Ein Ballkleid für Schwester Liv

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Ein silbernes Kleid, Diamantenschmuck und ein Märchenprinz namens Dr. Stefano Lucarelli: Heute Abend geht Liv mit dem umschwärmten Arzt auf den Weihnachtsball! Doch was geschieht, wenn die Uhr Mitternacht schlagt: Flieht Liv dann ängstlich vor ihren Gefühlen?


  • Erscheinungstag 11.01.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729417
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich werde nie wieder heiraten, niemals. Nicht in einer Million Jahren. Spar dir deine Worte. Das eine Mal hat mir wirklich gereicht.“ Liv schloss die Tür des Medizinschranks und starrte gereizt auf das glitzernde Bündel Lametta, das von außen an der Tür befestigt war. „Und das hier kommt auch weg, Anna.“

„Aber es ist doch bald Weihnachten“, protestierte die Kollegin. „Und du solltest endlich das Desaster mit deiner Ehe vergessen. Jeder kann mal im Leben einen Fehler machen.“

„Ja, aber Jack war mehr als ein Fehler. Er war eine charmante, gut aussehende Katastrophe. Zuerst kam er mir ganz normal vor.“ Liv sah ihre Freundin an und zuckte die Schultern. „Aber das war ein Irrtum. Hinweise, die mich hätten warnen müssen, habe ich ignoriert. Auch das ist ein Grund, warum ich mich mit keinem Mann mehr einlassen will. Offenbar sehe ich nur, was ich gern sehen möchte.“

Anna runzelte die Stirn. „Du gehst zu hart mit dir ins Gericht.“

„Nein, nein, ich hätte es wissen müssen. Ich habe alle Anzeichen missachtet; ich wollte sie einfach ignorieren. Selbst als Jack mich ins Krankenhaus begleitete, als unser Sohn geboren wurde, und er immer wieder ‚Das kann ich nicht ertragen‘ in sich hineingemurmelt hat, dachte ich noch, er meinte den Anblick seiner stöhnenden, geliebten Frau, die in den Wehen lag. Aber in Wirklichkeit konnte er es nicht ertragen, Vater zu werden. Er wollte keine Verantwortung übernehmen. Er wollte auch nicht länger mit mir verheiratet sein.“

Liv ordnete die Medikamente, die sie aus dem Schrank genommen hatte. „Schade, dass ihm das nicht vor meiner Schwangerschaft klar geworden ist. Versteh mich bitte nicht falsch“, fügte sie schnell hinzu, „ich bin froh, dass ich Max habe. Er ist das Beste, was mir bisher im Leben passiert ist.“

„Du bist eine wundervolle Mutter. Und Max ist ein sehr glücklicher kleiner Junge.“

War er das wirklich?

Liv versuchte, das plötzlich aufkommende Schuldgefühl zu unterdrücken. „Ich habe inzwischen gelernt, wie man einen Fußball richtig kickt, und kann einen Ferrari von einem Lamborghini unterscheiden. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass in Max’ Leben ein Mann fehlt, eine Vaterfigur.“

Anna nickte. „Deshalb solltest du unbedingt die Eintrittskarten für den Ball nutzen, die du gewonnen hast.“

„Auf keinen Fall werde ich dorthin gehen.“

„Liv, es ist Weihnachtszeit, die Zeit zum Feiern und Fröhlichsein. Eine bessere Gelegenheit, jemanden kennenzulernen, gibt es gar nicht. Du weißt, wie begehrt die Eintrittskarten sind. Einer Kollegin aus einer anderen Abteilung hat man tausend Pfund für ihre Karte geboten – und sie hat abgelehnt.“

„Du machst wohl Witze? Wer würde denn so verrückt sein und so viel Geld dafür bieten?“ Liv riss staunend die Augen auf. „Kennst du vielleicht jemanden, der so einen Irrsinnspreis bezahlen würde? Ich könnte meine beiden Karten verkaufen und mir endlich ein neues Auto anschaffen.“

„Warum denkst du bloß immer so praktisch?“

„Weil ich eine alleinstehende Mutter mit einem siebenjährigen Sohn bin und Verantwortung trage. Wenn ich das nicht tun würde, hätten wir oft nichts zu essen.“

„Ist dein Wagen wieder kaputt?“

„Nicht ganz, aber ich fürchte, dass er nicht mehr lange durchhält.“

Anna winkte ab. „Vergiss den Wagen. Das hier ist London – du hast Busse, U-Bahn und Züge. Also behalte die Karten, und geh zu dem Ball, Aschenputtel.“

„Wenn ich an den mageren Inhalt meines Kleiderschrankes denke, ist der Vergleich mit Aschenputtel wirklich sehr passend.“

Anna trat einen Schritt zurück und musterte Liv. „Ich würde dir ja gern ein Kleid leihen, aber ich weiß nicht so recht … deine Oberweite …“

„… ist zu groß“, sagte Liv trocken. „Das weiß ich selbst am besten. Schließlich schleppe ich sie seit achtundzwanzig Jahren mit mir herum.“

„Hattest du deine Oberweite also von Geburt an?“, lachte Anna.

Liv verdrehte die Augen. „Was reden wir hier für einen Blödsinn? Haben wir nichts anderes zu tun? Und du, meine Liebe, solltest dich nicht immer in mein Leben einzumischen versuchen.“

„Nur, wenn du mir versprichst, dass du dich im neuen Jahr endlich mal wieder mit einem Mann verabredest. Du musst ja nicht gleich heiraten …“

„Wie tröstlich für mich.“

„Aber du könntest doch mal mit jemandem ausgehen. Ich mache mir Sorgen um dich. Bist du nicht sehr einsam? Und wann hattest du zum letzen Mal Sex?“

„Musst du das so laut in die Gegend posaunen?“ Liv war rot geworden und sah sich hektisch um, ob auch tatsächlich niemand sonst in dem Raum war.

„Wenn das Wort Sex dich so erschreckt, muss es ja wirklich eine Ewigkeit her sein. Du bist jetzt seit vier Jahren geschieden. Es wird Zeit, dass du wieder anfängst, als Frau zu leben. Wenn du keine neue Beziehung willst, versuch es doch mal mit einem One-Night-Stand.“

„Kommt nicht infrage.“ Liv schüttelte verächtlich den Kopf. „Ich hasse den Gedanken, neben einem Mann aufzuwachen, den ich nicht kenne und der mir eigentlich nichts bedeutet.“

„Dann wirf ihn wieder aus dem Bett, bevor du einschläfst. Oder du suchst dir einen Mann, den du kennst und der dich interessiert.“

„Das ist nichts für mich. Schon die Vorstellung, mich vor einem Mann auszuziehen, macht mir Angst.“ Liv verzog das Gesicht. „Außerdem muss ich an Max denken. Er soll nicht damit aufwachsen, dass seine Mutter wechselnde Männerbekanntschaften hat.“

„Das würde ihm zeigen, dass Beziehungen ein Bestandteil des Lebens sind, die manchmal schiefgehen und manchmal funktionieren. Was bringst du ihm jetzt bei? Dass Beziehungen unwichtig und es nicht wert sind, sich darum zu bemühen.“

Verblüfft und mit wachsenden Schuldgefühlen schaute Liv ihre Freundin an. „Du meinst also, ich erziehe Max lebensfremd?“

„Nein, ich meine, dass du es einfach nicht schaffst, deine Angst vor einer neuen Beziehung zu überwinden. Das ist doch lächerlich. Sieh dich an – du bist so hübsch und hast eine große Oberw…“

„Anna!“

„Entschuldige, aber ich glaube, du hast einfach keine Vorstellung davon, wie attraktiv du bist. Weißt du, wie die Männer dich hinter deinem Rücken nennen? Die knackige Liv …“

„Das sagen sie, weil sie mich nur angezogen sehen. Sähen sie mich nackt, würden sie feststellen, dass es mit knackig nicht weit her ist.“

„Rede keinen Unsinn. Du hast eine tadellose Figur.“ Anna beugte sich vor und nahm Liv kurz in den Arm. „Ich will dir nicht auf die Nerven gehen, aber du bist meine beste Freundin – und ich möchte, dass du einen netten Mann kennenlernst. Ich wünschte, ich könnte dir zu Weihnachten eine heiße Liebesnacht schenken …“

„Ich habe dir schon gesagt, dass ich an schnellem Sex kein Interesse habe. Lieber nehme ich ein schönes Schaumbad.“ Aber Liv erwiderte Annas Umarmung, denn sie wusste, dass die Freundin es nur gut mit ihr meinte.

„Ich störe hoffentlich nicht?“, ertönte eine tiefe männliche Stimme hinter ihnen. Anna fuhr herum, ihr Gesicht war schlagartig rot geworden.

„Oh, Mr. Lucarelli … ich meine, Stefano …“ Sie räusperte sich, um ihre Kehle frei zu bekommen. „Wie haben nur …“ Sie reagierte wie eine kleine Schwesternschülerin, nicht wie eine erfahrene Krankenschwester. Hilfesuchend sah sie Liv an.

„Sie stören keineswegs“, sagte diese kühl. Hoffentlich hatte der Ankömmling nicht zu viel von ihrer Unterhaltung mit Anna mitbekommen. „Brauchen Sie etwas?“

Dunkle, forschende Augen musterten sie – und Liv wünschte, sie hätte seine Aufmerksamkeit nicht auf sich gezogen.

Sie gab sich Mühe, ganz ruhig zu erscheinen, tat so, als ob sie sein glänzendes schwarzes Haar, sein gut geschnittenes Gesicht und seinen sinnlichen Mund nicht bemerkte. Er war unglaublich attraktiv – und Liv fragte sich unwillkürlich, wie viele Frauenherzen er schon gebrochen haben mochte. Mit seinen breiten Schultern und schmalen Hüften war er die personifizierte Männlichkeit.

Er war mindestens einsneunzig groß, und der tadellos geschnittene dunkelblaue Anzug betonte seine schlanke, aber durchtrainierte Figur. „Ich kam her, weil ich Ihnen sagen wollte, dass der Patient auf die Intensivstation verlegt wurde“, sagte er ruhig zu Anna. „Und ich wollte mit Ihnen über Rachel sprechen.“

Anna schlüpfte augenblicklich in ihre Rolle als Krankenschwester. „Gibt es Probleme?“

Si, da gibt es ein Problem“, sagte er, ohne seine Augen von Liv abzuwenden. „Ich möchte mit ihr in der Notaufnahme nicht mehr zusammenarbeiten.“

Anna runzelte die Stirn. „Sie ist eine erfahrene Schwester …“

„Mag sein, aber dann sollte sie für jemand anderen arbeiten. Meine Gegenwart scheint sie nervös zu machen. Ihre Hände zittern, sie lässt sterile Instrumente fallen, und jedes Mal, wenn ich sie anspreche, fährt sie zusammen. Das ist mir zu gefährlich.“

Anna seufzte. „Sie ist noch sehr jung. Vielleicht hat sie Angst vor Ihnen?“

Er zog die Augenbrauen unwillig zusammen. „Ich war immer höflich zu ihr, bin nie laut geworden.“

„Das müssen Sie auch gar nicht. Sie sind …“ Anna unterbrach sich, suchte nach Worten. „Sie sind vielleicht für jüngere Mitarbeiter manchmal etwas beunruhigend, flößen ihnen Angst ein.“

„Dann schicken Sie mir jemanden, der sich nicht so leicht einschüchtern lässt.“ Sein Ton war kühl. „Wenn ich in der Notaufnahme arbeite, muss ich mich ganz auf den Patienten konzentrieren. Und das erwarte ich auch von meinen Mitarbeitern. Ich will meine Instrumente im richtigen Moment in die Hand bekommen – und sie nicht vom Fußboden aufsammeln müssen.“

„Das heißt, Sie erwarten, dass Ihre Mitarbeiter Gedanken lesen können …“

Stefano Lucarelli verzog ironisch die Mundwinkel. „Ganz richtig. Blindes Verständnis und absolute Verlässlichkeit sind notwendige Voraussetzungen für die Arbeit auf der Notfallstation. Da wir das nun geklärt haben, überlasse ich Sie beide wieder Ihrem privaten Vergnügen.“

Anna blickte ihm hinterher, als er den Raum verließ. „Na, großartig. Weil er gesehen hat, wie wir uns umarmten, hält er uns jetzt wohl für lesbisch.“

Liv hielt erschrocken die Luft an. „Hoffentlich hat er nicht mitbekommen, was du über meine große Oberweite gesagt hast und dass ich lange keinen Sex hatte. Glaubst du, er hat gehört, dass du mir zu Weihnachten eine heiße Liebesnacht verschaffen wolltest?“

„Schon möglich.“ Anna schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzulachen.

Liv bedachte sie mit einem finsteren Blick. „Okay, Schluss jetzt damit. Sei froh, dass ich dir nicht den Hals umdrehe. Wie soll ich Mr. Lucarelli je wieder in die Augen sehen können?“

„Ich könnte ihn unentwegt angucken. Das ist bei mir schlimmer als bei Rachel.“ Anna lachte. „Umarme mich bitte nicht mehr in der Öffentlichkeit – er könnte sonst meinen, ich wäre nicht mehr zu haben.“

„Aber du bist nicht mehr zu haben! Du bist glücklich verheiratet.“

„Das stimmt. Aber siehst du nicht auch manchmal einen Mann an und denkst nur an Sex?“

„Wenn ich ihn sehe, denke ich erst einmal an Ärger.“ Liv steckte die Schlüssel des Medizinschrankes in ihre Tasche und versuchte, nicht mehr an seine ausdrucksvollen Augen zu denken.

„Mir würde Ärger mit ihm nichts ausmachen“, meinte Anna. „Er redet eben nicht um die Dinge herum, sondern sagt genau, was er denkt.“

„Er hat hohe Ansprüche“, nickte Liv. „Das ist etwas, was ich schätze. Für ihn zählen nur Topleistungen. Das gefällt mir. Wenn ich mal einen Autounfall hätte, würde ich mir wünschen, dass er mich behandelte.“

„Was für ein beunruhigender Gedanke.“ Anna sah Liv beschwörend an. „Sollte mir das jemals passieren, hoffe ich, dass ich gerade schicke, seidene Unterwäsche trage und er mir nicht profane Baumwollschlüpfer vom Körper schneiden muss.“

„Wenn du nach einem Unfall bei ihm auf dem Tisch liegst, ist deine Unterwäsche wahrscheinlich dein geringstes Problem. Oder möchtest du mit der Versorgung deiner Verletzungen so lange warten, bis du dich umgezogen hast?“

„Ja, ja, mach du nur deine Witze. Aber ich weiß zufällig genau, dass Stefano Lucarelli schicke, seidene Unterwäsche bei Frauen ganz besonders schätzt.“

„Das heißt noch nicht, dass Mr. Lucarelli die auch bei seinen Patientinnen erwartet“, gab Liv trocken zurück. „Was ist nun – redest du mit Rachel, oder soll ich das tun? Seine Kritik an ihr ist nicht ganz unberechtigt. Sie ist verträumt und öfter mal geistesabwesend. Sie muss noch lernen, sich besser zu konzentrieren.“

„Arme Rachel. Offensichtlich ist sie völlig verunsichert. Ich glaube, ich gehe mal zu ihr und versuche, sie seelisch aufzurichten.“

„Sie braucht keine Seelenmassage, sondern ein deutliches Signal, damit sie endlich aufwacht“, widersprach Liv. „Seit unser italienischer Kollege zum ersten Mal mit seinem Ferrari auf den Parkplatz gefahren ist, lebt Rachel in einer Art Trancezustand. Sie sollte aufhören, ihn unentwegt anzuhimmeln, und sich auf ihre Arbeit konzentrieren. Dann würde sie nicht so häufig Sachen fallen lassen.“

„Er ist tatsächlich manchmal etwas beängstigend.“

„Er ist ein begnadeter Arzt. Und sehr effizient.“

„Schön zu hören, wie du über ihn denkst. Wenn du ihn so sehr schätzt, solltest du am besten für ihn auf der Notfallstation arbeiten. Dann wären alle Probleme gelöst. Aber waren wir nicht gerade eben dabei, ein ganz anderes Problem zu lösen? Zum Beispiel, was du mit deinen Eintrittskarten für den Schneeflockenball machen willst?“

„Ich werde sie verkaufen. Schließlich habe ich keinen Begleiter, kein geeignetes Kleid, keinen Babysitter und sowieso keine Lust, hinzugehen.“

„Und warum lädst du nicht Stefano Lucarelli ein, mit dir hinzugehen?“

„Um Himmels willen! Bist du noch ganz bei Trost? Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mir von ihm eine Abfuhr zu holen. Und er würde sowieso ablehnen – da bin ich mir sicher.“

„So, wie er dich vorhin die ganze Zeit angesehen hat, bin ich mir überhaupt nicht sicher.“

„Wahrscheinlich hat er sich nur gefragt, warum jemand mit meinen Hüften nicht längst eine Diät gemacht hat.“

„Hör auf, du brauchst keine Diät.“ Anna sah Liv nachdenklich an. „Er hat sich ganz eindeutig für dich interessiert, Liv.“

„Anna, er kam herein, als wir über Sex redeten und uns gerade umarmten. Natürlich hat das sein Interesse geweckt. Nein, nein, du irrst dich gewaltig.“

Anna schüttelte den Kopf. „Nein, du bist im Irrtum. Er ist im Augenblick Single, das weiß ich zufällig. Warum, begreife ich nicht. Er ist ein toller Mann. Und er ist sehr reich. Seine Familie besitzt ein gigantisches Bauunternehmen in Italien. So reich und so gut aussehend – die Gaben sind auf dieser Welt sehr ungerecht verteilt.“

„Anna, du bist eine verheiratete Frau mit zwei Kindern!“

Anna überhörte die Bemerkung. „Er war wohl eine Zeit lang mit einer italienischen Schauspielerin liiert, aber die Beziehung ging in die Brüche, als sie darauf bestand, zu ihm zu ziehen. Er ist jetzt seit gut einem Monat in England. Und wahrscheinlich fühlt er sich einsam, besonders jetzt in der Weihnachtszeit.“

„Er scheint mir kein Mann zu sein, der Hilfe braucht, um eine Frau zu finden, mit der er ausgehen kann“, meinte Liv voller Sarkasmus. „Schluss jetzt mit dieser Debatte. Willst du die Karten für dich und Dave haben – oder soll ich sie verkaufen?“

Rachel stieß die Tür auf und kam in das Schwesternzimmer. Ihr Gesicht war blass. „Die Rettungswagenzentrale hat gerade angerufen, dass sie einen Mann bringen, der einen Unfall beim Rugbyspiel hatte.“ Ihre Stimme klang schrill und zittrig. „Ich kann heute nicht mehr in der Notaufnahme arbeiten, Anna. Dr. Lucarelli war … nun ja … ziemlich schroff zu mir …“

„Ernsthafte Verletzungen?“, wollte Anna wissen.

„Nein, nein, nur mein Stolz. Ich nehme an, er wollte …“

„Ich meinte, ob der Patient ernsthaft verletzt ist“, unterbrach Anna sie barsch. „Außerdem, Rachel, heißt das Mr. Lucarelli, nicht Dr. Lucarelli. Er ist Chirurg – und Chirurgen werden Mr. genannt. Das solltest du eigentlich wissen.“

„Oh, ja, entschuldige.“ Rachel hüstelte nervös. „Der Patient hat einen schweren Tritt abbekommen.“

„Wohin? Wo wurde er getroffen?“

„Er hat wohl Probleme beim Atmen“, sagte Rachel unsicher.

Liv schnaufte und gab Anna den Schlüssel zum Medikamentenschrank. „Ich kümmere mich darum. Dann werde ich der Abteilung Bescheid sagen und Mr. Lucarelli bitten, auf die Notfallstation zu kommen.“

„Ich schicke Sue, damit sie dir helfen kann“, sagte Anna und wandte sich zu Rachel um. „Und wir beide sollten uns mal unterhalten.“

Liv ließ Anna mit der unglücklichen Rachel allein und ging zur Notfallstation. Der große Raum war wie immer tipptopp für die sofortige Aufnahme von Patienten vorbereitet. Liv zog einen sterilen Kittel an und streifte gerade ein Paar Gummihandschuhe über, als Stefano Lucarelli den Raum betrat.

Er sah ihr einen Moment lang direkt in die Augen, sagte aber nichts.

Liv war leicht beunruhigt. Noch nie zuvor hatte sie einen Mann getroffen, der eine so starke, unmittelbare Wirkung auf sie ausübte. Sie fühlte, wie ihr Körper auf ihn reagierte, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.

Nervös drehte sie sich um, ihr Herz schlug heftig, und ihr Gesicht war rot geworden. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie ihre Emotionen nicht besser unter Kontrolle hatte. Der italienische Chirurg musste es inzwischen satt haben, von Frauen angestarrt zu werden. Das alles kommt nur von dieser idiotischen Unterhaltung mit Anna, dachte sie und nahm aus einem Schrank einen Packen steriler Tücher.

Das Gerede über Sex hatte sie dazu gebracht, über ihr Sexualleben nachzudenken. Und wenn sie daran dachte …

Sie hätte vor Frustration laut aufschreien mögen!

„Die Rettungssanitäter haben berichtet, der Mann leide unter Atemnot“, sagte sie kurz, blickte den Chirurgen aber nicht an. Sie wollte nicht, dass er ihr gerötetes Gesicht sah und daraus seine Schlussfolgerungen zog. „Ich bereite besser alles für eine künstliche Beatmung vor.“

„Gute Idee.“ In seiner Stimme war ein scharfer Unterton. Liv fragte sich, ob sie das nächste Opfer seines schon sprichwörtlichen Perfektionsanspruches sein würde.

Die Tür wurde aufgestoßen, und mit dem Patienten, der auf einer Liege hereingeschoben wurde, kam der Rest des Notfallteams herein.

Schnell und routiniert wurde der Patient auf den Behandlungstisch gelegt, und Stefano Lucarelli trat zu ihm. Mit einem Blick in die Runde brachte er sein Team zum Schweigen.

Er hat Autorität, dachte Liv. Sie verfolgte, wie jedes Mitglied der Crew sich ernsthaft und schweigend darauf konzentrierte, den Erklärungen der Rettungssanitäter zuzuhören.

Phil, der zweite, jüngere Arzt in dem Team, tastete die Vene in der Armbeuge des Patienten ab, um eine Infusionskanüle zu legen.

Liv begann, die Elektroden für die Überwachung des Blutdrucks, Pulsschlags und der Atemfrequenz auf der Brust und an den Armen des Patienten zu befestigen.

Stefano Lucarelli warf einen Blick auf die Monitore, als diese die ersten Messdaten anzeigten. „Phil, leg eine zweite Kanüle, und schicke sofort sein Blut zur Blutgruppenbestimmung ins Labor. Und macht seinen Oberkörper frei.“

Liv folgte unverzüglich seiner Anordnung. Um den Oberkörper des Mannes frei zu machen, musste sie seine Kleidung aufschneiden. Danach legte sie eine vorgewärmte Decke über ihn, um einen Kälteschock zu vermeiden.

„Seine Atemfrequenz ist nur bei achtunddreißig. Er atmet sehr flach“, sagte sie.

„Er zeigt das typische Atemnot-Syndrom.“ Stefano horchte die Brust des Patienten ab. „Seine Lungen arbeiten kaum noch.“ Liv sah aus den Augenwinkeln, dass Phil aufmerksam jede Bewegung des erfahrenen Kollegen beobachtete.

Phil arbeitete seit ein paar Monaten auf der Notfallstation und war bemüht, keine Gelegenheit zu verpassen, etwas dazuzulernen.

Und von Stefano kann er noch eine Menge lernen, dachte Liv, während sie zusah, wie der Chirurg den Patienten schnell und gründlich untersuchte.

„Er hat mehrere Abschürfungen und Quetschungen“, murmelte Liv und zeigte auf die purpurfarbenen Stellen über den Rippen.

„Seine Atemgeräusche sind ziemlich schwach.“ Stefano hängte sich das Stethoskop um den Hals. „Er hat einen Hämothorax, das heißt, eine Blutung behindert massiv seine Lungentätigkeit. Sagt im OP Bescheid, dass er möglicherweise dringend operiert werden muss. Wir werden zuerst einmal damit beginnen, das Blut abzusaugen. Und ich brauche sofort ein Röntgenbild von seiner Lunge.“

Der Radiologe des Teams machte sich unverzüglich an die Arbeit.

Liv staunte, wie präzise und effizient alle in dem Team zusammenwirkten, wie eine einstudierte Balletttruppe.

„Helfen Sie mir mal, Liv“, bat Phil. Er suchte nach einer Vene, die wegen des abgefallenen Blutdrucks kaum zu spüren war. Liv hielt den Arm des Patienten fest. „Gut, das wäre es. Kleben Sie ein Pflaster darüber, damit die Nadel nicht wieder herausrutscht.“ Auf Phils Stirn standen Schweißperlen, und er warf einen unruhigen Blick auf Stefano.

„Habt ihr zwei Kanülen gelegt?“, wollte Stefano wissen.

„Nein, erst eine“, beeilte sich Phil zu sagen. „Seine Venen sind in sich zusammengefallen und kaum zu finden“, klagte er.

„Ich brauche sofort eine zweite Kanüle, sonst kann ich nicht damit beginnen, das Blut aus seiner Lunge abzusaugen.“ Stefano trat an Phils Seite. „Dreh seinen Arm herum. Bene. Gib mir die Kanüle.“ Er streckte die Hand aus, und Liv legte eine Kanüle hinein. Fasziniert sah sie zu, wie Stefano mit einer ruhigen, sicheren Bewegung und offensichtlich ohne jede Anstrengung die Nadel in die Ader schob.

Bei ihm sehen sogar schwierige Dinge ganz einfach aus, dachte sie. Phil dachte offenbar das Gleiche, denn er warf ihr einen vielsagenden Blick zu.

„Hier haben wir die Röntgenaufnahme“, sagte der Radiologe.

Alle drehten sich herum und starrten auf den Bildschirm.

„Von einer Flüssigkeitsansammlung ist nichts zu sehen“, murmelte Phil.

Stefano trat näher an den Leuchtschirm und studierte das Röntgenbild aufmerksam. „Wenn man einen Patienten im Liegen röntgt, dann befindet sich das Blut unter seiner Lunge. Hier, links und rechts, kann man die Blutung erkennen. Ich fange jetzt mit der Drainage seines Brustraums an.“ Er drehte sich um. „Liv?“

Er kennt meinen Namen?

Liv hatte gerade die zweite Kanüle mit einem Pflaster fixiert. Hatte er doch vorhin mehr von ihrer Unterhaltung mit Anna mitbekommen? Hatte er auch gehört, dass sie seit vier Jahren keinen Sex mehr gehabt hatte?

„Sue wird Ihnen bei der Drainage zur Hand gehen“, sagte sie schnell und sah aufmunternd zu der Kollegin. „Ein paar sterile Tücher habe ich schon zurechtgelegt.“ Sie drehte sich zu Phil um. „Denken Sie daran, dass er schnellstens eine Bluttransfusion braucht. Und die Blutkonserve muss angewärmt werden.“

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
Mehr erfahren
Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
Mehr erfahren