Dschungel der Gefühle

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Bei einem Ausflug in den Dschungel entkommt Lucy nur knapp dem Angriff eines Jaguars. In den Armen ihres Retters fleht sie insgeheim, dass Joaquin die Lüge in ihren Augen nicht lesen kann - sondern nur das heiße Verlangen, das sein begehrlicher Blick weckt …


  • Erscheinungstag 17.01.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755171
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich kann mich doch nicht für dich ausgeben“, sagte Lucy ungläubig.

„Warum denn nicht?“, fragte Cindy leicht gereizt. „Guatemala liegt am anderen Ende der Welt, und Fidelio Paez kennt mich nicht persönlich. Er weiß noch nicht einmal, dass ich eine Schwester habe, schon gar nicht eine Zwillingsschwester.“

„Aber weshalb kannst du ihm nicht schreiben, du könntest ihn momentan nicht besuchen?“ Lucy fühlte sich unbehaglich. Sie verstand nicht, warum ihre Schwester um eine simple Einladung so viel Aufhebens machte.

„Ich wünschte, es wäre so einfach.“

„Du willst in einem Monat heiraten“, erinnerte Lucy sie sanft. „Das ist doch eine gute Erklärung.“

„Ach, du verstehst das alles nicht. Fidelio hat mir nicht selbst geschrieben, sondern sein Nachbar hat sich eingemischt. Er heißt Del Castillo. Er verlangt, dass ich komme und eine Zeit lang dort bleibe …“

„Was geht ihn das denn an?“

Cindy blickte sie gequält an. „Er glaubt, als Fidelios Schwiegertochter und einzige lebende Verwandte sei ich es dem alten Mann schuldig.“

„Aber warum?“ Unter anderen Umständen hätte Lucy Verständnis für eine solche Bitte gehabt, doch da Cindy nur sehr kurz verheiratet gewesen war und es schon fünf Jahre her war, machte das alles keinen Sinn.

Während ihres Aufenthalts in Los Angeles hatte Cindy eine romantische Affäre mit dem Sohn eines reichen Ranchers aus Guatemala gehabt und ihn geheiratet. Doch wenige Tage nach der Hochzeit war Mario Paez völlig überraschend an einem Herzinfarkt gestorben. Damals waren weite Teile Guatemalas nach heftigen Regenfällen überschwemmt. Das ganze Kommunikationsnetz war zusammengebrochen, und Cindy war es nicht gelungen, Marios Vater rechtzeitig vor der Beerdigung zu informieren. Deshalb hatte sie ohne den älteren Mann stattgefunden, und Cindy war unmittelbar danach nach London zurückgeflogen.

„Du hast nie erwähnt, dass du noch mit Marios Vater Kontakt hast.“ In Lucys veilchenblauen Augen leuchtete es anerkennend auf.

Cindy errötete. „Ich dachte, es sei das Mindeste, was ich tun könnte, und da Fidelio krank ist …“

„Er ist krank?“, unterbrach Lucy sie bestürzt. „Ist es etwas Ernstes?“

„Ja. Einem Sterbenden kann ich doch nicht mitteilen, ich könne ihn nicht besuchen, weil ich wieder heiraten will.“

Das wäre wirklich eine gefühllose Reaktion, stimmte Lucy ihrer Schwester insgeheim zu.

„Sein Nachbar hat mir sogar das Flugticket geschickt. Aber selbst wenn ich nicht vorhätte, Roger zu heiraten, würde ich nicht hinfliegen“, gestand Cindy ein. „Ich kann kranke Menschen nicht ertragen. Das weißt du doch.“

Lucy senkte den Kopf und unterdrückte ein Seufzen. Leider hatte ihre Zwillingsschwester recht. Als ihre Mutter krank geworden war, hatte Cindy sich nicht an der Pflege beteiligt. Andererseits hatte sie finanziell geholfen und damit ein großes Problem gelöst. Lucy hatte ihren Job aufgeben müssen und ihre Mutter monatelang betreut. Und Cindy hatte für die beiden ein kleines Apartment in der Nähe des Krankenhauses gekauft, wo ihre Mutter regelmäßig ambulant behandelt worden war. Jetzt sollte die Wohnung wieder verkauft werden.

„Du würdest gut mit Fidelio zurechtkommen“, versuchte Cindy ihre Schwester zu überzeugen. „Mit Mom bist du doch auch so liebevoll umgegangen.“

„Es wäre nicht richtig, Fidelio Paez so zu täuschen, finde ich“, wandte Lucy ein. „Am besten besprichst du es mal mit Roger …“

„Roger? Das ist ganz unmöglich!“ Cindy durchquerte den Raum und packte ihre Schwester an den Händen. „Wenn Roger wüsste, wie viel ich Fidelio verdanke, würde er wahrscheinlich vorschlagen, die Hochzeit abzusagen, damit ich zu dem alten Mann fliegen könnte. Und das wäre für mich unerträglich.“

Lucy sah ihre Schwester irritiert an. „Was verdankst du ihm denn?“

„Na ja, über die Jahre hinweg … hat er mir viel Geld geschickt“, gab Cindy unbehaglich zu.

„Warum hat Marios Vater das getan?“ Lucy zog die Augenbrauen zusammen. Soweit sie wusste, hatte Cindy selbst genug verdient und sich alles erlauben können.

„Es gibt keinen Grund, warum er es nicht hätte tun sollen“, entgegnete Cindy beinah aggressiv. „Er ist sehr reich, und er hat sonst keine Verwandten.“ Sie atmete tief ein. „Obwohl Fidelio mich oft eingeladen hat, habe ich ihn nie besucht. Und als er vor zwei Jahren hierher kommen wollte, habe ich eine Ausrede erfunden.“

Lucy war schockiert. „Du liebe Zeit, warum das denn?“

Cindy verzog das Gesicht und zuckte die Schultern. „Ich bin nicht so lieb und nett wie du, Lucy“, antwortete sie leise und wischte sich ärgerlich die Tränen weg, die ihr plötzlich über die Wangen liefen. „Es hätte mir keinen Spaß gemacht, mich irgendwo auf einer einsamen Ranch mit einem alten Mann zu unterhalten. Und warum hätte ich mich hier in London mit ihm belasten sollen? Ich hatte mir jedoch ernsthaft vorgenommen, ihn irgendwann einmal zu besuchen. Momentan ist der Zeitpunkt denkbar ungünstig.“

„Ja“, stimmte Lucy zu. Ihr war jetzt klar, warum ihre Schwester so ein schlechtes Gewissen hatte.

„Roger weiß nichts von Fidelio, und er soll auch von dem Geld nichts erfahren. Es würde ihm sicher nicht gefallen, dass ich immer nur genommen und nie etwas gegeben habe.“ Cindy biss sich auf die Lippe, und in ihren Augen schimmerten schon wieder Tränen. „Roger weiß längst nicht alles über meine Vergangenheit, Lucy. Ich habe ganz neu angefangen, als ich mich letztes Jahr bei dir und Mom wieder gemeldet habe. Seitdem habe ich auch von Fidelio nichts mehr bekommen …“

„Es ist doch okay“, sagte Lucy sanft.

„Okay ist es erst, wenn du an meiner Stelle nach Guatemala fliegst. Ich weiß, ich erwarte viel von dir“, fuhr Cindy angespannt fort. „Ich brauche jedoch deine Hilfe, Lucy. Und wenn du mir diesen einen Gefallen tust, werde ich für immer deine beste Freundin sein, das schwöre ich.“ Sie umarmte ihre Schwester überschwänglich.

„Cindy, ich …“, begann Lucy bewegt, denn normalerweise zeigte Cindy keine Gefühle.

Die Zwillinge waren mit sieben Jahren nach der Scheidung der Eltern getrennt worden und hatten sich fünfzehn Jahre nicht gesehen. Erst vor kurzem hatte Lucy Gelegenheit gehabt, ihre Schwester besser kennen zu lernen. Die Annäherung war nicht leicht gewesen war. Lucy war ein sehr offener Mensch, während Cindy ziemlich verschlossen war, und ihre Lebensweisen und Interessen waren so unterschiedlich, dass es schwierig gewesen war, nach all den Jahren eine gemeinsame Basis zu finden.

Doch jetzt hatte Cindy sich Lucy endlich anvertraut und bat sie um Hilfe. Dass ihre überaus glamouröse und erfolgreiche Schwester sie brauchte, überraschte Lucy. Es machte sie aber auch stolz. Als die ruhigere und weniger selbstständige der Zwillingsschwestern war Lucy verzweifelt gewesen, als die lebhafte und dominante Cindy aus ihrem Leben verschwunden war. Jetzt rief Cindys Bitte um Hilfe tiefes Mitgefühl in ihr wach. Lucy verdrängte die durchaus berechtigten Zweifel und Bedenken und entschloss sich, ihrer Schwester die Bitte zu erfüllen.

Erleichtert über Lucys Zusage, betrachtete Cindy sie aufmerksam. Für eineiige Zwillinge waren sie sehr verschieden. Lucy benutzte kein Make-up und band das lange und gelockte aschblonde Haar im Nacken zusammen. Sie trug einen knöchellangen Rock und eine sportliche Bluse, dazu sportliche Schuhe mit flachen Absätzen.

„Letztes Jahr habe ich Fidelio ein Foto von mir geschickt, deshalb müssen wir dich so verändern, dass die Sache glaubhaft wird“, erklärte Cindy.

Lucy stand da und fühlte sich wie betäubt. Plötzlich fragte sie sich, wie sie sich damit hatte einverstanden erklären können, sich für ihre Schwester auszugeben. Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals so gut auszusehen wie Cindy, die wie ein Model wirkte und ihre perfekte Figur gern betonte. Das heller gefärbte und geglättete Haar fiel ihr weit über den Rücken. Alles an Cindy war perfekt, wie Lucy sich eingestand.

Vor der schäbigen Kneipe, die nicht viel mehr als eine Bretterbude mit einem Blechdach war, band ein runzeliger kleiner Mann in einem Poncho sein Pferd an einen Pfahl und ging hinein. Er gesellte sich zu den kräftigen Cowboys, die an der Bar standen, und innerhalb weniger Sekunden starrte er Lucy genauso an wie alle anderen. In dem zerknitterten pinkfarbenen Designerkostüm und den hochhackigen Schuhen bot sie in diesem abgelegenen Vorposten in dem guatemaltekischen Petén einen seltenen Anblick.

Es war unerträglich heiß und feucht. Lucy presste das zusammengeknüllte Papiertaschentuch an die feuchte Stirn und betrachtete schweigend und gequält den altersschwachen Tisch. Cindy hatte darauf bestanden, dass sie sich elegant kleidete, um den alten Mann zu beeindrucken. Doch das Outfit war viel zu unbequem und zu auffallend, und Lucy fühlte sich darin nicht wohl. Außerdem taten ihr die Füße in den schrecklichen Schuhen weh, die ihr wie Folterinstrumente vorkamen.

Am Tag zuvor war sie in Guatemala City angekommen und nach Flores weitergeflogen, wo sie in einem kleinen Hotel übernachtet hatte. Sie hatte damit gerechnet, dort abgeholt zu werden. Doch sie hatte die Nachricht vorgefunden, man würde sie an der Straßenkreuzung von San Angelita erwarten. Nachdem das uralte und klapprige Taxi den Highway verlassen hatte, war die Landschaft immer eintöniger geworden, und die Straße war schon bald nichts anderes als ein schmutziger, ausgefahrener und staubiger Pfad gewesen. Nach einer unglaublich langen Fahrt war sie schließlich in diesem Ort, der nur aus einer kleinen Gruppe baufälliger und beinah gänzlich verlassener Gebäude bestand, angekommen. Lucy war erschöpft und sehnte sich nach einem Bad. Und sie bekam immer größere Zweifel.

Wenn Fidelio nun merkte, dass sie nicht Cindy war? Was würde geschehen, wenn sie sich durch irgendetwas verriet und der ganze Schwindel aufflog? Für einen kranken alten Mann wäre sicher jede Aufregung schädlich. Aber welche Alternative hätte es gegeben? überlegte Lucy unglücklich. Cindy war nicht bereit gewesen zu kommen, und der Gedanke, Fidelio Paez würde ganz allein und ohne Verwandte sterben, hatte tiefes Mitgefühl in Lucy geweckt.

Plötzlich fiel ihr auf, dass die Männer an der Bar verstummt waren. Sie blickte auf. Ein großer, muskulöser Mann, der aussah wie ein kaltblütiger Mörder in einem Western, stand auf der Türschwelle. Er trug Stiefel mit Sporen und hatte die Beine leicht gespreizt. Unter der staubigen Krempe des schwarzen Hutes waren seine Augen zu erkennen, in denen es aufblitzte, als er Lucy ansah. Sie schluckte und versuchte hastig, sich noch kleiner zu machen, als sie mit ihren ein Meter fünfzig sowieso schon war.

Der Mann hinter der Bar schenkte dem Neuankömmling sogleich einen Drink ein. Und dann nahmen alle ihre Hüte ab und grüßten den Mann respektvoll. In einem einzigen Zug leerte er das Glas und stellte es auf die Theke, ehe er mit ungemein geschmeidigen Bewegungen und klirrenden Sporen auf Lucy zuging, die in der hintersten Ecke saß.

„Lucinda Paez?“, fragte er und zog die beiden Worte in die Länge.

Sie betrachtete mit großen Augen den Ledergürtel mit den silbernen Beschlägen, den er um die schmalen Hüften trug. Wie er da vor ihr stand und sie überragte, kam er ihr ziemlich bedrohlich vor. Sie schob den Stuhl zurück und stand auf. Doch auch mit den sechs Zentimeter hohen Absätzen war sie immer noch viel kleiner als er und reichte ihm kaum bis an die Schultern. Lucy schätzte ihn auf einen Meter fünfundachtzig. Sie blickte ihn an und fragte: „Wollen Sie mich abholen? Ich habe kein Auto gehört.“

„Das konnten Sie auch nicht, denn ich bin auf meinem Pferd gekommen.“

Sekundenlang war sie verblüfft über sein gutes Englisch. Dann lachte sie unbehaglich auf. Das sollte wohl ein Scherz sein. Er wollte sie und ihr Gepäck bestimmt nicht auf einem Pferd befördern.

„Würden Sie sich bitte ausweisen?“, bat sie ihn wie um Entschuldigung bittend.

„Es tut mir leid, ich habe keinen Ausweis bei mir. Ich bin Joaquin Francisco Del Castillo und nicht daran gewöhnt, dass jemand meine Identität anzweifelt.“

Lucy war irritiert. Der Mann war einfach zu arrogant und selbstsicher. Er hob den Kopf so hoch, als hätte sie ihn beleidigt.

„Und ich, Señor Del Castillo, bin nicht daran gewöhnt, mit fremden Männern zu gehen …“

„Ach ja? Nachdem Sie Mario in einem Nachtclub in Los Angeles kennen gelernt hatten, sind Sie noch in derselben Nacht in seinem Bett gelandet. Das lässt nicht darauf schließen, dass Sie besonders zurückhaltend oder vorsichtig sind“, unterbrach er sie.

Lucy stand wie erstarrt da und blickte auf seine sehr männlich wirkenden, schön geschwungenen Lippen. Dann blinzelte sie schockiert. Sie konnte es nicht fassen, dass er ihr so etwas ins Gesicht sagte.

„Wie können Sie es wagen?“, fragte sie leise. „Das stimmt doch gar nicht!“

„Mario und ich sind zusammen aufgewachsen, Sie brauchen mir deshalb nichts vorzumachen. Er hat mir alles erzählt. Sparen Sie sich das Theater für Fidelio auf. Kommen Sie jetzt mit, oder wollen Sie hier stehen bleiben?“

„Mit Ihnen gehe ich jedenfalls nicht. Man soll jemand anders von der Ranch schicken“, erklärte Lucy mühsam beherrscht und biss die Zähne zusammen.

„Es gibt sonst niemanden, Señora.“ Joaquin Del Castillo drehte sich auf dem Absatz um und ging wieder nach draußen. Mit den breiten Schultern und der aufrechten, entspannten Haltung wirkte er kühl und kontrolliert.

Immer noch schockiert darüber, dass er sie so respektlos behandelte, rührte Lucy sich nicht von der Stelle. Die Männer an der Bar unterhielten sich wieder, und sie warf ihnen einen nachdenklichen Blick zu. Hoffentlich spricht keiner von ihnen so viel Englisch, dass er Joaquin Del Castillos Bemerkung verstanden hat, dachte sie und errötete. Schließlich folgte sie ihm mit ihrem schweren Koffer.

Joaquin Del Castillo stand da und wartete.

„Sie sind der unverschämteste, unhöflichste Mann, dem ich jemals begegnet bin“, fuhr Lucy ihn an und warf ihm einen kurzen Blick zu. „Reden Sie bitte nur noch das Nötigste mit mir.“

„Den Koffer können Sie nicht mitnehmen.“ Ehe sie überhaupt begriff, was er vorhatte, hatte er ihn ihr schon aus der Hand genommen, auf den staubigen Boden gestellt und geöffnet.“

„Was machen Sie da?“ Lucy war empört und vergaß die würdevolle Haltung, die sie aus lauter Verzweiflung eingenommen hatte.

„Es ist ein weiter Weg, und ich kann mich nicht mit so viel Gepäck belasten. Auf der Ranch können Sie mit dem Flitterkram sowieso nichts anfangen“, antwortete Joaquin Del Castillo hart. „Entscheiden Sie sich, was Sie in den nächsten Tagen unbedingt brauchen, und ich verstaue es in den Satteltaschen. Den Koffer können Sie bis zu Ihrer Rückkehr hier lassen.“

„Ein weiter Weg?“, wiederholte Lucy matt. „Erwarten Sie ernsthaft von mir, dass ich ihn auf einem Pferd zurücklege?“

„Fidelio hat seinen Pick-up verkauft.“

„Auf einem Pferd?“, fragte Lucy noch einmal und noch matter.

„In wenigen Stunden wird es dunkel. Ziehen Sie sich irgendwo um. In dem Outfit können Sie nicht reiten.“

Fidelio hat seinen Pick-up verkauft? überlegte sie. Es klang logisch, denn ein sehr kranker, alter Mann konnte wahrscheinlich kaum noch selbst fahren. Aber Fidelio Paez war doch sehr reich, und auf so einer großen Ranch brauchte man ein Fahrzeug. Offenbar war Joaquin Del Castillo auch nicht motorisiert. Vielleicht kam man hier besser auf einem Pferd voran. Sie hatte ja selbst erlebt, wie schlecht die Straßen im Petén waren.

Lucy atmete tief ein. „Ich kann nicht reiten …“

Er zuckte ungeduldig die Schultern. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er ein schwarzes Hemd aus feiner Baumwolle trug. Joaquin Del Castillos Körpersprache ist so ausgeprägt, dass er kaum etwas zu sagen braucht, schoss es ihr durch den Kopf, als er mit der sonnengebräunten Hand den Hut nach hinten schob und Lucy mitleidslos musterte.

Es verschlug ihr beinahe den Atem, wie unglaublich attraktiv der Mann war. Sie betrachtete ihn fasziniert und konnte den Blick nicht abwenden.

Seine klaren grünen Augen, die von dichten schwarzen Wimpern umrahmt wurden, waren in dem kühn und verwegen wirkenden Gesicht, das von der Sonne gebräunt war, so etwas wie eine Überraschung. Auffallend waren auch die hohen Wangenknochen und die irgendwie arrogant wirkende gerade Nase und die schwarzen Augenbrauen. Die ungemein sinnlichen Lippen verliehen seinem Gesicht Lebendigkeit und Lebensfreude. Der Mann war so großartig und fantastisch, dass Lucy völlig überwältigt war.

Ihre Blicke trafen sich, und Lucy erbebte. Sie bekam Herzklopfen. Seine Augen blitzten und funkelten wie Smaragde oder wie grünes Feuer. Nein, das machte genauso wenig Sinn wie alles andere, was Lucy momentan erlebte. Sie verspürte ein Kribbeln im Bauch, atmete tief ein und blinzelte. In dem Augenblick drehte er sich um.

Plötzlich wurde ihr bewusst, wie unmöglich sie sich benahm. Statt sich um ihre Sachen zu kümmern, fixierte sie den Mann so ungeniert wie ein verliebter Teenager. Entsetzt über ihr Verhalten, kniete sie sich neben den Koffer und versuchte, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. „Ich kann nicht reiten“, wiederholte sie leise.

„Die Stute ist sehr friedlich.“ Seine tiefe, angenehme Stimme klang beunruhigend rau.

Während Lucy etwas Passendes unter den exklusiven Outfits, die ihre Schwester ihr geliehen hatte, suchte, zitterten ihr die Hände. Joaquin Del Castillo stand neben ihr und sah ihr zu. Jedes Mal wenn sie auf Dessous stieß, errötete sie vor lauter Ärger und legte sie rasch wieder weg. Der Mann hätte ein Filmstar sein können, doch er hatte überhaupt kein Benehmen. Wenn er in dieser abgelegenen Gegend, umgeben von Gras und Vieh, geboren und aufgewachsen war, konnte man wahrscheinlich nichts anderes von ihm erwarten. Schließlich zog sie eine hellblaue Baumwollhose und ein besticktes Top hervor, die ihr überhaupt nicht gefielen. Doch es waren die einzigen weniger eleganten und weniger unbequemen Kleidungsstücke.

„Ich kann mich nicht in aller Öffentlichkeit umziehen“, erklärte sie.

„Weshalb stellen Sie sich so an? Sie sind doch sonst auch nicht so zimperlich. Knapp zwei Monate nach Marios Tod konnte man Sie in Großaufnahmen und völlig nackt in einem Männermagazin bewundern.“

Lucy schloss entsetzt und gequält die Augen. Sie wusste so wenig über das Leben, das ihre Zwillingsschwester in all den Jahren geführt hatte, in denen sie getrennt gewesen waren. Diesem schrecklichen Mann schien es jedenfalls zu gefallen, sie zu beleidigen. Woher wusste er überhaupt so viel über Cindy? Hatte ihre Schwester Mario wirklich in einem Nachtclub kennen gelernt und schon in der ersten Nacht mit ihm geschlafen? Lucy schämte sich für Cindy. Sie selbst war eher spröde und zurückhaltend. Hatte Cindy etwa als Nacktmodel gearbeitet, ehe sie sich entschlossen hatte, Maskenbildnerin zu werden?

Heutzutage ist es doch beinahe schon normal, sich vor der Kamera auszuziehen, sagte Lucy sich dann. Sogar berühmte Schauspielerinnen taten es und waren stolz auf ihre schönen Körper. Wieso wagte es dieser ungehobelte, hinterwäldlerische Rancher überhaupt, so abfällige Bemerkungen über ihre Zwillingsschwester zu machen?

„Ich habe Sie aufgefordert, nur dann mit mir zu reden, wenn es unbedingt nötig ist“, erinnerte Lucy ihn so kühl und von oben herab, als wäre er ein ungezogenes Kind.

Dann verschwand sie und zog sich hinter dem kleinen Gebäude hastig um. Als sie zurückkam, sah ihr zuvor so kunstvoll frisiertes Haar, das sie weder hatte färben noch glätten lassen, aus wie eine wilde Mähne. Und auf ihrem Nacken, auf der Stirn und zwischen ihren Brüsten hatten sich Schweißperlchen gebildet, wie sie deutlich spürte.

Joaquin Del Castillo unterzog Lucy einer genauen Prüfung. So etwas hatte sie noch nicht erlebt. Cindy hätte es sicher nichts ausgemacht. Sie brauchte die Aufmerksamkeit der Männer und kleidete sich entsprechend auffallend. Die hellblaue Hose war sehr eng und betonte Lucys weibliche Rundungen. Das kurze Top war aus feinem Material und tief ausgeschnitten. Da ihr Selbstbewusstsein nicht so ausgeprägt war wie das ihrer Schwester, irritierten Lucy die unverschämten und abwägenden Blicke dieses Mannes.

Das Schweigen schien sich endlos auszudehnen, und ihre Wangen glühten. Noch nie zuvor war sie sich ihres Körpers so bewusst gewesen. Ihre Brüste fühlten sich seltsam voll und schwer an und hoben und senkten sich mit jedem Atemzug. Und Joaquin Del Castillo musterte sie immer noch.

Plötzlich verschleierte sich sein Blick. Bestürzt wandte Lucy sich ab. Sie war entsetzt über ihre Reaktion. Ihr Herz klopfte viel zu heftig, ihr Atem ging rasch, und sie hatte das Gefühl, sich in einer anderen Wirklichkeit zu befinden.

„Wo ist mein Koffer?“, fragte sie schließlich und betrachtete stirnrunzelnd die Stelle, wo er zuvor gestanden hatte.

Schweigend kam Joaquin auf sie zu und legte ihr einen Poncho aus rauer Wolle um die Schultern. Dann hüllte er sie in mehrere Meter kratzenden Materials ein, das einen seltsamen Geruch verströmte.

„Was soll das?“, rief sie aus.

Unbeeindruckt setzte Joaquin ihr auch noch einen schäbigen Strohhut auf den Kopf. „Sie sollten Respekt vor der Sonne haben, sonst verbrennen Sie sich die Haut. Sie trocknet rasch aus und wird runzelig.“

„Wo ist mein Koffer?“, fragte Lucy noch einmal.

„Ich habe alles wieder eingepackt. Kommen Sie, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.“

„Sie haben in meinen persönlichen Sachen herumgewühlt?“ Lucy war bestürzt darüber, dass ein Mann ihre Slips und BHs angefasst hatte.

„Lassen Sie uns gehen“, forderte er sie ungeduldig auf.

In dem Moment kamen die Cowboys aus der Bar und sahen zu, wie Joaquin Lucy, die immer noch zögerte, zu der braunen Stute führte, die er an einem Zaun angebunden hatte.

„Sie müssen die Zügel halten, den linken Fuß in den Steigbügel setzen und sich dann in den Sattel schwingen“, erklärte er ihr ruhig.

Lucy biss die Zähne zusammen, während sie hinter sich leises Lachen hörte. Schließlich setzte sie den Fuß in den Steigbügel und schwang sich eisern entschlossen hoch. Im selben Augenblick bewegte sich die Stute. Prompt verlor Lucy das Gleichgewicht und fiel hart auf den Boden. Da das Pferd ihr mit den Hufen viel zu nahe kam, rutschte sie hastig weiter weg.

Doch schon schloss sich eine kräftige Hand um ihre, und Lucy wurde so mühelos hochgezogen, als wäre sie federleicht.

„Brauchen Sie Hilfe, Señora?“ Joaquin Del Castillos Stimme klang spöttisch und belustigt.

Sie wurde zornig, was ihr sonst nur sehr selten passierte. Empört entzog sie ihm die Hand. „Wenn das Pferd ruhig stehen geblieben wäre, wäre ich nicht hingefallen!“, fuhr sie ihn ärgerlich an. „Ich schaffe es ohne Ihre Hilfe, und wenn es mich umbringt. Gehen Sie ruhig zu Ihren Freunden, und lachen Sie mit ihnen über mich. Etwas anderes können Sie sowieso nicht.“

Seine Wangen färbten sich dunkler, und er presste die Lippen fest zusammen. „Wie Sie wollen. Aber ich möchte nicht, dass Sie sich verletzen.“

„Machen Sie mir Platz!“, forderte sie ihn gereizt auf und war selbst verblüfft über ihr herrisches Auftreten.

Sie nahm die Zügel wieder in die Hand und war jetzt so in Fahrt, dass sie das Gefühl hatte, sich in die höchsten Höhen schwingen zu können. Wenige Sekunden später saß sie auf dem Pferd. Sie richtete sich auf und versuchte, den rechten Fuß in den Steigbügel zu schieben. Doch Joaquin kam ihr zuvor. Mit seinen schlanken Fingern, die sich herrlich kühl anfühlten, umfasste er ihren Knöchel und half ihr. Obwohl diese Geste sie keineswegs besänftigte, bedankte sie sich höflich, um ihm zu beweisen, dass sie bessere Manieren hatte als er.

„Die Stute wird am Leitzügel geführt. Sie haben nichts zu befürchten“, versicherte er ihr gelassen.

Er hört sich so kalt und unbeteiligt an wie ein Aristokrat, der es nicht nötig hat, andere überhaupt zu beachten, überlegte sie. Doch ihn für einen Aristokraten zu halten, wäre eine Fehleinschätzung. Sie schüttelte den Kopf.

Offenbar war er beleidigt über ihren Zornesausbruch. Aber das störte Lucy nicht. Irgendwie war sie jedoch erschüttert darüber, dass sie sich überhaupt dazu hatte hinreißen lassen, ihn anzuschreien. Das war ihr noch nie passiert. Vielleicht sollte sie stolz auf sich sein, weil sie sich gewehrt hatte.

Plötzlich bewegte sich das Pferd unter ihr. „Joaquin …?“, begann Lucy leise. „Die Stute bleibt nicht stehen.“

„Versteifen Sie sich nicht, sonst wird Chica nervös“, antwortete er seltsam angespannt und senkte den Kopf.

„Wie soll ich denn hier oben nicht nervös sein?“, stieß sie hervor, ehe sie die Worte zurückhalten konnte.

Langsam hob er die Hände und trat einige Schritte zurück. „Ich versichere Ihnen, es wird Ihnen nichts geschehen.“

Schweigend und angespannt beobachtete sie, wie er das, was er den Leitzügel genannt hatte, an dem großen schwarzen Hengst festmachte, der unruhig mit den Hufen ausschlug. Das Tier kam ihr vor wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.

„Hoffentlich können Sie dieses Monster kontrollieren. Wenn es durchgeht …“

„Kein Pferd ist mir jemals davongelaufen, Señora“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Er würde es sowieso nicht zugeben, wenn es wirklich so wäre, überlegte Lucy. Joaquin Del Castillo war sehr stolz und hatte ein hitziges Temperament. Sie spürte, dass er jede Schwäche hasste und verachtete. Und er verachtete sie … oder Cindy. Da sie sich als Cindy ausgab, musste sie seine Verachtung ertragen.

Aber warum verhielt sich Joaquin Del Castillo so feindselig und grob? Immerhin war sie gekommen, um Fidelio zu besuchen, wie er verlangt hatte. Ob er es wusste oder nicht, er konnte froh sein, dass sie nicht Cindy war. Ihre Zwillingsschwester wäre längst wieder am Flughafen, denn sie reagierte immer sehr spontan und hätte niemals auf Luxus und Bequemlichkeit verzichten können. Außerdem war sie daran gewöhnt, von Männern bewundert zu werden, und hätte seine verbalen Attacken und Beleidigungen nicht hingenommen.

Cindys Behauptung, Lucy würde in Guatemala von Anfang an wie eine Prinzessin behandelt, kam ihr wie Ironie vor. Offenbar hatte Cindy aus den Briefen geschlossen, Fidelio Paez sei ein altmodischer Gentleman mit dem Bedürfnis, Frauen zu beschützen. Fidelio gehörte jedoch zu einer anderen Generation als sein Nachbar Joaquin Del Castillo. Dieser Mann war weder höflich noch zuvorkommend. Er schien Cindy für ein Flittchen zu halten. Aber wieso wagte er es, sich über Cindy lustig zu machen? Es ging ihn doch gar nichts an, dass sie schon in der ersten Nacht mit Mario geschlafen hatte, wenn sie es wirklich getan hatte.

„Wie geht es Fidelio?“, fragte Lucy plötzlich.

Joaquin warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ist Ihnen endlich eingefallen, weshalb Sie hier sind?“

Lucy errötete.

„Es geht ihm den Umständen entsprechend gut“, fügte er scharf hinzu, ehe er sich in den Sattel schwang und jede weitere Frage unmöglich machte.

Während die Pferde im Schneckentempo den kleinen, umzäunten Platz verließen, betrachtete Lucy Joaquin Del Castillos Rücken und die breiten Schultern. Sie bemühte sich, sich zu entspannen. Es gelang ihr jedoch nicht, dazu hatte sie viel zu viel Angst hinunterzufallen.

„Reiten Sie langsamer!“, rief sie wenige Minuten später entsetzt aus, als er den Hengst antrieb.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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