Eine Familie zum Verlieben

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EIN LEBENSRETTER ZUM VERLIEBEN

Dr. Ben Ross’ erster Arbeitstag in der Praxis endet dramatisch: Er rettet dem Sohn seiner neuen Kollegin Kat das Leben und wird dabei verletzt! Glück im Unglück: Kat nimmt ihn in ihrer kleinen Familie auf. Fast, als hätte sie nur auf ihn gewartet …

EINE FAMILIE FÜR DR. EVANS?

Seine maskuline Ausstrahlung ist so unwiderstehlich wie damals - Emilys Herz macht einen Satz! Fünf Jahre Trennung liegen hinter ihr und Dr. Oliver Evans, weil er ihren Traum von einer Familie nicht teilte. Wie soll es nur werden, mit Oliver auf der Entbindungsstation zu arbeiten?

ERFÜLLE MEINEN HERZENSWUNSCH

Aus tiefem Koma erwacht Janey - und blickt in die sanften Augen von Dr. Luke Bresciano! Ist er der Grund, warum ihr Herz plötzlich schneller schlägt? Und was wird der gut aussehende Arzt sagen, wenn er erfährt, warum sie zu ihm nach Crocodile Creek zurückgekehrt ist?

UNSER KIND MUSS LEBEN!

Alles will Jodi tun, um das Leben ihres Sohnes zu retten! Auch wenn sie den Mann anflehen muss, den sie früher so geliebt und dann verlassen hat, weil er Gefühle nicht zuließ und nur seine Arbeit kannte: Dr. Mitch Maitland - Jamies Vater, der nichts von Jamie ahnt …

WIE SPUREN IM SAND

Ist Lachlan der Richtige für sie? Eloise hat das wilde Rauschen der Brandung in den Ohren, als er sie am Strand in seine Arme zieht und zärtlich küsst. Hier, an der Küste Cornwalls ist sie sich plötzlich ganz sicher: Lachlan ist der Mann ihres Lebens. Doch eigentlich soll die junge Gerichtsmedizinerin mit ihm gemeinsam einen mysteriösen Mordfall aufklären. Als dann die Ermittlungen auf einmal eine unerwartet persönliche Wende nehmen, bekommt Eloise dennoch Zweifel …


  • Erscheinungstag 30.04.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716684
  • Seitenanzahl 650
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Josie Metcalfe, Marion Lennox, Lilian Darcy, Sue Mackay, Melanie Milburne

Eine Familie zum Verlieben

IMPRESSUM

Ein Lebensretter zum Verlieben erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2006 by Josy Metcalfe
Originaltitel: „A Family To Come Home To“
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN
Band 15 - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Ralf Kläsener

Umschlagsmotive: GettyImages_Jelena Danilovic

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733729882

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

„Er ist da“, sagte die Stimme am Telefon etwas atemlos und mit einem ungewohnt aufgeregten Unterton.

Katriona, von allen nur Kat genannt, unterdrückte ein Grinsen über den Versuch ihrer Empfangsdame Rose, verschwörerisch zu flüstern. Offensichtlich stand der Bewerber, den sie ankündigen wollte, ganz in ihrer Nähe. Auf jeden Fall schien er sie mächtig beeindruckt zu haben, durch sein Auftreten, seine guten Manieren oder sein Aussehen.

„Darauf kommt es mir nicht in erster Linie an“, dachte Kat. Würde sie wieder nur ihre Zeit verschwenden? Sie brauchte vor allem einen erfahrenen, qualifizierten und verlässlichen Kollegen, der bereit war, ihr einen Teil der Arbeit in der Praxis abzunehmen.

„Dann bitte ihn herein, Rose“, schlug sie vor. Hoffentlich war ihr nicht anzuhören, dass sie auch von diesem Gespräch wenig erwartete.

Wie viele Vorstellungsgespräche hatte sie in den vergangenen Tagen geführt? Sie wusste es nicht mehr. Es hatten sich eine ganze Reihe von Bewerbern vorgestellt, aber würde der vorerst letzte Kandidat nicht genauso schnell wie die anderen kein Interesse mehr an dem Job haben, wenn er erst einmal herausfand, wie schwierig die Lage in der Praxis war und wie viel Arbeit ihn dort erwartete?

Als es an der Tür klopfte, setzte sie sich aufrecht hin und rang sich ein geschäftsmäßiges Lächeln ab.

„Herein!“, rief sie – und erwartete, zuerst Roses immer fröhliches, mütterliches Gesicht zu sehen, bevor sie die Tür ganz öffnete und den Besucher hineinführte. Aber es trat ein großer, hagerer Mann ein, den eine Aura von Düsterkeit und Trauer umgab. „Es kann also nicht sein Charme gewesen sein, der Rose so beeindruckt hat“, dachte Kat.

„Ihre Mitarbeiterin am Empfang hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, sie müsse sich noch um die O’Gormans kümmern“, sagte der Mann mit etwas rauer Stimme, wobei er die Tür hinter sich schloss.

Eine Sekunde lang war Kat versucht, ihm zu sagen, er möge die Tür offen lassen. Eine seltsame Spannung lag seit seinem Eintritt in der Luft. Kat verspürte so etwas wie Beklemmung.

„Bitte … setzen Sie sich doch, äh, Dr. …“ Sie deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Jetzt war ihr auch noch der Name ihres Besuchers entfallen, was ihr außerordentlich peinlich war.

„Ross, Benjamin Ross.“ Er schaute Kat ganz ruhig an. „Normalerweise nennt man mich Ben.“

Er hat grüne Augen, stellte Kat verwundert fest. Ungewöhnliche Augen, die von dichten dunklen Wimpern umgeben waren. Als er die Augenbrauen leicht hochzog, wurde Kat klar, dass sie ihn unbewusst angestarrt hatte.

„Also gut, Dr. Ross … äh, Ben …“, stammelte Kat, während sie verzweifelt versuchte, ihre Nerven unter Kontrolle zu bekommen.

„Bleiben wir bei Ben … das ist einfacher“, sagte er ohne besondere Betonung. Aber seine Hand, mit der er die Informationsbroschüre über die Praxis, die ihm Rose wohl gegeben hatte, umklammerte, machte deutlich, dass er nicht so ruhig war, wie es auf den ersten Blick schien.

„Nun, Ben“, fuhr Kat fort. „Was wissen Sie über die Situation hier in Ditchling?“

„Wenn Sie danach fragen, ob ich Ihre Anzeige in einer Fachzeitschrift gelesen habe, muss ich Sie enttäuschen. Ich war nicht auf der Suche nach einem Job“, meinte er trocken. „Ich hörte von einem Freund Ihres verstorbenen Mannes, dass Sie Unterstützung brauchen.“

„Das stimmt“, sagte sie fast tonlos. Ein scharfer Schmerz ließ sie einen Moment lang verstummen. Sie holte tief Atem. „Richard ist vor knapp einem Jahr an Leukämie gestorben, nur drei Wochen, nachdem die Krankheit bei ihm diagnostiziert worden war.“

Erstaunt stellte sie fest, dass ein dunkler, quälender Schatten die Augen ihres Gegenübers verschleierte.

„Ich nehme an, Sie haben diese Praxis gemeinsam mit Ihrem Mann betrieben“, meinte er. „Haben Sie seit seinem Tod versucht, allein zurechtzukommen?“

„Versucht ja, aber vergeblich“, dachte Kat.

„Mir war klar, dass ich es allein nicht schaffen würde“, gab sie zu. „Ich hatte schon verschiedene Aushilfen. Und einmal sah es so aus, als ob ich einen jungen Kollegen gefunden hätte, der als Partner für die Praxis in Frage kam.“ Sie seufzte. „Leider stellte er sich als unerträglich arrogant heraus. Er hatte gerade erst seine Assistenzzeit beendet und besaß kaum praktische Erfahrung, meinte aber, er könne gleich die Leitung der Praxis übernehmen. Er war zu sehr von der Überlegenheit des männlichen Geschlechtes überzeugt.“

Ben verzog so ärgerlich das Gesicht, dass Kat fast gelächelt hätte.

„Mit den Bewerbern, die danach kamen, hatte ich ebenso wenig Glück“, fuhr sie fort. „Keiner war bereit, so viel Zeit in den Job zu investieren, wie es erforderlich ist. Und die meisten fanden das Leben in einer Kleinstadt wie dieser für sich selbst und ihre Familien zu öde.“

„Und was war mit den Aushilfen?“, wollte er wissen.

„Aushilfen sind teuer“, gestand Kat. „Manchmal blieb mir nichts anderes übrig, als eine Aushilfe zu engagieren, aber …“ Kat verstummte achselzuckend. Sie hatte sich die Aushilfen nur leisten können, indem sie noch mehr arbeitete und auf jede Art von Freizeit verzichtete.

Ob Ben tatsächlich Interesse an dem Job hatte?

Sie gab sich einen Ruck. Schließlich führte sie das Vorstellungsgespräch, also durfte sie auch die Fragen stellen. „Was bringt Sie hierher an die Westküste? Haben Sie Verwandte in der Gegend? Oder wollen Sie sich mit Ihrer Familie hier niederlassen?“

„Ich bin alleinstehend“, sagte er in einem Ton, der ihr zeigte, dass er über dieses Thema nichts weiter sagen wollte. „Ich bin noch niemals zuvor in dieser Gegend gewesen.“

Kats Zuversicht schwand. Dann würde er es wohl auch nicht lange in dieser Abgeschiedenheit aushalten. Für einen ledigen Mann gab es kaum Gelegenheit, eine Frau kennenzulernen. Aber sie schob ihre Zweifel beiseite. Wenn sie ihn überzeugen könnte, wenigstens eine Zeit lang für ein erträgliches Honorar in der Praxis mitzuarbeiten, würde sie sich in Ruhe nach einem möglichen Ersatz umsehen können.

„Wenn ich davon ausgehe, dass Sie die notwendigen Qualifikationen für den Job haben … wie lange würden Sie bleiben wollen?“ Kat wusste nur zu gut, dass schon ein einziger Monat ihr wirklich helfen würde. Jeder weitere wäre ein Geschenk.

„Reden wir erst einmal von zwei Wochen“, meinte er. Fast hätte sie aufgestöhnt. Dafür lohnte sich kaum der Aufwand, die nötigen Formulare auszufüllen. „In dieser Zeit können wir feststellen, ob wir miteinander auskommen“, fuhr er fort. „Wenn wir uns nicht vertragen, würde ich nach den zwei Wochen wieder gehen.“

„Und im anderen Fall?“, fragte sie gespannt. Verwundert stellte sie fest, dass seine Antwort ihr sehr wichtig war.

„Wenn wir gut zusammenarbeiten, würde ich auf jeden Fall drei Monate lang bleiben, vielleicht sogar ein halbes Jahr“, schlug er vor. „Aber länger kann ich nicht.“

Sie war kurz davor, nach den Gründen zu fragen. Aber sein verschlossenes Gesicht machte deutlich, dass er keine persönlichen Fragen zu hören wünschte. Und Kat wollte ihm auf keinen Fall Anlass geben, es sich vielleicht doch noch zu überlegen.

Als plötzlich das Telefon auf ihrem Schreibtisch läutete, schrak Kat auf. „Entschuldigung“, sagte sie und hob den Hörer ab. „Was gibt es, Rose?“

„Josh und Sam sind hier“, teilte die Empfangsdame ihr mit. „Sie sind mit dem Bus gekommen. Sam hat wohl seinen Rucksack mit den Sachen für den Sportklub heute Abend vergessen.“

Seufzend schaute Kat auf die Uhr. Eigentlich hätten die Jungen den ganzen Tag in der Schule bleiben sollen, damit sie mit der Arbeit in der Praxis und bei dem Vorstellungsgespräch mit Dr. …, also mit Ben, nicht unter Zeitdruck stand. Stattdessen waren die beiden gleich nach Unterrichtsschluss nach Hause gekommen, weil sie etwas vergessen hatten. Das hieß, sie musste sie mit dem Wagen wieder zur Schule zurückfahren – und die lag ziemlich weit entfernt.

„Es tut mir leid. Ich fürchte, ich muss mich beeilen“, sagte sie, schaltete ihren Computer ab, sammelte rasch die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zusammen und verstaute sie in der Schublade. „Vergessliche Kinder können jede noch so sorgfältige Terminplanung auf den Kopf stellen.“

„Ihre Kinder oder die von Rose?“ Ben war aufgestanden, als sie sich erhoben hatte. Seine altmodische Höflichkeit überraschte sie, und ihre Wangen röteten sich leicht.

„Meine“, sagte sie, während sie sich bückte, um ihre Handtasche aus dem unteren Fach des Schreibtisches zu nehmen.

„Wer ist das?“, fragte Josh mit der unverblümten Direktheit eines Elfjährigen, als Kat mit Ben zur Rezeption kam.

„Benimm dich, Josh“, ermahnte sie ihn. Sie wusste, wie sehr ihr älterer Sohn bis heute unter dem Verlust seines Vaters litt. Ihre Bekannten hatten sie zu trösten versucht und gesagt, Josh würde mit der Zeit darüber hinwegkommen. Aber sie hatten sich getäuscht. Josh schien immer tiefer in seinem Schmerz zu versinken.

„Also, wer ist das?“, fragte Josh noch einmal ziemlich aufsässig. Er schien zu merken, dass Ben nicht irgendein Patient war.

„Das sind meine beiden Söhne, Josh und Sam“, sagte Kat, die etwas überreizt und müde war, da sie in der letzten Zeit kaum mehr als fünf Stunden pro Nacht geschlafen hatte. „Dieser Gentleman und ich haben ein Vorstellungsgespräch geführt.“

„Will er hier arbeiten?“, fragte Kats achtjähriger Sohn Sam. „Dann sind Sie ein Doktor, wie mein Daddy einer war.“

„Stimmt“, meinte Ben lächelnd zu dem Jungen. „Eure Mutter möchte gern mehr Zeit mit euch verbringen, aber dazu braucht sie jemanden, der ihr bei der Arbeit hilft.“

Joshs Gesicht war noch verschlossener geworden, als Sam den Vater erwähnte. Kat ahnte, dass ihn Bens Anwesenheit irgendwie störte. Ihre Ahnung bestätigte sich sofort.

„Die Arbeit hier wird Ihnen bestimmt keinen Spaß machen“, stieß Josh hervor. „Hier in der Stadt ist es langweilig. Warum arbeiten Sie nicht in einem Krankenhaus?“

„Das hätte ich tun können“, meinte Ben ungerührt. „Aber ich habe schon in einem Krankenhaus gearbeitet. Deshalb wollte ich jetzt einmal etwas anderes machen.“

Kat wunderte sich darüber, mit welchem Nachdruck Ben gesprochen hatte. Aber in Gegenwart ihres immer noch misstrauisch schauenden älteren Sohnes stellte sie die Frage nicht, die ihr auf der Zunge lag.

„Jedenfalls“, meinte Ben mit einem raschen Seitenblick auf Kat, „haben eure Mutter und ich uns geeinigt, dass ich vorerst für zwei Wochen hier bleibe. Dann hat sie endlich etwas Ruhe und kann sich mit euch beschäftigen.“

„Mum, wir kommen zu spät in den Sportklub, wenn wir jetzt nicht losfahren“, unterbrach Sam ihn.

„Sam …“, sagte Kat mit einem warnenden Unterton. Sie wusste, er war ein kleiner Pünktlichkeitsfanatiker, aber das war keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen.

Schuldbewusst senkte der Kleine den Kopf. „Tut mir leid, dass ich Sie unterbrochen habe, aber …“ Nervös hüpfte er von einem Fuß auf den anderen.

„Also“, meinte Kat entschieden und gab Sam den Hausschlüssel. „Ihr geht schnell ins Haus und holt eure Sachen. Wir treffen uns am Auto. Und rennt nicht so wild!“, rief sie ihnen nach, als die beiden aus der Empfangshalle stürmten. Sie zuckte zusammen und seufzte, als die Tür schmetternd ins Schloss fiel.

„Sind Sie sicher, dass Sie bei uns bleiben wollen?“, fragte sie Ben zögernd. „Sie können davon ausgehen, dass Ihnen zwei ziemlich aufregende und laute Wochen bevorstehen, wenn Sie hier bei uns wohnen.“

Verblüfft sah Ben sie an. „Ich soll hier bei Ihnen wohnen?“, wiederholte er ungläubig.

„Unterkunft wird zur Verfügung gestellt – so steht es in meinen Jobannoncen“, erwiderte Kat. „Das Haus verfügt neben den Praxisräumen und meiner Wohnung über eine separate kleine Wohnung im ersten Stock.“ Sie schaute ihn nicht an, weil sie nicht wusste, wie sie mit dem fragenden Blick seiner grünen Augen umgehen sollte.

„Es gibt einen Schlafraum, einen Wohnraum, ein Badezimmer und eine kleine Küche. Sie sind also völlig unabhängig. Wenn Sie den Wunsch haben, mit uns gemeinsam zu essen, dann sagen Sie es mir. Einige Aushilfen haben das früher gern getan.“ Sie bemühte sich, locker und unbefangen zu klingen.

„Hoffentlich war es richtig, dass ich das gesagt habe, und er ändert seine Meinung deswegen nicht“, dachte sie. Es schockierte sie, dass sie dabei nicht nur die Arbeit in der Praxis im Sinn hatte. Sie fühlte, dass ein seelisches Problem diesen stillen, zurückhaltenden Mann belastete. Plötzlich verspürte sie den Wunsch, ihm zu helfen.

„Soll ich die Praxis abschließen, wenn ich gehe?“, wollte Rose wissen. „Oder möchtest du, dass ich warte, bis du zurück bist?“

Kat schüttelte die Gedanken ab, denen sie nachgehangen hatte. „Schließ ruhig alles ab, wenn du gehst, Rose“, meinte sie. Lächelnd wandte sie sich an Ben. „Morgen ist nur vormittags Sprechstunde. Anschließend werde ich Ihnen dann die Arztpraxis zeigen – es ist übrigens die einzige in Ditchling.“

Plötzlich fiel ihr etwas ein. „Was gab es mit den O’Gormans? Probleme?“

„Nicht im Geringsten“, meinte Rose fröhlich. „Ich habe den Jungs nur gesagt, dass ich sie einsperre, wenn sie sich nicht anständig benehmen.“

Kat musste lachen. Rose konnte bei all ihrer Gemütlichkeit auch eine Strenge zeigen, die vor allem Kinder im Vorschulalter beeindruckte.

„Gut“, erwiderte Kat. „Ich gehe jetzt besser, bevor Sam völlig ungeduldig wird.“ Sie winkte Rose und Ben zu und ging zur Tür, während sie sich bewusst war, dass ihr ein Elfjähriger mit düsterem Gesichtsausdruck folgte.

Kat seufzte innerlich. Sie hatte Ben als Aushilfe angestellt, weil sie sich von ihm Unterstützung erhoffte – und keine zusätzlichen Schwierigkeiten.

„Ich bin in einer guten Viertelstunde wieder hier“, meinte sie zu Ben. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, können Sie hier warten. Ich gebe Ihnen meinen Schlüssel.“

„Ich warte“, sagte er. „Es gibt noch ein paar Fragen, die zu besprechen wären.“

„Schön“, antwortete Kat. Wo Sam nur wieder steckte? Er war schon nach draußen gegangen, aber sie konnte ihn nicht entdecken.

Sie stieg in ihren Wagen und warf einen Blick in den Rückspiegel, um sicher zu sein, dass Josh sich anschnallte. Dann startete sie den Motor und wollte den Wagen rückwärts aus der Parklücke rangieren, damit sie gleich losfahren konnte, wenn Sam endlich auftauchte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie im Rückspiegel eine Bewegung. In dieser Sekunde gab es einen dumpfen Schlag. Irgendetwas war gegen den Kofferraum ihres Wagens geprallt.

„Oh, mein Gott, oh, mein Gott“, rief Kat, während sie scharf bremste. Sie riss die Tür auf und sprang hinaus. „Sam!“, schrie sie auf. „Was ist passiert?“

„Mum … es tut mir leid“, sagte der kleine Junge weinerlich und warf sich in ihre Arme.

„Oh, Sam!“ Sie war erleichtert, weil er offensichtlich nicht verletzt war. Trotzdem fühlten sich ihre Knie weich an wie Gummi, und sie wäre fast zusammengebrochen.

„Ich habe vergessen, dass ich nicht von hinten, sondern immer nur von vorne zu dem Auto gehen soll, damit du mich siehst“, schluchzte er. „Es war mein Fehler.“

„Das nächste Mal denkst du bestimmt daran“, meinte Kat tröstend. Sie schauderte innerlich, als sie daran dachte, dass der Vorfall auch sehr viel schlimmere Folgen hätte haben können. „Zum Glück ist dir nichts passiert.“

„Aber er hat sich verletzt“, heulte Sam. „Und das ist auch mein Fehler.“

„Er?“ Kat schaute ihren Sohn scharf an. „Wen meinst du?“

„Ich nehme an, er meint mich“, sagte eine Stimme hinter dem Wagen.

„Ben?“ Sie hielt sich an dem Wagen fest, als sie nach hinten ging. Da sah sie ihn liegen, die Beine unter dem Wagen, der Oberkörper mit ausgestreckten Armen auf dem Pflaster. „Oh, mein Gott! Sind Sie verletzt?“ Sie kniete nieder. „Was für eine dumme Frage. Sie würden dort nicht so liegen, wenn Sie nicht verletzt wären. Ist es schlimm?“

Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm sie seinen Kopf in beide Hände und fuhr mit den Fingern durch sein dichtes dunkles Haar. Sie war froh, dass sie keine Verletzung ertasten konnte und er nicht blutete.

„Wo haben Sie Schmerzen?“, wollte sie wissen und ließ ihre Finger an seinem muskulösen Hals hinabgleiten.

„Mein Bein“, stieß er mit zusammengepressten Zähnen hervor. „Ich wollte noch im letzten Moment ausweichen, aber … wenigstens habe ich es geschafft, nicht mit dem Kopf auf dem Boden aufzuschlagen.“

„Ist das Bein gebrochen?“

„Entweder das – oder böse verrenkt. Ah …“, stöhnte er auf, als er das Bein zu bewegen versuchte.

Sam hatte sich neben Kat niedergekauert. „Ich bin schuld“, sagte er mit schriller, hysterischer Stimme. „Ich war direkt hinter dem Wagen, und er wollte mich zurückziehen. Muss er sterben?“ Kat begriff, wie traumatisch dieses Erlebnis für einen Jungen war, der erst vor einem Jahr seinen Vater verloren hatte.

„Ich bin ziemlich zäh, so leicht sterbe ich nicht“, meinte Ben. „Aber es ist nicht sehr bequem, hier noch länger auf dem harten Boden zu liegen.“

Inzwischen war Rose herbeigeeilt. „Soll ich einen Krankenwagen rufen?“, fragte sie aufgeregt.

„Nein“, sagte Ben entschieden. „Keinen Krankenwagen.“

„Aber wieso nicht?“, wunderte sich Kat. Es war offensichtlich, dass er Hilfe brauchte.

Er antwortete nicht, sondern begann vorsichtig, seine Beine unter dem Wagen hervorzuziehen. Er stützte sich auf die Ellbogen und schob sich Zentimeter für Zentimeter zurück.

„Es ist nicht so schlimm, als dass ich einen Krankenwagen brauchte. Fahren Sie Ihren Wagen ein Stück vor, Kat, dann können Sie meine Beine zusammenbinden, um das verletzte Bein zu stabilisieren. Könnte Rose ein paar elastische Binden holen?“

Kat sah besorgt, dass sein Gesicht ganz bleich geworden war. Und wenn er sich bewegte, biss er die Zähne so fest aufeinander, dass seine Wangenknochen kantig hervortraten.

„Sie könnten mich doch in Ihrem Wagen zum Krankenhaus bringen“, schlug er vor.

Natürlich konnte sie das. Aber warum hatte er abgelehnt, einen Krankenwagen zu rufen?

„Selbstverständlich fahre ich Sie dorthin“, versicherte sie. „Bleiben Sie jetzt ruhig liegen, bis ich den Wagen vorgefahren habe.“

Als sie sich hinter das Steuer setzte, warf sie einen Blick auf ihre Söhne, die Ben mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken betrachteten.

Sams Reaktion war leicht zu verstehen. Er war schockiert, er hatte geglaubt, Ben würde sterben, wie damals sein Vater. Und er fühlte sich schuldig, weil seine Gedankenlosigkeit den Unfall verursacht hatte.

Josh verbarg seine Gefühle auch jetzt hinter der Maske von Passivität und Resignation, die er seit dem Tod des Vaters trug. Aber Kat war sich sicher, dass sie bei ihm so etwas wie Respekt vor Bens Tapferkeit spüren konnte.

„Sam, du setzt dich besser in den Wagen“, sagte Kat energisch. „Hier, auf den Vordersitz. Und schnall dich gut an. Josh, bleibst du bitte bei Ben? Ich brauche deine Hilfe, um ihn in den Wagen zu setzen. Du kannst dich auf der Fahrt ins Krankenhaus um ihn kümmern. Tust du das für mich?“

Zum ersten Mal seit einem Jahr schien Josh aus seiner Lethargie aufzuwachen. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Anflug von Stolz, dass seine Mutter ihn um Hilfe bat. „In Ordnung“, sagte er lässig. „Wenn du ein paar Holzlatten brauchst, um sein Bein zu schienen, kann Sam welche von drüben holen. Bei der Reparatur des Zaunes sind einige übrig geblieben.“

„Gute Idee“, nickte Kat. Während sie den Wagen ein Stück vorfuhr, kam ihr der Gedanke, ob sie die beiden Jungen vielleicht zu sehr in Watte gepackt und ihnen zu lange Gelegenheit gegeben hatte, über ihrem Schmerz zu brüten. Praktische Anforderungen schienen ein heilsames Mittel gegen Depressionen zu sein.

Kat stieg wieder aus und ging rasch zu Ben hinüber. Sie fühlte sich schrecklich. Wie hatte ihr das nur passieren können?

Es war kein Blut zu sehen. Bens Hosenbein war weder zerrissen noch zerknittert. Aber der unnatürliche Winkel, in dem das Bein abstand, ließ nichts Gutes vermuten. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass sein Unterschenkel gebrochen war.

„Hier sind die Bandagen, Kat“, sagte Rose. Sie legte mehrere Rollen, ein paar Handtücher, die Sauerstoffflasche und die Maske eines Beatmungsgerätes auf den Boden.

„Lachgas?“, wollte Ben wissen.

„Leider nicht, nur Sauerstoff“, erwiderte Kat. „Lachgas hätten Sie im Krankenwagen bekommen. Es tut bestimmt weniger weh, wenn wir das Bein geschient haben.“

Ben nickte.

„Also“, sagte sie, „jetzt übernehme ich das Kommando. Josh, schiebe Ben meine Jacke unter den Kopf, damit er es bequemer hat. Halte ihn fest, damit er sich möglichst wenig bewegt. Wenn es sein muss, setzt du dich auf ihn, okay?“

Während sie alles zurechtlegte, um mit den Latten, die Sam herbeigebracht hatte, Bens Bein zu schienen und dann zur Stabilisierung an dem gesunden Bein festzubinden, zeigte sich auf Joshs Gesicht ein Ausdruck von Aufmerksamkeit und Interesse, den sie lange nicht bei ihm gesehen hatte.

„Hier“, sagte Ben und deutete auf ein kleines Taschenmesser an seinem Schlüsselbund. „Schneiden Sie damit das Hosenbein auf.“

Bedauernd blickte Kat ihn an. „Es ist schade, dass ich die Hose zerschneiden muss“, meinte sie, setzte dann aber entschlossen das Messer an.

Als sie das aufgeschlitzte Hosenbein über das Knie hinaufschob, war der Bruch deutlich zu erkennen. Sie testete die Muskelreflexe und stellte beruhigt fest, dass sie noch funktionierten.

„Können Sie die Zehen bewegen?“

„Kein Problem. Und die Wadenmuskeln scheinen auch in Ordnung zu sein“, erwiderte Ben. „Erst war das Bein stärker abgewinkelt. Aber dadurch, dass ich mich rückwärts unter dem Wagen hervorgezogen habe, hat es sich wieder gestreckt. Gut für die Blutzirkulation.“

„Das ist eine Methode, die ich als Ärztin nicht empfehlen würde“, meinte Kat, während sie begann, die Holzschienen mit den Bandagen fest zu umwickeln. Bevor sie das gesunde Bein mit einer weiteren Bandage an dem verletzten Bein festband, legte sie Handtücher zur Polsterung dazwischen.

Als sie fertig war, winkte sie Sam. „Kannst du die hintere Wagentür weit öffnen?“ Sie fragte sich, wie sie es schaffen könnte, Ben aufzurichten und ihn auf den Rücksitz zu befördern. Er war erheblich größer als sie. Und wenn er auch sehr schlank war, würde sie sein Gewicht nicht tragen können.

Sie holte tief Luft und stellte sich hinter ihn. „Wenn ich Ihre Schultern halte, können Sie sich dann zum Sitzen aufrichten?“

Sein unterdrücktes Stöhnen zeigte ihr, dass er Schmerzen hatte, aber er tat alles, um sie zu unterstützen. Als er schließlich saß, überlegte sie verzweifelt, wie sie ihn zum Wagen bringen könnte. Erstaunt riss sie die Augen auf, als sie sah, dass er sich mit beiden Armen auf den Boden stemmte und ruckartig rückwärts auf den Wagen zu bewegte.

„Was machen Sie da?“

„Ich schiebe mich bis zur offenen Wagentür“, stieß er schwer atmend hervor. „Sie sind nicht in der Lage, mich hochzuheben, also geht es nur so.“

Kat wusste, dass er recht hatte, aber sie fühlte sich sehr beunruhigt. Bei ihrer flüchtigen Untersuchung hatte sie nur den Beinbruch festgestellt. Vielleicht war sein Rückgrat verletzt? Die möglichen Konsequenzen ließen sie erschaudern.

„Warum haben Sie mich nicht den Krankenwagen rufen lassen? Es wäre für Sie alles viel einfacher gewesen.“

Inzwischen lehnte Ben mit dem Rücken neben der geöffneten Tür am Wagen. „Helfen Sie mir mal kurz, dann schaffe ich das schon“, murmelte er, ohne auf ihre Frage zu antworten.

„Sie müssen mir nur sagen, was ich machen soll“, meinte Kat.

„Können Sie meine Beine anheben, während ich mich auf den Rücksitz hochstemme?“ Mit dem Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn.

„Aber Sie sagen mir sofort, wenn ich Ihnen wehtue“, verlangte Kat.

„Es wird schon klappen“, beruhigte Ben sie. Er warf einen Blick auf die beiden Jungen, die wie gebannt der Unterhaltung zwischen ihm und Kat zuhörten.

„Sind Sie so weit?“, fragte er. Sie bückte sich und schlang die Arme um seine zusammengebundenen Beine.

Ben legte beide Hände auf die Türschwelle hinter sich und drückte sich hoch. Er war schwerer, als Kat erwartet hatte, aber mit einer mächtigen Anstrengung schaffte er es so gut wie allein.

„Und nun auf den Sitz“, meinte er und griff mit einer Hand nach dem Haltegriff über der Tür. Die andere stemmte er auf die Sitzbank. Seine Stimme klang heiser, und sein blasses Gesicht war schweißnass. „Jetzt!“

Dann saß er schwer atmend auf der Rückbank, während sie seine Beine anhob und ihm half, bis ans andere Ende der Sitzbank zu rutschen und sich mit dem Rücken gegen die Tür zu lehnen.

„Könnte Josh zu mir auf die Rückbank kommen?“, fragte er. „Haben Sie eine Decke, um sie über seine Oberschenkel zu breiten? Dann kann ich meine Beine darauflegen.“

„Dazu brauche ich keine Decke“, sagte Josh. „Außerdem ist es nicht weit bis zum Krankenhaus.“ Er stieg ein und hob Bens Beine vorsichtig an.

Rasch setzte Kat sich hinters Steuer, bevor sie prüfte, ob Sam sich auf dem Beifahrersitz angeschnallt hatte, und startete den Motor.

„Soll ich warten, bis ihr zurück seid?“, rief Rose.

„Nein, der Tag war lang genug. Geh bitte nach Hause. Aber überzeuge dich vorher, dass die Telefone zum Nachtservice umgeschaltet sind. Bis morgen früh dann.“

„Bitte, Kat, ruf mich unbedingt an, wenn du vom Krankenhaus zurück bist. Ich kann nicht schlafen, bevor ich weiß, dass Ben gut versorgt ist.“

„Hoffentlich wird es nicht zu spät. Du weißt, Rose, dass die Röntgenaufnahmen und die vielleicht notwendigen Tests ziemlich lange dauern können. Vielleicht muss sein Bein ja auch operiert werden.“

„Der arme Mann.“ Roses blassblaue Augen waren voller Mitleid. „Und das alles nur, weil er mehr auf Sam geachtet hat als auf sich selbst.“

„Wie bitte?“ Verblüfft sah Kat sie an.

„Ich habe alles ganz genau vom Fenster aus beobachtet“, berichtete Rose. „Er sah, dass Sam hinter den Wagen lief und in Gefahr war. Er sprang vorwärts und riss ihn im letzten Moment zurück. Aber er selbst hatte keine Chance, dem Aufprall auszuweichen. Kat, er ist ein Held!“

2. KAPITEL

Er ist ein Held. Ben hatte Roses Worte deutlich gehört. Die Gedanken drehten sich in seinem Kopf.

„Wenn sie wüsste …“, murmelte er. Er befand sich im Krankenhaus, während eine Schwester sein Bein in einen Gipsverband legte. Irritiert schaute sie auf. „Haben Sie etwas gesagt?“ Sie schien nervös, vielleicht weil sie wusste, dass er selbst Arzt war.

„Nein, nur laut gedacht“, erwiderte er mit einem entschuldigenden Lächeln. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich so rasch verarztet haben.“

Er wusste, dass Kat und ihre Söhne draußen warteten. Er hatte vorgeschlagen, sie sollte die beiden zu ihrem Sportklub fahren, aber Sam und Josh hatten entschieden protestiert. Genau wie Kat, als er ihr mitgeteilt hatte, mit einem Taxi zurückzufahren, wenn sein Bein versorgt war.

Er wollte das Krankenhaus so schnell wie möglich wieder verlassen. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln und die Gedanken an den allgegenwärtigen Tod waren ihm unerträglich.

„Kann ich ein Paar Krücken bekommen?“, fragte er die Schwester.

„Oh, daraus wird heute Abend nichts mehr“, lächelte sie. „Morgen früh wird man Ihnen in der Physiotherapie welche zur Verfügung stellen, sobald der Stationsarzt Sie gesehen und untersucht hat. Ich hole gleich einen Rollstuhl und bringe Sie auf Ihr Zimmer.“

Plötzlich schmerzte sein Kopf, und er fühlte einen enormen Druck auf der Brust. „Draußen warten Kat und die Jungen auf mich, um mich nach Hause zu bringen. Kat ist eine sehr gute Ärztin und wird sich um mich kümmern. Ich brauche also jetzt gleich ein paar Krücken.“

„Aber …“, wollte sie einwenden.

„Jetzt gleich“, sagte er schärfer, als er gewollt hatte. „Ich werde nach Hause gehen … mit oder ohne Krücken.“

„Ich sehe zu, was ich machen kann“, versprach die Schwester.

Ein paar Minuten später hatte die erfahrene Krankenschwester den Gipsverband fertig. Er war froh, dass es sich letztendlich nur um einen glatten Bruch seines Schienbeines handelte, der ohne Komplikationen verheilen würde. Eine Sekunde lang stieg das Bild vor seinem inneren Auge auf, wie Kat mit ihren schlanken Fingern seinen Gipsverband glatt strich, vom Fußgelenk hinauf bis zum …

Wie kam er dazu, sich so etwas vorzustellen?

Solche Fantasien hatte er sehr lange nicht mehr gehabt. Nicht, seit … Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu verscheuchen, die er seit drei Jahren konsequent vermieden hatte. Für eine Frau war kein Platz mehr in seinem Leben. Selbst wenn sie schlank und attraktiv war und sanfte, graue Augen besaß.

„So, das war’s“, meinte die Krankenschwester. „Jetzt muss der Gips nur noch ein paar Minuten aushärten. Inzwischen werde ich versuchen, ein paar Krücken für Sie aufzutreiben. Und dann brauche ich noch die Unterschrift des Stationsarztes, dass er Sie auf eigenen Wunsch entlässt.“

„Unterschrift oder nicht … ich gehe auf jeden Fall“, knurrte Ben. Schlimm genug, dass er in zwei, drei Tagen noch einmal herkommen musste, um sich untersuchen zu lassen. Aber wenn die Schwellung an seinem Bein zurückgegangen war, würde der Gips lose sitzen und durch eine Fiberglasschiene ersetzt werden.

Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis die Schwester zurückkam. In einer Hand hielt sie ein paar Krücken aus Aluminium und in der anderen eine Hose aus grünem Stoff.

„Ich dachte mir, die könnten Sie auch gebrauchen. Ihre Hose können Sie jedenfalls nicht wieder anziehen. Die Arzthosen sind weit genug, dass sie über den Gips passen.“

„Danke, dass Sie daran gedacht haben.“ Er nahm die Hose in die Hand und stellte fest, dass er sie allein nicht überstreifen konnte.

„Soll ich Ihre Frau hereinrufen, damit sie Ihnen hilft?“, bot die Schwester an. „Sie werden ihre Hilfe in den nächsten Wochen sehr oft nötig haben.“

„Sie ist nicht meine Frau“, stellte Ben richtig. Der Schmerz, der ihn bei diesen Worten überfiel, ließ seine Stimme scharf und bitter klingen. Als die Schwester zusammenzuckte, lächelte er sie beruhigend an. „Sie ist meine neue Chefin“, meinte er gewollt fröhlich, „falls ich den Job wegen des gebrochenen Beines nicht schon wieder los bin.“

Merkwürdig, dass diese Vorstellung ein Gefühl von Enttäuschung in ihm auslöste.

„Na, am besten fragen Sie sie danach … aber vorher sollten Sie trotzdem die Hosen anziehen“, ging die Schwester auf seinen Tonfall ein. „Sie müssen sie zuerst über das Gipsbein streifen, so geht es am leichtesten.“

Mit der Hilfe der erfahrenen Schwester war er bald darauf passabel angezogen und schlüpfte mit dem gesunden Fuß in den Schuh. „Vergessen Sie nicht den anderen Schuh“, meinte die Schwester. „Sie brauchen ihn zwar erst in ein paar Wochen wieder, aber er soll ja nicht verloren gehen.“

Sie eilte zur Tür. „Wo bleibt er denn nur“, murmelte sie. Ein paar Sekunden später kam sie mit einem Mann zurück, der einen Rollstuhl schob.

„Den brauche ich nicht, die Krücken reichen mir völlig“, protestierte Ben. Er hasste die Vorstellung, von irgendjemandem abhängig zu sein.

„Glauben Sie mir, Sie werden froh sein über den Rollstuhl“, versicherte die Schwester. „Es wird eine Weile dauern, bis Sie sich an die Krücken gewöhnt haben. Außerdem ist der Gips noch nicht vollständig ausgehärtet, das wird noch ein, zwei Stunden dauern.“

Er nickte. Es war ihm klar, dass er sich wie ein dickköpfiges Kind verhielt. Doch als erwachsener Mann sollte er in der Lage sein, Notwendigkeiten und Tatsachen zu akzeptieren.

Es war nicht einfach, von dem Behandlungstisch herunter und in den Rollstuhl zu gelangen. Aber schließlich war es geschafft.

Ben seufzte tief auf. „Es tut mir leid, dass ich so grantig war“, sagte er zu der Krankenschwester, die sich so viel Mühe mit ihm gegeben hatte.

„Schon vergessen“, meinte sie leichthin. Einen Moment lang befürchtete er, sie würde ihm beruhigend über den Kopf streicheln. „Sie sind selbst Arzt. Und Ärzte mögen es überhaupt nicht, Patienten zu sein.“

Lächelnd winkte sie ihm nach, als er aus dem Behandlungszimmer geschoben wurde. Auf seinen Knien lag ein Plastikbeutel, der den Inhalt seiner Hosentaschen enthielt, eine Packung Schmerztabletten und einen Schuh. Mit der Hand umfasste er die Krücken.

„Da kommt er, Mum“, hörte er eine Jungenstimme rufen. „Da ist Dr. Ben … und er hat einen riesigen Gipsverband, ein gewaltiges Ding.“

Da waren die drei, die auf ihn gewartet hatten. Sam hüpfte wie immer aufgeregt von einem Bein auf das andere. Josh bemühte sich, möglichst unbeeindruckt zu wirken, konnte aber den Blick nicht von dem dick verbundenen Bein in den grünen Arzthosen lassen. Und da war Kat – die zauberhafte Kat, der er erst jetzt ansah, wie sehr sie das alles mitgenommen hatte. Sie hielt die Wagenschlüssel mit ihrer Hand umkrampft und sah ihn mit ihren grauen Augen aufmerksam und mitfühlend an, während er in seinem Rollstuhl auf die kleine Familie zufuhr.

„Die Schwester sagte, Sie hätten darauf bestanden, das Krankenhaus noch heute Abend zu verlassen“, meinte Kat. Sie schien sich Sorgen zu machen. Ich bin ganz sicher nicht der Gast, den man sich unbedingt in seinem Haus wünscht, dachte Ben.

„Ich hasse Krankenhäuser“, murmelte er stattdessen. „Aber sagen Sie das nicht weiter, sonst bin ich als Arzt unten durch.“

„Dann sollten wir schleunigst von hier wegkommen, bevor jemand Sie hört“, schlug Kat vor und lächelte müde. Es war ein langer Tag gewesen.

Offenbar glaubt sie, schuld an meinem Beinbruch zu sein, dachte Ben. Jetzt würde sie sich neben der ganzen Arbeit, die sie kaum allein bewältigen konnte, auch noch um ihn kümmern müssen.

Er hätte sagen können, er würde vorläufig in einem Hotel bleiben, um sie zu entlasten. Aber eine innere Stimme redete ihm ein, dass es besser sei, mit der kleinen Familie in ihr Haus zu gehen. Besser für ihn oder für Kat? Darüber war er sich nicht im Klaren.

„Wird das mit uns beiden auf dem Rücksitz gehen, Josh?“, fragte Ben besorgt. „Der Gips ist ziemlich schwer.“

„Aber es ist jetzt nur noch ein Bein. Das gleicht sich wieder aus“, meinte der Junge. „Soll ich Sie zum Wagen schieben?“

„Nein, das will ich tun“, protestierte Sam. „Du hast schon während der Hinfahrt mit ihm auf dem Rücksitz gesessen. Da ist es nur fair, dass ich ihn jetzt schieben darf.“

„Ich glaube, wir sollten uns alle drei beim Schieben abwechseln“, mischte Kat sich ein. „Bis zum Auto ist es noch ein ganzes Stück.“

„Wie wäre es, wenn Sie mit dem Wagen herkommen?“, schlug Ben vor. „Josh und Sam können ja so lange auf mich aufpassen.“

„Das wird das Beste sein“, erwiderte sie. „Es dauert nur ein paar Minuten, bis ich wieder da bin.“

„Sie müssen sich nicht beeilen. Josh, Sam und ich werden inzwischen beraten, was wir unterwegs zum Essen einkaufen. Die beiden haben ganz sicher genau solch einen Hunger wie ich.“ Ben bemerkte, dass Kat widersprechen wollte. „Dann brauchen Sie heute Abend nicht mehr zu kochen. Und die Jungen kämen früher ins Bett.“

„Klingt vernünftig“, entgegnete sie zögernd, während sie ihn aufmerksam anschaute. Nur ein rasches Aufblitzen in ihren Augen machte ihm deutlich, dass sie es nicht zulassen würde, wenn er versuchte, sich in ihr Leben einzumischen.

Kat brauchte dringend Unterstützung. Das wurde Ben schnell klar, als sie später an dem großen Küchentisch die Pizzas, die sie eingekauft hatten, in Portionen zerteilten. Kat nahm sich kaum Zeit zum Essen. Während Ben und die Jungen noch mit den Resten der Pizza beschäftigt waren, hatte Kat bereits die Wäsche in die Maschine gesteckt, die Frühstücksbrote für Sam und Josh vorbereitet und damit begonnen, in einem Nebenzimmer umzuräumen.

„Solange Sie den schweren Gips tragen müssen, können Sie nicht die Treppe hinaufsteigen“, sagte sie zu Ben. „Deshalb habe ich hier unten ein Zimmer für Sie hergerichtet, wenn Sie damit einverstanden sind. Dann können Sie auch ohne Probleme das Laufen mit den Krücken üben.“

Zuerst hatte er ablehnen wollen. Die Vorstellung, auf relativ kleinem Raum mit Kat und ihren Söhnen zusammenzuleben, würde ihr gewohntes häusliches Leben völlig in Unordnung bringen. Ganz offensichtlich hatte sie ihr eigenes Zimmer für ihn hergerichtet.

Bevor er sich entschieden hatte, wie er reagieren sollte, hatte sie ohne weitere Diskussion den Rollstuhl in die kleine Eingangshalle geschoben. „Das ist die Treppe, die nach oben führt“, erklärte sie. Ben sah sofort, dass er dort mit seinen Krücken nicht hinaufgekommen wäre.

„Und dies hier ist vorläufig Ihr Schlafzimmer. Es hat einen direkten Zugang zum Bad.“

Sie schob ihn in das Zimmer, das größer war, als Ben vermutet hatte. Jedes Detail und der feine Geruch, den er auch schon an Kat wahrgenommen hatte, verrieten ihm, dass er gerade in ihr ganz persönliches Reich eindrang.

Der Raum war dezent dekoriert und in angenehmen, leicht grünlichen Farben gehalten. Der Blick auf das frisch bezogene Bett, in dem sie die Nacht zuvor noch geschlafen hatte, war nicht dazu angetan, seinen Gemütszustand zu beruhigen. Was um alles in der Welt ist nur mit mir los, tadelte er sich im Stillen.

„Mein Vorgänger in der Praxis und in diesem Haus hat das Badezimmer umgebaut, nachdem seine Frau einen Schlaganfall hatte“, informierte Kat ihn. „Die Dusche ist ohne Schwierigkeiten zugänglich und hat einen ausklappbaren Sitz. Wenn Sie Ihr Gipsbein mit einer wasserdichten Folie umhüllen, können Sie hier duschen.“

Er nickte. Sie hatte recht. Ein Bad konnte er mit dem Gips nicht nehmen.

„Es gefällt mir gar nicht, dass ich Sie aus Ihrem Zimmer vertreibe“, widersprach er matt. Er fragte sich, wie er hier schlafen würde, wenn er jeden Moment daran dachte, dass sie vorher in diesem Bett gelegen hatte. „Ich werde Ihnen hoffentlich nur für wenige Tage zur Last fallen. Wenn der schwere Gipsverband erst durch eine leichtere Plastikschiene ersetzt ist und ich mit den Krücken gehen kann, ziehe ich nach oben.“

„Das hat keine Eile“, erwiderte sie. „Es macht mir nichts aus, inzwischen das andere Zimmer zu benutzen.“ Schnell verließ Kat den Raum, bevor sie kurz darauf mit den Sachen zurückkehrte, die er aus dem Krankenhaus mitgebracht hatte. Die Krücken stellte sie neben das Bett. Sie ging noch einmal hinaus, um die Reisetasche aus seinem Wagen zu holen, der seit seiner Ankunft zu dem Vorstellungsgespräch auf dem Parkplatz vor dem Haus stand.

„Das hätten Sie nicht auch noch zu machen brauchen“, protestierte er mit einem Aufbegehren seines männlichen Instinktes. Sie antwortete nicht, sondern warf nur einen kurzen Blick auf sein Gipsbein und machte ihm klar, dass er wohl selbst nicht dazu in der Lage gewesen wäre – auch wenn es ihm gegen den Strich ging.

„Es ist nicht sinnvoll, jetzt mein ganzes Gepäck hereinzubringen, wenn ich bald wieder aus dem Zimmer ausziehe“, wandte er ein, als sie mit weiteren Gepäckstücken aus seinem Wagen erneut ins Zimmer kam.

„Aber wir waren uns einig, dass Sie hierbleiben und in der Praxis mitarbeiten“, entgegnete sie bestimmt. „Es ist nicht Ihre Schuld, dass Sie mit der Arbeit nicht wie geplant beginnen können, sondern mein Fehler. Also ist es an mir, für Sie zu sorgen, bis Sie wieder gesund sind.“

Aber genau das passte ihm eigentlich gar nicht – er wollte nicht von einem anderen Menschen abhängig sein. Und er wollte Kat, die sowieso schon überlastet war, nicht noch zusätzlich Arbeit machen. Aber die einzig mögliche Alternative – trotz des Gipsbeins Ditchling zu verlassen – gefiel ihm ebenfalls nicht. Er wollte mehr über diese ebenso mutige wie attraktive Frau erfahren.

„Ich kann Ihnen doch nicht einfach so zur Last fallen“, beharrte er. „Sie haben einen Mitarbeiter gesucht, weil Sie dringend Unterstützung brauchten und nicht weiter horrende Summen für kurzfristige Aushilfen zahlen wollten.“

„Mum, kannst du mal einen Blick auf meine Hausaufgaben werfen.“ Das war Sam.

„Ich komme gleich“, rief sie zurück. „Hast du schon deine Zähne geputzt?“

Sie blieb kurz stehen, bevor sie aus dem Zimmer ging, offensichtlich hin und her gerissen in ihrer Rolle als Mutter und als Ärztin. „Wir reden nachher weiter, wenn die Jungs schlafen.“

Die Falte zwischen ihren Brauen zeigte Ben, dass sie verunsichert war. Am liebsten hätte er mit seiner Hand über ihre Stirn gestrichen, um sie zu beruhigen.

Hör auf mit solchen Gedanken, schimpfte er mit sich selbst, nachdem sie den Raum verlassen hatte. Willst du dein Leben unbedingt kompliziert machen? Auch wenn sie noch so anziehend ist – sie hat erst vor Kurzem ihren Mann verloren und muss für zwei Söhne sorgen.

Kat ahnte ganz sicher nichts von den geheimen Gedanken, die Ben nicht aus seinem Kopf verbannen konnte, weil der Duft ihres dezenten Parfüms den ganzen Raum füllte und ihm in die Nase stieg.

Er musste sich dringend mit etwas beschäftigen, um sich abzulenken. „Ich werde auspacken“, redete er laut zu sich selbst.

Das war jedoch leichter gesagt als getan. Mit dem ausgestreckten Bein in dem Rollstuhl fiel es ihm schwer, das Gepäck vom Boden aufzuheben und aufs Bett zu legen. Das musste er aber, weil er anders nicht an den Inhalt kam. Als er ächzend und leise fluchend den ersten Koffer anheben wollte, bemerkte er, dass er beobachtet wurde. Er drehte sich um und sah Josh in der Tür stehen.

„Tut mir leid, dass ich mich so ausgedrückt habe“, meinte er. Ihm war klar, dass er dem Jungen damit kein Beispiel für gutes Benehmen geliefert hatte. Eine Sekunde lang schien Josh erstaunt über Bens Entschuldigung, dann war sein Gesicht wieder ausdruckslos.

„Das war das Zimmer meines Dads – und meiner Mum“, sagte Josh vorwurfsvoll. Offensichtlich war er nicht damit einverstanden, dass Ben sich hier einrichten wollte. „Meine Mutter ist zwar Witwe, aber sie liebt meinen Dad immer noch“, fuhr der Junge in einem aggressiven Tonfall fort.

„Hat Josh instinktiv gespürt, dass Kat mir nicht gleichgültig ist?“, dachte Ben beunruhigt.

„Also, warum hat Mum Sie hier einquartiert?“, wollte Josh wissen. „Das ist jetzt Mums Zimmer. Und Ihr Zimmer ist im ersten Stock.“

„Dort würde ich auch sein ohne das hier.“ Ben klopfte auf sein Gipsbein. „Ich schaffe es in den nächsten Tagen noch nicht, die Treppe hinauf und hinunter zu kommen.“ Er hoffte, dass seine Antwort neutral genug geklungen hatte, um das Misstrauen des Jungen zu zerstreuen.

Er griff wieder nach dem Koffer und versuchte ihn mit einem Schwung auf das Bett zu befördern. Dabei wäre der Rollstuhl fast umgekippt.

Ben riss sich zusammen und unterdrückte einen Fluch. Bei einem Blick zur Seite bemerkte er, dass Joshs Miene nicht mehr so abweisend war, sondern so etwas wie Anteilnahme zeigte.

„Ich könnte Ihnen dabei helfen“, schlug der Junge vor, woraufhin Ben erstaunt blinzelte.

„Ich glaube, das Gepäck ist zu schwer für dich“, meinte Ben. Als er Joshs beleidigten Gesichtsausdruck sah, fügte er rasch hinzu: „Ich packe immer zu viel Bücher ein, die wiegen enorm viel.“

„Wir könnten es ja gemeinsam versuchen“, schlug Josh vor und machte zum ersten Mal einen Schritt in das Zimmer hinein.

Ben wusste, dass er Joshs Angebot nicht ablehnen durfte. Schon wegen Kat musste er versuchen, zu ihren Söhnen ein gutes Verhältnis aufzubauen. Er fiel ihr sowieso schon zur Last. Nun durfte er nicht auch noch die häusliche Stimmung in Gefahr bringen.

Er manövrierte den Rollstuhl so, dass Josh den Koffer von der anderen Seite packen konnte. Es war eine Sache von Sekunden, das schwere Gepäckstück auf das Bett zu heben. Als Ben die Schlösser öffnete und den Deckel aufklappte, brach Josh in lautes Gelächter aus.

„Oje, das sieht genau so aus, als ob ich den Koffer gepackt hätte“, meinte er. Ben musste grinsen. Der Koffer war wirklich wahllos vollgestopft.

„Ich muss immer meine Mum bitten, den Koffer für mich zu packen, sonst bekomme ich nicht mal die Hälfte von dem hinein, was ich mitnehmen will.“

„Ja, Frauen sind in diesem Punkt geschickter als Männer“, bestätigte Ben.

„Wahrscheinlich“, erwiderte Josh und nickte zustimmend. „Und Frauen wollen auch, dass immer alles ganz ordentlich ist – das heißt, man muss die Wäsche gefaltet in den Korb legen, das Bett machen und die Spielsachen wegräumen.“ Er seufzte tief auf.

„Meine Mutter hat das auch von mir erwartet“, stimmte Ben zu. Er war froh, ein Gesprächsthema zu haben, über das er sich mit Josh unverfänglich unterhalten konnte. Er holte einen Wäschesack aus dem Koffer, legte ihn über seine Beine und griff nach den Rädern des Rollstuhls. „Den bringe ich erst mal ins Badezimmer.“

„Ich kann das für Sie machen“, schlug Josh vor. „Ich lege den Beutel unter den Waschtisch.“

Die beiden sahen sich an. „Aber ordentlich!“, sagten sie wie aus einem Munde, bevor sie lachten.

Eine Stunde später ließ sich Ben erschöpft aufs Bett fallen. Er hätte nie geglaubt, wie viel Kraft es kostete, sich mit einem schweren Gipsbein zu waschen und umzuziehen. Das Laufen auf Krücken an diesem Abend noch auszuprobieren, darauf hatte er verzichtet. Die Gefahr, möglicherweise platt auf die Nase zu fallen, war ihm nicht sehr erstrebenswert erschienen.

Obwohl er körperlich erschöpft war, arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren. Fieberhaft überlegte er, wie er mit der ungewöhnlichen Situation fertig werden sollte. Selten hatte er sich so unbehaglich und hilflos gefühlt.

Eine ganze Weile würde er an Kats Haus gebunden sein und ihre Hilfe akzeptieren müssen, auch wenn ihm das Unbehagen bereitete. Er überlegte, ob und wie er bald, wenn er die leichtere Beinschiene erhalten hatte, in der Praxis mitarbeiten könnte.

Wenn es für ihn keine Möglichkeit gab, sich trotz seiner Behinderung nützlich zu machen, würde er die Praxis verlassen müssen – aus Rücksicht auf Kat, denn sie brauchte bald einen Mitarbeiter, der ihr ein gutes Stück Arbeit abnahm.

Aber wollte er überhaupt fort von hier? Nein, auf keinen Fall …

Drei Jahre lang hatte er jeden engeren Kontakt zu anderen Menschen vermieden. Seit er Kat und ihre Söhne getroffen hatte, war sein Wunsch nach Distanz ins Wanken geraten.

„Ben, du hast ein Problem“, sagte er zu sich selbst. Er wollte Kat nicht allein lassen, aber in seinem jetzigen Zustand war er für sie völlig nutzlos. Wie konnte er dieses Dilemma nur lösen?

Während sie den Berg an Hausarbeit erledigte, war Kat ins Grübeln geraten.

Es spielte keine Rolle, ob Ben in der Lage war, ihr bei der Arbeit in der Praxis zu helfen. Sie hatte die Pflicht, so lange für ihn zu sorgen, bis er wieder fit genug war – und wenn auch nur, um wieder nach Hause zu fahren. Sie musste mit ihm sprechen und ihm ihren Entschluss mitteilen.

„Ben“, rief sie leise und klopfte sachte an seine Tür.

„Kommen Sie herein!“, antwortete Ben mit heiserer Stimme. Sie öffnete die Tür und sah ihn mit nacktem Oberkörper aufrecht auf dem Bett sitzen.

Sie fuhr zurück und machte Anstalten, gleich wieder hinauszugehen. „Entschuldigung … ich wollte Sie nicht stören. Ich wusste nicht, dass Sie schon zu Bett gegangen waren. Ich wollte nur …“, stammelte sie. Großer Gott, was war nur mit ihr los? Sie benahm sich fast, als habe sie noch nie einen halb nackten Mann gesehen.

Aber zumindest keinen mit einer so beeindruckenden Brust, auf der sich unter einem Flaum dunkler, gekrauster Haare trainierte Muskeln abzeichneten.

„Ich habe zufällig vorhin gehört, wie Sie zu Josh gesagt haben, Sie tränken abends gern eine Tasse heiße Schokolade. Ich habe Ihnen eine zubereitet. Und außerdem wollte ich mit Ihnen reden …“

„Kommen Sie doch bitte herein, und machen Sie die Tür zu“, meinte er. Um nicht falsch verstanden zu werden, fügte er hastig hinzu: „Wir wollen doch Josh und Sam nicht stören.“

Kat fühlte, wie sich ihre Wangen röteten. Wie konnte sie nur bei einem Mann wie ihm auf verbotene Gedanken kommen? Ein Mann wie Ben war sicher nicht an einer Beziehung zu einer Mutter mit zwei Söhnen interessiert.

„Ich habe nachgedacht … über Sie und den Job“, begann sie vorsichtig. „Sie können selbstverständlich hier bleiben, bis Sie wieder fit genug sind, um nach Hause zurückzukehren, aber …“

„Kat, bevor Sie weitersprechen, möchte ich Sie um einen Gefallen bitten“, unterbrach Ben sie. „Um es gleich vorwegzuschicken, ich habe momentan kein Zuhause.“

„Wie bitte?“ Fassungslos sah Kat ihn an.

„Es ist wahr“, sagte er mit einem müden Lächeln. „Ich habe mein Haus verkauft und die Einrichtung eingelagert. Das war nur wenige Tage her, bevor ich zu Ihnen kam, weil ich davon erfahren hatte, dass Sie jemand suchen.“

Seine grünen Augen musterten sie sehr ernsthaft. „Wenn Sie mich rauswerfen, weiß ich nicht, wohin ich gehen soll – und ganz bestimmt nicht in einem Rollstuhl oder auf Krücken.“

„Aber der Job …“ Kat begriff nur so viel, dass er offenbar nicht gehen wollte und trotz des Unfalls an der Arbeit in der Praxis interessiert war.

„Ja, der Job. Darüber habe ich auch nachgedacht.“ Unter seinen dunklen Augenbrauen sah er fragend zu ihr hoch. „Wenn Sie sich nur ein paar Tage gedulden würden und ich inzwischen mit den Krücken trainiere, könnte ich morgens mit in die Praxis kommen und mich dort um die Patienten kümmern. Sie hätten dann mehr Zeit für die Hausbesuche.“

Das Angebot konnte sie gar nicht ablehnen – und das wollte sie auch auf keinen Fall. Sie wollte, dass er blieb. Sie brauchte seine Hilfe. Aber da war noch etwas anderes, weshalb sie sich wünschte, dass er blieb. In seiner Gegenwart entwickelte sie Gefühle, von denen sie angenommen hatte, dass sie nach Richards Tod endgültig erloschen waren.

So etwas darfst du nicht einmal denken, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, als sie ein paar Minuten später die Treppe hinaufstieg und sich ins Bett legte – das Bett, in dem er eigentlich hätte liegen sollen. Er ist ein ruheloser Wanderer, redete sie sich ein. Er wird irgendwann weiterziehen. Er ist nicht der Mann, von dem du etwas erwarten solltest, auch wenn er deine Hormone in Aufruhr versetzt.

Die beiden Jungen würde kein Verständnis für sie haben und sehr verletzt sein, wenn sie eine Beziehung mit diesem Mann einging. Richards Tod war ein großer Schock für sie gewesen. Welchen seelischen Schaden würde sie bei Josh und Sam anrichten, wenn sie sich mit einem Mann einließ, der irgendwann wieder gehen wollte …

3. KAPITEL

„Wann wird Dr. Leeman mit ihrer Sprechstunde fertig sein?“, hörte Ben eine forsche männliche Stimme, als er gerade aus dem Zimmer gehen wollte, das Kat ihm zur Verfügung gestellt hatte.

„Hallo, Mr. Sadowski“, antwortete Rose freundlich. „Möchten Sie einen Termin machen?“

„Nein.“ Etwas an seinem Ton bewirkte, dass sich bei Ben die Nackenhaare aufstellten. Er legte ein paar Patientenberichte in seinen Ausgangskorb und griff nach den Krücken. Er kam an der Rezeption an, als Rose gerade nach dem Hörer griff, um Kat anzurufen.

„Dr. Leeman, hier ist ein Gentleman, der Sie sprechen möchte“, sagte sie förmlich. „Es ist Mr. Sadowski, der Apotheker.“ Sie wartete Kats Antwort ab. „Ich sage es ihm“, erwiderte sie dann und legte den Hörer wieder auf. „Sie wird in einer Minute hier sein“, informierte sie Mr. Sadowski. „Wollen Sie sich nicht so lange setzen?“

Ben humpelte die letzten Schritte bis zum Empfangstisch und sah voller Neid zu, wie der andere Mann mit federnden Schritten zu den Besucherstühlen hinüberging. Er fühlte sich seit einer guten Woche immer noch sehr behindert, obwohl am dritten Tag der schwere Gipsverband gegen eine leichte Fiberglasschiene ausgewechselt worden war.

„Ich habe meine Berichte für Sie zurechtgelegt, Rose“, sagte er. „Tut mir leid, dass ich sie nicht selbst mitbringe, aber ich habe leider keine Hand frei.“

„Das ist schon in Ordnung, Dr. Ross“, erwiderte Rose und benutzte für Ben die offizielle Anrede vor dem wartenden Besucher. Wenn sie unter sich waren, redeten sie sich nur mit Vornamen an. „Sie haben Dr. Leeman so viel Arbeit abgenommen, dass ich Sie gern unterstütze, wo ich nur kann“, fügte sie hinzu.

„Das sollten Sie nicht sagen, Sie machen mich sonst noch verlegen“, scherzte er. Er mochte die mütterliche, bodenständige Frau. Er hatte längst gemerkt, dass Rose für Kat und ihre beiden Söhne durchs Feuer gehen würde.

Aus der Besucherecke war zu hören, dass der wartende Mr. Sadowski nervös und ungeduldig in den Magazinen herumblätterte, die dort lagen. Als Kat aus ihrem Zimmer trat und näher kam, brauchte Ben nur einen Blick auf das Gesicht des Mannes zu werfen, um zu begreifen, was sein Anliegen war.

„Mr. Sadowski?“, fragte Kat höflich, während sie ihn fragend ansah. Der Anflug von Eifersucht bei Ben machte bei der förmlichen Anrede einem Gefühl der Erleichterung Platz.

„Bitte nennen Sie mich Greg“, sagte Mr. Sadowski. Er warf aufgesprungen. Sein rascher Seitenblick auf Ben zeigte, dass er gern auf dessen Anwesenheit verzichtet hätte.

Aber Ben dachte nicht daran, sich zurückzuziehen.

„Rose sagte mir, dass Sie nicht wegen eines Termins hier sind“, fuhr Kat fort. „Um was geht es?“

„Hm … also … ich bin hier … nun ja, wegen der Einladung“, stotterte Mr. Sadowski.

„Einladung?“ Überrascht sah Kat ihn mit gerunzelter Stirn an. Was wollte der Mann nur? Sie kannte ihn kaum und hatte kein Interesse an ihm.

Mit heimlicher Schadenfreude beobachtete Ben, wie sich Schweißperlen auf Mr. Sadowskis Stirn bildeten, obwohl sich dieser alle Mühe gab, als Mann von Welt zu erscheinen, aber ohne jeden Erfolg.

„Äh … für die Veranstaltung am kommenden Samstag – das Dinner mit anschließendem Tanz.“

Der Mann konnte einem leidtun, aber Ben hätte um keinen Preis eine Sekunde verpassen wollen. Kat dagegen gab sich alle Mühe zu übersehen, dass Mr. Sadowski inzwischen stark schwitzte und hektisch atmete.

„Oh, das meinen Sie. Leider kann ich nicht. Ich habe an diesem Wochenende Bereitschaftsdienst.“

Ben sah, wie der Mann fragend zu ihm hinüberschaute. Er wusste, was er dachte.

„Nun, haben Sie dafür nicht einen neuen Mitarbeiter engagiert?“

„Sorry, alter Knabe“, warf Ben ein, der sich angesprochen fühlte. „Sie sehen ja, was mit mir los ist.“ Er deutete auf sein Gipsbein. „Ich bin momentan nicht in der Lage, ein Auto zu fahren – wie sollte ich da einen Hausbesuch machen, wenn es notwendig wäre?“

„Nun … vielleicht …“, stieß Mr. Sadowski hervor. Er wollte nicht so leicht klein beigeben, obwohl ihm klar sein musste, dass er auf der ganzen Linie gescheitert war. Es war Kat, die schließlich dem Katz-und-Maus-Spiel ein Ende bereitete.

„Es tut mir leid, Greg … aber es geht nicht. Danke, dass Sie an mich gedacht haben. Vielleicht ein anderes Mal.“

Das hat sie geschickt gemacht, dachte Ben. Sie hat ihm das Gefühl gegeben, dass sie ihre Absage bedauerte und dass er möglicherweise später eine Chance hätte. Aber Gregs Enttäuschung war offensichtlich, vor allem, weil Ben Zeuge seiner Niederlage geworden war.

„Dr. Leeman?“ Rose unterbrach die angespannte Stille. „Sie denken daran, dass Sie nachher noch die Jungen beim Sportklub abholen wollten?“

„Vom Sportklub?“ Kat fuhr herum und sah Rose irritiert an. Die gab ihr ein verstecktes Zeichen, um ihr zu bedeuten, ihr sei durchaus bewusst, dass die Jungen am Tag zuvor im Sportklub gewesen waren. „Ach ja“, ging Kat auf Roses Bemerkung ein. „Danke, dass Sie mich daran erinnert haben. Dann gehe ich besser mal und hole meinen Mantel und meine Wagenschlüssel.“ Sie wandte sich noch einmal an den Apotheker. „Entschuldigen Sie, dass ich mich so eilig verabschiede. Und nochmals Dank für Ihre Einladung.“ Sie winkte ihm und Ben zu und ging in ihr Sprechzimmer.

„Rose, würdest du Mrs. Couling hereinbitten.“

Kat wartete kurz, bis Rose mit einem zustimmenden „sofort“ geantwortet hatte, und legte den Hörer auf. Sie lehnte sich einen Augenblick zurück und atmete tief durch. Sie musste an den überraschenden Besuch und die Einladung des Apothekers denken, obwohl das schon ein paar Tage her war.

Sie hatte sich nie viel aus gesellschaftlichen Ereignissen oder aus Freizeitvergnügungen gemacht. Ihr Ziel war es gewesen, Ärztin zu werden. Und zwar so schnell wie möglich und mit erstklassigen Examensnoten. Diesem Ziel hatte sie alles andere untergeordnet. Und so konnte es nicht ausbleiben, dass sie ihren späteren Mann Richard bei der gemeinsamen Arbeit als Assistenzärztin kennengelernt hatte.

Ihr war nie bewusst geworden, dass sie vom Leben außerhalb des Berufes keine Ahnung hatte. Wie naiv sie gewesen war, wurde ihr klar, als sie aus dem Fenster den enttäuschten Apotheker hatte weggehen sehen, und als dann Ben aus dem Haus kam und sich ausschütten wollte vor Lachen.

Da hatte sie endlich begriffen. Ohne Bens Reaktion wäre sie kaum darauf gekommen, dass der Apotheker ein Interesse an ihr als Frau haben könnte. Sie erinnerte sich plötzlich an eine Unterhaltung mit dem Apotheker vor ein paar Wochen, deren Sinn ihr damals verborgen geblieben war. Er hatte davon gesprochen, dass er ein Mann mit „traditionellen Anschauungen“ sei. Heute wusste sie, dass er damit hatte sagen wollen, er respektiere ihr Trauerjahr um ihren Mann, bevor er ihr den Hof machte.

Vermutlich hatte Ben sofort begriffen, was sich abspielte. Aber hätte er sich so darüber amüsieren müssen? Wenigstens hatte er Mr. … wie war noch der Name gewesen? … George? Nein, Greg … Greg Sadowski, nicht merken lassen, wie sehr ihn die Sache belustigt hatte.

Kat war erleichtert, als es an der Tür klopfte. „Kommen Sie herein, Mrs. Couling“, sagte sie lächelnd. „Was kann ich heute für Sie tun?“

„Ich habe seit Wochen Probleme mit den Augen. Mein Optiker, den ich gefragt habe, hat mir gesagt, ich hätte Katarakt, also grauen Star, aber ich sollte mir deswegen keine Sorgen zu machen. Er meinte, eine Operation sei vorerst nicht nötig.“

„Aber Sie machen sich trotzdem Sorgen“, meinte Kat.

„Ich bin einundachtzig Jahre alt und Witwe. Nur weil ich noch meinen Wagen fahren kann, komme ich ein wenig herum. Wenn ich die Operation zu spät machen lasse, kann ich vielleicht nicht mehr Auto fahren. Dann bin ich an das Haus gefesselt.“

Kat verstand die Befürchtungen der alten Dame, isoliert leben zu müssen, sehr gut. Sie war selbst Witwe, aber sie war noch jung, hatte ihren Beruf und zwei prächtige Söhne. Mrs. Couling hatte auch eine Reihe von Enkelkindern, die sie sehr vermissen würde, wenn sie sie nicht mehr besuchen konnte.

„Sie möchten also eine zweite Meinung hören, ob eine Katarakt-Operation bei Ihnen nötig ist oder nicht? Am besten wäre es, den Augenchirurgen zurate zu ziehen, der gegebenenfalls auch die Operation durchführen würde.“

„Ich weiß nicht, was es mir bringen würde, wenn ich die Operation hinauszögere“, meinte Mrs. Couling. „Ich bin doch schon einundachtzig. Ich habe mir sagen lassen, die Kunststofflinsen, die man eingesetzt bekommt, hielten viele Jahre. Warum also noch warten?“

Kat stimmte der alten Dame zu und versprach, sich um einen Termin bei einem Augenchirurgen zu kümmern.

Als Mrs. Couling sich verabschiedet hatte, lehnte Kat sich in ihrem Stuhl zurück, schloss die Augen und dachte über Ben nach.

Seine offensichtliche Belustigung über den Vorfall mit dem Apotheker hatte an seinem Verhalten ihr gegenüber nicht das Geringste geändert, weder in der Praxis noch privat. Allerdings hatte sie viel häufiger mit ihm zu tun, als sie erwartet hatte. Das lag wohl an seiner Behinderung durch das Gipsbein. Seit dem Tag, an dem der schwere Gips gegen eine leichte Fiberglasschiene ausgetauscht worden war, hatte Ben darauf bestanden, in der Praxis mitzuarbeiten. Und im Umgang mit den Krücken hatte er mittlerweile eine große Geschicklichkeit entwickelt.

Es hatte den Anschein, als ob die Bevölkerung von Ditchling seit einem Jahr bewusst Rücksicht auf Kats Überarbeitung genommen hatte. Aber seit Ben in Richards altem Sprechzimmer Platz genommen hatte, war die Zahl der Patienten enorm gestiegen.

„Ich weiß gar nicht, wo die plötzlich alle herkommen“, wunderte sich Rose. „Ben sollte dir doch eigentlich einen Teil der Arbeit abnehmen, aber nicht für mehr Betrieb sorgen.“

„Er ist eine große Hilfe für mich, Rose“, warf Kat ein. „Seit er da ist, können wir die Hausbesuche besser organisieren. Und ich brauche mir um Josh und Sam keine Sorgen zu machen wie früher, wenn ich sie allein zu Hause lassen musste.“

„Anscheinend haben sie ihn akzeptiert“, meinte Rose lächelnd. „Du hättest es schlechter treffen können, das weißt du …“

„Rose!“ Kat fühlte, wie sie rot wurde. „Du weißt, er wird nur ein paar Monate hier sein. Da heute der letzte Tag seiner vierzehntägigen Probezeit ist, könnte er mir sogar bis morgen noch sagen, dass er wieder geht.“

„Oder er entscheidet sich, mindestens sechs Monate zu bleiben. Und vielleicht sogar für immer“, erwiderte Rose. „Er hat ein Paar scharfe Augen … und die meiste Zeit schauen sie in deine Richtung.“

„Du weißt, dass er ein Mann ist, den es nicht lange an einem Ort hält. Das hat er selbst gesagt.“ Kat schüttelte den Kopf. „Und eine Beziehung ist nicht das, was Josh und Sam von ihrer Mutter erwarten.“

„Wer weiß, wie alles kommt.“ Rose ließ den Gedanken so schnell nicht los. „Für Josh wäre es am schwierigsten, sich damit abzufinden. Er war bei Richards Tod schon alt genug, um den Verlust voll zu begreifen. Seitdem hat er sich hinter eine seelische Schutzmauer zurückgezogen. Mit Sam ist das anders.“ Rose lächelte. „Er ist wieder richtig aufgeblüht.“

Rose hatte recht.

In den zwei Wochen, in denen Ben jetzt bei ihnen wohnte, war aus Sam fast schon wieder der fröhliche, unbeschwerte Junge geworden, der er früher gewesen war. Oft hörte Kat ihn laut lachen und jubeln, wenn Ben mit ihm spielte, zum Beispiel die Spezial-Sportart „Krücken-Fußball“, die Ben sich hatte einfallen lassen.

Und Josh? Auch hier hatte Rose recht. Nach Richards Tod hatte er sich in sich selbst zurückgezogen. Es war wie bei einer Pflanze, dachte Kat, deren sichtbare Triebe bei starkem Frost verkümmert waren. Wenn Josh nicht bald seine Erstarrung überwand, würde er es noch schwer haben im Leben.

Umso bemerkenswerter, dass Joshs Leistungen in der Schule sich erfreulich gebessert hatten, seit Ben sich regelmäßig mit seinen Hausaufgaben beschäftigte. Es war nicht mit Kat abgesprochen gewesen, sondern hatte sich irgendwie von allein so ergeben, dass Ben, nachdem Sam ins Bett gegangen war, zu Josh ins Zimmer kam und mit ihm zusammen die Hausarbeiten durchging.

Manchmal blieb Ben dann noch im Wohnzimmer bei Kat, um sich im Fernsehen etwas anzuschauen. Er verhielt sich ihr gegenüber zurückhaltend, aber Kat bemerkte, wie enttäuscht er jedes Mal war, wenn in einem solchen Moment das Telefon klingelte und sie zu einem Hausbesuch gerufen wurde.

„Die Hälfte dieser Hausbesuche ist schlicht überflüssig“, hatte Ben einmal gegrollt, als Kat von einem späten Patientenbesuch, bei dem es angeblich um eine Blinddarmentzündung ging, die sich dann aber als Magendrücken durch zu fettes Essen herausstellte, zurückkam.

„Das mag schon so sein“, gab Kat zu. „Aber wir haben keine Chance, wir müssen uns darum kümmern.“

„Wir würden es uns niemals verzeihen, wenn etwas Ernsthaftes passierte“, hatte Ben ihr beigepflichtet. „Mich ärgert nur, dass manche Patienten das schamlos ausnutzen.“

Der nächste Patient, der nach Mrs. Couling in Kats Zimmer kam, war Mr. Aldarini, den es aus Italien an die englische Westküste verschlagen hatte. Er lebte schon viele Jahre in Ditchling, aber er hatte seinen deutlichen, jedoch liebenswürdig klingenden italienischen Akzent nie verloren. Kat versuchte ihn schon seit geraumer Zeit davon zu überzeugen, wegen seiner schweren Arthrose einer Hüftoperation zuzustimmen. Aber Mr. Aldarini hatte panische Angst vor Krankenhäusern.

„Was führt Sie zu mir, Mr. Aldarini“, begrüßte Kat ihn freundlich.

„Bitte, dottoressa, machen Sie für mich einen Termin im Krankenhaus.“ Er seufzte tief. „Ich weiß, ich werde dort wahrscheinlich sterben, aber die Schmerzen sind manchmal kaum auszuhalten.“

Kat glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Sie hatte den dickköpfigen älteren Mann immer wieder aufgefordert, der Operation zuzustimmen – ohne Erfolg. Jetzt waren seine Hüftschmerzen so stark, dass er seine Meinung geändert hatte. Aber es war nicht so leicht, rasch einen Termin für eine solche Operation zu bekommen. Außer …

Sie nahm den Telefonhörer ab. „Rose, verbinde mich bitte mit dem neuen Chirurgen auf der orthopädischen Station des Krankenhauses. Erinnerst du dich, da war ein Artikel über ihn in der Lokalzeitung. Ich weiß aber nicht mehr seinen Namen.“

„Mr. Khan“, erwiderte Rose prompt. „Ich habe ihn mir gemerkt, weil er so ungewöhnlich ist. Augenblick, ich versuche es gleich.“

Nur zwei Minuten später klingelte das Telefon auf Kats Schreibtisch. „Ich habe Dr. Khans Sekretärin am Apparat“, sagte Rose.

„Hallo, hier spricht Kat Leeman aus Ditchling. Ich habe hier einen Patienten mit einem akuten Problem“, informierte sie sie. „Er braucht dringend eine künstliche Hüfte, aber bisher hatte er zu viel Angst vor dem Krankenhaus.“

„Scheint so, als ob er seine Meinung geändert hätte“, antwortete die Sekretärin trocken. Offenbar hörte sie so etwas nicht zum ersten Mal.

„Ich frage mich, ob es eine Möglichkeit gibt, ihm schnell zu helfen. Wenn ich hier alles vorbereite, Laboruntersuchungen, Röntgenaufnahmen zum Beispiel, könnten Sie ihn dann auf die OP-Liste ganz oben als Ersatzpatienten aufnehmen, für den Fall, dass ein anderer Patient kurzfristig ausfällt?“

„Sie meinen, Ihr Patient könnte dann jederzeit ohne Verzögerung einspringen?“

„Genau. Von hier aus zum Krankenhaus sind es nur zwanzig Minuten.“

„Warten Sie einen Moment“, wurde Kat unterbrochen. Die Sekretärin hatte ihre Hand auf die Sprechmuschel gelegt, aber Kat bekam mit, dass sie mit jemandem in dem Raum über ihren Vorschlag sprach.

„Dr. Leeman?“, meldete sie sich dann wieder. „Dr. Khan meint, es sei immer gut zu wissen, dass ein Ersatzpatient kurzfristig zur Verfügung stehen kann. Er bittet Sie, den Patienten morgen zu ihm zu schicken. Und ihm einen kurzen Bericht über seine Krankengeschichte mitzugeben. Dr. Khan wird mit ihm sprechen und die nötigen Röntgenaufnahmen machen. Dann braucht Ihr Patient nur noch abzuwarten, bis das Telefon klingelt, und sofort herkommen. Wäre das in Ordnung?“

„Augenblick.“ Kat berichtete Mr. Aldarini kurz von dem Gespräch.

„Sind Sie sicher, dass er ein richtiger Chirurg ist? Mein Nachbar musste monatelang warten, bis er einen Vorstellungstermin bekam. Und auf die Operation hat er fast ein Jahr gewartet.“

„Ja, Mr. Aldarini, ich versichere Ihnen, Dr. Khan ist ein richtiger Chirurg. Er ist neu in der Gegend, deshalb ist seine Warteliste vielleicht noch nicht so lang. Wollen Sie nun morgen zu ihm fahren?“

Si, dottoressa.“ Mr. Aldarini nickte. „Ich werde hinfahren, aber ich werde ihm viele Fragen stellen über das Krankenhaus und darüber, wie viele seiner Patienten schon gestorben sind.“

„Ich habe alles verstanden“, kicherte die Sekretärin am anderen Ende der Leitung. „Sieht so aus, als ob er uns auf Herz und Nieren prüfen will.“

Kat musste ebenfalls lachen, bevor sie das Gespräch beendete.

„Wie kommen Sie morgen früh dorthin? Brauchen Sie ein Taxi?“

„Nein, nein“, wehrte Mr. Aldarini ab. „Mein Nachbar wird mich hinfahren. Das kann er wieder, seit er seine neue Hüfte bekam. Vor der Operation, müssen Sie wissen, war er nicht mehr in der Lage, Auto zu fahren. Er freut sich, die netten Krankenschwestern wiederzusehen, die ihn gepflegt haben.“

Als er zur Tür ging, dankte er Kat noch einige Male überschwänglich. Erleichtert atmete sie auf. Endlich hatte sich Mr. Aldarini zu der Operation entschlossen.

„Ihr letzter Patient war ja bei seinen Lobeshymnen kaum zu bremsen“, meinte Ben scherzhaft, als er Kat wenig später auf dem Flur traf. „Wahrscheinlich ist er überzeugt, dass Sie Wunderheilungen vollbringen können.“

„Dafür gibt es keinen Grund“, erwiderte sie. „Mr. Aldarini hat sich lange geweigert, für die dringend nötige Hüftoperation ins Krankenhaus zu gehen. Jetzt sind seine Beschwerden so stark geworden, dass er sich endlich dazu entschlossen hat. Er kam heute her, um mich nach einem Chirurgen zu fragen.“

„Ich begreife nicht ganz“, meinte Ben stirnrunzelnd. „Sie haben ihm doch sicher gesagt, dass er auf eine Warteliste gesetzt wird. Wieso war er dann so fröhlich?“

„Ganz einfach – er weiß, dass die Operation schon bald stattfinden wird. Deshalb hat er sich so gefreut.“ Sie machte eine kleine Pause, um die Spannung zu erhöhen. „Morgen früh hat er einen ersten Termin beim Chirurgen.“

„Das ist doch gar nicht möglich!“ Entgeistert schaute Ben sie an. Sein bewunderndes Staunen war Balsam für ihre Seele.

„Nicht, wenn man die richtigen Leute kennt“, entgegnete sie kokett und schaute ostentativ auf ihre Fingernägel.

„Sagen Sie mir schon, was das Geheimnis ist, mit dem Sie dieses Wunder bewirkt haben“, meinte er, als sie zusammen zum Empfang gingen.

„Welches Geheimnis?“ Rose war ganz Ohr. „Oder ist es etwas ganz Privates zwischen euch beiden?“

Einen Moment lang schlug Kats Herz schneller bei dem Gedanken, es könnte ein privates Geheimnis zwischen ihr und Ben geben. Angestrengt versuchte sie, die Bilder aus ihrem Kopf zu verscheuchen, die Roses Bemerkung ausgelöst hatte.

„Nein, nein, machen Sie sich keine falschen Hoffnungen, Rose“, erwiderte Ben. „Es geht um die Frage, wie Kat es fertiggebracht hat, Mr. Aldarini so schnell einen Termin bei dem Chirurgen zu besorgen. Sie will es mir nicht sagen! Wie kann ich sie bestechen, damit sie ihr Geheimnis mit mir teilt?“

„Warum versuchen Sie nicht, mich zu bestechen?“, bot Rose mit einem herausfordernden Lächeln an. „Ich liebe zum Beispiel Schokolade, vor allem ganz dunkle und kräftige.“

„Rose! Sie sind eine Frau nach meinem Geschmack“, rief Ben theatralisch aus. „Lassen Sie uns in mein Zimmer gehen und sehen, ob wir ins Geschäft kommen.“

„Hüte dich, Rose, auf ihn hereinzufallen“, meinte Kat scherzhaft, aber doch mit einem ernsthaften Unterton. „Wenn er dir eine Schachtel Pralinen verspricht, biete ich zwei, wenn du den Mund hältst.“

„Aha, da redet die Chefin“, entgegnete Ben amüsiert. „Also, Rose, soll ich noch eine Flasche Champagner dazu anbieten?“

„Ich biete zwei“, konterte Kat.

„Und wie wäre es mit einem Essen in einem Restaurant Ihrer Wahl, Rose?“, schlug Ben mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes vor, der seine Felle davonschwimmen sieht.

„Hmm.“ Nachdenklich sah Rose die beiden an. „Ich habe eine bessere Idee, Ben. Sie geben Kat die Schokolade und den Champagner und laden sie zum Essen ein. Dann sagt sie es Ihnen vielleicht selbst.“

„Rose!“ Kat schnappte nach Luft. Dabei musste sie zugeben, dass ihr die Vorstellung eines Dinners mit Ben in einem netten Restaurant durchaus reizvoll erschien.

„Also, was halten Sie von dem Vorschlag, Frau Chefin?“, wollte Ben wissen und richtete seine grünen Augen voller Spannung auf sie. „Würden Sie es in Erwägung ziehen zuzustimmen und bei der Gelegenheit Ihr Geheimnis lüften?“

„Ich weiß nicht … das geht doch nicht“, stammelte sie nervös. „Wir können doch nicht miteinander ausgehen … die Praxis … außerdem habe ich Bereitschaftsdienst. Und Sie müssen wegen Josh und Sam zu Hause bleiben.“

„Nun, die Probleme sind einfach zu lösen“, unterbrach Rose sie. „Sie könnten für eine Nacht den Bereitschaftsservice einschalten. Das kostet nicht die Welt. Und ich passe mit Vergnügen auf Josh und Sam auf. Dann kann ich schon für meine zukünftigen Enkelkinder üben.“ Fragend schaute sie Ben an. „Haben Sie sich schon überlegt, in welches Restaurant Sie Kat ausführen wollen?“

„Aber, Rose … du kannst doch nicht … ich meine, wir können doch nicht so einfach …“ Kat ärgerte sich, dass sie vor Aufregung keinen vollständigen Satz herausbrachte.

„Wenn es Sie stört, mit einem Mann an Krücken auszugehen, dann nennen wir das Ganze doch ein Geschäftsessen“, erwiderte er trocken. „Ich würde es dann allerdings auf die Spesenrechnung setzen.“

„Oh nein, kommt nicht in Frage.“ Plötzlich hatte sich Kat entschlossen mitzuspielen. Sie hatte überhaupt keinen Grund, nervös zu sein. „Wenn Sie mein Geheimnis erfahren wollen, dann wird Sie das teuer zu stehen kommen. Ich warne Sie.“

4. KAPITEL

Kat presste die Hand auf ihren Magen, während sie hoffte, die darin flatternden Schmetterlinge zu beruhigen.

„Worauf zum Teufel habe ich mich da eingelassen?“, dachte sie verwirrt, wobei sie damit rechnete, dass jede Minute einer ihrer Söhne den Kopf zur Tür hereinsteckte und sie fragte, was sie vorhabe.

Die beiden hatten seit einem Jahr nicht mehr erlebt, dass sie sich zum Ausgehen vorbereitete. Sie selbst war teils erschrocken, teils fasziniert von dem, was sie tat.

„Du malst dir die Augen an?“, hatte Sam vorhin fassungslos gefragt. Kat fiel ein, dass sie seit Jahren nur rasch ihr Gesicht gewaschen und ihre Haare mit ein paar Bürstenstrichen zurückgekämmt hatte, bevor sie sich an die tägliche Arbeit machte.

Richard hatte Make-up oder Nagellack bei Frauen nicht gemocht. Also hatte sie den leichten Weg gewählt und auf solche weiblichen Attribute verzichtet. Das war ihr nicht schwergefallen, denn schließlich war sie mit dem nettesten und liebenswertesten Mann verheiratet, den sie sich vorstellen konnte. Ihre Beziehung war nicht von einem aufregenden, prickelnden Gefühlsleben, sondern von einer soliden, verlässlichen, wärmenden Liebe geprägt gewesen.

Sie fühlte sich unsicher, weil sie, was die Beziehung zum anderen Geschlecht anging, völlig aus der Übung war. Sie trat zurück und musterte sich im Spiegel. Ihr Kleid war modisch nicht mehr so ganz aktuell, genauso wenig wie die Schuhe. Sie hatte einen großen Chiffonschal herausgesucht, mit dem sie verbergen wollte, wie überschlank sie geworden war. Es war ihr erst jetzt aufgefallen, wie viel Gewicht sie durch die anstrengende Arbeit verloren hatte. Sie hoffte, dass ihre Kleiderauswahl ihrer Absicht entsprach, zurückhaltend elegant auszusehen. Sie wusste ja nicht einmal, wohin Ben sie ausführen würde.

„Rose?“, rief sie durch die geöffnete Schlafzimmertür. Sie brauchte die Meinung einer anderen Frau, sonst würde sie am Ende doch wieder zur ihrer unauffälligen Arbeitskleidung greifen.

Sie hörte Schritte draußen und nahm an, dass Rose gleich eintreten würde. „Rose, sag mir bitte, wie du mich angezogen findest … aber ehrlich.“ Sie fuhr sich noch einmal mit den Fingern durch ihr frisch gewaschenes Haar und strich ihr Kleid glatt. „Sehe ich akzeptabel aus oder wie ein Schaf, das sich als Lämmchen verkleidet?“ Sie breitete die Arme aus, drehte sich um … und schaute Ben ins Gesicht, der in der Tür stand.

Seine Augen, deren Grün jetzt bei künstlicher Beleuchtung dunkler wirkte als sonst, musterten sie langsam von oben bis unten.

„Sie sehen … unglaublich aus“, sagte er dann, und seine Stimme klang heiser.

„Seid ihr fertig zum Ausgehen?“, wollte Sam wissen, der hinter Ben aufgetaucht war. „Rose lässt uns nicht den Fernseher einschalten, bevor ihr gegangen seid.“

„Dann werden wir uns wohl beeilen müssen“, meinte Ben lächelnd zu dem Achtjährigen, der wieder einmal aufgeregt herumhüpfte. „Haben Sie einen Mantel, den Sie umlegen können?“, fragte er Kat. „Der Wagen ist zwar warm, aber draußen weht ein ziemlich frischer Wind.“

„Ich habe einen großen Pashminaschal, den kann ich mitnehmen. Ich habe ihn schon bereitgelegt“, sagte sie und tastete mit etwas fahrigen Händen nach dem zartvioletten Schal, den sie vor längerer Zeit gekauft hatte, weil er so gut zu ihren grauen Augen passte.

Sein Blick ließ sie nicht los, verweilte auf ihrem Gesicht und ihren Lippen.

„Darf ich?“, fragte er, trat mit seinen Krücken einen Schritt vor, lehnte die Gehhilfen an ihren Toilettentisch und griff nach dem Schal. Mit einer behutsamen Bewegung legte er ihn um ihre Schultern. Als seine Finger dabei einen Sekundenbruchteil die Haut ihres Nackens streiften, zuckte sie zusammen, verwundert über die Wirkung einer so flüchtigen Berührung.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, derart intensiv auf Richard reagiert zu haben.

Kat zwang sich, zu dem gerahmten Foto auf ihrem Nachttisch hinüberzuschauen, das sie mit Richard am Tag ihrer Hochzeit zeigte.

„Mum!“ Sams Stimme klang ungeduldig.

„Denkt daran, dass ihr zu Rose nett seid. Ihr geht sofort ins Bett, wenn sie es sagt, verstanden?“ Kat war so selten ausgegangen, dass die Jungs nicht daran gewöhnt waren, dass jemand anderes als ihre Mutter auf sie aufpasste.

„Aber natürlich“, rief Sam, rannte ins Wohnzimmer und setzte sich neben Rose auf das Sofa. Josh saß schon auf der anderen Seite. „Wir werden uns jetzt den Piratenfilm ansehen, auf den wir unheimlich gespannt sind.“

Als Kat Ben zur Tür folgte, hört sie Sam sagen: „Sie gehen. Jetzt können wir endlich den Fernseher einschalten!“

Josh blieb stumm. Kat war jedoch nicht entgangen, dass er jede Bewegung von ihr und Ben sehr aufmerksam verfolgt hatte. Sein Gesicht war ernst und verschlossen, so wie früher bei seinem Vater, wenn dieser ein Problem gehabt hatte.

Kat ging rasch noch einmal zu ihm und strich ihm über den Kopf. Sie hätte Bens Einladung nicht annehmen sollen. Das war Josh gegenüber nicht fair, denn er fühlte sich verletzt.

Aber plötzlich lächelte er … ein zaghaftes, schüchternes Lächeln. Kat fühlte sich von einer Sekunde zur anderen so erleichtert, dass ihr fast die Tränen in die Augen stiegen.

„Du siehst toll aus, Mum“, sagte Josh leise.

„Danke, das ist sehr lieb von dir. Ich werde nicht lange weg sein. Und ich habe mein Handy eingeschaltet, falls …“

„Nun ist es aber gut“, mischte sich Rose ungeduldig ein. „Ich habe selbst zwei Kinder großgezogen. Es wird alles wunderbar klappen. Und jetzt wollen wir endlich unseren Film sehen.“

Ben hatte am Vormittag heimlich geübt, ob er mit seiner Beinschiene auf dem Beifahrersitz Platz nehmen konnte. Es ging, wenn er den Sitz ganz zurückschob.

Es erforderte einige Anstrengung, sich hinzusetzen, denn er konnte sich nur schwer konzentrieren. Er musste ständig an Kat denken und daran, wie überwältigt er vorhin von ihrem Anblick gewesen war.

Ihre Augen waren groß und neugierig gewesen, als sie sich umdrehte und damit rechnete, Rose zu sehen. Dann hatten sie sich vor Überraschung noch mehr geweitet, und sie hatte plötzlich schneller geatmet. In diesem Moment hatte er begriffen, dass sein Anblick auf sie ähnlich wirkte wie ihre Gegenwart auf ihn. Im Spiegel hatte er ihren fast Hilfe suchenden Seitenblick zu dem Foto auf dem Nachttisch gesehen, der neben dem Bett stand, in dem er eine Woche lang geschlafen hatte, bevor er in den oberen Stock gezogen war. In ihrem Zimmer, in dem ihr dezenter Duft noch immer in der Luft gelegen hatte, war es nicht ausgeblieben, dass er sich vorstellte, sie läge in seinen Armen …

Er seufzte tief und war froh, als sie den Motor startete.

„Haben Sie etwas gesagt?“, fragte Kat, während sie ihn kurz von der Seite anschaute.

„Nein, nichts“, murmelte er. Er war völlig überrascht, wie heftig sein Körper auf ihre Nähe reagierte.

Als sie das Restaurant betraten, befürchtete er, dass ihm die anderen Gäste seine starke körperliche Erregung anmerkten. Er hoffte nur, dass der Anblick der Krücken die Leute ablenken würde, die neugierig zu ihnen hinüberschauten.

Als er endlich am Tisch saß, konnte er anfangen, den Abend zu genießen – das erstklassige Essen, aber vor allem die angeregte Unterhaltung mit einer Frau, die nicht nur schön, sondern intelligent und gebildet war.

Als das Gespräch persönlicher wurde, verspürte Ben Unbehagen. Kat hatte keine Probleme damit, über ihre Söhne zu sprechen und ihm zu erzählen, wie die beiden auf die Nachricht vom Tod ihres Vaters reagiert hatten. Josh hatte sich völlig in sich zurückgezogen und von der Umwelt abgekapselt. Sam hatte verzweifelt versucht, wieder Ordnung in sein noch so junges Leben zu bringen.

„In letzter Zeit sind beide etwas lockerer geworden“, sagte Kat nachdenklich. Sie sah Ben an, und ihre grauen Augen weiteten sich. „He, ich glaube fast, das liegt an Ihnen.“ Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst. „Ich fürchte, ich bin nicht ganz unschuldig an ihren Depressionen. Ich habe mir wohl nicht genügend Zeit für sie genommen, als sie es am meisten nötig hatten. Aber ich musste allein die Praxis in Gang halten … und nach Richards Tod war so viel zu erledigen …“ Sie wiegte mit düsterer Miene den Kopf.

Zu Bens Entsetzen blickte sie ihn genau in diesem Moment an.

„Und was ist mit Ihnen? Wir wohnen schließlich zusammen … oh, das war nicht so gemeint, wie es klingt.“ Sie lachte. Eine Sekunde lang dachte er, sie wäre es nicht gewohnt, Wein zu trinken, aber dann erinnerte er sich daran, dass sie abwehrend die Hand über das Glas gehalten hatte, als der Kellner nachschenken wollte. Am Alkohol konnte es also nicht liegen, wenn sie so aufgekratzt war.

Offensichtlich fühlte sie sich in seiner Gegenwart wohl, und das gefiel Ben.

„Ich würde Sie gern fragen …“, meinte Kat etwas zögernd, „… ob wir nicht mit dem formellen ‚Sie‘ aufhören sollten. Wir sind hier in Ditchling nicht so formell.“

„Einverstanden“, erwiderte Ben und prostete ihr zu.

„Und was ich noch sagen wollte, ist, dass wir jetzt seit genau zwei Wochen in demselben Haus leben“, fuhr sie fort, „aber dass ich von dir nicht mehr weiß, als das, was du mir am ersten Tag gesagt hast.“

Die Unterhaltung nahm eine Richtung, die er auf keinen Fall wollte. Er brachte es einfach nicht fertig, über die schrecklichen Ereignisse zu reden, die sein Leben völlig auf den Kopf gestellt hatten. Bisher hatte er mit keinem Menschen darüber geredet.

„Das erinnert mich daran, dass heute der Tag ist, an dem wir über meinen Job in der Praxis sprechen wollten“, wechselte er rasch das Thema.

„Was ist mit Ihrem … äh, deinem Job?“ Verwundert sah Kat ihn an. „Willst du mir sagen, dass du uns schon wieder verlassen wirst?“

„Nein, das wollte ich nicht.“ Insgeheim freute er sich über ihre Reaktion, denn er hatte den Eindruck, dass sie auch ein persönliches Interesse an seinem Bleiben hatte. „Du erinnerst dich, dass wir gesagt haben, nach zwei Wochen hätte jeder von uns die Möglichkeit zu entscheiden, ob er die Zusammenarbeit fortsetzen möchte oder nicht.“

Sie nickte langsam. „Und?“ Jetzt war der Ball wieder bei ihm.

„Ich würde gern mindestens drei Monate bleiben, mit einer Option für weitere drei Monate“, bot er an, auch wenn sich in seinem Kopf eine warnende Stimme zu Wort meldete.

Er hatte sich schon viel zu sehr an die kleine Familie gewöhnt. Es würde ihn in eine schwierige Lage bringen, wenn er länger blieb. Aber er konnte Kat nicht mit ihren ganzen Problemen allein lassen – jedenfalls nicht, bevor sie einen verlässlichen neuen Partner für die Praxis gefunden hatte.

Der Ausdruck von Erleichterung und ehrlicher Freude, der ihr Gesicht erstrahlen ließ, berührte ihn zutiefst, aber machte ihm gleichzeitig klar, auf welches Risiko er sich einließ.

Kat war eine unglaublich starke Frau. Sie hatte Mut und Herz, sonst hätte sie die zurückliegenden zwölf Monate nicht meistern können. Sie hatte recht damit, dass ihre Söhne langsam begannen, ihr Verhalten zu ändern. Sam war weniger aufsässig. Immer häufiger war sein fröhliches Lachen durchs Haus zu hören.

Mit Josh war das nicht ganz so einfach. Bei ihm würde es wahrscheinlich Monate dauern, bis er sich aus der Erstarrung lösen konnte. Durch die Erkrankung und den Tod des Vaters war für ihn die Welt völlig aus den Fugen geraten. Es war gut möglich, dass die Anwesenheit eines Mannes im Haus Josh wieder Halt gab. Vielleicht.

„Ich stimme zu … unter einer Bedingung“, sagte Kat plötzlich.

„Bedingung?“ Jetzt war es an ihm, Kat erstaunt anzusehen.

„Wenn sich herausstellt, dass du, sobald du die Krücken nicht mehr brauchst, ein noch viel besserer Arzt bist, als jetzt schon klar ist, möchte ich dich bitten, ernsthaft zu überlegen, ob du nicht als Partner in der Praxis bleiben willst – auf Dauer.“

Er brachte es fertig, sie anzulachen und ihr zu versichern, alles sei möglich, obwohl er wusste, dass er das in Wirklichkeit auf keinen Fall vorhatte. Er konnte und wollte sich nicht so intensiv mit Menschen einlassen, bis sie herausbekamen, wer er war und welch schrecklichen Fehler er gemacht hatte.

Die Fahrt nach Hause verlief recht schweigsam. Mit Kats Hilfe stieg er aus dem Wagen und stand einen Moment ganz dicht vor ihr. Normalerweise hätte er jetzt versucht, ihr mit einem Kuss für den Abend zu danken. Aber dann fiel ihm ein, dass seine Einladung ja mit einer bestimmten Absicht verbunden gewesen war.

„So, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um mir zu erklären, wie du so schnell einen Termin für Mr. Aldarini bekommen hast“, forderte er sie auf. „Musstest du dem Chirurgen versprechen, dein nächstes Kind nach ihm zu benennen?“ Kaum war ihm diese Bemerkung über die Lippen gekommen, hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen.

Er sah, wie sich ihre Miene für einen kurzen Moment verdüsterte. Vielleicht hatte sie sich ja wirklich noch ein Kind gewünscht, ein Mädchen möglicherweise, mit den gleichen blonden Haaren und grauen Augen wie die Mutter.

„Nichts dergleichen“, sagte sie ganz ruhig. „Ich hatte gehört, dass ein neuer Chirurg in der orthopädischen Abteilung des Krankenhauses arbeitet. Ich dachte mir, dass er aufgeschlossen dafür sein könnte, die starren und altmodischen Abläufe dort ein wenig auf Vordermann zu bringen.“

„Und wie bist du vorgegangen?“, wollte Ben wissen.

„Ich habe bei ihm angerufen und seiner Sekretärin erklärt, dass ich einen Patienten hätte, der dringend eine neue Hüfte braucht. Ich sagte ihr auch, dass Mr. Aldarini damit einverstanden sei, sozusagen auf Abruf als Ersatzpatient einzuspringen, wenn ein anderer Patient ausfiele. Das schien Dr. Khan, dem neuen Chirurgen, zu gefallen. Jedenfalls hat er für morgen Mr. Aldarini zu sich bestellt, um die vorbereitenden Labortests und Röntgenaufnahmen zu machen.“

„Ja, das kommt manchmal vor, dass ein Patient plötzlich ausfällt. Und kein Chirurg hat gern eine ungeplante Pause in seinem Operationsplan“, meinte Ben und dachte daran, wie oft ihm das selbst passiert war.

Gespannt hörte Kat ihm zu. Das Licht von der Haustür fiel auf ihr Gesicht, ihre glatte Haut, die schlanke Nase und ihr wohlgeformtes, aber festes Kinn, das Willensstärke ausdrückte. Und obwohl Ben versuchte, nicht daran zu denken, wie es sich anfühlen würde, ihre Lippen zu berühren, konnte er der Versuchung, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen, kaum widerstehen.

Aber das darf ich nicht, auf keinen Fall, dachte er grimmig, während er sich zwang, sie nicht länger anzuschauen.

„Pass bitte auf, wenn du mit den Krücken die Treppe hinaufgehst“, ermahnte sie ihn, als sie in die Halle traten. Der magische Moment war vorbei, aber Ben war froh, dass er sich zurückgehalten hatte, und zugleich ärgerlich, dass er sich so weit hatte treiben lassen.

Was hatte Kat Leeman an sich, dass der Eisblock, der sein Herz umgeben hatte, anfing zu schmelzen? Sie war Witwe und Mutter zweier Söhne. Alle drei hatten den Schmerz über den Verlust des Mannes und Vaters noch nicht überwunden. Und er war bestimmt nicht der geeignete Mensch, ihnen zu helfen.

Er hatte kaum zugehört, wenn Lorraine über Kopfschmerzen geklagt hatte, sondern diese ihrem stressigen Beruf zugeschrieben. Wenn er nur aufmerksamer gewesen wäre …

„Gute Nacht, Ben“, sagte Kat mit sanfter Stimme. Sie öffnete die Tür zum Wohnzimmer. „Ich sage Rose Bescheid, dass ich sie gleich nach Hause fahre.“

Das wäre eigentlich meine Aufgabe, dachte er. Als er an den Zimmern der Jungen vorbeiging, bemühte er sich, leise zu sein, um sie nicht aufzuwecken. Aber Josh schlief noch nicht, seine Zimmertür stand einen Spalt offen. Er hatte sich wohl vergewissern wollen, dass seine Mutter sicher nach Hause kam.

Ben schaute kurz zu ihm hinein. „Alles in Ordnung?“ Josh nickte.

„Hat euch der Film gefallen?“ Der Junge lächelte zustimmend, aber Ben spürte, dass er an etwas ganz anderes dachte. Und plötzlich wusste er auch, was Josh beunruhigt hatte.

„Deine Mutter wird dir bestimmt noch erzählen, dass wir ein sehr schönes Abendessen hatten, obwohl wir die ganze Zeit nur übers Geschäft gesprochen haben“, meinte Ben leichthin. Er hoffte, Josh würde ihm Glauben schenken.

„Übers Geschäft?“ Der Junge klang nicht ganz überzeugt.

„Nun“, erwiderte Ben und lachte. „Man muss sich ja von seiner besten Seite zeigen, wenn man mit seiner Chefin zu Abend isst.“

Er sah, wie die Spannung von Josh abfiel und die schmalen Schultern ein wenig nach unten sanken. Dann legte er sich hin und zog die Decke über sich. „Ich würde nicht übers Geschäft reden, wenn ich in ein Restaurant ginge“, murmelte er schon halb im Schlaf. „Ich würde essen.“

Ben drehte sich um und stand Kat gegenüber. Verblüfft stellte er fest, dass Tränen in ihren Augen glänzten.

„Danke“, flüsterte sie kaum hörbar. „Ich hatte nicht gedacht … dass er besorgt sein könnte …“ Sie suchte nach den richtigen Worten. „Die beiden haben ihren Vater vergöttert, auch wenn er nicht sehr viel Zeit für sie hatte.“

„Schon gut, ich verstehe“, flüsterte Ben. Er trat zur Seite, damit sie nach Josh sehen konnte. Dann ging er zur Treppe hinüber und begann zu seinem Zimmer im oberen Stock hinaufzusteigen. Als er sich umdrehte, sah er, wie Rose ihn nachdenklich betrachtete.

Am nächsten Morgen konnte Kat am Frühstückstisch Ben kaum in die Augen sehen.

Wie gewöhnlich war die Unterhaltung unbeschwert und fröhlich. Die Jungen schienen sich ehrlich zu freuen, dass Ben weiter mit ihnen gemeinsam frühstückte, nachdem er in den oberen Stock gezogen war.

Auch Kat hatte sich bisher darüber gefreut, ihn morgens zu sehen. Aber jetzt musste sie unentwegt daran denken, mit welchen Gefühlen sie ihn am Abend zuvor angeschaut hatte. Jede Bewegung von ihm und jedes Wort waren ihr noch in Erinnerung.

Als sie mit Ben vor der Haustür gestanden und den Schlüssel in ihrer Tasche gesucht hatte, war sie überzeugt gewesen, dass das passieren würde, was in einer solchen Situation zwischen Frauen und Männern üblich war – dass sie sich küssten. Aber dann hatte er den Kopf abgewandt und zur Haustür geschaut, als könne er nicht erwarten, hinein- und damit von ihr wegzukommen.

An diesem Morgen übersah er sie ebenfalls geflissentlich und beschäftigte sich unentwegt mit Josh und Sam. Wenn die Jungen erst in der Schule waren und sie in ihrem Sprechzimmer hinter dem Schreibtisch saß, würde ihre Welt wieder in Ordnung sein.

Schlagartig wurde ihr bewusst, dass ihre Reaktion vergleichbar war mit derjenigen Sams auf den Tod des Vaters.

„In welche Bredouille habe ich mich da selbst hineinmanövriert“, grübelte sie. Sie hatte lernen müssen, allein, ohne Richard, mit dem Leben und mit den Anforderungen in der Arztpraxis fertig zu werden. Was war ihr auch anderes übrig geblieben? Schließlich musste sie für ihre Söhne sorgen und ihnen ein Zuhause bieten.

Gleichzeitig empfand sie ein starkes Schuldgefühl, weil sie tatsächlich am Abend zuvor gehofft hatte, Ben würde sie küssen.

„Oh, mein Gott, was ist nur in mich gefahren“, flüsterte sie leise. „Ich fühle mich von ihm angezogen, aber ich fühle mich deswegen auch schuldig.“ Die Gefühle, die sie neuerdings in Bens Gegenwart verspürte, diese elementare sexuelle Anziehung, hatte sie nicht einmal bei Richard erlebt.

Sie vertraute Ben fast blind … und dabei wusste sie nicht einmal, ob er verheiratet war und vielleicht selbst Kinder hatte. Sie wusste nur, dass er allen Fragen nach seinem Privatleben beharrlich aus dem Weg ging.

Aber der Ausdruck von Schmerz und Verzweiflung in seinen Augen, wenn sie ihm eine persönliche Frage gestellt hatte, zeigten ihr, dass er ein düsteres Geheimnis mit sich herumschleppte. Irgendetwas zerfraß ihn innerlich und hatte offensichtlich die Freude an seinem Beruf und am Zusammensein mit anderen Menschen zerstört.

Freudlos lachte sie auf. Sie selbst hatte sich ein Jahr lang ganz ähnlich abgeschottet, hatte den Rest der Welt möglichst auf Distanz gehalten.

Bens Auftauchen hatte ihre verschütteten Gefühle wiederbelebt. Plötzlich war ihr bewusst geworden, dass sie immer noch eine junge Frau war, die vom Leben etwas erwarten konnte. Aber dieses Mal, anders als bei Richard, hatte es den Anschein, als ob sie dabei sei, ihr Herz an jemanden zu hängen, der unerreichbar war – an Ben.

5. KAPITEL

Den ganzen Tag über hatte Kat es vermieden, mit Ben allein zu sein. Sie beschloss, sich am Abend zu Hause genauso zu verhalten.

Sie hatte sich bereits überlegt, welche Hausarbeiten sie erledigen würde, und hoffte, es würden möglichst viele Anfragen für Hausbesuche kommen.

Plötzlich hörte sie aus dem Garten lautes Geschrei und Gelächter. Sie ging zur Hintertür und schaute hinaus.

Sie konnte kaum glauben, was sie sah, wenn sie an den düster blickenden und verschlossenen Mann dachte, der sich vor gut zwei Wochen bei ihr vorgestellt hatte. Dieser Mann lag nun platt auf dem Rücken, die beiden Jungs saßen auf ihm. Offensichtlich hatten sie Fußball gespielt. Alle drei waren schlammbespritzt, aber sie lachten unbändig und hatten jede Menge Spaß.

„He, hilft mir denn keiner?“, rief Ben Kat zu, als er sie erblickte. „Komm her und rette mich!“

„Ja, Mum, komm her und hilf uns!“, meinte Sam.

„Ich denke ja nicht daran“, lachte Kat. „Meint ihr, ich will mich auch von oben bis unten mit Schlamm bespritzen? Ich bleibe hier stehen und spiele den Schiedsrichter.“

In der Küche klingelte die Zeitschaltuhr am Herd. „Abpfiff“, rief Ben. „Nun, Frau Schiedsrichter, wer hat gewonnen?“

„Kommt darauf an, ob man die Tore zählt oder wie viel Kilogramm Schlamm jeder von euch aufgesammelt hat“, erwiderte sie trocken. „Da ich kein Tor gesehen habe, kann ich nur die Menge an Schlamm beurteilen. Und da scheint es mir unentschieden zu stehen.“

Die beiden Jungen hatten nicht weiter darauf reagiert, dass sich ihre Mutter und Ben nun duzten. Kat hatte ihnen gesagt, Ben würde für längere Zeit bleiben. Da war das nichts Ungewöhnliches.

„Ben, wo sind eigentlich deine Krücken?“, fragte sie besorgt.

„Eine steht dort drüben an der Hauswand … und die andere …“ Er suchte auf dem Boden und holte die zweite Krücke aus dem Schlamm unter seiner Hüfte hervor.

„Also, Jungs“, ordnete Kat an. „Ihr geht ins Haus, zieht die verdreckten Sachen aus, legt alles neben die Waschmaschine in der Küche … und dann ab unter die Dusche!“

„Okay, Mum.“ Sam rannte in die Küche.

Josh blieb einen Moment bei ihr stehen. „Du musst nicht mit Ben schimpfen. Es war unsere Idee, wir wollten unbedingt mit ihm Fußball spielen.“

„Ich werde nicht mit ihm schimpfen. Versprochen. Und jetzt lauf zu Sam und sieh zu, dass er nicht wieder das ganze Badezimmer überschwemmt.“

Josh grinste und rannte hinter seinem Bruder her.

Nun kam der schwierigere Fall. Sie nahm die Krücke, die an der Hauswand lehnte, und reichte sie Ben. „Du solltest vorsichtiger sein. Das Bein ist noch nicht richtig verheilt.“

„Ich war vorsichtig und habe es nicht belastet“, sagte er. Als er sah, dass sie die Hand ausstreckte, um ihm aufzuhelfen, warf er einen unsicheren Blick auf ihre schlanken, sauberen Finger und seine mit Schlamm überzogenen Hände. „Willst du das wirklich?“, erkundigte er sich.

„Das bisschen Schlamm stört mich nicht. Nun mach schon. Nimm die zweite Krücke, um dich abzustützen. Hast du dir nicht wehgetan, als du gefallen bist?“

„Ich bin nicht gefallen. Ich bin zwar auf dem nassen Gras ausgerutscht, aber ganz sanft auf dem Boden gelandet.“

„Ja, die Drainage des Rasens funktioniert nicht mehr richtig. Wir … das heißt, ich hätte mich längst darum kümmern müssen, aber ich bin noch nicht dazu gekommen.“

Plötzlich war es so, als ob Richard unsichtbar zwischen ihnen stand. Auch Ben schien das zu spüren. „Erzähl mir von deinem Mann“, forderte er unvermittelt.

„Von Richard?“

„Wie habt ihr euch kennengelernt?“ Vorsichtig ging Ben über den nassen Rasen zu der Bank an der Hauswand und setzte sich so, dass sie Platz hatte, sich neben ihn zu setzen.

„Wir haben uns im letzten Semester an der Universität getroffen und drei Monate später geheiratet. Wir kamen erst hierher nach Ditchling, als unsere Söhne schon geboren waren. Unser Vorgänger in der Praxis, Dr. Fraser, wollte in den Ruhestand gehen. Seit dem Schlaganfall seiner Frau hatte er keine Lust mehr, die Praxis weiterzuführen. Er wollte mit ihr nach Spanien ziehen, wo sie jeden Tag schwimmen und in der Sonne sein konnte.“

Kat war damals über die innige Liebe des schon betagten Paares tief gerührt gewesen. Sie hatte sich sehr darüber gefreut, als sie später hörte, dass für Mrs. Fraser im sonnigen Süden ein ganz neues und erträgliches Leben begonnen hatte.

„Dann muss die Praxis nicht in einem sehr guten Zustand gewesen sein“, meinte Ben.

„Am Anfang war es tatsächlich hart“, gab Kat zu. „Dr. Fraser hatte kaum noch das Nötigste getan. Die Patienten waren zum Teil schon dazu übergegangen, sich bei den Ärzten in den Nachbargemeinden behandeln zu lassen.“

„Heute haben wir fast mehr Patienten, als die Praxis bewältigen kann. Wie habt ihr das fertiggebracht?“ Die Bewunderung, die aus seiner Stimme klang, war Balsam für ihre Seele.

Plötzlich dachte Kat, wie sehr es ihr gefiel, hier so mit Ben zu sitzen. Es war schön, mit jemandem zu reden, der kein Patient war oder wissen wollte, was es zum Abendessen gab.

„Wir mussten Kredite aufnehmen, um zuerst das Haus wieder ansehnlicher zu machen. Wir ließen die Fassade neu streichen, den Parkplatz asphaltieren und die Zufahrt erweitern. Wenn wir die Jungen abends ins Bett gebracht hatten, haben wir endlose Stunden in vielen Nächten damit verbracht, die Wände zu streichen.“ Sie erinnerte sich daran, wie erschöpft sie damals oft gewesen war.

„Wir haben uns bemüht, die Patienten, die der Praxis treu geblieben waren, nicht zu enttäuschen. Als die Renovierungsarbeiten beendet waren, haben wir eine große Wiedereröffnungsparty veranstaltet.“ Sie lachte auf. „Der Erfolg war nicht besonders groß. Es kamen nur unwesentlich mehr Patienten. Richard war schon ganz mutlos, als plötzlich eine Grippeepidemie in der Gegend ausbrach, dann ein Magenvirus Hunderte von Menschen befiel und schließlich noch in den Schulen der Gegend die Windpocken sich ausbreiteten – alles fast übergangslos hintereinander. Von da an konnten wir uns vor Patienten kaum retten. Dadurch stiegen natürlich unsere Einnahmen, und wir konnten die Kredite schneller als geplant zurückzahlen.“

Zurückblickend sagte sie sich, dass Richard und sie eigentlich alles erreicht hatten, was sie sich vorgenommen hatten – aber nie die Zeit fanden, es zu genießen.

„Dann erkrankte Richard von einem Tag auf den anderen“, fuhr sie fort. „Das Schlimme war, dass seine Krankheit in dem Moment, als sie diagnostiziert wurde, schon zu weit fortgeschritten war. Die Chemotherapie gegen seine Leukämie war so belastend, dass er kaum noch ansprechbar war.“

Sie senkte den Kopf und musste gegen die Tränen ankämpfen. „Es gab keine Chance auf Heilung“, flüsterte sie. „Und wegen der enormen körperlichen Anstrengungen, die er sich monatelang vorher zugemutet hatte, um die Praxis wieder in Gang zu bringen, war er physisch völlig geschwächt.“

Aber es war nicht nur seine körperliche Schwäche gewesen, die ihn belastet hatte. Kat hob den Kopf und sah Ben mit ihren grauen Augen fest an. „Die Jungen und ich hätten in der damaligen Situation auch die Aufmerksamkeit von Richard gebraucht. Aber nachdem er die vernichtende Diagnose gehört hatte, gab er sich auf und verlor jedes Interesse an uns.“

Als sie Ben ansah, stellte sie befremdet fest, dass er seine Augen auf einen imaginären Punkt hinter ihr gerichtet hielt. Offensichtlich hatte sie einen dummen Fehler gemacht, ihm all das anzuvertrauen, was sie eben erzählt hatte. Es schien, als ob er daran nicht interessiert war.

„Manchmal ist das für unheilbar kranke Menschen die einzige Möglichkeit, mit der Situation fertig zu werden“, meinte Ben plötzlich. Seine Stimme klang rau, fast heiser.

„Wie bitte?“ Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie nicht verstanden hatte, was er meinte.

„Ich wollte sagen, dass Menschen nach einer solchen Diagnose, vor allem, wenn es sich um Krebs handelt, sich entweder entschließen, mit aller Kraft dagegen anzukämpfen – oder sich aufzugeben.“

„Du hast recht“, stimmte sie zu. „Beides habe ich auch schon bei Patienten erlebt. Aber Richard war immer ein Kämpfer gewesen. Ich konnte einfach nicht verstehen, dass er aufgab.“

„Manche Menschen begreifen in solchen Momenten, dass sie keine Chance haben, den Kampf zu gewinnen. Das liegt natürlich gerade bei Ärzten sehr nahe.“

„Aber …“, begann sie, unterbrach sich jedoch, als sie einen Blick auf sein Gesicht warf. Er redete nicht theoretisch … nein, es betraf ihn selbst, er musste Ähnliches erlebt haben.

„Es ist fast so“, fuhr er schleppend fort, „als ob diese Menschen plötzlich alle ihre kämpferischen Instinkte einfach abschalten. Weil sie wissen, das würde das unausweichliche Ende nur hinauszögern. Sie wollen sich nicht an falsche Hoffnungen klammern und damit ihren Liebsten das Leben noch schwerer machen. Darum geben sie einfach auf.“

Das war eine sehr einfache, aber einleuchtende Erklärung. Es war eine Erklärung, die auch Richards Verhalten plötzlich in einem anderen Licht erscheinen ließ. „So habe ich das bisher noch nicht gesehen“, gestand sie.

„Mum!“ Joshs aufgeregte Stimme war aus dem Haus zu hören. „Sam hat das ganze Shampoo aufgebraucht und nichts für mich übrig gelassen.“

Kat musste grinsen. Mit einem Ruck war sie wieder im Alltag gelandet. Die Chance, Ben zu fragen, über wen er gesprochen hatte, war erst einmal vertan.

„Mum, er hat auch sämtliche Handtücher nass gemacht“, meldete sich Josh wieder. Kat seufzte.

„Ich glaube, dann sollten wir auch hineingehen“, sagte sie und streckte Ben die Hand hin.

Er schaute seine Hände an und verzog das Gesicht. „Ich habe wohl nicht realisiert, wie schmutzig meine Hände wirklich sind“, meinte er entschuldigend.

„Ich kann meine ja gleich waschen“, erwiderte Kat. „Außerdem bin ich nicht aus Watte.“

Er war schneller aufgestanden, als sie gedacht hatte. Mit einem Ruck kam er auf die Füße und stand ihr so dicht gegenüber, dass ihre Nasenspitze nur Zentimeter von seiner schlammverkrusteten Schulter entfernt war.

Er bewegte sich nicht rückwärts, das hätte er auch wegen der Bank hinter ihm schlecht gekonnt. Und sie brachte es nicht fertig, sich zu bewegen, weil seine Nähe sie fast betäubte.

Plötzlich war aus dem Haus ein dumpfer Schlag zu hören und ein Geräusch, als ob etwas in Scherben fiel. Dann meldete sich auch schon Joshs aufgeregte Stimme. „Mum, Mum, komm schnell! Sam ist hingefallen. Er blutet.“

Kat hätte hinterher nicht sagen können, wie sie so schnell ins Badezimmer gekommen war. Der Anblick ihres jüngeren Sohnes, der blutend und benommen auf dem Boden des Badezimmers kauerte, in einer Pfütze aus grünlichem Duschgel, das aus einer zerbrochenen Flasche ausgelaufen war, brannte sich in ihr Gehirn ein.

„Ich hätte ihn festhalten sollen, als er sich auf den Rand der Badewanne stellte, um besser in den Spiegel schauen zu können.“ Schuldbewusst sah Josh seine Mutter an, er war schneeweiß im Gesicht.

„Bewegt euch beide nicht!“, rief Kat. „Sonst tretet ihr noch in die Glassplitter mit euren nackten Füßen.“

„Ich kümmere mich um Josh“, sagte eine tiefe Stimme hinter ihr. Sie fragte sich, wie Ben es mit seinen Krücken so schnell geschafft hatte herzukommen. „Du schaust nach Sam.“

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie ihre Gedanken wieder gesammelt hatte. Sie sah, wie Ben offensichtlich ohne jede Mühe Josh hochhob, ihn in ein Badetuch wickelte und auf die Füße stellte.

Dann hatte sie nur noch Augen für ihren nackten, wimmernd auf dem Boden kauernden Sohn Sam. Ihre Ängste als Mutter überlagerten ihre Professionalität als Ärztin, und einen Augenblick lang war sie unsicher, was sie tun sollte.

„Ich würde ihn unter die Dusche tragen und ihm das Duschgel abwaschen“, schlug Ben vor. „Oder soll ich das tun?“ Der ruhige, feste Klang seiner Stimme tat ihr gut. Ihr Verstand begann wieder normal zu arbeiten.

„Ich schaffe das schon“, sagte sie, stellte die Dusche an und prüfte rasch die Temperatur. „Hast du dich noch woanders verletzt, Sam?“, frage sie. Sie konnte nur die blutende Stelle an seinem Arm sehen, aber seine Beine und seine Hüften waren mit einer dicken Schicht grüner Duschlotion überzogen.

„Ja, mein Kopf tut weh“, murmelte Sam schwach mit schleppender Stimme.

„Bist du beim Hinfallen mit dem Kopf aufgeschlagen?“, wollte Kat wissen. Vorsichtig tastete sie mit ihren Fingern seinen Kopf ab. Erleichtert seufzte sie, als sie keine Verletzungen oder Beulen spüren konnte.

„Weiß nicht“, murmelte Sam. „Kann mich nicht erinnern.“ Das Sprechen schien ihm schwerzufallen.

„War er nach dem Sturz bewusstlos?“, fragte Ben.

„Nein, aber er wirkte benommen“, antwortete Josh.

„Gut beobachtet, mein Junge“, lobte Ben ihn. „Das war sehr aufmerksam von dir.“ Plötzlich fiel Kat ein, dass es ihre Aufgabe gewesen wäre, Josh zu loben. Er brauchte jetzt Zuwendung, die ihn aufbaute, denn er war zutiefst besorgt wegen Sam und wich dem Bruder nicht von der Seite. Plötzlich begriff Kat, dass Josh nach dem Tod des Vaters zu der Überzeugung gekommen war, es sei jetzt seine Pflicht „als Mann“, auf das Wohlergehen seiner Familie zu achten.

Wie hatte sie Joshs Verhalten in den vergangenen Monaten nur als Reaktion eines Jungen verstehen können, der mit dem Tod des Vaters nicht fertig wurde? Jetzt wusste sie, dass hinter seiner Ernsthaftigkeit und Wortkargheit viel mehr gesteckt hatte. Ganz allein hatte Josh für sich entschieden, dass er Verantwortung übernehmen musste. Und sie hatte es nicht bemerkt.

„Setz dich einen Augenblick hier aufs Bett, Josh“, schlug Ben vor. Seine Stimme klang ganz ruhig, aber da war ein Unterton, der Kat aufhorchen ließ.

Josh war immer noch sehr blass, obwohl Sams Verletzung, ein glatter, nicht sehr großer Schnitt von einer Scherbe, sich als nicht so schwer herausgestellt hatte.

„Komm, mein Junge, setz dich her“, wiederholte Ben. Als Josh aufstand, musste Ben rasch zufassen, weil der Junge zusammensackte. Vorsichtig legte Ben ihn auf das Bett.

„Ist das der Schock?“, fragte Kat leise, um Sam nicht noch mehr zu beunruhigen.

„Ganz bestimmt“, meinte Ben. „Aber er hat außerdem eine Schnittwunde unten an der Fußsohle, er muss in eine Glasscherbe getreten sein.“

„Ist es schlimm?“ Kat klang sehr besorgt.

„Der Schnitt sollte mit ein paar Stichen genäht werden“, meinte Ben. „Das ist zwar etwas hinderlich, aber nichts Ernsthaftes. Und wie ist es mit Sam?“

„So ähnlich“, erwiderte Kat erleichtert. Sie stellte die Dusche ab, wickelte ein kleines Handtuch um Sams Arm, der schon fast aufgehört hatte zu bluten, und hüllte den Jungen in ein Badetuch.

„Ich nehme ihn auf den Arm und trage ihn in die Küche“, sagte sie zu Ben.

„Gut, ich komme mit Josh nach.“ Er trat zur Seite, um ihr Platz zu machen. „Ist alles hier in der Wohnung vorhanden, um die beiden zu versorgen, oder soll ich ein paar Sachen aus der Praxis holen?“

„Ich weiß nicht“, antwortete sie unsicher. Sie war froh, dass sie mit dieser Situation nicht allein fertig werden musste.

Aber jetzt zählte nur noch, dass ihre Söhne sie brauchten. Und dass Ben bereit war zu helfen.

„Die beiden hatten nur selten Verletzungen, mal ein aufgeschrammtes Knie, mal ein paar blaue Flecken oder harmlose Kratzer. Mehr als ein Pflaster und ein bisschen Desinfektionslösung haben sie nie gebraucht.“ Kat ging mit Sam auf dem Arm in die Küche und sah noch, wie Ben beruhigend seine Hand auf Joshs Schulter legte, damit er still liegen blieb.

„So, setz dich hier auf den Tisch.“ Fragend sah Kat Sam an. „Fühlst du dich noch benommen?“

„Nein. Es tut nur noch weh … mein Kopf und mein Arm.“

Das hörte sich nicht so an, als ob Sam sich ernsthaft verletzt hätte. Kat holte den Erste-Hilfe-Kasten aus dem Küchenschrank und war Richard dankbar, dass er darauf bestanden hatte, immer eine medizinische Notausrüstung in Reichweite zu haben.

Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie den Inhalt zum letzten Mal kontrolliert hatte. Das hätte sie längst machen müssen mit zwei Jungen im Haus. Pflaster, Salben und Tinkturen wurden mit der Zeit unbrauchbar und mussten ersetzt werden.

„Ist alles da, was wir brauchen?“, fragte Ben, der nur an einer Krücke ging, weil er Josh auf dem anderen Arm trug. Vorsichtig setzte er den Jungen auf einen Stuhl. Kat bemerkte erleichtert, dass Joshs Gesicht wieder etwas Farbe bekommen hatte.

„Ich werde seine Schnittwunde mit zwei, drei Stichen nähen müssen“, sagte sie.

„Dann gehe ich rasch in die Praxis hinüber und hole, was wir dazu brauchen“, schlug Ben vor. „Ich bin gleich wieder da.“

„Also, Sam“, meinte Kat, „ich werde deinen Schnitt am Arm noch einmal sorgfältig mit einem Desinfektionsmittel säubern, damit auch ja nichts von dem Duschgel in der Wunde bleibt. Das wird auch die Blutung stoppen. Zuerst aber gebe ich dir eine Spritze, damit du keine Schmerzen hast, wenn ich die Wunde zunähe.“

„Davon werde ich doch nicht krank … so wie damals Daddy, nicht wahr?“

Für einen Moment stockte Kat der Atem. Sie nahm Sam fest in den Arm. „Nein, mein Schatz. Ganz bestimmt nicht.“ Sie musste sich zusammennehmen, um nicht zu weinen.

„Versprochen?“, wollte Sam wissen.

„Versprochen.“

Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass Ben schon wieder zurück war. Er legte eine Plastikschale mit den Sachen, die er geholt hatte, auf den Tisch. Kat nahm eine Injektionsspritze und griff nach der Ampulle mit dem Schmerzmittel, aber ihre Hände zitterten.

„Darf ich?“ Ben nahm ihr die Spritze aus der Hand, woraufhin Kat dankbar nickte.

Aufmunternd lächelte er ihr zu, bevor er ein Paar Gummihandschuhe aus dem Paket nahm, das er aus der Praxis geholt hatte. „Erzähl mir doch mal“, meinte er in einem lockeren Plauderton zu Sam, „was du vorhattest, als du auf den Rand der Badewanne geklettert bist.“

„Ich wollte mich ganz sehen … in dem Spiegel“, gestand der Junge. „Der hängt so hoch, dass ich nur meine Haare erkennen kann.“ Während er erzählte, bemerkte Sam kaum, dass Ben ihm rasch und gekonnt mehrere kurze Injektionen mit dem Betäubungsmittel in die Ränder der Schnittwunde gab.

„Was geschieht mit Sam?“, wollte Josh wissen, der bisher schweigend zugesehen hatte. Seinen verletzten Fuß hatte er auf einen zweiten Küchenstuhl gelagert.

„Ich werde seine Wunde mit ein paar Stichen nähen, dann heilt sie schneller und ist später kaum zu sehen“, erklärte Ben ihm. „Und mit deinem Fuß mache ich es gleich genauso.“

„Warum tut Mum das nicht?“, fragte Josh.

„Ich dachte, es wäre die richtige Gelegenheit, eurer Mutter zu zeigen, dass ich Wunden ganz prima vernähen kann. Sie ist ja meine Chefin und sollte wissen, was sie von mir zu erwarten hat.“

Kat bewunderte Bens Fähigkeit, durch seine ungezwungene Unterhaltung die Jungen von dem abzulenken, was er mit ihnen machte. Bei Sam würde das örtliche Betäubungsmittel inzwischen wirken. Ben winkte Kat zu, die Wunde noch einmal zu säubern, bevor er sie mit den feinsten und kleinsten Stichen vernähte, die er je zustande gebracht hatte.

„Okay, mein Junge. Das war’s“, sagte er schließlich zu Sam. Er richtete sich auf und streifte die Gummihandschuhe ab. „Deine Mum wird die Wunde jetzt verbinden, damit kein Schmutz hineinkommen kann. Bald spürst du gar nichts mehr davon.“

„Hat es wehgetan, Sam?“, erkundigte sich Josh misstrauisch.

„Nein. Nur mein Kopf tut noch weh.“ Sam verzog das Gesicht. „Hoffentlich kann Dr. Ben dagegen auch was tun.“

„Aber dein Arm tut nicht mehr weh?“, vergewisserte sich Josh.

Kat hob Sam hoch und trug ihn zu dem bequemen Lehnstuhl hinüber, von dem er in den Garten schauen konnte. Sam zog die Decke, die seine Mutter über ihn gelegt hatte, fest und kuschelte sich hinein. „Ehrenwort, mein Arm tut überhaupt nicht mehr weh.“

„Und jetzt zu dir, Josh.“ Gerührt sah Kat, wie sich ihr älterer Sohn nervös auf die Lippe biss, Ben aber fest anschaute und nickte. „So, du hast also in den Medizinbüchern deines Vaters gelesen, das hast du vorhin erwähnt“, meinte Ben, als er den Elfjährigen hochhob und so auf die Arbeitsplatte der Küche setzte, dass Joshs Fuß über dem Waschbecken lag.

„Ja, in einigen habe ich gelesen“, berichtete Josh eifrig. Er warf einen entschuldigenden Blick auf seine Mutter. „Ich habe mich vorgesehen und sie nicht schmutzig gemacht“, versicherte er. „Ich fand sie ganz interessant, aber manchmal auch erschreckend.“

„Ja“, warf Ben ein. „Vor allem die Bilder sind manchmal ziemlich schockierend.“

„Stimmt.“ Josh verzog das Gesicht. „Am liebsten mochte ich das Buch über Erste Hilfe. Einiges davon haben wir auch in der Schule gelernt. Zum Beispiel, wenn jemand Zuckungen bekommt.“

„Du meinst einen Epilepsieanfall?“, fragte Ben nach. Er hatte ein Paar frische Handschuhe angezogen und eine neue Spritze mit dem Betäubungsmittel vorbereitet.

„Ja, Epilepsie“, nickte Josh. „Das war das Wort“. Er war so eifrig dabei, zu erzählen, dass er nur kurz zuckte, als Ben ihm die Injektionen gab. „In meiner Klasse ist ein Junge, der so etwas hat. Er muss regelmäßig Tabletten nehmen. Seit er das macht, hat er nie mehr einen Anfall gehabt.“

„Was habt ihr noch über Erste Hilfe gelernt?“, versuchte Ben ihn abzulenken, denn die Betäubung wirkte erst in zwei bis drei Minuten.

„Was man bei einem Unfall macht, wie man den Verunglückten lagert, wenn er bewusstlos ist. Man legt ihn auf die Seite, damit er atmen kann und nicht erstickt. Bei Sam konnte ich das nicht machen. Er war nicht bewusstlos. Und außerdem kam ich wegen der vielen Scherben nicht an ihn heran.“

Inzwischen hatte Ben mit Kats Hilfe angefangen, den Schnitt in Joshs Fußsohle gründlich zu säubern und zu desinfizieren. Dann griff er wieder zu Nadel und Faden und vernähte die Wunde genauso gekonnt wie vorher bei Sam. Er brauchte dieses Mal weniger Stiche, denn die Wunde war zwar ziemlich tief, aber nicht sehr lang. Dann bekam Josh einen festen Klebeverband.

„Also, Jungs, das haben wir. Passt auf, dass eure Verbände in den nächsten Tagen nicht nass werden. Und sagt eurer Mutter oder mir sofort Bescheid, wenn die Wunden wieder schmerzen.“

„Dann haben sie sich entzündet“, erklärte Josh.

„Stimmt genau. Du hast viel von dem behalten, was du gelesen hast.“ Erstaunt sah Kat den fröhlichen, entspannten Ausdruck auf Bens Gesicht, der sich völlig von dem düsteren und verschlossenen Eindruck unterschied, den er bei ihrer ersten Begegnung auf sie gemacht hatte.

„Willst du vielleicht selbst mal Arzt werden?“, fuhr Ben fort.

„Ja, wie mein Dad“, erwiderte Josh so entschieden und ernsthaft, dass Kat ihn beunruhigt ansah. Wenn er Arzt werden wollte, weil das wirklich der Beruf war, der ihn interessierte, war alles in Ordnung. Aber wenn er diesen Wunsch nur deshalb hatte, weil sein Vater, den er so sehr vermisste, Arzt gewesen war, konnte das nicht gut gehen.

„Wie steht es eigentlich mit den Tetanus-Spritzen?“, wollte Ben wissen. „Sind die regelmäßig erneuert worden?“

„Ja, alles in Ordnung“, bestätigte Kat. Sie schaute zu Sam hinüber, der sich ganz gegen seine sonstige Gewohnheit seltsam ruhig verhielt.

„Hallo, Sam“, fragte Kat. „Willst du vor dem Abendessen schon mal deinen Schlafanzug anziehen? Komm, ich helfe dir beim Aufstehen.“

„Bitte, nicht anfassen. Das tut weh“, jammerte Sam leise.

„Was tut dir weh, mein Schatz? Dein Arm?“

„Nein, mein Kopf“, klagte Sam und drehte sich weg, als sie ihm die Hand auf die Stirn legen wollte. „Mum, ich …“ Er beugte sich rasch zur Seite und erbrach sich auf den Fußboden.

6. KAPITEL

„Vielleicht ist das nur eine Reaktion auf die Verletzung und das Nähen der Wunde“, meinte Ben. „Wir haben beide seinen Kopf sorgfältig abgetastet und keine Platzwunden oder Beulen festgestellt.“

Erst nach einer Stunde hatte Ben es geschafft, Kat von Sams Bett wegzuholen und mit ihr zurück in die Küche zu gehen.

„Ich weiß“, sagte sie. „Er ist nur …“

„Er ist dein Jüngster. Und der Gedanke, er könnte schwerer verletzt sein, ist für dich kaum zu ertragen. Es ist absolut verständlich, dass du dir als Mutter Sorgen machst.“

Sie nickte. „Er schien sich doch zuerst besser zu fühlen, nachdem er sich übergeben hatte.“

„Wir haben das Wochenende vor uns. Das heißt, morgen ist nur vormittags Sprechstunde. Danach hast du Zeit, dich um ihn zu kümmern. Du wirst sehen, am Montagmorgen ist er wieder munter und wird seinen Schulkameraden von seinem aufregenden Unfall erzählen.“

„Hoffentlich hast du recht. Als Erstes werde ich morgen endlich den großen Spiegel aufhängen. Das wollte Richard schon, als wir ihn vor zwei Jahren kauften. Aber als er dann krank wurde, hat er sich um so etwas nicht mehr gekümmert. Und ich habe einfach nicht die Zeit gefunden.“

„Das vergangene Jahr war sehr anstrengend für dich, Kat. Du hast in dieser Zeit Unglaubliches geleistet. Geh nicht zu hart mit dir ins Gericht.“

Seine Worte klangen ehrlich und trösteten sie. Sie errötete. Wann war sie das letzte Mal wegen der Bemerkung eines Mannes verlegen gewesen?

„Um mal von etwas ganz anderem zu reden“, meinte er munter. „Ist von dem fabelhaften Chili con Carne noch etwas übrig? Wir beide sind ja kaum zum Essen gekommen.“

„Fast alles“, meinte Kat. „Sam habe ich ein wenig Rührei gemacht, weil sein Magen nicht ganz in Ordnung zu sein scheint. Und Josh hatte keinen Hunger nach der ganzen Aufregung.“

„Ich hatte den Eindruck“, erwiderte Ben nachdenklich, „dass Josh sich die Schuld an dem Vorfall gibt.“

Kat nickte, diese Überlegung war ihr auch schon gekommen. „Aber das wäre doch Unsinn. Er hätte doch gar nichts tun können, um Sams Sturz zu verhindern.“

„Hast du Werkzeug im Haus, um den Spiegel aufzuhängen?“, wechselte Ben erneut das Thema. „Eine Bohrmaschine? Dübel? Dann hänge ich den Spiegel morgen schnell auf.“

„Das musst du nicht auch noch tun“, wehrte Kat ab. Er hatte sich schon so viel Mühe mit den Jungen gegeben, nicht nur heute Abend, sondern immer, wenn sie abends oder nachts zu einem Hausbesuch gerufen wurde.

„Ich biete es dir an“, widersprach Ben ihr. „Also, wenn du mir morgen das Werkzeug rauslegst, kümmere ich mich gleich nach Ende der Sprechstunde darum. Die Jungs können mir helfen, wenn sie wollen.“

Seine letzte Bemerkung brachte ihre Bedenken endgültig zum Schweigen. Josh und Sam waren früher begeistert gewesen, wenn sie Richard bei irgendwelchen Arbeiten im Haus „helfen“ konnten. Aber das war nur sehr selten vorgekommen.

„Du wirst eine Menge Geduld mit den beiden haben müssen. Sie werden tausend Fragen stellen, die alle mit warum anfangen. Die beiden haben seit Langem den Kontakt zu einem Mann und zu männlichen Tätigkeiten vermissen müssen.“

„Gibt es keinen Großvater oder Onkel und Vettern?“

„Richard und ich waren beide Einzelkinder. Seine Eltern starben, bevor ich ihn kennenlernte. Meine Eltern zogen vor Jahren schon nach Zypern, wegen des Klimas. Kontakt zu entfernteren Verwandten hatten wir seit Jahren nicht.“

„Was deine Eltern betrifft … sind sie zufrieden in ihrer neuen Umgebung?“

„Soweit es ihre Gesundheit betrifft, ganz sicher. Inzwischen haben sie auch Freunde gefunden. Das heißt, sie sind nur sehr selten mal zu Besuch hier in England.“ Kat seufzte. „Sie haben sich in Briefen und manchmal, wenn wir telefoniert haben, beschwert, dass sie ihre beiden Enkel kaum kennen. Sie haben immer gehofft, dass Richard und ich eines Tages die Praxis so organisieren könnten, dass wir wie andere Familien Zeit für Urlaub hätten – und zu ihnen nach Zypern kämen. Aber dazu fehlten uns einfach die Zeit und das Geld.“

Gegenüber Ben erwähnte sie nicht, dass sie Richard in Verdacht gehabt hatte, er habe verhindern wollen, dass sie zu engen Kontakt zu ihren Eltern hielt, weil er selbst seine Eltern relativ früh verloren hatte.

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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