Ein Nachbar zum Frühstück

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Wie erkennt man Mr. Perfect? Mit dem Männertest! Ob Jolanthes neuer Nachbar David den besteht? Kaum hat sie sich auf ein prickelndes Liebesabenteuer mit ihm eingelassen, trifft er sich plötzlich mit anderen Frauen. Ist sie einem eiratsschwindler ins Netz gegangen?


  • Erscheinungstag 17.08.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733786434
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Wie meistens, wenn sie abends ausgehen wollte, war Jolanthe ein wenig zu spät dran und dennoch wild entschlossen, pünktlich zu sein. Nach einem letzten Blick in den Spiegel schlüpfte sie hastig in ihre Jacke, griff nach Tasche und Schlüsselbund, kurvte schwungvoll um einen der noch nicht ausgepackten Umzugskartons im Flur und trat aufatmend hinaus ins Treppenhaus. Immerhin hatte sie noch mindestens zehn Minuten Zeit für den Weg ins „Casanova“.

Erst als sie bereits die Tür hinter sich abgeschlossen hatte, bemerkte Jolanthe die weinende Frau. Die hübsche, zierliche Blondine lehnte neben der gegenüberliegenden Wohnungstür an der Wand und schluchzte leise vor sich hin. Über ihre Wangen liefen Sturzbäche von Tränen, gegen die ihre Fingerspitzen und auch der Handrücken, der gelegentlich zum Einsatz kam, nicht viel ausrichten konnten.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, erkundigte Jolanthe sich unsicher.

Die blonde Frau schüttelte den Kopf und weinte noch heftiger.

„Wohnen Sie hier? Haben Sie vielleicht Ihren Schlüssel ver…“ Jolanthe stockte. Keine erwachsene Frau heulte sich die Augen aus dem Kopf, nur weil sie ihren Schlüssel verloren hatte.

„Es geht um einen Mann, nicht wahr?“ Mitfühlend betrachtete Jolanthe die traurige Frau.

Dieses Mal war ein Nicken die Antwort.

Natürlich! Mit einem tiefen Seufzer kramte Jolanthe ein Päckchen Papiertaschentücher aus den Tiefen ihrer Handtasche und reichte es der Frau.

„Die Männer sind es nicht wert, glauben Sie mir! Jedenfalls die meisten von ihnen nicht.“ Obwohl sie sich selber darüber wunderte, war Jolanthe mit ihren achtundzwanzig Jahren und trotz einiger übler Erfahrungen noch nicht bereit, die Hoffnung auf die große Liebe völlig aufzugeben. Vielleicht geschah ja eines Tages ein Wunder und plötzlich stand vor ihr – der Mann, der weder egozentrisch noch unsensibel und schon gar nicht lieblos war, sondern von allem genau das Gegenteil und noch ein bisschen mehr.

In diesem Moment öffnete sich die Wohnungstür neben der Blondine, und ein Mann betrat die Bildfläche. Sobald die Frau ihn sah, schluchzte sie noch einmal herzzerreißend auf und zog dann mit zitternden Fingern ein Taschentuch aus dem Päckchen, um sich vorsichtig die Augen abzutupfen.

Jolanthe schnappte nach Luft. Jetzt versuchte diese arme, irregeleitete Frau auch noch, dem Mann, der offenbar schuld an ihrem Elend war, den Anblick ihrer Tränen zu ersparen!

„Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben!“, fuhr sie den Kerl an, der es nicht einmal für nötig hielt, eine schuldbewusste Miene zu zeigen.

„Es ist gut, dass sie weint, das wirkt befreiend“, sagte er und lächelte Jolanthe freundlich an, während er der blonden Frau die Hand auf den Rücken legte und sie sachte in Richtung Treppe schob.

Jolanthe öffnete den Mund, bekam aber vor lauter Empörung keinen Ton heraus. Dieser Mann war ein Monster, und dabei sah er wirklich nett aus mit seinen dunkelblonden, ein wenig zerzausten Haaren und den brombeerfarbenen Augen. Wie sehr ein Lächeln doch täuschen konnte!

Als er mit der armen Frau die Treppe erreicht hatte, beugte er sich aus seiner Höhe von mindestens einsneunzig zu ihr hinunter, flüsterte ihr ein paar Worte zu und trat einen Schritt zurück, während sie tapfer nach dem Treppengeländer griff. Noch einmal wandte ihm die Blondine ihr verweintes Gesicht zu, lächelte ihn dankbar an und begann langsam die Treppen hinunterzusteigen, während sie immer noch leise vor sich hin schluchzte.

„Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass Sie die Ärmste in diesem Zustand einfach gehen lassen!“ Endlich hatte Jolanthe sich so weit gefasst, dass sie in der Lage war, einen Satz zu bilden.

„Sie wohnt ganz in der Nähe. Es ist gut für sie, wenn sie in ihrer vertrauten Umgebung ist. Machen Sie sich keine Sorgen. Es ist wirklich alles in Ordnung.“ Der Mann, bei dem es sich wohl leider um ihren Wohnungsnachbarn handelte, streifte Jolanthe fast schüchtern mit seinem Blick, sah wieder weg, fuhr sich nervös mit der Hand durchs Haar, das daraufhin noch wirrer in seine Stirn fiel, und lächelte sie so strahlend an, dass es für einen Moment in dem eher schlecht beleuchteten Treppenhaus deutlich heller zu werden schien.

Jolanthe fühlte sich in allem bestätigt, was sie bisher in ihrem Leben gelernt und erfahren hatte. Männer waren nun einmal so: Sie übernahmen niemals die Verantwortung für das, was sie anrichteten, und wollten schon gar nicht die Tränen sehen, die ihretwegen flossen. Lieber flirteten sie auf Teufel komm raus mit der nächsten Frau, die ihren Weg kreuzte, um sie ebenso hastig abzuservieren, sobald sie ihnen lästig wurde.

„Gar nichts ist in Ordnung!“, fauchte sie den Mann mit den Brombeeraugen an, der daraufhin sichtlich zusammenzuckte. „Aber das interessiert Sie natürlich nicht im Geringsten. Dafür sind Sie ja ein Mann, nicht wahr?“

Für kurze Zeit herrschte Schweigen zwischen ihnen, dann versuchte dieser Kerl es doch tatsächlich wieder mit seinem Lächeln, das man unter anderen Umständen als entwaffnend hätte bezeichnen müssen. Zum Glück wusste Jolanthe aber längst, dass allerhöchste Vorsicht geboten war, und wandte rasch den Blick ab.

„Ich finde, wir sollten diesen Fall nicht weiter diskutieren. Das wäre indiskret“, sagte er mit jener warmen, ruhigen Stimme, die sie an das Märchen vom Kreide fressenden Wolf und den sieben Geißlein erinnerte und auf die sie natürlich ebenso wenig hereinfiel wie auf sein falsches Lächeln.

„Indiskret? Aha!“ Jolanthe legte alle Ironie, derer sie fähig war, in ihre Stimme und in ihren Blick.

Er tat natürlich, als wüsste er nicht einmal, wie man das Wort Ironie schreibt, und nickte nur ernst. Dann kam er mit ausgestreckter Hand auf sie zu.

„Sie sind meine neue Nachbarin, nicht wahr?“

Jolanthe nickte steif und verkniff sich ein „Leider“.

„Ich freue mich. Vor Ihnen lebte ein sehr, sagen wir, griesgrämiger und vor allem lärmempfindlicher älterer Herr in Ihrer Wohnung. Er fühlte sich von allem und jedem gestört. Selbst ganz leise Musik ließ ihn regelmäßig schimpfend vor meiner Tür auftauchen.“

„Wer weiß, ob ich Ihren Musikgeschmack teile“, sagte Jolanthe, ohne auch nur den Anflug eines Lächelns zu zeigen, und übersah krampfhaft seine ausgestreckte Hand, was aber nur funktionierte, weil sie in seine Augen starrte, die unversehens noch dunkler geworden waren, während er sie prüfend betrachtete.

„Ich denke, wir werden uns gut verstehen“, entschied er dann ausgesprochen selbstherrlich, wie sie fand. „Mein Name ist David. Da wir beide weder alt noch griesgrämig sind, finde ich, wir sollten uns ruhig duzen.“

Jolanthe verdrehte die Augen. Jetzt wurde er auch noch plump vertraulich! Dass sie selber nicht viel von Förmlichkeiten hielt und eigentlich all ihre Kollegen und Bekannten duzte, vergaß sie in diesem Moment vorsichtshalber.

„Sie können doch überhaupt nicht wissen, ob wir uns verstehen werden! Ich habe da jedenfalls so meine Zweifel“, teilte sie ihrem Wohnungsnachbarn streng mit und marschierte an ihm vorbei in Richtung Treppe.

Bevor sie den Fuß auf die oberste Stufe setzte, drehte sie sich noch einmal um. „Möglicherweise stört mich Ihre Musik tatsächlich nicht, ich halte es aber für wenig wahrscheinlich, dass es mich auf Dauer begeistert, wenn Sie weinende Frauen aus Ihrer Wohnung bugsieren und hinaus auf die Straße scheuchen.“

„Sie weinen nicht alle“, teilte er ihr lächelnd mit. „Jolanthe ist übrigens ein schöner Name. Er passt zu deinen, äh, Ihren Augen.“ Er seufzte leise, wahrscheinlich um deutlich zu machen, dass er ihre Ziererei wegen des Duzens lästig fand. Leider kam Jolanthe sich deshalb sofort ziemlich zickig vor. Und sie hasste Zicken!

„Ich habe dir meinen Namen gar nicht genannt.“ Sie sah ihn starr an und presste die Lippen aufeinander. Wenn er sich einbildete, sie würde ihn fragen, was er mit seiner komischen Bemerkung über ihren Namen und ihre Augen sagen wollte, hatte er sich getäuscht.

Sein Blick ging in Richtung des kleinen Messingschilds, das sie an ihrer Tür angebracht hatte. „Ich war neugierig.“

„Das ist dein Problem“, erklärte sie ihm, warf hoheitsvoll den Kopf in den Nacken und stöckelte auf ihren hohen Absätzen die Treppe hinunter.

Hinter sich hörte sie einen Knall und einen unterdrückten Aufschrei, als wäre ihr Nachbar mit Schwung gegen seine Wohnungstür gerannt. Was ihm nur allzu recht geschehen wäre.

Wegen des Zwischenfalls im Treppenhaus betrat Jolanthe das „Casanova“ eine geschlagene Viertelstunde zu spät. Dennoch war Sina noch nicht da. Miriam hingegen, die immer überpünktlich war, hatte bereits ein leeres Weinglas vor sich stehen.

„Gut, dass du endlich kommst!“, begrüßte sie die Freundin aufgeregt. „Wir müssen uns unbedingt noch absprechen, welche Themen wir heute Abend auf keinen Fall erwähnen dürfen.“

„Das ist doch im Grunde ganz klar.“ Nachdem sie Miriam einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte, ließ Jolanthe sich auf die gepolsterte Bank fallen, von der aus sie fast den ganzen Raum überblicken konnte. „Der Name Bernd wird keinesfalls über meine Lippen kommen.“

„Selbstverständlich nicht!“ Miriam machte eine ungeduldige Handbewegung. „Wir dürfen aber auch nicht von Bratkartoffeln reden.“

„Bratkartoffeln?“ Höchst irritiert ließ Jolanthe die Speisekarte sinken, die sie jedes Mal aufs Neue studierte, obwohl sie ohnehin immer das Gleiche bestellte.

„Er hat einmal für sie gekocht. Bratkartoffeln mit Leberkäse. Wusstest du das nicht?“

„Nein, das wusste ich nicht. Bratkartoffeln?“ Jolanthe schüttelte sich so heftig, dass ihr das dunkelbraune Haar in die Augen fiel. „Wie entsetzlich unromantisch! Sina kann wirklich froh sein, dass sie den Kerl los ist.“

„Na ja, Bratkartoffeln sind immer noch besser als nichts. Wann hat für dich denn zuletzt ein Mann gekocht?“

Grübelnd legte Jolanthe die Stirn in Falten. „Ich glaube … Ich weiß nicht …“

„Na siehst du!“, triumphierte Miriam und senkte nach einem Blick auf ihre Armbanduhr sofort wieder die Stimme. „Wir sollten also unter allen Umständen die Erwähnung von Bratkartoffeln vermeiden.“

Ergeben nickte Jolanthe. Fettige Kartoffelscheiben gehörten sowieso nicht zu ihren bevorzugten Gesprächsthemen. „Da kommt sie übrigens.“

Sie hatte Sina an der Garderobe entdeckt, wo sie gerade ihren Mantel auszog.

„Und Kuba“, flüsterte Miriam hastig.

„Wieso Kuba?“ Jolanthe runzelte die Stirn.

„Sie wollten doch im Herbst gemeinsam nach Kuba fliegen.“

Ein letztes Mal nickten die beiden Freundinnen einander zu, während sich ihnen die Dritte im Bunde quer durch das Lokal näherte.

Jolanthe, Miriam und Sina waren seit über fünfzehn Jahren, seit ihrer gemeinsamen Zeit im Reitverein, enge Freundinnen. Mittlerweile hatten sie alle das Reiten aufgegeben, aber dafür trafen sie sich an jedem Mittwochabend im „Casanova“, einem schicken Restaurant mit Bar.

An diesem Freitagabend handelte es sich um eine außerplanmäßige Krisensitzung, die Sina einberufen hatte. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass Bernd, der Mann, den sie noch in der vergangenen Woche als die große Liebe ihres Lebens bezeichnet hatte, neben ihr noch zwei andere Frauen reihum mit seiner Zuneigung beglückt hatte.

„Er ist ein Schuft und keine einzige Träne wert“, begrüßte Miriam die Freundin, als diese endlich den Tisch erreichte.

„Vergiss ihn! Sofort! Dieser Kerl sollte keine einzige deiner Gehirnzellen beschäftigen, nicht eine einzige!“ Jolanthe reichte Sina ein Papiertaschentuch, das diese dankbar annahm. Wie gut, dass sie an diesem Abend einen größeren Taschentuchvorrat bei sich hatte!

Erst nachdem Sina sich die Augen abgetupft und die Nase geputzt hatte, ließ sie sich auf der Polsterbank nieder.

„Ihr habt ja so Recht!“, seufzte sie und griff gierig nach der Karte. „Ich brauche heute das kalorienreichste Gericht, das die Küche hier hergibt!“

„Wenn es hilft.“ Verständnisvoll sah Jolanthe zu, wie Sina in der Speisekarte blätterte und leise vor sich hin murmelte, während sie die Namen der angebotenen Gerichte las.

„Er hatte seine guten Seiten“, schluchzte Sina eine Stunde später, nachdem sie ihren Teller geleert, die Sahnesauce mit einem Stück Weißbrot aufgetunkt und ein üppiges Dessert bestellt hatte. „Wenn ich allein daran denke, wie er für mich gekocht hat!“

„Das sollte selbstverständlich sein“, stellte Jolanthe streng fest. „Wie oft hast du denn für ihn gekocht, wenn er bei dir war?“

„Ich weiß nicht. Sehr oft. Aber Männer sind da nun mal anders. Die meisten können doch gar nicht kochen.“ Ungeduldig griff Sina nach dem Dessertlöffel und stürzte sich auf ihre Karamellcreme mit Sahnehäubchen.

„Ich finde aber, wir haben einen Mann verdient, der kochen kann. Schließlich können wir auch kochen, jedenfalls einigermaßen.“ Jolanthe nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas und sah Sina neidlos dabei zu, wie sie die Creme verschlang. Süßes mochte Jolanthe nicht besonders, stattdessen wurde sie bei Salzgebäck und kleinen, delikaten Häppchen schwach.

„Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, wir haben einen Mann verdient, der nach dem Kochen die Küche blitzblank hinterlässt“, warf Miriam ein.

„Das hat er auch nicht gemacht“, bemerkte Sina mit vollem Mund. „Er hat nicht mal beim Geschirrabtrocknen geholfen.“

„Demnächst sollten wir viel strengere Maßstäbe anlegen, bevor wir uns mit einem Mann einlassen.“ Nachdenklich schob Jolanthe ihr Glas auf dem weißen Tischtuch hin und her.

„Wenn man frisch verliebt ist, ist man bereit, beide Augen zuzudrücken. Und wenn man dann endlich die Augen wieder aufmacht, stellt man fest, dass man schon wieder auf einen untreuen, unsensiblen Klotz hereingefallen ist. Es ist immer dasselbe Spiel.“ Miriam stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Er konnte wenigstens kochen. Also zumindest Bratkartoffeln“, warf Sina ein und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, bevor sie sich über den Rest ihres Desserts hermachte.

„Du magst doch eigentlich gar keine … äh … fetttriefenden Speisen.“ Jolanthe grinste über den Tisch hinweg Miriam an, denn schließlich hatten sie abgesprochen, das Wort Bratkartoffeln nicht in den Mund zu nehmen.

„Stimmt nun auch wieder!“ Zum Erstaunen ihrer beiden Freundinnen klang Sina plötzlich höchst vernünftig. Das Dessert hatte offenbar seine Wirkung getan.

„Es gibt einen Weg, wie wir uns vor künftigen Enttäuschungen schützen können“, sagte Jolanthe nach kurzem Überlegen. „Im Grunde ist es ganz einfach: Wir müssen die Männer testen, bevor wir uns auf sie einlassen.“

„Aber ich habe doch eben gesagt, dass das nicht klappen kann, weil man nicht ganz zurechnungsfähig ist, wenn man sich verliebt.“ Ungeduldig wedelte Miriam mit ihrer Serviette durch die Luft, weil der Kellner sie nicht beachtete.

„Dazu haben wir doch Freundinnen!“ Triumphierend sah Jolanthe sich am Tisch um. „Demnächst läuft es so: Jede von uns macht eine Liste der Eigenschaften, die ein Mann mitbringen sollte, mit dem sie eine Beziehung in Erwägung zieht. Und dann erfinden wir Testaufgaben, die er bestehen muss, um zu beweisen, dass er über genau diese Eigenschaften verfügt. Was bei Eignungstests im Berufsleben klappt, funktioniert auch bei Männern.“ Jolanthe arbeitete in der Personalabteilung eines großen Unternehmens.

„Wir können die Männer doch keine Fragebögen ausfüllen lassen! Außerdem würden sie sowieso alle lügen, selbst wenn es schriftlich wäre. Bernd zumindest kann lügen wie gedruckt.“ Sina suchte vergeblich nach einem frischen Taschentuch und nahm ihre Serviette zur Hilfe, um sich erneut die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.

„Wer redet denn von Fragebögen? Es gibt auch andere Möglichkeiten. Neulich in der Firma haben wir zum Beispiel in dem Zimmer, in dem die Bewerber warteten, immer wieder das Telefon klingeln lassen. Von demjenigen, der schließlich dranging, wussten wir schon mal, dass er die Initiative ergreifen kann.“ Jolanthe nickte nachdrücklich.

„Wie willst du denn die Männer dazu bringen, einen solchen Test mitzumachen? Da ergreifen die doch gleich die Flucht.“ Nachdem sie dem schwarz gelockten Aushilfskellner, der ihr ein frisches Glas Weißwein gebracht hatte, interessiert hinterhergesehen hatte, nippte Miriam genüsslich an ihrem kühlen Getränk.

„Wer sagt denn, dass die Männer etwas von dem Test wissen müssen?“ Jolanthe sah fragend in die Runde.

„Ja, aber …“

„Wie soll das denn gehen?“

„Genau wie die Sache mit dem Telefon. Die Bewerber wussten doch auch nicht, dass das ein Test war.“ Mit geheimnisvoll gesenkter Stimme fuhr Jolanthe fort: „Sobald eine von uns einen Kandidaten ins Auge gefasst hat, planen wir mit dem hoffnungsvollen Bewerber in aller Freundschaft ein gemeinsames Wochenende. Es ist schließlich ganz normal, dass wir die neue Liebe unseren Freundinnen vorstellen. Und von genau diesen Freundinnen wird er dann in Situationen gebracht, in denen wir feststellen können, ob er sich auf die gewünschte Art und Weise verhält. Er wird nicht die geringste Ahnung haben, was überhaupt vorgeht.“

Schlagartig schien Sina ihren Kummer vergessen zu haben. Mit leuchtenden Augen beugte sie sich vor. „Wir testen, ob er treu ist, ob er rücksichtsvoll ist, ob er … also meiner muss Tiere lieben. Das mit dem Test ist eine tolle Idee!“

„Nicht wahr?“ Jolanthe konnte sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen. „Hat eine von euch was zu schreiben mit? Dann machen wir schon mal eine provisorische Liste, wie die Männer sein müssen, die unsere Liebe verdienen.“

Als Jolanthe an diesem Abend nach Hause zurückkehrte, war es bereits nach Mitternacht. Sie hatte Mühe, in der Nähe des Hauses einen Parkplatz zu finden. Nachdem sie endlich ihren Mini in eine winzige Lücke bugsiert hatte, atmete sie erleichtert auf.

Trotz der späten Stunde traf sie vor der Haustür auf Frau Briegel, die ältere Dame, die im Erdgeschoss links wohnte und die zu den wenigen Mietern gehörte, welche Jolanthe seit ihrem Einzug vor zwei Tagen bereits kennen gelernt hatte.

„Das ist aber nett, Sie zu treffen!“, freute sich Frau Briegel, schüttelte enthusiastisch ihre ohnehin schon etwas wirre Dauerwelle und fuchtelte wild mit ihrem Hausschlüssel herum.

„Ja, heute ist es etwas später geworden.“ Jolanthe griff hastig nach dem Ellbogen ihrer älteren Nachbarin und hielt sie auf diese Weise davon ab, kopfüber in das Rosenbeet neben der Haustür zu fallen.

„Ich hoffe, Sie hatten einen so schönen Abend wie ich.“ Vertrauensvoll ließ Frau Briegel sich gegen Jolanthes Schulter sinken. „Agnes, meine gute, alte Freundin Agnes, hatte Geburtstag. Es war eine sehr schöne Feier! Agnes macht die beste Eierlikörtorte überhaupt. Und dann ihr Kirschlikördessert! Das ist einfach ein Gedicht!“

Das heftige Schmatzen, mit dem Frau Briegel sich an die Genüsse des Abends erinnerte, ließ Jolanthe argwöhnen, dass es neben den erwähnten alkoholgetränkten Speisen auch das eine oder andere Gläschen Likör extra gegeben hatte.

„Es ist immer wieder schön, mit Freundinnen zusammen zu sein, nicht wahr?“ Unauffällig schob Jolanthe Frau Briegel in Richtung Haustür und nahm ihr den Schlüssel aus der Hand, um aufzuschließen.

„Es war aber auch ein Herr dabei.“ Frau Briegel kicherte neckisch. „Ein neuer Nachbar von Agnes. Ich glaube, Agnes war ziemlich eifersüchtig, weil er mir so oft zugeprostet hat.“

Darauf wusste Jolanthe nichts zu sagen. Sich gegenseitig den Mann auszuspannen war zwischen ihr und ihren Freundinnen tabu.

„Sie haben auf Ihrer Etage doch auch einen sehr netten Nachbarn.“ Geheimnisvoll senkte Frau Briegel die Stimme. „Einen gut aussehenden noch dazu. Er ist noch zu haben, soweit ich weiß, aber für mich natürlich etwas zu jung.“

Jolanthe verkniff sich die Bemerkung, dass sie darauf verzichten konnte, die Nächste zu sein, die dieser angeblich so nette David aus seiner Wohnung bugsierte, damit sie sich woanders in Ruhe ausweinen konnte.

„Haben Sie denn zurzeit einen Freund?“, erkundigte sich Frau Briegel neugierig, nachdem Jolanthe sie fürsorglich ins Haus geführt hatte.

„Zurzeit nicht. Aber ich komme gut allein zurecht.“

„Keine Frau kommt gut allein zurecht, schon gar nicht in Ihrem Alter!“ Die Löckchen auf Frau Briegels Kopf tanzten wild durcheinander, als sie bekümmert den Kopf schüttelte. „Wer hängt Ihnen denn jetzt nach Ihrem Umzug die Bilder und die Lampen auf? Auf einen Handwerker können Sie ewig warten. Der kommt wegen solcher Kleinigkeiten gar nicht erst.“

„Das mache ich selber. Ich gehe zwar nicht gern mit Elektrizität um, aber zum Lampenaufhängen kann ich ja die Sicherung herausdrehen.“ Jolanthe versuchte, Frau Briegel unauffällig in die Nähe ihrer Wohnungstür zu schieben, die ältere Frau schien jedoch nicht sonderlich erpicht darauf zu sein, das interessante Gespräch zu beenden.

„So was muss ein Mann machen!“, ereiferte sie sich. „Ich werde mir demnächst eine neue Lampe kaufen, und dann werde ich den netten Herrn Jacob, den ich heute kennen gelernt habe, bitten, sie mir aufzuhängen. Das machen wir jetzt auch bei Ihrem netten, hübschen Nachbarn so!“

Erstaunlich flink marschierte Frau Briegel zur Treppe und war schon bis zum ersten Absatz gekommen, bevor Jolanthe überhaupt begriff, was sie vorhatte.

„Auf keinen Fall, Frau Briegel!“, rief sie entsetzt. „Es ist schon viel zu spät, und außerdem kann ich nicht von irgendeinem fremden Mann verlangen, dass er für mich arbeitet.“

Frau Briegel hatte beinahe schon den zweiten Treppenabsatz erklommen. „Er muss das ja nicht heute Nacht machen. Aber ich werde ihm schon mal sagen, dass es unhöflich von ihm wäre, Ihnen nicht zu helfen. Hicks.“ Selbst ein plötzlich einsetzender Schluckauf hielt Frau Briegel nicht davon ab, in rekordverdächtigem Tempo aufwärts zu streben.

„Es ist nach Mitternacht!“ Jolanthe setzte sich hastig in Bewegung, um die offenbar zu allem entschlossene Frau aufzuhalten.

„Er ist immer ganz lange auf. Da brennt oft um zwei Uhr nachts noch Licht. Wir wollen ja nur kurz mit ihm sprechen.“

„Ich will überhaupt nicht mit ihm sprechen. Frau Briegel, bitte!“ Voller Entsetzen nahm Jolanthe zwei Stufen auf einmal, um die viel ältere Frau einzuholen.

„Ihr jungen Frauen seid einfach viel zu emanzipiert. So klappt das nicht mit der Liebe.“ Frau Briegel schlug auf Jolanthes Hand, die sich von hinten auf ihren Arm gelegt hatte. Es war klar, dass sie nicht gewillt war, sich von ihrer Mission abbringen zu lassen.

„Wirklich … Das geht doch nicht …“ Noch einmal versuchte Jolanthe, ihre Nachbarin festzuhalten, und wieder setzte diese sich energisch zur Wehr.

Inzwischen hatte Frau Briegel Davids Tür erreicht und legte entschlossen den Finger auf den Klingelknopf.

Jolanthe zog kurzfristig in Erwägung, sich einfach in ihre eigene Wohnung zurückzuziehen, verwarf den Gedanken aber wieder, weil David dann womöglich glauben würde, sie sei mit Frau Briegels Aktion einverstanden.

Offensichtlich war David tatsächlich noch wach gewesen, denn er öffnete nach kurzer Zeit. Er trug die schwarzen Jeans und das blaue Hemd, die Jolanthe schon am frühen Abend an ihm gesehen hatte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sich in seinen Augen die Farben von Hemd und Hose zu jenem faszinierenden Schwarzblau zu mischen schienen, das an reife Brombeeren erinnerte. Dieser eitle Kerl wählte offenbar seine Kleidung mit großer Sorgfalt aus.

„Guten Abend, Frau Briegel“, sagte David freundlich und lächelte Jolanthe über den Kopf der alten Frau hinweg warm an.

„Ich habe nichts damit zu tun“, erklärte Jolanthe hastig. „Frau Briegel und ich sind uns unten an der Haustür begegnet. Und sie …“

„Lassen Sie mich das mal machen, Kindchen!“, unterbrach Frau Briegel sie energisch und immer noch mit ihrem Schluckauf kämpfend. „Ich sagte doch bereits, dass ihr jungen Frauen nichts davon versteht, wie man einen netten Mann auf sich aufmerksam macht.“

„Ich will ihn aber gar nicht auf mich aufmerksam machen!“ Jolanthes Augen schossen Blitze in Davids Richtung, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

„Ich bin schon längst auf meine schöne neue Nachbarin aufmerksam geworden, Frau Briegel“, gestand David sanft und streifte Jolanthe mit einem jener Blicke, die sie so sehr irritierten, dass sie jedes Mal schnell woanders hinsehen musste.

„Das ist gut!“, lobte Frau Briegel ihn hicksend. „Dann werden Sie ihr sicher gerne ein wenig bei der Einrichtung ihrer Wohnung zur Hand gehen. Bilder und Lampen müssen aufgehängt werden, es gibt so manches schwere Stück zu tragen. Das ist eine gute Gelegenheit, einander näher zu kommen!“

„Ich kann meine Lampen selbst aufhängen“, rief Jolanthe so laut, dass ihre Stimme durchs Treppenhaus hallte.

„Ich sagte, Sie sollen ruhig sein, Kindchen“, schimpfte Frau Briegel über die Schulter. „So kann das einfach nicht funktionieren.“

Autor

Elaine Winter

Elaine Winter ist in Hannover geboren und studierte Anglistik und Germanistik, nachdem sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau absolvierte. Von frühster Kindheit an hätte sie, vor die Wahl gestellt, eine Geschichte jeder Süßigkeit vorgezogen. Bevor sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben und Übersetzen zum Beruf machte, war sie im Kunsthandel, im Verlag...

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