Gib meiner Sehnsucht ein Zuhause

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Kristen hat ihren Mr. Perfect gefunden! Ryan wird sie für immer glücklich machen, sobald er von seinem letzten Rodeo zurückkehrt. Doch ihr Herzenscowboy lässt sich Zeit. Und als er endlich wieder da ist, fragt Kristen sich, ob er wirklich perfekt ist - oder ein schamloser Lügner …


  • Erscheinungstag 11.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778309
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

4. Juli

„Siehst du sie?“

Kristen Dalton hielt sich die Hand schützend über die Augen, aber die Hochzeitskutsche war nicht in Sicht. „Tut mir leid, Schwesterherz. Noch keine Spur von Braut und Bräutigam.“

„Ich bin ja so gespannt auf ihr Hochzeitskleid. Die ganze Stadt redet davon. Bisher habe ich alles von Country Casual bis zum verrückten Kardashian-Style gehört.“

Nichts war unmöglich. Obwohl Kristen und ihre Schwester in einer kleinen, von Ranches umgebenen Stadt am nördlichen Rand von Montana lebten, konnte heutzutage ein Abendkleid aus der Glitzerwelt Hollywoods über Nacht geliefert werden. Seit Wochen hörte Kristen sich geduldig an, wie ihre Zwillingsschwester Kayla sich über das Für und Wider jedes einzelnen Looks ausließ. Heute war der 4. Juli, aber ihre Schwester war so aufgeregt wie ein Kind am Weihnachtsmorgen.

Kristen reichte Kayla ihren Pappbecher, stieg auf den Holzzaun vom angrenzenden Stadtpark und streckte die Hände nach beiden Bechern aus. „Komm, setz dich zu mir. Es könnte noch eine Weile dauern. Vor der Kirche müssen mindestens eine Million Traubs fotografiert werden.“

Kayla nahm neben ihr Platz. „Was für ein schöner Tag für eine Hochzeit.“

Kristen fand es etwas zu warm. Fast dreißig Grad. Sie gab Kayla ihren Becher zurück und trank einen großen Schluck von der eiskalten Hochzeitsbowle.

Zum Glück trugen sie leichte Sommerkleider.

Kaylas Kleid war geblümt mit zarten Spaghettiträgern, und sie hatte die Ohrringe ihrer Großmutter angelegt. Die schimmernden, filigranen Tropfen kamen voll zur Geltung, weil Kayla das Haar meistens hochgesteckt hatte. An Kristen wären sie nicht zu sehen, weil sie das Haar fast immer offen trug. Es war lang und – okay, ich geb’s zu Mom – wehte ihr immer wieder ins Gesicht. Ihre Mutter hatte schon früh aufgegeben und nicht mehr versucht, ihr eine ordentliche Frisur zu verpassen.

Kristen trug gern blaue Sachen, weil sie ihre Augenfarbe betonten. In ihrem Denim-Trägerkleid fühlte sie sich weder süß noch sexy, sondern genau dazwischen. Statt Sandaletten trug sie dazu ihre Westernstiefel, nicht die festen, eingetragenen, in denen sie auf der Familienranch arbeitete, sondern die mit den handgearbeiteten Spiralen im Leder. Die zog sie auch zum Twostepp, Walzer und Squaredance an. Tanzen wollte sie heute unbedingt, vor, während und nach dem Feuerwerk.

Jetzt brauchte sie nur noch den richtigen Cowboy dafür.

Schön wär’s …

… wenn es in Rust Creek Falls einen Cowboy gäbe, den sie noch nicht kannte – und von dem sie nicht bereits wusste, dass er nicht ihr Typ war.

„Ich finde es toll, dass Braden und Jennifer in einer Kutsche kommen“, sagte ihre Schwester. „Nur sie beide, zum ersten Mal als Mr. und Mrs. Traub, am Beginn ihrer Reise durchs Leben, bildlich gesprochen …“

„Und kurz.“ Kristen stieß ihre Schwester mit der Schulter an. „Die Kirche ist nur zwei Blocks entfernt. Und wir sind hier und können Hallo sagen, während wir in Wirklichkeit das neueste Outfit von Mrs. Traub begutachten.“

Kayla warf ihr einen Blick zu. „Es wird erwartet, dass man das Brautkleid bewundert.“

„Ich weiß. Das Warten lohnt sich ganz bestimmt.“

„Wie immer bei den besten Dingen im Leben.“ Kayla klang, als wäre sie fest davon überzeugt.

Kristen stieß mit den Stiefelabsätzen gegen die untere Zaunplanke, trank die Bowle aus und hob das Haar an, um den Nacken zu kühlen. „Ich hoffe, die Kutsche sieht spektakulär aus.“

„Ich habe gehört, dass Sutter Traub zwei echte Schimmel aufgetrieben hat, und die zweisitzige Kutsche haben sie von einer Farm südlich von Kalispell geholt. Paige und Lindsay haben Unmengen weißes Band gekauft und die ganze Woche Schleifen gebunden.“

„Wow.“ Kristen war beeindruckt, was ihre Schwester alles wusste. Sie selbst hatte nur gehört, dass das Brautpaar in einer Kutsche von der Kirche zum Park fahren würde. „Du hast schlimmeres Hochzeitsfieber als alle anderen, und da die ganze Stadt zum Empfang kommt, will das schon etwas heißen.“

Kristen hörte auf, mit den Absätzen gegen den Zaun zu trommeln. Das dumpfe Geräusch konnte selbst einem eineiigen Zwilling, der Kristens rastloses Wesen besser als jeder andere verstand, irgendwann auf die Nerven gehen.

Erwartungsvoll blinzelten die Schwestern die Buckskin Road entlang, von der Julisonne geblendet, vorbei an ihrer alten Highschool. Dort war schon früher jedes Kind in Rust Creek Falls zur Schule gegangen, und so war es noch immer. In einer Kleinstadt änderten sich manche Dinge nie, und das war Kristen ganz recht.

Sie hatte an der Universität von Montana studiert, einen Abschluss in Theaterwissenschaft gemacht und einen Sommer als unbezahlte Praktikantin in New York City verbracht, aber hier fühlte sie sich am wohlsten. Großstädte waren eine interessante Abwechslung, aber Rust Creek Falls unter dem endlosen Himmel von Montana war ihre Heimat und würde es immer bleiben.

Kleinstadt bedeutete nicht Langeweile. Die Dinge waren immer im Wandel. Im Rathaus ging es manchmal so hoch her, dass die große Politik in Washington dagegen friedlich wirkte. Trotzdem hatten alle Einwohner mit angepackt, um den Teil der Stadt wieder aufzubauen, der vor einigen Jahren einer Flut zum Opfer gefallen war. Old Bledsoe’s Folly, eine verlassene kleine Siedlung in den Bergen, war jetzt ein schickes Resort, und demnächst sollte dort die erste Skipiste angelegt werden.

Aber am spannendsten waren die Menschen von Rust Creek Falls. Vielleicht lag es am endlosen Himmel von Montana, dass viele, die beim Wiederaufbau geholfen hatten, hiergeblieben waren. Kristen schaute nach oben und suchte nach Flugzeugen – einem ganz bestimmten Flugzeug, um genau zu sein.

Das hatte sie sich angewöhnt, weil sie geglaubt hatte, dass ihre wahre Liebe vom Himmel zu ihr herabgeschwebt war. Leider hatte der attraktive Verkehrspilot einer Regionalfluglinie sich als Herzensbrecher der übelsten Sorte erwiesen. Wie ein Matrose mit einem Mädchen in jedem Hafen hatte er in jeder Stadt, die er anflog, eine Freundin gehabt. Kristen konnte noch immer nicht fassen, dass sie auf diesen Kerl hereingefallen war.

Ihre Schwester stieß sie wieder an. „Fliegt er an den Wochenenden jetzt Kalispell an?“

Typisch Kayla. Ihr entging nichts. Nicht mal ein Blick zum Himmel.

Kristen rümpfte die Nase. „Ist mir doch egal, wo der Mistkerl landet und was er dort tut. Wie konnte ich nur so dämlich sein?“

„Oder bei wem er landet.“

„Du solltest Schriftstellerin werden.“ Kristen trommelte weiter gegen das Geländer. „Soll er doch belügen, wen er will, mich jedenfalls nicht mehr. ‚Ich wünschte, ich könnte noch bleiben. Leider kann ich dich ein paar Tage lang nicht anrufen. Du weißt, dass ich viel lieber bei dir wäre, aber dieser Job lässt mir einfach nicht genug Zeit.‘ Ich war so gutgläubig. Unfassbar, dass ich ihn nicht durchschaut habe.“

„Du warst verliebt.“

„Aber jetzt bin ich es nicht mehr.“ Sie warf das Haar über die Schulter. „Ich will tanzen und mit einem oder zwei gut aussehenden Fremden flirten, aber verlieben werde ich mich nicht.“

„Nie wieder?“

„Für sehr lange Zeit nicht. Ganz bestimmt nicht heute.“

Kayla sagte nichts.

Erst nach einem Moment merkte Kristen, dass ihre Schwester sie anstarrte. Ruckartig drehte sie sich zu ihr um. „Was ist denn?“

„Du solltest das Schicksal nicht herausfordern.“

„Hör auf. Ich bekomme eine Gänsehaut.“ Kristen sprang vom Zaun. Obwohl er nicht hoch war, stolperte sie und wäre fast hingefallen. Normalerweise war sie so beweglich wie eine Katze, und dass sie das Gleichgewicht verlor, kam ihr … komisch vor? Ja, es war komisch. Sie lachte unbeschwert. „Du bleibst hier und hältst nach der Kutsche Ausschau. Ich hole uns noch mehr Bowle. Gib mir deinen Becher.“

Als Kayla ihr den Becher reichte, rutschte sie vom Zaun und fiel gegen Kristen. Sie brachen beide in fröhliches Kichern aus, einfach so.

„Was glaubst du, was in der Bowle ist?“, fragte Kristen. „Wir hatten doch nur einen Becher.“

„Keine Ahnung, aber bleib bei mir. Sieh einfach die Straße entlang und warte darauf, dass dir die Liebe deines Lebens über den Weg läuft.“

Ryan Roarke parkte seinen roten Porsche zwischen zwei großen, staubigen Pick-ups. Der schnelle Sportwagen passte nach Los Angeles, aber nicht hierher. Ryan war nach Montana gekommen, um Los Angeles für eine Weile hinter sich zu lassen. Als er seine Assistentin gebeten hatte, ihm am Glacier Park Airport einen luxuriösen Mietwagen zu reservieren, hatte er mit dem üblichen Geländewagen gerechnet, einem Land Rover oder Audi mit Skiträgern. So einen fuhr er immer, wenn er seinen Bruder in Thunder Canyon besuchte, dem noblen Skiort in einem anderen Teil Montanas.

Aber sie hatten Juli, die Straßen waren frei, und die Angestellte am Schalter hatte ihm freudestrahlend die Schlüssel für den Porsche überreicht. Obwohl er viel lieber die Stirn gerunzelt und einen anderen Wagen verlangt hätte, hatte er sich ein dankbares Lächeln abgerungen.

Jetzt zog er eine Grimasse. Der schicke Wagen war hier so fehl am Platz, dass man Ryan vermutlich für einen Mann in der Midlife-Crisis hielt. Er stellte den Motor ab, stieg aus und kam sich neben dem flachen Gefährt wie ein Riese vor. Die missbilligenden Blicke einiger Cowboys erwiderte er ebenso abweisend.

Ryan wusste, wozu eine Midlife-Crisis führte – zu viele seiner Anwaltskollegen verjubelten das Erbe ihrer Kinder für teure Sportwagen, um die Mutter der Kinder durch ein Starlet nach dem anderen zu ersetzen. Er hatte keine Ahnung, wie sich eine Midlife-Crisis anfühlte. Er war erst dreiunddreißig und überzeugter Junggeselle. Er versuchte nicht, auf Frauen wohlhabender, einflussreicher oder attraktiver zu wirken, als er war.

Ryan arbeitete in einer renommierten Anwaltskanzlei in Los Angeles, die in zweiter Generation erfolgreich war. Er besaß bereits Sportwagen, die unvermeidliche Rolex und die dazugehörigen Maßanzüge. Selbst im Gerichtssaal war eine athletische Figur vorteilhaft, deshalb hielt er sich in Form, indem er mit Personal Trainers boxte und an exklusiven Stränden surfte. Und was junge blonde Starlets anging, so fanden sie ihn auch attraktiv, ohne dass er sich anstrengen musste.

Nein, er hatte definitiv keine Midlife-Crisis.

Warum stehe ich dann hier herum, in der kleinsten aller Kleinstädte, mitten auf dem Land, über tausend Meilen von zu Hause entfernt?

Eigentlich sollte er auf einer Jacht sitzen, mit anderen Millionären Mojitos trinken und darauf warten, dass die Sonne im Pazifik versank und ein sündhaft teures Feuerwerk begann, das einem Hollywoodfilm zur Ehre gereicht hätte. Eine Cheerleaderin der Lakers war besonders enttäuscht, dass er seine Pläne geändert hatte. Aber die Gerichte hatten wegen des Feiertags schon am Freitag geschlossen, und seit zwei Jahren nutzte Ryan fast jedes verlängerte freie Wochenende, um nach Montana zu fliegen.

Zum ersten Mal war er wegen seines Bruders nach Big Sky Country gekommen. Shane Roarke war ein prominenter Sternekoch, ein Mann, dem aufgrund seiner dynamischen Persönlichkeit und seiner kulinarischen Fähigkeiten die Welt offenstand. Shane hatte überall auf der Welt Restaurants eröffnet, aber leben wollte er nur in Montana.

Wie Ryan war auch Shane adoptiert worden. Shane hatte seine Familie in Thunder Canyon gefunden. Zwei Halbbrüder, dreizehn Cousins und Cousinen – und die Liebe seines Lebens. Sie hatte vor seinen Augen in seinem Restaurant im Resort von Thunder Canyon gearbeitet.

Das würde Ryan nicht passieren, weder in Montana noch sonst irgendwo. Im Unterschied zu Shane war Ryan nicht gleich nach der Geburt adoptiert worden, sondern erst mit fast vier Jahren, zu jung, um viele Erinnerungen an seine Mutter zu haben, aber alt genug, um noch ein oder zwei bleibende Bilder und Eindrücke im Kopf zu haben.

Gefühle.

Und den einen klaren Moment, in dem seine Mutter ihn für immer verlassen hatte.

Er liebte nur eine Familie: die Roarkes. Seine Adoptiveltern Christa und Gavin Roarke, seinen Bruder Shane und seine jüngere Schwester Maggie.

Maggie lebte hier in Rust Creek Falls, etwa 300 Meilen nördlich von Thunder Canyon. Sie war jetzt verheiratet und hatte vor drei Monaten ihr erstes Baby bekommen.

Anders als Thanksgiving oder Weihnachten war der 4. Juli kein großes Familienfest. Wegen des dichten Verkehrs auf der Fahrt zum Flughafen von L. A., der Sicherheitskontrollen und des Umsteigens auf dem 1000-Meilen-Flug war die Reise für Ryan kein Wochenendtrip. Niemand konnte verlangen, dass man neun oder zehn Stunden unterwegs war, um einen einzigen Tag im Juli bei der Familie zu verbringen. Aber Maggie hatte am Telefon erwähnt, dass die ganze Stadt die Hochzeit eines ihm flüchtig bekannten Paars feiern wollte. Deshalb hatte er einen Flug gebucht.

Ein anderes Gefühl, ein anderer Impuls: Eine Hochzeit in Rust Creek Falls? Ich sollte dabei sein.

Er folgte einer spontanen Eingebung. Benahm er sich damit ebenso schlimm wie die Anwälte, die tatsächlich in einer Midlife-Crisis steckten?

Maggie hatte ihm erzählt, dass die beiden in der Kirche heirateten, ganz feierlich mit fünf Brautjungfern und Männern im Smoking. Daher trug Ryan Anzug und Krawatte. Natürlich besaß er einige Smokings, aber da die Hochzeit am Nachmittag stattfand und er einer von vielen Gästen war, wäre er im Smoking wohl overdressed gewesen.

Auf dem Weg vom Parkplatz nickten ihm einige Einheimische neugierig, aber höflich zu, und er grüßte zurück. Mit dem Smoking hatte er recht gehabt, aber selbst im Anzug war er offenbar zu gut angezogen. Der Hochzeitsempfang war zugleich das Barbecue der Stadt zum 4. Juli, und er kam sich auf der großen Rasenfläche inmitten von Cowboys in Jeans und Cowgirls in Sommerkleidern reichlich deplatziert vor.

Er blieb in der Nähe der Bühne und der hölzernen Tanzfläche stehen. Das Brautpaar war noch nicht eingetroffen, aber die Band spielte sich bereits warm, und es gab Drinks. Ein älterer Mann kam auf ihn zu und reichte ihm einen Pappbecher mit Hochzeitsbowle. Ryan bedankte sich belustigt. Offenbar sah er aus, als würde er einen Drink brauchen, so allein zwischen all den fröhlich feiernden Menschen.

Er war allein, aber nur, weil Maggie und ihr Mann noch zu Hause darauf warteten, dass ihr Baby endlich einschlief und sie rechtzeitig zum Feuerwerk in den Park kommen konnten. Dass er allein war, bedeutete aber nicht, dass er sich einsam fühlte. Ryan trank einen Schluck und wünschte, er hätte es nicht getan. Es war ein schrecklich süßes Gebräu aus Fruchtsaft und Sekt, das er unter normalen Umständen niemals getrunken hätte. Er konnte das Zeug nicht einfach ins Gras kippen, denn das hier war eine Kleinstadt, und wenn er Pech hatte, stand er in Sichtweite der Großmutter oder jungen Lady, die die Bowle zubereitet hatte. Er wollte ihr nicht das Herz brechen.

Wenn es etwas gab, was Ryan auf keinen Fall sein wollte, war es ein Herzensbrecher. Bestimmt ärgerte sich sein Laker Girl über ein ausgefallenes Wochenende auf der Jacht, aber sie würde es verschmerzen. Wie alle seine bisherigen Gespielinnen. In L. A. fand er oberflächliche, schmerzlose Beziehungen ideal, hier hingegen kamen sie ihm vor wie … zu wenig.

Er trank den Becher aus. Auf dem Weg zum Müllcontainer ging er am Tisch mit der Bowle vorbei und wurde von drei reizenden Großmüttern angesprochen.

„Oh, Sie haben sich aber hübsch gemacht.“

„Warten Sie auf jemanden? Ein attraktiver junger Mann wie Sie kommt doch bestimmt nicht allein zu einer Hochzeit.“

„Wir haben um die dreißig Grad. Ich wette, Sie schwitzen in Ihrem Anzug, auch wenn Sie darin wirklich sehr schick aussehen.“

Er war nicht überhitzt. In Los Angeles herrschten manchmal fast 40 Grad, und er trug trotzdem einen Anzug, wenn er von der Kanzlei ins Gericht und zurück fuhr. Um ihn ins Schwitzen zu bringen, brauchte es mehr als ein Thermometer. Trotzdem war er ihnen für ihre mütterliche Besorgnis dankbar. Die Frauen hatten unzählige Lachfalten im Gesicht und blitzende blaue Augen. Sie erinnerten ihn unwillkürlich an liebenswerte Figuren aus Grimms Märchen.

„Kommen Sie, mein Junge, ich fülle Ihren Becher wieder auf.“ Sie hob die Kelle.

Er winkte ab. „Nein danke.“

Alle drei Frauen hielten abrupt inne und musterten ihn mit zusammengekniffenen Augen. Wo waren die Märchengestalten geblieben?

„Seien Sie nicht albern. Der Tag ist heiß, und die Bowle ist kalt.“

Das hier war Montana, das Land der Grizzlybären und Großmütter. Im Moment gab es zwischen ihnen keinen großen Unterschied. Wenn man einem Bären gegenüberstand, reizte man ihn nicht. Ryan rang sich ein Lächeln ab und ließ schicksalsergeben zu, dass sie seinen Becher auffüllten.

„Vielen Dank.“ Er prostete ihnen zu, trank einen großen Schluck, um sie glücklich zu machen, und ging weiter.

Aber wohin? Hatte er ein Ziel?

Natürlich, der Müllcontainer. Sonst gab es nichts, sonst hatte er niemanden.

Plötzlich verschwamm seine Umgebung, und er sah Sterne, als hätte er im Boxring einen Volltreffer abbekommen. Ein technischer Knock-out. Er tastete nach dem Zaun und hielt sich daran fest. Das Holz fühlte sich rau an. Nein, er war nicht betrunken, nicht von einem Becher Sekt mit Saft. Trotzdem fühlte er sich …

Nutzlos.

Maggie war mit ihrem Mann zusammen, Shane mit seiner Frau. Selbst seine Eltern lebten in Kalifornien noch immer zusammen. Die beiden planten ihren Ruhestand, wollten endlich viel reisen und freuten sich auf die gemeinsame Zeit als Christa und Gavin, nachdem sie jahrzehntelang nur Mom und Dad gewesen waren.

Einsam.

Er war 1000 Meilen gereist. Und wozu? Um ein Fremder in einem fremden Land zu sein? Er sah sich um, ohne den Zaun loszulassen. Überall hatte jeder jemanden. Kinder hatten Großeltern. Ehemänner hatten Ehefrauen. Teenager hatten einander. Die Mädchen spielten mit ihrem Haar, tuschelten und redeten und sahen die Jungen an. Die Jungen gaben sich so männlich wie möglich, standen mit verschränkten Armen da oder probierten den wiegenden Gang der Cowboys, aber immer in Gruppen.

In dieser Stadt gab es keine Außenseiter und keine Einzelgänger. Das erste Mal war Ryan hier gewesen, nachdem die Flut die südliche Hälfte der Stadt zerstört hatte. Seine Schwester hatte den Betroffenen geholfen, ihre Ansprüche bei den Versicherungen geltend zu machen. Maggie war so fleißig gewesen, dass sie keinen zweiten Rechtsanwalt gebraucht hatten. Also hatte er sich Arbeitshandschuhe geschnappt, statt seines juristischen Verstandes seine Muskeln eingesetzt und beim Aufräumen geholfen.

Ohne viele Worte schloss er sich einem Trupp von Männern und Frauen an und warf einen Backstein, ein Holzbrett, einen Fensterrahmen nach dem anderen in den Container. An einem einzigen Tag beseitigten sie die Trümmer eines ganzen Hauses, um Platz für ein neues Haus und einen neuen Traum zu schaffen. Danach nickten sie einander freundlich zu und gingen ihrer Wege, um zu essen, sich auszuruhen und am Tag darauf wieder zum Einsatz zu erscheinen. Noch nie hatte Ryan sich so sehr als Teil einer Gemeinschaft gefühlt.

Jetzt starrte er auf den Zaun unter seiner Hand. Auch deshalb kam er immer wieder her. Einen Tag lang hatte er einfach dazugehört. Niemanden hatte interessiert, in welcher Kanzlei er als Anwalt arbeitete, was für ein Haus in welchem Teil von L. A. er sich leisten konnte oder welche wohlhabenden Mandanten ihn übers Wochenende auf ihre Jacht einluden. Er war nicht weiter aufgefallen. Kein Mensch hatte aufdringliche Fragen gestellt, und es hatte ihm gefallen.

Aber jetzt brauchen sie mich nicht.

Wie so oft wehrte er sich gegen die deprimierende Vorstellung, denn sie erinnerte ihn an den kleinen Jungen, dessen Mutter ihn nicht in ihrem Leben gewollt hatte. Er war kein verstoßenes Kind mehr. Er war ein Roarke, ein einflussreicher Anwalt aus einer einflussreichen Familie, und wenn er etwas wollte, bekam er es auch.

Jetzt musste er nur noch wissen, was er wollte.

Er holte tief Luft, packte die Zaunplanke fester und schaute auf seine Hand, bis der Nebel in seinem Kopf sich lichtete. Langsam hob er den Blick und konnte kaum glauben, was er gerade dachte. Die Idee, die ihm kam, nahm immer konkretere Formen an. Was, wenn er einen neuen Weg im Leben beschritt? Wenn er nicht nur für ein langes Wochenende nach Montana gekommen war? Konnte er hier leben? Würde er dazugehören oder immer nur am Rand einer engen Gemeinschaft bleiben?

Sein inzwischen wieder klarer Blick folgte dem Zaun, bis er etwa dreißig Meter weiter zwei Frauen in blauen Sommerkleidern erfasste. Sie saßen auf der obersten Planke, mit dem Rücken zur Festgesellschaft. Die mit dem langen, offenen Haar warf den Kopf zurück und lachte über etwas, das die andere sagte. Obwohl sie am Rand der Wiese saß, war sie glücklich.

Glücklich, weil sie nicht allein ist.

Auch Shane und Maggie waren in Montana glücklich, weil sie nicht allein waren. Ehe und Kinder waren nichts für Ryan. Er bezweifelte, dass er einen guten Ehemann und Vater abgeben würde, und verspürte auch nicht gerade den brennenden Wunsch, einer zu werden. Er ließ den Zaun los, kehrte zum Porsche zurück und lockerte unterwegs die Krawatte. Vielleicht suchte er hier etwas, aber Liebe war es nicht.

Wenn er sein Leben so dramatisch änderte, wenn er aus L. A. in eine Kleinstadt zog, würde er es als unabhängiger, eigenständiger Mann tun. Und er musste ausprobieren, ob es ihm hier gefiel. Heute, nur heute, würde er so tun, als gehörte er hierher. Er würde Grillfleisch essen, mit einigen einheimischen Mädchen tanzen und entscheiden, ob es sich inmitten von Großfamilien und verbeulten Pick-ups besser lebte als in Villen und auf Jachten an der Küste Kaliforniens.

Falls es so war, würde er aus der Kanzlei ausscheiden und für immer nach Montana umziehen.

Und wenn sie mich jetzt, da sie mich nicht brauchen, nicht mögen?

Er verdrängte den verunsichernden Gedanken und öffnete den Kofferraum, um seinen Koffer herauszuholen. Der Kofferraum beim Porsche war vorn, der Motor hinten, womit der Sportwagen auf dem staubigen Parkplatz so sehr auffiel wie sein Fahrer. Aber er konnte sich umziehen. Er hatte die Jeans, in denen er in Thunder Canyon Quad fuhr, und die Stiefel mit, in denen er nach der Flut geholfen hatte.

Falls die Stadt ihn abweisend behandelte, wie jemanden, der nicht mehr gebraucht wurde, was sollte es? Er hatte schon Schlimmeres verkraftet und würde mit allem fertigwerden, was ihn hier erwartete.

Autor

Caro Carson
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