Digital Star "Historical" - Michelle Willingham

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WIKINGER-WEIHNACHT

Ein Wolf! Unvermittelt greift das Raubtier die junge Heilerin Rhiannon an. Im letzten Moment rettet sie ein blonder Wikinger. Blind und ausgestoßen lebt er im Wald - bis Rhiannons Feuer der Leidenschaft seine ewige Nacht erhellt …

WINTERHOCHZEIT AUF BURG LAOCHRE

Bald schon werden die schöne Spanierin Adriana und Liam MacEgan auf Burg Laochre Mann und Frau! Doch bei aller Vorfreude quält Adriana die Angst. Denn in der Hochzeitsnacht kann sie ihr demütigendes Geheimnis nicht länger verbergen …

DAS HEIßE HERZ DER IRIN

"Ich lehre dich den Umgang mit dem Schwert, wenn du mir dafür deine Gesellschaft schenkst!" Soll Brianna auf den Vorschlag des Spaniers Arturo eingehen? Seine Blicke versprechen mehr als Freundschaft: heiße Umarmungen in kalten Nächten …


  • Erscheinungstag 28.04.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773946
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Michelle Willingham

Digital Star "Historical" - Michelle Willingham

IMPRESSUM

Wikinger-Weihnacht erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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Fax: +49(0) 711/72 52-399
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© 2012 by Michelle Willingham
Originaltitel: „The Holly And The Viking“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL WEIHNACHTEN
Band 5 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Gisela Grätz

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733742904

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

 

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PROLOG

Irland, Frühjahr 1192

Es brauchte drei Männer, um ihn festzuhalten. Kaall Hardrata wehrte sich nach Kräften, kämpfte wie ein Bär, um sich aus der Umklammerung der starken Arme loszureißen.

„Vater!“ Er hörte Emlas verzweifeltes Schreien und Schluchzen, als sie sie fortbrachten, und eine weibliche Stimme, die versuchte, seine Tochter zu trösten. Er konnte nicht sehen, ob sie ihre Arme nach ihm ausstreckte. Bei der Vorstellung, sie zu verlieren, zerriss es ihm das Herz.

„Warum tut ihr das?“, brüllte er die gesichtslosen Entführer an. „Bei mir hat sie keinen Schaden erlitten.“

„Du kannst nicht für sie sorgen.“ Das war die Stimme seines Vaters, Vigus Hardrata. „Wir haben sie dir so lange wie möglich gelassen, doch nun ist es Zeit, dass sie zu Pflegeeltern kommt, die sich um ihre Bedürfnisse kümmern können.“

Die Worte blieben Kaall in der Kehle stecken, die tausend Gründe, warum es falsch war, dass sie ihm sein Kind wegnahmen. Er hatte alles getan, was in seiner Macht stand, damit es Emla gut ging, denn sie war das Einzige, das ihm von Lína geblieben war.

„Ihr tut das, weil ich einen von den MacEgans erstochen habe, gebt es doch zu!“, schrie er ins Leere. Dem Schweigen, das folgte, entnahm er, dass seine Vermutung stimmte. Bei einem Überfall letzten Winter war er von dem Mann angegriffen worden, und Kaall hatte sich daraufhin verteidigt, wie es sein Recht war. Aber es gab nicht wenige, die ihn deshalb tot zu sehen wünschten.

„Ich habe den Blutpreis entrichtet“, rief er ihnen in Erinnerung. Von seinem Besitz war danach nicht mehr viel übrig gewesen, doch Kaall hatte alles Erforderliche zur Unterstützung der Witwe getan.

„Und darum hast du kaum noch genug, um dich über die Runden zu bringen, geschweige denn ein Kind“, hielt Vigus dagegen. „Emla kommt zu einer guten Familie.“

„Sie gehört zu mir“, beharrte Kaall.

„Mach es nicht schwerer, als es ohnehin ist“, schaltete seine Mutter Jódís sich ein. „Du musst sie gehen lassen, damit sie sich in ihre neue Familie eingewöhnen kann.“

Kaall schüttelte die Hand ab, die sich auf seine Schulter legte. „Wo bringt ihr sie hin?“

„Es ist besser, wenn du das nicht weißt“, beschied ihm Vigus. „Aber sei beruhigt, sie wird es gut haben bei ihrer neuen Familie.“

Endlich gelang es Kaall, sich dem Griff der Männer zu entwinden, doch er verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.

„Emla!“

Doch es kam keine Antwort von dem Mädchen. Ehe er sich aufrappeln konnte, hatten sie ihn wieder gepackt. Vigus’ Stimme erklang neben ihm. „Ich würde es lieber sehen, wenn ich dich nicht fesseln müsste, Kaall. Lass sie gehen und sieh ein, dass du nicht in der Lage bist, dich um sie zu kümmern.“

Blanker Hass schoss in ihm hoch, weil sie sich nicht von ihrem schrecklichen Plan abbringen ließen. Dabei hatte er Emla ein Zuhause eingerichtet, sie ernährt, Abend für Abend zu Bett gebracht und ihr Geschichten erzählt. Sie sahen nur seine Versehrung, nicht die Liebe, die er für seine Tochter empfand.

„Bringt sie zu mir“, verlangte er ruhig. „Ein letztes Mal, ehe ihr sie mitnehmt.“

„Es wäre nicht klug. Sie würde nur wieder weinen.“

„Ich verdiene es, ihr Lebewohl zu sagen.“ Bei ihrem gönnerhaften Ton musste er die Zähne zusammenbeißen. „Gewährt mir wenigstens das.“

Sie weigerten sich. Und als sie ihn endlich freigaben, war seine Tochter fort.

1. KAPITEL

Winter 1192

Ich wirke einen Zauber für dich, Cousine. Und ich verspreche dir, zur Wintersonnenwende wirst du deine Liebe finden.

Rhiannon MacEgan bezweifelte, dass eine Zwölfjährige einen Mann herbeizaubern konnte, erst recht einen, der sich dann auch in sie verliebte. Aber Alanna war eine Anhängerin des alten Glaubens, vielleicht weil Druidenblut in ihren Adern floss oder ihr Onkel Trahern ihr zu viele Geschichten von den Feen erzählt hatte. Aber wie dem auch sein mochte, es konnte nicht schaden, zu den Dolmen zu gehen, die auf halbem Weg zwischen Laochre und Gall Tír lagen. Alanna sollte zaubern, so viel sie wollte, Rhiannon würde sie nicht davon abhalten.

Der Himmel war wolkenverhangen und die Luft so kalt, dass sich beim Atmen Wölkchen bildeten. Zweige auf dem gefrorenen Boden knackten unter ihren Sohlen, und sie zog den Umhang fester um sich, als sie sich den riesigen Steinblöcken näherte. Alanna und Cavan MacEgan erwarteten sie bei dem Druidengrab. Der Junge schien alles andere als begeistert, seine Schwester begleiten zu müssen.

Als Rhiannon die beiden erreichte, schoss Cavan ihr einen finsteren Blick zu. „Ich fasse es nicht, dass du dich auf ihren törichten Aberglauben einlässt. Ich friere, und es fängt jeden Moment an zu schneien.“

„Von wegen töricht“, protestierte Alanna. „Ich gebe dir mein Wort darauf, dass es wirkt.“

Cavan verdrehte die Augen, aber Rhiannon schenkte ihrer Cousine ein ermutigendes Lächeln. „Was muss ich tun?“

„Ich brauche eine Haarlocke von dir.“ Alanna zog ein mit Birkenrinde umwickeltes Gebinde aus Kräutern aus ihrem Beutel hervor, während Rhiannon ihr Messer nahm und sich die verlangte Haarlocke abschnitt. Sie gab sie Alanna, die sie um das Amulett aus Kräutern wand und auf die Steinplatte legte. „Jetzt entfachen wir ein Feuer, und dann sage ich den Zauberspruch.“

Cavan hielt Rhiannon seinen Zündstein hin.

Rhiannon zögerte. „Kannst du das nicht übernehmen?“, fragte sie ihren Cousin. „Ich bin nicht gut im Funkenschlagen.“

„Nein“, sagte Alanna rasch. „Wenn er es macht, wirkt der Liebeszauber bei ihm.“

„Und das würden wir ja nicht wollen“, kommentierte Rhiannon trocken. Sie nahm den Zündstein und hielt ihn über das Kräutergebinde.

„Versuch, an gar nichts zu denken, wenn du den Funken schlägst“, wies Alanna sie an. „Ich beschwöre derweil das Bild des Mannes herauf, den du lieben wirst. Dann verbrennen wir das Amulett, und du atmest den Rauch ein.“

„Verbrannte Haare riechen eklig“, meldete Cavan sich zu Wort. „Wahrscheinlich muss sie würgen.“

Seine Schwester betrachtete ihn mit einem finsteren Blick, doch er grinste nur und hielt sich die Nase zu. „Also mach schon, Rhiannon.“

Nach mehreren Versuchen, gelang es ihr, einen Funken zu schlagen, der auf dem Kräuterbündel landete, aber sofort wieder erlosch und nur eine kleine Rauchschwade in die Luft sandte.

„Schnell, halt die Nase drüber“, kommandierte Alanna.

Rhiannon atmete ein und lachte. „Du hast recht, Cavan. Es riecht widerlich.“

„Wir sollten zurückgehen und etwas Heißes trinken“, schlug ihr Cousin vor und sah zum Himmel. „Ehe es anfängt zu schneien.“

„Nicht bevor ich fertig bin.“ Alanna straffte die Schultern. „Du musst das Amulett verbrennen, Rhiannon. Und sieh dir das Gesicht des Mannes genau an. Es ist wichtig.“

Rhiannon verbiss sich ein Lachen. Es war albern, aber Alanna nahm diese Dinge ernst. Viele machten sich über das schlaksige Mädchen lustig, zogen es wegen seines Aberglaubens auf.

Dabei wusste Rhiannon aus eigener Erfahrung, wie es war, wenn über einen gespottet wurde. Die jungen Männer mieden sie, als hätte sie Lepra, nur wegen ihres Vaters, der sie allzu streng behütete. Sie war noch nie geküsst worden, hatte nicht einen einzigen Verehrer, weil Connor MacEgan schon außer sich geriet, wenn ein Mann auch nur einen Blick auf sie warf. Bei den Feierlichkeiten an Bealtaine, im letzten Frühjahr, hatte ein Freund ihre Hand genommen, woraufhin ihr Vater dem jungen Mann gedroht hatte, ihm die Finger abzuschneiden.

Ihre Freundinnen waren inzwischen fast alle verheiratet, und sie hatte ihr Zuhause im Westen Éireanns verlassen und war nach Laochre zu ihrem Onkel gereist, in der Hoffnung, endlich auch einen Mann zu finden. Aber selbst hier trauten die jungen Männer sich nicht viel mehr, als ihr von Weitem zuzulächeln. Keiner machte ihr den Hof, und obwohl Rhiannon nicht wirklich an Liebeszauber glaubte, gingen ihr langsam die Ideen aus.

Sie schaffte es, noch einen Funken zu schlagen, und blies ihn an, bis das übel riechende Bündel brannte. Die Flammen verloschen rasch und ließen ein Häufchen Asche übrig.

„Na siehst du. Es ist geschafft“, sagte Alanna. „Hast du das Gesicht deines Liebsten gesehen?“

„Ja“, behauptete Rhiannon, obwohl sie gar nichts gesehen hatte. Der Wind zerrte an ihrem Umhang, und sie fröstelte. „Lasst uns heimgehen und abwarten, ob der Zauber wirkt.“

Eine steile Falte erschien an Alannas Nasenwurzel. „Natürlich wirkt er. Aber man muss daran glauben.“

Es wurde kälter, und die ersten Schneeflocken trieben vom Himmel herunter. Cavan nahm Alannas Hand. „Wir müssen uns auf den Weg machen, solange es noch hell ist.“ Die beiden liefen los, rannten um die Wette, während Rhiannon ihnen gemächlich folgte. Der Weg führte durch ein Waldstück, und sie brauchte einen Moment für sich allein.

Doch das Wetter verschlechterte sich in Windeseile, und auf einmal wirbelte der Schnee so dicht hernieder, dass sie kaum mehr die Hand vor Augen sah. Sie wusste, in welche Richtung sie gehen musste, aber sie hatte noch mindestens eine halbe Meile Weg vor sich. Ein eisiger Wind peitschte ihr entgegen, und auf dem Boden lag bereits eine geschlossene Schneedecke.

Rhiannon senkte den Kopf und ging schneller. Alanna und Cavan konnten nicht weit voraus sein. Aber als die Zeit verstrich, ohne dass sie die Geschwister einholte, begann sie sich Sorgen zu machen. Wo waren die beiden abgeblieben? Hatten sie sich verirrt?

Vor Kälte schlugen ihr die Zähne aufeinander. Sie raffte die Röcke und begann zu laufen. „Cavan! Alanna!“, rief sie gegen den Wind. Es kam keine Antwort, und sie spürte, wie ihr Herz zu rasen anfing. War den beiden etwas passiert? Oder hatten sie so viel Vorsprung, dass sie sie nicht hörten?

Ihre praktische Seite versuchte Ruhe zu bewahren. Zur Burg ihres Onkels war es nicht mehr weit, weniger als eine Stunde Fußmarsch. Wenn sie aus dem Wald kam, musste sie nur noch die Lichtung überqueren, von der aus der vertraute Pfad nach Laochre führte. Vielleicht würde sie schon die Fackeln sehen können, die ihr den Weg wiesen.

Sie suchte den Boden nach Alannas und Cavans Fußstapfen ab, doch der Schnee fiel so rasch, dass Spuren im Nu verwischt waren.

Was, wenn du sie nicht findest? fragte der angstvolle Teil in ihr. Rhiannon schob den Gedanken beiseite, doch die Angst hielt sich hartnäckig. Ohne Obdach könntest du sterben in dieser Kälte.

Sie ging noch schneller, aber plötzlich stieß sie mit dem Fuß gegen ein Hindernis, eine Wurzel wahrscheinlich, die sie unter dem Schnee nicht hatte sehen können, und fiel der Länge nach hin. Ihr war nichts passiert, dennoch verzog sie das Gesicht. In diesem Schneegestöber würde sie noch völlig die Orientierung verlieren.

Geh einfach weiter. Sie stand auf und klopfte sich den Schnee vom Umhang. Tränen schossen ihr in die Augen, doch sie versuchte sie zu ignorieren. Sie hatte Angst, und sie fror, aber es brachte sie nicht weiter, wenn sie anfing zu weinen. Wieder rief sie nach Alanna und Cavan, und wieder lauschte sie vergebens nach einer Antwort.

Rhiannon schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass den beiden nichts geschehen war. Einen Schneesturm wie diesen hatte sie noch nie erlebt. Sie blieb stehen und versuchte einzuschätzen, wo sie sich befand, ging ein Stück zurück und kämpfte ihre Panik nieder. Als sie zwischen den Bäumen hindurch auf ein freies Feld trat und erkannte, wo sie war, sank ihr der Mut.

Vor ihr lag nicht die Ebene, in der sich die Burg Laochre erhob, sondern sie erblickte in der Ferne das hügelige Land im Südosten, in dem sich die Lochlannach – Siedlung Gall Tír befand.

Irgendwann, als sie sich mit gesenktem Kopf gegen den Wind gestemmt hatte, war sie anscheinend in die verkehrte Richtung gelaufen. Vor Enttäuschung kamen ihr erneut die Tränen, und sie machte kehrt. Warum hatte sie nicht besser aufgepasst? Nun musste sie den ganzen Weg in die entgegengesetzte Richtung zurücklaufen.

Die Hände wurden ihr taub, und sie schob sie in die Ärmel ihres Gewandes. Aber auch in den Füßen hatte sie kein Gefühl mehr, und als Heilerin wusste sie, was das bedeutete. Sie konnte es nicht riskieren, noch lange in der Kälte zu bleiben und bis Laochre zu laufen, noch nicht einmal bis Gall Tír. Stattdessen musste sie einen Unterschlupf finden und ein wenig Wärme in ihre erfrorenen Gliedmaßen bringen.

Sie bedauerte, dass sie Cavans Zündstein nicht behalten hatte. Ein Himmelreich für ein wärmendes Feuer und trockene Kleidung, dachte sie sehnsüchtig und sah sich nach einem Platz um, der ihr als Unterstand dienen konnte. Irgendeinem. Aber weit und breit gab es nichts außer Bäumen und knöcheltiefem Schnee.

Die Zähne schlugen ihr klappernd aufeinander, als sie weiterlief. Auf einmal stieg ihr ein eigentümlicher Geruch in die Nase … ein Geruch nach … Rauch? War hier irgendwo ein Feuer? Oder noch besser, jemand, der ihr helfen würde? Sie folgte dem Geruch, lief so schnell sie konnte, bis ein furchterregendes Knurren sie wie angewurzelt stehen bleiben ließ.

Ein Wolf stand in einiger Entfernung gegenüber und fixierte sie, sein eisengraues Fell hob sich dunkel gegen den Schnee ab. Wieder gab das Tier ein gefährliches Knurren von sich und zog drohend die Lefzen über seinen Reißzähnen hoch.

Rhiannon erstarrte. Jede abrupte Bewegung konnte den Wolf dazu bringen, sie anzugreifen. Sie sah sich vorsichtig nach einer Fluchtmöglichkeit oder irgendetwas um, das sich als Waffe verwenden ließ. Nicht weit von ihr lag ein Ast auf dem Boden, aber wenn sie sich danach bückte, würde der Wolf sie vielleicht angreifen.

Sie hielt den Atem an und fragte sich, was sie tun sollte. Die Ohren aufgerichtet, alle Muskeln angespannt, kauerte das Raubtier sprungbereit auf seinem Platz. Das Herz trommelte ihr gegen die Rippen, und sie musste allen Mut aufbieten, um sich zu bewegen, aber sie hatte keine Wahl.

Ganz langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, betete, dass sie den Ast erreichte.

Noch einen Schritt … noch einen …

„Wer ist da?“

Beim Klang der männlichen Stimme knurrte der Wolf erneut und war gerade so lange abgelenkt, dass Rhiannon sich bücken und den Ast vom Boden aufheben konnte. Als sie sich aufrichtete, sah sie sich einem hochgewachsenen Mann gegenüber, der eine Fackel in der einen Hand und ein Schwert in der anderen hielt. Als der Wolf auf den Mann zusprang, rief Rhiannon ihm eine Warnung zu. „Gib acht!“

Ohne nachzudenken, holte sie aus und ließ den Ast auf den Schädel des Raubtiers niederkrachen. Mit einem wütenden Knurren wirbelte der Wolf herum und stürzte sich auf sie.

Sie kam nicht dazu zu schreien, riss nur den Ast hoch, um sich zu schützen. Doch ehe das Tier sich in ihrer Kehle verbeißen konnte, schlug der Mann mit der Fackel zu. Es stank nach angesengtem Fell, und als der Wolf an seinem Angreifer hochsprang, rollte Rhiannon sich zur Seite. Der Mann stieß einen Schmerzensschrei aus, als das Raubtier ihm die Zähne in den Arm schlug. Blut tropfte in den Schnee, doch einen Augenblick später verstummte das Knurren abrupt, und der Wolf fiel leblos zu Boden.

„Bist du in Ordnung?“ Mühsam stand Rhiannon auf und machte einen Schritt vorwärts.

Der Mann gab keine Antwort. Obwohl die Bisswunde an seinem Arm blutete, säuberte er in aller Ruhe die Klinge seines Schwertes im Schnee, trocknete es ab und schob es in die Scheide. Dann hob er die Fackel, und als das Licht auf sein Gesicht fiel, schnappte Rhiannon nach Luft. Sie kannte den Mann … Er war ein Mörder.

Der Geruch der Frau, die bei ihm stand, stieg Kaall Hardrata in die Nase. Es war ein sanfter weiblicher Duft, wie eine fremdartige Kräutermischung. Er hatte keine Ahnung, wieso sie hier war, aber er wollte, dass sie verschwand, damit er sich um seine Verletzung kümmern konnte. Der Wolf hatte ihm eine tiefe Fleischwunde geschlagen, und er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu schreien vor Schmerz.

„Ich kenne dich“, murmelte sie. „Du warst bei dem Überfall dabei … letzten Winter.“

Dann musste sie eine MacEgan sein. Kaall antwortete nicht, trat stattdessen vier Schritte zurück in die Nähe des verborgenen Eingangs zu seiner Höhle. Er zog den Ärmel seines Wollhemds über die klaffende Wunde. „Du solltest es besser wissen, als ganz allein durch den Wald zu laufen“, sagte er in der Sprache der Iren. „Geh nach Hause zu deinen Leuten.“

„Ich war auf dem Weg dahin. Aber in dem Schneesturm konnte ich kaum etwas sehen.“

Bei ihren letzten Worten huschte ein unfrohes Lächeln über seine Züge. „Und dann suchst du ausgerechnet bei mir Schutz?“ Von allen denkbaren Möglichkeiten war seine Behausung wahrhaftig am wenigsten als Zufluchtsort geeignet. Er mochte sie vor dem Wolf gerettet haben, doch das machte seine früheren Schandtaten nicht ungeschehen. Die meisten seiner Leute waren der Überzeugung, dass er es verdient hatte, als Ausgestoßener zu leben.

Sie ließ sich Zeit mit der Antwort, aber er konnte ihre Angst spüren. „Nun ja, ich kann es mir schließlich nicht aussuchen“, erwiderte sie dann.

Es herrschte immer noch dichtes Schneetreiben, denn er spürte, wie die Flocken auf seiner Haut auftrafen und zu kleinen Tropfen schmolzen. „Du könntest hier stehen bleiben und erfrieren.“

Wieder schwieg sie, so als würde sie die Möglichkeit in Erwägung ziehen. „Du hast den Mann meiner Cousine getötet“, stellte sie ruhig fest.

Kaall ließ ihre Worte auf sich wirken, ehe er seine mit Bedacht wählte. „So ist es.“ Er bot keine Entschuldigung an, machte keine Ausflüchte. Er hatte den Mann nicht vorsätzlich umgebracht, und es war ihm auch nicht klug erschienen, an jenem Tag nach Laochre zu reiten. Er hatte seinem Vater helfen wollen, den Überfall abzuwenden, doch es war ihnen nicht gelungen.

„Tut es dir nicht leid?“, fragte sie neugierig.

„Hätte ich warten sollen, bis er mich mit seinem Speer ersticht?“ Die Bitterkeit, die sich über die vergangenen Monate hinweg in ihm angestaut hatte, brach aus ihm hervor. Seine Seele war verflucht, denn durch den Tod dieses Mannes hatte er alles verloren, was ihm etwas bedeutete. Seinen Wohlstand, aber viel mehr noch seine Tochter.

Das war das Schlimmste – dass seine Leute den Fehler, den er gemacht hatte, als Vorwand benutzten, um ihm sein Kind zu nehmen. Aber trotz allem, was geschehen war, wollte er Emla zurückhaben. Er hatte sich vorgenommen, ihnen irgendwie zu beweisen, dass er es wert war.

An diese Hoffnung klammerte Kaall sich wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm.

Die Frau stieß den Atem aus. „Nein. Anscheinend hattest du keine andere Wahl, als dich zu verteidigen.“

Kaall hörte den widerwilligen Unterton in ihrer Stimme, aber wenigstens schien sie ihn zu verstehen. Er wollte nicht, dass die Frau blieb, er wollte allein sein. Doch an der schneidenden Kälte würde sich in den nächsten Stunden nichts ändern, und wenn er sie gehen ließ, bestand die Gefahr, dass sie erfror. Er mochte herzlos sein, aber er war nicht grausam. Er machte ihr ein Zeichen, ihm zu folgen, und hob die Tierhaut, die vor dem Eingang zu seiner Höhle hing.

„Komm ans Feuer“, forderte er sie auf. „Du kannst dich aufwärmen, ehe du dich wieder auf den Weg machst.“

Mit dem Mörder in seine Höhle zu gehen erschien ihr nicht ratsam. Aber erfrieren wollte sie auch nicht. Sie achtete darauf, dem Mann nicht zu nahe zu kommen, als sie sich an das prasselnde Feuer setzte.

Hatte er die Wahrheit gesagt? Oder war die Behauptung, er habe sich nur verteidigt, eine Lüge, die sie veranlassen sollte, ihm zu trauen? Es gab keine Möglichkeit, das herauszufinden. Sie musste wachsam bleiben und beten, dass das Unwetter bald vorbei war.

Ihre Hände und Füße schmerzten, als sie langsam auftauten. Torfgeruch verbreitete sich im Raum, nachdem der Mann ein paar frische Soden in die Glut gelegt hatte, und als Rhiannon nach oben blickte, sah sie, dass der Rauch durch eine Felsspalte über ihren Köpfen entwich.

„Ich bin Rhiannon MacEgan.“

Der Lochlannach stellte sich nicht vor, doch das hatte sie auch nicht erwartet. Er ging an ihr vorbei und schlug die Tierhaut herunter. Dann hielt er sich den blutenden Arm. Die Bisswunde würde eitern und Fieber verursachen, aber er schien bereits jetzt Qualen auszustehen, denn seine Züge waren schmerzverzerrt.

Gib dich nicht mit ihm ab. Er hat Murtagh getötet und ist es nicht wert, dass du einen Gedanken an ihn verschwendest.

Genau das würde Brianna sagen. Aber der Lochlannach behauptete, er habe sich nur verteidigt. Rhiannon wusste nicht, was sie glauben sollte.

Im flackernden Feuerschein glänzte das blonde Haar des Wikingers. Es hing ihm bis auf die breiten Schultern und ließ ihn wild und ungezähmt aussehen. Er war so groß, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, wenn sie ihn ansehen wollte, und sein Körper wirkte wie aus Metall gehämmert. Und dennoch … trotz seines grimmigen Äußeren war sie gefesselt von ihm. So ungewöhnliche Augen wie seine hatte sie noch nie gesehen.

Er erinnerte sie an ein verwundetes Raubtier, und sie fühlte sich alles andere als sicher in seiner Gegenwart. Sie war dem Wolf entronnen, nur um in einer Löwengrube zu landen.

Aber ihretwegen hatte der Löwe Schmerzen, und sie konnte es nicht mit ansehen, wenn jemand litt. Sie musste etwas tun. Als Heilerin behandelte sie alle Kranken, egal ob reich oder arm, Sünder oder Heiliger. So war sie nun einmal, und wenn nichts sonst, hatte er sie vor dem Wolf beschützt und ihr einen Platz an seinem Feuer geboten. Auch wenn er ihr Angst machte, schuldete sie ihm etwas dafür, dass er ihr das Leben gerettet hatte.

Sie erhob sich und trat zögernd näher zu ihm. Während sie sich die Verletzung besah, erwog sie, was am besten zu tun war. Der Lochlannach hatte viel Blut verloren, doch die größere Gefahr für sein Leben lag in den Giften, die durch den Biss in seinen Körper gelangt waren.

„Wie geht es dir?“, fragte sie vorsichtig.

„Der Wolf hat mir beinahe den Arm abgerissen. Wie soll es mir schon gehen?“ Sie hörte die Bitterkeit in seinen Worten, aber sie spürte auch, dass er versuchte, sie auf Abstand zu halten. Ob aus Stolz oder wegen der Schmerzen ließ sich nicht sagen, doch es klappte – sie blieb stehen, wo sie war, unsicher und mit angstvoll klopfendem Herzen.

„Mach kein Aufheben von der Sache, kjœre.“ Ein angespannter Unterton lag in seiner tiefen Stimme. „Geh deiner Wege, wenn es aufgehört hat zu schneien und dir wieder warm ist.“

„Das sollte ich wohl“, pflichtete sie ihm bei. „Meine Leute werden sicher schon nach mir suchen.“ Sie wollte heim, zu ihrer Familie und zu ihren Freunden, bei denen sie sicher war. Aber eine unsichtbare Hand schien sie bei dem Lochlannach festzuhalten.

Er zuckte mit den Schultern, als würde ihn ihre Antwort nicht überraschen. „Dann mach dich auf den Weg.“

Kaall wandte ihr den Rücken zu und wartete auf das Geräusch ihrer Schritte. Wie erwartet, hörte er sie die schwere Tierhaut heben. Wenn sie fort war, würde er die Wunde versorgen, aber erst einmal hatte er nur das Bedürfnis, sich nackt im Schnee zu wälzen, um die brennenden Schmerzen zu lindern.

„Das Unwetter ist schlimmer geworden“, rief sie in seine Richtung. „Ich sehe nur noch wirbelnden Schnee.“ Sie ließ die Tierhaut fallen, und augenblicklich hörte der kalte Luftzug auf. In ihrer Stimme lag Bedauern, als sie einräumte: „Ich werde noch eine Zeit lang bleiben müssen.“

Das war nicht das, was er zu hören gehofft hatte, und das Letzte, was er gebrauchen konnte, war, dass er die Nacht mit einer Frau zubringen musste, der schon sein Anblick zuwider war.

„Du kannst bleiben“, sagte er dennoch und trat einen Schritt zurück. „Aber komm mir nicht zu nahe.“

„Glaub mir, ich würde gern gehen“, erwiderte sie schroff. „Ich wünschte, ich wüsste, ob meine Cousine und mein Cousin heil daheim angekommen sind. Wenn sie noch da draußen …“ Sie unterbrach sich, als könne sie es nicht ertragen, den Gedanken zu Ende zu denken.

„Es gibt nichts, das du tun könntest.“

„Das weiß ich. Aber es macht es nicht einfacher.“ Sie kam auf ihn zu, und er erstarrte. Warum näherte sie sich? Sein Arm pochte vor Schmerzen, er wollte seine Ruhe haben.

„Wenn ich schon bleiben muss, lass mich einen Blick auf die Wunde werfen“, schlug sie vor. „Schließlich ist es meine Schuld, dass du verletzt wurdest.“

Er wich zurück, bis er mit dem Rücken an der Felswand stand. Allein die Vorstellung, dass sie ihn berührte, erst recht, dass sie die Wunde versorgte, ließ ihn auf der Hut sein. In ihrem zarten Duft lag die Anmut der Jugend und die Bereitschaft eines noch unerweckten Mädchens. Es war Jahre her, dass er eine Frau gehabt hatte, und sein Geist füllte sich mit ruchlosen Bildern.

„Lass es.“ Die Worte klangen wie ein Knurren, doch anstatt zu gehorchen, zog sie den Ärmel seines Wollhemds hoch.

Sie war eigensinnig? Als er ihre Finger auf seinem Arm spürte, drehte Kaall sie zur Wand und presste sie mit dem Rücken dagegen. Nun war sie ihm ausgeliefert, gefangen zwischen seinen Armen. Er wollte ihr Angst einjagen, also wählte er seine Worte so, dass sie sie verletzen mussten.

„Du willst es nicht verstehen, nicht wahr? Ich bin keiner deiner MacEgan-Cousins, die dich behüten. Wenn du mich noch ein einziges Mal berührst, läufst du Gefahr, dass ich mir weit mehr nehme, als du mir anbietest.“ Er ließ seine Hände an ihren Seiten hochwandern, als ahnte er, dass sie fliehen wollte. Gleich würde sie anfangen zu zittern, und sobald er sie losließ, würde sie sich in die entfernteste Ecke der Höhle verkriechen und ihn in Ruhe lassen. Sie würde froh sein, wenn sie ihn am nächsten Morgen los war.

Die altvertraute Kälte kroch ihm in die Seele, betäubte alle Empfindungen. Er wusste, was mit ihm war. Warum keine Frau ihn haben wollte. Und diese hier war genauso wie all die andern zuvor, die vor seiner Nähe geflohen waren.

Aber dann berührte sie ihn. Legte ihm die Hand auf den Arm. „Hör auf damit, mir Angst einzujagen. Ich sehe doch, dass du Schmerzen leidest. Und dass du zu stolz bist, um Hilfe zu bitten.“

Er brachte sie zum Schweigen, indem er ihr Gesicht zwischen seine Hände nahm. Ihr Haar fühlte sich wie Seide an unter seinen Fingern, er konnte spüren, dass es sich leicht wellte. Ihr warmer Atem strich an seinen Fingern entlang, und er ahnte, dass sie eine Gänsehaut bekam.

„Flieh, solange du kannst, kleines Mädchen“, murmelte er.

„Ich … ich bin kein kleines Mädchen“, flüsterte sie. Ihre Stimme bebte vor Angst.

Er legte die Hände zu beiden Seiten ihres Kopfs an die Höhlenwand. „Wenn du nicht fliehst“, warnte er sie, „werde ich dich küssen.“

Sie sollte sich unter seinen Armen wegducken und zur anderen Seite der Höhle laufen, wo sie wahrscheinlich die Augenblicke zählen würde, bis sie gehen konnte. Er wollte nicht, dass sie ihn bedauerte, und ihr Mitleid wollte er schon gar nicht.

Endlich stieß sie seinen Arm fort und lief an ihm vorbei. Gut. Wenn sie auch nur ein bisschen Verstand hatte, würde sie ihn in Ruhe lassen. Er drehte sich um, um sich beim Feuer niederzulassen, doch ehe er dazu kam, packte sie seinen Arm in einem festen Griff und schob ihm entschlossen den Ärmel hoch.

Er spürte die Berührung eines weichen Stücks Stoff, einen sanften Druck, der den Blutfluss eindämmte, und erstarrte.

„Fürs Erste blutet es nicht mehr so stark“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Aber ich muss die Wunde säubern.“

Ihr Mitgefühl machte ihn zornig. Sie hatte es darauf ankommen lassen. Wenn sie meinte, dass er leere Drohungen ausstieß, sollte es sein.

„Ich habe dich gewarnt.“ Er beugte sich zu ihr und senkte seinen Mund auf ihren.

2. KAPITEL

Das Blut rauschte Rhiannon in den Ohren, als der Wikinger sich zu ihr beugte und ihren Mund in Besitz nahm. Er küsste sie ungeduldig und rücksichtslos, forderte Unterwerfung von ihr. Sie war überwältigt, unfähig zu denken oder auch nur zu atmen.

Sie war noch nie von einem Mann geküsst worden, und was immer sie sich ausgemalt hatte, es war nicht vergleichbar mit den Empfindungen des Dahinschmelzens, des Ertrinkens an seinem sinnlichen Mund. Sein Ungestüm raubte ihr den Atem, ihr Herzschlag beschleunigte sich, während sie zu verstehen versuchte, was sich hier abspielte.

Ohne Vorwarnung reagierte ihr Körper auf den Überfall auf ihre Sinne, ihre Haut fing an zu glühen, ihre Brüste prickelten, und ein ziehendes Verlangen machte sich ganz tief in ihr breit. Sie presste die Schenkel zusammen, um der unvertrauten Empfindung Herr zu werden.

Es machte sie wütend, denn so hätte ihr erster Kuss nicht sein sollen. Sie hatte von einem Mann geküsst werden wollen, der sie mochte, nicht einem, der etwas zu beweisen versuchte. Aber bei der Heiligen Jungfrau, wenn er glaubte, sie würde tatenlos zulassen, dass er ihr Angst einjagte, wusste er nicht, mit wem er es zu tun hatte.

Sie erwiderte den Kuss, als ließe sie sich auf einen Kampf ein, küsste ihn mit der gleichen Erbitterung, die sie bei ihm spürte. Sie hob die Hände, umfasste sein Gesicht und legte ihre ganze Angriffslust in ihr Tun. Er schien überrascht, so als habe er erwartet, dass sie aufgab. Oder verängstigt war.

Stattdessen hatte sie sich entschlossen, ihm etwas zu beweisen – dass sie sich seinem Willen nicht beugen würde. Sie schob ihm ihre Finger ins Haar, und plötzlich küsste er sie nicht mehr strafend, sondern sanft. Aber er hörte nicht auf.

Er nahm sich Zeit. Der Unterschied war atemberaubend, denn auf einmal küsste er wie ein Liebender; träge und spielerisch, kostete ihre Lippen, lockte sie, und sie gab nach und gewährte seiner Zunge Einlass. Er ließ seine Hände an ihren Seiten hinaufgleiten, und ihr Atem beschleunigte sich, als er ihre Brüste umfasste. Ihre Lippen fühlten sich geschwollen an unter seinen, und als er seine harte Männlichkeit gegen sie presste, spürte sie, wie feucht sie war zwischen den Schenkeln.

Er war groß und kraftvoll, ein Krieger in jedem Sinne des Wortes. Mit seinem Kuss verlangte er, dass sie sich ihm ergab, während er ihr Haar streichelte und ihr Gesicht mit seinen Fingerspitzen erkundete.

Dann löste er sich von ihr und strich ihr mit dem Daumen über die Lippen und das Kinn. Sie stellte sich vor, wie seine Hände tiefer glitten und ihre nackte Haut berührten. Der Gedanke erhitzte sie.

Im Schein des Feuers wirkte sein blondes Haar, als sei es aus Gold. In seinen blauen Augen lag etwas seltsam Unantastbares, sie schienen unempfänglich für alles, was sie hätte sagen können. Sie starrte ihn an und fragte sich, warum er allein im Wald lebte, ohne seine Leute, ohne Familie. Wollte er es so, oder war er ein Ausgestoßener?

Sie schwieg und beobachtete ihn, während ihr Herzschlag sich langsam beruhigte. Obwohl er auf eine grimmige Weise unbestreitbar gut aussah, war etwas an ihm, das sie verstörte. Er hatte ihr nicht ein einziges Mal ins Gesicht gesehen. Sein Blick schien an ihr vorbeizugehen, und als sie ihm in die Augen starrte, hielt sie den Atem an.

Konnte es sein, dass er …?

Als er sie freigab, hob sie die Hand und bewegte sie langsam vor seinem Gesicht hin und her. Seine Augen zeigten keine Reaktion. Sie hob die andere Hand und bewegte sie hin und her, doch er schien es nicht zu sehen.

„Komm mir nicht noch einmal zu nahe“, warnte er sie. „Es sei denn, du willst beenden, was wir angefangen haben.“

„Du bist blind“, platzte sie heraus. „Nicht wahr?“

Sofort verschloss sich seine Miene. Seine Gesichtszüge wurden hart, und er trat weiter zurück. „Ich brauche kein Augenlicht, um zu wissen, dass du eine MacEgan bist. Eine verwöhnte Prinzessin, die alles bekommt, was sie will. Die in der Festung lebt und bedient wird und Hände hat, die Arbeit nicht kennen.“

In seinem unvermittelten Angriff kam zum Ausdruck, wie sehr er derartige Schwächen verachtete. Er verhöhnte sie, als versuche er zu erreichen, dass sie ihn hasste.

Ihr Blick wanderte zu seinem Arm. Die Wunde blutete immer noch stark, dem roten Fleck nach zu urteilen, der sich auf dem Stoff ausgebreitet hatte. Sie sah ihm ins Gesicht. Seine Miene verriet, dass er litt. Aber genau wie ihr Vater und ihre Brüder konnte er Schwäche nicht zulassen, und der Kuss hatte ihn nur kurz von seiner Qual ablenken können. Mehr als alles andere brauchte er im Augenblick Linderung seiner Schmerzen.

Bei der Menge Blut, die er verlor, musste die Wunde wahrscheinlich genäht werden. Es würde schwierig sein, ihn dazu zu bewegen, das zuzulassen. Und sie hatte ihre Kräuter nicht dabei, die verhinderten, dass ein Wundbrand entstand. Bisswunden verursachten meistens Fieber.

„Lass mich deine Verletzung behandeln“, sagte sie ruhig, ohne auf seine zornigen Worte einzugehen. „Wenn du mir gestattest, die Wunde zu säubern und zu versorgen, gehe ich, sobald es zu schneien aufhört. Aber wenn du dich weigerst, bleibe ich einfach hier.“

„Du willst nicht, dass ich sterbe?“ Er senkte die Stimme. „Es geschähe mir recht.“

„Wahrscheinlich. Aber nicht jetzt.“ Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Feuer. „Setz dich, damit ich die Wunde reinigen kann.“

Er tat es widerwillig, doch sie ließ ihm keine Wahl.

„Mach schnell“, verlangte er und hielt ihr den Arm hin. Sie nahm eine hölzerne Schale, füllte sie draußen mit Schnee und stellte sie neben die Feuerstelle. „Ich schmelze Schnee, damit ich Wasser habe“, teilte sie ihm mit und überlegte, wie sie die Entzündung der Wunde verhindern konnte. Sie hatte weder Arnika noch Taubnessel noch Ehrenpreiswurzel bei sich. „Das ist das Beste, was ich tun kann.“ Er musste nicht wissen, in welcher Gefahr er schwebte. Es war noch früh genug, wenn es sich in den nächsten Stunden herausstellte.

Als der Schnee geschmolzen war, schöpfte sie kleine Mengen Wasser mit ihren Händen, ließ es über die Wunde laufen und wischte das getrocknete Blut ab. „Bist du von Geburt an blind?“ Bei ihrer Frage malte sich unterdrückte Wut in seinen Zügen.

„Da du nicht antwortest, nehme ich an, dass es so ist.“ Die Wundränder sahen nicht ganz so schlimm aus, wie sie befürchtet hatte. Wenn sie einen festen Verband anlegte und die Blutung mit genügend Druck zum Stillstand brachte, würde sie nicht nähen müssen.

„Gefällst du dir in der Rolle der Heilerin?“ Er machte sich lustig über sie, als glaube er, sie tue nur so als ob.

„Ich bin Heilerin“, entgegnete sie. „Und wenn ich meine Kräuter dabei hätte, würde ich dir einen Umschlag machen oder einen Schlaftrunk. Etwas, das deine Stimmung bessert.“

„Du erlebst mich in einer meiner besseren Stimmungen. Der Kuss hat mir gefallen.“

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie den verlangenden Unterton in seiner Stimme hörte. Als ob er sie gern wieder küssen würde. „Zu Unrecht“, sagte sie dennoch tadelnd.

„Du hast den Kuss erwidert.“ Er klang beinahe ungläubig, als könne er nicht recht verstehen, weshalb.

Sie verstand es selbst nicht. Erst war sie nur wütend gewesen, dass sie gegen ihren Willen geküsst wurde … dann hatte sich die Auflehnung in verwirrendes Begehren verwandelt. Verletzt oder nicht, seinetwegen wusste sie nun, was fleischliches Verlangen war. Und Schande über sie, aber sie hatte es genossen, seine Hände zu spüren, und sich in den überwältigenden Gefühlen verloren.

Die unverhofften Sehnsüchte, die der Lochlannach in ihr hervorgerufen hatte, waren ein Verrat an Brianna. Er hatte Murtagh auf dem Gewissen, und sein Tod hatte ihrer Cousine das Herz gebrochen.

„Einmal und nie wieder“, schwor sie. Sie musste Abstand gewinnen. Die Nähe zwischen ihnen war zu groß geworden, und sie war sich nicht sicher, ob sie sich darauf verlassen konnte, dass er sie in Ruhe ließ.

Sie brauchte eine Ablenkung, irgendetwas, womit sie ihre Hände beschäftigen konnte. Ihr knurrte der Magen, denn es war Stunden her, dass sie etwas gegessen hatte. „Hast du Vorräte hier?“, fragte sie vorsichtig. „Ich könnte uns eine Mahlzeit bereiten, wenn du hungrig bist.“

„Da hinten.“ Mit dem Finger wies er über seine Schulter.

Rhiannon ging in den rückwärtigen Teil der Höhle und begutachtete seine Habseligkeiten, die dort achtlos auf einem Haufen lagen. Alles war planlos und durcheinander, und obwohl sie sich sagte, dass sie besser die Finger davon ließ, brachte sie es nicht fertig, die Sachen einfach auf dem Boden liegen zu lassen. Ordnung war ihr ein Bedürfnis, und so begann sie aufzuräumen.

Ruhig sortierte sie Kleidungsstücke zu einem Stapel, Waffen zu einem anderen, Essensvorräte auf einen Dritten. Die Beutel mit Nahrungsmitteln enthielten ein paar Laibe steinhartes Brot und ein Stück Wildbret unbekannten Alters. Das Fleisch roch nicht verdorben, wahrscheinlich wegen der Kälte, und Rhiannon beschied, dass es essbar war.

Als sie ihr Messer nahm und es zurechtschnitt, sah sie, dass ihre Hand zitterte. Aufs Neue kroch Furcht in ihr hoch. Es ist nur eine Mahlzeit, sagte sie sich. Nichts, was dich ängstigen müsste.

Trotzdem ließ sie den Mann beim Feuer nicht aus den Augen. Er hatte die Knie angezogen, und obwohl er blind war, zeigte er kein Zeichen von Schwäche. Er hatte den Wolf besiegt, ohne etwas zu sehen. Er musste einen unglaublichen Mut haben.

Aber warum lebte er in dieser Höhle? Allein?

Rhiannon spießte ein paar Stücke Fleisch auf einen Stock und trug ihn zum Feuer. „Ich weiß nicht, wie lange du schon hier lebst, aber deine Habe ist ein einziges Durcheinander. Man konnte überhaupt nichts mehr finden.“

Sie schürte das Feuer, warf einen Torfsoden in die Flammen und legte den Stock auf die Astgabeln, die der Lochlannach an der Feuerstelle angebracht hatte. „Aber jetzt ist alles aufgeräumt.“

Er machte ein wütendes Gesicht. „Weshalb hast du das getan? Ich wusste genau, wo alles lag.“

„Deine Essensvorräte lagen zwischen Waffen und Kleidung.“

Er sprang auf. „Du hattest kein Recht, meine Habe umzuräumen.“

„Aber jetzt findest du wenigstens, was du suchst, ohne über irgendetwas zu stolpern.“

„Ich habe noch immer gefunden, was ich brauchte!“ Er packte ihr Handgelenk so fest, dass es wehtat. „Leg die Sachen wieder dahin, wo sie waren. Alles.“

„Ich könnte es nicht einmal, wenn ich es wollte.“ Sie versuchte seine Hand abzuschütteln, doch er hielt sie fest. „Wenn du aufhörst, dich aufzuführen wie ein Wilder, zeige ich dir, wo alles liegt.“

„Ich will deine Einmischung nicht“, entgegnete er erbost. „Lass die Finger von meinem Zeug.“

Sie sagte nichts darauf, griff nach seiner freien Hand und zog ihn sanft mit sich in den hinteren Teil der Höhle. „Hier habe ich die Bündel mit den Lebensmitteln hingestellt.“ Sie führte ihm die Hand, damit er die Leinensäcke berühren konnte, die an der Wand standen. „Und hier liegen deine Kleider … und ganz am Ende deine Waffen.“

„Du meinst, ich muss erst Essensvorräte und Kleiderhaufen beiseiteschaffen, um an meine Waffen zu kommen, wenn ich angegriffen werde?“ Seine Stimme triefte vor Hohn. „Soll ich die Wölfe bitten, draußen zu warten, bis ich gefunden habe, was ich brauche, um ihnen den Garaus zu machen?“

„Du trägst ein Schwert am Gürtel“, rief sie ihm in Erinnerung. „Aber wenn du willst, bringe ich die Waffen in die Nähe des Eingangs.“

„Nein, ich will nicht, dass du irgendetwas tust. Es war alles in Ordnung, bevor du aufgetaucht bist.“

„Und davor?“ Sie wusste nicht, was sie ritt, dass sie sich auf einen Streit mit ihm einließ, aber sie sah nicht ein, was es schadete, wenn sie Ordnung machte. „Hast du bei deinen Leuten gelebt und jeden angeknurrt, der dir zu helfen versuchte?“

„Ich brauchte sie nicht“, blaffte er zurück. „Ich kam gut ohne sie klar.“

„Du machst es dir unnötig schwer.“ Sie streckte die Hand aus und berührte den blauen Fleck auf seiner Wange. „Diese Prellungen kommen sicher daher, dass du gegen etwas gestoßen bist.“

„Hattest du vor, meine anderen Blutergüsse auch zu begutachten?“ In seiner Stimme lag eine Herausforderung, die ihr unter die Haut ging. Bilder von ihm, nackt im Feuerschein, stiegen vor ihrem inneren Auge auf. Der festen Muskulatur nach zu urteilen, die sich unter seinem Hemd abzeichnete, war sein Körper kraftvoll und schön. Er stellte eine Versuchung dar, der sie sich nicht aussetzen wollte.

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie entschlossen. Was sie nicht davon abhielt, ihn sich weiterhin vorzustellen.

Sie drehte das Fleisch über der Glut und sah zu ihm hoch. Ihr Blick glitt von seinen blauen Augen zu seinen langen blonden Haaren. Er stand mit dem Rücken an die Felswand gelehnt, die Hände geballt, die Kiefer zusammengepresst. Wahrscheinlich hatte er starke Schmerzen. Er war ein Mann, der sich alles, was er wollte, hart erkämpfen musste. Ein stolzer Mann, der nicht wollte, dass man seine Schwächen sah.

„Hör auf, mich zu bedauern. Ich brauche dein Mitleid nicht.“ Er drehte sich um und begann seine Besitztümer zu untersuchen, tastete mit den Händen darüber, um sich ein Bild davon zu machen, wo sich alles befand. Dann räumte er die Waffen näher zum Höhleneingang.

„Wie lange willst du hier bleiben?“, fragte sie ihn. „Wenn deine Essensvorräte aufgebraucht sind …“

„… gehe ich auf die Jagd“, beendete er ihren Satz. „Und wenn ich es nicht schaffe, mich selbst zu ernähren, verdiene ich es auch nicht zu leben.“

Sie konnte nicht glauben, dass er auf Dauer allein bleiben wollte. Niemand kam ohne Gesellschaft aus. „Was ist mit deinen Leuten in Gall Tír?“

„Die einzige Person, die mir etwas bedeutet, haben sie mir fortgenommen. Weil sie glauben, ich könnte nicht für sie sorgen.“

„Fortgenommen?“ Eine Person, die er liebte? Wie war das möglich? „Deine Frau?“

„Meine Tochter.“

Er sagte es ruhig, doch Rhiannon hörte den Schmerz in seiner Stimme und begriff im selben Moment, dass die Gefühle für sein Kind der Riss in seiner Rüstung waren. Nur an diesem Punkt war er wirklich verletzbar. Es musste entsetzlich für ihn sein, dass sie ihm seine Tochter genommen hatten. Aber natürlich glaubte niemand, dass ein Blinder für ein kleines Mädchen sorgen konnte.

„Wirst du sie irgendwann zurückbekommen?“

Er gab keine Antwort, und die Stille wurde lastend. Rhiannon begriff, dass er sein Kind für immer verloren hatte. Sie beurteilten ihn nach dem, was sie sehen konnten, und das war ein Mann ohne Augenlicht. Als ob nicht allein das bereits ein Fluch für ihn war.

Die Ungerechtigkeit machte sie rasend. Der Lochlannach war zornig und verletzt, aber daran, dass er seine Tochter liebte, konnte kein Zweifel bestehen. Niemand hatte das Recht, ihm sein Kind fortzunehmen.

Sie dachte an ihre Beziehung zu Connor MacEgan. Lange hatte sie nicht gewusst, dass er ihr Vater war, aber sie erinnerte sich an gemeinsame Wanderungen, bei denen er ihr Eichhörnchen und Pflanzen gezeigt hatte und all die verborgenen Schätze des Waldes. Als Kind hatte sie sich von ihm geliebt und beschützt gefühlt.

Erst die letzten Jahre war das Verhältnis schlechter geworden. Connors allzu behütende Art hatte zu Verstimmungen geführt, aber ungeachtet ihres Grolls liebte sie ihn.

So, wie der Wikinger seine Tochter liebte.

„Wo haben sie sie hingebracht? Nach Gall Tír?“

Er schüttelte den Kopf und setzte sich ans Feuer. „Ich werde sie trotzdem finden.“

Es war, als tue er einen Schwur, mit leiser Stimme zwar, aber sie hörte die Entschlossenheit darin. Er würde nicht aufhören, sie zu suchen, bis er sie fand. Genau wie ihr Vater, wenn er von ihrem Verschwinden erfuhr.

„Ich hoffe es für dich.“ Das Fleisch war gar, und Rhiannon teilte es auf. Dann nahm sie seine Hand und führte sie zu dem Holzspieß. „Es ist nicht gewürzt, weil ich weder Salz noch Kräuter habe, aber es macht satt.“

Er biss in sein Stück und Rhiannon in ihres, und obwohl es etwas fade schmeckte, war es wenigstens nicht verbrannt.

„Du hast mir noch nicht gesagt, wie du heißt“, sagte sie schließlich.

„Kaall“, erwiderte er. „Ich bin der Sohn von Vigus Hardrata.“

Sie erstarrte, als er den Namen des Wikingeranführers nannte. „Ich wusste nicht, dass er einen Sohn hat.“

Autor

Michelle Willingham
Michelle schrieb ihren ersten historischen Liebesroman im Alter von zwölf Jahren und war stolz, acht Seiten füllen zu können. Und je mehr sie schrieb, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, dass eines Tages ihr Traum von einer Autorenkarriere in Erfüllung gehen würde. Sie besuchte die Universität von Notre Dame im Bundesstaat...
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