Die süße Rache des stolzen Spaniers

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Atemlos sieht Rose, wer ihre Designer-Boutique betreten hat: Nairo Moreno – genau so sexy wie damals. Ist er etwa gekommen ist, um eine alte Schuld zu begleichen? Sie ahnt nicht, was der stolze Spanier Ungeheuerliches von ihr verlangen wird …


  • Erscheinungstag 23.07.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751515269
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Hoch am schwarzen Nachthimmel schien der fast volle Mond silberhell und kalt, als Rose sich hinausschlich und die Tür vorsichtig hinter sich schloss. Das Quietschen der ramponierten Holztür in den rostigen Angeln klang unnatürlich laut in der Stille der Nacht. Rose erstarrte panikerfüllt und lauschte, ob jemand aufgewacht war und ihr folgen würde, wie es ihr Stiefvater in jener Nacht vor drei Monaten getan hatte. Aber im Haus blieb alles ruhig. Es wirkte still und verlassen, obwohl sie wusste, dass sich hinter den verdreckten, zerbrochenen Fenstern in den Obergeschossen ungefähr ein halbes Dutzend Personen verbarg.

Vor ihr lag der unkrautüberwucherte Weg zur Straße, übersät mit Bierdosen und Müllbeuteln, doch dank des Mondlichts stolperte sie nicht. Es fiel ihr schwer, ihre Panik im Zaum zu halten. Jeden Moment erwartete sie, den Warnruf hinter sich zu hören, der die übrigen Schlafenden in dem besetzten Haus wecken würde.

Darunter eine ganz besonders gefährliche Person.

Roses Herz krampfte sich zusammen, als sie versuchte, jeden Gedanken an den Mann, den sie hinter sich ließ, zu verdrängen. Der Mann, in dem sie ursprünglich ihren Retter gesehen hatte, der ihr zu Hilfe gekommen war, als sie es am nötigsten brauchte. Der Mann, den sie jetzt verlassen musste, wenn sie sich nicht für immer ganz und gar verlieren wollte.

Es war bittere Ironie, dass diese einst elegante, heruntergekommene und dann irgendwann besetzte Stadtvilla für sie Zuflucht gewesen war, als sie vor den Übergriffen ihres verhassten Stiefvaters flüchtete … nur um festzustellen, dass sie im wahrsten Sinn des Wortes vom Regen in die Traufe geraten war.

„O Jett.“

Ohne es zu wollen, sprach sie den Namen laut aus, was sofort verführerische Bilder vor ihrem geistigen Auge heraufbeschwor. Sein athletischer Körper, ausgestreckt auf der Matratze auf dem staubigen Boden in dem Schlafzimmer, das sie als ihres beansprucht hatten. Die lange, dichte pechschwarze Haarmähne fiel über die gebräunten muskulösen Arme, auf denen sein Gesicht ruhte. So schlief er immer, auch wenn sie sich zuvor leidenschaftlich geliebt hatten. Wie auf Knopfdruck konnte er scheinbar in tiefsten Schlaf sinken, aber Rose hatte erlebt, dass die winzigste Bewegung, das kleinste Geräusch genügten, um ihn im Bruchteil von Sekunden hellwach zu machen.

Auch diesmal hatte er sich geregt, als sie den Platz an seiner Seite verließ. Ihre leise Erklärung, dass sie nur kurz ins Bad müsse, hatte ihn so weit beruhigt, dass er den Kopf wieder auf die Arme sinken ließ.

„Bleib nicht zu lange“, hatte er noch kurz gesagt.

„Ich bin gleich zurück“, lautete ihre Antwort, wobei Rose in diesem Moment bewusst war, dass sie ihn für immer verlassen würde. Es war ihre einzige Chance, aus dem Haus wegzukommen, bevor dort die Hölle los sein würde.

Dennoch brach es ihr das Herz, als sie die Straße erreichte und losrannte. Sie wurde von einem Gefühl des Verlusts überwältigt, von einer schmerzlichen Sehnsucht nach allem, was sie sich mit diesem Mann erträumt und das sich nun als bittere Täuschung erwiesen hatte.

Wenn nur … nein, es gab weder Raum noch Zeit für irgendein „wenn nur“. Sie hatte keine Zukunft mit ihm, mit dem Mann, in den sie sich törichterweise Hals über Kopf verliebt und dem sie sich mit Leib und Seele hingegeben hatte, bis ihr klar geworden war, was für ein Mensch er wirklich war.

Von Anfang an hätte sie wissen müssen, dass er kein edler Ritter auf weißem Ross war, als er sie buchstäblich auf der Straße aufgesammelt hatte. Aber verloren und allein, wäre sie für jede Hilfe dankbar gewesen, und er hatte sie von Anfang an in seinen dunklen Bann gezogen. Doch jetzt war sie an einem Punkt angekommen, da sie die Beweise, dass Jett in den verwerflichen Handel mit illegalen Drogen verwickelt war, nicht länger ignorieren konnte. Ein Umstand, der letztendlich für den Tod eines der jungen Hausbesetzer verantwortlich war. Allein bei dem Gedanken erschauderte Rose.

Sie hörte die Wagen auf der Straße und wusste, warum sie kamen. Die Polizei hatte auf ihren Tipp reagiert, und nun war es höchste Zeit für sie zu verschwinden. Mit raschen Schritten entfernte sich Rose von dem besetzten Haus. Keuchend bog sie um die Ecke, als die Einsatzfahrzeuge hinter ihr vor den Toren vorfuhren.

Es war vorbei. Doch in Wahrheit hatte es eigentlich nie richtig begonnen, nur dass sie in ihrer Naivität und Dummheit blind für die Realität gewesen war, bis es fast zu spät gewesen wäre.

1. KAPITEL

Nairo Roja Moreno kniff missmutig die Augen zusammen, als er aus seinem Privatjet trat und ihm der eisige Wind den Regen ins Gesicht trieb.

„Perdición!“ Fluchend schlug er den Kragen seines Jacketts hoch. „Es regnet!“

Natürlich regnete es. Dies war England, und das Wetter schien sich gegen ihn verschworen zu haben, als wollte es ihn daran erinnern, warum er diesen Ort so verabscheute.

London, wo er einmal gehofft hatte, einen Neuanfang in seinem Leben starten zu können, und wo man ihm stattdessen das Herz geraubt und gedankenlos gebrochen hatte.

„No!“

Entschlossen stieg er die Stufen hinab. Die Erinnerungen, die ihn bestürmten, hatten nichts mit dem Wetter zu tun, vielleicht abgesehen davon, dass es in dem verdammten Haus immer kalt gewesen war. Kalt und elend, außer in den Zeiten, in denen Red mit ihm den Schlafsack geteilt hatte.

Sei ehrlich. Es war nicht das Wetter oder das Haus, das ihn fertiggemacht hatte, sondern die Kälte des Verrats. Die Kälte eines Herzens, das er für warm und freigiebig gehalten hatte. Bis sie ihn ohne eine Erklärung verlassen hatte, einfach im Dunkel der Nacht aus seinem Leben verschwunden war.

Ein Glück, dass er sie los war! Er schüttelte die ungebetenen Erinnerungen ab, als er in den bereitstehenden Wagen stieg. Damals hatte er keine Lust verspürt, sie zu suchen, und auch gar keine Zeit dafür gehabt. Seine Bemühungen, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen und sich mit seiner Familie auszusöhnen, was sie durch ihr Handeln fast zerstört hätte, hatten ihn ganz in Anspruch genommen. Er hatte eine zweite Chance erhalten und nicht vor, sie sich zu vermasseln. Diese Reise nach London war der letzte Teil der Aufgabe, die er sich auferlegt hatte.

„Dacre Street“, wies er den Chauffeur an. Hoffentlich kannte der Mann sich aus, denn die Straße lag nicht in einer Gegend, die Nairo geläufig war.

Seufzend lehnte er sich zurück und strich sich das nasse schwarze Haar aus dem Gesicht. Er hatte keine andere Wahl gehabt, als nach London zurückzukehren, um das Versprechen zu halten, das er Esmeralda gegeben hatte. Wichtig war nur, dass es seine Schwester glücklich machen würde, denn er hatte bei ihr so viel wiedergutzumachen.

Es hätte kaum einen schlechteren Tag geben können, an dem Louise sich krankmeldete. Seufzend strich sich Rose eine rötlich schimmernde kastanienbraune Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst hatte. Der Unordnung im Empfangsbereich nach zu urteilen, hatte sich ihre normalerweise so gut organisierte und effiziente Assistentin schon tags zuvor ziemlich unwohl gefühlt. Sogar auf dem Terminkalender prangte ein großer Kaffeefleck, der Einzelheiten unleserlich machte.

Nicht, dass Rose eine Erinnerung gebraucht hätte. Der Termin war vor einer Woche vereinbart worden, von einer Frau, die mit starkem Akzent sprach und sich als die persönliche Assistentin von Nairo Roja Moreno vorstellte.

„Nairo Roja Moreno“, sagte Rose nachdenklich, während ihr Blick auf dem verschmierten Eintrag in ihrem Terminkalender ruhte. Der Sohn einer spanischen Aristokratenfamilie, wie seine persönliche Assistentin nachdrücklich bemerkt hatte. Und der wollte mit ihr über ein Brautkleid sprechen?

Eigentlich hatte sich Rose gestern Abend im Internet über diesen Spanier informieren wollen, aber ihrer Mutter war es so schlecht gegangen, dass sie ihre ganze Fürsorge und Aufmerksamkeit beansprucht hatte.

Tatsächlich war Rose überglücklich gewesen, als sie die E-Mail mit der Bestätigung des Termins aus Spanien erhalten hatte. Es war ihr wie eine Rettung genau zum richtigen Zeitpunkt vorgekommen. Die Pflege ihrer Mutter, die an Krebs litt, hatte sie viel Kraft gekostet. Dazu hatte sie schon eine Ewigkeit keinen nennenswerten Auftrag mehr erhalten, dafür hatte der Skandal um ihre verpatzte Hochzeit gesorgt. Inzwischen war sie schon mit der Miete für die Boutique im Rückstand und konnte kaum noch die laufenden Kosten für ihre Wohnung aufbringen. Aber wenn dieser Nairo Moreno wirklich den Auftrag für das Brautkleid seiner Schwester in ihre Hände legen wollte – zusammen mit der Ausstattung der Brautjungfern und Dutzender Blumenmädchen und Pagen –, konnte sie das vor dem Untergang bewahren. Es konnte ihren Ruf wiederherstellen, sie finanziell sanieren und vielleicht sogar buchstäblich das Leben ihrer Mutter retten.

Joy hatte einen langen, aufzehrenden Kampf gegen den Krebs hinter sich. Sie war von der Operation und der Chemotherapie geschwächt und fing gerade erst an, sich etwas zu erholen. Jeder zusätzliche Stress konnte gefährlich für sie sein. Und nach allem, was es gekostet hatte, ihre ziemlich zerstörte Beziehung von vor zehn Jahren wieder aufzubauen, wollte Rose sich nicht vorstellen, dass das alles wieder kaputtgehen könnte.

Ihr aristokratischer Besuch musste jetzt jeden Moment eintreffen. Zerstreut klopfte Rose mit ihrem Kugelschreiber auf den Terminkalender, während sie durch das Fenster ihres Ateliers in den Regen blickte, der draußen niederprasselte. Nicht gerade der beste Tag, um sich eine Sommerhochzeit vorzustellen.

Jett hatte den Regen gehasst, besonders in dem unbeheizten besetzten Haus. Folglich hatten sie sich an vielen verregneten Tagen im Schlafsack zusammengekuschelt … Überrascht von ihren ungebetenen Erinnerungen, ließ Rose den Kugelschreiber fallen. Er rollte über die Tischplatte, fiel zu Boden und kullerte unter einen Regalschrank.

„Verdammt!“

Seufzend ließ sie sich auf alle viere nieder und tastete unter dem Schrank nach dem Kuli. Genau in dem Moment hörte sie, wie hinter ihr die Tür aufging. Jemand betrat den Laden und brachte einen Schwall kühler, feuchter Luft mit herein.

„’tschuldigung, nur einen Moment.“

„De nada.“

Das war eine südländische Stimme, warm und tief und unglaublich sexy.

Natürlich! Der spanische Aristokrat. Wie hieß er noch gleich? Nairo Soundso. Rose wurde plötzlich bewusst, welches Bild sie abgeben musste: auf allen vieren mit ihrem in die Luft gereckten Po, über dem sich ihr enger Rock spannte … Sie streckte sich noch ein letztes Mal nach dem Kuli, stieß sich den Kopf am Regalbrett, als sie ihn zu fassen bekam, und wandte sich um, um sich aufzurichten.

Nairo machte es überhaupt nichts aus zu warten. Zufrieden stand er da und genoss die Aussicht auf einen hinreißend knackigen Po, dessen Eigentümerin nach irgendetwas unter einem der Regale angelte. Während er sich mit verschränkten Armen lässig gegen den Türrahmen lehnte, verspürte Nairo ein heißes Aufwallen. Ein so sinnliches Vergnügen war das Letzte, was er auf dieser unerwünschten Reise nach England erwartet hatte. In Spanien gab es rund um die „Hochzeit des Jahrhunderts“ noch so viel zu planen und zu organisieren – vor allem in Anbetracht der Ansprüche der baldigen angeheirateten Verwandtschaft seiner Schwester –, dass er sich eigentlich nur eine Auszeit von wenigen Tagen von dem Chaos gestattet hatte.

Der reizvolle Anblick jetzt veranlasste ihn jedoch, noch einmal darüber nachzudenken. Es war viel zu lange her, seit er zuletzt das Bett mit einer Frau geteilt hatte. Die tödliche Krankheit seines Vaters, die Notwendigkeit, sich mit aller Kraft darauf zu konzentrieren, den Familienbesitz der Morenos zu retten und wieder zum Erfolg zu führen, und zuletzt natürlich Esmeraldas Verlobung und die bevorstehende Hochzeit hatten Nairo nur wenig Zeit für sich gelassen.

Die Aussicht, sich ein paar Tage zu entspannen, selbst im ewig grauen, verregneten London, gewann zunehmend an Reiz.

„Hab ihn!“

Amüsiert hörte er den triumphierenden Ausruf, doch sein Lächeln verschwand, als die Frau vor ihm den Kopf hob. Rotes Haar. Allerdings ein dunkles, rot schimmerndes Kastanienbraun und ganz anders als das leuchtende Kupferrot, das er neben anderen Reizen so sehr an jener Frau geliebt hatte, um die einmal sein ganzes Denken und Sehnen gekreist hatten.

Red Ihr rotes Haar hatte ihr den Spitznamen verliehen. Der Name beschwor Erinnerungen herauf, die er mit Gewalt verdrängt hatte, um sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Es war wirklich das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, dass Geister aus jenen Tagen wieder auftauchten, die ihn mit der Zeit verbanden, als er unter so ganz anderen Umständen in London gelebt hatte.

Scarlett. Feuerrot. Das war der Name der Boutique dieser Designerin, die er in Esmeraldas Auftrag ausfindig machen sollte … Das hatte diese Gedanken in ihm geweckt.

„Tut mir leid … ich … Au!“

Der Schmerzenslaut der Frau brachte Nairo in die Wirklichkeit zurück. Sie hatte sich zu schnell aufgerichtet und dabei den Kopf an einem der Regalbretter gestoßen. Unwillkürlich trat er vor und reichte ihr die Hand.

„Erlauben Sie …“

Er hatte eine Stimme wie Samt, deren Klang jeder Frau die Knie weich werden ließ. Rose war wie elektrisiert, als sie ihre zarte Hand in seine legte. „Danke …“

Der schmerzhafte Zusammenstoß mit dem Regal hatte ihr die Tränen in die Augen getrieben, sodass sie heftig blinzelte, als ihr galanter Helfer sie schwungvoll hoch- und zu sich heranzog. Auf einmal war sie ihm so nahe, dass sie deutlich seine Kraft und Wärme spürte und den Duft seines dezenten Aftershaves einatmete, der mit dem frischen Aroma von Wind und Regen eine nahezu unwiderstehliche Verbindung eingegangen war.

Jett … Wie von selbst kam ihr der Name in den Sinn.

Nein! Warum dachte sie jetzt ausgerechnet an ihn? Seit sie in jener Nacht aus dem besetzten Haus geflohen war, waren fast zehn Jahre vergangen. Zehn Jahre, in denen sie sich aufgerappelt und etwas aus ihrem Leben gemacht hatte. So viel, dass sie heute sogar dieser spanische Aristokrat aufsuchte, um bei ihr das Brautkleid seiner Schwester in Auftrag zu geben.

Ein Auftrag, den sie verzweifelt nötig hatte. Noch dazu ein internationaler und der erste außerhalb Londons, abgesehen von dem Kleid, das ihre Freundin Marina vergangenen Monat bei ihrer Hochzeit mit einem aufstrebenden Filmschauspieler getragen hatte.

„Alles gut …“

Sie wünschte, sie würde nicht ganz so atemlos klingen … und hätte ihre Hand schneller aus seiner zurückgezogen.

De nada.“

Wieder diese sexy Stimme, deren schmeichelnder, südländischer Akzent unwillkürlich die Erinnerung an jenen anderen Mann weckte, der genauso gesprochen hatte. Aber natürlich hätte Jett nie einen so teuren, ganz offensichtlich maßgeschneiderten Anzug getragen, der perfekt auf den breiten Schultern des Mannes saß und seine beeindruckend athletische Figur betonte. Ganz zu schweigen von den auf Hochglanz polierten, handgearbeiteten Lederschuhen. Jett hatte überhaupt keinen Anzug besessen, sondern – genau wie sie – kaum Kleidung zum Wechseln. Bekleidet mit T-Shirt und Jeans war sie damals Hals über Kopf aus dem Haus ihres Stiefvaters vor dessen unerwünschten Annäherungsversuchen geflüchtet.

Zögernd blickte sie auf und geradewegs in die markanten Züge eines atemberaubend attraktiven Mannes. Faszinierende goldbraune Augen, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, hielten sie mit ihrem Blick in Bann, ein dunkler Bartschatten auf Wangen und Kinn verlieh ihm etwas Verwegenes, dazu ein geradezu sündhaft sinnlicher Mund … Und sie wusste so genau, wie dieser Mund küsste.

Für einen Moment schien sich der ganze Raum um sie zu drehen. „Jett …“

Diesmal sprach sie den Namen laut aus, als sie begriff, wer ihr Besucher war. Der Mann, um den einmal Tag und Nacht ihr ganzes Denken und Sehnen gekreist hatten. Auch nachdem sie vor ihm geflohen war, war er in Gedanken immer bei ihr gewesen, war sie nachts noch lange aus heißen Träumen aufgeschreckt. Der Mann, den sie an die Polizei verraten musste, nachdem sie erfahren hatte, wodurch er plötzlich zu Geld gekommen war.

„Jett?“, wiederholte er jetzt scharf. Im nächsten Moment wich er einen Schritt zurück. „Red! Ich hatte keine Ahnung, dass du hier arbeitest.“

Hier arbeitest. War das ein Hinweis darauf, dass er zufällig hier war? Dass er sie nicht etwa gesucht und ausfindig gemacht hatte? Warum sollte er das nach all der Zeit auch tun? Dennoch pochte ihr Herz wie wild, erinnerte an das Flattern Tausender Schmetterlinge in ihrer Brust. Nein, er war nicht auf der Suche nach ihr hergekommen, es war nur eine unselige Fügung des Schicksals, aber die bedeutsame Betonung, die er auf das kleine Wörtchen „du“ legte, ließ trotzdem nichts Gutes ahnen.

Trotzig richtete sie sich kerzengerade auf. „Und ich wusste nicht, dass du für Nairo Moreno arbeitest.“

Ein spöttisches Lächeln zuckte um seinen Mund. „Ich arbeite nicht für ihn … ich bin Nairo Moreno. Und ich habe einen Termin mit Ms. Cavalliero. Oh … ich verstehe, meine süße Red …“ Sein Lächeln wurde breiter, vielsagender. „Hast du etwa geglaubt, ich wäre deinetwegen hier? Dass ich dich nach all der Zeit gesucht und ausfindig gemacht hätte?“ Ja, genau das hatte sie gedacht, da war Nairo sich sicher. Er las es in ihrem schönen Gesicht. Er hatte immer gewusst, dass in dem jungen, hübschen Mädchen, das er damals als „Red“ kennengelernt hatte, eine Schönheit schlummerte … dennoch hätte er sich nicht ausgemalt, dass sie einmal eine so atemberaubende Frau werden würde.

Eine cremefarbene Spitzenbluse, kombiniert mit einem engen dunkelblauen Rock, betonte die reizvollen Formen ihrer schlanken Figur, von der er ja bereits den knackigen Po ausgiebig bewundert hatte. Das seidige Haar, dessen leuchtendes Kupferrot damals für ihren Spitznamen „Red“ verantwortlich gewesen war, schimmerte jetzt in einem dezenteren, dunkleren Kastanienbraun, die mandelförmigen grünbraunen Augen wirkten durch ein gekonntes Make-up, das sie sich damals gar nicht hätte leisten können, katzenhaft und geheimnisvoll.

Mit einer energischen Kopfbewegung richtete Nairo seine abschweifenden Gedanken wieder auf die wirklich wichtigen Tatsachen vor ihm.

Sie war das Letzte, das er jetzt brauchte. Hatte sie damals nicht fast sein Leben ruiniert? Zehn Jahre jünger und um die Erfahrung eines ganzen Lebens ärmer, hatte er für einige wenige Nächte voll hemmungsloser Leidenschaft fast alles riskiert. Blind und töricht in seiner Verliebtheit, hatte er kurz davorgestanden, sein Herz an sie zu verlieren, und erkennen müssen, dass er ihr nichts bedeutete, als sie ihn wegen einer ausgesetzten Belohnung denunziert hatte.

„Ich hätte mir ziemlich viel Zeit damit gelassen, meinst du nicht? Zehn Jahre. Warum sollte ich dich jetzt plötzlich wiedersehen wollen? Nein, entspann dich, Red. Ich suche nicht dich, sondern deine … Chefin?“

„Meine Chefin?“

Sí. Ms. Rose Cavalliero. Die Eigentümerin dieses Ateliers und Designerin dieser …“ Er deutete auf zwei wunderschöne Brautkleider, die in einer Ecke des Raumes auf Schaufensterpuppen ausgestellt waren.

Natürlich, er war ja gekommen, um das Brautkleid seiner Schwester in Auftrag zu geben. Ganz offensichtlich war ihm immer noch nicht aufgegangen, dass sich das „Scarlett“ in ihrem Ateliernamen auf sie bezog. Aber nein! Sie konnte unmöglich für ihn arbeiten! Auch wenn ein Auftrag dieser Art eine unschätzbare Werbung für ihre Arbeit bedeutet hätte. Ganz zu schweigen von dem finanziellen Aspekt.

Aber würde es den Einsatz wert sein? Alles Geld der Welt konnte nicht wettmachen, dass sie dann notgedrungen Zeit mit Jett verbringen musste … oder mit Nairo Moreno, wie er sich jetzt nannte. Selbst wenn es ihm nicht um Rache ging, war es doch nicht zu übersehen, wie schwer es ihm fiel, ihr gegenüber höflich zu bleiben. Aber wie sollte sie aus dieser Sache wieder herauskommen?

„Also, wo ist sie?“

Sein scharfer Ton und zorniger Blick bestätigten Rose in ihrem Eindruck. Wenn sie geahnt hätte, wer dieser Nairo Moreno wirklich war, hätte sie sich nie auf einen Termin mit ihm eingelassen. Für den Bruchteil einer Sekunde war Rose versucht, ihn darüber aufzuklären, dass sie keinesfalls nur eine Angestellte war, sondern die Designerin selbst, die er so dringend kennenlernen wollte, doch ihr Selbsterhaltungstrieb siegte über ihren Stolz. Sie musste Nairo Moreno so schnell wie möglich loswerden, bevor er erneut Unheil in ihr Leben brachte.

„Sie muss sich um ihre kranke Mutter kümmern.“ Das war immerhin nicht gelogen.

„Und hat es nicht für nötig gehalten, mich zu benachrichtigen?“, fragte er kalt.

„Es … war ein unerwarteter Notfall.“

„Ich verstehe.“ Doch sein Ton verriet, dass er überhaupt kein Verständnis dafür aufbrachte. Gereizt warf er einen Blick auf seine Armbanduhr … ein teures Modell aus Platin, wie es sich der Mann, den Rose einst gekannt hatte, niemals hätte leisten können.

Es sei denn … ihr jagte ein eisiger Schauer über den Rücken, als sie sich erinnerte, warum sie damals vor ihm geflüchtet war. „Sie wird sich sicher bei Ihnen melden …“

Sobald ihr eine plausible Ausrede eingefallen war, warum sie seinen Auftrag nicht annehmen konnte. Jetzt wollte sie nur, dass er verschwand, möglichst für immer.

„Ich warte auf eine baldige Nachricht.“

Es klang so sehr nach einer Drohung, dass ihr Herz heftig klopfte. „Ich … werde es ausrichten.“

Ohne ihn auch nur anzusehen, eilte sie zur Tür, wobei sie einen Bogen um ihn machte, damit er sie auf keinen Fall noch einmal berührte. Allein die Vorstellung weckte erneut die Schmetterlinge in ihrem Bauch.

„Mach das.“ Während er zusah, wie diese neue, veränderte Red zur Tür ging und sie aufriss, wobei ihre ganze Haltung ihre Abneigung verriet, überlegte Nairo, wie anders als erwartet dieser Tag doch verlaufen war. Anstatt eine Modedesignerin zu treffen, die augenblicklich eine Art Geheimtipp in der High Society war, sah er sich mit Erinnerungen aus seiner Vergangenheit konfrontiert, die er vergraben und vergessen geglaubt hatte.

Autor

Kate Walker
Kate Walker wurde zwar in Nottinghamshire in England geboren, aber ihre Familie zog nach Yorkshire, als sie 18 Monate alt war, und deshalb sah sie Yorkshire immer als ihre Heimat an. In ihrer Familie waren Bücher immer sehr wichtig, und so lasen sie und ihre vier Schwestern schon als Kind...
Mehr erfahren