Dressed to Thrill (4-teilige erotische Serie)

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Erleben Sie vier wild romantische Geschichten voll erotischer Spannung:

Engel in schwarzem Leder - Tawny Weber

Lack und Leder auf nackter Haut: Was Zoe zur Kostümparty beim zehnjährigen Klassentreffen trägt, ist einfach verboten aufregend! Das findet auch ein Mann, der sie mit Blicken auszieht und heiß küsst - während Zoe rätselt, wer hinter der Fantasy-Maske steckt …

Masken der Lust - Samantha Hunter

Sie trägt eine Maske und ist als Cabaret-Sängerin verkleidet. Wer ist diese Frau, die da gerade seinen Schreibtisch durchsucht? Mason Scott sieht rot. Warum ist sie nicht mehr auf der Kostümparty? Mit ein paar Schritten ist er bei ihr. Und sie in seinen Armen …

Diese Nacht gehörst du mir - Karen Foley

"Der heißeste Junggeselle der Welt?" Geschockt liest Lara, wie man Graeme jetzt nennt. Sie weiß: Das ist nicht wahr! Denn Graeme ist kein Junggeselle, sondern verheiratet. Mit ihr - höchste Zeit, ihn daran zu erinnern. Da kommt ein Maskenball gerade recht …

Milliardäre mögen's heißer - Lisa Renee Jones

Blonde Perücke, sexy Outfit: eine Nacht lang Marilyn Monroe! Eigentlich sieht Caron sich nicht als Vamp. Aber je später die Party, desto besser gefällt sie sich als blonde Versuchung. Besonders, als sie die Lust in den Blicken des Milliardärs Baxter Remington sieht …


  • Erscheinungstag 24.02.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513876
  • Seitenanzahl 640
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Tawny Weber, Samantha Hunter, Karen Foley, Lisa Renee Jones

Dressed to Thrill (4-teilige erotische Serie)

IMPRESSUM

Engel in schwarzem Leder erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
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Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2009 by Tawny Weber
Originaltitel: „Feels Like the First Time“
erschienen bei: Harlequin Enterprises, Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY HOT & SEXY
Band 13 - 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Dorothee Halves

Umschlagsmotive: Getty Images / nd3000, Allusioni, kowalska-art

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751505215

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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PROLOG

Während ein heißes Privatkino in ihrem Kopf ablief, starrte Josie aus dem Ladenfenster zu einem schnuckeligen Typen in einer braunen Uniform.

Er hieß Tom und lieferte ihr nicht nur die Ware, sondern obendrein noch ganze Lkw-Ladungen von Fantasien. Tom hatte natürlich keine Ahnung, dass er der absolute Star in Josies Träumen war.

Und wie es aussah, würde er es nie merken.

„Eine neue Lieferung für ‚Dressed to Thrill‘“, verkündete Tom, während er eine beladene Sackkarre in den Laden rollte. „Hi, Josie.“

„Hallo, Tom“, sagte sie weich und verfluchte im Stillen ihre Schüchternheit. Aus der Nähe sah er noch toller aus. Welliges braunes Haar, leuchtend blaue Augen und sagenhafte Schultern. Zu Josies großem Bedauern nahte der Herbst. Dann würde Tom nämlich von Shorts zu langen Hosen wechseln, sodass sie seine sexy Beine nicht länger würde bewundern können.

Sie suchte nach einer geistreichen Bemerkung, nach einem Aufhänger für eine Unterhaltung.

Doch wie immer, wenn sie in Toms Nähe war, verabschiedete sich selbst der letzte nur halbwegs vernünftige Gedanke aus ihrem Kopf.

„Wie läuft das Geschäft?“, fragte er, während er die Kartons neben dem Tresen aufstapelte und Josie dann die elektronische Tafel zum Unterschreiben reichte.

„Dressed to Thrill garantiert Erfolg“, antwortete sie automatisch. Toms Augen weiteten sich, und ihr wurde bewusst, was sie gerade gesagt hatte. Zum Glück quittierte sie gerade den Empfang, sonst hätte sie sich die Hände vor den Mund geschlagen.

Tom grinste. „Das ist der Slogan des Ladens, richtig? Ich hab’s auf den Etiketten gelesen. Dies ist anscheinend der Ort, zu dem man gehen muss, um Träume zu verwirklichen, wie?“

Eine Unterhaltung. Wow. Vermassel es jetzt bloß nicht! Josie lächelte und nickte so heftig, dass ihr die blonden Ponyfransen in die Augen flogen. „Ja, dafür ist unser Geschäft definitiv der richtige Ort. Moment, ich zeig’s Ihnen.“

Froh, dass sie endlich Toms Aufmerksamkeit hatte, ergriff sie ein Messer und schnitt das Klebeband auf dem obersten Karton auf. „Wir bekommen viele Anfragen“, erklärte sie. „Die Leute wollen ihre Fantasien ausleben, wissen Sie?“

Josie fragte sich seit zwei Monaten, was für Fantasien Tom wohl hatte. Vielleicht würde sie es ja jetzt herausbekommen.

Sie öffnete den Karton und nahm das oberste Exemplar heraus, ohne hinzusehen, denn ihr Blick war auf Tom geheftet. „Können Sie sich vorstellen, wie sexy dies hier sein könnte? Träumen Sie vielleicht von so etwas?“, fragte sie.

Beide blickten sie auf das Teil in Josies Hand. Ein Häschen-Anzug. Weiß, flauschig – und keine Spur sexy.

Josies Wangen brannten.

Tom lachte. „Ich weiß nicht, Josie. Ich finde, Bunnys müssen Korsagen tragen, um für sexy gehalten zu werden.“ Damit und mit einem freundlichen Winken spazierte er davon. Einfach so.

Josie stöhnte. Sie brachte nicht mal einen simplen Flirt mit diesem Burschen zustande. Allerdings war der Fell-Overall tatsächlich eher kontraproduktiv gewesen.

Seufzend hängte sie den Häschen-Anzug auf einen Kleiderbügel. „Wenigstens war es kein Schlumpf-Kostüm.“

Der Inhalt des nächsten Kartons war weit besser. Ein Outfit, das Prinzessin Leia in Star Wars getragen haben könnte. Dann ein wundervolles Kostüm im Stil Kabarett-Girl. Und ein neuer Marilyn-Monroe-Dress. Alle drei sehr sexy.

Anders als Plüschhasen. Josie verdrehte die Augen. Wie idiotisch von ihr, so flirten zu wollen. Sie konnte überhaupt nicht flirten, und ein Date könnte sie Tom erst recht nicht vorschlagen. Nicht auszudenken, wie sie das vermasseln würde.

Seufzend begann Josie, einige Kostüme einzupacken. Mehrere Internet-Bestellungen warteten darauf, versendet zu werden.

Eine Domina nach New York. Eine Betty Boop nach Idaho. Der sexy Pirat nach Pittsburgh.

Josie suchte die Outfits zusammen und legte sie in die bereits adressierten Kartons. Sie krauste die Stirn, als sie das Domina-Kostüm vom Ständer nahm. Ob sie wohl je den Mut hätte, so etwas zu tragen?

„Josie?“

Sie wirbelte herum. „Tom? Was gibt’s?“, fragte sie und hoffte, dass er ihre Atemlosigkeit als Verblüffung deuten würde und nicht als Aufgeregtheit.

Sein jungenhaftes Grinsen ließ sie sofort dahinschmelzen. „Ich hab versehentlich ein Paket im Wagen gelassen.“

Er hielt ihr ein Päckchen hin, blickte aber nicht in ihr Gesicht, sondern auf das Kostüm in ihrer Hand. Das Grinsen wich einem frechen Lächeln, als er das dünne Leder betrachtete. „Also das ist ein interessantes Outfit. Ich vermute, dass Sie das nicht …“

Josie blickte auf das lederne Ding und dann wieder zu Tom. Wollte er wissen, ob sie gern die strenge Domina spielte? Sie merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.

„Das Beste an meiner Arbeit ist, dass man alle möglichen Rollen spielen kann“, antwortete sie und fügte nach einem tiefen Atemzug hinzu: „Wie unser Werbespruch ja schon sagt: Bringt uns eure Träume, und wir machen sie wahr.“

Tom lächelte, doch bevor er antworten konnte, läutete das Telefon. „Wir gehen wohl besser wieder an die Arbeit“, meinte er. „Ich komme morgen vorbei, okay?“

Dieses Mal lächelte Josie, als er ging. Während sie ihre Chefin im Nebenraum telefonieren hörte, tänzelte sie beschwingt zum Packtisch zurück. Tom würde morgen vorbeikommen. Er hatte das gesagt, als ob er sich darauf freute. Vielleicht würde er sie um ein Date bitten. Den Kopf voller Gedanken an Tom, legte Josie das Domina-Kostüm in den nach Idaho adressierten Karton …

War die Liebe nicht wundervoll? Josie strich lächelnd über das schwarze Leder und hoffte von Herzen, dass dieses Kostüm der Trägerin ebenso viel Glück bringen würde wie ihr.

1. KAPITEL

„Das Mädchen, das sein Leben lang eine Jungfrau bleiben wird.“ „So unbeliebt, dass sie beim Abschlussball allein war.“ „Die Königin der Grusel-Eleganz.“

Zoe Gaston schnaubte beim Lesen der Bemerkungen, die irgendwelche Leute unter ihr Schulabgangsfoto gekritzelt hatten. Sie hasste diese Kommentare. Obwohl es manchmal schwer war, sie zu widerlegen. Das musste sie zugeben, als sie das Bild betrachtete. Schwarzes stacheliges Haar, schwarz umrandete Augen, schwarz geschminkte Lippen. Sie war ein pausbäckiges, hochintelligentes Grufti-Mädchen gewesen.

Mit anderen Worten, eine totale Außenseiterin.

„Du findest also, dass ich zu dem Klassentreffen gehen sollte. Jubiläum! Zehn Jahre! Warum?“, fragte Zoe ihre Schwägerin Meghan.

„Natürlich um deine ehemaligen Klassenkameraden wiederzusehen. Und um glückliche Erinnerungen an die Highschoolzeit wieder aufleben zu lassen.“

Meghan dachte das wirklich. Sie gehörte zu den Mädchen, die die Schule gemocht hatten. Viele Freunde, viel Spaß, allgemeine Anerkennung. Das genaue Gegenteil von Zoes Erfahrungen. Abgesehen von jenem einen Mal, als ein heißer Footballstar sie um ein Date bat, hatte Zoe ihre Highschooljahre als persona non grata verbracht, als „unerwünschte Person“.

„Ach ja, die gute alte Zeit“, sagte Zoe sarkastisch. „Das muss gewesen sein, als die Cheerleader mich hassten, als die Sportasse Angst vor mir hatten und die Lehrer sich freuten, wenn ich den Unterricht geschwänzt habe.“

Meghan schien zu begreifen, dass das alte Jahrbuch absolut kein Anreiz für Zoe war, an dem Treffen teilzunehmen. Sie nahm ihr das Buch weg und warf es auf die elektroblaue Ledercouch. „Du hast dich über die Cheerleader lustig gemacht“, sagte sie vorwurfsvoll.

Uups. Zoe unterdrückte ein Kichern, als ihr dämmerte, dass die quicklebendige Meghan wahrscheinlich irgendwo ein paar Pom-Poms, diese blöden Jubelbüschel der Cheerleader, aufbewahrte.

„Zach hat mir erzählt, dass du damals dem Quarterback in die Weichteile getreten hast“, fuhr Meghan in gespielt schockiertem Ton fort. Zoe wollte fragen, was daran so schlimm sei, aber sie schaffte es, den Mund zu halten.

„Und er hat gesagt, dass du ständig mit den Lehrern gestritten hast.“

Zoe lachte. „Stimmt. Ich war alles andere als angepasst. Das wollte ich auch nicht sein. Und wenn ich mal einen Versuch machte, mich einzufügen, haben die anderen abgeblockt. Warum um alles in der Welt soll ich dann zu dem Ehemaligen-Treffen gehen?“

„Um allen zu zeigen, wie heiß und erfolgreich du bist und wie sehr sie sich in dir getäuscht haben.“

„Soll das ein Witz sein? Ich sehe noch immer nicht aus wie eine Puppe. Ich wechsele ständig meine Jobs. Und ich hatte so lange keinen Sex mehr, dass ich ebenso gut die ewige Jungfrau sein könnte, die sie mich genannt haben.“

„Na und? Es ist ja nicht so, dass du einen Fragebogen über deine sexuellen Aktivitäten ausfüllen musst, wenn du hingehst.“

Zoe grinste und nahm einen Schluck von ihrer Margarita. Bevor ihr eine geistreiche Antwort einfiel, sagte Meghan: „Wenn du nicht an dem Treffen teilnimmst, werden alle denken, dass sie recht hatten. Willst du sie etwa gewinnen lassen?“

Zoe hätte gern gesagt, dass es ihr ziemlich egal war, ob diese Leute gewannen oder nicht. Aber – sie liebte es zu siegen. Sie musste bei jedem Wettstreit mitmachen und immer das letzte Wort haben. Natürlich verlor sie jegliches Interesse, sobald sie tatsächlich einen Kampf gewonnen hatte. Langeweile war Zoes Hauptproblem.

„Ich kann meinen Drang zu siegen bezwingen, wenn ich erst gar nicht mitspiele“, murmelte sie und nahm die Einladung zu dem Treffen vom Tisch. „Und ein Besuch des Ortes, an dem ich von meinen Mitschülern gequält wurde, ist Grund genug, an diesem Spiel nicht teilzunehmen.“

„Und ein blöder Vorwand für deine Drückebergerei. Du hast Angst, dass sie mit ihrem Urteil recht haben könnten.“

Zoe starrte ihre Schwägerin ärgerlich an. „Warum findest du dies eigentlich so wichtig?“ Sie zeigte auf die pompöse Hochglanz-Einladung, die Meghan ihr mit der Erklärung gebracht hatte, dass sie an Zoes Bruder geschickt worden sei, weil das Planungskomitee Zoe nicht hatte aufspüren können. „Es kann dir doch egal sein, ob ich an diesem Zirkus teilnehme oder nicht. Was also steckt dahinter? Sag mir die Wahrheit!“

Meghan druckste einen Moment lang herum. Dann sah sie mit einem herzzerreißenden Welpenblick zu Zoe und sagte: „Zach hat Probleme.“

Zoe setzte sich so schnell auf, dass ihre Margarita über den Rand des Glases schwappte. Sie ignorierte das und packte Meghans Arm. „Was ist los? Was ist mit Zach? Ist er krank?“

„Nichts dergleichen“, versicherte Meghan ihr hastig. Sie war wegen der heftigen Reaktion sichtlich geschockt, und Zoe sah ein, dass sie überreagiert hatte. Aber Zach war schließlich das Einzige, was sie hatte. „Es geht ihm gesundheitlich gut. Das Problem ist sein Geschäft.“

Die Angst ließ langsam nach, Zoes Muskeln entspannten sich. „Z-Tech?“, fragte sie, womit sie Zachs Videospiel-Firma meinte, die er während des Cyber-Booms gegründet hatte. Zoe hatte ihrem Bruder mehrmals geraten, sein Angebot zu erweitern, doch all ihr Drängen war vergeblich gewesen. Zach hatte immer wieder behauptet, dass er das überaus gemütliche Gefühl, spezialisiert zu sein, viel zu sehr mochte, um etwas zu ändern. Doch letztes Jahr hatte er beschlossen, noch einmal etwas zu riskieren. Um mit Riesen wie Sony und Microsoft konkurrieren zu können, hatte er das Konzept „preiswert, praktisch, erweiterbar“ gewählt.

„Gibt es mit seinem neuen System Probleme?“

Meghan nickte. „Er hat all unser Geld in diese Idee gesteckt, und jetzt ist keiner daran interessiert. Wenn es nicht bald anläuft, wird Z-Tech bis zum Jahresende eingegangen sein.“

„Verdammt“, murmelte Zoe und sank in ihrem Sessel zurück.

Z-Tech war Zachs Ein und Alles. Oh, sicher, er vergötterte seine Frau. Aber die Firma hatte er schon vorher geliebt. Er hatte bereits als Junge von seiner Idee gesprochen und andauernd Pläne gemacht. Als Zoe fünfzehn war, zogen ihre Eltern nach Bradford in Idaho. Zach, damals achtzehn, blieb in Kalifornien, um sein Glück in Silicon Valley zu versuchen. Als ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte Zach seine Träume beiseite geschoben und war in die Kleinstadt Bradford gezogen, um Zoe dort ihren Schulabschluss machen zu lassen. Er suchte sich einen Job in der Internet-Branche, um seine Schwester zu unterstützen.

Zach hatte alles für sie aufgegeben, und das würde Zoe nie vergessen. Sie schuldete ihm eine Menge dafür, dass er sie gedrängt hatte, zu lernen und einen Schulabschluss zu machen, statt sich zu einem Elendsbündel einzurollen. Sie verdankte es Zach, dass ihr bewusst blieb, was eine Familie war und was es bedeutete, geliebt zu werden, als die ganze Welt sich in eine Hölle verwandelte. Nicht dass Zach das auch so sah. Die wenigen Male, die Zoe ihm danken wollte, hatte er die Augen verdreht und das Thema gewechselt.

Und als sie vor drei Jahren wieder einmal einen Job aufgegeben hatte, war es Zach gewesen, der ihr vorschlug, all ihre Qualifikationen in einem Portfolio zusammenzufassen und sich Unternehmensberaterin zu nennen. Genau das war sie seitdem, und sie beherrschte ihren Job. Sie konnte Situationen erfassen, konnte Leute dirigieren, konnte deren Probleme lösen und wieder gehen, bevor sie sich zu langweilen begann. Ihre neue Tätigkeit hatte sich als perfekt und als sehr erfolgreich erwiesen.

Und nun würde der Mensch, der Zoe zu ihrem Beruf verholfen hatte, selbst seine Firma verlieren. Ihr Bruder stand vor der Pleite.

Zoe stellte ihr Glas auf den Beistelltisch. Nichts verdarb eine gute Margarita so gründlich wie der bittere Geschmack von Schulden. „Schlimme Sache.“

„Ja. Allerdings hat Zach eine Idee, von der er glaubt, dass sie die Firma retten kann“, sagte Meghan in gedämpftem Ton, als ob sie ein Geheimnis verriet.

„Was für eine Idee ist das?“

„Zach hat gesagt, dass er etwas Besonderes braucht, einen Knüller.“

„Und dieses besondere Etwas soll Käufer dazu ermuntern, sein System auszuprobieren?“, fragte Zoe.

„Genau.“

„Das ist eine tolle Idee.“ Zoe hatte dasselbe vor einigen Monaten vorgeschlagen, aber Zach war damals in einer seltsamen Macho-Stimmung à la selbst ist der Mann gewesen, sodass ihre Idee nicht bei ihm angekommen war. Nun begriff sie Zachs Ich-krieg-meinen-Kram-allein-hin-Gebaren. Was für Zoe Langeweile war, war für ihren Bruder das Scheitern: die reine Hölle. „Was ist denn nun das Problem?“

„Zach meint, dass er nur ein einziges Killer-Spiel braucht. Etwas Exklusives, das an sein System gekoppelt ist. Und es gibt nur einen einzigen Mann im Land, der solche Spiele entwickelt und wirklich exklusiv ist, weißt du? Einer, von dem schon jeder gehört hat, der aber noch nie für die großen Unternehmen gearbeitet hat – ein Einzelkämpfer.“

Zoe ahnte, dass diese Einleitung irgendwann bei dem Klassentreffen enden würde, und wartete ab.

„Dieser Typ nennt sich ‚Gandalf der Zauberer‘. Er gestaltet und designed die aufregendsten Videospiele in der Branche und ist ein totales Mysterium. Keiner weiß, wer er wirklich ist. Zach hat versucht, ihn durch Leeton zu erreichen, das Unternehmen, für das Gandalf arbeitet. Vergebliche Mühe.“ Meghan stand mit einem ärgerlichen Schnauben auf, stelzte zu dem Panoramafenster und blickte auf die Skyline von San Francisco. „Ich habe Zach beim Recherchieren geholfen, aber das ist wie eine Suche im Dunkeln. Nichts zu finden, außer ein paar Gerüchten.“

Dies war der Startschuss für das Ehemaligen-Treffen. Zoe griff nach ihrem Glas und kippte den Rest ihrer Margarita hinunter. Oh ja, auch sie hatte Gerüchte über Gandalf gehört.

Meghan drehte sich zu ihr und entdeckte offenbar etwas in ihrem Gesicht. „Du kennst ihn, stimmt’s?“

„Nein.“ Es war nicht gelogen. Zoe hatte keine Ahnung, wer Gandalf war.

„Aber er kennt dich. Er ist heiß auf dich. Das sagt Zach auch. Seine Erkenntnis beruht auf Gandalfs Spiel ‚Klassenkampf‘.“

„Unbedeutend“, winkte Zoe ab, obwohl sie genau wusste, dass Zach recht hatte. Vor fünf Jahren, als sie ihn über das Spiel schimpfen gehört hatte, probierte sie es selbst aus. Der Designer hatte offenkundig mal in Bradford gewohnt. Die Ähnlichkeiten waren verblüffend: Sehenswürdigkeiten, Redewendungen, Schülerslogans. Sie.

Zoe hatte nie sagen können, ob sie sich geschmeichelt fühlte oder darüber entsetzt war, dass die Hauptfigur, eine vollbusige Heldin namens SweetCheeks, nach ihr geschaffen worden war. Nicht so sehr bezüglich des Aussehens oder der BH-Größe, sondern in punkto Gebaren. Etliche Sprüche stammten von ihr. Auch ihre Gewohnheit, beim Nachdenken an ihre Lippe zu klopfen, hatte der Designer für seine Figur übernommen. Dann die stacheligen schwarzen Haare mit den lila Spitzen und sogar das außergewöhnliche Tattoo zwischen ihren Schulterblättern. Diese Engelsflügel hatte Zoe sich mit sechzehn zum Gedenken an ihre Mutter auf den Rücken tätowieren lassen.

Das Spiel ‚Klassenkampf‘ war wie eine Huldigung an ihr Teenager-Ich. Ein erfreuliches Gegenstück zu der ewigen Jungfrau. Dieser Gandalf kannte sie offensichtlich. Aber wer kannte ihn? Soweit Zoe wusste, hatte kein Mensch eine Ahnung, wer er war.

„Von wegen unbedeutend“, gab Meghan zurück. „Die Antwort auf Zachs Gebete stammt aus deiner Stadt. Und wahrscheinlich war Gandalf in deiner Klasse, da er dich immerhin gut genug kannte, um zu wissen, wie dein nackter Rücken aussieht. Demnach wird er zu dem Ehemaligentreffen kommen. Warum wohl? Kommst du drauf? Verdammt, das ist doch so leicht wie Malen nach Zahlen. Sogar du kannst dich lange genug konzentrieren, um zwei Punkte zu verbinden, oder?“

„Keiner mag Klugscheißer“, murmelte Zoe.

„Das ist nicht wahr. Zach und ich lieben dich.“

Zoes Gewissen regte sich. Weil sie sich unbedingt bewegen musste, stand sie auf und ging in die Küche. Der Druck auf den Knopf des Mixers erzeugte eine schöne geräuschvolle Ablenkung, so wie auch das Mixen einer weiteren Ladung Margaritas.

Central Highschool. Cliquenhaft, arrogant, voreingenommen. Zoe hatte nie hineingepasst. Sie hatte diese exklusive Kleinstadt und ihre snobistische Highschool gehasst wie eine Katze das Wasser. Glücklicherweise hatte sie Dex gehabt. Dank Dex, ihrem einzigen Freund, hatte sie ignorieren können, wie erbärmlich sie dort aufgenommen worden war. Und nachdem ihre Eltern tödlich verunglückt waren, musste sie mit einer weiteren kleinstädtischen Realität fertig werden: dem Klatsch. Während sie um ihre Mutter und ihren Vater trauerte und versuchte, den Schock zu verkraften, lief die Klatschmühle bereits auf Hochtouren. An jeder Ecke wurde über die geplante Scheidung ihrer Eltern getuschelt, die angeblich wegen einer Affäre ihrer Mutter mit dem Schulleiter eingereicht worden war.

Zoe hatte aus der Stadt verschwinden wollen, um sich irgendwo zu verkriechen. Doch Zach bestand darauf, dass sie ihren Abschluss machte. Er schob seine großen Berufspläne beiseite, um Verantwortung zu übernehmen. Und trotz ihrer schlimmen Highschool-Erfahrungen war Zoe ihm dankbar, dass er sie nicht hatte ausreißen lassen. War es jetzt nicht an ihr, den Zorn auf die Vergangenheit beiseite zu schieben, um Zachs Träumen eine Chance zu geben? Schließlich wollte sie, dass er Erfolg hatte. Und, noch wichtiger, sie wollte sich beweisen. Ihrem Bruder und sich selbst.

Zoe seufzte. Welch ein Stress! Sie brachte den Krug mit den Margaritas ins Wohnzimmer und füllte beide Gläser.

„Du weißt doch, dass Zach sauer wäre, wenn er rauskriegen würde, dass du dies hinter seinem Rücken gemacht hast“, murmelte sie, als sie sich hinsetzte. Trotzdem nahm sie die Einladung wieder hoch. „Kein Mensch weiß, ob Gandalf aus Bradford stammt. Das weißt du, ja? Es besteht kein Grund zu glauben, dass er zu dem Treffen erscheinen wird.“

„Zach ist davon überzeugt. Er hat sich das Gehirn zermartert, um auszutüfteln, wie er den Burschen finden kann.“

Zoes Schuldgefühle wurden nun zu einem Wasserfall.

Als Meghan den Riss in Zoes Schutzpanzer erkannte, setzte sie zum Todesstoß an. Mit einem vergnügten Lächeln zog sie einen dicken Umschlag aus ihrer Handtasche. „Sieh mal, hier sind noch mehr Informationen zu dem Treffen. Ich bin auf den Link gestoßen, als ich mir die Website anschaute. Die über die Klassenkameraden. Als ich sah, dass deine Klasse demnächst ein Wiedersehenstreffen hat, hab ich dem Komitee gemailt, mir eine Einladung zu schicken.“

Zoes Brauen schossen hoch. So war das also gelaufen. Sie hatte sich schon gefragt, wieso das Planungskomitee so mühsam nach ihrer Adresse geforscht hatte und die Einladung dann an Zach schickte. Als ob diese Leute besonders scharf darauf wären, das Grufti-Mädchen in ihrem erlauchten Kreis dabei zu haben.

„Im Forum gab es übrigens auch Spekulationen über Gandalf“, fuhr Meghan fort, sobald sie sicher war, dass Zoe sie wegen ihrer heimlichen Aktion nicht ausmeckern würde. „Einige Leute bezweifeln, dass er an eurer Schule war. Andere fragen sich, in welcher Klasse er gewesen ist. Und ob er wohl zu dem Treffen kommt. Diese Art Dinge.“

Klar. Nichts als Klatsch. Diesmal im Internet. Zoe verdrehte nur die Augen.

„Selbst wenn er hingeht, wird er wohl kaum seinen Zaubererhut tragen. Schließlich hält der Mann seine Identität schon fünf Jahre geheim. Warum sollte er sie dann ausgerechnet bei einem Klassentreffen preisgeben?“ Als sie Meghans sturen Gesichtsausdruck sah, seufzte Zoe. Dann machte sie das, was sie immer tat, wenn sie mit einem unmöglichen Auftrag konfrontiert war. Sie teilte den Job in kleinere, überschaubare Aufgaben auf. Mit anderen Worten, ihr Gehirn schaltete in den Strategie-Modus um.

Während sie alle Aspekte der Angelegenheit überdachte, ergriff sie das Heft, das Meghan ihr hinhielt. Dann schlug sie die neongrelle Titelseite um, und jegliche Strategie verabschiedete sich zugunsten merkwürdiger Magenkrämpfe. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie das Foto des Ballkönigs und seiner Königin. Brad Young und Candice Love. Ihr Schwarm und das Mädchen, das ihn ihr weggeschnappt hatte.

Zoe gab einen Grunzlaut von sich. Die hinterlistige, arrogante Ziege Candice steckte hinter all den Bosheiten, die Zoes Leben an der Highschool zu einer Hölle gemacht hatten. Gesellschaftlich meilenweit voneinander entfernt, waren die beiden Mädchen in schulischer Hinsicht Konkurrentinnen gewesen. Zoe kicherte bei der Erinnerung, dass sie Candice meistens geschlagen hatte.

Aber Candice hatte sich gerächt. Ihr Getratsche hatte Zoes einziges Glücksgefühl zunichte gemacht. Denn in derselben Woche, als Zoe die Auszeichnung des Gouverneurs für hervorragende Leistungen erhielt, ging in der Stadt das Gerücht um, Zoes Mom hätte mit dem Schulleiter herumgemacht. Den Preis hätte Zoe nicht aufgrund ihres Könnens erhalten, sondern wegen der Fürsprache des Schulleiters und der Liebeskünste ihrer Mutter.

Zoe hatte diese Klatschstory nicht geglaubt. Sie wusste, dass ihre Eltern Probleme gehabt hatten, aber Betrügereien waren nicht darunter. Zoe hatte es Candice nie verziehen, dass sie dieses niederträchtige Gerücht in die Welt gesetzt hatte.

Was bedeutete, dass sie mit einem Trip nach Bradford nicht nur ihrem Bruder helfen würde, sondern auch der hochnäsigen Cheerleader-Pute und ihrer Gang zeigen könnte, wer sie war.

„Okay, gut“, entschied sie. „Ich werde hingehen.“

„Danke, Zoe.“ Meghans Dankbarkeit, die sich in ihren blauen Augen und ihrem Lächeln zeigte, vermittelte Zoe ein warmes Gefühl. Es tat gut zu helfen. Meghan ergriff das Programmheft und blätterte durch die Seiten. „Du brauchst etwas für das Kostümfest am ersten Abend. Und du wirst die Zusage verspätet absenden. Es wird also schwierig sein, in dem Veranstaltungshotel noch ein Zimmer zu bekommen.“

„Ich werde auf keinen Fall irgendein blödes Kostüm anziehen! Ich denk nicht dran, mich zu verkleiden und mit diesen kleingeistigen Menschen auf nett zu machen.“

„Bitte, Zoe. Wenn diese Leute dir dabei helfen sollen, Gandalf zu finden, musst du wenigstens so tun, als ob du bei ihrem Spiel mitspielst.“

Zoe krauste die Nase. Nettigkeit mimen? Diesen Faktor hatte sie allerdings nicht in ihre Kalkulation mit einbezogen. „Ich kümmere mich um die Zimmerreservierung“, sagte sie mit ihrem besten Verhandlungslächeln. „Das Klassentreffen findet im Drake Inn statt, und ich kenne die Besitzer. Ich werde also mitten im Geschehen sein und kann mir sämtliche Insider-Informationen über Gandalf beschaffen. Aber ich werde kein Kostüm anziehen.“

„Du musst! Diese Kostümparty ist der Auftakt des Treffens. Du kannst dich unmöglich schon am ersten Abend absondern.“

„Dann kaufe ich mir ein kleines sexy Kleid und trage das.“

Zoe fuhr nicht wegen eines idiotischen Kostümfests zu dem Klassentreffen. Sie fuhr hin, um ihrem Bruder zu helfen. Und vielleicht um Brad Young zu zeigen, was ihm damals entgangen war. Blond und muskulös, hatte der heiße Footballstar so manchen Wunsch in Zoe geweckt, wie etwa den, dieses lästige Jungfräulichkeitsproblem loszuwerden.

Brad hatte damals Interesse gezeigt – und sie dann im Regen stehen lassen.

Oh, ja. Die Aussicht, Brad und Candice & Co. zu zeigen, wie gut es ihr ging, war der letzte kleine Pusch, den sie brauchte, um zur Hölle zurückzukehren.

Während sie erwog, neue Dessous zu kaufen, klopfte Zoe nachdenklich an ihre Unterlippe. Die ewige Jungfrau – ha, von wegen. Das Problem mit diesem Titel war nur, wie man beweisen sollte, dass er alles andere als zutreffend war.

Zwei Wochen später

Die acht-Zentimeter-Absätze ihrer Stiefeletten klackerten, als Zoe auf den Eingang des Drake Inn zuging. Sie war früher oft hier gewesen, da die Eltern ihres besten Freundes Dex die Besitzer des Hotels waren.

Dex war ein echter Gefährte gewesen. Genauso exzentrisch wie Zoe, hatte er mit Vergnügen bei ihren Streichen und Spinnereien mitgemacht. Sie hatten zusammen Luftschlösser gebaut und sich ausgemalt, was sie alles vollbringen würden, sobald sie von dem Druck der engstirnigen Kleinstädter befreit wären.

Ein blitzgescheites Grufti-Girl und ein Computernärrischer Mathe-Freak, waren sie beide stolz darauf gewesen, nicht zu der spießigen Durchschnittsgesellschaft von Bradford zu gehören.

Jetzt hätte Zoe etwas von dieser jugendlichen Arroganz gebrauchen können. Oh, sie war noch immer individualistisch und originell. Beruflich kompetent, wurde sie respektvoll behandelt. Die Leute achteten sie und suchten ihren Rat.

Doch kaum in Bradford angekommen, wurde sie wieder von den alten Selbstzweifeln befallen. Von der Sorge, nicht hineinzupassen. Sie fühlte sich wieder wie der unbeholfene Teenager von einst. Nur dass sie sich jetzt nicht mehr hinter ihrem coolen Grufti-Gebaren verstecken konnte. Damals hatte es ihr so gut geholfen.

Warum sollte sie es nicht auch jetzt mimen? Ob unecht oder nicht, sie war auf einer Mission hier. So wie SweetCheeks hatte sie ihre Befehle und würde sie ausführen.

Zoe erreichte die Tür und blieb zögernd stehen. Sie wollte nicht hineingehen. Dies könnte nur noch von dem Schrecknis einer Zahnwurzelbehandlung getoppt werden.

Ob jemand sie erkennen würde? Sie betrachtete in der Glastür ihr Spiegelbild. Zwar sah sie nicht mehr aus wie das pummelige Grufti-Mädchen, aber so sehr hatte sie sich nicht verändert. Ihr kurzes, wildes Haar war stellenweise noch immer schwarz, dazwischen dicke rote und blonde Strähnen. Sie verfügte noch immer über zwei überschüssige Kilo, doch jetzt betonte sie diese Kurven, anstatt sie in überweiten schwarzen T-Shirts zu verstecken. Und während sie ihre Piercings hatte entfernen lassen, trug sie nun einen kleinen Diamanten in der Nase und acht an jedem Ohr.

Ja, sie war immer noch „anders“. Aber jetzt hatte sie Vertrauen in ihre Fähigkeiten und wurde anerkannt. Nicht so wie damals, als sie ohne Alternativen in dieser Stadt festgesessen hatte. Zu dieser Runde heute war sie mit einem Plan gekommen, und das verschaffte ihr einen Vorteil. Sie war am Ball und in Führung.

Von ihrer ziemlich idiotischen Aufmunterung amüsiert, ergriff Zoe die Messingstange und schwang die Tür auf.

Showtime.

Zehn Minuten später durchquerte Zoe die Lobby, wobei sie sich im Stillen beglückwünschte. Sie hatte eingecheckt, ihr Willkommenspäckchen bekommen und es geschafft, jeglichen Kontakt zu vermeiden.

„Zoe? Ist das nicht Zoe Gaston, die Streberin?“

Das Gekreische stoppte Zoe. Sie atmete tief durch, bevor sie sich umdrehte.

Die Fenton-Schwestern. Zwei rothaarige Porzellanpuppen mit Herzen aus Eis.

Zoe setzte ein künstliches Lächeln auf. „Hallo“, sagte sie tonlos. „Nett, euch zu sehen.“

„Sieh einer an, du hast dich wirklich verändert“, sagte die eine. Die andere musterte Zoe von oben bis unten, wahrscheinlich um die Kosten ihres Outfits zu taxieren – enge Jeans, Stiefeletten, schwarze Samt-Tunika. Ihrem spöttischen Blick nach zu urteilen vermutete sie, dass Zoe zu viel hingeblättert hatte.

„Erstaunlich, nicht?“, gab Zoe grinsend zurück. „Und ihr beiden habt euch überhaupt nicht verändert.“

Julie und Jackie, oder Jingle und Jangle, wie Zoe die Zwillinge seinerzeit wegen ihrer schrillen Stimmen und wegen ihrer äußerlichen Verwechselbarkeit getauft hatte, begrüßten sie mit stürmischen Umarmungen. Noch genauso unsensibel wie früher, bemerkten sie nicht, dass Zoe steif wie ein Stock reagierte. Sie begannen zu plappern und zu klatschen, als sei Zoe eine von ihnen.

Sie runzelte die Stirn. Vor zehn Jahren hatten die Fenton-Zwillinge nie Zeit für sie gehabt. Was führten sie im Schilde?

„Hast du schon gehört, dass Brad Young auch hier ist? Er ist frisch geschieden. Und noch genauso heiß wie früher, aber jetzt schwimmt er im Geld“, kicherte Jangle.

Zoe fragte sich, ob Brad sich an sie erinnerte. Oder, noch wichtiger, erinnerte er sich an ihr Date? An jenes erste und letzte Date, das er mitten in der Knutschphase ohne Grund abgebrochen hatte? Das Date, das Zoes Teenagerherz brach und ihren schwachen Glauben an die Aufrichtigkeit ihrer Altersgenossen gänzlich zerstörte?

Sie schüttelte die unguten Erinnerungen ab und konzentrierte sich auf Jangles Bemerkung über Brads Reichtum. Darüber musste sie mehr wissen, denn Brads Eltern waren nicht gerade betucht gewesen, und er hatte ein Stipendium bekommen, um überhaupt studieren zu können. War er womöglich Gandalf?

„Erinnerst du dich noch an dieses verrückte Gerücht über dich und Brad im Autokino?“, fragte Jingle unvermittelt.

Verdammt, hatte die Frau ihre Gedanken gelesen? Zoe war froh, dass sie nicht der Typ war, der rot wurde. Das Gekicher der Zwillinge machte ihr klar, wie absurd sie die Vorstellung fanden, dass der heiße Captain des Footballteams mit einer wie Zoe den Kino-Mambo vollführte. Die abschätzigen Blicke, die Verachtung in den kornblumenblauen Augen bestätigten Zoes Verdacht. Sie hatten mitnichten ihre alte Klassenkameradin willkommen geheißen. Sie waren auf Stoff für ihre Klatschstorys aus.

Zoe seufzte. Natürlich. In der Schule waren die Zwillinge die Klatschköniginnen gewesen, und warum hätte sich das ändern sollen?

Sie hätte den beiden Frauen am liebsten gesagt, dass sie sich um ihren eigenen Kram kümmern sollten. Aber Klatsch war die beste Informationsquelle, und wenn sie Gandalf finden wollte, musste sie bei dem Spiel mitspielen.

„Hey, ich gehöre nicht zu der Sorte Mädchen, die Intimitäten ausplaudern“, sagte sie. Die Zwillinge wechselten schockierte Blicke. Perfekt. Vielleicht waren sie zu einem Gegengeschäft bereit und rückten Auskünfte heraus, die auf Gandalfs Spur führten. Zoes Recherchen zufolge kamen vier ehemalige Mitschüler infrage. Zu ihrem Verdruss war einer von ihnen Brad, der in Computerwissenschaften seinen Magister gemacht hatte.

„Außerdem ist bestimmt niemand an meinen kleinen Geheimnissen interessiert“, fügte sie unschuldig hinzu. „Schließlich habe ich es nicht zu Ruhm und Reichtum gebracht. Einige aus der Klasse haben es aber anscheinend geschafft. Offen gestanden habe ich die Werdegänge unserer Klassenkameraden nicht verfolgt. Ihr wisst sicher Näheres darüber, oder?“

„Na ja“, sagte eine der Schwestern und wechselte einen Blick mit der anderen, „wir haben einige Details. Ich meine, es ist gewissermaßen ein Hobby von uns, auf dem Laufenden zu bleiben.“

„Erzählt doch mal ein bisschen“, ermunterte Zoe die beiden Klatschtanten.

Die andere beugte sich vor. „Erinnerst du dich an Teresa Roberts? Sie war dieses Mädel, das solch einen Narren an dir gefressen hatte. Teresa ist stinkreich, hab ich gehört. Riesiger Erfolg im Schreiben von irgendwelchen Computerprogrammen.“

Teresa? Computerprogramme? Riesiger Erfolg? Aber Gandalf war doch ein Mann, oder? Andererseits war Teresa außer Brad der einzige Mensch, der so etwas wie Interesse an Zoe gezeigt hatte. Vielleicht war sie tatsächlich die Schöpferin von „Klassenkampf“ und hatte den Namen eines Mannes als Pseudonym gewählt.

Bevor Zoe nach Einzelheiten fragen konnte, gesellte sich eine Frau zu ihnen, die Zoe nicht erkannte und sofort mit den Zwillingen zu schnattern begann. Ehe Zoe unterbrechen und sich entschuldigen konnte, erregte ein lautes Gepolter am Eingang ihre Aufmerksamkeit.

Jemand hatte eine voll beladene Gepäckkarre umgekippt, und Zoe sah einen Mann herbeieilen, der half, die Gepäckstücke einzusammeln. Sie verspürte ganz hinten in ihrem Bewusstsein ein Ziehen, das sie aber zugunsten des wundervollen Anblicks ignorierte. Wieder bückte sich der Mann nach einer Reisetasche, und da war es wieder: das herrlichste Hinterteil, das Zoe je gesehen hatte.

Ob die Vorderseite wohl genauso attraktiv war wie die Kehrseite? Wahrscheinlich nicht, dachte Zoe.

Er richtete sich auf, als das Gepäck wieder auf der Karre und der verlegene Gast beschwichtigt war. Dann drehte er sich in Zoes Richtung und stoppte so abrupt, als sei er gegen eine Glaswand geprallt. Ihre Blicke trafen sich, und Zoe spürte die Intensität durch die ganze Halle hindurch. Ihre Sinne vernebelten sich, und sie fühlte sich, als ob sie von einer Klippe fiel. Ihr Körper glühte.

Hinreißend, war alles, was sie denken konnte.

Struppiges kaffeebraunes Haar und ein Gesicht, das Zoe an Dichter und Gelehrte denken ließ. Die langen Wangenbögen und dunklen Brauen akzentuierten sein Gesicht, das sonst zu hübsch gewesen wäre. Zoe wollte seine Augen sehen. Waren sie aus der Nähe genauso sexy, wie sie von Weitem erschienen?

Ein loses blaues Hemd verriet breite Schultern, es bedeckte aber seine Arme und seine Brust. Zoe fragte sich, wie diese Brust wohl war. Muskulös und hart? Oder weich und kuschelig? Ihr Blick glitt über das Hemd und dann zu den perfekt sitzenden Jeans, die seine schmalen Hüften umschmiegten. Sie seufzte bewundernd, als ihr Blick bei seinen Oberschenkeln landete. Der abgetragene Jeansstoff wies darauf hin, dass der Mann links bevorzugte. Zoe wäre am liebsten hinübergegangen, um mit einer Berührung zu prüfen, ob ihre Vermutung stimmte.

Ja, sein Körper schrie es ihr förmlich zu: Sex! Heißer, ungezügelter, berauschender Sex!

Er lächelte sie an. Ein schiefes, sexy Lächeln, das in ihrem Hinterkopf ein Glöckchen klingen ließ. Aber sie achtete nicht darauf, weil sie zu sehr mit den Signalen in ihrem Körper beschäftigt war.

Sein Lächeln bezauberte sie, und sie lächelte automatisch zurück. Ebenso automatisch nahm sie ihre Schultern zurück, sodass ihre Brüste sich vorreckten. Plötzlich hatte Zoe neben der Gandalf-Suche einen zweiten Plan für diese Woche. Sie wollte diesen Mann so oft wie irgend möglich kommen sehen.

2. KAPITEL

Dexter Drake erstarrte, als sein Blick ihrem begegnete. Sogar aus neun Metern Entfernung konnte er das Funkeln in Zoes Augen sehen. Falls Augen die Fenster zur Seele waren, bestanden Zoes aus einem besonders reinen Glas. Diese flaschengrünen Tiefen spiegelten alle ihre Empfindungen wider, und im Moment reflektierten sie eine interessante Mischung aus Irritation und Neugier. Dex hätte gern geglaubt, dass es sexuelles Interesse war. Doch obwohl er mit seiner Einbildungskraft ein Vermögen gemacht hatte, war er nicht der Typ Mann, der sich selbst belog.

Wahrscheinlich fragte Zoe sich, warum er in seinem Alter noch immer im Hotel seiner Eltern arbeitete. Dex unterdrückte einen Seufzer. So hatte er die erste Begrüßung nicht geplant. Sein Plan war gewesen, sie zu überraschen. Möglichst wenn sie allein war, statt inmitten einer Horde kichernder Frauen.

Ungeachtet des schlechten Timings musste Dex lächeln. Er hatte in den letzten zwei Wochen an nichts anderes denken können als daran, Zoe wiederzusehen. Und da war sie. Während er ihr Grübchen und die freche Kopfhaltung überall wiedererkannt hätte, war alles andere an ihr eine herrliche Überraschung.

Schlank und schick war sie nicht mehr das Grufti-Girl, aber ihr rebellisches Wesen war noch immer erkennbar. Die einst superkurzen, stacheligen und pechschwarzen Haare reichten ihr jetzt in einem Wirrwarr von Locken und dicken Farbsträhnen bis zu den Schultern. Rot, Blond und … ja, erfreulicherweise noch immer ein wenig Schwarz. Sie hatte das Mollige, über das sie so unglücklich gewesen war und das Dex insgeheim geliebt hatte, verloren. Ihr schwarzes Oberteil fiel gerade zu ihren Schenkeln, versteckte aber nicht die Rundungen ihrer Brüste und die Kurven ihrer Taille. An einem Handgelenk trug sie zahlreiche dicke silberne Armreifen, und an ihren Ohren glitzerte ebenfalls Silber.

Gerade als Dex seine Hand hob, um ihr zuzuwinken, warf sie ihm einen letzten langen Blick zu. Dann drehte sie sich weg. Was sollte denn das bedeuten? Als Dex sich zum Gehen wandte, sah er sich in dem großen Spiegel hinter dem Empfangstresen und stellte fest, dass auch er sich sehr verändert hatte.

Vor zehn Jahren war er dreißig Zentimeter kleiner und unförmig gewesen und hatte eine Brille getragen. Die moderne Augenchirurgie, ein gutes Trainingsprogramm und eine vernünftige Ernährung hatten definitiv ihre Wirkung auf seinen Körper gehabt. Vielleicht hatte Zoe ihn gar nicht erkannt.

Cool. Er könnte sie immer noch überraschen. Mit diesem Gedanken im Kopf ging er so unauffällig wie möglich entlang der Wand um die Lobby herum. Er positionierte sich zwischen dem Pulk von Frauen und Zoes voraussichtlichem Fluchtweg. So könnte er heraustreten und sie begrüßen, wenn sie zu ihrem Zimmer ging. Dex lehnte sich gegen eine der Säulen aus Rosenholz, schlug die Füße übereinander, verschränkte die Arme und lächelte in sich hinein. Er konnte es nicht erwarten, ihre Miene zu sehen, wenn sie ihn sah.

Ein Jahr jünger als Zoe, hatte Dex viele Leistungskurse mit ihr zusammen genommen. Überflieger wie er und sie neigten dazu, sich zusammenzutun. Aber Zoe hatte nie mehr in ihm gesehen als einen Kumpel. Witzig, ungefährlich und geschlechtslos. Deprimierend, so entmannt zu werden, aber immer noch besser als seine anderen Schulkameraden. Die hatten ihn normalerweise als eine Brieftasche betrachtet oder als Schlüssel zu der besten Partylocation in der Stadt.

Nach Zoes Schulabschluss und Wegzug hatte Dex jegliches Interesse an Central High verloren und die Tage bis zu seinem eigenen Abschluss gezählt. Ein Stipendium für die Spitzenuniversität MIT, das renommierte Massachusetts Institute of Technology, war sein Ticket ins Leben gewesen. Weg von den Erinnerungen an seine unerwiderte Liebe, weg von den Forderungen seines Vaters. Das Studium, die freie Atmosphäre an der Ostküste und ein wenig Glück hatten sein angeschlagenes Herz geheilt. Aber er hatte Zoe nie vergessen. Und dies war seine Chance, die Freundschaftsbande wieder zu knüpfen.

Dex hörte eine der Schnattergänse fragen: „Und auf wen freust du dich bei diesem Wiedersehensfest, Zoe?“

Dex wünschte, sie würde seinen Namen nennen. Verrückt, da er ja nicht mal in ihrer Klasse gewesen war und sie keinen Grund hatte, ihn hier zu erwarten. Aber der Siebzehnjährige in seinem Herzen hoffte.

„Ach, ich freue mich auf jeden“, antwortete Zoe. Dex grinste in sich hinein. Er wusste besser als alle anderen, was für eine Lüge das war.

„Ach komm, es muss doch jemanden geben, auf den du dich besonders freust“, drängte eine andere Frau. „Vielleicht Brad?“

Als er diesen Namen hörte, schoss Dex hoch und lugte um die Säule herum, um Zoes Gesicht zu beobachten. Brad Young? Dieser Mistkerl? Ein Stich durchfuhr Dex, als er an Zoes Schwärmerei für den blonden Sportler dachte – Eifersucht! Anders als der typische Sportheld, der von seinen Mitschülerinnern angehimmelt wird, war Brad nicht dumm gewesen. Nur ein Schuft. Er und Dex hatten in allen naturwissenschaftlichen Fächern Kopf an Kopf gelegen. Und normalerweise, erinnerte sich Dex, hatte er gewonnen.

„Vielleicht“, sagte Zoe achselzuckend, und Dex beobachtete fasziniert, wie der schwarze Stoff ihres Oberteils sich bewegte. Das anschmiegsame Gewebe betonte ihre runden Brüste. Wie oft hatte Dex von diesen Brüsten geträumt. Er war scharf auf Zoe gewesen, wie nur ein Teenager es sein konnte. Und sie hatte nach Brad, dem Bastard, geschmachtet …

Dex knirschte mit den Zähnen. War sie wirklich noch immer an dem Miesling interessiert?

„Wie es aussieht, geht es Brad finanziell sehr gut“, sagte sie leichthin. In diesem Ton redet man normalerweise, um Gleichgültigkeit vorzutäuschen. „Aber Julie sagte, dass keiner wüsste, womit er so viel Geld verdient. Klingt wie ein Rätsel. Hat jemand eine Ahnung?“

Was zum Teufel war mit ihr los, dass sie solche Fragen stellte?

„Ich habe gehört, dass er an der Börse riesige Gewinne gemacht hat. Er ist kurz vor dem Crash an der Wallstreet ausgestiegen“, sagte eine dieser rothaarigen Zwillingsschwestern, an die Dex sich noch erinnerte.

„Glaubst du das?“, fragte ihre Schwester. „Nach dem, was ich gehört habe, macht er irgendwas Kreatives in Sachen Computer.“

„Nein, nein“, sagte eine andere Frau. „Er hat einen Haufen Geld von seinem Urgroßvater geerbt.“

Die drei Frauen verglichen ihre Informationsquellen, und Zoe hörte wie gebannt zu, so als ob die Ursache von Brads Erfolg den Weltfrieden bringen würde.

Dex trat wütend gegen die Säule. Wollte sie Brad etwa noch immer? Nach all diesen Jahren und nach allem, was der Kerl ihr angetan hatte? Lernte die Frau denn nichts dazu?

Und er? Lernte er dazu? Als seine Mom ihm erzählte, dass Zoes Klasse ihr Jubiläumstreffen im Hotel abhalten würde, hatte er das mit Interesse registriert. Und als sie erwähnte, dass Zoe ein Zimmer reserviert hatte, konnte er einem Trip nach Hause nicht widerstehen. Obwohl dort mit diversen Predigten seines Dads zu rechnen war, dass er sein Geld lieber ins Hotel investieren sollte, statt ein eigenes Business zu starten. Dazu die Klagen seiner Mutter, dass er sein Leben zerstören würde, wenn er seinen gut bezahlten Job als Entwickler von Videospielen aufgab und sich selbstständig machte.

Dex aber hatte einen genialen Einfall gehabt, um dem Pessimismus seiner Eltern zu entgehen. Er spendierte ihnen einen luxuriösen Urlaub und versprach, sich während ihrer Abwesenheit um das Hotel zu kümmern.

Er hätte alles getan, um mit seiner ehemals besten Freundin wieder mal herumhängen zu können. Und … ja, er gestand es sich ein: Dex hoffte, dass er und Zoe dieses Mal mehr als Freunde sein könnten. Er stellte sich sie beide vor – aneinandergekuschelt in ihrem Baumhaus, wo sie früher so manche Teenager-Eskapade geplant hatten. Zoe war nackt und beugte sich über ihn, um ihm nie erlebte Freuden zu bereiten.

Wer behauptet denn, dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann? Dex grinste. Fünf Minuten in Zoes Nähe, und schon fantasierte er wieder wie ein Siebzehnjähriger.

„Ich bin erstaunt, dass in dem Programmheft zum Klassentreffen keine Berufe und Werdegänge aufgelistet sind“, sagte Zoe, womit sie Dex’ Aufmerksamkeit wieder zu der Kichergruppe lenkte. „Ich meine, viele von uns wissen nicht, was die anderen in den letzten Jahren gemacht haben. Wenn wir alle auf dem neuesten Stand wären, würde Brads Erfolg bestimmt das herausragende Gesprächsthema sein.“

Dex’ Hoffnung, und nicht nur das, schrumpfte bei ihren Worten kläglich zusammen.

„Ich bin im Planungskomitee“, verkündete eine blonde Lady. „Wir wollten dieses Treffen lustig gestalten, mit Spielen und derlei Dingen. Die Berufe haben wir absichtlich nicht aufgelistet, weil ihr sie erraten sollt. Wie in der Sendung ‚Heiteres Beruferaten‘, wisst ihr? Deshalb beginnen wir heute Abend mit der Kostümparty.“

„Entzückend“, sagte Zoe mit einem gezwungenen Lächeln. „Soll das Kostüm unsere Berufskleidung sein?“

„Na ja, nicht direkt“, sagte Blondie und verdrehte die Augen. „Hast du die Broschüre nicht gelesen? Das Kostüm soll wie ein Rätsel sein, verstehst du? Etwas mit versteckten Hinweisen. Ein Arzt soll natürlich nicht im Arztkittel zu der Party kommen.“

Dex schloss aus Zoes Gesicht, dass es ihr ein Rätsel war, wie sie ihr Kostüm mit ihrem Job in Verbindung bringen sollte. Er war sehr gespannt darauf, wo sie beruflich gelandet war. Er hatte ein paar Mal im Internet geforscht, jedoch vergebens.

„Dann bis heute Abend. Ich hatte einen langen Flug und möchte mich ein wenig entspannen.“ Zoe wandte sich zum Gehen, zögerte dann und sagte: „Falls ihr Brad seht, sagt ihm bitte, dass ich mit ihm reden möchte, okay?“

Sie nahm einen anderen Weg, als Dex vermutet hatte – fort von der Säule in Richtung Fahrstuhl. Stirnrunzelnd blickte Dex ihr nach, ohne ihr zu folgen.

Schon wieder Brad Young.

Brummelnd schob Dex die Hände in die Vordertaschen seiner Jeans. Er würde sich hüten, in seiner kostbaren restlichen Urlaubswoche dabei zuzusehen, wie die Frau, deretwegen er quer durchs Land gereist war, sich einem anderen an den Hals warf.

Nicht dass er sich einbildete, einen Anspruch auf Zoe zu haben. Und das Letzte, was er in dieser kritischen Phase seines Lebens brauchte, war eine Beziehung. Es ging hier also keineswegs um Eifersucht.

Aber Brad Young war ein Mistkerl. Ein Schuft, der nur an sich selbst dachte. Oh, sicher, er hatte es immer so aussehen lassen, als sei er Mr. Freundlich. Überschlug sich, um mit Dex Freundschaft zu schließen. Dabei wollte er nur den Fitnessraum des Hotels umsonst benutzen. Und Dex durfte die Power-Getränke und Snacks bezahlen. Als ihm ein Licht aufging und er seine Brieftasche zuklappte, zog Brad sich zurück.

Doch was Dex wirklich ärgerte, war, dass der ach so schöne Footballstar Zoe benutzt hatte. Brachte sie dazu, seine Referate zu schreiben, tat so, als sei er ihr Freund, während er sich hinter ihrem Rücken über sie lustig machte. Brad hatte ihr auch das Etikett „ewige Jungfrau“ verpasst, und das nur, weil er eine Wette mit seinen Football-Kumpels verloren hatte. Entgegen seiner Behauptung war es ihm nicht gelungen, Zoe im Autokino herumzukriegen.

Dex glaubte nicht, dass ein derartiges Ekelpaket sich im Lauf der Zeit auffallend veränderte. Deshalb war es an ihm, seine alte Freundin zu beschützen. So taff sie sich auch geben mochte, Zoe war sensibel. Er musste dafür sorgen, dass sie in dieser Woche nicht ausgenutzt oder verletzt wurde.

Ja, das war es. Es war zu Zoes eigenem Besten, sie mit Beschlag zu belegen und von Brad fernzuhalten.

Während Dex sich noch einredete, dass dieser Vorsatz natürlich nie und nimmer etwas mit Eifersucht zu tun hatte, vernahm er hinter sich eine Stimme, die er weit lieber hörte als die schrillen Organe dieser Frauen.

„Dexter!“

Lächelnd drehte er sich zu der alten Frau um. „Hallo, Nana. Ich dachte, du würdest in Las Vegas die Casinos aufmischen“, sagte er, während er sich bückte, um seine winzige Großmutter an sich zu drücken. Die Zerbrechlichkeit unter seinen Händen war eine Täuschung, wie er wusste. Essie Drake war die stärkste Frau der Welt.

„Vegas war öde“, schnaubte sie. Noch in ihrem Reise-Outfit, einem Hosenanzug aus einem roten plüschigen Stoff, sah sie mit ihren weißen Löckchen und der goldgerahmten Brille wie die Frau des Weihnachtsmanns aus. Nur dass sie als Weihnachtsfrau nicht geeignet gewesen wäre, denn Nana hatte es faustdick hinter den Ohren.

Nana war Dex’ uneingeschränkter Liebling. Sein absoluter Champion. Und sein größtes Ärgernis. Aber jeder Ärger war es wert, seine Grandma auf seiner Seite zu haben.

Dex’ Eltern konnten seine Faszination für Videospiele nie nachvollziehen. Sie hatten sie immer für eine Teenager-Sucht gehalten, die er mit der Zeit überwinden würde. Entsprechend begeistert waren sie von seinem Entschluss gewesen, an die Uni zu gehen. Doch als er dann studierte, betonte sein Vater in einem fort, dass er die Kosten für das Studium nur aufbrachte, damit sein Sohn einmal viel Geld verdiente und das Familienunternehmen unterstützte. Dass diese Ausgaben minimal waren, da Dex ja ein volles Stipendium hatte, änderte nichts an den Erwartungen seines Vaters. Deshalb hatte Dex sein Studium vor acht Jahren abgebrochen, um sich voll und ganz seiner Leidenschaft zu widmen. Seine Eltern waren ausgerastet.

Aber Nana? Sie hatte gejubelt und Dex ermutigt, sich auf eigene Füße zu stellen. Ihr Glaube an ihn gab ihm die Kraft, es zu wagen. Er hatte seine an der Uni erworbenen Grafik-Kenntnisse, seine Computer-Besessenheit und seinen außerordentlichen Einfallsreichtum miteinander kombiniert und losgelegt. Das Ergebnis: eine erfolgreiche Laufbahn als Videospiel-Designer.

Dass er eine lebhafte Fantasie besaß, hatte er immer verborgen, weil er befürchtete, deswegen von seinen Schulkameraden gehänselt zu werden. Selbst als er schon Designer war, konnte er diese Befangenheit nicht ablegen. Aus diesem Grund und aus Rücksicht auf seinen Vater arbeitete er seit dem Erscheinen seines ersten Spiels „Klassenkampf“ unter einem Pseudonym. In diesem Spiel, das ein Verkaufsschlager geworden war, machte er sich nämlich über genau die Kleinstadt lustig, die von den Vorfahren seines Dads gegründet worden war. So entnervend sein alter Herr manchmal sein mochte, er besaß in Bradford ein Hotel und musste geschont werden.

Wegen seiner Rücksichtnahme und Nanas Unterstützung hatten seine Eltern seine Berufswahl irgendwann akzeptiert. Dass er eine Menge Geld machte, hatte auch nicht geschadet. Komisch, was Geld alles bewirken kann, dachte Dex. Sein Leben lang hatte Geld ihm Türen geöffnet und Freunde verschafft.

Nur Zoe hatte sich nicht darum geschert, was er besaß. Sie hatte ihn als den akzeptiert, der er war. So wie Nana.

„Ist dein Schatz schon hier?“, fragte seine Großmutter und blickte sich in der Lobby um. „Hab ich sie vielleicht verpasst?“

„Bist du deshalb früher zurückgekommen? Willst du mal wieder die Kupplerin spielen? Ich habe keinen Schatz, Nana. Ich bin nur hier, um Mom und Dad zu helfen, bevor ich wegen meines neuen Projekts zu viel zu tun habe.“

Nana schüttelte den Kopf. „Ich habe das zweite Gesicht, Dexter. Ich sehe, dass du und dein Schatz bald glücklich vereint sein werdet.“

„Glücklich vereint? Wie kommst du denn auf so was?“

Er überging die Bemerkung „zweites Gesicht“. Nana hielt sich für eine Wahrsagerin und hatte stets Tarot-Karten bei sich. Zum Verdruss von Dex’ Eltern stellte sie in der Lobby oft einen Tisch auf und bot den Gästen an, für sie die Karten zu legen. Sie behauptete auch, Träume deuten zu können. Einer ihrer Träume führte sie seit Kurzem in die Spielparadiese des Landes, weil sie sicher war, den Jackpot zu knacken und ihre Rente aufzubessern.

Bis jetzt allerdings hatten ihre drei Trips nach Las Vegas und die fünf Reisen nach Reno ihr lediglich einen riesigen Plüschaffen eingebracht.

„Gib’s schon zu. Du bist hier, um deine große Liebe zu finden“, nervte seine Großmutter. Sie hakte sich bei ihm ein, damit er sie vom Hintereingang aus zu ihrem Häuschen auf dem Privatgelände führte.

Zoes Bild erschien in seinem Kopf. Das hatte aber herzlich wenig mit Liebe zu tun, denn Zoe war nackt in seiner Fantasie. Nackt auf seinem Bett ausgestreckt.

„Ich suche nicht die große Liebe, Nana. Für Liebe habe ich keine Zeit.“ Treffender formuliert hatte die Liebe keine Zeit für ihn. Dex hatte versucht, sich zu verlieben, aber jedes Mal, wenn er glaubte, es sei Liebe, war es etwas anderes gewesen. Geldgier. Hunger nach Gefälligkeiten, nach Kontakten für die berufliche Karriere.

Nana schnaubte. „Liebe hat mit Terminplänen nichts am Hut. Du tätest gut daran, sie diese Woche zu finden, bevor du deinen verrückten Plan anpackst und dabei alles aufs Spiel setzt.“

„Ich dachte, du magst Glücksspiele“, war alles, was er sagte. Er wusste, warum die Familie nicht wollte, dass er seine Pläne umsetzte: Vier Generationen hatten dieses Hotel geführt, und nun war es an ihm, es in der Familie zu halten. Die Familientradition verlangte, dass er in dieser wirtschaftlich schweren Zeit das Geschäft am Laufen hielt. Er hatte Geld, und es wäre verantwortungslos, dieses Geld in ein riskantes Abenteuer zu stecken. Blablabla.

Aber Dex’ Plan stand. Wenn er wieder zurück war, würde er die größte Veränderung in seinem Leben in Angriff nehmen. Er würde seinen toll bezahlten Job bei „Leeton Games“ aufgeben und seine eigene Firma starten. Dass er sehr viel Geld investieren musste, beunruhigte ihn nicht, obwohl er sich des Risikos bewusst war. Allerdings war der Mann ausgestiegen, der seinen Geschäftsplan entworfen hatte und sein Manager hätte sein sollen. Er hatte Bedenken gehabt, eine Firma zu gründen, ohne Dex’ Schlüssel zu Ruhm und Erfolg benutzen zu können: Gandalf, sein Pseudonym.

Aber Dex hatte eine Abmachung mit Leeton. Als er dort anfing, war das Pseudonym seine Idee gewesen, aber dann wurde der Name Gandalf berühmt, und Leeton hatte jede Menge Lorbeeren eingeheimst. Die wollten sie weiter bekommen, was jedoch nur möglich war, wenn sie die Rechte an dem Namen bekämen. Dex willigte ein, und als Gegenleistung würde Leeton ihm eine beträchtliche Summe zahlen, die ihm ermöglichte, sein Unternehmen in Gang zu bringen und ein Jahr über Wasser zu halten.

Dex hatte genug Vertrauen in seine Fähigkeiten, um zu wissen, dass seine Firma für Computergrafik rasant abheben würde.

Trotzdem war es ein verdammter Jammer, dass sein zweites Ich Gandalf im Namen der Sicherheit auf den Scheiterhaufen geworfen werden musste.

„Du willst nicht zu dem Kostümfest gehen? Aber du musst hin!“, tönte Meghans Stimme aus dem Telefonlautsprecher.

„Ich muss gar nichts“, gab Zoe entnervt zurück. Meghan hatte sie bereits zwanzig Minuten lang über den bisherigen Verlauf des Tages ausgefragt, während sie selbst ihren Koffer ausgepackt und ihre Sachen weggehängt hatte.

„Geh bitte hin. Das wird dir ersparen, deine Klassenkameraden in deine Suche einzubeziehen. Du brauchst nur ihre Kostüme genau anzusehen und weißt, was sie beruflich machen.“

Zoe seufzte. „Aber ich hab kein Kostüm.“

„Darum habe ich mich längst gekümmert. Dein Kostüm müsste jeden Moment geliefert werden.“

Zoe bedankte sich abwesend und stellte ihren Laptop an. Zwei Klicks, und sie hatte ihre E-Mails auf dem Bildschirm. „Fantastisch!“

„Was? Ist dein Kostüm schon da?“

Zoe lächelte, setzte sich im Schneidersitz aufs Bett und zog den Laptop näher. „Nein. Viel besser. Dex ist hier.“

„Was ist denn ein Dex?“

„Mein Rettungsring“, sagte Zoe und lehnte sich lächelnd gegen den Kissenberg. „Wir waren dick befreundet, als ich zur Highschool ging. Er war genauso durchgeknallt wie ich. Hat von Kerkern und Drachen geschwafelt und sich Rollenspiele ausgedacht. Seine Eltern sind die Besitzer dieses Hotels.“ Sie überflog Dex’ Zeilen nochmals. „Er ist diese Woche hier im Drake, um zu helfen. Meine E-Mail-Adresse hat er auf meiner Reservierungs-Mail gesehen.“

„Dann wirst du ja wenigstens ein bisschen Spaß im Bett haben, wie?“

Ein Bild von dem heißen Burschen in der Lobby huschte durch Zoes Kopf. Mit dem Mann würde sie bestimmt Spaß im Bett haben. Aber Dex? Sie kicherte. Er war zehn Zentimeter kleiner gewesen als sie und so schüchtern, dass er manchmal stotterte. Und dann sein Verkleidungstick. Wahrscheinlich schwul. Mit Dex schlafen? Schwerlich.

„Nein, Dex und ich sind nur Freunde“, erklärte sie Meghan. „Wir hatten nach meinem Schulabschluss den Kontakt verloren und werden uns viel zu erzählen haben.“

„Verlier nur nicht aus dem Blick, warum du dort bist“, mahnte Meghan.

„Keine Sorge, ich bleibe am Ball.“

Ein Klopfen ertönte. Zoe stellte den Laptop beiseite und sagte Meghan, dass sie dran bleiben sollte, während sie zur Tür ging. Draußen stand der Hotelpage, der ihr mit einem anzüglichen Grinsen einen großen Karton überreichte. Zoe blickte auf das Absender-Etikett und verdrehte die Augen. Dressed to Thrill.

„Kostümfest“, informierte sie den kichernden Jungen.

„Oh-oh“, sagte er, steckte sein Trinkgeld ein und schlenderte davon.

Zoe zog hinter seinem Rücken eine Grimasse und schloss die Tür.

„Ist es da? War das das Kostüm?“, erschallte Meghans Stimme.

Zoe warf den Karton aufs Bett. „Ich fasse es nicht. Du bist in einen Laden namens ‚Dressed to Thrill‘ gegangen? Muss ich diesen Karton wirklich aufmachen, Meghan?“

„So verlockend es war, etwas Verruchtes wie etwa ein Agentinnen-Kostüm zu nehmen, habe ich mich für Betty Boop entschieden“, sagte Meghan lachend. „Ich dachte mir, dass sie deine Lieblings-Comicfigur ist. Betty ist sexy und witzig, und sie gerät immer in vertrackte Situationen. Und sie könnte vielleicht diese Jungfrauengerüchte abschießen, die dir so zu schaffen machen.“

Zoe verdrehte wieder die Augen. Sie fischte ihre Nagelfeile aus ihrer Handtasche, durchtrennte die Klebestreifen und zog einen weißen Kleidersack aus dem Karton.

„Kannst du mir verraten, wie ich Betty Boop in ein Rätsel verwandeln soll, das Hinweise auf meine Tätigkeit als Unternehmensberaterin und Troubleshooter gibt?“, fragte sie, während sie den Beutel aufs Bett legte und den Reißverschluss aufzog.

Meghan schnaubte. „Ich wusste nichts von dem Beruferaten, als ich das Kostüm bestellte. Aber du kannst ja einfach dein Black Berry und eine Spielzeugpistole mit dir herumtragen“, sagte sie in Anspielung auf den Ausdruck Troubleshooter, der im wörtlichen Sinne „Problemabschießer“ bedeutet.

Zoes amüsiertes Grinsen verschwand, als ihre Finger Leder berührten. Betty trug doch kein Leder, oder? Sie zog den Kleiderbügel aus dem Beutel und hielt das Outfit hoch.

„Was zum Teufel …“ Zoe ließ den Bügel fallen und sprang zurück. Mit offenem Mund starrte sie auf das aufreizende Gebilde aus schwarzem Leder, das da auf ihrem Bett lag. Ihr Blick glitt zu den restlichen Teilen des Kostüms, die aus dem Kleidersack gefallen waren, als sie das Outfit herausnahm. Nietenbesetzte Ledermanschetten und eine Reitgerte.

Schock, Faszination und ein verrückter Drang zu kichern überwältigten Zoe. „Du hättest das Agentinnenkostüm nehmen sollen. In diesem Ding werde ich niemals irgendwohin gehen.“ Zoe beäugte das schwarze Lederzeug nochmals und konnte ihr Lachen nicht zurückhalten. „Obwohl ich mir sicher bin, dass niemand mich je wieder ‚ewige Jungfrau‘ nennen würde, nachdem ich als Domina erschienen wäre.“

3. KAPITEL

„Ich kann nicht glauben, dass ich dies tue“, stöhnte Zoe, als sie den winzigen Rock aus Leder und Spitze herunterzog in der Absicht, ihren Po zu bedecken. Sie blieb zum dritten Mal auf ihrem Marsch zum Fahrstuhl stehen. „Ich rufe unten an und sage, dass ich wegen einer plötzlichen Erkältung nicht kommen kann“, murmelte sie.

Und setzte sich wieder in Bewegung. Denn ihr Bruder brauchte Hilfe.

Beim Fahrstuhl angekommen, drückte sie den Knopf. Die Türen glitten auf. Zoe atmete tief durch. Nach einer nochmaligen Wiederholung ihres Mantras Die Meinung der Leute ist mir schnuppe stieg sie ein und hieb auf den Knopf für die Lobby.

In der Fahrstuhlkabine inspizierte sie ihr Spiegelbild. Sie hatte nicht die billigen schenkelhohen Plastikstiefel angezogen, sondern ihre Stiefeletten. Sexy Lederschuhe waren ein Muss, selbst wenn sie von schwarzen Netzstrümpfen ergänzt wurden. Der Minirock war leicht ausgestellt, ein Zugeständnis an die Sittsamkeit. Das Oberteil war ein schwarzledernes Bikini-Top mit schmalen Trägern, die am Hals von einem nietenbesetzten Stehkragen aus Leder gehalten wurden. Ledermanschetten und eine Reitgerte vervollständigten das Kostüm.

Zoe klopfte auf das Black Berry, das sie an ihren Rockbund geheftet hatte. Da fast alle ihre Jobs etwas mit der Kommunikationsbranche zu tun hatten, war das Handy mit Internetzugang und E-Mail-Empfang der einzige Hinweis auf ihren Beruf.

Es könnte ihr aber auch behilflich dabei sein, später die Flucht zu ergreifen. Denn Dex hatte angekündigt, dass er sie heute Abend kontaktieren würde, um mit ihr einen Treffpunkt zu vereinbaren. Sie hoffte, dass es während der Party sein würde.

Eine Viertelstunde später konnte sie nur lachen und den Kopf schütteln. So was von Unreife! Achtundzwanzig Jahre alt, und diese Leute benahmen sich noch immer wie Teenager. Man hätte meinen sollen, dass die Männer wenigstens ein paar neue Anmachsprüche gelernt hatten.

Mit der Reitgerte an ihren Schenkel klopfend, bahnte Zoe sich einen Weg durch den lärmerfüllten Ballsaal. „Berechnest du deine Dienste nach Stunden?“, fragte ein Typ, als sie sich an ihm vorbeidrückte, um zum Komitee-Tisch zu gelangen.

„Ich bin zu teuer für dich“, sagte sie augenzwinkernd und wedelte mit ihrer Gerte. Sie erkannte ihn als einen Footballspieler. Hätte er sie erkannt, hätte er seine Beine zusammengepresst.

Als sie endlich den Tisch erreichte, um sich in die Teilnehmerliste einzutragen, war sie fünf Mal angemacht und acht Mal beleidigt worden. Obwohl keiner sie erkannt hatte, wurde sie genauso geringschätzig behandelt wie früher.

Also holte sie ihr altes Leck-mich-Gebaren hervor und hob ihr Kinn.

„Zoe Gaston checkt ein“, meldete sie in zackigem Ton dem am Tisch sitzenden Welpen. Die Frau trug einen Overall aus braunem Fell, einschließlich Schlappohren und schwarzer Nase.

„Gaston?“ Der Welpe fuhr mit der Pfote über die Liste, fand Zoes Namen, musterte sie lächelnd und gab ihr das Namensschild. „Geh bitte rüber zur Foto-Kabine.“

„Warum?“

„Jeder, dessen Kostüm für den Wettbewerb qualifiziert ist, muss sich fotografieren lassen.“

„Was sind denn die Qualifizierungsbedingungen?“

„Dass dein Kostüm nicht verrät, was du beruflich machst“, sagte der Welpe und zwinkerte Zoe zu. „Ich nehme an, dass du deinen Lebensunterhalt nicht mit Züchtigungen verdienst.“

Bei dem Lächeln und dem freundlichen Scherz blinzelte Zoe überrascht. Dann lachte sie und sagte: „Nein, das Verprügeln bringt mir gerade genug Geld für die Nahrungsmittel.“ Sie grinste den Welpen an und ging zu der Kabine.

Den als Clown verkleideten Fotografen erkannte Zoe sofort als ihren alten Sportlehrer wieder. Als er die Aufnahme gemacht hatte, bemerkte er: „Dein Kostüm ist das beste seit Brads.“

„Brad Young? Als was ist er denn verkleidet?“

„Als Zauberer. Tolles Cape.“ Damit wandte der Mann sich der nächsten Person zu, die Kamera schussbereit und Zoe vergessen.

Brad Young. Na toll! Alle Vorzeichen hatten in seine Richtung gewiesen, und nun war er als Zauberer verkleidet. Zoe schüttelte den Kopf. Es musste ausgerechnet der Kerl sein, der sie verschmäht hatte.

Zoe verscheuchte ihre trübseligen Gedanken. Vor zehn Jahren war sie nicht Brads Fall gewesen, aber er würde Augen machen, wenn er sie heute Abend sah. Sie würde ein wenig mit ihm flirten. Falls er Gandalf war, Zach anrufen und fragen, was sie tun sollte. Dann nichts wie weg hier. Und Brad in einer Staubwolke keuchend zurücklassen. Perfekt.

Sie hielt nach einem spitzen Hut Ausschau, mahnte sich aber, nicht zu sehr auf Brad fixiert zu sein. Es gab noch drei weitere Männer, deren Berufe sie vor dem Treffen nicht herausgefunden hatte, und da sie nur die alten Fotos aus dem Jahrbuch kannte, musste sie auf die Namensschilder achten. Jedenfalls wäre jeder, der einen Joystick bei sich hatte, unweigerlich auf ihrer Liste.

„Sieh einer an. Du hast noch immer keine andere Farbe als Schwarz entdeckt, hm?“

Zoe drehte sich um. Candice Love. Entzückend.

„Ich hab meinen Ohren kaum getraut, als Julie mir sagte, dass du hier seist. Zoe Gaston, die freakige Jungfrau.“ Candice musterte Zoe mit übertrieben geweiteten Augen. „Dieses Kostümfest war doch dazu gedacht, dass wir unsere Berufe erraten. Nicht, um unsere Abschlusstitel zu verleugnen.“

„Ach, wirklich?“ Zoe inspizierte das Kostüm der Blondine. „Und dein Leben ist seit dem Schulabschluss so schlimm, dass du in der Vergangenheit lebst?“

Berechtigte Frage, da Candice ein Cheerleader-Kostüm trug.

„Es ist meine Verkleidung“, konterte Candice Zoes Hieb. „Offenkundig haben wir beide an unseren Highschool-Rollen festgehalten, hm?“

„Ja, offenkundig“, sagte Zoe lächelnd und beschloss, Candice keine Sekunde mehr von ihrer Zeit zu schenken. „Entschuldige mich bitte, ich bin mit jemandem verabredet.“

Candices Augen wurden bei der Abfuhr schmal, und Zoe freute sich über die Irritation dieser hochnäsigen Frau.

Während sie immer noch leicht mit der Gerte gegen ihren Schenkel schlug, durchquerte Zoe den lauten, erhitzten Saal und ging aus einer Seitentür in den Garten. Von der Dunkelheit eingehüllt, machte sie einen tiefen Atemzug und schloss die Augen. Sie absorbierte die wohltuende Stille, atmete nochmals tief durch und redete sich zu, in den Ballsaal zurückzugehen. Da drinnen war Gandalf, und der Teufel sollte sie holen, wenn sie sich von Candice und ihren Pom-Poms einschüchtern ließ.

„Peitsch mich, schlag mich, zwing mich, an dem Fest teilzunehmen.“

Zoe wirbelte herum und versuchte, den Mann, der da eben gesprochen hatte, in der Dunkelheit auszumachen. Sie nahm undeutlich seinen kostümierten Körper wahr. Sein Gesicht war nicht zu erkennen. Trotzdem flammte in Zoes Innerem Hitze auf, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Hallooo, schöner Fremdling.

Atemlos starrte sie hinüber. Lässig an die Wand gelehnt, war der Mann der pure Sex-Appeal. Zoe kniff die Augen zusammen, um sein Kostüm zu erkennen. Enge Lederhose, weites Hemd, ein Degen. Sein Gesicht konnte Zoe bei dem schwachen Mondlicht noch immer nicht ausmachen, sie sah nur eine breite Maske à la Zorro. Aber sein Körper war ein Kunstwerk. Groß und schlank, jedoch muskulös. Ein schwarzes Cape vervollständigte sein geheimnisvolles Aussehen.

„Amüsierst du dich?“, fragte er.

„Kaum. Wenn ich gewusst hätte, dass es so schlimm sein würde, hätte man mich nur mit der Peitsche dazu gebracht, bei diesem Zirkus mitzumachen.“

„Heilt die Zeit nicht alle Wunden?“, fragte er in scherzhaftem Ton.

„Oder sie schärft die Krallen.“

„Ein interessantes Sprachbild von einer Frau, die Leder mit Nieten trägt“, frotzelte er, seine Stimme rau und leise. Er hatte einen leichten Akzent, der seinen sexuell aufgeladenen Worten eine Dosis Romantik verlieh. Doch Zoe konnte nicht sagen, woher dieser Akzent stammte.

Sie hätte zu gern gewusst, wer der Bursche war. Das Cape deutete auf Brad hin, aber dieser Mann erinnerte überhaupt nicht an Brad.

„Wer bist du?“, fragte sie.

„Aragorn.“

Sie runzelte die Stirn. Aragorn. War das nicht eine Figur in „Der Herr der Ringe“? Zoe hatte den Roman nicht gelesen, sondern nur den Film gesehen und bei all den fantastischen Szenen kaum auf die Namen der Personen geachtet. Das bedauerte sie jetzt.

„Wie ist dein richtiger Name?“

„Unwichtig. Dies ist ein Kostümfest. Lass dich auf den Reiz des Geheimnisses ein.“

Zoe überlegte. Er konnte Brad sein. Er konnte Gandalf sein. Sie sollte noch eine Weile bleiben und ihn ausquetschen.

„Wie wär’s mit einer Verschnaufpause, bevor du wieder reingehst und Hinterteile peitschst?“, schlug er vor.

Als sie in Lachen ausbrach, antwortete er mit einem bezaubernden schiefen Grinsen. Dann zeigte er zu dem Weg, der zu dem Rosenbogen führte. „Vielleicht ein Spaziergang im Mondschein?“

Bei seiner Geste fiel sein Cape zurück und enthüllte sein Hemd. Zoe konnte deutlich die Konturen seines Oberkörpers unter dem weichen, fließenden Stoff sehen. Breite, kräftige Schultern, solide Bizepse, gemeißelte Brustmuskeln.

Sexy. Zoe schluckte schwer, und sie spürte, wie sie Lust bekam.

„Ein Spaziergang klingt verlockend“, hauchte sie und schob eine Hand in seine Armbeuge. Himmel, was könnte noch romantischer sein? Ein Mondscheinspaziergang an der Seite eines hinreißenden Mannes, der sie schon allein mit dem Klang seiner Stimme heiß machte.

Sie musterte ihn von der Seite, aber sogar aus dieser Nähe konnte sie seine Gesichtszüge nicht erkennen. Bei der Dunkelheit und der breiten schwarzen Maske, die wie ein Bandana-Tuch hinter seinem Kopf zusammengebunden war, konnte sie nur sehen, dass sein Haar zurückgeglättet war. Kurz? Eine Perücke? Der Verschluss der Maske machte es schwer, das zu ergründen.

Wer war er? Wenn er Brad wäre, hätte er bestimmt etwas gesagt. Außerdem war Brad nicht so superschlank gewesen wie dieser Aragorn. Zugegeben, es war lange her, aber Zoe erinnerte sich an Brad als den stämmig gebauten Ballspieler-Typ, nicht als den typischen Läufer.

Sie gingen vom Innenhof in den Garten. Die kalte Abendluft traf wie ein Hieb auf Zoes fast nackten Körper. Instinktiv bewegte sie sich näher zu der Wärme des Mannes.

„Moment“, sagte er und hantierte an seinem Cape.

Zoe hielt den Atem an und fragte sich, ob er sie zu sich unter den Umhang ziehen wollte. Aber das tat er nicht, sondern löste den Kragenverschluss und legte Zoe das Cape behutsam um die Schultern.

„Danke“, sagte sie leise.

„Du hast eben ausgesehen, als sei dir unbehaglich.“

„Ich hatte vergessen, wie kalt es hier werden kann.“

„Da drinnen war dir unbehaglich, meinte ich.“

„Ach so. Ich sagte ja schon, dass ich die Party grässlich finde. Ich hatte vergessen, wie es ist, eine Außenseiterin zu sein“, murmelte sie.

„Waren sie grob?“, fragte er mit einem ärgerlichen Unterton, der Zoes Blick zu ihm zog. Seine Kiefermuskeln waren angespannt und zuckten. Er sah aus, als wollte er in den Ballsaal stürmen und die fröhliche Schar mit seinem Degen niedermachen.

Zoe lächelte über ihre wilde Fantasie. Und sie sah ein, dass sie die Reaktionen im Ballsaal viel zu wichtig genommen hatte. Was gingen diese Spießbürger sie an?

„Es war keine große Sache“, sagte sie wegwerfend. „Eher Anmachen als Grobheiten.“

„Die Jungs haben dich angemacht?“ Er lachte. „Kein Wunder. Ich meine, du bist wunderschön.“

Zoe brachte kein Wort heraus. Dieser Mann strahlte eine fühlbare sexuelle Energie aus, die Zoe an leidenschaftliche Nächte denken ließ. Und er fand sie schön …

Als sie zu ihm hochblickte, verschwand sein Lächeln. „Du siehst aus, als ob du mir nicht glaubst“, murmelte er.

„Ich bin oft provokant genannt worden“, gestand sie, „aber noch nie wunderschön.“

„Aber du bist schön.“ Er streckte seine Hand vor und strich mit den Knöcheln seiner Finger über ihre Wange. Das fühlte sich so zart an, Zoe hätte fast geschnurrt.

„Vielleicht bist du ein Leder-Fetischist“, meinte sie.

„Vielleicht möchte ich einige andere Fetische mit dir ausprobieren“, gab er zurück.

Ein Bild von ihm und ihr erschien in Zoes Kopf, sie beide nackt, bis auf seine Maske und ihre Stiefel. Zoes Puls raste. War er am Ende doch Brad? Hatte eine der Zwillinge nicht erwähnt, dass Brad eine Zeit lang in England gewesen war? War das ein englischer Akzent? Dieser Mann kannte sie offenbar sehr gut. Kein anderer aus ihrer Klasse würde so mit ihr flirten.

Er nahm seine Hand von ihrer Wange fort, dann aber legte er beide Hände um ihr Gesicht und hob mit dem Daumen ihr Kinn.

„Ich würde dich auch ohne das Leder wollen.“

Sie grinste frech. „Du meinst, nackt?“

Bei dieser kessen Bemerkung brach „Aragorn“ in Lachen aus, und Zoes Herz hüpfte. Nur wenige Männer konnten mit ihrem losen Mundwerk umgehen, geschweige denn es bewundern, wenn sie gerade dabei waren, Zoe zu umgarnen. Aber Mister Supersexy? Er lachte nur und lächelte immer noch, als er den Kopf senkte.

Zoe hielt den Atem an. Und dann wurde sie ganz ernst, ganz weich, und sie spürte, wie sein Mund sich ihrem näherte.

Seine Lippen strichen sanft über ihre. Warm, zart, berauschend. Zoes Brustspitzen wurden hart, ihre Beine drohten nachzugeben. Sie umfasste seine Taille und suchte Halt. Ihr Kopf fiel zurück, als Aragorn von weich und sanft zu fest und wild überwechselte.

Sie keuchte und wurde augenblicklich feucht, als er mit seiner Zunge einen betörenden Tanz begann. So war sie noch nie geküsst worden – so hungrig und intensiv, dass sie sich kaum aufrecht halten konnte. Sie überließ sich der Macht seines fordernden Mundes. Ließ sich mit der Leidenschaft fallen, die in ihrem Inneren wogte.

Wer hätte gedacht, dass dieses Kostüm ihr den ersten Preis bescheren würde?

Dex löste den Kuss, wie vernebelt. Seine Ratio hatte sich verabschiedet. Verdammt. Endlich hatte er etwas – jemanden – gefunden, der seine stets rotierenden Gedanken ausknipsen konnte.

„Komm mit in mein Zimmer“, platzte er heraus. Gleich darauf wand er sich vor Verlegenheit. Toll, Drake. Siehst deine beste Freundin zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder und versuchst bereits, sie in dein Bett zu kriegen.

Als Reaktion spielte sich in ihren grünen Augen eine hinreißende Mischung aus Schock und Begehren. Ihr Atem kam in kurzen Stößen aus ihrem feucht glänzenden, einladenden Mund.

Dex konnte seinen Blick nicht von Zoe losreißen. Sie war heiß. Sexy, selbstsicher und so herrlich frech. Augen eines Engels und ein Mundwerk, das zu ihrem Leder-Outfit passte. Und wie sie schmeckte! Die reine Götterspeise. Schon allein daran könnte er sich berauschen.

Er wollte sie berühren. Sie sehen. Er wollte alle seine Fantasien verwirklichen. Seine Fantasy-Frau SweetCheeks, die kesse Superheldin seines ersten Videospiels, basierte auf Zoe. Mit ihrer Ich-lasse-mir-nichts-gefallen-Haltung bekämpfte sie die bösen Jungs und rettete Dex’ Welt. Aber nicht SweetCheeks lag jetzt höchst realistisch in seinen Armen, sondern Zoe. Die Frau, mit der er viele intensive Stunden verbringen wollte.

Dex glitt mit seinen Händen von ihrer Taille zu ihren mit Leder bedeckten Brüsten und genoss jeden Zentimeter. Er konnte nicht glauben, dass sein Spiel funktionierte. Nachdem er Zoes schwesterlich nette E-Mail erhalten hatte, war er entschlossener denn je gewesen, diese Woche nicht mit freundschaftlichem Geplauder zu vergeuden. Deshalb die Idee mit dem Kostüm. Sein ursprünglicher Plan war, sich Zoe erstmal „inkognito“ zu nähern, sie ein wenig auszuforschen und dann bestenfalls recht schnell heiß auf sich zu machen. Dann, wenn sie angebissen hätte, würde er die Maske fallen lassen.

Das war allerdings gewesen, bevor er ihren Körper ausforschte. Und nun fühlte er sich wie ein Schuft.

„Ich kann nicht.“

Hä? Dex runzelte die Stirn. Ach ja, sein Zimmer.

Und ob sie konnte. Das sagte ihr Körper ihm. Sie war noch immer an ihn gepresst, ihre Hände um seine Schultern geklammert. Oh ja, sie konnte.

„Wie bitte?“

„Ich habe gesagt, ich kann nicht. Nicht dass ich nicht möchte.“

Bei diesen Worten schwoll nicht nur sein Ego, sondern auch noch etwas anderes.

Sie wich ein wenig zurück. „Ich kann noch nicht. Ich muss etwas erledigen, bevor ich den Rummel da drinnen verlassen kann. Aber wenn du mir hilfst, kann ich mich vielleicht früher verziehen. Dann könnten wir irgendwohin gehen. Uns kennenlernen. Die Maske weg und plaudern.“

Mit anderen Worten, kein Freibrief für Sex. Aber sie könnten zusammen Zeit verbringen und dann weitersehen. Dex nickte eifrig. „Natürlich werde ich dir helfen. Was immer es ist.“

„Ich muss einen Mann finden“, sagte sie leise.

„Ich bin ganz Mann, Schätzchen“, witzelte er. „Soll ich’s beweisen?“

Nun wurde ihr Lächeln geradezu durchtrieben. Sie bewegte sich wieder zu ihm, berührte ihn aber nicht und stand gerade nahe genug, um ihn mit ihrer Körperwärme verrückt zu machen. Offenbar die Königin des Timings, wartete sie zwei Herzschläge lang. Dann machte sie einen tiefen Atemzug, und die ledernen Spitzen ihres BHs streiften seine Brust.

„Ja, ich merke, dass du ganz Mann bist. Und diese Tatsache würde ich sehr gern gründlich erkunden.“

Heiße, brodelnde Lust durchströmte ihn, langsam und berauschend. Dex gab der Versuchung nach und zog Zoe an ihren lederbedeckten Hüften näher. Nicht so nah, wie er wollte, aber nah genug, um die Hitze ihres Körpers an seinem zu spüren.

„Wer ist dieser Mann?“, fragte er, zugegebenermaßen neugierig.

„Ich kenne seinen richtigen Namen nicht“, sagte sie weich, wobei sie mit den Fingern abwärts über seine Brust strich bis zu seinem Bauch. Als sei ihr nicht wichtig, was sie sagte, beobachtete sie, wie sie mit ihrem Fingernagel ein Muster auf seinen Bauch zeichnete. Dex spannte sein Sixpack an, froh über seine Mitgliedschaft im Fitness-Club.

„Du willst einen Mann, dessen Namen du nicht kennst?“, fragte er, nun ein wenig eifersüchtig.

„Nein, nein“, lachte sie und hakte ihren Finger hinter seine Gürtelschnalle. „Ich kenne seinen Namen. Ich weiß nur nicht … wie er aussieht.“

„Geh morgen durch die Flure und ruf seinen Namen“, schlug Dex vor. Er achtete kaum auf ihre Unterhaltung, da seine ganze Aufmerksamkeit Zoes Finger und dessen Nähe zu seiner bemerkenswerten Erektion galt.

„Ich muss ihn so bald wie möglich finden.“ Sie bog ihren Rücken durch, als nun Dex ein Muster auf ihre nackte Haut zeichnete. „Er ist der Grund, warum ich hier bin.“

Dex versuchte, ihren Worten zu folgen. „Klingt interessant“, sagte er. Dann konnte er der Verlockung, sie zu foppen, nicht widerstehen. „Offenbar hast du eine Schwäche für mysteriöse Männer.“

Sie betrachtete ihn amüsiert und verschränkte ihre Finger hinter seinem Nacken. „Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass ich weiß, wer du bist.“

„Und du fühlst dich gut damit?“ Dex konnte sein Glück kaum fassen. Alle Strapazen der jahrelangen Sehnsucht und Hoffnung fielen von ihm ab. Zoe war hier, in seinen Armen. Und sie wollte ihn ebenso sehr, wie er sie wollte.

„Ich wünschte, wir hätten dies damals getan, als wir die Gelegenheit hatten“, sagte sie weich.

„Ich auch“, flüsterte er und drückte einen zarten Kuss auf ihre Wange. „Ich kann nicht glauben, dass wir so herrliche Dinge wie diese hier nicht immer und immer wieder getan haben.“

„Na ja, wir haben’s versucht.“

Wie bitte? Dex versuchte, ihre Worte zu entschlüsseln.

„Ich meine, das im Autokino war eine Katastrophe, aber wir hätten später noch mal einen Versuch machen sollen.“

Dex erstarrte. Autokino?

Langsam schaltete sein Gehirn in den Denk-Modus, und eine heilige Wut stieg in ihm hoch. Er ließ Zoes Hüften los.

Sicher, er trug eine Maske. Aber er war noch immer Dex, der Mann, der Zoes Intelligenz bewundert hatte. Der Bursche, der ihren beißenden Humor schätzte. Der Zoe immer unbeschreiblich sexy gefunden hatte, auch schon damals, als sie schwarze Overalls und Kampfstiefel trug.

Er hatte gehofft, dass sie ihn erkennen würde. Oder dass sie etwas mehr Mühe in die Ergründung seiner Identität investieren würde. Aber nein. Ein Kuss, und sie stürzte sich auf die schwachköpfigste Schlussfolgerung, die möglich war.

Zoe hielt ihn für diesen Mistkerl Brad Young.

4. KAPITEL

Inmitten von Tischen mit plaudernden, lachenden Klassenkameraden saß Zoe am nächsten Morgen an einem Tisch allein im Hotelrestaurant. Sie bemerkte die Blicke und das Gekicher. Offenkundig war ihr Kostüm ein echter Knaller gewesen, aber keiner kam zu ihr herüber und sprach mit ihr.

Egal. Ehemalige Mitschüler bedeuteten nichts. Was Zoe wirklich beschäftigte, war das, was letzten Abend passiert war. Von einem Moment zum nächsten war der heiße Flirt mit ihrem maskierten Mysterium vorbei gewesen. Eine flaue Entschuldigung, ein Kuss auf die Wange, und hui, hatte er sich sein Cape umgelegt und war im Dunkel der Nacht davongeflogen.

Falls Zoe noch Zweifel gehabt hatte, dass sie sich mit Brad geküsst hatte, waren sie nach diesem Coup beseitigt. Zehn Jahre waren verstrichen, und der Bursche tat noch immer dasselbe. Küsste und türmte. Blieb die Frage, ob er das mit allen Frauen machte oder nur mit ihr, der freakigen Außenseiterin.

Zoe schob ihre Pfannkuchen beiseite und trank einen Schluck von ihrem Tee. Das Gebräu war kalt geworden, und sie schob es ebenfalls fort. Alles an diesem Klassentreffen war grässlich. Zoe seufzte frustriert.

Gandalf hatte sie natürlich auch nicht aufgespürt. Als sie nach dem Abzug des maskierten Supermanns schließlich in den Ballsaal zurückgegangen war, war die Festgesellschaft in eine andere örtliche Bar umgezogen. Zoe hatte die wenigen übrig gebliebenen Leute ausgefragt und lediglich erfahren, dass Brad in seinem Zaubererkostüm früh gegangen war.

Es war zum Heulen. Womit zum Teufel hatte sie solch eine Misere verdient?

Herrje, sie machte sich mit diesem Selbstmitleid verrückt. Vierundzwanzig Stunden in Bradford, und ihr Selbstvertrauen war auf dem Pegel von Toilettenwasser. So wie in ihren gloriosen Teenagerjahren.

„Entschuldigen Sie bitte, Mr. Drake.“

Zoe fuhr mit dem Kopf herum und hielt nach Dex’ Vater Ausschau, um wenigstens ein freundliches Gesicht zu sehen. Sie vermutete zumindest, dass mit Mr. Drake Dex’ Vater gemeint war.

Ihre Augen weiteten sich allerdings, als sie den heißen Typen erblickte, der tags zuvor in der Lobby das Gepäck aufgehoben hatte. Er war gerade dabei, etwas für den Restaurantmanager zu unterschreiben. Sein gewelltes kaffeebraunes Haar war genauso ungezähmt wie gestern. Und seine Schultern! Zoe hätte zu gern die Breite dieser Schultern mit den Fingern erkundet.

Moment mal. Hatte der Manager zu ihm „Mr. Drake“ gesagt? Zu Hottie mit dem knackigen Hinterteil? War dieser sexy Kerl etwa Dex? Nein. Ausgeschlossen.

„Dex?“

Bei Zoes Ruf drehte das Prachtexemplar sich zu ihr um. Heiliger Strohsack. Dieser hochgewachsene, durchtrainierte und überaus attraktive Mann konnte doch nicht ihr alter Freund sein. Er hatte keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem kauzigen Kumpel von damals. Oder doch? Ja, die Augen, die Zoe jetzt zum ersten Mal sah, waren dieselben. Ein tiefes, intensives Aquamarin.

„Dex“, wiederholte sie leise, vor Bewunderung nahezu geschockt. Vor ihr stand eindeutig Dexter Drake, aber liebe Güte, wie schön er geworden war.

Er schenkte Zoe ein steifes Lächeln. Dann sagte er etwas zu dem Manager, bevor er auf sie zukam.

Zoe zauderte. Was war denn das? Hatte ihr alter Freund genauso wenig Interesse daran, sie wiederzusehen, wie ihre Klassenkameraden? Nein. Unmöglich. Dies war Dex. Sie hatten immer zusammengesteckt. Außerdem hatte er ihr gemailt, dass er sich mit ihr treffen wollte.

Pass bloß auf, du leidest ja schon an Verfolgungswahn.

Zoe schob ihren Stuhl zurück, glättete ihren schwarzen Lederrock und stand auf, um Dex zu begrüßen.

Dann betrachtete sie seinen Körper. Sie registrierte den perfekten Sitz seiner Jeans über den schmalen Hüften. Sein marineblauer Pullover saß lose und verbarg seine Brust, nicht aber seine breiten Schultern. Zoes Herz klopfte schneller, und sie ermahnte sich, eine aufrechte Haltung einzunehmen und dankbar für die Erfindung von Push-up-BHs zu sein.

Ja, sie war definitiv aufgeregt.

„Hey“, sagte sie, als Dex vor ihr stand. „Ich hab mich riesig gefreut, als ich deine E-Mail bekam. Es ist so schön, dass du hier bist.“

Die letzten Worte murmelte sie an seiner Schulter, denn sie musste Dex ganz einfach umarmen.

Und was machte Dex? Nichts. Er tätschelte nicht einmal ihren Rücken. Schnell ließ Zoe ihre Arme sinken und trat einen Schritt zurück.

Von den Tischen erschollen anfeuernde Rufe und Spötteleien, die Zoe jedoch ignorierte. Dex dagegen blickte um sich, als jemand vorschlug, dass sie ihre Reitgerte holen sollte. Aber sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.

„Hey, Zoe“, sagte er freundlich.

„Es ist so gut, dich wiederzusehen“, antwortete sie, ihr Lächeln noch immer hoffnungsvoll. Sie betrachtete das Gesicht, von dem sie gedacht hatte, dass sie es so gut kannte wie ihres. Es war verblüffend, wie es sich verändert hatte. Sicher, der alte Dex war da. Diese schönen blauen Augen mit den beneidenswert dichten Wimpern. Die markanten Linien seines Gesichts, genau wie bei seinem Vater. Die vollen Lippen, weswegen sie ihn immer gehänselt hatte. Damals hatte sie ihm ihren schwarzen Lippenstift angeboten, und jetzt fragte sie sich, wie diese Lippen sich wohl auf ihren anfühlen würden.

„Ich kann nicht fassen, wie sehr du dich verändert hast“, platzte sie heraus, um ihre lüsternen Gedanken zu kaschieren. „Ich meine … wie viele Zentimeter bist du gewachsen?“

Dex’ Mund zuckte, seine eben noch verschlossene Miene erhellte sich. „Vielleicht sollten wir erstmal das Begrüßungsritual beenden, bevor wir das diskutieren“, sagte er mit einem Grinsen, bei dem Zoe eine erregende Gänsehaut auf ihrem Rücken verspürte.

„Unbedingt“, erwiderte sie lächelnd und beugte sich zu ihm, als könnte seine Körperwärme die sexuelle Spannung, die durch ihren Körper sirrte, ein wenig mildern. Sie nahm einen Hauch seines Aftershave wahr, das sie an irgendetwas erinnerte. Bevor sie es lokalisieren konnte, trat Dex einen Schritt zurück. Es irritierte Zoe, dass er auf Abstand ging. Als hätte sie einen Ausschlag.

„Du siehst toll aus“, sagte er überraschend warm. Der Blick, mit dem er sie von oben bis unten musterte, war noch wärmer. Hatte sie sich seine Distanziertheit vielleicht nur eingebildet?

„Danke“, sagte sie. Sein Blick machte ihr bewusst, wie tief ihr roter Pulli ausgeschnitten war und was für eine interessante Ansicht Dex aus seiner Höhe haben musste. Sie wusste nicht, ob sie nun verführerisch lächeln oder ihren Ausschnitt mit den Händen bedecken sollte. Schließlich waren Dex und sie früher zusammen auf Bäume geklettert und hatten geplant, die Welt zu verbessern.

Die freche Stimme in ihrem Hinterkopf schlug ihr vor, beides zu kombinieren – verführerisch lächeln und Dex auffordern, wieder mal zu klettern.

„Leiste mir bitte Gesellschaft. Trink eine Tasse Kaffee und erzähl mir, was es in deinem Leben Neues gibt“, bat Zoe. Sie konnte ihren Blick nicht von ihm losreißen, als er einen Stuhl hervorzog und sich ihr gegenüber hinsetzte. Wow. Wer hätte gedacht, dass solch ein sexy Glanzstück einst in einem skurrilen Mops gelauert hatte?

„Was machst du denn so?“, fragte er, sobald er saß. Mit einer Geste bedeutete er dem vorbeigehenden Kellner, dass er Kaffee wollte. Zoe bemerkte seine absolute Selbstsicherheit. Sein souveränes Gebaren sagte, dass er genau wusste, wer hier das Sagen hatte.

Bevor Zoe antworten konnte, blieben zwei Burschen aus ihrer Klasse am Tisch stehen. Sie begrüßten Dex wie einen guten Freund, luden ihn zu einer Party ein, erwähnten die Runde Golf am nächsten Tag. Zoe ignorierten sie.

Es war ihr gleichgültig. Sie war zu sehr mit der Frage beschäftigt, wie Dex sich in solch einen umwerfenden Mann verwandelt hatte.

„Sorry“, murmelte er, als die beiden gegangen waren. „So, du wolltest mir erzählen, was du machst.“

Sie riss ihren Blick von seinen großen, schönen Händen los und brach ihre Überlegung, wie sie sich wohl auf ihrem Körper anfühlen würden, widerstrebend ab.

„Was ich mache? Nicht viel. Ich bin Unternehmensberaterin und beschäftige mich hauptsächlich mit Troubleshooting. Ich untersuche die Probleme der jeweiligen Firma, biete einen Haufen Vorschläge an und düse ab.“

„Aha. Und wie lässt sich das in Leder und Peitschen übersetzen?“, fragte Dex grinsend, während er dem Kellner, der seinen Kaffee brachte, dankend zunickte.

„Leder und …“ Oh, Mann. Er hatte sie gesehen? Es hatte Zoe nichts ausgemacht, in ihrem ledernen Bikini zwischen ihren früheren Klassenkameraden herumzustolzieren. Schließlich war es ihr schnurz, was die von ihr dachten. Aber Dex?

Es machte sie nervös, dass er sie in solch einem provokanten Outfit gesehen hatte. Dachte er, dass sie sexuell aggressiv war? Mochte er das? Törnte die Reitgerte ihn an? Sie wusste nicht, ob sie erregt oder entsetzt sein würde, wenn das seine Reaktion wäre.

„Ich wusste nicht, dass du auf der Party warst“, murmelte sie, während sie zusah, wie er den Deckel von dem Sahnetöpfchen zog.

Sein Blick flog zu ihr, und der Sahnebehälter in seiner Hand geriet in Schieflage, sodass die Hälfte des Inhalts auf den Tisch kleckerte. „Ich war nicht auf der Party.“

„Nein?“

„Ich hab von dem Kostüm gehört. Von einigen der Jungs.“

Die Jungs. Zoe sah zu den beiden Männern hinüber, die jetzt mit zwei anderen an einem Tisch saßen und bei Zoes Blick zu reden aufhörten. Sie zog ein Gesicht. „Ich möchte wissen, wer die größeren Klatschmäuler sind, die Jungs oder die Mädels.“

Dex lächelte nur vage. Er war im Gegensatz zu Zoe nicht aus den erlauchten Kreisen ausgeschlossen gewesen und hatte gewusst, was über sie geredet wurde. Das wusste er auch jetzt, aber er behielt es tunlichst für sich – so wie früher.

Trotz ihrer Gekränktheit brachte das Thema Klatsch sie auf eine Idee. Jeder sprach mit Dex. Was bedeutete, dass er möglicherweise etwas über Gandalf wusste. Oder zumindest darüber, was diese „Jungs“ beruflich machten.

„Also …“, begann sie langsam und lehnte sich zurück. Dex’ Blick glitt über ihre Brust, und sie war froh, dass ihr Pulli nicht aus einem dünnen Material war. Sie schluckte schwer und zwang sich, normal zu sprechen. „Ich bin überrascht, dass du noch in Bradford bist. Ich dachte immer, du wolltest noch mehr als ich aus diesem öden Nest verschwinden.“

„Ich wohne nicht hier.“ Dex warf ihr einen gekränkten Blick zu, als hätte sie ihn gerade beschuldigt, ein Duckmäuser zu sein. Was sie wohl auch getan hatte.„Ich bin hergekommen, um während des Urlaubs meiner Eltern im Hotel zu helfen.“

„Ach so. Schön, dass sie auf dich zählen können. Wo lebst du denn?“

„Ich bin …“ Sein Zögern verwirrte Zoe.

„Das ist doch keine allzu komplizierte Frage“, sagte sie trocken. „Ich hab dich ja nicht nach pikanten Einzelheiten deines Liebeslebens gefragt.“

Obwohl sie das gern getan hätte.

Dex sah sie mit einem seltsamen Ausdruck an. War er sauer, weil sie ihn gehänselt hatte?

„Ich bewege mich momentan zwischen zwei Plätzen“, sagte er kurz angebunden.

„Ziehst du in eine neue Wohnung?“

„Ich versuche herauszufinden, in welchem Staat ich leben möchte. Hab eine Weile in Boston gewohnt, wo ich ein bisschen IT-Arbeit gemacht habe. Jetzt will ich woanders hin.“

Sie nickte. Viel freie Zeit. Hüpfte von Staat zu Staat. Kein Wunder, dass ihre kecke Bemerkung ihn verärgert hatte. War Dex arbeitslos?

Plötzlich spürte Zoe jede einzelne Stunde der vergangenen zehn Jahre. Dex und sie hatten sich früher so nahegestanden, und jetzt hatte sie das Gefühl, mit ein paar schlichten Fragen in fremdes Terrain einzudringen. Deshalb wechselte sie das Thema.

„Ich habe wirklich Glück, dass du in der Woche, die ich in Bradford bin, zufällig auch hier bist.“ Sie wollte über den Tisch langen und ihre Hand über seine legen. Vor zehn Jahren hätte sie das ohne zu zögern getan. So wie sie Dex nach Details ausgequetscht hätte. Aber jetzt war sie befangen.

Zum ersten Mal bedauerte Zoe ihr Unvermögen, sich für etwas zu engagieren – selbst für etwas so Leichtes, wie mit einem Freund in Kontakt zu bleiben. Sie hätte Dex’ Werdegang verfolgen müssen. Gelegentliche E-Mails hätten diese Lücke bestimmt überbrückt.

Zoe hatte den Kontakt jedoch nicht gehalten. Sehr dumm.

„Es ist ein Glücksfall für uns beide“, sagte Dex mit einem schiefen Grinsen. Dieses Lächeln hatte er schon als Junge gehabt. Damals war es niedlich gewesen, jetzt aber erzeugte es ein Kribbeln in Zoes Bauch.

Zoe riss sich zusammen. Sie musste sich auf das konzentrieren, weshalb sie hier war, und aufhören, von heißen Nächten mit ihrem Jugendfreund zu fantasieren.

„Hey, Dex“, rief ein Typ, der auf dem Weg zur Tür war. „Nimm dich vor ihrer Reitgerte in Acht.“

Zoe blickte ihm ärgerlich nach. Glücklicherweise ignorierte Dex den Burschen.

„Du hast dich wohl mit allen ausgetauscht, hm?“, fragte sie und schniefte.

„Nicht so sehr. Ich hab nur mit einigen Jungs gesprochen.“

„Aber du hast doch sicher gehört, was sie alle beruflich machen, nicht?“

„Warum interessiert dich das? Willst du eine bestimmte Mann-Job-Kombination einkaufen?“

„Das könnte man sagen“, antwortete sie. „Allerdings nicht für mich. Ich habe gehört, dass einer aus der Klasse eine Berühmtheit ist, und ich möchte mit ihm sprechen.“

Dex runzelte die Stirn. „Warum suchst du ihn dann nicht und redest mit ihm?“

„Ich weiß nicht, wer er ist. Er benutzt ein Pseudonym.“

Es war, als ob Dex zu Eis erstarrte. Zoe musterte ihn verblüfft. Allmählich entspannten sich seine Gesichtszüge.

„Und was macht er? Ist er Schriftsteller?“

„In gewisser Weise, ja.“ Zoe beugte sich zu Dex vor und flüsterte: „Er erfindet Videospiele.“

Dex’ Gedanken rasten. Wie zum Teufel hatte Zoe erfahren, dass Gandalf hier war?

Ganz davon abgesehen, dass er sich gegenüber Leeton für drei Jahre zu absolutem Stillschweigen verpflichtet hatte, würde er Zoe nie und nimmer sagen, dass er hinter dem Pseudonym steckte. Gestern Abend hatte sie ihn für Brad gehalten, und jetzt wollte sie sein zweites Ich? Was sollte das? Vielleicht war er ein Egoist, aber er wollte, dass Zoe ihn, Dexter Drake, wollte.

Während einem Großteil der Highschoolzeit war er eifersüchtig auf ihre Verliebtheit in Brad Young gewesen. Und endlich küsste er sie das erste Mal – das heißeste, aufregendste Zungenspiel, das er je erlebt hatte – da dachte sie, dass sie diesen Mistkerl küsste. Ja, Dex war eifersüchtig. Er wollte, dass Zoe ihn als Mannsbild wahrnahm. Er würde ihr jetzt einfach sagen, dass er der Maskierte gewesen war, und sie könnten dort fortfahren, wo sie aufgehört hatten.

Aber erst musste er wissen, warum sie sich für Gandalf interessierte.

„Keine Ahnung, wer das sein könnte“, sagte er. „Ich dachte, du bist Unternehmensberaterin und keine Headhunterin. Warum suchst du ihn?“

Er sah die Enttäuschung in ihren Augen. „Es hat nichts mit meinem Job zu tun. Es ist persönlich.“

Persönlich? Als Dex sie fragen wollte, wie persönlich, blieb einer ihrer früheren Klassenkameraden an ihrem Tisch stehen.

„Das könnte dich interessieren, Dex. In der Lobby geht etwas Verrücktes vor“, meldete der Bursche, an dessen Namen Dex sich nicht erinnerte. Er schloss aus dem lüsternen Ausdruck des Kerls, dass er gekommen war, um mit Zoe zu flirten.

„Etwas Verrücktes?“

„Ein Haufen Ehemaliger trägt sich für den Limbo-Wettbewerb ein. Irgendjemand hatte die Idee, das Ganze zu würzen. Jetzt wird es als Nacktlimbo angekündigt.“ Der Blödmann, zehn Kilo Übergewicht und Halbglatze, grinste Zoe an. „Wenn du mitmachst, mache ich natürlich auch mit.“

Dex schnaubte, sowohl wegen des anzüglichen Typen als auch wegen des Tanz-Wettbewerbs. Nacktlimbo? Wer hatte sich denn diesen Blödsinn ausgedacht?

Dex versprach, die Sache zu checken, und wurde den Mann endlich los.

„Was ist?“, fragte er, als er Zoes ärgerliche Miene sah.

„Er war einer der Männer, die gestern Abend nur Mist geredet haben. Ich hasse Spielchen und Lügen. Diese Typen lästern hinter meinem Rücken, und dann flirten sie mir ins Gesicht. Sie haben sich seit der Schulzeit nicht verändert.“

Dex sah die Verletztheit in ihren Augen. Verdammt, er hatte es immer gehasst, Zoe aufgebracht zu sehen. Vielleicht war dies nicht der geeignete Zeitpunkt, ihr seine List zu beichten. Aber er musste ihr die Wahrheit sagen.

„Das ist eines der Dinge, die ich am liebsten an dir mag“, fuhr sie fort, wobei sie sich vorbeugte, sodass der Ausschnitt ihres Pullis ihm erfreulich nahe kam. „Du warst immer ehrlich zu mir, Dexter. Du spielst keine Spielchen.“

Dex genoss den verführerischen Anblick und die Art, wie Zoe seinen Namen sagte. Es klang wundervoll. Seit dem vergangenen Abend hatte er ein starkes Bedürfnis danach, sie seinen Namen sagen zu hören. In Gesprächen. Beim Essen. Im Bett.

Besonders im Bett.

Sein Ego, das noch immer darunter litt, dass sie ihn gestern nicht erkannt hatte, verlangte das.

Autor

Tawny Weber

Schon immer liebte Tawny Weber Liebesromane, vor allem seit sie auf ein paar Geschichten in ihrer Grundschulbibliothek stieß, die sie sofort fesselten. Was gibt es Besseres als Romane mit spannenden Wendungen und einem Happy End – oder noch besser – mit erotischen Liebeszenen zu lesen? Nichts, denn das sind...

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Samantha Hunter
Bevor Samantha Hunter sich voll und ganz dem Schreiben widmete, arbeitete sie zehn Jahre als Lehrerin für kreatives Schreiben an der Universität. Ihr erster Liebesroman, Virtually Perfect, den sie 2004 fertigstellte, wurde direkt veröffentlicht. Sieben weitere Liebesromane folgten bis heute. Samantha Hunter ist mit Leib und Seele Autorin. Und wenn...
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Karen Foley
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Lisa Renee Jones

Da sie ihren Traum ein Autor zu werden realisieren wollte, gründete Lisa Renee Jones eine Personalagentur, die über 16 Millionen im Jahr umsetzte. Sie wurde als Autorin berühmt, da sie viele Artikel im anerkannten Entrepeneur Magazin veröffentlichte. 2003 verkaufte sie ihr Unternehmen, um sich in Vollzeit dem Schreiben widmen zu...

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