. „Sie ist nicht meine Freundin.“

„Oh.“ Aber was tut sie dann hier, dachte Mandy. Warum machen sie Pläne für einen Urlaub in Brasilien?

„Sie ist meine Finanzanwältin.“

„Klar.“ Was auch immer. Das hieß ja nicht, dass sie nichts miteinander hatten.

Er senkte seine Stimme noch weiter. „Und warum hast du sofort daraus geschlossen, dass wir zusammen sind?“

„Weil sie eine tolle Frau ist“, bot Mandy als Antwort an und zählte dann weiter an ihren Fingern auf: „Weil sie hierhergekommen ist. Weil sie dir gerade gesagt hat, wenn du nicht nach Chicago zurückkommst, dann funktioniert es zwischen euch nicht mehr.“

Caleb flüsterte seine Antwort: „Und was meinst du, was war das dann mit dir?“

Sie überlegte kurz, weil sie sich wirklich nicht sicher war, was zum Teufel er mit ihr vorgehabt hatte. „Das war ein harmloser Flirt. Ich dachte, du meinst es nicht wirklich so …“

„Ich meinte es so.“

„Es wäre toll, wenn ich einen Kaffee bekommen könnte“, tönte Danielles missmutige Stimme vom Kücheneingang her.

„Kommt gleich.“ Mandy wandte sich hastig von Caleb ab.

„Sie glaubt, dass du und ich zusammen sind“, sagte Caleb in erklärendem Ton zu Danielle.

Danielle antwortete mit einem melodischen Lachen. „Als ob du lange genug still sitzen könntest, um mit mir zusammen zu sein.“

„Siehst du?“, sagte Caleb an Mandy gewandt.

„Ich baue für ihn eine Firma in Brasilien auf“, erklärte Danielle. „Habt ihr hier zufällig einen Internetanschluss? Und einen Scanner?“

„Im Arbeitszimmer“, antwortete Caleb. „Die Treppe hoch, erste Tür rechts.“

Als Mandy sich umdrehte, einen Becher mit Kaffee in jeder Hand, war Danielle schon gegangen.

Caleb stand vor dem Tisch in der Frühstücksecke. „Ich bin nicht mit ihr zusammen.“

„Hab ich kapiert.“ Mandy ignorierte die Untertöne ihres vertraulichen Geplänkels. „Brasilien?“

„Das ist ein riesiger Wachstumsmarkt.“

Sie stellte die beiden Becher auf dem Tisch ab. „Bist du etwa so was wie ein Milliardär?“

„Das hab ich noch nie exakt nachgerechnet.“

„Aber es könnte sein?“ Kein Wunder, dachte sie, dass er dann ohne groß zu überlegen die Ranch aufgeben kann. Er ist wohl doch nicht ganz so uneigennützig, wie er vorgibt.

„Der Nettowert eines Unternehmens spielt keine Rolle. Das ganze Geld steckt im Geschäft. Selbst wenn man den Wert ermitteln wollte, müsste man sich monatelang durch Zahlungsverpflichtungen, Warenbestände, Guthaben und Verbindlichkeiten wühlen, um ein Ergebnis zu bekommen. Und kaum hat man es ermittelt, stimmt es schon nicht mehr.“

„Aber das Geld von der Ranch brauchst du nicht“, stellte Mandy fest.

Caleb seufzte tief. „Ich werde Reed das Geld geben, denn er hat es sich verdient.“ Calebs Hände verkrampften sich um die Stuhllehne. „Weiß Gott, er hat es sich wirklich schwer verdient.“

„Dann verkauf die Ranch nicht.“

„Ich kann nicht hierbleiben und sie bewirtschaften.“

Mandy versuchte, gelassen zu bleiben, aber ihr drängender Unterton verriet ihr Engagement. „Reed will nicht das Geld. Er will die Ranch.“

„Aber warum zum Teufel ist er dann nicht hier?“

„Er schmollt.“

Caleb lachte bitter auf. „Zumindest damit hast du ins Schwarze getroffen. Er versteckt sich irgendwo und suhlt sich in dem selbstgerechten Zorn, dass ich ihn um sein Erbe bringen will. Toll!“

„Reed vertraut kaum jemandem. Und du bist ja auch schon lange fort.“

„Als ich gegangen bin, hab ich ihn angefleht, mit mir zu kommen“, stellte Caleb klar.

„Nun, das hat er nicht getan. Aber du hast jetzt die Wahl. Du kannst die Dinge zum Guten oder zum Schlechten wenden.“

„Auch Reed hatte neulich die Wahl.“ Calebs Stimme klang unversöhnlich. „Er hätte dableiben können.“

„Er wird zurückkommen.“

Caleb schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Außerdem fährt er sowieso besser damit, wenn er das Geld nimmt. Dann kann er gehen, wohin er will, und das tun, was immer er will. Er wird sich von diesem Ort hier für immer freimachen können.“

„Wenn er hätte frei sein wollen“, wandte sie ein, „dann wäre er damals mit dir fortgegangen.“

Calebs Augen verengten sich. „Warum willst du unbedingt, dass er hierher zurückkommt?“

Mandy war sich nicht sicher, wie sie die Frage beantworten sollte. Sie wollte nur, dass sich Caleb und Reed versöhnten. Sie wollte, dass die Ranch im Besitz der Terrells blieb – für Reeds Kinder und Sashas Enkel. Reed hatte zehn Jahre seines Lebens dafür geopfert, um sein Erbe zu schützen. Caleb hatte kein Recht, es hinter seinem Rücken zu verkaufen.

Caleb sah zu, wie das letzte der Dutzend Blätter im Faxgerät der Ranch verschwand. Das Piepen des Geräts zeigte an, dass die Seiten erfolgreich beim Makler in Lyndon angekommen waren.

„Du hast es also wirklich getan?“, fragte Mandy mit anklagender Stimme von der Tür aus. Draußen war es bereits dunkel. Danielle hatte sich vor einer halben Stunde ins Gästezimmer zurückgezogen, und Caleb hatte gedacht, Mandy wäre schon fort.

„Die Terrell-Ranch steht nun offiziell zum Verkauf“, erwiderte er und nahm die Seiten aus dem Faxgerät.

„Du machst einen Fehler“, sagte Mandy.

„Das ist meine Sache.“

Sie trat ins Zimmer. „Hast du schon mal darüber nachgedacht, warum er das getan hat?“

„Reed oder Wilton?“

„Dein Vater.“

Caleb nickte. „Ja. Etwa sechsunddreißig Stunden am Stück, nachdem ich es von meiner Anwaltskanzlei erfahren hatte. Ich hab danach ein halbes Dutzend Mal versucht, Reed anzurufen. Dachte, er könne mir das erklären. Aber er hat nicht zurückgerufen. Irgendwann war seine Mailbox voll, und ich hab’s aufgegeben.“

„Danielles Anwaltskanzlei?“

„Nein, eine andere.“ Caleb lehnte sich gegen den Schreibtisch. „Ich dachte, vielleicht hatten Reed und mein Vater einen Streit, und Wilton wollte sich rächen, indem er die Ranch mir vermachte.“

„Die haben sich doch tausend Mal gestritten.“

Caleb lachte bitter auf. „Wilton hat auch mit mir ständig gestritten. Meinem Vater konnte man einfach nichts recht machen. Schaufelte man den Mist nach rechts, wollte er ihn links haben. Hast du das Pferd von vorn gestriegelt, hättest du von hinten anfangen sollen …“ Er brach ab. Schon beim Reden darüber drehte sich ihm der Magen um. Wie zum Teufel Reed das weitere zehn Jahre hatte aushalten können, ging Caleb nicht in den Kopf. Der Junge hatte dafür eine Medaille verdient.

„Ich vermute mal“, sagte Mandy und kam einen Schritt weiter in das spärlich beleuchtete Zimmer, „als du weg warst, hat dein Vater vergessen, dass du so ein Versager warst.“ Ihr Lächeln nahm ihren Worten die Schärfe.

„Während Reed hier war und weiter in seinen Augen alles falsch machte?“

„Hast du eine bessere Erklärung?“

„Vielleicht hat er bei Google meine Firma gefunden und erkannt, dass ich doch nicht so ein Idiot bin?“ Schon während er es sagte, wusste Caleb, dass das unmöglich war. Seit er erwachsen war, hatte er sich davor gehütet, seinem Vater imponieren zu wollen. Das hätte nur bittere Enttäuschung bedeutet.

Mandy setzte sich in die Fensternische. Im Licht der Hoflampen sah man nur ihre Silhouette. „Ich finde, du bist kein Idiot.“

„Wie nett von dir.“

„Reed ist auch kein Idiot.“

„Da bin ich mir nicht so sicher.“

Sie stellte ihre Füße auf der Fensterbank auf, und er sah, dass sie verspielte himmelblaue und rosafarbene Ringelsöckchen trug. Das überraschte ihn. Es machte sie irgendwie jünger, verletzlicher.

„Ich verstehe nicht, warum du es so eilig hast, zu verkaufen“, sagte sie.

„Das kommt daher, dass du im Lyndon Valley und nicht in Chicago wohnst.“

„Übereilte Entscheidungen sind also in Chicago zwingend notwendig?“

Er setzte sich ans andere Ende der Fensterbank. „Ich hatte zwei Wochen Zeit, darüber nachzudenken.“

„Reed hatte zehn Jahre Zeit.“

„In gewisser Weise ich auch.“

Mandy strich sich das Haar aus dem Gesicht. Sein begehrlicher Blick folgte jeder ihrer Bewegungen.

„Hast du dir je gewünscht, du wärst geblieben?“, fragte sie ihn.

Er zögerte. Damals hatte er sich monatelang mit Selbstvorwürfen geplagt, er hätte Reed im Stich gelassen. Aber der eigentliche Schuldige war sein Vater gewesen. „Mein Vater hat meine Mutter auf dem Gewissen“, sagte Caleb leise. „Ich konnte ihm das niemals verzeihen.“

„Sie ist an Lungenentzündung gestorben.“

„Weil sie keine ärztliche Behandlung bekam. Sie hatte Angst davor, ihm zu sagen, dass sie krank ist. Er hätte ihr nur wieder Schwäche und Wehleidigkeit vorgeworfen.“

„Ich hab dich nie für schwach gehalten.“

„Das bin ich auch nicht“, versetzte er wütend, bevor er erkannte, dass sich sein Zorn gar nicht gegen Mandy richtete.

Sie warf ihr Haar zurück. „Reed war nicht schwach. Trotzdem ist er geblieben.“

„Er hat sich irgendeinen Grund fürs Bleiben eingeredet.“

Reed hatte behauptet, er wolle das Erbe seiner Mutter schützen, da die Hälfte der Ranch ihrer Familie gehört hatte. Was im Nachhinein betrachtet wohl der Grund dafür gewesen war, dass Wilton sie geheiratet hatte.

„Sie war zwanzig Jahre jünger als er“, sagte Caleb. „Hast du das gewusst?“

„Dass sie jünger war, wusste ich, aber nicht, dass der Altersunterschied so groß war. Ich weiß nur, dass ich sie immer sehr schön fand.“ Mandys Stimme klang jetzt nachdenklich. „Ich erinnere mich, dass ich mir gewünscht habe, ich würde auch einmal so schön werden.“

„Du bist so schön“, sagte Caleb mit Nachdruck.

Mandy lachte. „Nein, keineswegs.“ Sie streckte ihm ihre Handflächen hin. „Überall Schwielen. Danielle hat perfekt manikürte Hände, und meine sind ganz rau vom Arbeiten. Nicht mal die Fingernägel sind makellos sauber.“

„Danielle musste auch noch nie Pferde striegeln.“

„Ich meine es ernst.“

„Sie führt ein vollkommen anderes Leben als du.“

Mandy verzog das Gesicht. „Sie geht auf Partys, und ich miste Ställe aus?“

„In ihrer Welt dreht sich alles ums Image. Bei dir geht es um die praktischen Dinge des Lebens.“

„Ich bin einfach nur ein kräftiges kleines Arbeitspferd, stimmt’s?“, schnappte sie.

„Suhlst du dich jetzt in Selbstmitleid, Mandy Jacobs?“

Sie verstummte und sah ihn wütend an.

Caleb rückte ein Stück näher und unterdrückte ein amüsiertes Lächeln. „Du bist doch nicht etwa eifersüchtig auf Danielle?“

Mandy warf trotzig ihr Haar zurück. „Eifersüchtig auf eine umwerfend schöne, elegante, intelligente erfolgreiche Anwältin, die nach Rio fliegen …“

„São Paulo“, korrigierte Caleb und genoss das Aufflackern von zorniger Widerspenstigkeit in Mandys Augen.

„Beides liegt in Brasilien.“

„Es ist ein großes Land. Die eine Stadt hat einen tollen Strand, die andere ist voller Wolkenkratzer, Banken und Konferenzsäle.“ Er unterdrückte das Verlangen, sie zu berühren. „Aber ich würde dich nach Rio mitnehmen, wenn du unbedingt dorthin willst.“

Sie legte den Kopf schief. „Du würdest mich nach Rio mitnehmen?“

„Ja, klar.“ Er strich ihr mutig mit dem Zeigefinger über den Handrücken. „Wir würden uns schön anziehen, in einen schicken Club zum Tanzen gehen und Cocktails am Strand trinken. Wenn du willst, könntest du dir sogar eine Maniküre machen lassen.“

„Flirtest du etwa mit mir?“

Er sah ihr in die Augen. „Absolut.“

„In deinem Leben gibt es Frauen wie Danielle, und du flirtest mit mir?“

„Ja.“

„Warum?“

Caleb überlegte einen Augenblick, bevor er antwortete. Doch dann fiel ihm ein, dass er in Colorado war. Hierzulande sagten die Leute geradeheraus, was sie dachten. Und er schuldete Mandy dieselbe Ehrlichkeit, die sie ihm gegenüber bewies.

„Weil du echt bist“, sagte er. „Du bist nicht irgendein Kunstprodukt, das gezielt gestylt ist, um die männlichen Instinkte anzusprechen. Wenn du lachst, dann, weil du glücklich bist, wenn du streitest, dann, weil du deine Meinung vertrittst. Und wenn du die Augen niederschlägst, dann, weil du dich zu mir hingezogen fühlst, und nicht weil du tagelang den perfekten Blick geübt hast, der einem Mann vorgaukelt, du interessiertest dich für ihn.“

„Ich bin nicht interessiert an dir.“

„Das bist du sehr wohl.“ Er strich ihr eine Locke hinters Ohr. „Das finde ich so erstaunlich an dir. Deine Körpersprache lügt nicht.“

„Und wenn ich dir in meiner Körpersprache eine Ohrfeige gebe?“

„Dann passiert das hoffentlich, weil ich etwas getan habe, wofür ich sie verdiene.“

„Du bist unmöglich.“ Aber ihre Stimme klang kein bisschen ärgerlich. Ihre Pupillen waren geweitet, und ihre rosigen Lippen waren weich und leicht geöffnet.

„Du hast doch eigentlich gar nichts gegen mich“, erklärte er.

Sie gab keine Antwort. Ihre Atemzüge wurden tiefer, und ihre Wangen röteten sich. Er beugte sich weiter zu ihr vor. Dann nahm er ihr Gesicht zwischen seine Hände. Ihre Haut fühlte sich samtig weich an. Sein Herz schlug schneller, und das Verlangen erwachte tief in ihm mit einem warmen Kribbeln.

Er neigte den Kopf, und seine Lippen öffneten sich, gespannt darauf, sie zu schmecken. Er hatte sie bisher noch nicht ein einziges Mal geküsst, doch nun flammte das Verlangen in ihm mit Urgewalt auf.

Sie seufzte tief, und ihre Lider schlossen sich.

Caleb konnte die Zeichen der Leidenschaft durchaus deuten, er wusste, wann er aufhören und wann er weitermachen sollte – und hier standen die Zeichen eindeutig auf Weitermachen. Mandy neigte den Kopf und schmiegte die Wange an seine Handfläche. Er näherte sich ihr weiter, und ihr süßer Atem strich über sein Gesicht, bevor einen Moment später seine Lippen ihre berührten.

In seiner Brust explodierte unbezähmbare Begierde. Es hatte ein sanfter Kuss werden sollen, aber die lodernde Leidenschaft trieb ihn zu mehr.

Er hatte gewusst, sie würde gut schmecken, wie Nektar, dennoch packte ihn ein Wirbelsturm ungestümer Lust. Er schlang die Arme um sie, und sein ganzer Körper stand schlagartig unter Hochspannung.

Er öffnete den Mund weiter, und sein Kuss wurde drängender. Sie seufzte auf und ließ ihn gewähren. Ihre kleine Zunge rang mit seiner, und seine breite Handfläche suchte sich den Weg von ihrer Taille zur Hüfte und wieder hinauf zur Brust.

Er veränderte seine Haltung, zog Mandy auf seinen Schoß, ohne den Kuss zu unterbrechen, und spürte ihren runden, festen Po. Mit bebenden Fingerspitzen strich er ihr seidiges Haar zurück, und ihre kleinen Hände hielten seine Schultern fest umklammert. Er spürte, wie sich ihre vollen Brüste aufreizend an seinen Oberkörper drängten.

Am liebsten hätte er ihr die Kleider heruntergerissen, sie auf die Kissen oder auf den Boden gedrückt und ihren Körper erkundet, bis die Lust ihnen jeden klaren Gedanken geraubt hätte. Er wusste, dass er das nicht tun durfte, spürte, wie er die Kontrolle verlor und dass er in die Realität zurückkehren musste, bevor die Leidenschaft sie beide völlig überwältigte.

Doch dann ließ sie die Hände an seiner Brust hinuntergleiten, und alle guten Vorsätze waren dahin. Sie öffnete die Knöpfe seines Baumwollhemds, und ihre Handflächen brannten auf seiner nackten Haut.

Seine Hand umschloss eine ihrer Brüste, und er spürte durch den Blusenstoff die weiche Rundung ihres Busens und das süße Gewicht. Sein Kuss wurde noch intensiver, seine Zunge drang tiefer vor, und er ließ Mandy die ganze Glut seines Verlangens spüren. Ihre Küsse wanderten sein Kinn und seinen Hals hinunter, über seinen muskulösen Oberkörper, und er stöhnte auf, als ihre Lippen eine Brustwarze berührten.

„Wir müssen aufhören“, keuchte er, vergrub aber dennoch das Gesicht in ihrem duftenden Haar und hoffte inständig, sie würde weitermachen.

Sie hielt inne, und ihr Atem strich kühl über eine feuchte Stelle auf seiner Brust.

Schweigend hielten sie sich eine Weile fest, und Caleb versuchte erfolglos, seine Lust unter Kontrolle zu bringen.

„Tut mir leid“, flüsterte sie, und ihre Lippen wanderten sanft über seine Haut.

„Das glaub ich nicht“, keuchte er. Dennoch löste er sich widerstrebend von ihr, hob sanft ihr Kinn an und sah die Leidenschaft in ihren Augen. „Noch nie hab ich …“

Das Handy in der Tasche ihrer Jeans summte, und beide zuckten zusammen.

„… jemals“, fuhr er fort und versuchte ihren Blick zu halten, um den Moment nicht zu zerstören.

Wieder summte das Handy.

„Schicksal!“, seufzte sie und schien schon fast wieder normal.

„So würde ich es nicht nennen“, stöhnte er.

Sie glitt von seinem Schoß und angelte in ihrer Jeans nach dem Handy.

„Abigail“, verkündete sie nach einem Blick aufs Display und nahm das Gespräch an. „Hallo, Abby.“

Caleb konnte nicht fassen, dass sie so gefasst klang. Das würde ihm nicht gelingen, denn das Begehren pulsierte noch immer heftig durch seinen Körper. Er bräuchte noch eine ganze Weile, bis sich sein Atem wieder beruhigt hätte.

„Wann?“, fragte Mandy entsetzt ins Handy.

Ihr Blick traf sich mit Calebs, ihre Pupillen weiteten sich vor Schreck, und sie schwankte. „Ich komme gleich …“

Er sprang auf und stützte sie.

„Wo?“, fragte sie heiser und griff nach seinem Arm. „Ja. Natürlich.“ Sie nickte zustimmend. „Ja, klar.“

Sie hörte wieder zu und packte dabei seinen Arm fester. „Ja, ich komme. Bis gleich“, schloss sie flüsternd und ließ den Arm mit dem Handy sinken.

„Was ist?“, fragte Caleb, und sein Magen krampfte sich zusammen. Irgendetwas Schreckliches war passiert.

„Mein Dad“, stammelte sie mit Tränen in den Augen. „Es war wohl ein Schlaganfall.“

„Ist er …“ Caleb konnte den Satz nicht beenden.

„Der Rettungshubschrauber ist auf dem Weg.“

„Wie schlimm ist es?“

„Lähmungen, Probleme beim Sprechen, Verwirrtheit.“ Sie löste sich von Caleb. „Ich muss nach Hause.“

„Ich fahr dich.“

„Nein, ich kann selber …“

„Ich fahre dich.“ Auf keinen Fall würde er sie jetzt allein in der Dunkelheit nach Hause rasen lassen.

4. KAPITEL

Alle Lichter brannten, als Mandy und Caleb vor der Jacobs-Ranch vorfuhren. Calebs gemieteter SUV war kaum zum Stehen gekommen, da riss Mandy schon die Tür auf und rannte zum Haus.

Im Wohnzimmer sah sie Seth, der mit tief besorgtem Gesicht auf dem Sofa saß und ihrer Mutter die Hand hielt. Ihre Schwester Abby tippte wie wild auf dem Computer, und Travis ging im Zimmer auf und ab, sichtlich unzufrieden, dass er nichts Hilfreiches tun konnte.

„Mom.“ Mandy eilte zu Maureen und schlang ihr die Arme um die Schultern. Maureens Gesicht war blass mit rot geränderten Augen und eingefallenen Wangen.

„Der Helikopter ist vor etwa fünf Minuten abgeflogen“, sagte Seth.

„Sie sagten, es sei nicht genug Platz darin für Mom.“ Travis klang wütend.

Mandy hörte Caleb ins Haus kommen und hinter sich ins Wohnzimmer treten, aber sie drehte sich nicht um. Sie fühlte sich schuldig, dass sie ihn attraktiv fand, schuldig, dass sie ihn geküsst hatte, und zutiefst schuldig, dass sie ihn leidenschaftlich umarmt hatte, während das mit ihrem Vater passiert war.

„Ich versuche, ihr ein Flugticket für morgen früh zu buchen“, warf Abigail ein.

„Sie fliegen ihn direkt nach Denver“, erklärte Travis. „Dort gibt es Spezialisten und die beste Intensivstation für Schlaganfallpatienten.“

„Das klingt gut“, sagte Mandy zu ihrer Mutter und strich ihr beruhigend über die Schulter.

„Verdammt. Die Verbindung ist wieder abgebrochen“, schimpfte Abigail.

„Mein Firmenflugzeug steht auf dem Rollfeld in Lyndon“, schlug Caleb vor.

Alle wandten sich verblüfft zu ihm um.

Seth stand vom Sofa auf. „Wie viele von uns kannst du mitnehmen?“

„So viele, wie mitkommen müssen.“ Er suchte Mandys Blick.

„Ich bleibe hier“, verkündete Travis, und alle sahen ihn an. „Ich kann dort wahrscheinlich von allen am wenigsten tun, aber hier am meisten.“

Seth nickte zustimmend.

Caleb zog sein Handy heraus. „Ich rufe den Piloten an. Mandy, warum packst du nicht eine Tasche mit ein paar Sachen für deine Mutter?“

Abby wandte sich wieder dem Computer zu. „Und ich buche für uns ein Hotel in Denver.“

„Schau mal nach, ob es ein Emerald Chateau in der Nähe des Krankenhauses gibt“, bat Caleb, während er eine Nummer in sein Handy eintippte. „Wir haben dort Firmenrabatt. Ruf einfach an und nenne meinen Namen.“ Er hielt sich das Handy ans Ohr und trat hinaus in den Flur.

Mandy drückte die kühle Hand ihrer Mutter. „Hast du das gehört, Mom?“

Maureen nickte schwach.

„Gut.“ Mandy bemühte sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. Wenn sie jetzt in Tränen ausbrach, würde das niemandem helfen, am allerwenigsten ihrer Mutter.

„Er konnte nicht sprechen“, berichtete Maureen stockend und drückte Mandys Hand. „Er hat es versucht, aber die Worte waren ganz undeutlich. Manchmal einzelne Silben, dann wieder ganz Unverständliches.“

Mandy schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter. „Ich glaube, bei einem Schlaganfall ist das ganz normal. Und es klingt so, als hätten sie exzellente Spezialisten in Denver. Dort wird sicher alles für ihn getan.“

Sie ging hinaus, um zu packen. Auf dem Flur kam sie an Caleb vorbei, der am Handy mit seinem Piloten sprach. „Zwei Stunden, sehr gut“, sagte er. „Alles klar, wir sind gleich da.“

Sie blieb stehen, legte ihm die Hand an die Brust und formte mit den Lippen ein „Danke“.

Er legte seine Hand auf ihre, drückte sie und wies mit dem Kopf zur Treppe.

Mandy war noch nie mit einem Privatflugzeug geflogen. Der Firmenjet von Active Equipment bot Platz für acht Passagiere, und Caleb hatte einen Wagen bestellt, der sie direkt vom Flughafen zum Krankhaus brachte. Dort durfte Mandys Mutter als Einzige zu ihrem Mann, und auch das nur für ein paar Minuten.

Die Ärzte überwachten ihn engmaschig, um weitere Schlaganfälle zu verhindern. Die Anfangsprognose lautete auf eine langsame, eventuell nicht vollständige Genesung. Man konnte noch nicht sagen, wie viel seines Sprech- und Bewegungsvermögens er wiedererlangen konnte. Die ersten Tage seien entscheidend dafür.

Abby hatte zwar normale Zimmer im Emerald Chateau in Denver gebucht, aber nachdem Caleb kurz mit dem Portier gesprochen hatte, bekamen Mandy, Abby und ihre Mutter eine luxuriöse Suite mit zwei Schlafzimmern im zwanzigsten Stock und Caleb und Seth eine identische am anderen Ende des Korridors.

Erst um drei Uhr früh kam Mandys Mutter schließlich ins Bett. Glücklicherweise schlief sie fast augenblicklich ein, und Mandy setzte sich zu Abby, Seth und Caleb ins Wohnzimmer der Suite.

Abigail reichte Seth ihr Handy. „Dein Bruder will mit dir sprechen.“

„Um diese Uhrzeit?“, brummte Seth, als er das Handy nahm.

Mandy setzte sich auf den einzigen freien Platz auf einem kleinen Sofa neben Caleb. Sie spürte, dass er sie ansah. Sie hätte schwören können, dass sie seine Ausstrahlung körperlich spürte, aber sie wandte sich ihm nicht zu.

„Müssen wir das jetzt besprechen?“, fragte Seth ins Telefon.

Mandy sah ihre Schwester fragend an.

„Seth hat gesagt, er überlegt sich, ob er aus dem Wahlkampf fürs Bürgermeisteramt aussteigen soll“, erklärte Abby. „Travis will ihm das ausreden.“

Auch Mandy fand das übertrieben. Ihr ältester Bruder hatte seine Kandidatur seit über zwei Jahren geplant. „Es dauert doch noch Wochen, bevor der Wahlkampf richtig losgeht“, sagte sie entgeistert.

Abigail verschränkte kopfschüttelnd die Arme vor der Brust. „Das hab ich ihm auch gesagt. Auch Travis versucht ihm einen Verzicht auszureden.“

Mandy schüttelte den Kopf. „Dad würde das auch nicht wollen.“

Ihr Vater hatte Seths Entscheidung, sich um das Bürgermeisteramt zu bewerben, voll und ganz unterstützt. Die Rancher wurden immer mehr aus den wirtschaftlichen Planungen des Bezirks herausgedrängt, denn Tourismus und Kleinindustrie waren auf dem Vormarsch.

„Wer wird dann die Ranch betreiben?“, fragte Seth ins Handy. „Du?“

Er hörte einen Augenblick zu, dann lachte er spöttisch. „Mach keine Versprechen, die du nicht halten kannst.“

Caleb beugte sich zu Mandy hinüber. „Das ist ein schrecklicher Zeitpunkt für eine solche Auseinandersetzung. Die Dinge stehen in keinem Verhältnis zueinander.“

Mandy gab ihm innerlich recht und nickte. Sie waren alle erschöpft, und ihre Nerven lagen blank.

Caleb gab Seth ein Zeichen, ihm das Handy zu geben. Seth sah ihn wütend an, aber Caleb ließ nicht locker. Schließlich gab Seth nach und reichte ihm das Gerät.

„Travis? Hier ist Caleb. Du musst jetzt wirklich ins Bett. Und Seth und deine Schwestern auch.“

Während Travis antwortete, hörte Caleb ruhig zu.

„Morgen früh. Nein. Jetzt hör mal zu. Mir ist egal, wer damit angefangen hat. Ich bin der Einzige hier, der nicht von Sorge und Angst gequält ist, und ich sage dir, das Thema jetzt mal ruhen zu lassen.“

Caleb hörte wieder zu. „Ja, mach ich.“ Sein Blick huschte einen Augenblick zu Mandy. „Natürlich nicht.“

Abigail stand von ihrem Sessel auf und umarmte Mandy. „Ich bin erledigt“, flüsterte sie ihr ins Ohr. „Macht es dir was aus, wenn ich zuerst ins Bad gehe?“

„Nein, geh nur.“ Mandy drückte ihre Schwester an sich und war froh, ihre Geschwister an diesem Abend um sich zu haben.

„Morgen müssen wir Katrina anrufen“, sagte Abigail. Katrina war ihre jüngste Schwester, die in New York lebte.

„Dort ist es jetzt schon fast morgen“, sagte Mandy.

„Wenn wir aufstehen, ist es noch früh genug.“

„Stimmt.“ Mandy nickte seufzend. Morgen würde ein langer Tag werden.

Seth stand auf. „Ich bestelle einen Whisky beim Zimmerservice“, sagte er zu Caleb. „Willst du auch einen?“

„Da schließe ich mich gern an“, antwortete Caleb.

Mandy stand auf und umarmte ihren großen Bruder herzlich.

„Alles okay bei dir?“, brummte er ihr ins Ohr und verwuschelte ihr Haar.

„Das kann ich dir erst morgen sagen.“ Mandy graute bei dem Gedanken, dass die beiden in ihre eigene Suite hinübergingen, dass ihre Schwester im Zimmer nebenan schlief und sie mit ihren Gedanken und Ängsten allein blieb. Sie würde kein Auge zutun können. Das Schicksal ihrer Familie hatte sich gewendet. Sie hatte keine Ahnung, was als Nächstes kommen würde.

Seth schloss die Tür hinter sich, und Caleb wandte sich ihr zu. „Das hat dich alles ganz schön mitgenommen, nicht wahr?“

„Ja“, erwiderte sie und zitterte.

Er trat zu ihr. „Kann ich irgendwie helfen?“

„Du hast uns schon so viel geholfen.“ Sie versuchte, die Ereignisse der Nacht zu begreifen. „Du hast ein Privatflugzeug.“

„Das gehört Active Equipment.“

„Aber dir gehört Active Equipment.“

„Stimmt.“

„Danke, dass du uns alle hierhergebracht hast. Meine Mom hatte schreckliche Angst …“ Sie schluckte. „Ich hatte furchtbare Angst, dass er sterben würde, bevor …“

Caleb zog sie in seine starken Arme. „Aber er ist nicht gestorben. Und ihr seid jetzt alle hier. Und vielleicht gibt es ja morgen früh schon gute Nachrichten.“

Mandy legte ihre Wange an Calebs Brust, und sein gleichmäßiger Herzschlag und seine tiefe Stimme wirkten beruhigend auf sie.

Er küsste sie zärtlich auf die Schläfe, und all ihre Gefühle vom Abend brandeten sofort wieder auf.

„Caleb“, stammelte sie. „Was wir …“

„Schh. Nicht jetzt. Das spielt im Moment alles gar keine Rolle.“

Sie schloss die Augen. „Bist du immer so nett?“

„Nein, fast nie.“ Er schwieg. „Du musst jetzt schlafen.“

„Ich weiß.“ Sie wünschte, sie könnte den Rest der Nacht in Calebs Armen ruhen. Sie fühlte sich so verletzlich und empfindsam, und er bot ihr so viel Geborgenheit. Das war ihr im Moment das Wichtigste.

Am nächsten Morgen gab es positive Nachrichten. Caleb war wie alle anderen überrascht, wie schnell es Hugo besser ging. Er erkannte alle Familienmitglieder. Sie durften ihn besuchen, und er konnte Maureens Namen aussprechen und dazu noch andere grundlegende Wörter, sodass er ihnen zumindest das Wesentliche mitteilen konnte: Seth sollte weiter seinen Wahlkampf planen, Abigail sollte mit Maureen bei ihm in Denver bleiben und Mandy nach Hause fahren und mit Travis die Ranch führen.

Caleb bewunderte die Zähigkeit des alten Mannes. Weniger als vierundzwanzig Stunden nach dem Schlaganfall konnte Hugo seinen rechten Arm schon wieder etwas bewegen, und auch bei seinem rechten Fuß zeigte sich eine Besserung. Die Ärzte waren mit seinen Fortschritten sehr zufrieden und äußerten sich optimistisch, dass er sich allmählich wieder erholen würde, auch wenn sie einschränkten, das könne noch Wochen oder Monate dauern.

Seth beschloss, zu einigen politischen Sitzungen in Denver zu bleiben, daher kehrten Caleb und Mandy allein im Firmenjet von Active Equipment zurück. Als sie am späten Nachmittag auf dem Rollfeld in Lyndon landeten, zogen Wolken auf, und es hatte merklich abgekühlt.

Sobald Mandy und Caleb ihre Handys wieder angeschaltet hatten, fingen die Telefone an zu klingeln.

„Hier ist Travis“, hörte Caleb seinen Anrufer am anderen Ende sagen.

„Wir sind gerade in Lyndon gelandet“, informierte ihn Caleb. „Hast du mit deiner Mutter gesprochen?“

„Ja. Dad macht gute Fortschritte. Die Ärzte staunen.“

„Schön zu hören.“ Er öffnete zuerst die Beifahrertür.

„Und dann ist da noch etwas mit Danielle“, fuhr Travis fort.

„Hast du sie erreichen können?“ Caleb hatte am Morgen versucht, bei ihr anzurufen, hatte aber nur die Mailbox erreicht. Vermutlich war Danielle gerade auf dem Rückflug nach Chicago. Trotzdem hatte er Travis gebeten, es auch bei ihr zu versuchen und auf der Ranch nachzusehen. Er selbst war am Abend davor so überstürzt aufgebrochen, dass keine Zeit für Erklärungen geblieben war. Und Danielle war alles andere als geduldig.

„Ich bin zu eurer Ranch gefahren“, versicherte Travis.

„Also ist sie auf dem Rückweg nach Chicago.“

„Nicht ganz.“

„Nicht?“ Caleb schwang sich auf den Fahrersitz und startete den Wagen.

„Du kennst doch die Haarnadelkurve beim Joe Mountain?“

„Ja, was ist damit?“ Caleb hatte eine ungute Vorahnung. „Alles in Ordnung mit Danielle?“

„Ihr geht es gut. Jetzt wieder.“

„Das klingt nach schlechten Nachrichten.“

Travis bestätigte Calebs Befürchtungen. „Ihr Wagen wurde aus der Kurve getragen. Kam gerade noch am Rand des Teichs zum Stehen. Sie blieb unverletzt, aber offenbar war an dieser Stelle kein Handyempfang.“

Caleb stöhnte auf, und Mandy sah ihn verwirrt an.

„Wie lang steckte sie dort fest?“, fragte er Travis.

„Ein paar Stunden. Also, die junge Dame hat wirklich Mumm bewiesen. Sie hat in der Ferne die Scheune der Eldridges entdeckt und sich gedacht, die Leute auf der Ranch könnten ihr sicher helfen.“

„Diese Scheune ist doch schon siebzig Jahre alt und liegt eine halbe Meile abseits der Straße.“

„Das ist nicht leicht zu erkennen. Miss Danielle sieht vielleicht nicht so gut in die Ferne. Jedenfalls ist sie über einen Stacheldrahtzaun gestiegen und hat sich auf den Weg dorthin gemacht.“

Caleb stöhnte.

„Du musst ihr einen Designer-Blazer ersetzen, der dabei zerrissen wurde. Und auch die Schuhe waren nicht gerade für einen Querfeldeinmarsch gemacht.“

„Hat sie es bis zur Scheune geschafft?“

„Gerade noch rechtzeitig. Als sie merkte, dass sie verfallen ist, hatte ihr eine Viehherde den Rückweg zum Auto abgeschnitten. Vermutlich sah ein Bulle so bedrohlich aus, dass sie auf die Tenne hochkletterte. Dort oben ist es staubig, und anscheinend gibt es auch eine Menge Spinnen.“

Caleb konnte sich ein unterdrücktes Lachen nicht verkneifen. „Dann erwartet mich eine Menge Ärger, oder?“

„Das kannst du laut sagen. Uns beide.“

„Warum dich? Du hast sie doch gerettet?“

„Als ich endlich bei ihr ankam, saß sie schon ein paar Stunden dort fest.“

„Muss ich mir nun etwa einen neuen Anwalt suchen?“, fragte Caleb lachend.

„Wir mussten ihren Wagen mit einem Traktor rausziehen“, sagte Travis. „Sie braucht ein paar Ersatzteile. Kannst du in Lyndon beim Autohändler vorbeifahren und die Teile besorgen? Wir schicken dir eine Liste per SMS.“

„Klar“, stimmte Caleb mit fatalistischer Miene zu. „Hat sie den Schreck jetzt gut überstanden?“

„Sie ist seit geschlagenen zwei Stunden oben im Badezimmer. Ich weiß nicht, was Frauen so lange dort tun, aber hoffentlich geht es ihr danach besser.“

„Hoffentlich“, pflichtete ihm Caleb ernsthaft bei. „Vielen Dank, Travis.“

„Nichts zu danken. Das war für mich die beste Unterhaltung in diesem Monat.“

„Sag ihr das bloß nicht.“

„Hab ich schon getan. Bis später, Caleb.“

Caleb steckte sein Handy in die Tasche.

„Hast du mit Abigail gesprochen?“, fragte er Mandy, die ihr Telefonat ebenfalls beendet hatte.

Sie nickte. „Der Zustand von Dad bessert sich immer weiter. Ich bin ja so erleichtert.“

„Schön zu hören“, sagte Caleb.

„Hast du mit Travis gesprochen?“, fragte sie ihn dann und hob interessiert die Augenbrauen.

„Danielle hatte Probleme mit ihrem Wagen.“

„Dann ist sie noch in Colorado?“ Mandy war überrascht von der Nachricht. „Ich dachte, sie wollte mit dem nächstbesten Flieger wieder zurück.“

„Sie schicken uns eine Liste mit Ersatzteilen für den Wagen.“

„Aber sie ist doch hoffentlich unverletzt?“

„Ja. Travis hat den Wagen größtenteils wieder flottgemacht. Aber sie ist genervt, dass sie noch immer in Lyndon festsitzt.“

Sein Handy klingelte erneut, doch er kannte die Nummer auf dem Display nicht. „Caleb Terrell“, meldete er sich.

„Mr Terrell? Hier ist Frank Cummings von Mountain Real Estate. Ich habe gute Nachrichten für Sie.“

„Hallo, Frank.“

„Wir haben einen Kaufinteressenten.“

„So schnell?“ Caleb war überrascht. Die Ranch stand noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden zum Verkauf.

„Der Herr sieht sich schon länger nach Gelegenheiten in dieser Gegend um und ist heute Abend in Lyndon. Ich treffe ihn zum Abendessen. Wie wäre es, wenn wir uns telefonisch in ein paar Stunden melden? Wenn er Interesse hat, steht sicher ein Besichtigungstermin an.“

„Ich bin auch in Lyndon.“

„Dann könnten Sie ja zum Abendessen mitkommen“, schlug Frank vor.

„Sicher.“ Warum nicht? Wenn es ein ernsthafter Kaufinteressent war, würde Caleb ihn selber gern auf Herz und Nieren prüfen. „Ich bin allerdings nicht allein“, erklärte er mit Blick auf Mandy.

„Das macht nichts, bringen Sie Ihre Begleitung gern mit.“

„Wo und wann treffen wir uns?“

„Im Riverfront Grill um sechs.“

„Wir kommen dorthin.“ Damit legte er auf und steckte das Handy in die Tasche. „Kann ich mich auf dich verlassen?“, fragte er Mandy.

Mandy schnallte sich an. „Inwiefern?“

„Dass du dich benimmst.“

Sie schnaufte entrüstet.

„Frank Cummings hat einen Kaufinteressenten“, teilte er ihr mit.

Sie erstarrte und zog dann eine Grimasse. „Für die Ranch?“

„Etwas anderes hab ich im Moment nicht zu verkaufen.“

„Aber das kannst du nicht … Das geht viel zu schnell!“

„Meines Wissens gibt es beim Hausverkauf keine Geschwindigkeitsbeschränkungen.“

„Wer ist der Käufer? Will er die Ranch selber bewirtschaften?“

Caleb warf ihr einen ärgerlichen Blick zu. „Du kannst ihm keine solchen Fragen stellen. Das geht uns nichts an. Wenn du mitkommst, musst du dich benehmen.“

„Du sprichst mit mir wie mit einem Kind.“

„Du reagierst auch so emotional wie ein kleines Mädchen.“

„Willst du mir das etwa vorwerfen? Dass ich versuche, euer Land und eure Familie vor jemandem zu schützen …“

„Wir sind auf deinen Schutz nicht angewiesen“, fiel er ihr ins Wort.

„… der wild entschlossen ist, einen derart dummen Fehler zu machen“, redete sie unbeirrt weiter.

„Meinst du mich damit?“

„Wen sonst?“

Er sah sie streng an. „Also willst du jetzt zu diesem Abendessen mitkommen oder nicht? Ich meine es ernst, Mandy. Ich will dich nicht einfach irgendwo absetzen, aber ich nehme auch keinen Sprengsatz mit zu einem Geschäftstermin.“

Sie überlegte einen Augenblick, und er wartete.

„Ich werde ihn nicht nach seinen Plänen für die Ranch fragen“, versprach sie schließlich.

Mit ihren fest auf dem Schoß gefalteten Händen und dem starren Blick sah sie wirklich aus wie ein trotziges kleines Mädchen. Er musste sich beherrschen, ihr nicht mit dem Zeigefinger zu drohen. „Du darfst nichts als positive Dinge über die Ranch und Lyndon Valley sagen.“

Sie wandte sich ihm zu und sagte sarkastisch: „Ich liebe Lyndon Valley.“

„Und wenn du dann bitte noch diesen Schmollmund machen könntest, damit der Kerl meint, er hätte dann auch eine sexy Rancherstochter in der Nachbarschaft …“

Mandy boxte Caleb auf den Oberarm. „Pass auf, was du sagst.“

„Ich pass lieber auf, was du sagst.“

„Und du machst dir Sorgen um mein Benehmen?“

Er grinste frech. „Ich werde brav sein, wenn du es bist.“

Doch dann fragte er sich, ob ein solches Versprechen überhaupt klug war. Ehrlich gesagt, wäre ein geplatzter Verkauf die Sache wert, wenn er im Austausch dafür mit ihr flirten könnte.

5. KAPITEL

An einem Fenstertisch im Riverfront Grill schnappte sich Mandy die Kirsche von ihrem Eisbecher. Für sie war der Nachtisch eine Art Trostpflaster, denn Calebs Verkaufsgespräch beim Essen lief sehr gut. Frank Cummings hatte alle Unterlagen parat, von den Plänen des Gutachters bis hin zu Fotos und Klimatabellen. Nathan Brooks, ein etwas über fünfzigjähriger Mann aus Colorado Springs, war begeistert und offenbar interessiert an der Ranch.

Sie leckte die Schlagsahne von der Kirsche, ließ sich die Frucht in den Mund fallen und erhaschte Calebs Blick, als sie nachdenklich kaute und schluckte.

„Wie bitte?“ Caleb wandte sich wieder Nathan zu. „Können Sie die Frage wiederholen?“

„Wie ist der Zustand des Hauses?“

„Es ist regelmäßig renoviert worden, von Malerarbeiten bis hin zu den Sanitär- und Elektroinstallationen.“

Mandy nahm sich einen Dessertlöffel. Der Kellner hatte ihnen vier gebracht und in die Tischmitte gelegt. Vermutlich wollte er ihr damit die Verlegenheit nehmen, dass sie als Einzige am Tisch ein Dessert bestellt hatte. Nicht dass ihr das etwas ausgemacht hätte. Schließlich war ein Schokoladeneis nichts Unanständiges. Caleb hingegen war gerade dabei, sein Erbe und das seines Bruders zu verscherbeln.

„Hat das Haus eine eigene Quelle?“, wollte Nathan wissen.

„Das Haus hat eine, die Außengebäude ebenfalls, und eine dritte versorgt die Unterkünfte für die Farmarbeiter.“

„Diese Cottages sind alle weniger als fünf Jahre alt“, warf Frank ein. „Sie sind sehr attraktiv für Familien, die auf der Ranch Arbeit suchen.“

„Wie steht es mit der künstlichen Bewässerung?“, fragte Nathan.

„Zweihundert Morgen sind künstlich bewässert. Dort wird Grünfutter geerntet“, er-klärte Caleb.

„Vierhundert“, korrigierte Mandy, und alle blickten erstaunt zu ihr hin. „Die Fläche wurde verdoppelt“, fügte sie hinzu, denn warum sollte der Käufer das nicht erfahren? Sie tauchte ihren Löffel wieder in ihr Eis.

„Danke“, sagte Caleb.

„Es bestehen auch verbriefte Rechte zur Wasserentnahme aus dem Fluss.“ Frank zog einen Stapel Unterlagen hervor.

Mandy schluckte einen Mundvoll Eis hinunter. „Vielleicht erzählst du ihm auch von der bevorstehenden Überprüfung der Wasserrechte.“

Sowohl Caleb als auch Frank machten große Augen. Nathan wandte sich ihr zu. „Was für eine Überprüfung?“

„Es steht eine Überprüfung an. Die Übertragung der Lizenzen erfolgt nach staatlichen Regelungen. Das erste Treffen der Anspruchsberechtigten findet dieses Wochenende statt. Hier, in Lyndon.“

„Nun“, warf Frank ein, „die bestehenden Wasserrechte werden dabei wohl kaum infrage gestellt …“

Nathan sah Frank stirnrunzelnd an. „Sie wussten von dieser Überprüfung?“

Mandy hielt mitten im Essen inne, als sie die Mienen der Männer bemerkte: Nathan sah wütend aus, Frank wie ein von Scheinwerfern geblendetes Reh, und Caleb warf ihr einen sichtlich enttäuschten Blick zu.

Nun gut, da war sie wohl in ein Fettnäpfchen getreten. Aber die beiden hatten doch nicht etwa vorgehabt, die anstehende Überprüfung geheim zu halten! Der Käufer hatte ein Recht darauf zu erfahren, worauf er sich einließ.

Nathan schob seinen Stuhl zurück und warf die Serviette auf den Tisch. „Danke für Ihre Zeit, meine Herren. Miss Jacobs.“

Frank sprang auf. „Es ist nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken. Wenn Sie möchten, schicke ich Ihnen per E-Mail einen Link zur Website der Wasserbehörde von Colorado.“

Doch Nathan stürmte schon zum Ausgang, und Frank hastete hinter ihm her.

Mandy nahm einen Löffel Schokosoße.

„Das hast du absichtlich gemacht“, beschuldigte sie Caleb und winkte einen Kellner herbei.

„Das stimmt nicht.“ Sie zeigte mit dem Löffel auf ihn. „Aber ich hoffe, du wirst dich jetzt nicht dafür rechtfertigen wollen, dass du Nathan Brooks im Dunkeln über die Überprüfung der Wasserrechte gelassen hast.“

„Bisher haben die Landeigentümer noch keine offizielle Benachrichtigung erhalten.“

„Dann wolltest du es also tatsächlich vor ihm geheim halten“, sagte Mandy anklagend. Sie konnte es kaum fassen. So etwas hätte sie von Caleb nie erwartet.

„Und du wolltest dich eigentlich bei diesem Essen nicht danebenbenehmen“, konterte er.

Der Kellner trat an ihren Tisch.

„Einen Scotch auf Eis, bitte. Einen doppelten“, bestellte Caleb.

„Ich kann einfach nicht glauben, dass du einem Käufer absichtlich so eine Information vorenthalten wolltest“, sagte Mandy kopfschüttelnd, als der Kellner gegangen war.

„Ich bin schließlich nicht sein Kindermädchen.“

„Aber du weißt, dass die Wasserrechte neu vergeben werden.“

„Ich weiß auch, dass das eine Routineüberprüfung ist. Und wir reden hier über Vorgespräche zur Abklärung, ob es überhaupt eine offizielle Überprüfung und Neuvergabe geben soll.“

„Du hast deine Hausaufgaben durchaus gemacht.“ Trotz ihrer Enttäuschung über seine Ansichten fand Mandy seine Kenntnis der Materie bewundernswert.

„Eigentlich hätte sich Nathan Brooks schon selbst darüber informieren sollen. Und das hätte er mit Sicherheit auch getan, nachdem er die Ranch besichtigt und sich vielleicht in das Anwesen verliebt hätte. Dann wäre er vermutlich viel eher bereit gewesen, Kompromisse einzugehen und rationalen Argumenten zu folgen.“

Mandy musste zugeben, so betrachtet hatte Caleb nicht hinterhältig gehandelt.

Der Kellner brachte Calebs Scotch Whisky. „Mandy, eine der wichtigsten Regeln im Marketing lautet: Deine Schwächen bringen dich nicht weiter.“

„Ich hab kein Diplom in Marketing“, entgegnete sie, löffelte weiter ihr Eis und fühlte einen Hauch von Triumph. Der Verkauf war gestorben. Sie hatte Zeit gewonnen, um Reed zu finden.

„Hast du ein Diplom in Manipulation?“

„Das gab es am Metro State College nicht als Wahlfach.“

„Schade. Du bist darin ein Naturtalent.“

„Glaubst du wirklich, ich habe das absichtlich gemacht?“ Sie hatte Nathan nicht abschrecken wollen. Andererseits war sie alles andere als begeistert von einem Verkauf.

„Ich finde, du warst sehr effektiv.“ Er nahm einen Schluck von seinem Scotch. „Willst du damit sagen, du hättest dir nie träumen lassen, dass es ihn abschrecken würde, wenn du ihm von der Überprüfung erzählst?“

Na gut, als ihr die Bemerkung entschlüpft war, hatte sie natürlich die Tragweite erkannt, insbesondere als sie Calebs Gesichtsausdruck bemerkt hatte. Aber das jetzt zuzugeben erschien ihr nicht klug. „Ich habe einfach nur Fakten wiedergegeben.“ Sie würde bei ihrer ursprünglichen Geschichte bleiben.

„Geschieht mir nur recht“, sagte Caleb und leerte seinen Scotch in einem Zug. „Ich hätte dich niemals mitnehmen sollen.“

Mandy verspürte einen Anflug von schlechtem Gewissen.

Frank kehrte zu ihrem Tisch zurück. „Ich fürchte, er ist abgesprungen. Endgültig.“

Dann wich der liebenswürdige Ausdruck aus seinem Gesicht, und er sah Mandy eisig an. „Und zu Ihnen. Ich hoffe, Sie haben Ihre Lektion gelernt …“

„Lassen Sie sie aus dem Spiel“, unterbrach ihn Caleb in bestimmtem Ton.

„Aber …“, begann Frank. Dann bemerkte er Calebs Gesichtsausdruck und schwieg.

„Man kann nicht immer gewinnen.“ Caleb legte seine Kreditkarte auf den Tisch. „Vielen Dank für Ihre Zeit und Mühe, Frank.“

„Ich …“ Frank verkniff sich den Rest. „Also gut. Ich melde mich.“

Caleb entließ ihn mit einem Kopfnicken, und Frank strich bedächtig sein Jackett glatt, zog an den Ärmeln und strebte zum Ausgang.

„Du musstest mich nicht verteidigen“, sagte Mandy. Sie fühlte sich jetzt noch schuldbewusster.

„Es ist nicht seine Angelegenheit, was du sagst oder nicht sagst.“ Caleb ließ die Eiswürfel in seinem Glas klimpern. „Aber es ist meine Angelegenheit. Daher muss ich sicherstellen, dass du nicht die Möglichkeit haben wirst, so etwas noch mal zu tun.“

Sein Gesichtsausdruck jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Das klang ja wie eine Drohung.“

Er klopfte mit den Fingerspitzen auf das weiße Tischtuch. „Ich drohe nicht. Das ist Zeitverschwendung. Ich verkünde.“

„Wenn das so ist“, sie konnte sich die Frage nicht verkneifen, „was genau willst du dann verkünden?“

Während sie auf seine Antwort wartete, nahm er sich einen Dessertlöffel vom Tisch und bediente sich von dem Eis. „Du, Mandy Jacobs, bist von meiner Liste gestrichen.“

Okay, das klang schon weniger hart. „Es gibt also eine Liste?“

Er genoss ausgiebig seine Eiscreme. „Eine Liste mit Leuten, die zu meinen Treffen mit potenziellen Käufern eingeladen werden.“

Sie folgte seinem Beispiel und nahm ihren Dessertlöffel wieder zur Hand. „Ich dachte, ich hätte die Unterhaltung bereichert. Schließlich hab ich das mit den vierhundert Morgen gewusst.“

„Das stimmt“, räumte er ein und tauchte den Löffel in die Schlagsahne. „Du hast dich großartig gemacht, bis du das Geschäft zum Platzen gebracht hast.“

„Das kann man auch ganz anders sehen, wie du weißt“, warf sie ein.

„Und wie?“

„Als zweite Chance.“

„Hast du nicht gehört, was Frank gesagt hat? Der Käufer ist endgültig abgesprungen.“

Sie konzentrierte sich darauf, mit der Schokosoße ein Muster auf das Eis zu malen. „Ich meinte keine zweite Chance mit dem Käufer, sondern eine weitere Chance, die richtige Entscheidung zu treffen.“

„Die richtige Entscheidung?“

„Deinen Entschluss zum Verkauf der Ranch zu ändern.“

Er krempelte seine Hemdsärmel hoch. „Und wie willst du mich dazu bewegen?“

Sie dachte eine Weile nach. „Du kannst wohl kaum abstreiten, dass das Schicksal war.“

„Du nennst es Schicksal, wenn du Nathan Brooks verrätst, dass er womöglich bald kein Wasser mehr für seine Viehtränken hat?“

„Genau.“

„Das überzeugt mich aber nicht.“

„Erstens“, zählte sie auf, „bittet Nathan um ein Treffen mit Frank. Zweitens sind auch wir beide zufällig zur gleichen Zeit in Lyndon. Drittens habe ich zufällig Zeit, zum Abendessen mitzugehen. Und viertens kam dabei das Thema der Wasserrechte zur Sprache. Das sind entweder vier einzelne Zufälle, oder es ist Schicksal.“

Caleb spielte mit seinem Löffel. „Respekt. Du musstest weit ausholen, aber das war eine ziemlich gute Argumentationskette.“

„Danke.“

„Aber ich bleibe bei meinem Entschluss.“

„Ich bitte dich nur um noch ein paar Tage Aufschub, vielleicht auch ein paar Wochen“, beharrte sie.

„So viel Zeit habe ich nicht.“

„Doch, sicher. Du machst dir Druck in einer Sache, die gar nicht …“

„Die brasilianische Regierung ist es, die mir Druck macht.“

„Ich werde mich um die Ranch kümmern“, bot Mandy an. „Ich schaffe das, und du weißt das. Und dann steht sie bereit, wenn Reed …“

„Reed hat sich entschieden. Und du musst dich um eure Ranch kümmern.“

„Dazu ist Travis da.“

Doch Caleb schüttelte den Kopf. „Deine Familie braucht dich, Mandy. Und ich laufe Reed nicht hinterher wie ein Kindermädchen. Ich habe mich entschieden.“

Sie konnte ihren Ärger nur mühsam zurückhalten. „Deine Entscheidung ist falsch.“

„Sie mag dir nicht zusagen, aber sie ist die einzig sinnvolle. Und es ist nichts dabei gewonnen, sie weiter hinauszuzögern.“

„Caleb …“

„Nein. Ich habe deine Sicht der Dinge berücksichtigt.“

„Das kann nicht dein Ernst sein, oder?“ Gar nichts hatte er berücksichtigt. Er war rücksichtslos und stur. Und er würde zerstören, was ihm von seiner Familie geblieben war.

Doch Calebs Miene verhärtete sich. „Ich habe mir deinen Standpunkt angehört. Aber ich bin anderer Meinung. Und damit basta.“

Nun brach sich ihr Ärger Bahn. „Und damit ist für dich die Diskussion beendet?“

„Damit ist die Diskussion beendet“, bestätigte er.

„Verstehe.“ Mandy stand auf. Sie holte tief Luft und sah ihm gerade in die Augen. „Dann vielen Dank für das Abendessen. Ich finde meinen Weg nach Hause.“

„Bist du jetzt sauer?“

Mandy presste die Lippen fest zusammen.

„Draußen ist es schon dunkel, Mandy. Und es fängt an zu regnen.“

Sie gab keine Antwort. Schließlich war sie kein kleines Mädchen mehr. Sie brauchte keinen Beschützer, der sie bei Regen und Dunkelheit nach Hause brachte.

Noch bevor er weitere Einwände erheben konnte, drehte sie sich auf dem Absatz um und marschierte zum Ausgang. Sie würde den Bus nehmen, und Travis oder einer der Farmarbeiter konnte sie an der Zufahrtsstraße zur Ranch abholen.

„Ich besorge uns Cottages im Rose Inn Motel“, hörte sie Calebs tiefe Stimme hinter sich. „Dann fahren wir morgen früh zur Ranch zurück.“

„Lass mich.“ Er mochte sexy, intelligent und attraktiv sein, aber er war auch ein Sturkopf, und sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.

Mandy war immer noch wütend, als Caleb zum Wagen zurückkam und ihr den Schlüssel für Suite Nummer sechs in die Hand drückte. Der Regen trommelte auf das Wagendach, und der Wind fegte durch die Bäume ringsherum. Calebs Kleider und Haare waren tropfnass vom Sprint zu dem kleinen Portiershäuschen und zurück.

„Ich bin in sieben“, sagte er liebenswürdig. „Die Cottages sind am Ende der Uferstraße.“ Er fuhr los und steuerte den SUV vorsichtig um die tiefsten Pfützen herum.

„Danke“, erwiderte sie steif, den Blick starr nach vorn gerichtet.

„Wir sollten versuchen, morgen so früh wie möglich loszufahren“, fuhr er fort.

Mandy hielt sich an der Armstütze fest und stemmte die Füße gegen den Boden.

„Das Restaurant öffnet um sieben. Passt dir das?“

„Ich stehe bereit.“

„Gut.“ Er musste wohl damit zufrieden sein, dass sie überhaupt eingewilligt hatte, sich auf die Übernachtung einzulassen. Für eine Versöhnung war es sicher noch viel zu früh.

Die dunklen Umrisse eines zweistöckigen Cottages tauchten vor ihnen auf. Im Licht der Scheinwerfer sahen sie die Schilder für Nummer sechs und sieben.

„Du bist oben“, sagte er und parkte den Wagen so nahe wie möglich am Gebäude.

Sie tastete nach dem Türgriff.

„Warte“, bat er, öffnete die Fahrertür und lief schnell um den Kühler herum. Seine Stiefel sanken tief im Matsch ein. „Ich trag dich rüber“, sagte er und bückte sich, um sie aus dem Sitz zu heben.

„Lass das“, warnte sie ihn mit erhobenem Zeigefinger.

„Jetzt sei vernünftig.“ Unbeirrt schlang er einen Arm um sie. „Es hat keinen Sinn, dass wir uns beide die Schuhe ruinieren.“

„Es ist nicht das erste Mal, dass ich durch Matsch wate.“

„Wie schön für dich.“ Er schob seinen anderen Arm unter ihre Knie. „Halt dich fest.“

„Das ist doch lächerlich“, murmelte sie, legte aber ihm dennoch die Arme um die Schultern und klammerte sich an ihm fest.

Er richtete sich auf und stieß mit dem Knie die Wagentür zu. Dann beugte er seinen Kopf über ihren und stieg die Treppe hoch.

„Schlüssel?“, fragte er, als sie oben vor der Tür waren.

Mit tropfnassen Händen steckte sie den Schlüssel ins Schloss.

Caleb stieß die Tür zu dem dunklen Zimmer auf. Er tastete nach dem Lichtschalter, und die Lampen zu beiden Seiten des Doppelbetts gingen an. Das Zimmer war geräumig und hatte ein Spitzdach. Durch eine Glasschiebetür ging es auf einen kleinen Balkon hinaus. Auf dem Bett lag ein Quilt mit floralem Muster, dazu sechs weiche Kissen, und von der Decke hing ein Gaze-Baldachin.

„Anscheinend gibt es mit der Heizung manchmal Probleme“, sagte Caleb und ging vor dem Propangerät in die Hocke.

„Mir ist nicht kalt“, erklärte sie.

Er drückte den roten Knopf und stellte den schwarzen auf Automatik. „Wenn dir doch kalt ist, kannst du sie so einfach höher stellen. Kommst du mal her und siehst es dir an?“

„Das wird schon nicht so kompliziert sein.“

„Du benimmst dich wie eine Fünfjährige.“

„Weil ich nicht zu allem Ja und Amen sage? Ich frage mich, was für Leute bei dir arbeiten, Caleb. Bist du den ganzen Tag von Abnickern umgeben, die niemals deine unendliche Weisheit infrage stellen?“

„Nein“, entgegnete er knapp. Er hatte keine Lust, länger ihre schlechte Laune zu ertragen, daher wünschte er ihr eine gute Nacht und ging hinunter in sein Stockwerk.

Seine Suite war etwas größer als Mandys, aber auch im englischen Landhausstil eingerichtet. Er stellte seine Heizung an, streifte die nassen Stiefel ab und entledigte sich seiner klatschnassen Kleider. Dann stellte er sich unter die Dusche.

Eine halbe Stunde später ging es ihm schon besser. Er hatte sich aus der Minibar ein leichtes Bier und vom Couchtisch ein Sportmagazin genommen und sich nur in Boxershorts unter der Quiltdecke ausgestreckt.

Er tippte den PIN-Code in sein Handy ein und checkte seine SMS und E-Mails. Eine davon war von Danielle und lautete: Bin gestrandet. Grinsend klickte er sie an und las über eine Reihe Klagen und deftige Flüche hinweg.

Er simste zurück, dass er am nächsten Morgen mit den erforderlichen Ersatzteilen und einem fetten Bonusscheck auf die Farm zurückkehren würde. Dabei verschwieg er, dass Travis ihm die ganze Geschichte bereits erzählt hatte. Diese Peinlichkeit wollte er Danielle ersparen.

Dann schlug er das Sportmagazin auf. In der Ferne ertönte Donnergrollen, und der Wind draußen frischte abermals auf. Plötzlich schlug ein heftiger Platzregen gegen die Fensterscheiben, die Lampe flackerte, und der Raum war für Sekundenbruchteile in Finsternis getaucht.

Trotzdem wurde Caleb allmählich müde und legte das Magazin beiseite. Kurz darauf schreckte er von einem ohrenbetäubenden Krachen hoch. Im Zimmer herrschte pechschwarze Dunkelheit, und draußen heulte der Sturm ums Haus. Er sprang aus dem Bett und eilte zum Fenster.

Beim nächsten Blitz sah er, dass ein großer Baum auf die schlammige Straße gestürzt war und den Zaun vor dem Cottage zerschmettert hatte. Die obersten Äste lehnten an der Fassadenwand. Na, wunderbar. Morgen müssten sie sich zuerst einmal mit der Kettensäge den Weg bahnen, bevor sie wegfahren konnten.

Er ließ den Vorhang wieder herunter, und im selben Moment wurde das Gebäude von einem lauten, lang anhaltenden Krachen erschüttert. Noch bevor er reagieren konnte, gab es einen Knall, die Wände bebten, und Holz knarrte und splitterte in der nächtlichen Dunkelheit.

Caleb war mit einem Satz aus der Tür und rannte, drei Stufen auf einmal nehmend, die Außentreppe hoch. Aus Angst, dass der Baum durchs Dach gebrochen war und Mandy verletzt hatte, stieß er die Tür ohne anzuklopfen auf. Sie war entweder unverschlossen gewesen, oder er hatte das Schloss gesprengt. Doch sein Körper entspannte sich, als er Mandy nur in BH und Slip neben dem Sofa stehen sah. Sie spähte durch die Balkontür, und Blitze erleuchteten das Zimmer wie eine Stroboskoplampe.

„Ein Baum ist umgestürzt“, sagte sie, „und hat das Balkongeländer mitgerissen.“

Er durchquerte das Zimmer. „Bist du okay?“

Sie nickte. „Mir geht’s gut. Das ist ja ein Wahnsinnssturm da draußen.“ Ein Blitz folgte auf den anderen, und der Donner setzte fast augenblicklich danach ein.

„Ich glaube nicht, dass es hier oben noch sicher ist.“ Er legte ihr schützend den Arm um die Schultern. Sein Blick wanderte reflexartig zu ihrem himmelblauen BH und dem seidigen Slip. Das war ungehörig, aber er konnte nicht anders.

„Mir geht es gut“, versicherte sie. „Wie viele Bäume hält das Cottage wohl noch …“

Ein weiterer Baum stürzte krachend um.

Sie sah Caleb erschrocken an. „Das muss ein Jahrhundertsturm sein.“

„Zieh dich an“, befahl er. Sie konnte auf keinen Fall hier oben bleiben.

Sie sah an sich herunter und erkannte auf einmal, dass sie kaum etwas anhatte.

„Ich schaue nicht hin“, log er. „Beeil dich, wir müssen runter.“ Er wollte unbedingt, dass sie zum Schutz vor herabfallenden Dachteilen eine stabile Decke über sich hatten.

Mandy kämpfte sich in ihre Jeans und zog die Bluse über.

„Sollen wir beim Empfang anrufen?“, fragte sie.

„Der ist sicher schon lang nicht mehr besetzt. Und bei diesem Wetter sollte keiner rausgehen.“

„Hier drin im Cottage zu bleiben ist wohl das Sicherste“, pflichtete sie ihm bei und zog ihre Stiefel an. Dann drehte sie sich um und schien zum ersten Mal zu bemerken, dass er fast nackt war.

„Ich bin einfach nach oben gestürmt“, verteidigte er sich. „Ich hatte befürchtet, dass du verletzt bist.“

Ihr Mund verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. „Ein Held in schimmernden … Boxershorts?“

„Du machst mich nicht verlegen.“

„Du genierst dich nicht vor mir?“

„Kein bisschen. Du kannst mich gern jederzeit nackt sehen.“

„Prüfung bestanden“, sagte sie über ihre Schulter hinweg und trat hinaus in den Regen.

In seiner Suite zündete er einige der Dekokerzen an, trocknete sich mit einem Handtuch ab, zog die Boxershorts aus und zwängte sich in seine feuchten Jeans. Unter den Jeans nackt zu sein war nicht sonderlich bequem, aber was blieb ihm anderes übrig?

Mandy stand mitten im Zimmer, die Hände in die Hüften gestützt. „Bei deiner Größe musst du vermutlich das Bett nehmen.“

Er schlug das Federbett zurück und legte sich hin. Auf den Zweisitzer passte kaum ein zehnjähriges Kind. „Wir können uns das Bett gern teilen“, bot er an.

„Das halte ich für keine gute Idee“, wandte sie ein.

„Ist es dir lieber, wenn einer von uns die ganze Nacht wach bleibt? Das Bett ist groß genug, Mandy.“

„Kann ich dir vertrauen?“

Er verdrehte die Augen. „Dass ich dich nicht im Schlaf überfalle?“ Er beugte sich hinüber und schlug das Federbett auf der anderen Seite zurück. „Mach dich nicht lächerlich, Mandy.“

Sie wirkte sichtlich unentschlossen. Er konnte es ihr nicht verübeln. Trotz seiner Beteuerungen würde es für ihn eine schwere Prüfung werden, die Hände von ihr zu lassen.

„Kann ich dir denn vertrauen?“, konterte er, um die Situation zu entkrampfen.

„Ha! Ich bin immer noch sauer auf dich.“

„Aber vielleicht findest du mich trotzdem scharf“, neckte er.

„So scharf auch wieder nicht.“

„Tut mir leid, das zu hören.“

Sie ließ sich auf den Bettrand fallen und zog die Stiefel aus. Dann hörte er, wie sie den Reißverschluss ihrer Jeans herunterzog und sich mühsam herauswand.

Aber er war ja schließlich ein Gentleman und stolz auf seine Selbstbeherrschung.

6. KAPITEL

Ein nervtötendes, wiederkehrendes Summen weckte Mandy aus tiefem Schlummer. Es war so gemütlich und warm im Bett, dass sie inständig hoffte, es wäre noch nicht Zeit aufzustehen.

Als sie allmählich wacher wurde, drehte sich Caleb neben ihr um. Sie wusste, eigentlich müsste sie jetzt zurückzucken, weil sie sich im Schlaf ganz eng an ihn gekuschelt hatte. Aber sein Körper fühlte sich an ihrem so gut an, dass sie sich lieber noch ein paar Sekunden schlafend stellte.

Das Summen hörte auf, und sein tiefes, verschlafenes Brummen ertönte aus der Dunkelheit. „Ja, hallo?“

Er rückte nicht von ihr ab, daher schwelgte sie noch ein wenig in ihren verbotenen Empfindungen. Sie hatte ihre Bluse anbehalten, und er trug noch seine Jeans, also bestand keine Gefahr für zu intensiven Hautkontakt. Trotzdem lag ihr Bauch an seine Hüfte geschmiegt, ihre Brust an seinem Arm und ihre Wade an seiner.

„Ist jemand verletzt?“ Seine Stimme klang jetzt deutlicher und drang klarer in ihr Bewusstsein. „Gut. Dann kann es ja nicht so schlimm sein.“

„Sag ihr, sie soll Orson Mallek anrufen. Er kann weltweit passende Ersatzteile beschaffen.“ Als Caleb sich umdrehte, strich sein Arm über ihre Brustspitze, und Mandy konnte nur mühsam ein Aufseufzen unterdrücken. „Eine Woche legt uns vollkommen lahm“, sagte er. „Sag ihnen, maximal achtundvierzig Stunden.“

Erregung durchrieselte ihren ganzen Körper und schaltete ihren Verstand aus. Die heftige Sehnsucht, ihn zu umarmen und – zum Teufel mit allen Konsequenzen! – ihrem Verlangen nachzugeben, gewann rasch die Oberhand.

„In Colorado“, sagte er in sein Handy.

Sie spürte, dass er sich ihr zuwandte und im Halbdunkel zu ihr herüberblinzelte. Vermutlich fragte er sich, ob sie noch schlief oder schon aufgewacht war. Es wurde allmählich unwahrscheinlich, dass sie trotz des Telefonats weiterschlief. Sie musste irgendeine Reaktion zeigen. Mit dem letzten Rest an Vernunft löste sie sich von ihm und drehte sich auf den Rücken.

„Ruf mich an, wenn du Genaueres weißt. Danke.“

„Ist was passiert?“, fragte sie schläfrig und hoffte, er würde ihr abkaufen, dass sie gerade erst aufgewacht war.

„Ein Stillstand am Fließband in der Karosseriefertigung.“

„Ist das schlimm?“

„Kommt drauf an, wie lange die Reparatur dauert.“ Er schob sich auf seine Bettseite, stützte den Kopf auf den Ellbogen und wandte ihr im dämmrigen Licht das Gesicht zu. „Ein paar Tage können wir überbrücken, bevor wir die Produktion herunterfahren. Nach einer Woche müssen wir das Werk teilweise stilllegen. Das möchte ich unbedingt vermeiden.“

„Wie viele Leute arbeiten in deiner Firma?“, fragte sie mit erwachter Neugier.

„In diesem Werk ein paar Hundert.“

„Und insgesamt?“

„Keine Ahnung. Sicher ein paar Tausend.“

„Ein paar Tausend Leute arbeiten für dich?“ Die Zahl überstieg Mandys Vorstellungskraft.

„Nicht direkt für mich“, erwiderte er amüsiert.

„Für mich arbeitet keiner.“

„Und du arbeitest auch für niemanden. Das vereinfacht die Sache natürlich gewaltig.“

„Im Grunde arbeite ich für meinen Dad, obwohl das nun eine Zeit lang sicher anders sein wird.“

„Wer wird die Ranch übernehmen?“, wollte Caleb wissen und legte den Kopf zurück aufs Kissen. „Ist Seth als Nachfolger vorgesehen?“

Mandy überlegte. „Schwer zu sagen. Besonders jetzt, wo er als Bürgermeister kandidiert. Er ist eher der strategische Kopf. Travis ist am praktischsten veranlagt von uns allen, aber er ist mehr der zupackende Typ. Langfristige Planung ist nicht seine Stärke. Abigail ist sehr gut organisiert, und sie weiß in ganz unterschiedlichen Dingen gut Bescheid.“

„Und du?“, fragte Caleb. „Was sind deine Stärken?“

„Ich weiß nicht. Diplomatie vielleicht.“

„Du willst mich wohl auf den Arm nehmen.“

„Hey“, protestierte sie. „Die Leute mögen mich. Ich handle ständig Kompromisse für andere aus.“

„Für mich aber nicht, eher im Gegenteil.“

„Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Ich prophezeie dir, eines Tages wirst du mir noch dankbar sein für die Rolle, die ich gestern Abend gespielt habe.“

„Dafür würde ich nicht die Hand ins Feuer legen“, murmelte Caleb.

„Ich will damit nur sagen“, sie verkniff es sich, einen weiteren Streit über die Ranch mit ihm vom Zaun zu brechen, „wir haben alle unterschiedliche Stärken.“

„Was ist mit deiner anderen Schwester, der jüngeren?“

„Katrina?“

„Ich habe sie noch nie gesehen.“

Mandy setzte sich auf, und ihr gebeugtes Knie strich dabei Calebs Hüfte entlang. Sie ließ es dort ruhen und gab vor, sie hätte nicht bemerkt, dass sie ihn berührte. „Katrina hat ein Ballettinternat in New York City besucht. Sie ist jetzt als Solotänzerin bei der New Yorker Liberty Ballet Company.“

„Im Ernst?“

„Ja. Sie liebt das Tanzen. Im Gegensatz dazu hat sie nie gern auf der Ranch gelebt.“

„Also hat es aus Lyndon Valley mehr als einen in die Großstadt getrieben.“

„Ihr beiden habt vermutlich eine Menge gemeinsam.“ Mandy sagte das leichthin und war sehr darauf bedacht, dass man ihrer Stimme nicht ihr Unbehagen bei dem Gedanken an Caleb und Katrina heraushörte. Sie war nicht etwa eifersüchtig auf ihre kleine Schwester, denn sie hatte bisher keinen Wert auf Glamour gelegt – und das würde sich auch jetzt nicht ändern.

„Was ist mit dir?“, fragte Caleb. „Magst du die Ranch, und findest du es gut, so eng mit deiner Familie zusammenzuarbeiten?“

„Absolut.“ Mandy konnte sich kein anderes Leben vorstellen. Sie liebte die Ruhe, das einfache Leben, die langsamere Gangart und die Weite der Landschaft.

„Was ist, wenn du einmal heiratest?“

„Bisher hat niemand um meine Hand angehalten.“

„Hast du vor, deine Kinder auf der Ranch großzuziehen?“

„Ja. Kinder brauchen frische Luft, harte Arbeit, Verantwortungsgefühl und einen Lebenssinn.“

Caleb schwieg eine ganze Weile.

„Und wie ist das bei dir?“, fragte Mandy. „Planst du, deine Kinder in einem Wolkenkratzer großzuziehen?“

Er streckte sich aus und verschränkte die Finger hinter dem Kopf. „Das ist Zukunftsmusik.“

„Aber du willst schon eines Tages Kinder haben?“, hakte sie nach.

„Ich weiß nicht. Mein Vater hat wohl kaum ein gutes Vorbild abgegeben.“

„Du bist ganz anders als er.“

„Ich bin aber auch ganz anders als dein Vater.“ Er wandte sich ihr zu und sah sie an. „Er ist ein richtiger Familienmensch. Ich bin besser im Geschäftsleben, zielstrebig, ehrgeizig und selbstverliebt.“

„Du hast dir gerade Sorgen darüber gemacht, dass du Leute entlassen musst. Das klang nicht selbstverliebt, sondern mitfühlend.“

„Ich bin keine Wiedergeburt des Teufels. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich Kinder großziehen sollte.“

„Aber was willst du wirklich? Was erwartest du von deiner Zukunft?“, erkundigte sie sich.

„Ich habe meist nur zwei, drei Monate in die Zukunft gedacht.“

„Und wo willst du in drei Monaten sein?“

Sein Blick wurde weich, als er sie anschaute. Er streckte die Hand aus und strich ihr eine Haarsträhne zurück. „Ich kann dir sagen, wo ich in fünf Minuten sein will.“

Der Atem stockte ihr, als er ihr mit dem Zeigefinger über die Wange, am Hals entlang und zum Ausschnitt ihrer Bluse strich. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und sie verspürte eine prickelnde Wärme auf der Haut.

„Du hast deine Jeans ausgezogen“, sagte er mit belegter Stimme. „Warum hast du das gemacht?“

„Es ist unbequem, wenn man sie zum Schlafen anlässt.“

„Ich dachte, du wolltest mich damit reizen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Da du deine angelassen hast, dachte ich, wir wären ziemlich sicher.“

Seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. „Weil du beim Schlafen gerne kuschelst?“

„Das habe unbewusst getan.“ Seine Augen waren so sexy, dass sie am liebsten für immer in ihre Tiefen eintauchen würde. „Ich habe noch nie mit einem Mann die ganze Nacht im Bett verbracht.“

„Das glaub ich dir nicht.“

„Am College hatte ich ein Zimmer in einem Mädchenwohnheim.“

Er ließ die Hand sinken, und seine Miene wurde zurückhaltend. „Du bist doch nicht etwa …“

„Noch Jungfrau?“ Sie musste unwillkürlich über sein schuldbewusstes Gesicht lachen. „Hab ich dir nicht gerade erzählt, dass ich auf dem College war?“

„Du machst mir Angst, Mandy.“

Ungewohnte Gefühle stiegen in ihr auf. Sie mochte vielleicht keine Jungfrau mehr sein, aber ihre Erfahrungen gingen kaum über die einer Achtzehn- oder Neunzehnjährigen hinaus. Zwischen ihren Erfahrungen und Calebs lagen Welten.

„Du machst mir auch Angst“, entgegnete sie flüsternd.

„Das will ich nicht.“

Sie nickte, und er beugte sich langsam zu ihr, um sie zu küssen.

Seine warmen Lippen, fest und zärtlich, senkten sich selbstsicher auf ihre. Er drückte sie zurück aufs Kissen und zog sie fest an sich.

Eine Welle des Verlangens brandete in ihr auf. Ihr Rücken wölbte sich ihm instinktiv entgegen, sie öffnete ihre Lippen seinem Zungenspiel und schmeckte seine Leidenschaft. Ihre Brustspitzen rieben gegen seinen Oberkörper, wurden hart und überaus empfindsam.

Er stöhnte lustvoll auf, ließ die Hand über ihre Hüfte gleiten, über ihren seidigen Slip, und an einem nackten Oberschenkel hinab. Seine Küsse wanderten an ihrer Nackenbeuge entlang, umrundeten ihr Ohr, drangen unter ihre Bluse und suchten sich den Weg zur Schulter.

Sie drückte ihre Lippen an seinen Hals, sog seine Haut in heißem Begehren ein und schmeckte Salz und Regenwasser. Seine Hand glitt zu ihrem Po, drückte zu und er keuchte atemlos auf. „Du bringst mich um, Mandy.“

„Gefällt es dir?“ Für sie fühlte es sich gut an. Unbeschreiblich gut.

Er bedeckte ihre Schulter, den Hals, den Mund mit Küssen und zog ihre Hüften fest an seine. „Du musst mir jetzt sagen: Soll ich aufhören oder weitermachen?“

Ihr Mund öffnete sich für ein Ja.

Dennoch zog er sich zurück, und sein forschender Gesichtsausdruck ließ sie innehalten.

„Ich …“ Sie zögerte. Das hier war nicht mehr so wie im College. Es war viel komplizierter als damals.

„Wenn wir diese Grenze überschreiten“, warnte er sie, „dann können wir nie wieder zurück.“

Sie bemühte sich zu verstehen, was er meinte. „Heißt das Nein?“, fragte sie fast zaghaft.

Als er nicht antwortete, krampfte sich ihr Magen zusammen. Wurde sie etwa allein auf dieser Flutwelle fortgerissen? Sie fühlte sich gedemütigt, und ihr Körper verspannte sich.

Als er schließlich antwortete, klang seine Stimme beherrscht und leidenschaftlich zugleich. „Ich sage nur, mit einer Frau wie dir bin ich noch nie zusammen gewesen. Du musst noch mal über alles gründlich nachdenken.“

Sie rückte von ihm ab und fühlte sich wie mit kaltem Wasser übergossen. Mit gepresster Stimme erwiderte sie: „Ausgezeichneter Vorschlag.“

Ohne ihm die Chance auf eine Erwiderung zu geben, sprang sie aus dem Bett und hob ihre Jeans vom Boden auf. „Jetzt, wo du es sagst – vermutlich ist Frühstück eine viel bessere Idee.“

Breitbeinig und in nagelneuen Arbeitsstiefeln mit Stahlkappen, die er in der Shopping Mall von Lyndon erstanden hatte, jagte Caleb die Kettensäge durch den dritten Baumstamm, der auf die Bainbridge Avenue gestürzt war. Die körperliche Anstrengung tat ihm gut und bot ein Ventil für seine sexuelle Frustration.

Lyndon sah an diesem Morgen aus wie ein Schlachtfeld. Mandy hatte ziemlich ins Schwarze getroffen mit ihrer Vermutung, es sei ein Jahrhundertsturm. Wind, Regen und an manchen Stellen auch Hagel, hatten Bäume umstürzen lassen und Gebäude beschädigt. Glücklicherweise gab es keine lebensgefährlich Verletzten.

Mandy gehörte zu einem anderen Räumungsteam ein paar Hundert Meter weiter. Sie zerrte, die Hände in groben Arbeitshandschuhen, mit etwa einem Dutzend anderer Helfer Äste und Baumteile zu den wartenden Pick-ups. Obgleich Caleb den Blick immer wieder zu ihr hinwandern ließ, war er fest überzeugt, an diesem Morgen das Richtige getan zu haben. Wenn sie noch nicht bereit war, dann war sie nicht bereit. Und er wollte sie nicht in etwas hineintreiben, das sie später bereuen würde.

Sein Handy summte in seiner Brusttasche, und er machte die Kettensäge aus und stellte sie auf den Boden.

„Hier Terrell“, meldete er sich knapp.

„Caleb? Hier ist Seth.“

„Oh, hallo, Seth.“ Caleb strich sich das verschwitzte Haar zurück. „Ist alles in Ordnung bei deinem Dad?“

„Es geht ihm immer besser. In ein paar Tagen beginnt er mit Krankengymnastik und Sprachübungen.“

„Das klingt ja großartig.“

„Ja. Hör mal, hast du die Berichte im Fernsehen über den Sturm gesehen? Sie zeigen andauernd, wie schlimm es Lyndon gestern Abend getroffen hat.“

„Wir stecken mittendrin“, erklärte Caleb und ließ den Blick über die Verwüstung schweifen. „Mandy und ich sind immer noch in der Stadt.“

„Geht es ihr gut?“, fragte Seth besorgt.

„Ja, sie ist wohlauf. Wir helfen hier bei den Aufräumarbeiten.“

„Gut, da bin ich froh. Über die Aufräumarbeiten wollte ich auch gerade mit dir sprechen. Meinst du, als Präsident von Active Equipment, wäre es dir möglich, der Stadt eine Spende zukommen zu lassen? Vielleicht ein paar Schaufellader?“

„Klar.“ Caleb fragte sich, warum er nicht schon selber darauf gekommen war. „Ich erkundige mich gleich mal, welche Händler hier am Ort sind und wie schnell sie liefern können.“

„Das wäre großartig.“

„Kein Problem. Hier ist jede Hilfe willkommen.“

„Und … ähm … Caleb?“

„Ja?“

„Würde es dir etwas ausmachen, das mit mir öffentlich bekannt zu geben? Ich will, dass das auch für deine PR nützlich ist.“

Caleb verstand, was dahintersteckte. „Aber es würde deinem Bürgermeisterwahlkampf auch nicht schaden, wenn du dabei als Initiator auftrittst?“, hakte er humorvoll nach.

„Nein, kein bisschen.“

„Okay, dann mach das so. War schließlich deine Idee. Du verdienst die Lorbeeren.“

„Danke.“ Seths Antwort kam aus tiefstem Herzen.

„Ich freue mich, wenn ich helfen kann. Kommst du in die Stadt?“

„Ich versuch’s. Aber es kann noch eine Weile dauern. Der Flughafen ist geschlossen.“

„So schlimm ist es?“ Die Sperrung des Flughafens überraschte Caleb. „Ich bin auf der Bainbridge eingesetzt. Das Unwetter muss die ganze Stadt getroffen haben.“

„Schau es dir mal im Fernsehen an. Dort zeigen sie Luftaufnahmen.“

„Ich bin hier gerade mit einer Motorsäge zugange. Und ich glaube, in der ganzen Stadt gibt es keinen Strom.“

„Und Mandy geht es wirklich gut?“

„Sie packt an wie ein Profi.“ Caleb sah sie in der Ferne mit einem großen zersägten Ast kämpfen.

„Ja, das kann sie“, pflichtete ihm Seth bei. „Ich komme, so schnell ich kann.“

„Alles klar.“ Caleb legte auf.

Nach ein paar Anrufen in der Zentrale von Active Equipment und der Weitergabe von Seths Kontaktdaten zog Caleb seine Arbeitshandschuhe über und ließ den Motor der Kettensäge wieder an. Er stemmte sich mit dem Fuß gegen den dicken Stamm vor ihm und arbeitete sich weiter durch die Äste.

Mit großer Umsicht befreite er den Stamm von Zweigen und zerteilte ihn in transportable Stücke. Als er aufblickte, sah er Travis auf sich zukommen.

Er stellte die Motorsäge ab und wischte sich über die Stirn. „Wo kommst du denn her?“

Travis ließ den Blick umherschweifen. „Mein Gott. Das ist ja unglaublich.“

„Wem sagst du das. Du hättest mal hören sollen, wie sie gestern Nacht umgestürzt sind. Willst du mit anpacken?“

„Wenn ich das hier so sehe, ja. Eigentlich wollte ich Danielle zum Flughafen bringen.“

Caleb sah sich um, konnte Danielle aber nicht unter den Helfern ausmachen. „Der Flughafen ist geschlossen.“

„Das wissen wir inzwischen auch. Aber heute Morgen war sie furchtbar nervös.“

„Wo ist sie?“

„Ich hab sie im Café abgesetzt. Sie war nicht passend angezogen für Aufräumarbeiten.“

Caleb grinste. „Ich glaube, es wäre fast schon gefährlich, sie hier herumlaufen zu lassen.“

„Du meinst, ein Fingernagel könnte ihr abbrechen?“ Travis strich sich mit der Hand durch das kurze Haar. „Ja, sie kann sicher besser mit dem Computer als mit schwerem Gerät umgehen. Sie telefoniert herum und lotet aus, wie sie am besten nach Chicago zurückkommt.“

„Sie kann meinen Firmenjet nehmen.“ So könnte er ihr für einige widrige Umstände auf ihrer Reise nach Colorado Wiedergutmachung leisten.

Caleb wählte auf seinem Handy Danielles Nummer. Er bot ihr seinen Flieger an und bat sie, mit Seth Kontakt aufzunehmen, um sicherzustellen, dass die Spende über das schwere Gerät glatt und zügig über die Bühne ging. Dann legte er auf.

„So hat sie wenigstens eine sinnvolle Beschäftigung“, sagte er zu Travis.

Travis blickte sich um. „Wo braucht ihr mich?“

„Siehst du dort den großen Burschen mit dem blauen T-Shirt? Er sorgt dafür, dass die Kettensägen gut geölt und einsatzbereit sind. Nimm dir eine und beginn am anderen Ende dieses Baums mit Sägen.“ Caleb deutete auf die Stelle. „Wenn wir die nächsten hundert Meter räumen können, haben wir einen Korridor zum Highway.“

„Alles klar. Übrigens, das war nett von dir, Seth die Spende für die Maschinen organisieren zu lassen.“

„War schließlich seine Idee“, sagte Caleb. „Abgesehen davon kann Lyndon sich glücklich schätzen, ihn als Bürgermeister zu bekommen.“

Mandy machte auf der Ladefläche eines Pick-ups eine Pause von der schweren Arbeit. Sie war müde und verschwitzt, und ihre Schultern schmerzten.

Ihre Feindseligkeit gegenüber Caleb war seit Sonnenaufgang, der ihnen das Ausmaß der Sturmschäden offenbart hatte, vergessen. Es schien geradezu frivol, an einem solchen Morgen überhaupt an Sex zu denken.

„Wollen Sie was zu essen?“ Danielles Stimme riss Mandy aus ihren Gedanken, und sie blickte hoch zu der perfekt gekleideten Frau, die sich mühsam den Weg über die mit Ästen und Schutt bedeckte Straße zum Pick-up bahnte.

„Was machen Sie denn hier?“, rief Mandy erstaunt.

Danielle trug eine taubengraue Leinenhose, die aber teuer aussah, dazu einen perlenbestickten mauvefarbenen Pullover und zinngraue Kalbslederstiefel. Auch ihr Make-up und ihre Frisur waren perfekt.

„Travis hat mich in die Stadt mitgenommen.“

„Travis ist hier?“ Mandy sah sich um, konnte ihren Bruder aber nirgends entdecken.

„Ich hatte gehofft, einen Flug nach Chicago zu erwischen, aber der Flughafen ist geschlossen.“ Sie klappte ihre Designerhandtasche auf und reichte Mandy daraus ein belegtes Baguette.

Mandy nahm das Angebot lächelnd an.

„Ich bewundere dich“, meinte Danielle und ging ganz selbstverständlich zum Du über. „Wie kannst du nur so schwer arbeiten?“

„Alles Übungssache.“ Mandy nahm einen großen Bissen von ihrem Baguette.

„Dafür hab ich mir die Finger wund telefoniert“, sagte Danielle mit leisem, selbstironischen Lachen.

Mandy lächelte über den Scherz. „Niemand erwartet, dass du hier körperlich arbeitest. Ebenso wenig wie man von mir erwarten würde, ein juristisches Schreiben aufzusetzen.“

„Das ist sehr nett, dass du das sagst.“

Sie saßen einen Moment schweigend da, inmitten des dröhnenden Lärms von Kettensägen und gebrüllten Anweisungen.

„Und dann hatte ich auch noch etwas mit deinem Bruder Seth zu erledigen.“

„Was denn?“

„Caleb hat ihm die Organisation einer Spende von Active Equipment an die Stadt Lyndon übertragen – Vorderlader, Bagger und so weiter. Seth wird in ein paar Minuten dazu im Fernsehen eine Erklärung abgeben.“

„Tatsächlich?“ Mandys Blick wanderte hinüber zu Caleb, der weiter Baumstämme zersägte. „Das ist sicher ein PR-Gag.“

„Ein kluger Schachzug“, korrigierte Danielle. „Alle Seiten gewinnen. Ich hab da übrigens noch einen Vorschlag.“

„Für Seths Wahlkampf?“

„Nein, um Reed zu finden.“

Mandy schluckte und war auf einmal hellwach. „Ich höre.“

„Ich weiß nicht, wie lange es üblicherweise dauert, eine 30 Millionen-Dollar-Ranch zu verkaufen. Aber vermutlich schon eine Weile.“ Sie sah hinüber zu Caleb. „Ihm gefällt es hier ein bisschen zu gut. Ich brauche ihn aber dringend in der Firma, und der kürzeste Weg, ihn dorthin zurückzubringen, ist wohl, Reed aufzuspüren.“

„Du meinst wirklich, es gefällt ihm hier? Ich glaube eher, er findet es schrecklich. Er kann es kaum erwarten, hier wegzukommen.“

„Das sagt er nur so.“

„Er ist nicht gern hier in Colorado“, beharrte Mandy. „Und schon gar nicht im Lyndon Valley, auf seiner Ranch, umgeben von schmerzlichen Erinnerungen.“

Danielle lächelte nachsichtig, dann allerdings sagte sie in geschäftsmäßigem Ton: „Ich habe da einen Plan. Du gibst mir dein Handy, und ich wähle eine Nummer. Du wirst mit einem Mann namens Enrico sprechen. Sag ihm alles, was du über Reeds Verschwinden weißt.“

Mandy zögerte. Ihr fiel Danielles Vorschlag wieder ein, Reed über seine Kreditkartenzahlungen ausfindig zu machen. „Ist Enrico ein Codename?“

Danielle lachte belustigt auf. „Er heißt Enrico Rossi – ein Privatdetektiv.“

„Begehe ich damit einen Gesetzesverstoß?“

„Du? Überhaupt nicht!“

„Enrico aber schon?“, hakte sie nach.

Danielle neigte den Kopf zur Seite. „Ich habe keine Ahnung, was Enrico tut oder nicht tut. Aber er wird Reed finden.“

Mandy war versucht, einzuwilligen, aber sie hatte auch Angst. „Könnte ich dafür ins Gefängnis kommen?“

„Das ist bisher keinem seiner Auftraggeber passiert.“ Danielle machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es kann sein, dass er das eine oder andere Passwort knackt, aber er wird nicht stehlen und definitiv niemanden Schaden zufügen. Und da du ihm kein Honorar überweist, gibt es keinerlei Spur, die zu dir führt.“

„Ich soll ihm kein Honorar geben?“ Die ganze Sache klang immer merkwürdiger.

„Er schuldet mir einen Gefallen. Es ist aber nichts Anrüchiges. Ich war seine Pflichtverteidigerin, als ich gerade mein Anwaltsexamen abgelegt hatte.“

„Das heißt, er ist ein Krimineller.“

„Er kam aus schwierigen Verhältnissen“, korrigierte Danielle.

„Was hat er angestellt?“ Mit Dieben und Mördern wollte Mandy nichts zu tun haben, nicht einmal, um Reed zu finden.

„Er war ein Mitglied einer Straßengang, das mit dem Mitglied einer anderen Straßengang in Streit geriet“, erklärte Danielle. „Sein Gegner hatte, wie sich später herausstellte, versucht, Enricos kleinen Bruder in eine Gang zu locken. Enrico wurde wegen Körperverletzung angeklagt, und ich hab ihn freibekommen.“

Das klang nicht so schlimm, eher heldenhaft. „Was wurde später aus seinem kleinen Bruder?“

„Er hat kürzlich ein Stipendium fürs College bekommen. Will Jura studieren.“

„Dann ist Enrico also ein guter Kerl“, fasste Mandy zusammen.

„Er ist ein großartiger Kerl. Iss dein Sandwich auf, dann rufen wir ihn an.“

Enrico klang keineswegs wie ein knallharter, abgebrühter Krimineller. Er drückte sich gewählt aus, schien intelligent und er war zuversichtlich, Reed zu finden. Dann kamen Caleb und Travis auf den Pick-up-Truck zu, und Mandy beendete rasch das Telefonat.

„Danke“, raunte sie Danielle zu.

„Du siehst überraschend fröhlich aus“, sagte Travis zu Danielle.

„Ich bin auch sehr zuversichtlich“, erwiderte Danielle und warf Mandy einen bedeutungsvollen Blick zu.

Caleb fixierte derweil Mandy. „Kommst du gut zurecht?“

„Ja, geht schon.“ Mandy holte tief Luft, denn sie war noch angespannt von dem Telefonat mit Enrico.

„Gibt es Nachrichten aus der großen weiten Welt, Danielle?“, fragte Caleb.

„Seth hat wohl inzwischen im Fernsehen die frohe Botschaft von der Spende verkündet. Die Maschinen kommen heute Nachmittag auf einem Tieflader aus Northridge. Man hofft, den Flughafen morgen wieder in Betrieb nehmen zu können. Und ich konnte ein paar Zimmer im Sunburst Hotel buchen.“ Sie wandte sich an Travis. „Ich dachte, du willst sicher in der Stadt übernachten?“

„Da hast du richtig gedacht. Ich werde hier noch mindestens einen Tag gebraucht.“

„Mandy und ich könnten unsere Suiten im Rose Inn behalten“, wandte Caleb ein. „Offenbar gab es außer dem abgerissenen Balkon keine gravierenden Schäden. Allerdings ist nicht ganz sicher, wann wir wieder Strom haben. Aber dafür hat man uns einen Preisnachlass angeboten.“

„Ich nehme das Zimmer im Rose Inn“, sagte Travis. „Mandy kann mit Danielle im Sunburst wohnen. Dort ist sie besser aufgehoben.“

Caleb presste die Lippen zusammen, und seine Augen verengten sich in offensichtlichem Ärger über Travis’ Entscheidung.

„Sicher“, stimmte Mandy rasch zu. Ihr war egal, wo sie schlafen würde. Schließlich hatten sie und Caleb keine heimlichen Stelldicheins geplant.

Fast wäre sie an diesem Morgen von ihrer Leidenschaft mitgerissen worden. Doch mittlerweile hatte sie genug Zeit gehabt, ihren Kopf wieder klar zu bekommen.

Caleb hatte recht damit gehabt, dass sie in Ruhe noch einmal über alles nachdenken sollte. Mit ihm zu schlafen wäre ein kolossaler Fehler gewesen. Einer, den sie nicht begehen wollte.

Autor

Barbara Dunlop
Barbara Dunlop hat sich mit ihren humorvollen Romances einen großen Namen gemacht. Schon als kleines Mädchen dachte sie sich liebend gern Geschichten aus, doch wegen mangelnder Nachfrage blieb es stets bei einer Auflage von einem Exemplar. Das änderte sich, als sie ihr erstes Manuskript verkaufte: Mittlerweile haben die Romane von...
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