Flammendes Begehren unterm Wüstenhimmel

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Entführt von einem Scheich! Regan ist außer sich! Sie sucht im fernen Santara nach ihrem verschwundenen Bruder. Doch der attraktive Fremde, der ihr seine Hilfe anbietet, ist niemand anders als Scheich Jaeger Salim al Hadrid - Herrscher über das Königreich. Er verwendet Regan als Faustpfand, um ihren Bruder zur Rückkehr zu bewegen. Der ist mit Jags Schwester durchgebrannt. Doch bald schon weicht Regans Empörung einer flammenden Leidenschaft. Denn der charismatische Wüstenprinz übt eine magische Anziehung auf sie aus …


  • Erscheinungstag 27.12.2019
  • Bandnummer 2420
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715748
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Es tut mir leid, Eure Majestät, es gibt immer noch keinen Hinweis darauf, wo sich eure Schwester gerade aufhält.“

Schweigend nickte Jag, der König von Santara. Er drehte seinem obersten Berater Tarik, einem älteren, grauhaarigen Mann, den Rücken zu und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Von dem Büro aus hatte man eine atemberaubende Sicht über Aran, die Hauptstadt von Santara, und die gesamte Bucht.

Es war noch früher Morgen. Die gerade über dem Golf von Ma’an aufgehende Sonne tauchte die noch schlafende Stadt in ein märchenhaftendes goldenes Leuchten.

Der wunderschöne hellrosafarbene Palast mit seinen zahlreichen Bogenfenstern, in dem sich auch Jags Büro befand, thronte auf der Kuppe eines Hügels unweit von Arans belebtem Hafen. Erst vor Kurzem hatte Jag das ehemalige Industriegebiet in eine florierende Touristenattraktion verwandelt. Es hatten sich zahlreiche Hotels, Restaurants und Geschäfte dort angesiedelt, und die neuen Gebäude fügten sich harmonisch in die historische Bebauung ein. Es war eines von vielen Projekten, die Jag initiiert hatte, um die Wirtschaft seines Landes anzukurbeln und um der Welt mitzuteilen, dass sich sein Königreich Santara im Wandel befand.

Doch in diesem Moment hatte er keinen Blick für die Schönheit seiner Umgebung. Er machte sich große Sorgen um seine Schwester Milena, die spurlos verschwunden war.

Wo war sie? Ging es ihr gut?

Als Jag vor einer Woche von einer Geschäftsreise zurückgekehrt war, hatte er nur eine kurze Notiz von ihr auf seinem Schreibtisch vorgefunden.

Lieber Jag,

ich weiß, dass es Dir nicht gefallen wird, aber ich werde für ein paar Wochen untertauchen. Ich muss das einfach machen, es ist wichtig für mich. Ich habe mein Handy extra nicht mitgenommenen, weil Du mich sonst sofort finden würdest.

Mach Dir bitte keine Sorgen, mir geht es gut.

Milena

Mach dir keine Sorgen?

Wie sollte er sich nicht um sie sorgen – nach allem, was vor drei Jahren passiert war?

Jag griff nach dem Zettel, der jetzt – fein säuberlich als Beweisstück in einer Klarsichthülle verwahrt – vor ihm auf seinem Schreibtisch lag. Er musste an sich halten, um den Brief nicht vor Wut und Hilflosigkeit zu zerknüllen.

Sein privates Security-Team hatte bisher nur herausfinden können, dass Milena in Begleitung eines Mannes einen Linienflug nach Athen genommen hatte. Dort verlor sich ihre Spur.

Immerhin hatte man ihren Begleiter identifizieren können. Es handelte sich um Chad James. Chad war ein junger Amerikaner, der seit einem Jahr für Jags Vorzeigeprojekt GeoTech Industries arbeitete.

Das Unternehmen stellte nur die Besten aus aller Welt ein und entwickelte innovative Technik, um es mit der amerikanischen und asiatischen Konkurrenz aufzunehmen.

Jag selbst hatte damals zugestimmt, dass Chad und Milena tagtäglich eng zusammenarbeiteten. Sie war seine Assistentin, und bisher war ihre Zusammenarbeit sehr professionell und unproblematisch gewesen.

In der vergangenen Woche hatte Chad einen Monat unbezahlten Urlaub beantragt. Jag hatte sich nichts weiter dabei gedacht und den Antrag bewilligt. Hatte er Milena damit vielleicht ungewollt in Schwierigkeiten gebracht? Hatte der charmante junge Mann seine Schwester überredet, einen romantischen Urlaub zu machen? Oder noch schlimmer, hatte er sie entführt, und es würde bald eine Lösegeldforderung eintreffen?

Jag fluchte leise. Seitdem er vor zehn Jahren König geworden war, hatte er immer versucht, seine jüngeren Geschwister vor Schaden zu bewahren. Wie war es möglich, dass er jetzt trotzdem so gnadenlos versagt hatte? Wie hatte er all die Hinweise übersehen können – schon wieder?

Es war ganz allein sein Fehler. Er hatte seine Schwester mit Chad zusammenarbeiten lassen, dabei das Risiko falsch eingeschätzt und sie so, ohne es zu wollen, der Gefahr ausgesetzt. Er war schließlich verantwortlich für sie.

Milenas Verschwinden hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Jag hatte in den vergangenen zehn Jahren voller Elan daran gearbeitet, sein Land aus dem Schuldensumpf zu ziehen und politisch und wirtschaftlich wieder an die Weltspitze zu bringen. Sein Vater hatte ihm damals ein unüberschaubares Chaos hinterlassen, und jetzt endlich war es so weit – Santara stand kurz davor, sich auf internationalem Parkett als ernstzunehmender und mächtiger Partner zu präsentieren.

Doch nun war Milena verschwunden, und die Sorge um seine kleine Schwester brachte ihn fast um.

„Wie ist es möglich“, fragte er an Tarik gewandt, „dass heutzutage jemand einfach so, ohne jede Spur, verschwinden kann?“

Der ältere Mann, den Jag von Kindheit an kannte, schüttelte langsam den Kopf. „Ohne ihr Handy oder ihren Laptop haben wir keine Möglichkeit, sie zu orten“, sagte er. „Wir haben Security-Mitarbeiter in die Häfen von Piraeus, Rafina und Lavrino geschickt. Außerdem haben wir Zugriff auf die Überwachungsdaten der großen Bahnhöfe im Land. Aber bisher hat das nichts ergeben.“

Ein Klopfen an der Tür unterbrach Jags wilden Fluch.

Ein Mitarbeiter aus dem Security-Team betrat den Raum und sprach leise mit Tarik. Als er den Raum wieder verließ, warf er dem König einen kurzen mitfühlenden Blick zu.

Jags Herz raste. Er hoffte inständig, dass seine Schwester nicht in Schwierigkeiten steckte.

Tarik bemerkte seine versteinerte Miene und schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein, keine Neuigkeiten von der Prinzessin.“

Jag stieß einen tiefen Seufzer aus. Nur seine engsten Vertrauten wussten, dass Milena vermisst wurde. Jag hatte ein kleines Team aus Elitesoldaten zusammengestellt, das sie und Chad James finden sollte. Die gesamte Sache unterlag absoluter Geheimhaltung. Jag hatte noch nicht einmal seinen Bruder über das Verschwinden ihrer gemeinsamen Schwester informiert, und er hatte es auch nicht vor, solange er noch nichts Konkretes vorzuweisen hatte.

Auch den Kronprinzen von Toran, mit dem Milena verlobt war und den sie in einem Monat heiraten sollte, hatte Jag noch nicht informiert. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war ein Skandal dieser Größenordnung. In nur einer Woche sollte in Santara ein internationaler Gipfel stattfinden – der größte in der Geschichte des kleinen Wüstenstaates.

Politiker und Regenten aus aller Welt trafen sich für vier Tage, um entscheidende Fragen der Weltpolitik zu diskutieren. Es ging um Gesundheitsaspekte, Umweltbelange, Handelsbeziehungen und die Finanzmärkte. Es würde weltweit der größte Gipfel dieser Art werden – der krönende Höhepunkt von Santaras Wiedergeburt. Jags Mitarbeiter hatten unermüdlich und pausenlos darauf hingearbeitet, dass alles glatt lief und der Gipfel ein voller Erfolg wurde.

„Was ist los?“, fragte Jag und bemerkte Tareks leichtes Zögern.

„Ich wurde soeben darüber informiert, dass Chad James’ ältere Schwester vor einer Stunde in Santara gelandet ist.“

„Die Schwester, der er einen Tag vor seinem Abtauchen eine E-Mail geschickt hat?“, fragte Jag.

„Ich denke, ja. Sie haben einen Bericht über die Frau per E-Mail zugesandt bekommen, Majestät.“

Jag nahm an seinem Schreibtisch Platz, berührte die Maus seines Computers und erweckte damit den Bildschirm zum Leben. Rasch öffnete er sein Postfach und fand die betreffende Nachricht. Er überflog sie kurz und öffnete den Anhang. Es war ein Dossier über Chad James’ Schwester:

Name: Regan James

Alter: fünfundzwanzig

Größe: einszweiundsechzig

Sozialversicherungsnummer: …

Alle wichtigen Informationen über Regan waren darin zu finden. Braune Augen, braunes Haar, sie lebte alleine in Brooklyn und war Lehrerin an einer exklusiv klingenden Privatschule. Sie arbeitete ehrenamtlich als Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche und hatte eine eigene Webseite über Fotografie. Sie hatte weder Haustiere noch irgendwelche Schulden oder Vorstrafen. Ihre Eltern waren beide verstorben – doch das wusste Jag schon aus dem Bericht über ihren Bruder.

Er klickte die nächste Seite des Berichts an und fand dort ein Foto von ihr. Auf dem Bild stand sie irgendwo an einem Strand und strahlte gelöst und glücklich in die Kamera.

Regan James war eine wunderschöne junge Frau, die aussah, als könne sie keiner Fliege etwas zuleide tun. Sie hatte ihr langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der Wind hatte einige Strähnen daraus gelöst. Sie hatte die Hand erhoben, so als wolle sie die Strähnen zurückstreichen. Ihre Haare waren ganz sicher nicht einfach nur braun, stellte Jag fest. Eher rostfarben oder wie glänzendes Kupfer. Und auch ihre Augen waren nicht braun, sie waren vielmehr …

Jag runzelte die Stirn, als ihm bewusst wurde, in welche Richtung seine Gedanken abschweiften, und riss sich zusammen. Nein, ihre Augen waren braun. Genauso, wie es in dem Bericht stand.

„Wo ist sie jetzt?“

„Sie hat ein Zimmer im Santara International gebucht. Das ist alles, was wir bisher in Erfahrung bringen konnten.“

Jag betrachtete das Foto auf seinem Bildschirm. Der Bruder dieser Frau hatte seine Schwester Milena an einen unbekannten Ort gebracht, und Jag würde Himmel und Erde in Bewegung setzen, um Milena zu finden und sicher nach Hause zu bringen. Chad würde eine ganze Armee brauchen, wenn er ihn erst einmal in die Finger bekam. Jag konnte es kaum erwarten, ihm den Hals umzudrehen.

„Lass Regan James observieren“, befahl er Tarek. „Ich will alles wissen. Wohin sie geht, mit wem sie redet, was sie isst – und wann sie auf Toilette geht. Und wenn sie nur ein Päckchen Kaugummis kauft, will ich auch informiert werden, ist das klar?“

„Ja, Eure Majestät. Natürlich.“

Regan spürte sofort, als sie den kleinen Raum betrat, dass sie die Shisha-Bar lieber gleich wieder verlassen sollte. Den ganzen Tag lang hatte sie auf der Suche nach Informationen über Chad die Straßen von Aran durchkämmt, ohne Erfolg.

Das Einzige, was sie gelernt hatte, war, dass es hier in der Wüste heiß war.

Unerträglich heiß.

Wenn sie unter anderen Voraussetzungen hierhergekommen wäre, hätte sie sich bestimmt in die hübsche mittelalterliche Stadt mit der Stadtmauer und den vielen kleinen Gässchen verliebt. Doch so hatte sie sich nur auf die Suche nach Chad konzentriert und war im Laufe des Tages immer besorgter geworden. Deshalb ignorierte sie jetzt auch die leise Stimme in ihrem Hinterkopf, die ihr riet, die kleine schummerige Bar sofort wieder zu verlassen, und sah sich suchend um.

Chad war häufig hier gewesen – sie musste es versuchen.

An den bunt zusammengewürfelten Tischen saßen fast ausschließlich Männer – Einwohner, keine Touristen – und spielten Karten oder rauchten Wasserpfeife. Fröhliche arabische Musik trällerte von irgendwoher, und in der Luft lag ein schwerer fruchtiger Duft, den sie nicht genau einordnen konnte.

Sorgsam richtete sie den breiten Seidenschal, den sie sich, wie es in diesem Land Sitte war, über den Kopf und die Schultern gelegt hatte. Sie wollte nicht den Anschein erwecken, dass sie die Gäste anstarrte, deshalb ging sie zügig auf die hölzerne Bar am Ende des Raumes zu.

Ehrlich gesagt war diese Bar ihre letzte Hoffnung. Sie hatte alle Orte, von denen Chad ihr berichtet hatte, abgeklappert, und war dabei schier verzweifelt. Unzählige Male hatte sie sich im Laufe des Tages in den kleinen verwinkelten Gassen der mittelalterlichen Stadt verlaufen. Auch die Leute, die sie nach ihrem Bruder gefragt hatte, waren nicht sehr hilfsbereit gewesen – besonders Chads schmieriger Vermieter, der ihr nur mit einem abschätzigen Blick mitgeteilt hatte, dass er ihr nicht helfen könne. Auch bei Chads Arbeitgeber GlobalTech Industries war Regan abgewimmelt worden. Niemand hatte auch nur mit ihr über ihren Bruder reden wollen.

Selbst auf der Polizeiwache hatte man ihr nicht weiterhelfen können. Der diensthabende Beamte hatte ihr erklärt, dass Chad noch nicht lange genug verschwunden war, um ihn als vermisst zu melden. Er könne nichts tun, sie solle am nächsten Tag wiederkommen.

Regan hatte festgestellt, dass in Santara alles viel gemächlicher vonstattenging, als sie es von daheim gewohnt war. Genau das liebte Chad so an diesem Land, aber wenn man verzweifelt und hilflos war, fiel es einem schwer, etwas Positives daran zu finden.

Regan war so erschöpft vom Jet-Lag und der Sorge um Chad, dass sie vor dem Polizisten fast in Tränen ausgebrochen wäre. Doch auf dem Rückweg zum Hotel war ihr eingefallen, dass Chad einmal diese Shisha-Bar erwähnt hatte, und sie hatte neuen Mut gefasst. Schnell hatte sie geduscht und sich umgezogen und dann einen Hotelangestellten nach dem Weg gefragt.

In New York ging sie nie alleine aus, und jetzt bereute sie sehr, dass sie ihre beste Freundin Penny nicht dazu überredet hatte, mit nach Aran zu kommen. So ganz alleine in einer fremden Bar fühlte sie sich mehr als unwohl. Sie glaubte, von allen Anwesenden beobachtet zu werden. Wobei … irgendwie hatte sie schon den ganzen Tag über dieses Gefühl gehabt.

Bestimmt reagierte sie nur über, weil sie sich solche Sorgen um Chad machte. Seit sie vor einer Woche seine komische E-Mail bekommen hatte, war sie sehr besorgt. Er hatte ihr geschrieben, dass er in der nächsten Zeit nicht erreichbar sein würde. Das hatte bei ihr alle Alarmglocken schrillen lassen. Chad liebte sein Handy und hatte es normalerweise ständig bei sich, war immer erreichbar. Schon oft hatte sie ihn damit aufgezogen, dass sein Telefon sein bester Freund sei. Dass er es jetzt für einen längeren Zeitraum offenbar nicht bei sich tragen würde, war absolut untypisch für ihn.

Regan hatte für Chad die Mutterrolle übernommen, als ihre Eltern vor einigen Jahren kurz hintereinander gestorben waren. Damals war Chad vierzehn gewesen, doch auch jetzt fühlte sie sich noch irgendwie für ihn verantwortlich und machte sich große Sorgen.

Zwei Tage lang hatte sie immer verzweifelter versucht, ihn zu kontaktieren – dann hatte sie ihr alarmierendes Bauchgefühl nicht länger ignorieren können. Penny hatte ihr ebenfalls gut zugeredet, sich sofort auf den Weg zu machen, und ihr zusätzlich noch unzählige Horrorgeschichten von im Ausland vermissten Touristen erzählt.

Ohne noch länger darüber nachzudenken, hatte Regan ein Flugticket gekauft und war mit dem nächstmöglichen Flieger nach Santara gereist.

Und jetzt stand sie hier, ganz alleine in einem fremden Land in einer fremden Bar.

Sie bemühte sich, selbstbewusst zu wirken, und sah sich um. Ihr Blick fiel auf einen großen breitschultrigen Mann, der regungslos und scheinbar völlig entspannt in einer der hinteren Ecken auf einem der wackeligen Stühle saß. Er war komplett in Schwarz gekleidet und trug eine Kufiya – oder auch Shemagh –, ein zum Turban gewickeltes Tuch, auf dem Kopf.

Ihre Blicke begegneten sich, und Regan erschauderte. Er war attraktiv, aber sie spürte instinktiv, dass er sehr gefährlich sein konnte.

Ihr Nacken prickelte, und energisch ermahnte sie sich, nicht hysterisch zu werden. Sie tastete vorsichtig nach dem Pfefferspray in ihrer Handtasche, und als sie die kleine Dose fühlte, beruhigte sie sich wieder. Sie setzte ein freundliches Lächeln auf und drehte sich zum Tresen um.

Der Barkeeper war ein riesiger Kerl, breit wie ein Schrank, und trocknete gerade mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck ein Glas ab. „Was wollen Sie trinken?“, fragte er mit rauer Stimme und deutlichem Akzent.

Begrüßungen spart man sich hier anscheinend, dachte Regan und erwiderte höflich: „Danke, ich möchte nichts. Ich suche einen Mann.“

Der Barkeeper zog skeptisch eine Augenbraue hoch und sagte gedehnt: „Hier gibt es jede Menge Männer.“

„Nein, nein“, stieß sie entsetzt hervor, als sie begriff, was der Mann von ihr dachte. Schnell zog sie ein aktuelles Foto von Chad aus ihrer Handtasche. „Ich suche diesen Mann.“

Sie hielt dem Barkeeper das Bild hin. Nach einem kurzen Blick darauf schüttelte er den Kopf und brummte: „Nie gesehen.“

„Sind Sie ganz sicher?“, hakte sie nach. „Er ist oft hier – das hat er mir jedenfalls erzählt.“

„Ganz sicher“, erwiderte der Riese und griff nach einem neuen Glas. Sein Handtuch sah aus, als wäre es schon seit Tagen oder Wochen nicht mehr gewaschen worden. Ihm war deutlich anzumerken, wie wenig es ihm gefiel, befragt zu werden. „Wasserpfeife?“, fragte er. „Erdbeer-, Brombeer- und Pfirsichgeschmack.“

Das war also der fruchtige, schwere Geruch, der Regan beim Betreten der Bar aufgefallen war.

„Nein danke, ich möchte keine Wasserpfeife“, antwortete sie niedergeschlagen.

Sie brauchte Hilfe. Jemanden, der ihr in dieser unübersichtlichen und fremden Stadt weiterhelfen konnte. Jemand, der die regionalen Sitten und Gepflogenheiten kannte und ihr half, Chad zu finden.

Ursprünglich hatte sie vorgehabt, einen Mietwagen zu nehmen, doch der Linksverkehr in Santara schreckte sie ab, und ihr Orientierungssinn war katastrophal. Chad hatte sie oft deswegen geneckt. Bei der Erinnerung daran wurde es Regan eng ums Herz. Die Vorstellung, ihren kleinen Bruder vielleicht nie wiederzusehen, war unerträglich. Er war ihre ganze Familie, seitdem ihre Eltern gestorben waren.

Es durfte ihm einfach nichts passiert sein.

„Okay“, murmelte der Barkeeper und wandte sich einem Kunden am anderen Ende der Bar zu. Fast alle Gäste trugen traditionelle arabische Kleidung. Alle, bis auf den dunklen Typen hinten in der Ecke. Regan warf ihm einen schnellen Blick zu – er saß noch immer reglos auf seinem Stuhl und beobachtete sie.

Fest entschlossen, ihn zu ignorieren, stand Regan auf und gab sich einen Ruck. Sie war müde, aber das war jetzt egal. Sie war hier, um Chad zu finden, und sie würde sich weder von einem riesigen, mürrischen Barkeeper noch von einem mysteriösen Mann in Schwarz von ihrem Plan abbringen lassen.

Mit neuem Mut griff sie nach Chads Foto, das sie vor sich auf den Tresen gelegt hatte, und begann, von Tisch zu Tisch zu gehen.

Doch natürlich hatte ihn noch nie jemand gesehen – was hatte sie auch erwartet?

Der Abend verlief genauso wie der ganze Tag davor: unergiebig und frustrierend. Mit jedem Gast, der ihre Frage verneinte, wurde sie mutloser, und als sie schließlich an einem großen Tisch stehenblieb, an dem Baccara gespielt wurde, fiel ihr auf, dass die Gespräche um sie herum fast vollständig verstummt waren. Nervös lächelnd fragte sie die Männer an dem Tisch, ob einer von ihnen Chad kannte. Einige betrachteten sie kühl, andere erwiderten ihr Lächeln und ließen ihre Blicke neugierig über Regans Körper wandern.

Plötzlich fühlte sie sich schutzlos und hatte das Bedürfnis, sich zu bedecken – dabei sah sie in ihrer hellen Baumwollhose, der weißen Bluse und dem breiten Schal, der ihre Haare verbarg, keinesfalls aufreizend aus.

Einer der Männer lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er sagte etwas auf Santarisch und erntete Gelächter von den anderen. Regan war klar, dass er nichts Freundliches gesagt haben konnte. Auch wenn sie die Sprache nicht verstand, waren manche Dinge unmissverständlich.

Sie bedachte die Runde mit ihrem strengen Lehrerinnenblick und sagte kühl: „Danke für Ihre Hilfe.“ Dann drehte sie sich um und wandte sich dem nächsten Tisch zu.

Zu ihrem Pech war es ausgerechnet der des mysteriösen Fremden.

Regans Blick erfasste die unberührte Wasserpfeife und wanderte weiter bis zu seinem Gesicht. Er hatte ein kantiges Kinn, sinnliche Lippen, eine gerade Nase und die durchdringendsten saphirblauen Augen, die sie je gesehen hatte. Nervös befeuchtete sie ihre Lippen. Dieser Mann brachte sie vollkommen aus dem Konzept.

Sein Blick hielt ihren gefangen, und in seinen Augen glitzerte es gefährlich.

Regans Herz begann wie wild zu schlagen, und sie hatte das Gefühl, gerade in Treibsand getreten zu sein. Langsam, aber sicher versank sie.

Lauf! hallte eine innere Stimme in ihrem Kopf wider, aber sie konnte sich nicht bewegen. Ihr Körper gehorchte ihr einfach nicht mehr. Der Fremde vor ihr sah nicht nur schrecklich gefährlich, sondern auch unheimlich gut aus.

Eine Hitzewelle raste durch Regan hindurch und ließ sie erröten. Wie konnte sie in diesem Moment überhaupt auf sein Aussehen achten?

Sie blinzelte und versuchte, ihre Möglichkeiten abzuwägen, doch bevor ihr etwas einfiel, befahl der Fremde: „Setz dich.“ Er hatte eine tiefe, sonore Stimme, und um seine Lippen spielte ein amüsiertes Grinsen, als er hinzufügte: „Das ist besser für dich.“

Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu – auch wenn Regan wusste, dass es vermutlich unklug war. Aus der Nähe betrachtet war er noch viel beeindruckender. Er war sehr muskulös und konnte sie bestimmt mit einer Hand hochheben und forttragen. Verwirrt stellte Regan fest, dass sie diese Vorstellung gar nicht so schlimm fand. Ein Kribbeln breitete sich in ihr aus, und sie fühlte sich irgendwie benommen.

Es war absolut verrückt. Sie reagierte sonst nicht so auf Männer, schon gar nicht, wenn die Typen so aussahen, als würden sie es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen.

Aber andererseits – was sollte ihr hier, in einer Bar voller Gäste, schon passieren? Immerhin wurden sie von allen Seiten beobachtetet.

Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, all den neugierigen Blicken zu entgehen, und folgte seiner Aufforderung. Ihre Handtasche nahm sie dabei wie einen Schutzschild auf den Schoß.

Ein amüsiertes Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Fremden aus, so als hätte er diese Absicht erraten. Sie fühlte sich nackt und ungeschützt unter seinen Blicken, aber sie unterdrückte den Impuls, wieder aufzuspringen und die Bar fluchtartig zu verlassen. Sie hatte keine Wahl – diese Bar war ihre letzte Hoffnung. Wenn sie hier keinen Hinweis auf Chad fand, dann blieb ihr nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge nach New York zurückzukehren.

Doch das war keine Option, niemals.

„Gefällt dir, was du siehst?“ Seine tiefe Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und Regan erkannte erschrocken, dass er sie dabei ertappt hatte, wie sie ihn angestarrt hatte.

Ein fremdartiges Sehnen durchlief ihren Körper. So hatte sie noch nie auf einen Mann reagiert. Sein wissender Blick sagte ihr, dass er es bemerkt hatte.

Peinlich berührt murmelte sie: „Sie sprechen ja Englisch.“

„Offensichtlich“, erwiderte er sarkastisch.

Unter seinem spöttischen Blick fühlte sie sich noch kleiner als zuvor. Sie errötete und stammelte: „Ich meine, Sie sprechen fließend Englisch.“

Er antwortete nicht weiter darauf und zog nur abwartend eine Augenbraue hoch. Regan hatte das unbestimmte Gefühl, dass er sie nicht mochte. Aber warum? Sie hatte ihn nie zuvor gesehen, er kannte sie doch gar nicht.

„Was hast du hier zu suchen, kleine Amerikanerin?“, fragte er leise und verzog dabei verächtlich das Gesicht.

Nein, er mochte sie nicht – kein bisschen.

„Woher wissen Sie, dass ich Amerikanerin bin?“, fragte sie misstrauisch. „Sind Sie auch einer?“Bisher hatte sie seinen Akzent noch nicht richtig einordnen können.

Er lächelte humorlos. „Sehe ich amerikanisch aus?“

Nein, das tat er nicht. Eher wie ein attraktiver Wüstenprinz – und das wusste er vermutlich auch.

„Nein, eigentlich nicht“, antwortete sie verlegen.

„Also, was machst du hier?“, fragte er erneut.

Regan atmete tief durch und überlegte, ob sie dem Fremden das Foto von Chad zeigen sollte oder nicht. Er wirkte zwar auf den ersten Blick sehr entspannt, aber auf den zweiten erkannte man deutlich, dass er jederzeit bereit war, aufzuspringen und zu kämpfen.

„… Ich suche jemanden.“

„Wen?“

„Meinen Bruder“, antwortete sie zögernd. Was konnte es schaden, wenn er Bescheid wusste und sie ihm das Foto zeigte? Sie reichte es ihm und achtete dabei sorgsam darauf, dass sich ihre Finger nicht berührten. Sie hoffte inständig, dass er ihr ihre Verwirrung nicht anmerkte.

„Haben Sie ihn schon einmal gesehen?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Schon möglich“, erwiderte er ausweichend. „Weshalb suchst du ihn?“

Hoffnung keimte in Regan auf. Hatte sie tatsächlich endlich jemanden gefunden, der ihr weiterhelfen konnte? „Ehrlich?“, rief sie aufgeregt.

„Noch einmal: Warum suchst du ihn?“, fragte der Mann und fixierte sie mit Blicken.

„Weil ich nicht weiß, wo er ist“, antwortete sie ehrlich. „Können Sie es mir sagen?“

„Wann hast du das letzte Mal etwas von ihm gehört?“, fragte der Fremde, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Irgendwie hatte sie auf einmal das Gefühl, dass sie nicht die Einzige war, die Chad suchte, und dass dieser Mann hinter ihrem Bruder her war. „Warum beantworten Sie meine Fragen nicht?“, wollte sie wissen.

„Und warum beantwortest du meine nicht?“, gab er gelassen zurück.

„Habe ich doch“, wich sie aus und rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Eine innere Stimme mahnte sie zur Vorsicht. „Woher kennen Sie meinen Bruder?“

„Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn kenne.“

„Aber Sie haben gesagt …“ Regan schüttelte den Kopf. Sie war sich nicht mehr ganz sicher, was er gesagt hatte. Erschöpft strich sie sich über die Stirn, dort, wo sich langsam ein pochender Kopfschmerz festsetzte. „Sehen Sie, auch wenn Ihnen das vermutlich total egal ist, ich hatte einen wirklich langen Tag und bin vollkommen erledigt. Wenn Sie wissen, wo Chad ist, dann sagen Sie es mir bitte einfach.“

Der Mann betrachtete sie lange – so lange, dass sie schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete. Doch dann schüttelte er den Kopf und sagte: „Ich weiß auch nicht, wo er ist.“

Irgendetwas an der Art, wie er das sagte, ließ sie aufhorchen, doch sie war zu müde, um weiter darüber nachzudenken. Verzweiflung machte sich in ihr breit. Nach dem Hoffnungsschimmer war die Enttäuschung jetzt umso größer.

„Okay, na dann …“, murmelte sie bedrückt und wollte aufstehen.

„Wann hast du das letzte Mal von ihm gehört?“, fragte der Mann erneut.

Regan stutzte. „Warum wollen Sie das wissen? Sie haben mir doch schon gesagt, dass Sie auch nicht wissen, wo er ist.“ Sie kannte diesen Mann überhaupt nicht. Weshalb wollte er das wissen?

Er zuckte mit den Schultern. „Ja, das stimmt, aber ich habe nicht gesagt, dass ich dir nicht helfen würde.“

Ihre Blicke trafen sich, und Regan musste auf einmal an einen mächtigen Berglöwen denken, der seine wehrlose Beute fixierte.

„Sie wollen mir helfen?“, fragte sie ungläubig.

„Selbstverständlich. Du siehst aus, als wärst du ziemlich verzweifelt.“

Autor

Michelle Conder

Schon als Kind waren Bücher Michelle Conders ständige Begleiter, und bereits in ihrer Grundschulzeit begann sie, selbst zu schreiben. Zuerst beschränkte sie sich auf Tagebücher, kleinen Geschichten aus dem Schulalltag, schrieb Anfänge von Büchern und kleine Theaterstücke. Trotzdem hätte sie nie gedacht, dass das Schreiben einmal ihre wahre Berufung werden...

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