1. KAPITEL
„Es ist wirklich ganz einfach“, sagte Kara Sloan laut zu sich selbst und warf sich im Rückspiegel einen entschlossenen Blick zu. „Er macht die Tür auf, und du sagst: ‚Ich kündige‘.“
Aber wenn es wirklich so einfach wäre, hätte sie diesen kurzen Satz schon vor sechs Monaten ausgesprochen. Oder vor einem Jahr. Schon in dem Moment, als ihr klar geworden war, dass ihr der riesige Fehler unterlaufen war, sich in ihren Arbeitgeber zu verlieben.
Das Problem war, dass sie jedes Mal, wenn sie in der Nähe ihres Chefs Cooper Lonergan war, den Kopf verlor. Dann übernahmen ihre Gefühle die Regie. Wenn dieser Mann sie nur mit seinen dunkelbraunen Augen ansah, war sie verloren.
Sie wusste immer noch nicht genau, wie das eigentlich passiert war. Sie war seit fünf Jahren Coopers Assistentin, und während vier dieser fünf Jahre war alles prächtig gelaufen. Sie hatten eine gut funktionierende Arbeitsbeziehung aufgebaut und eine harmonische Freundschaft entwickelt. Bis ihr plötzlich vor fast einem Jahr klar geworden war, dass sie sich in ihren Chef verliebt hatte. Und seit diesem Tag war sie unglücklich.
Kara konnte Cooper noch nicht einmal böse sein, weil er nicht bemerkt hatte, dass sich ihre Gefühle für ihn geändert hatten. Warum sollte er auch? Sie gehörte zu seinem Leben wie das dunkelrote Ledersofa in seinem Wohnzimmer und war genauso bequem für ihn. Dass sie in so einer unmöglichen Situation steckte, war ihre eigene Schuld. Sie hatte die Regeln geändert, und er wusste noch nicht einmal etwas davon. Sie liebte ihn, und er mochte sie. Das war nicht gut.
„Das ist der Grund“, sagte sie sich streng, während sie sich im Rückspiegel des Autos immer noch entschlossen in ihre grünen Augen blickte, „weshalb du kündigen musst. Tritt ihm einfach gegenüber, und sprich es endlich aus.“ Sie sog scharf die Luft ein, atmete aus und nickte grimmig. Sie konnte es tun, und sie würde es tun.
Während sie sich gut zuredete, machte sie die Autotür auf, stieg aus, knallte die Tür zu und starrte dann auf das große viktorianische Farmhaus mit der gelben Fassade. Cooper hatte das alte Haus den Sommer über gemietet. Es wirkte irgendwie einladend, so als ob es auf sie gewartet hätte. Es war albern, aber sie bedauerte, dass sie nicht bleiben würde. Es tat Kara jetzt schon leid, dass sie es in nur zwei Wochen wieder verlassen und wieder nach New York gehen würde. Das Haus hatte etwas an sich, was sie irgendwie berührte. Der große gepflegte Rasen vor dem Haus war von prächtigen alten Bäumen umgeben. Die Fensterscheiben glänzten in der Morgensonne. Auf der Veranda standen Terrakottatöpfe mit Blumen in leuchtenden Farben.
Sie atmete tief ein und genoss den Duft von frisch gemähtem Gras und die leichte Brise, die vom Ozean herüberwehte, der nur einige Kilometer entfernt war. Sie hatte sich immer als Stadtmensch betrachtet und fühlte sich wohl in Manhattan. Sie mochte die Geschäftigkeit und das rege Treiben der vielen Leute dort, das Hupen der Autos und das laute Fluchen der Taxifahrer, für die jeder zurückgelegte Kilometer einem persönlichen Sieg gleichkam. Aber auch dieser Flecken Erde hier hatte seine Vorteile. Die Ruhe, die Farbenpracht und die gemächlichere Gangart gefielen ihr. Doch es hatte keinen Sinn, sich daran zu gewöhnen.
Durch ihre Schuhe mit den acht Zentimeter hohen Absätzen kam Kara schon beim ersten Schritt auf der mit Kies bedeckten Einfahrt leicht ins Wanken. Irgendwie passte das. War sie in Coopers Gegenwart nicht schon das ganze Jahr über aus dem Gleichgewicht geraten? Wenn sie vernünftig gewesen wäre, hätte sie die Reise ohnehin in Jeans und Sneakers angetreten. Aber nein … Sie wollte ja unbedingt gut aussehen, wenn sie zu ihm fuhr. Dabei bemerkte er sowieso nie, was sie anhatte. Resigniert gestand sie sich ein, dass Cooper es nicht einmal registrieren würde, wenn sie nackt vor seiner Tür auftauchte.
Genau das ist der Grund, weshalb ich kündigen muss, rief Kara sich streng in Erinnerung. Es war einfach zu hart, in einen Mann verliebt zu sein, der in ihr ausschließlich die fähigste Assistentin sah, die er bekommen konnte. Das machte sie nur unglücklich.
„Es ist meine eigene Schuld“, murmelte sie und ging zum Heck des Mietwagens. Sie drückte auf einen Knopf am Schlüsselring des Autoschlüssels, und der Kofferraumdeckel des Mietwagens öffnete sich so langsam wie der Sargdeckel in einem alten Dracula-Film.
Sie und Cooper arbeiteten gut zusammen und lachten oft miteinander. Zudem hatte Kara immer das befriedigende Gefühl gehabt, ihren Job so gut zu machen, dass ihr Chef ohne sie nicht auskam. Aber dadurch, dass sie die Regeln geändert und Gefühle für ihn entwickelt hatte, hatte sie das alles kaputt gemacht. Sie war sich noch nicht einmal sicher, wann sie aufgehört hatte, Cooper als Arbeitgeber zu sehen, und wann sie angefangen hatte, nicht jugendfrei von ihm zu träumen. Irgendwie hatte er sich in ihr Herz geschlichen und ihre Abwehrmechanismen außer Kraft gesetzt. Verdammt, er hatte es geschafft, dass sie sich in verliebt hatte, ohne dass er irgendetwas Besonderes getan hatte. Außerdem hatte er nicht mal bemerkt, dass sie in ihn verknallt war.
Deshalb musste sie kündigen. Sie musste aus der Sache herauskommen, solange sie es noch konnte. Es handelte sich um einen „echten Notfall“, wie ihre beste Freundin Gina es erst gestern Abend ausgedrückt hatte.
Gina war mit ihr etwas trinken gegangen und hatte ihr dabei ins Gewissen geredet. Das hatte sie anscheinend als freundschaftliche Pflicht betrachtet. „Du weißt sehr gut, dass dieser Mann sich niemals ändern wird.“
„Warum sollte er auch?“, hatte Kara erwidert und die Olive in ihrem Martini aufgespießt. „Aus seiner Sicht läuft doch alles großartig.“
„Genau das ist der springende Punkt.“ Gina blinzelte ihr zu und hob die Hand, um dem Barkeeper zu signalisieren, ihnen noch eine Runde zu bringen. Dann drehte sie sich wieder ihrer Freundin zu. „Seit wann ist er jetzt in Kalifornien? Seit drei Tagen?“
„Ja.“
„Und er hat dich bestimmt schon hundert Mal angerufen.“
Das stimmte. Karas Handy war rund um die Uhr eingeschaltet, sodass Cooper sie immer erreichen konnte, wenn er sie brauchte. Und ihr Handy hatte seit drei Tagen mit alarmierender Regelmäßigkeit geklingelt. Sie sah auf die Uhr. Da seit dem letzten Klingeln zwanzig Minuten vergangen waren, war der nächste Anruf wohl bald wieder fällig. „Ich arbeite schließlich für ihn.“
„Oh, das geht weit darüber hinaus, Kara“, sagte Gina. „Als der Mann dich das letzte Mal angerufen hat, wollte er wissen, wie man Kaffee kocht. Er ist über dreißig Jahre alt und ohne deine Hilfe nicht in der Lage, sich eine Tasse Kaffee zu machen?“
Kara lachte. „Er ist einunddreißig Jahre alt und macht einen miserablen Kaffee. Das Zeug ist schlichtweg ungenießbar.“
Gina fand das nicht amüsant. Sie schüttelte den Kopf. „Das hast du dir selbst zuzuschreiben, meine Liebe. Du hast dich unentbehrlich gemacht.“
„Ist das so schlimm?“ Kara griff nach ihrem Martini und konzentrierte sich darauf, auch die neue Olive aufzuspießen.
„Allerdings. Denn es hat dazu geführt, dass du für Cooper nur ein gut programmierter Computer bist.“ Gina hatte einen Schluck ihres Drinks genommen und strich nachdenklich mit dem Finger über den Rand des Glases. „Er sieht dich überhaupt nicht richtig als Frau. Das wird er nie tun.“
„Du nimmst wirklich kein Blatt vor den Mund.“
„Aber es ist wahr.“
„Wahrscheinlich“, hatte Kara eingeräumt.
„Also“, war Gina fortgefahren, „was wirst du deswegen unternehmen? Wirst du bei ihm bleiben, bis du alt und grau bist und dich fragst, was aus deinem Leben geworden ist? Oder wirst du gehen, solange du es noch kannst?“
Und das, dachte Kara jetzt und beugte sich über den Kofferraum, ist die entscheidende Frage. Sie wusste, dass Gina recht hatte. Verdammt, sie hatte die Wahrheit schon das ganze letzte Jahr über gewusst. Sie hatte mit Cooper keine Zukunft. Zumindest keine, die über das übliche Arbeitsverhältnis zwischen Chef und persönlicher Assistentin hinausging. Und das reichte ihr einfach nicht.
Eine kühle Brise, die vom Ozean herüberwehte, brachte die Blätter der Bäume zum Rascheln und wehte Kara ihre dunkelbraunen Haare ins Gesicht. Sie strich sich die Haare zurück und atmete tief aus. Dann schnappte sie sich ihren Koffer sowie die Tasche mit den frischen Brötchen von Coopers Lieblingsbäcker, der speziellen Kaffeesorte, ohne die er nicht schreiben konnte, und den fünf Packungen mit Marshmallow-Cookies. Der Mann hat den Geschmack eines zehnjährigen Jungen, dachte sie und lächelte. Wie immer fand sie es irgendwie süß, dass Cooper stets seine Lieblingskekse in Reichweite haben musste, um sich wohlzufühlen. Aber schon einen Moment später rief sie sich zur Ordnung. Das war nicht süß, sondern lächerlich.
Grimmig schwor sie sich, dass sie in der Minute kündigen würde, in der sie Cooper zu Gesicht bekam. Sie würde nicht länger als zwei Wochen bleiben. Für den Sommer in Kalifornien konnte er ja vorübergehend jemand anderen engagieren. Und wenn er wieder in Manhattan war, konnte er sich nach einem dauerhaften Ersatz für sie umsehen. Je früher sie nach New York zurückkehrte, um ein neues Leben anzufangen, desto leichter würde es für sie sein. Entschlossen ging sie auf das große Haus zu. Es ist nur ein Job. Du kannst etwas Besseres finden. Du brauchst Cooper nicht, sagte sie sich immer wieder.
Sie hatte sich fast selbst davon überzeugt, als die Haustür so schwungvoll aufgerissen wurde, dass sie gegen die Wand knallte. Dann erschien Cooper Lonergan auf der breiten Veranda. Er war groß und schlank und trug seine „New Yorker Uniform“ – eine schwarze Hose und ein schwarzes Hemd. Sein markantes Gesicht wurde von schwarzen Haaren eingerahmt, die ihm knapp bis auf die Schultern reichten. Seine dunklen Augen glitzerten in der Sonne, und als er lächelte, stockte Kara der Atem. Wahrscheinlich hatte sein Lächeln eine solche Wirkung auf sie, weil sie ihn so selten lächeln sah. Aber wehe, wenn es dann einmal passierte … Der Mann war einfach umwerfend.
„Kara!“ Mit langen Schritten eilte Cooper die fünf Treppenstufen zum Hof hinunter und kam zu ihr. Sie stand immer noch regungslos da, so sehr hatte sie mit ihren Gefühlen zu kämpfen. Er schloss sie kurz in die Arme, und ihr wurde ganz warm ums Herz. Dann ließ er sie so abrupt los, dass sie leicht ins Schwanken kam. „Was für ein Glück, dass du hier bist!“, meinte er erleichtert.
Einen kleinen Moment lang schöpfte sie Hoffnung. „Du hast mich vermisst?“
„Und wie. Du hast ja keine Ahnung, wie sehr“, sagte Cooper. „Ich habe mir heute Morgen Kaffee gekocht. Er schmeckte grauenhaft.“
Richtig, dachte sie. Ihre Hoffnung machte der Realität Platz. Natürlich hatte er sie nicht tatsächlich vermisst. Wenn sie ihren dreiwöchigen Jahresurlaub nahm, vermisste er sie ja auch nicht. Er vermisste es lediglich, wie gewohnt von ihr umsorgt zu werden. Warum sollte das dieses Mal anders sein?
„Bitte sag mir, dass du richtigen Kaffee und meine Kekse mitgebracht hast.“
Kara seufzte und ergab sich in ihr Schicksal. „Ja, Cooper, du Riesenbaby! Ich habe den Kaffee und deine Marshmallow-Cookies dabei.“
„Prima.“ Er ignorierte ihre Stichelei einfach.
Genauso wie er mich als Frau ignoriert, dachte Kara.
Cooper nahm ihr den Koffer ab und ging zum Haus. „Hast du auch meine Sachen aus der Reinigung abgeholt?“
„Die sind im Kofferraum.“
„Und meine Lieblingsbrötchen. Sag mir, dass du an meine Brötchen gedacht hast.“
Kara schüttelte den Kopf, während sie neben ihm herlief. Innerhalb von zehn Sekunden fiel sie in das vertraute alte Muster zurück. Was war nur aus ihrem Entschluss von vorhin geworden? Hatte sie denn gar kein Rückgrat? Warum sah sie ihm nicht in seine dunkelbraunen Augen und sagte ihm, dass sie kündigen würde? Sie atmete tief ein und hätte beinahe laut aufgestöhnt. Cooper duftete einfach zu verführerisch.
„Ja, ich habe an die Brötchen gedacht“, erwiderte sie und ärgerte sich über sich selbst. „Wann in den vergangenen fünf Jahren habe ich solche Dinge jemals vergessen?“
„Nie.“ Er zwinkerte ihr kurz zu.
Kara wurden einen Moment lang die Knie weich, was sie in ihrem Entschluss – oder dem, was davon übrig geblieben war – noch einmal bekräftigte.
„Das ist der Grund, weshalb ich ohne dich nicht leben kann“, fügte Cooper hinzu.
Er hatte das einfach so dahingesagt, und sie wusste, dass die Worte für ihn keine Bedeutung hatten. Aber wenn er es wirklich so gemeint hätte, würde ihr dieser Satz alles bedeuten.
An der Haustür ließ Cooper Kara vorgehen. Ihre hohen Absätze klapperten auf dem Holzfußboden, und sie warf ihre langen dunkelbraunen Haare über die Schultern, als sie sich langsam im Kreis drehte, um das Zimmer zu begutachten. Auch Cooper sah sich das erste Mal richtig um, obwohl er schon vor drei Tagen hier eingezogen war. Aber er hatte die meiste Zeit in seinem Zimmer verbracht, wo er an einem improvisierten Schreibtisch gesessen und gearbeitet hatte. Besser gesagt, versuchte hatte, zu arbeiten. In Wirklichkeit hatte er fast die ganze Zeit über auf seinem Laptop Solitär gespielt. Was ihm nicht gerade dabei helfen würde, den Abgabetermin für sein neues Buch einzuhalten, der immer näher rückte.
„Das ist ein tolles Haus.“ Kara betrachtete einen alten Kronleuchter aus Messing, der in der Mitte des Wohnzimmers an der Decke hing.
Cooper warf einen Blick auf die großen Sessel mit den üppigen Polstern in Altrosé und den Webteppich, der den größten Teil des Holzfußbodens bedeckte. Die hellgelben Wände wirkten warm und freundlich. Die Immobilienverwaltungsgesellschaft, die ihm das Objekt vermietet hatte, hielt das alte Haus offensichtlich erstklassig in Schuss. „Die Leute sagen, dass es in dem Haus spukt.“
Kara drehte sich zu ihm herum und starrte ihn fasziniert mit ihren grünen Augen an. „Tatsächlich?“
Cooper nickte. „Als ich noch ein Kind war, habe ich jeden Sommer hier in Coleville mit meinem Großvater und meinen Cousins verbracht.“ Erinnerungen stiegen in ihm auf, und er hatte mit den damit verbundenen Gefühlen zu kämpfen. Sofort verdrängte er die Emotionen, die ihm so zu schaffen machten. „Meine Cousins und ich sind mit unseren Fahrrädern abends hergekommen und haben das Haus beobachtet. Dann haben wir uns gegenseitig Furcht einflößende Geschichten erzählt und darauf gewartet, irgendwelche Gespenster zu entdecken. Doch wir haben nie etwas gesehen.“
„Und seitdem du hier bist?“
„Nichts.“
„Wie enttäuschend“, meinte Kara.
Cooper amüsierte sich, weil ihr deutlich anzuhören war, dass sie es bedauerte, dass kein Gespenst aufgetaucht war. Er konnte sich immer auf ihr Gespür für Situationen verlassen, die ein gewisses Potenzial für ihn hatten. Wie er witterte sie jetzt die Möglichkeit, seine Unterbringung in einem angeblichen Spukhaus werbewirksam zu nutzen. Als Autor von Horrorromanen hatte ihn die Vorstellung gereizt, ein Haus zu mieten, das ihn schon als Kind fasziniert hatte. Aber er hätte wissen müssen, dass die einzigen Gespenster, die in diesem Sommer auftauchen würden, die aus seiner eigenen Vergangenheit sein würden. Er verbot sich jedoch, weiter darüber nachzudenken.
„Jedenfalls“, fuhr er fort, „ist das Haus nur ein paar Kilometer von der Ranch meines Großvaters entfernt. Das ist ausgesprochen praktisch.“
„Oh! Wie geht es deinem Großvater?“
„Das ist eine lange Geschichte. Eigentlich geht es ihm gut.“
„Aber der Arzt hatte doch gemeint, dass er im Sterben liegt.“
„Das ist eine lange Geschichte, wie ich schon sagte.“ Cooper wollte im Moment nicht näher darauf eingehen. „Erzähl mir zuerst, warum du so lange gebraucht hast, um hierherzukommen. Ich hatte dich schon gestern erwartet.“
„Ich hatte dir doch erzählt, dass ich drei Tage brauchen würde, um in New York alles zu regeln.“
„Stimmt, das hast du. Es waren einfach drei sehr lange Tage. Du bist die Beste, Kara. Habe ich dir in letzter Zeit eine Gehaltserhöhung gegeben?“
„Nein“, erwiderte sie, „und …“
„Setz es auf deine Liste“, unterbrach er sie, bevor sie noch etwas dazu sagen konnte. „Wichtig ist nur, dass du jetzt hier bist.“ Sie lächelte ihn an, und Cooper fügte hinzu: „Jetzt, wo du hier bist, kann ich endlich wieder arbeiten. Ich hatte noch keine anständige Mahlzeit, seitdem ich von zu Hause fort bin.“
Karas Lächeln verschwand.
„Das Lebensmittelgeschäft in Coleville hat keinen Lieferservice. Also wirst du hinfahren müssen, um uns mit Lebensmitteln einzudecken“, klärte er sie auf, nahm ihren Koffer und ging zur Treppe. „Ich werde deine Sachen wegbringen. Du bekommst das Zimmer gegenüber von meinem. Es ist groß und bietet einen netten Ausblick auf das Land. Wir müssen uns das Bad teilen. Aber ich denke, wir werden uns arrangieren. Du kannst einen Zeitplan aufstellen und …“
„Cooper!“
Er hielt inne, warf ihr einen Blick zu und bedachte sie mit einem weiteren Lächeln. „Es tut wirklich gut, dich zu sehen, Kara. Und es ist okay. Ich weiß, was du sagen willst.“
„Wirklich?“
„Absolut“, meinte er. „Ich empfinde das ganz genauso. Es ist gut, dass alles wieder seinen normalen Gang geht.“
2. KAPITEL
Einige Stunden später hatte Kara eingekauft. Ein Hähnchen schmorte im Backofen, und sie hatte sich sogar schon darum gekümmert, dass gleich morgen früh ein Faxgerät geliefert und installiert werden würde. Cooper war oben in seinem Zimmer und arbeitete, während sie sich unten in der großen, im Landhausstil eingerichteten Küche fragte, was nur aus ihrem tollen Plan mit der Kündigung geworden war.
Sie lehnte sich an den Küchentresen und verschränkte die Arme vor der Brust. Inzwischen hatte sie sich umgezogen und trug jetzt ihre Lieblingsjeans, die schon ganz verblichen und abgetragen war, und wunderbar bequeme Sneakers. Sie schüttelte den Kopf über sich selbst und sagte laut: „Du bist ein Schwächling, Kara. Eine Schande für sämtliche persönliche Assistentinnen auf dieser Welt.“
Die späte Nachmittagssonne schien durch die Vorhänge des Fensters herein. Schatten fielen auf den runden Tisch und den glänzenden Holzfußboden. Kara beobachtete, wie der Wind die Vorhänge bewegte. Sie ging zu einem der Stühle und setzte sich. Während sie die Ellbogen auf den Tisch stützte, schaute sie hinaus auf den Rasen hinter dem Haus. Sie seufzte dramatisch. Dabei war sie über Cooper nicht halb so entrüstet wie über sich selbst.
Er hatte gesagt, es sei gut, dass alles wieder seinen normalen Gang gehe. Abrupt setzte sie sich auf und trommelte wild mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte. „Es ist nicht sein Fehler, dass er wieder dem gewohnten Muster folgt, das sich schon seit Jahren eingespielt hat. Du wusstest doch, dass das passieren würde. Die Frage ist: Warum hast du nicht gekündigt?“ Aber sie wusste die Antwort darauf bereits. Weil ein Blick auf Cooper genügte, damit ihre Fantasie wieder mit ihr durchging und ihr Verstand, der sonst sehr gut funktionierte, zu keinem logischen Gedanken mehr fähig war.
In ihrer Fantasie war alles perfekt. Sogar die Dialoge mit Cooper malte sie sich in ihren Träumen aus. Und jetzt, da sie hier am Küchentisch saß, schwelgte sie noch ein weiteres Mal in ihren Tagträumen. Sie würde einen Raum betreten. Ein Sonnenstrahl würde auf sie fallen und …
Cooper sieht hoch. Ihre Blicke treffen sich, und einen atemberaubenden Moment lang verlieren sie sich beide in den plötzlich entdeckten, tiefen Gefühlen füreinander. Er kommt durch das Zimmer auf sie zu, umrahmt mit seinen wundervollen großen Händen ihr Gesicht und sagt: „Oh, Kara, wie habe ich nur so dumm sein können? Wie habe ich nur so lange nicht erkannt, dass wir beide füreinander bestimmt sind? Wirst du mir jemals verzeihen können?“
Und sie lächelt, legt ihre Hände auf seine und erwidert: „Es gibt nichts zu verzeihen. Es reicht, dass wir endlich zusammen sind. Ich liebe dich, Cooper.“
Er flüstert: „Ich liebe dich auch.“ Und dann küsst er sie leidenschaftlicher, als sie es sich jemals hätte vorstellen können.
„Genau“, murmelte sie jetzt und zwang sich, wieder aus ihrem süßen Traum aufzuwachen. „Es gibt nichts zu verzeihen? Was bin ich? Eine Idiotin?“ Ja, dachte sie. Ich bin eine totale Idiotin, die in einen Mann verliebt ist, der so ahnungslos ist, dass er nicht einmal wahrnimmt, was sich direkt vor seinen Augen abspielt. In einen Mann, der nie sehen wird, wer ich wirklich bin und was ich für ihn empfinde.
Ein Seufzer, der nach großer Verzweiflung klang, erfüllte plötzlich den Raum.
Kara richtete sich ruckartig auf und sah sich in der Küche um, um herauszufinden, von wem der Seufzer gekommen war. Aber da war niemand. Sie blieb regungslos sitzen und wartete, ob sich der Seufzer wiederholen würde. Aber das passierte nicht. Außer ihr war niemand in der sonnendurchfluteten Küche. Kara bekam plötzlich eine Gänsehaut, und ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken.
Ein Geist? Cooper hatte ihr erzählt, dass es in dem Haus spuken sollte. Aber er hatte auch gesagt, dass es in den letzten drei Tagen keinerlei Anzeichen dafür gegeben hatte.
„Alles Einbildung“, flüsterte sie und stand vorsichtig auf. Sie lachte leise und tat so, als ob ihr Lachen nicht so unsicher klang, wie sie sich fühlte. Sie schluckte und rieb sich die Arme, um ihre Nervosität zu vertreiben. Sie schob das seltsame Erlebnis und ihre Anspannung auf ihren Tagtraum, rief sich zur Ordnung und fuhr mit ihren Vorbereitungen für das Abendessen fort.
Cooper verbrachte den Tag mit einem blutrünstigen Ungeheuer. In seinem Kopf überschlugen sich die Ereignisse, die er schnell in den Laptop tippte. Er wusste, welche Atmosphäre er schaffen und welche Gefühle er bei seinen Lesern wecken wollte. Es überraschte ihn, dass es ihm heute zum ersten Mal, seit er in Kalifornien war, gelang, mit dem Schreiben ein gutes Stück voranzukommen. Es war ein gutes Gefühl, sich in seiner eigenen Fantasie zu verlieren und die Charaktere auf dem Computerbildschirm zum Leben zu erwecken. Und es tat gut, für kurze Zeit die Erinnerungen loszulassen, die ihm seit drei langen Tagen so sehr zu schaffen machten.
Eine dünne Schneeschicht bedeckte den Weg zu dem alten Hotel und dämpfte seine Schritte. Aber David bemerkte den Schnee kaum. Er spürte die Kälte, die seine Seele zum Gefrieren brachte, bis in die Knochen. Angst kroch in ihm hoch. Er krümmte die Schultern im eisigen Wind, schlurfte beim Gehen und kam nur widerwillig näher – als ob ihm jede Faser seines Körper zu sagen versuchte, dass er sich fernhalten sollte.
Cooper hörte auf zu schreiben und lehnte sich zurück. Er wusste genau, wie sich der Held seines jüngsten Romans fühlte. War er nicht selbst nur widerwillig nach Coleville zurückgekehrt? Sagte ihm nicht alles in ihm, dass er so schnell wie möglich von hier verschwinden sollte? Aber in diesem Sommer saß er hier in der Falle. Er hatte seinem Großvater sein Wort gegeben, und ein Lonergan hielt stets sein Wort. Sogar wenn er es einem raffinierten alten Mann gegeben hatte, der seinen Enkeln die Lüge aufgetischt hatte, sterbenskrank zu sein, um sie nach Hause zu locken.
Es war nicht so, dass Cooper seinem Großvater deshalb grollte. Er war froh, dass Jeremiah gesund und anscheinend so ausgefuchst wie immer war. Aber, verdammt, Cooper war fünfzehn Jahre lang nicht nach Coleville zurückgekommen. Und wenn Jeremiah ihn nicht hereingelegt hätte, wäre er wahrscheinlich nie mehr heimgekehrt. Es gab hier zu viele Erinnerungen, die ihm unentwegt durch den Kopf gingen und ihm zusetzten. Erinnerungen, die er einfach nicht ignorieren konnte.
Sein Bildschirmschoner flackerte auf, ein Spukhaus, in dem es nur so von Fledermäusen, Gespenstern und Vampiren wimmelte. Gewöhnlich reichte Cooper das als Motivation aus, sich wieder ans Schreiben zu machen und in die Geschichte einzutauchen, an der er gerade arbeitete. Doch heute ignorierte er die bewegten Bilder, die ihn zur Arbeit inspirieren sollten. Aus der Küche drangen das Klirren des Geschirrs, das Rauschen des Wassers in den alten Rohren und ein köstlicher Duft zu ihm. Er schnupperte und genoss nicht nur die Aromen von Knoblauch und Salbei, sondern auch die Gewissheit, dass Kara unten in der Küche war. Es tat wirklich gut, sie hier zu haben. Und das nicht nur wegen ihrer Kochkünste.
Seit er vor drei Tagen das erste Mal nach fünfzehn Jahren nach Coleville gekommen war, hatte sich Cooper so einsam wie noch nie gefühlt. Natürlich wohnte seine Familie nur wenige Kilometer entfernt. Aber hier in diesem Haus hatte er nachts allein wach gelegen und die Leere gespürt, die ihn umgab. Normalerweise mochte er es, allein zu sein. In New York arbeitete er fast den ganzen Tag über und vermied es möglichst, ans Telefon zu gehen, die Haustür zu öffnen oder E-Mails zu lesen. Kara kümmerte sich um all diese Dinge. Daher konnte er es sich leisten, sich ganz in seine Geschichten zu vertiefen. Wenn er Ablenkung brauchte, hatte er die Innenstadt gleich vor der Tür. Zudem gab es unzählige Frauen, die er anrufen konnte, wenn ihm danach zumute war.
Hier jedoch herrschte absolute Stille. Es gab keine Menschen, die geschäftig vorbeieilten, keinen Verkehrslärm, kein Geschrei, kein Sirenengeheul. Es gab nur die Stille – und viel zu viel Zeit zum Nachdenken.
Cooper schob den Stuhl zurück, stand auf und ging zum Fenster, das nach vorne hinausging. Doch er nahm weder den sorgsam gepflegten Vorgarten noch die prächtigen, alten Bäume, den gepflegten Rasen oder die schmale zweispurige Straße wahr, die zur Ranch seines Großvaters führte. Wie schon in den vergangenen drei Tagen sah er einen See vor seinem geistigen Auge. Er hatte geglaubt, es würde reichen, ein Haus zu mieten, das einige Kilometer weit von der Ranch seines Großvaters entfernt war, um die Erinnerungen abzuschütteln. Er hatte angenommen, dass es ihm den Aufenthalt hier erleichtern würde, wenn er den See tatsächlich nicht sehen könnte. Aber er hätte es besser wissen sollen.
Verdammt, er lebte seit Jahren in Manhattan und sah diesen See jede Nacht in seinen Träumen. Und jeden Tag, wenn er sich hinsetzte, um die Horrorromane zu schreiben, die ihm ein Vermögen und Ruhm eingebracht hatten. Immer wieder hatte er vor Augen, wie dieser Sommertag vor fünfzehn Jahren zu einem Albtraum geworden war.
Wenn er jetzt die Augen schloss, würden alle Erinnerungen sofort zurückkommen. Wie ihm die Sonne auf den nackten Schultern gebrannt hatte. Das laute Lachen seiner Cousins. Das aufspritzende Wasser, als er und seine Cousins in den eisigen See gesprungen waren. Und der ungeheure, fast betäubende Schock, der darauf gefolgt war.
Also ließ er die Augen geöffnet. Aber die Erinnerungen verfolgten ihn und zerrten an seinen Nerven. Er fuhr sich durch die Haare und rieb sich dann die Augen, als ob er so die Bilder loswerden könnte, die sich auf seiner Netzhaut eingebrannt zu haben schienen.
„He!“
Überrascht drehte er sich herum und sah Kara an der Tür stehen. Sie starrte ihn an. Sein Herz klopfte, als er den Kopf schüttelte und sie mit finsterem Gesicht anschaute: „Willst du, dass ich einen Herzanfall bekomme?“
„Das steht heute Abend nicht auf meinem Programm. Nein“, sagte sie und kam ins Zimmer. Sie sah ihn immer noch neugierig an. „Alles okay?“
Nein. „Warum sollte es das nicht sein?“, wich er der Frage aus und drehte ihr den Rücken zu, um sich wieder seinem Laptop zuzuwenden. Wenn jemand bei ihm war, klappte er immer den Deckel herunter. Vielleicht war es eine Art Aberglaube, aber er mochte es nicht, wenn jemand einen Blick auf seine Arbeit warf, solange er noch nicht damit fertig war.
„Nun, weil ich dich schon drei Mal gerufen habe und du mich nicht gehört hast“, erklärte Kara.
„Ich habe nachgedacht.“ Das ist zumindest keine Lüge, dachte er.