Ein Offizier - und zärtlicher Verführer

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Kein Mann hat Eloise je so fasziniert wie der mutige Major Jack Clifton: stark, attraktiv, weltmännisch - und unglaublich galant. Auf dem Sommerball schwebt sie in seinen Armen im Walzertakt über das Parkett und wähnt sich im siebten Himmel! Doch die ernüchternde Erkenntnis folgt schon nach dem ersten Tanz: Sie darf Jack nicht lieben. Die Schatten ihrer Vergangenheit würden sie beide ins Verderben reißen …


  • Erscheinungstag 02.05.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716837
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Major Jack Clifton wischte sich mit einem schmutzigen Ärmel über die Stirn. Die Schlacht in der Nähe des Dorfes Waterloo wütete bereits seit den frühen Morgenstunden.

„Da“, rief Jacks Sergeant. „Da drüben ist Bonaparte!“

Ein unruhiges Raunen ging durch die Reihen der Soldaten.

„Richtig“, entgegnete Jack ungerührt. „Und Wellington ist genau hinter uns und beobachtet jede unserer Bewegungen.“

„Wohl wahr“, meinte der Sergeant grinsend. „Dann wollen wir dem Duke of Wellington zeigen, dass wir keine Angst vor den Franzmännern haben!“

Ein weiterer Kavallerieangriff erfolgte, wurde aber in einem Chaos von Schlamm und Verwirrung zurückgeschlagen. Jack sammelte seine Männer, wohl wissend, dass er die Stellung halten konnte, solange er die Fassung wahrte. Eine Gruppe Soldaten näherte sich ihm. Eilig trugen sie einen Verletzten auf einer Decke herbei.

„Es ist Lord Allyngham, Major“, rief einer der Männer, während sie ihre Last vorsichtig ablegten. „Eine Kanonenkugel hat ihn erwischt. Er wollte zu Ihnen gebracht werden.“

Der blutüberströmte Verletzte hob die Hand. „Clifton. Ist er hier?“

Jack ging neben ihm auf ein Knie und wandte schnell den Blick von seiner Schulter ab. „Ich bin hier, Mylord.“

„Ich kann … Sie nicht … sehen.“

Jack nahm seine Hand. „Hier bin ich, Tony.“

Seine ruhigen Worte schienen Lord Allyngham zu entspannen.

„Briefe“, flüsterte er. „In meiner Jacke. Sorgen Sie dafür, dass sie nach England kommen, Jack? Einer für meine Frau und einer für Mortimer, meinen … Nachbarn. Es ist … wichtig, dass sie sie bekommen.“

„Natürlich. Ich kümmere mich darum. Noch heute Abend werden sie mit der Depesche abgeschickt.“

„Danke.“

Jack sah zu dem Sergeanten auf. „Nehmen Sie ihn mit, Robert. Und holen Sie einen Wundarzt.“

„Nein.“ Der Griff um seine Hand wurde plötzlich stärker. „Wozu? Ich weiß, dass es um mich geschehen ist.“

„Unsinn. Der Knochenbrecher wird Sie zusammenflicken.“

Der trübe Blick Lord Allynghams schien einen Moment wieder klar zu werden. „Nicht genug übrig, das zusammengeflickt werden könnte“, stieß er atemlos hervor. „Nein, Jack, hören Sie mir zu! Eine Sache … meine linke Hand, habe ich noch …“

Jack nickte. „Ja, Tony.“

„Gut. Können Sie meinen Ring an sich nehmen? Und das Medaillon. Bringen Sie beides zu meiner Frau, ja? Persönlich, Jack. Den verflixten Boten will ich etwas so Kostbares nicht anvertrauen. Nehmen Sie sie an sich, mein Freund.“ Er biss die Zähne zusammen, als er trotz seiner Schmerzen ein Seidenband unter der Jacke hervorzerrte, an dem das Medaillon hing.

„Seien Sie unbesorgt, Tony. Ich überbringe beides persönlich.“ Jack löste den Ring behutsam vom kleinen Finger des Verletzten.

Allyngham nickte. „Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet.“ Er schloss die Augen. „Eloise ist eine gute Frau. So ergeben und treu. Hätte Besseres verdient. Sagen Sie ihr …“ Er brach ab und zuckte zusammen. „Sagen Sie ihr, sie soll glücklich werden.“

Jack steckte Ring und Medaillon in seine Tasche und knöpfte sie sorgfältig zu. „Das werde ich. Sie haben mein Wort darauf. Falls ich irgendetwas tun kann, um Lady Allyngham zu helfen, werde ich es tun.“

„Danke. Mortimer wird sich um sie kümmern, solange sie in Trauer ist. Doch danach haben Sie bitte ein Auge auf sie, Jack. Sie ist ein so unschuldiges kleines Ding.“

Schreie wurden laut. Jack hob den Kopf. In den wenigen Minuten hatte er das Toben der Schlacht kaum beachtet.

Allyngham öffnete die Augen. „Was ist?“

Um sie herum begannen die Männer zu jubeln.

„Die Franzosen ziehen sich zurück“, antwortete Jack mit erstickter Stimme.

Allyngham nickte und verzog die aufgesprungenen Lippen zu einem schwachen Lächeln. „Teufel, ich wusste, Wellington würde es schaffen.“ Er hob matt die Hand. „Gehen Sie jetzt, Major. Erfüllen Sie Ihre Pflicht. Meine Männer werden sich um mich kümmern.“

Der Fähnrich an seiner Seite nickte. „Wir passen auf ihn auf, Sir“, sagte er mit Tränen in den Augen. „Sie können sicher sein, dass wir ihn nicht allein lassen.“

Jack warf noch einen letzten Blick auf Allynghams schmerzverzerrtes Gesicht, erhob sich und folgte seinen Männern, um die fliehenden Franzosen zu verfolgen.

Im Salon von Allyngham Park stand Eloise an einer der hohen Terrassentüren und blickte auf den Garten hinaus. Doch die schöne Landschaft verschwamm vor ihren Augen. In der Hand hielt sie zwei Blatt Papier, die sie jetzt mit zitternden Fingern auf die Anrichte neben sich legte. Eloise holte das feuchte Taschentuch wieder hervor und trocknete sich notdürftig die Wangen.

„Mr Mortimer, Mylady.“

Bei der leisen Ankündigung des Butlers drehte sie sich um und bemerkte Alex Mortimer an der Tür. Sein von Natur aus heller Teint war blasser denn je, der Ausdruck in seinen Augen kummervoll.

„Du hast es gehört?“ Ihre Stimme klang erstickt.

„Ja.“ Er zog einen Brief aus der Jackentasche. „Ich kam herüber, sobald ich ihn erhielt. Es tut mir so unendlich leid.“

Mit einem leisen Aufschrei lief sie auf ihn zu und warf sich ihm an die Brust. „Oh, Alex, er ist tot“, schluchzte sie. „Was sollen wir nur tun?“

Er führte sie zum Sofa und half ihr, sich zu setzen. Eine ganze Weile saßen sie nur da, die Arme umeinander gelegt. Die Schatten wurden länger, und erst dann löste Eloise sich langsam von ihm.

„Es heißt in dem Brief, er sei gegen Abend gestorben und hätte noch erfahren, dass die Schlacht gewonnen war.“ Sie betupfte sich die Augen mit einem Ende ihrer Stola.

„Dann wusste er zumindest, dass sein Tod nicht umsonst sein würde.“ Alex wandte sich von ihr ab, um sich die Tränen von den Wangen zu wischen. „Ich bin von einem Major Clifton benachrichtigt worden. Er hatte Tonys letzten Brief an mich beigefügt.“

Eloise erhob sich, atmete tief ein, um sich zu fassen, und ging zu der Anrichte, wo sie ihren Brief hingelegt hatte. „Ja, hier steht derselbe Name. Er schreibt, Tony habe ihn gebeten, unsere Briefe weiterzuleiten.“ Sie schluckte mühsam. „Tony wusste, in welcher Gefahr er schwebte. Er … er schrieb, um sich von uns zu verabschieden.“

Alex nickte. „Er bittet mich, auf dich aufzupassen, bis du wieder heiratest.“

„Oh.“ Eloise verbarg das Gesicht in den Händen. „Ich werde nie wieder heiraten.“

„Aber Elle, das weißt du nicht“, sagte Alex sanft und ging zu ihr.

„Doch“, brachte sie schluchzend hervor. „Es kann in der ganzen Welt keinen so guten, freundlichen und großzügigen Mann geben wie Tony Allyngham.“

„Wie könnte ich dir da widersprechen?“ Er lächelte traurig. „Doch du bist so jung. Zu jung, um dich für immer hier auf Allyngham Park zu vergraben.“

Sie hielt Tonys letzten Brief hoch. „Er erinnerte mich daran, unsere Pläne für ein Waisenhaus voranzutreiben. Du weißt sicher noch, dass wir darüber sprachen, kurz bevor er nach Brüssel aufbrach.“ Sie seufzte. „Wie sehr es Tony doch ähnlich sieht, dass er selbst in der gefährlichen Lage, in der er sich befand, zuerst an andere dachte.“

Alex nahm ihre Hand. „Meine Liebe, du wirst nichts tun können, bevor nicht alle Formalitäten abgeschlossen sind. Als Nächstes musst du deinen Verwalter kommen lassen und auch alle anderen in Kenntnis setzen.“

„Ja, sicher.“ Sie drückte seine Hand. „Du wirst mir doch helfen, nicht wahr, Alex? Du verlässt mich nicht?“

„Nein, ich verlasse dich nicht“, beschwichtigte er sie. „Wie könnte ich? Mein Herz würde ja hierbleiben.“

1. KAPITEL

Über ein Jahr war seit der entscheidenden Schlacht bei Waterloo vergangen, und Jack Clifton kehrte endlich nach England zurück. Noch während er seine Kriegskameraden und die Armee hinter sich ließ, die ganze zehn Jahre sein Leben gewesen war, dachte er schon über die beiden Aufträge nach, die er sich auferlegt hatte. Erst danach würde er sich seinen eigenen Angelegenheiten widmen. Einer seiner Aufträge lautete, Allynghams Ring und Medaillon dessen Witwe zu übergeben, doch zuvor würde er einen kleinen Friedhof in Berkshire aufsuchen.

Das Dorf in der Nähe von Thatcham lag verlassen da. Niemand sah den staubbedeckten Reisenden zum Kirchhof reiten. Jack band sein Pferd am Torpfosten zum Friedhof fest und warf seinen Mantel über den Sattel. Der Regen, der ihn den ganzen Weg von der Küste bis hierher begleitet hatte, hatte nachgelassen, und nun schien die Julisonne heiß auf ihn herab. Zielbewusst schritt Jack zwischen den Gräbern weiter, bis er ein bestimmtes Grab erreichte, das im Schatten mehrerer Buchen lag und nur einen schlichten Stein aufwies. Erstaunt stellte Jack fest, dass keine Blumen auf dem Gras lagen.

„Keiner außer mir scheint deinen Tod zu beklagen“, flüsterte er und lächelte traurig.

Er kniete sich neben das Grab und legte einen Strauß weißer Rosen vor den Stein. „Ich bete darum, dass du jetzt deinen Frieden gefunden hast, Clara.“

Jack erhob sich, nahm den Hut ab und stand eine kleine Weile stumm in der warmen Sonne. Dann straffte er die Schultern, wandte sich ab und machte sich auf den Weg nach London.

Eloise packte den Arm ihres Begleiters unwillkürlich etwas fester, als sie den Empfangssalon von Lady Parham betraten.

„Ich bin sehr froh, dass du bei mir bist, um mir Mut zu geben, Alex.“

„Dir hat es nie an Mut gefehlt, Elle.“

Bevor Eloise etwas erwidern konnte, kam ihre Gastgeberin bereits strahlend auf sie zu. „Meine liebe Lady Allyngham! Ich bin entzückt, Sie begrüßen zu dürfen. Manche hätten schon früher mit Ihrem Besuch in der Stadt gerechnet. Aber ich wusste, Sie wollten erst abwarten, bis die ganzen zwölf Monate der Trauerzeit vorüber sind. Von der Witwe eines Helden von Waterloo konnten wir auch kaum weniger erwarten. Und Mr Mortimer. Willkommen, Sir.“

Lady Parhams kleine Augen fixierten Alex kurz. Eloise ahnte, welche Gedanken ihrer Gastgeberin durch den Kopf gingen, und musste einen Anflug von Ärger unterdrücken. Fast jeder in der Stadt dachte, Alex sei ihr Liebhaber, und nichts, was sie sagen könnte, würde die Leute vom Gegenteil überzeugen. Also machte sie sich gar nicht erst die Mühe. Ganz abgesehen davon, störte sie es nicht, wenn die ganze Welt glaubte, sie sei Alex’ Geliebte. Solange allgemein angenommen wurde, dass sie unter seinem Schutz stand, würden ihr die verhassten Annäherungsversuche anderer Männer erspart bleiben. Mehr als einen Flirt nahm man sich bei ihr nicht heraus.

Zwölf Monate waren vergangen seit Tonys Tod, und die Gefühle der Trauer und Verzweiflung von damals hatten sich allmählich gelegt. Während jener ersten einsamen Wochen war Alex immer da gewesen, um sie zu stützen und wie ein wahrer Freund den Schmerz mit ihr zu teilen. Sie waren gemeinsam aufgewachsen, und sie liebte ihn wie einen Bruder. Eigentlich gefiel es ihr nicht, die Welt glauben zu lassen, er sei ein respektloser Herzensbrecher, doch er versicherte ihr stets aufs Neue, dass es ihm schmeichelte, als ihr Galan zu gelten.

„Wenn es ihre Neugier befriedigt, sollten wir es zulassen“, hatte er gesagt und hinzugefügt: „Es ist so viel harmloser als die Wahrheit, Elle.“

Eloise begrüßte Lady Parham, entschlossen, den Eindruck einer glücklich verliebten Frau zu vermitteln. „Mr Mortimer war so freundlich, mich zu begleiten.“

„Aber meine Liebe, Sie brauchen doch keine Begleitung zu meinen Gesellschaften. Sie werden nur Freunde antreffen.“

„Die Art von Freunden, die einem ins Gesicht lächeln und über einen herfallen, sobald man ihnen den Rücken zukehrt“, sagte Eloise leise, nachdem sich die Gastgeberin dem nächsten Neuankömmling zugewandt hatte.

„Sie sind neidisch, weil du sie alle in den Schatten stellst“, bemerkte Alex.

„Ich hatte nicht geglaubt, dass es mir so schwerfallen würde, mich wieder unter Menschen zu mischen“, meinte Eloise seufzend.

„Wir können immer noch nach Allyngham Park zurückkehren.“

„Nichts lieber als das, Alex. Aber ich muss Tonys Wunsch erfüllen und dafür sorgen, dass ein Waisenhaus gebaut wird.“ Sie drückte Alex’ Arm und lächelte. „Aber ich übertreibe. Natürlich möchte ich nicht mein ganzes Leben lang von der Gesellschaft ausgeschlossen auf dem Land verbringen müssen. Ich bin keine Einsiedlerin, Alex. Ich möchte nach London reisen und auch wieder tanzen, das Theater besuchen oder einen Debattierklub. Nichts davon könnte ich jedoch unternehmen, wenn du nicht bei mir wärst, mein Freund.“

„Natürlich könntest du das, wenn du eine respektable Gesellschafterin einstellen wolltest.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das würde mir zwar Achtbarkeit verleihen, aber ich wäre dennoch schutzlos. Schlimmer noch, man würde vielleicht sogar glauben, ich sei auf der Suche nach einem neuen Gatten.“

„Und was wäre daran so falsch?“

„Alles“, entgegnete sie heftig. „Ich bin zu lange meine eigene Herrin gewesen, um das ändern zu wollen.“

„Aber du könntest dich verlieben, weißt du.“

Sie sah ihn an und erwiderte sein Lächeln. „Ja, aber sehr wahrscheinlich ist es nicht.“ Wieder drückte sie seinen Arm. „Ich habe erfahren, was aufrichtige Ergebenheit und Zuneigung bedeuten, Alex. Nur wenn ich einem Mann begegnen würde, dem ich zutiefst zugetan wäre, könnte ich mich zu einer zweiten Ehe durchringen. Doch eine solche Partnerschaft ist sehr selten, glaube ich.“

„Das ist wahr“, stimmte Alex ihr wehmütig zu. „Jemanden so zu lieben und zu wissen, dass man auf die gleiche Weise geliebt wird, ist das größte Glück auf Erden.“

Eloise schwieg einen Moment und dachte über seine Worte nach. „Ich könnte mich nicht mit weniger zufriedengeben“, fuhr sie dann leise fort und lächelte ihm zu. „Doch das sind ernste Gedanken und passen nicht zu einem Abend, an dem wir uns unterhalten wollen. Ich möchte dir nur sagen, mein Freund, wie froh ich bin, dich als Beschützer zu haben.“

Er tätschelte ihr den Arm. „Ich werde immer für dich da sein.“ Und nachdem er sich im Raum umgesehen hatte, fügte er hinzu: „Ich kann Berrow nirgendwo erblicken.“

„Nein, ich auch nicht. Dabei war ich so sicher, wir würden ihm hier begegnen. Immerhin ist Lord Parham ein alter Freund von ihm. Ach, zum Kuckuck mit dem Mann! Warum ist er so schwer zu fassen?“

„Du könntest ihm schreiben.“

„Mein Anwalt hat ihm in den vergangenen sechs Monaten ständig geschrieben, ohne Erfolg“, antwortete sie bedrückt. „Also muss ich unbedingt selbst mit ihm sprechen.“

„Bis dahin kannst du versuchen, dich gut zu unterhalten“, schlug Alex vor. „Möchte Mylady heute Abend tanzen?“

„Das weißt du doch, Alex. Ich sehne mich schon seit Monaten danach, wieder zu tanzen.“

Er verbeugte sich schwungvoll vor ihr. „Darf ich bitten, Mylady?“

Alex Mortimer war ein hervorragender Tänzer. Eloise genoss jeden Moment mit ihm. Zwar würde sie selbstverständlich keinen Walzer mit ihm tanzen, um sich nicht die Missbilligung der ganzen Gesellschaft zuzuziehen. Gleichzeitig fragte sie sich verärgert, warum es ihr etwas ausmachte. Mit einem Mann Walzer zu tanzen, stand schließlich in keinem Verhältnis zu dem, was man ihr sonst gemeinhin nachsagte. Schon wenige Wochen nach ihrem Erscheinen in London nannte man sie die „Flatterhafte Witwe“ – ein Spitzname, den sie hasste.

Als Lord Anthony Allyngham seine schöne junge Braut der Londoner Gesellschaft vorgestellt hatte, waren sich alle einig gewesen – er war ein Mann, der sich glücklich schätzen konnte, da er einen wahren Schatz gefunden hatte. Und er wusste ihn auch wohl zu behüten. Dass man sie jetzt für fähig hielt, das Andenken ihres Gatten zu beschmutzen, schmerzte Eloise ebenso wie die allgemeine Annahme, sie hätte ihn bereits in den Jahren betrogen, als er noch auf der Iberischen Halbinsel gekämpft hatte. Doch da die Wahrheit sogar noch unerhörter war, sahen Alex und sie sich gezwungen, den Schein aufrechtzuerhalten.

Die Ankunft der wunderschönen Lady Allyngham war mit großer Ungeduld erwartet worden. Schon bald war Eloise von einer Schar bewundernder Gentlemen umgeben. Sie verteilte ihre Gunst gleichmäßig, schenkte dem einen über den Rand ihres Fächers einen Blick, während ein zweiter ihr geschmacklose Komplimente ins Ohr flüsterte und ein dritter, das Monokel am Auge, angab, das Anstecksträußchen an ihrem Ausschnitt zu bewundern.

Eloise lächelte und wusste geschickt, allzu vertrauliche Annäherungen zu verhindern. Obwohl sie bereits fünfundzwanzig Jahre zählte, schienen die Herren begeistert von ihr zu sein. Sie hatte nichts gegen einen harmlosen Flirt einzuwenden. Alex würde schon dafür sorgen, dass niemand ihr zu nahe trat.

Insgeheim gestand Eloise sich ein, dass die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde, berauschend war. Sie lachte und tanzte den ganzen Abend lang. Als Alex vorschlug, das Souper einzunehmen, lief sie aufgeregt vor ihm aus dem Ballsaal und fächelte sich unermüdlich Luft zu, um ihr erhitztes Gesicht zu kühlen.

„Du liebe Güte, ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich solche Abende genieße. Aber ich bin ganz aus der Übung! Vielleicht hätte ich jenes dritte Glas Champagner lieber nicht … oh!“ Sie brach ab, als sie an der Tür mit jemandem zusammenstieß.

Ihr verblüffter Blick fiel auf einen Herrn, von dem sie zunächst jedoch nur den stattlichen Oberkörper, gehüllt in einen eleganten Frackrock, wahrnahm. Es handelte sich um einen sehr hochgewachsenen Gentleman, da sie, obwohl sie selbst recht groß war, ihm gerade bis zum schneeweißen, in perfekte Falten gelegten Krawattentuch reichte. Langsam hob sie den Blick und sah sein markantes Kinn und den sinnlichen Mund. Einen Moment konnte sie sich nicht von dem Anblick dieser fein geschwungenen Lippen mit den kaum merklichen Lachfältchen um die Mundwinkel losreißen. Es war der schönste Mund, den sie je gesehen hatte. Ein nie gekanntes Gefühl durchfuhr sie, und fast erschrocken begriff sie, was es war: Verlangen.

Entschlossen sah sie auf und begegnete einem amüsierten Blick aus zwei dunkelbraunen Augen unter dichten schwarzen Brauen. „Ich bitte um Vergebung, Ma’am.“

Er sprach langsam und mit einer tiefen, angenehm klangvollen Stimme, die Eloise unwillkürlich erschauern ließ.

„Dafür gibt es keinen Grund, Sir.“

„Oh, ich denke schon, Lady Allyngham.“

Genüsslich lauschte sie seiner wohlklingenden Stimme, stutzte aber, als er ihren Namen nannte. „Sie wissen, wer ich bin?“

Er lächelte, und Eloise fragte sich erneut, ob sie zu viel Champagner getrunken hatte, da ihr plötzlich so schwindlig wurde.

„Man beschrieb Sie mir als die schönste Frau im Saal.“

Bisher war sie gegen Schmeicheleien jeder Art immun gewesen, doch diese Worte erfreuten sie übermäßig. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte oder enttäuscht, Alex’ Hand an ihrem Ellbogen zu spüren.

„Wollen wir weitergehen, Mylady?“

„Ja“, antwortete sie, den Blick immer noch auf den faszinierenden Fremden gerichtet. „Ja, das müssen wir wohl.“

Ihr war ein wenig benommen zumute. Wie viele Gläser Champagner hatte sie denn nur getrunken?

Der Fremde trat beiseite. Sein schwarzes Haar schimmerte im Licht der Kerzen, eine Locke fiel ihm in die Stirn, als er sich knapp verbeugte. Eloise unterdrückte die Regung, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen.

Alex führte sie entschlossen aus dem Saal und durch den Empfangssalon bis zum Speiseraum.

„Wer ist er?“, fragte sie mit einem verstohlenen Blick zurück. Der Mann beobachtete sie immer noch.

„Ich weiß es nicht.“ Alex trat mit ihr an einen Tisch. „Aber du solltest vorsichtig sein, Eloise. Mir ist aufgefallen, wie er dich angesehen hat. Das war reine, unverhohlene Begierde.“

Sie seufzte. „Die meisten Männer schauen mich auf diese Weise an.“

„Dafür bin ich ja da“, meinte Alex lachend. „Um dich zu beschützen.“

Nachdem sie gespeist hatten, bat Eloise: „Schau, ob du etwas über Lord Berrow herausfinden kannst, Alex. Falls du erfahren solltest, dass er heute Abend überhaupt nicht zu kommen beabsichtigte, brauchen wir nicht viel länger zu bleiben. Obwohl ich glaube, du musst deine Pflicht erfüllen und mit einigen der anderen Damen tanzen.“

„Muss das sein?“

Seine Miene brachte Eloise zum Lachen. „Ja, das muss sein, Alex. Du darfst nicht den ganzen Abend an mir kleben. Die jungen Damen haben mir schon giftige Blicke zugeworfen, weil ich dich mit Beschlag belege. Mach dir wegen mir keine Gedanken. Ich habe mehrere Bekannte entdeckt, mit denen ich mich gern unterhalten würde.“

Nachdem er gegangen war, schlenderte Eloise lächelnd durch den Raum, blieb aber bei niemandem stehen und nahm auch keine Aufforderung zum Tanz an. Unermüdlich sah sie sich um, jedoch nicht auf der Suche nach einem ihrer Bekannten, sondern nach dem dunkelhaarigen Fremden.

Plötzlich war er an ihrer Seite. „Möchten Sie mit mir tanzen, Mylady?“

Sie zögerte. „Wir sind einander noch nicht vorgestellt worden, Sir.“

„Ist das von Bedeutung?“

Lächelnd reichte sie ihm die Hand. „Nein, ganz und gar nicht.“

Er führte sie aufs Parkett, wo sich gerade eine neue Tanzformation bildete.

„Ich dachte, Sie würden Ihrem Wachhund niemals entkommen.“

„Mr Mortimer ist ein sehr guter Freund, kein Wachhund. Er schützt mich vor unwillkommenen Aufmerksamkeiten.“

„Ach? Soll ich daraus schließen, dass meine Aufmerksamkeiten nicht unwillkommen sind?“

Eloise zögerte. Das Gespräch bewegte sich zu schnell in eine Richtung, die sie in Verlegenheit brachte. Vorsichtig antwortete sie: „Ich denke, ein solcher Schluss wäre recht anmaßend von Ihnen.“

Sein Lächeln vertiefte sich, und er beugte sich etwas weiter vor. „Und dennoch wiesen Sie die letzten vier Gentlemen ab, die Sie um einen Tanz baten.“

„Diesen Gentlemen hatte ich bereits zuvor einen Tanz geschenkt. Und etwas Abwechslung ab und zu gefällt mir nun mal.“ Sie lächelte ihm zu, als die Tanzfigur sie trennte, während er ihr amüsiert nachblickte.

„Und gefällt es Ihnen, mit mir zu tanzen, Mylady?“, fragte er, als sie ihre Hände wieder in seine legte.

„Für den Augenblick, ja“, antwortete sie leichthin.

„Ich stimme Ihnen völlig zu“, meinte er. „Auch ich stelle mir angenehmere Dinge vor, mit denen wir uns die Zeit vertreiben könnten.“

Eloise errötete heftig und war erleichtert, als sie wieder getrennt wurden und sie keine Antwort auf diese unerhörte Bemerkung zu finden brauchte. Sie fragte sich, ob es klug gewesen war, mit diesem Fremden zu tanzen. Seine Wirkung auf sie war sehr beunruhigend. Er brauchte nur zu lächeln, und sie benahm sich wie ein naives Schulmädchen! Das musste sofort aufhören, bevor sie sich zu sehr in seinen Bann ziehen ließ. Als die Musik endete, machte Eloise einen angedeuteten Knicks und trat zur Seite. Ihr Tanzpartner folgte ihr.

„Ich bin zwar eine ganze Weile nicht mehr in der Stadt gewesen“, sagte er, „aber ist es nicht immer noch üblich, zwei Tänze mit einem Herrn zu tanzen?“

Sie hob unwillkürlich das Kinn. „Ich möchte Ihrer Eitelkeit nicht neue Nahrung geben, Sir. Ein Tanz reicht, bis Sie mir vorgestellt worden sind.“ Sie öffnete ihren Fächer, schenkte dem Fremden ein letztes Lächeln und ging weiter.

Alex wartete bereits auf sie. „Unser Gastgeber sagte mir, Lord Berrow habe sich für heute Abend entschuldigt. Er ist gar nicht in der Stadt. Allerdings erwartet Parham ihn morgen auf der Soiree der Renwicks.“

„Wie lästig. Hätten wir das gewusst, hätten wir nicht zu kommen brauchen.“ Sie hakte sich bei ihm ein. „Lass uns aufbrechen.“

„Bist du sicher? Du wirst so viele Herren enttäuschen, wenn du jetzt gehst. Sie hoffen alle, wenigstens einen Tanz mit dir zu bekommen.“

Eloise zuckte die Achseln. Da sie nicht mit ihrem aufregenden Fremden tanzen konnte, wollte sie mit niemandem tanzen. Sie beschäftigte sich eingehend damit, sich ihre durchsichtige Stola um die Schultern zu legen, um Alex’ Blick nicht begegnen zu müssen. „Was ist geschehen, Elle? Mir gefällt deine ausweichende Art gar nicht. Hat dein letzter Tanzpartner etwas zu dir gesagt, das dich bekümmert hat?“

„Nein, nein.“ Sie winkte ab. „Er war nur eine nette Ablenkung für mich, mehr nicht.“

„Er schien von dir aber sehr angetan zu sein.“

„Glaubst du?“, fragte sie ihn ein wenig zu eifrig.

Alex runzelte die Stirn. „Wäre es denn wichtig für dich?“

Hastig wandte Eloise den Blick ab. „Nein, natürlich nicht. Es ist nur sehr schmeichelhaft. Er war recht amüsant.“

Nachdenklich betrachtete Alex den hochgewachsenen Fremden, der einige Meter entfernt an der Wand lehnte und zu ihnen herüberblickte. „Ich denke eher“, sagte er leise, „dass dieser Mann sehr gefährlich sein könnte.“

„Zum Teufel!“

Jack sah Lady Allyngham an Mortimers Arm davongehen.

Es hätte ihn keine große Mühe gekostet, Parham darum zu bitten, ihn der Dame vorzustellen. Das war ja auch seine Absicht gewesen, als er heute hier erschien. Doch dann hatte er Eloise Allyngham gesehen, und ihr Anblick hatte jede seiner Absichten, ob nun gut oder böse, aus seinem Gedächtnis verbannt.

Ein Jahr war es nun her, dass Allyngham ihm das Medaillon anvertraut hatte, und das winzige Porträt darin war ihm sehr vertraut geworden. Trotzdem hatte es ihn völlig aus der Fassung gebracht, dem Original selbst zu begegnen. Das Bild deutete die Schönheit der üppigen blonden Locken an, die ihr Gesicht umrahmten. Doch es hatte ihn nicht auf ihr strahlendes Lächeln vorbereiten können, ebenso wenig wie auf den humorvollen Blick und die Intelligenz in ihren dunkelblauen Augen.

Heute war es lediglich seine Absicht gewesen, Lady Allyngham die Dinge zu übergeben, die ihr Gatte ihm anvertraut hatte, um sich dann unauffällig wieder zurückzuziehen. Dann war er mit ihr zusammengestoßen, und als sie zu ihm aufschaute, war ihm der Zweck seines Besuchs entfallen. Und er hatte der Versuchung nicht widerstehen können, mit ihr zu flirten, ihre Wangen auf so bezaubernde Weise zum Erröten zu bringen.

Nun, das kleine Zwischenspiel mochte ja sehr angenehm gewesen sein, aber er hatte eine Pflicht zu erfüllen. Entschlossen suchte er seine Gastgeberin auf.

„Lady Allyngham?“, fragte sie recht irritiert. „Mein lieber Major, ich würde Sie ja herzlich gern mit ihr bekannt machen, wenn es in meiner Macht stünde. Aber sie ist gegangen.“

„Gegangen!“

„Nun ja. Sie verabschiedete sich vor wenigen Minuten. Mr Mortimer wollte sie zur Dover Street begleiten.“ Sie schenkte ihm ein listiges Lächeln. „Und er ist wirklich ein sehr aufmerksamer Begleiter.“

Heftige Enttäuschung durchfuhr Jack. Was gewiss nur an seinem Wunsch lag, endlich Allynghams Ring und Medaillon zurückzugeben, um dann London verlassen zu können. Doch in seinem Innersten war ihm klar, dass er Eloise Allyngham unbedingt wiedersehen musste.

Jack verließ die Gesellschaft Lady Parhams und begab sich in die St. James’ Street, wo er ein imposantes weißes Gebäude betrat, in dem sich „White’s“, einer der exklusivsten Herrenklubs Londons, befand. Es herrschte Hochbetrieb. Jack blieb eine Weile an einem Tisch stehen, um eine besonders lebhafte Spielrunde Hazard zu verfolgen. Später schlenderte er durch das Kartenspielzimmer und begegnete mehreren Bekannten, von denen einige früher am Abend auch bei Lady Parham gewesen waren. Eine Gruppe Gentlemen spielt gerade Bassett, doch einer von ihnen sah auf und winkte ihm zu.

„Genug vom Tanzen, Clifton?“

Jack lächelte. „So ungefähr, Renwick.“

Charles Renwick war ein alter Freund. Neben ihm saß Edward Graham, ein Freund seines Vaters, doch die übrigen Gentlemen kannte Jack nicht. Mit Ausnahme des Kartengebers: Sir Ronald Deforge, ein stämmiger Mann mit fahlem Gesicht und Pomade im Haar. Jack unterdrückte ein Gefühl des Abscheus. In diesem Moment sah Sir Ronald auf, blickte Jack unter halb gesenkten Lidern an und verzog die Lippen herablassend. Als Jack zögerte, sprach ihn ein Herr mit rosigen Wangen und buschigem roten Backenbart an.

„Die Schlacht auf der Tanzfläche kann genauso höllisch sein wie eine echte Belagerung, was, Major? Nun, machen Sie sich nichts daraus. Setzen Sie sich und spielen Sie mit.“

„Genau. Wir sind hier, um uns gegenseitig zu trösten“, erklärte Mr Graham. „Kommen Sie schon, Deforge, teilen Sie endlich aus!“

„Ach?“ Jack gab dem Diener ein Zeichen, ihm etwas zu trinken zu bringen.

„Natürlich. Was nützte es, noch bei den Parhams zu bleiben, wenn Lady Allyngham nicht mehr da war?“ Edward Graham betrachtete stirnrunzelnd sein Blatt. „Ich hatte gehofft, sie später zu einem Tanz überreden zu können, und fand heraus, dass sie heimlich hinausgeschlüpft war.“

Jack bemühte sich, nicht mehr als leises Interesse zu zeigen.

„Wie es scheint, war Major Clifton der Einzige von uns, dem die Gunst eines Tanzes zuteil wurde“, bemerkte Sir Ronald.

Der Gentleman mit dem roten Backbart gab Jack einen leichten Stoß in die Rippen. „Stimmt, Sir Ronald hat recht, Major. Sie Glückspilz! Wie haben Sie das angestellt, Mann? Sind Sie gut mit ihr bekannt?“

„Nein, überhaupt nicht“, erwiderte Jack. Er nahm seine Karten auf. „Ich weiß nur sehr wenig über die Dame.“

„Ah, die ‚Göttliche Allyngham‘.“ Jacks Nachbar hob das Glas wie zu einem Toast. „Ganz London liegt ihr zu Füßen. Welcher Mann möchte eine solche Frau nicht sein eigen nennen? Wir alle sind ihre Sklaven. Doch sie schenkt uns nur einen Tanz und ab und zu die Gelegenheit zu einer Ausfahrt, mehr nicht. Und weiß uns mit leichter Hand dorthin zu lenken, wo es ihr beliebt. Selbst Sir Ronald hier ist ganz bezaubert von ihr, nicht wahr?“

Sir Ronalds Miene verdüsterte sich einen Moment lang, doch er antwortete nur gleichgültig: „Sie ist zweifellos eine Schönheit.“

„Es heißt, sie würde sich mit nichts weniger als einem Herzog königlichen Geblüts zufriedengeben“, warf ein Herr in dunkelbrauner Weste schmunzelnd ein. „Die Damen sehen es allerdings nicht gerne, wenn ihre Gatten über eine andere Frau in Verzückung geraten. Sie haben sie die ‚Flatterhafte Witwe‘ getauft.“

„Wohl wahr“, meinte Mr Graham seufzend. „Ich wünschte nur, sie wäre noch ein wenig flatterhafter, dann stünden die Chancen für mich vielleicht etwas besser.“

Er erntete lautes Gelächter, das von gutmütigen Verwünschungen unterbrochen wurde, sobald Sir Ronald sein Blatt offenbarte und den Gewinn einstrich. Neue Karten wurden ausgeteilt, und die Diener eilten herbei, um die Gläser der Herren nachzufüllen.

„Wo hat Allyngham sie nur gefunden?“, fragte Jack, gegen seinen Willen vom Thema gefesselt.

„Sie war eine arme Verwandte, glaube ich“, antwortete Graham. „Hat damals ganz schön viel Staub aufgewirbelt, als Allyngham sie heiratete. Die Familie hatte erwartet, er würde eine großartige Partie machen.“

„Auch als er sie nach London brachte, gab es viel Wirbel“, bemerkte Renwick, während er seinen Einsatz machte. „Wir waren alle hingerissen von ihr, aber Allyngham war vorsichtig. Er sorgte dafür, dass niemand zu vertraut wurde mit seiner Braut.“

„Abgesehen von Alex Mortimer allerdings“, fügte einer der Spieler hinzu.

„Das ist nicht überraschend.“ Beim Blick auf sein Blatt schnitt Edward Graham eine Grimasse und warf seufzend eine Karte ab. „Er ist ein Nachbar und enger Freund von Allyngham. Er war es auch, der dessen Frau in die Stadt begleitete, während der in Spanien kämpfte.“

„Ist die Katze aus dem Haus …“, sagte Sir Ronald leise. „Und jetzt, da Allyngham tot ist, denken Sie, Mortimer beabsichtigt, dessen Platz einzunehmen?“

„Würde mich nicht wundern, wenn er ein Auge auf die Witwe geworfen hätte“, meinte Charles Renwick. „Abgesehen von dem Titel, der mit Allynghams Tod erloschen ist, erbt die Dame alles, wie ich höre.“

„Als Treuhandfonds, nehme ich an?“ Deforge legte seine Münzen zu den übrigen.

„Nein“, antwortete Mr Graham. „Offenbar kann sie über das Vermögen und den Besitz frei verfügen.“

„Was sie nur noch begehrenswerter macht, was, Deforge?“, sagte Jack leichthin.

Sir Ronald hielt kurz inne. „Was zum Teufel meinen Sie damit, Clifton?“

Gespanntes Schweigen setzte ein. Ohne mit der Wimper zu zucken, begegnete Jack Deforges finsterem Blick. „Ich könnte mir denken, dass Sie darauf aus sind, Ihr Vermögen aufzustocken.“

Deforge zuckte die Achseln. „Kein vernünftiger Mann nimmt sich eine bettelarme Braut.“

„Ihre erste Frau war nicht bettelarm“, fügte Jack mit rauer Stimme hinzu. „Wie ich höre, ist von ihrem Vermögen nichts mehr übrig. Nur das Haus in Berkshire, und auch das würden Sie verkaufen, wenn es nicht mit Hypotheken belastet wäre.“

Ein unangenehmes Lächeln erschien um Sir Ronalds Lippen. „Aus Ihnen spricht lediglich der abgewiesene Verehrer, Clifton.“

„Gentlemen, Gentlemen, das gehört alles der Vergangenheit an“, rief der Herr mit dem Backenbart. „Wenn Sie streiten möchten, begeben Sie sich woanders hin, und lassen Sie uns andere unser Spiel genießen!“

„Genau, lasst uns spielen“, fügte Charles Renwick hastig hinzu. „Teilen Sie schon aus, Deforge.“

Jack neigte zustimmend den Kopf. Nach einem letzten wütenden Blick in seine Richtung wandte Deforge seine Aufmerksamkeit wieder dem Spiel zu. Es dauerte nicht lange. Das Glück war auf der Seite des Kartengebers. Sobald die letzte Karte ausgespielt war, sammelte Sir Ronald seinen Gewinn ein und ging.

Charles Renwick bat um ein neues Kartenspiel. „Du hast ihm ziemlich zugesetzt“, sagte er zu Jack. „Verdammt, warum musstest du seine tote Frau erwähnen?“

„Weil ich nicht glaube, dass ihr Tod ein Unfall war.“

Charles Renwick legte ihm die Hand auf den Arm. „Lass es gut sein, mein Freund. Es ist so viele Jahre her. Was hast du davon, noch darüber zu grübeln?“

Jack ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Wie sollte er vergessen, dass das Mädchen, das er hatte heiraten wollen, die Liebe seines Lebens, tot war?

Das nächste Spiel begann, und eine Weile sagte niemand etwas. Jack spielte mechanisch, in Gedanken immer noch bei Deforge. Er hasste den Mann, weil er ihm die Frau gestohlen hatte, die er liebte. Aber war das gerecht von ihm? Clara hatte frei wählen können. Und es gab keinen Beweis dafür, dass sie unglücklich gewesen wäre. Jack versuchte, sich zu fassen. Clara war tot, daran konnte er nichts ändern. Es wurde Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen.

„Es stimmt aber schon, dass Deforges Taschen leer sind.“

Die Worte eines der Spieler riss Jack aus seinen Gedanken.

„Sollte es ihm gelingen, die Göttliche Allyngham zu heiraten, kann er seine Sorgen vergessen“, meinte der Mann mit dem roten Backenbart.

„Sie wird ihn nicht nehmen“, warf Jack mit Nachdruck ein.

„Oho! Was wissen Sie, Clifton?“

Jack schüttelte den Kopf. Bei der Vorstellung, dieses wunderschöne Geschöpf könnte Sir Ronald heiraten, drehte sich ihm förmlich der Magen um. „Wenn die Dame reich und unabhängig ist, wie Sie behaupten, wird sie es nicht nötig haben, einen Mann von Deforges Kaliber zu heiraten.“

„Vielleicht glauben Sie, sie würde einen schönen Offizier bevorzugen“, sagte Mr Graham schmunzelnd. „Sollten Sie sich auch an der Witwe versuchen wollen, Clifton, wünsche ich Ihnen viel Glück.“

„Da brauche ich wohl mehr als das“, erwiderte Jack lächelnd. „Wir sind einander noch nicht vorgestellt worden.“

Der Backenbart lachte dröhnend. „Und trotzdem hat sie mit Ihnen getanzt? Unverschämter junger Hund!“

„Wenn du ihr vorgestellt werden willst, mein Junge, dann komm zu der kleinen Soiree, die meine Frau morgen Abend gibt“, sagte Renwick. „Sie wird dich mit der Witwe bekannt machen.“

„Danke, die Einladung nehme ich gern an.“

„Ich wette allerdings, dass Mortimer Ihnen nicht erlauben wird, diese Zitadelle zu stürmen“, meinte Mr Graham. „Renwick hat recht. Alex Mortimer will sie selbst heiraten. Sein Gut grenzt an die Ländereien Allynghams. Ich wette meinen Kopf, er möchte die beiden Güter gern miteinander vereinen.“

Jack nahm eine neue Karte auf. Das Gespräch gefiel ihm nicht, er wusste aber, dass er mit jedem neuen Einwand nur den Verdacht erwecken würde, er sei eifersüchtig.

„Das mag ja seine Absicht sein, aber was meint die Dame dazu?“, bemerkte Renwick und klopfte Jack gutmütig auf die Schulter. „Wie man hört, hat unser Major hier einen recht guten Ruf beim schönen Geschlecht in Frankreich genossen, ganz zu schweigen von dem Aufruhr, den er unter den Schönheiten Spaniens und Portugals angerichtet hat, wie man munkelt.“

Graham lachte. „Ja, aber unsere Göttliche Witwe ist anders. Man könnte sagen, Mortimer hat sich bereits bei ihr eingenistet. Und er wird wohl seine Interessen zu schützen wissen.“

Jack legte sein Blatt ab. „Ich bin fertig, Gentlemen.“

Autor

Sarah Mallory
Schon immer hat die in Bristol geborene Sarah Mallory gern Geschichten erzählt. Es begann damit, dass sie ihre Schulkameradinnen in den Pausen mit abenteuerlichen Storys unterhielt. Mit 16 ging sie von der Schule ab und arbeitete bei den unterschiedlichsten Firmen.
Sara heiratete mit 19, und nach der Geburt ihrer Tochter entschloss...
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