Ein Held zu Weihnachten

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Attraktiv, sexy, gefährlich! Mit dem Sicherheitsexperten Joe wollte Callie ein leidenschaftliches Abenteuer erleben - doch plötzlich will er mit ihr eine Familie gründen. Aber Callie ist noch nicht bereit, sich zu binden …


  • Erscheinungstag 29.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506557
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Alles begann mit dem Trevibrunnen.

Callie und ihre beiden besten Freundinnen hatten im vergangenen September ihre lang ersehnte Reise nach Italien machen müssen. Dann hatten sie der Tradition folgen müssen, die besagte, dass man eines Tages nach Rom zurückkehren würde, wenn man eine Münze in den Brunnen warf. Und jede von ihnen hatte sich etwas anderes wünschen müssen.

Kates Wunsch war noch in Italien in Erfüllung gegangen, als sie und ihr Ehemann sich nur wenige Wochen vor der geplanten Scheidung wieder versöhnten. Dawns Wunsch war in Erfüllung gegangen, als sie in die USA zurückkehrte und als Kindermädchen für einen temperamentvollen Sechsjährigen einsprang. Innerhalb weniger Wochen hatte die fröhliche Rothaarige den Sprung von der sorglosen Junggesellin, die gern flirtete, zur überglücklichen Stiefmutter von Tommy und Ehefrau des attraktiven Brian Ellis vollzogen.

Callie hatte nicht einmal ihren besten Freundinnen erzählt, was sie sich gewünscht hatte, denn es war zu albern gewesen, vor allem weil sie sonst so besonnen war.

Und jener lächerliche Wunsch spukte nun in ihrem Kopf herum. Sie war wahnsinnig nervös, als sie Dawn und Tommy dabei half, das Haus der Familie Ellis mit Tannengirlanden zu schmücken. Zum Glück lenkte Tommys drei Monate alter Terrierwelpe die beiden so ab, dass sie nicht merkten, wie Callie zusammenzuckte, als es klingelte.

„Das muss Joe sein.“ Dawn stand auf und klopfte sich die Nadeln von ihrem grünen Pullover, der die gleiche Farbe wie ihre Augen hatte. „Er hatte geschrieben, er würde um drei Uhr landen und wäre gegen vier hier.“ Sie warf Callie einen durchtriebenen Blick zu. „Dunkelhaarig, attraktiv und pünktlich. Was kann eine Frau mehr erwarten?“

Nichts, stimmte Callie ihr im Stillen nervös zu. Außer vielleicht … Sie musste wieder an die Münze denken. Wie albern, sich zu wünschen, es würde sich zumindest ein Hauch von Romantik hinter Joes maskuliner, autoritärer Fassade verbergen! Hatte er seine Geschäftsinteressen nicht für sie auf Eis gelegt? Hatte er nicht viel Zeit und Geld investiert, um den Absender der hässlichen E-Mails zu ermitteln, mit denen es einige Wochen vor ihrer Abreise nach Italien begonnen hatte?

„Joe hat mir versprochen, mir einen echten Bumerang aus Australien mitzubringen“, verkündete Tommy, als sie dem laut bellenden Terrier zu dritt durch die Eingangshalle folgten. „Hoffentlich hat er das nicht vergessen.“

Das bezweifelte Callie nicht eine Sekunde. Obwohl sie Joe Russo erst wenige Monate kannte, wusste sie, wie zuverlässig er war.

Sie hatte ihn auf einem unvergesslichen Kurztrip nach Venedig kennengelernt. Damals hatte er ein Sicherheitsteam geleitet, das für Carlo Luigi Francesco Di Lorenzo, den Prinzen von Lombard und einen hochdekorierten Luftwaffenpiloten, verantwortlich gewesen war. Carlo, Kates Ehemann Travis und Dawns frisch angetrauter Ehemann Brian hatten zu der Zeit an einem streng geheimen NATO-Projekt gearbeitet.

Callie und Joe waren sich in Rom wieder begegnet, wo Travis seine Frau Kate mit einer wundervollen Zeremonie überrascht hatte, in der sie ihr Ehegelübde erneuerten – und zwar am Trevibrunnen! Und sie hatte sich von ihren Freundinnen überreden lassen, eine letzte Münze ins Wasser zu werfen. In dem Moment hatte jener alberne Wunsch in ihrem Kopf Gestalt angenommen.

Keine zehn Minuten später hatte Joe sie beiseite genommen und förmlich ausgefragt. Ziemlich schnell war ihr klar geworden, dass er, der frühere Militärpolizist und ehemalige Glücksritter, wusste, wie man selbst aus den verschlossensten Gesprächspartnern Informationen herausbekam.

Er sagte ihr, er habe sie beobachtet und festgestellt, wie schockiert sie jedes Mal reagiert hätte, wenn sie ihre Mails checkte, und sich danach noch weiter in sich zurückgezogen hätte. Sie hatte es zu leugnen versucht, denn sie hatte immer die Privatsphäre ihrer Schützlinge gewahrt, die sie als Kinder- und Jugendbeauftragte in Massachusetts betreute. Joe hatte sie jedoch daran erinnert, dass sie ihren Job bereits vor Wochen gekündigt hätte.

Noch immer konnte sie nicht fassen, dass sie daraufhin zusammengebrochen war und ihm von den Drohmails erzählt hatte. Kate und Dawn hatten ebenfalls fassungslos reagiert und ihr sofort Hilfe angeboten. Nach ihrer Rückkehr aus Italien hatte sie zuerst bei Kate in Washington gewohnt, und nun lebte sie bei Dawn und deren Familie, während Joe den Absender der immer Furcht einflößenderen Mails zu ermitteln versuchte.

Sie lebte Hunderte von Meilen von ihrem Zuhause in Boston entfernt und hatte vier Wachhunde, nämlich ihre Freundinnen und deren Ehemänner, die Tag und Nacht auf sie aufpassten. Sie hatte alle Nachrichten an die Polizei weitergeleitet, und Joe hatte sogar Akteneinsicht für die Fälle beantragt, an denen sie gearbeitet hatte.

Doch genug war genug.

Dennoch klopfte ihr Herz immer, wenn sie ihre Mails aufrief, und vor allem wenn Joe anrief oder nach Washington kam, um sie auf den neuesten Stand zu bringen. Beim letzten Mal hatte er sie sogar zum Abschied geküsst, und vielleicht hielt sie deshalb den Atem an, als Tommy nun die Haustür aufriss.

„Hallo, Joe. Hast du mir den Bumerang mitgebracht?“

„Darauf kannst du wetten.“

Joe lächelte, was nur selten vorkam und von der Narbe auf seiner linken Wange ablenkte. Callie wusste lediglich, dass er sich diese bei einer Mission zugezogen hatte, über die er mit niemandem redete. Inzwischen nahm Callie sie kaum noch wahr, weil er so attraktiv war. Er hatte breite Schultern, die die abgetragene Bomberjacke aus Leder noch betonte, ein markantes Kinn, eisgraue Augen und leicht gewelltes dunkelbraunes Haar.

Nachdem er Tommy den Bumerang überreicht und Dawn zur Begrüßung zugenickt hatte, wandte er sich an Callie, wobei er sie triumphierend ansah. Sofort wusste sie, dass sein spontaner Trip nach Australien erfolgreich gewesen war.

„Die E-Mails!“, rief sie. „Du hast den Absender geschnappt.“

„Allerdings“, erwiderte er so zufrieden, dass Dawn jubelte und ihn abklatschte.

„Komm, gib mir deine Jacke“, sagte sie. „Dann gehen wir in die Küche, und du kannst uns alles erzählen.“

„Mooom.“

Tommys Protest ließ sie innehalten, und Callie musste über ihren Gesichtsausdruck lächeln. Die ebenso quirlige wie unerschütterliche Dawn hatte sich immer noch nicht ganz an ihre Rolle als Stiefmutter des noch quirligeren blauäugigen Rackers mit den engelsgleichen Zügen gewöhnt.

„Joe soll mir zeigen, wie der Bumerang zurückkommt“, beharrte er. „Sonst probier ich es selbst aus.“

Die Villa der Familie Ellis lag in einem älteren Stadtteil von Bethesda, das im Nordwesten an Washington grenzte. Auf dem hinteren Teil des Anwesens, das von einer Mauer begrenzt war und auf dem genauso wie auf den Nachbargrundstücken zahlreiche hohe Bäume standen, befand sich ein Pavillon.

„Wir möchten erst hören, was Joe zu erzählen hat“, verkündete Dawn energisch. „Danach gehen wir alle mit dir in den Garten.“ Als Tommy protestieren wollte, schlug sie vor: „Warum gehst du nicht ins Arbeitszimmer und setzt dich an den Computer? Dein Dad hat dir doch im Internet eine Seite über die Aerodynamik von Bumerangs markiert.“

Daraufhin gab er sich geschlagen und ging, den Welpen im Schlepptau, während Dawn dem Neuankömmling die Lederjacke abnahm und aufhängte.

„Aerodynamik?“, hakte er nach.

„Na ja, Brian und seine erste Frau waren beide Ingenieure. Es liegt Tommy in den Genen.“

Dawn bemühte sich sehr, Tommys Erinnerung an seine leibliche Mutter aufrechtzuerhalten. Caroline Ellis war weniger als ein Jahr nach seiner Geburt an einem Hirntumor gestorben. Da Tommy sich nicht an sie erinnerte, hatte Dawn ihm ein digitales Fotobuch gestaltet, in das sie ihr ganzes Können als Grafikdesignerin hatte einfließen lassen.

„Komm, Joe, ich mache dir Kaffee, dann kannst du uns alles erzählen.“

Da Dawn den Flur entlang voranging, sah sie nicht, wie Joe ihrer Freundin leicht die Hand auf den Rücken legte. Diese spürte die Berührung durch ihren weinroten Pullover und das Baumwolltop.

Fast wäre sie noch zum Pförtnerhaus geeilt, um sich umzuziehen und dezent zu schminken. Auf Dawns Rat hin hatte sie vor Kurzem ihr dichtes schulterlanges Haar in einem der schicken Salons in Washington in Form schneiden lassen. Doch da ihr Leben in letzter Zeit gewissermaßen auf Eis gelegt war, trug sie es vorerst weiterhin hochgesteckt oder zu einem Pferdeschwanz gebunden.

Während Joe und sie am Tresen Platz nahmen, stellte Dawn einen Becher in die Kaffeemaschine. Kurz darauf erfüllte der Duft frisch gebrühten Kaffees die Küche.

„Schieß los“, forderte sie ihn dann auf. „Wir haben hier die wildesten Spekulationen angestellt, nachdem du so plötzlich nach Sydney geflogen warst.“

Joe drehte sich zu Callie um. „Erinnerst du dich an einen Schützling namens Rose Graham?“

Callie krauste nachdenklich die Stirn. Während ihrer sechsjährigen Tätigkeit im Massachusetts Office for the Child Advocate hatte sie unzählige Fälle betreut, darunter auch viele tragische. Wenn sie sich recht entsann, war die Akte Rose Graham eher dünn gewesen.

„Ja, ich erinnere mich an den Namen.“

„Sie war fünf, als ihre Eltern sich eine Scheidungsschlacht geliefert haben.“

Aus den Augenwinkeln beobachtete Callie, wie Dawns Miene verschlossen wurde. Als junger Teenager war dieser das Gleiche widerfahren. Kate und sie hatten ihr nach Kräften zu helfen versucht, und ihren Kummer mitzuerleben hatte auch den Ausschlag gegeben, dass sie Psychologie studiert und jenen Job angenommen hatte.

„Die Mutter hat als Anwaltsgehilfin gearbeitet“, berichtete Joe weiter. „Der Vater war Softwareentwickler in einem großen Unternehmen für medizinische Forschung in Boston.“

Nun sah sie Rose vor sich: blond, etwas klein für ihr Alter und sehr intelligent.

„Ja, jetzt weiß ich es. Ich glaube, es war ein ziemlich klarer Fall. Das Kind war gut integriert, kam gut in der Vorschule mit und wurde von beiden Eltern sehr geliebt. Generell sprechen die Jugendrichter das Sorgerecht bei einem so kleinen Kind der Mutter zu, es sei denn, es gibt Hinweise auf Vernachlässigung oder Missbrauch. Aber …“ Sie runzelte die Stirn. „Bestimmt habe ich eine großzügige Regelung des Besuchsrechts für den Vater empfohlen.“

„Das hast du, und deshalb haben wir den Fall nicht so genau unter die Lupe genommen wie die anderen. Erst nachdem ich meine Leute gebeten hatte, es noch einmal zu tun, haben wir erfahren, dass der Vater von seiner Firma Anfang dieses Jahres in die Niederlassung in Australien versetzt wurde.“

„Oh.“ Callie konnte sich denken, was nun kam. Eine Sorgerechtsregelung konnte sich als schwierig erweisen, wenn ein Elternteil weit wegzog.

„Roses Mutter hat sich kategorisch geweigert, ihre Tochter dorthin fliegen zu lassen“, bestätigte Joe ihre Vermutung.

„Und die Kanzlei, für die sie arbeitet, hat das Ganze wasserdicht gemacht“, mutmaßte sie.

„Der Vater musste so oft für Anhörungen in die USA fliegen, dass er seine gesamten Ersparnisse aufgebraucht hat und Kredite aufnehmen musste. So ist er auch mit den Unterhaltszahlungen in Verzug geraten.“

Sie schnitt ein Gesicht. „Und daraufhin hat der Staat vermutlich sein Gehalt gepfändet, was für ihn alles nur noch schlimmer gemacht hat.“

„Er hat seine Firma gebeten, ihn wieder nach Boston zu versetzen. Darauf wartet er jetzt schon seit sechs Monaten.“ Joe schüttelte den Kopf. „Es hat eine Weile gedauert, bis meine Leute seine Firewalls knacken konnten. Der Mann ist verdammt gut.“

„Und wie hat er reagiert, als du ihn zur Rede gestellt hast?“, fragte Dawn.

„Erst hat er sich erstaunt, dann entrüstet gegeben. Nachdem die australische Polizei ihn dann mit den Beweisen konfrontiert hat, hat er sich einen Anwalt genommen. Irgendwann hat er zugegeben, dass er Callies Empfehlung als Ursache für all seine Probleme betrachtet.“ Ein triumphierender Ausdruck trat in Joes graue Augen. „Jetzt sitzt er in Untersuchungshaft.“

Callie hätte den Mann fast bemitleidet, wenn seine bösen E-Mails ihr Leben in den letzten drei Monaten nicht derart beeinträchtigt hätten.

„Danke.“ Sie legte die Hand auf Joes. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich zu schätzen weiß, was du für mich getan hast. Ich habe dich da nicht gern mit hineingezogen, aber …“

„Du meinst, du hast es nicht gut gefunden, dass ich mich eingemischt habe.“

„Zuerst schon.“ Jetzt musste sie lächeln. „Schließlich kannten wir uns kaum.“

„Das versuche ich ja zu ändern.“

Das tat er allerdings. Allein bei der Erinnerung an seinen leidenschaftlichen Kuss am Abend vor seiner Abreise nach Australien stieg ihr das Blut ins Gesicht. Und noch heißer wurde ihr, als er seine Hand umdrehte, ihre umschloss und seinen Daumen langsam über ihr Handgelenk gleiten ließ.

Zum Glück enthielt ihre Freundin sich eines Kommentars. „Ich sehe lieber mal nach, was Tommy im Arbeitszimmer treibt“, verkündete sie stattdessen. „Sagt mir Bescheid, wenn ihr bereit seid … die Handlung nach draußen zu verlegen.“

Nachdem sie die Küche verlassen hatte, herrschte plötzlich Stille im Raum. Callie versuchte, ihre Nervosität zu ignorieren, und lächelte Joe an.

„Ich meine es ernst, Joe. Ich bin dir wirklich sehr dankbar. Und so erleichtert, weil es endlich vorbei ist.“

„Ich auch. Es hat mich einige schlaflose Nächte gekostet.“

„Mich auch“, gestand sie. „Ich kann das nie wieder gutmachen.“

„Wenn es die Schatten unter deinen Augen vertreibt, betrachte ich die Schuld als beglichen.“ Er sah sie an. „Deine Augen haben wirklich eine ungewöhnliche Farbe. Es ist das Erste, was mir an dir aufgefallen ist.“

„Danke“, erwiderte sie, weil ihr nichts Besseres einfiel.

„Stiefmütterchenblau.“

Callie krauste die Nase. „Schön.“

„Ja, das sind sie.“

Nun verstärkte er den Griff und zog sie näher an sich. Gleichzeitig umfasste er mit der anderen Hand ihren Nacken. Diese fühlte sich rau und vernarbt an. Sie hatte gelesen, dass Scharfschützen oft solche Hände hatten. Vor einigen Wochen hatte sie im Internet recherchiert, um sich ein besseres Bild von Joe Russo machen zu können, weil er ihr so wenig über seine Vergangenheit erzählt hatte.

„Diese verdammten Mails waren nicht das Einzige, was mich wach gehalten hat“, sagte er rau.

Dann neigte er den Kopf, gab ihr jedoch Zeit, sich von ihm zu lösen. So viel Zeit, dass sie sich ihm schließlich näherte. Er stöhnte leise und stand auf. Sie erhob sich ebenfalls von ihrem Barhocker. Er schob die linke Hand in ihr Haar, während er sie mit der rechten enger an sich zog. Sehnsüchtig schmiegte sie sich an ihn, als er sie leidenschaftlich zu küssen begann.

Sofort sehnte sie sich nach mehr. Am liebsten hätte sie ihm das Hemd ausgezogen, die Hose, die Stiefel und …

„Callie!“

Als Callie zurückzuckte und über die Schulter blickte, sah sie, dass Tommy auf der Schwelle stand und sie beide entrüstet und vorwurfsvoll zugleich betrachtete. Sein Hund kam schwanzwedelnd in die Küche gelaufen.

„Mom hat gesagt, ihr würdet noch reden. Aber ihr küsst euch.“

„Stimmt“, bestätigte Joe amüsiert.

Tommy stemmte die Hände in die Hüften. „Und wann seid ihr fertig?“

Joe warf Callie einen ironischen Blick zu. „Wollen wir unser … Gespräch später fortsetzen? Irgendwo, wo keine Kinder und Hunde hinkommen.“

„Abgemacht.“

„Gut, Junge. Hol deine Jacke und deinen Bumerang, dann gehen wir raus.“

2. KAPITEL

Als Joe nach draußen trat, atmete er tief die kalte, klare Luft ein. Nach den ungewöhnlich hohen Temperaturen in Sydney freute er sich fast genauso über das Wetter hier wie über die Versuche von Tommy dem Schrecklichen, seinen Bumerang fliegen zu lassen – und über dessen erstaunliche Ausführungen über nicht ballistische Waffen.

„Dad sagt, wenn man ihn richtig wirft, trotzt er der Schwerkraft, solange er schnell genug ist, und die Rotation bringt ihn direkt zu dir zurück“, fügte der Junge hinzu.

„Klingt so, als hättest du die Theorie verinnerlicht. Möchtest du sie in die Praxis umsetzen?“

„Ja!“

Der nette Inhaber des Kunsthandwerkgeschäfts, in dem Joe den Bumerang gekauft hatte, hatte kurzerhand ein Geschlossen – Schild ins Schaufenster gehängt und war mit ihm zu einem Fußballplatz in der Nähe gegangen, wo er ihm beigebracht hatte, wie er den Bumerang werfen musste.

Der Garten der Familie Ellis war zwar viel kleiner als ein Fußballplatz, aber groß genug für Tommys Kraft und Wurftechnik. Joe hockte sich neben ihn und zeigte ihm, was er gelernt hatte. Beim ersten Versuch landete der Bumerang prompt im schneebedeckten Gras. Beim zweiten flog er haarscharf an der Schnauze des Welpen vorbei. Beim dritten flog er nach rechts und kehrte tatsächlich zurück.

„Joe! Er kommt zurück!“

„Das sehe ich.“

In seinem Eifer wäre Tommy fast über den Welpen gestolpert, als er den Bumerang wieder auffing. Joe lehnte sich gegen die Gartenmauer und beobachtete ihn beim Werfen. Er war ein toller Junge.

Damals hatte er Zweifel gehegt, als er hörte, dass Brian Ellis seinen Sohn mit nach Italien genommen hatte. Als Geschäftsführer von Ellis Aeronautical Systems, dem wichtigsten Vertragspartner für die weiterentwickelte Bordelektronik eines Transportflugzeugs, die die drei Männer in Italien getestet hatten, hatte er seinen Sohn zusammen mit dessen Kindermädchen oft mit ins Ausland genommen. Leider hatte dieses sich in Italien den Knöchel gebrochen.

Joe glaubte nicht an Glück, so wie viele Männer und Frauen in seinem Beruf. Man zog alle Möglichkeiten in Betracht, hatte immer einen Plan B und verließ sich auf seinen Instinkt und seine Erfahrung, um sich aus brenzligen Situationen herauszumanövrieren. Er war der lebende Beweis dafür, dass dieses Konzept funktionierte … zumindest meistens. Wenn er in den Spiegel blickte, sah er allerdings den Beweis für Curaçao und dafür, dass sein Instinkt ihn ein einziges Mal im Stich gelassen hatte.

Doch selbst er musste zugeben, dass in Italien viel Glück im Spiel gewesen war. Dawn McGill hatte für eine Weile die Rolle des Kindermädchens für Tommy übernommen. Und er war Callie Langston begegnet.

Es war keine Liebe auf den ersten Blick gewesen. Wie vermutlich die meisten Männer war er zuerst eher von der langbeinigen blonden Kate und der lebhaften rothaarigen Dawn fasziniert gewesen – bis Callie den Kopf gewandt und ihn aus jenen veilchenblauen Augen angesehen hatte. Doch erst als er beobachtete, wie sie ihre Reaktion auf jene E-Mails zu verbergen versuchte, war sein Interesse erwacht.

Dann war offensichtlich gewesen, dass Brian und Dawn sich zueinander hingezogen fühlten. Und Kate und Travis hatten wieder zusammengefunden. Und der Playboyprinz hatte Callie Avancen gemacht. Das hatte ihn mehr aufgebracht, als es der Fall hätte sein dürfen, und ihn veranlasst, über Dinge nachzudenken, die er seit Curaçao verdrängt hatte. Darüber, wie es wäre, zu jemandem nach Hause zu kommen. Überhaupt ein Zuhause zu haben. Und vielleicht, nur vielleicht, einen Sohn wie Tommy.

Plötzlich ungeduldig, stieß Joe sich von der Mauer ab. „Wir gehen gleich rein, Tommy.“

„Noch nicht“, protestierte der Junge. „Ich werde immer besser.“

„Doch. Ich möchte weiter mit Callie reden. Außerdem müsste dein Dad bald kommen, und wenn du dich jetzt verausgabst, kannst du es ihm nicht mehr zeigen.“

„Okay. Nur noch ein paar Würfe.“

„Nur einen“, widersprach Joe in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, „dann ist Schluss.“

In der Wohnküche, in der ein Kaminfeuer wohlige Wärme verbreitete, saßen Dawn und Callie sich bei einem Cappuccino gegenüber und beobachteten die beiden durch die Erkerfenster.

Sie hatten erst Brian und danach ihre Freundin Kate angerufen, um ihr von Joes Erfolg zu berichten. Kate hatte vor Freude und Erleichterung gejubelt und darauf bestanden, dass sie an diesem Abend alle zusammen feierten, bevor Joe wieder verschwand, um für irgendeinen Prominenten Bodyguard zu spielen. Travis und sie würden Champagner mitbringen, Dawn und Callie sollten sich um das Essen kümmern.

Das hatten sie mit einem weiteren Anruf bei Paoli, einem hervorragenden Restaurant mit mediterraner Küche in der Nähe, getan und Tapas und Paella bestellt.

„Joe kann wirklich gut mit Tommy umgehen“, bemerkte Dawn beiläufig.

Zu beiläufig. Callie kannte diesen Tonfall. Sie trank einen Schluck Cappuccino und wartete. Und tatsächlich kam die Freundin gleich zur Sache.

„Komm schon, Cal. Tommy meinte, ihr hättet euch geküsst?“

Callie ließ den Becher sinken. „Ich weiß nicht. Na ja … Du kennst Joe ja genauso lange wie ich.“

„Aber offensichtlich nicht so gut.“

Callie lächelte und schnitt dann ein Gesicht. „Ich kenne ihn nicht so gut, wie es vielleicht den Anschein hat. Abgesehen davon, dass er nicht über seine Vergangenheit reden kann – oder will –, ist er nicht besonders gesprächig.“

„Wem sagst du das! Doch zurück zu dem Kuss. Es war nicht der erste, oder?“

„Nein. Warum fragst du?“

„Nun spiel nicht die Unschuldige. Willst du eine Wiederholung?“

Darauf gab es nur eine Antwort. „Ja.“

„Halleluja! Höchste Zeit, dass du den Sprung wagst.“

„Warte! Ich stürze mich nicht in eine …“

„Richtig. Ich kann die Typen gar nicht zählen, mit denen Kate und ich dich in den letzten Jahren verkuppeln wollten. Nach jedem Date hast du dein rätselhaftes Mona-Lisa-Lächeln aufgesetzt und sie in die Wüste geschickt. Joe ist der erste Mann, bei dem du Nachschlag willst.“

„Dawn“, protestierte Callie lachend und verlegen zugleich, weil ihre Freundin ins Schwarze getroffen hatte. „Es war nur ein Kuss. Allerdings …“

„Allerdings was?“

Callie spielte mit ihrem halb leeren Becher. Sie wusste nicht, warum es ihr widerstrebte, Dawn von ihrem albernen Wunsch zu erzählen, denn bisher hatten sie sich immer alles anvertraut. Nach kurzem Zögern tat sie es doch. „Erinnerst du dich noch, wie wir drei zum ersten Mal Münzen in den Trevibrunnen geworfen haben?“

„Natürlich tue ich das. Doch du Zicke wolltest dir ja nichts wünschen. Du sagtest, du seist damit der Tradition gefolgt und wir würden eines Tages nach Rom zurückkehren.“

„Ich habe mir etwas gewünscht.“

„Und es hatte mit Joe zu tun“, erriet Dawn prompt.

„Wie sollte es das? Wir haben ihn schließlich erst eine Woche später in Venedig kennengelernt. Der Wunsch war ziemlich … fantasievoll.“

„Reden wir von sexuellen Fantasien?“

Autor

Merline Lovelace
Als Tochter eines Luftwaffenoffiziers wuchs Merline auf verschiedenen Militärbasen in aller Welt auf. Unter anderem lebte sie in Neufundland, in Frankreich und in der Hälfte der fünfzig US-Bundesstaaten. So wurde schon als Kind die Lust zu reisen in ihr geweckt und hält bis heute noch an.
Während ihrer eigenen Militärkarriere diente...
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