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Ja, ich will! Angies Hochzeit mit Roque de Calvhos ist der glücklichste Tag ihres Lebens! Doch schon bald beschleicht sie ein entsetzlicher Verdacht: Ist Roque untreu? Zutiefst verletzt verlangt Angie die Scheidung von dem Mann, der ihr Herz besessen und gebrochen hat ?...


  • Erscheinungstag 19.06.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773502
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Und was soll ich jetzt unternehmen?“

„Gar nichts“, erwiderte Roque de Calvhos ungerührt, der an seinem Schreibtisch saß und in einen Geschäftsbericht vertieft war.

„Es könnte aber sein, dass sie Ärger macht“, entgegnete Mark Lander, obwohl ihm bewusst war, dass sein Auftraggeber es nicht schätzte, wenn man ihm in private Entscheidungen hineinzureden versuchte.

Roque de Calvhos kam ganz nach seinem Vater, was sein rigoroses Geschäftsgebaren anging. Als Eduardo de Calvhos vor drei Jahren gestorben war, hatte niemand damit gerechnet, dass sein als Playboy bekannter Sohn sich ganz gelassen Respekt verschaffen würde. Seine weitreichenden Entscheidungen hatten die meisten als Anzeichen für den rasanten Untergang des De-Calvhos-Imperiums betrachtet. Jetzt wussten sie es besser. Was Roque aus den vielen verschiedenen Unternehmen des Imperiums gemacht hatte, stellte sogar den beeindruckenden Erfolg seines Vaters in den Schatten.

Unterwürfigkeit war dem Zweiunddreißigjährigen fremd, der nicht nur unglaublich erfolgreich in der Finanzwelt war, sondern auch elegant, ausgesprochen gut aussehend und so undurchschaubar, dass manch einer immer noch so dumm war, ihn zu unterschätzen. Seine von ihm getrennt lebende Frau gehörte nicht dazu.

„Sie führt ‚unüberbrückbare Differenzen‘ als Grund für eine Scheidung an. Überleg es dir noch einmal, Roque“, riet Mark. „Angie lässt dich damit praktisch vom Haken.“

Roque lehnte sich zurück. Mit seinen dunklen Augen, fast so schwarz wie sein sorgfältig frisiertes Haar, sah er den besorgten Anwalt an.

„Mir ist bewusst, dass wir keinen Ehevertrag geschlossen haben“, sagte er. „Aber Angie ist nicht gierig und wird nicht versuchen, mich auszunehmen.“

„Das kommt darauf an, was Sie darunter verstehen“, entgegnete der ältere Mann trocken. „Dein Geld will Angie wohl nicht, sonst hätte sie längst Forderungen gestellt. Aber ich möchte wetten, dass sie darauf aus ist, dir Ehre und Stolz zu nehmen. Sie will sich unbedingt scheiden lassen und wird dabei vor nichts zurückschrecken. Wenn sie Ehebruch als Begründung angibt, werden wir das unmöglich vor der Öffentlichkeit geheim halten können. Und du weißt ebenso gut wie ich, welche alten Geschichten Angie dann wieder hervorzerren wird.“

Roque biss die Zähne zusammen. Wochenlang hatten damals die Zeitungen das Thema „Der Playboy und die beiden Models“ ausgeschlachtet. Seufzend musste er sich eingestehen, dass Mark recht hatte.

„Angie sagt, sie habe Beweise, dass du mit Nadia Sanchez geschlafen hast. Diese dumme Person habe ihr diese Beweise sogar selbst geliefert, weil sie deine Ehe kaputt machen wollte.“

„Was ihr ja auch gelungen ist“, bemerkte Roque ausdruckslos.

„Du hattest verdammt viel Glück, dass Angie damals in Bezug auf die Affäre geschwiegen hat, um ihr Gesicht zu wahren.“

Was Angie betraf, so ging es um weit mehr als darum, das Gesicht zu wahren. Roque senkte die Lider mit den dichten schwarzen Wimpern, damit der Anwalt nicht sah, was in ihm vorging. Angies Herz war gebrochen, sie war tief unglücklich und gab ihm die Schuld daran.

Sie hatte damals für großes Aufsehen gesorgt, als sie ihrer Modelkarriere den Rücken gekehrt hatte und für mehrere Monate verschwunden war. Vergeblich hatte Roque sie in ganz Europa suchen lassen und Angies kleinen Bruder Alex zur Rede gestellt. Doch der Achtzehnjährige hatte ihren geheimen Aufenthaltsort nicht preisgegeben, sondern es genossen, ihn leiden zu sehen. Schließlich war Angie wieder aufgetaucht, hatte ihre alte Chefin Carla um einen normalen Bürojob gebeten und saß jetzt am Empfang der Modelagentur. Nicht ein einziges Mal seit ihrer Trennung vor einem Jahr hatte sie Roques Existenz zur Kenntnis genommen.

Und jetzt hatte sie einen Scheidungsantrag eingereicht und vermutete wahrscheinlich, er würde diesem erleichtert zustimmen. Doch Roque hatte mit seiner verletzten, typisch englischen Frau anderes vor. Zum Beispiel sollte sie vor ihm auf die Knie gehen und ihn anflehen, zu ihr zurückzukommen. Das verlangten sein Ego und sein verletzter Stolz. Und Roque hatte das perfekte Mittel an der Hand, um dies in die Tat umzusetzen.

„Keine Scheidung“, sagte er zu seinem Anwalt, der hiervon nichts ahnte. Dann lehnte er sich vor und vertiefte sich wieder in seinen Geschäftsbericht.

„Du willst die Sache einfach ignorieren?“ Mark war fassungslos.

„Nein. Ich werde mich damit befassen, aber auf meine Weise. A esperança é a última que morre“, fügte er hinzu und merkte dann erst, dass er das alte portugiesische Sprichwort in seiner eigenen Sprache gesagt hatte. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Er vertraute darauf, dass Angie sich besinnen würde. Zu ihrem Bruder, diesem miesen kleinen Dieb, hatte er dagegen weit weniger Vertrauen.

Nachdem Mark gegangen war, überlegte Roque eine Weile, wie sein nächster Schritt aussehen sollte. Dann nahm er eine Aktenmappe aus der Schreibtischschublade und bestellte seinen Wagen zum Eingang des Gebäudes. Er stand auf, richtete sich zu seiner beeindruckenden Größe von fast einem Meter neunzig auf und ging mit lässig-eleganten Schritten nach draußen.

„Cambridge“, wies er seinen Fahrer an, schloss die Augen und dachte daran, wie er sich einen kleinen Fisch angeln würde, der dann als Köder für den großen Fisch dienen würde.

Die Atmosphäre in Angies kleiner Küche war mehr als angespannt.

Was hast du getan?“, fragte sie entsetzt.

Als ihr jüngerer Bruder nicht antwortete, strich sie sich die kupferrote Mähne aus dem Gesicht und atmete tief ein. Sie hätte sich doch gleich denken können, dass irgendetwas dahintersteckte, wenn Alex sie spontan mitten in der Woche von Cambridge aus besuchen kam!

„Statt zu studieren, hast du also deine ganze Zeit mit Glücksspiel im Internet verbracht?“

„Nein, ich habe an der Börse spekuliert!“, protestierte Alex.

„Hör auf, die Sache zu beschönigen!“, rief Angie aufgebracht.

„Aber alle an der Uni tun das! Man kann momentan eine Menge Geld an der Börse machen.“

„Es ist mir völlig egal, was die anderen machen. Mir geht es darum, was du tust. Und wenn man sich wirklich ein Vermögen zusammenspekulieren kann, warum hast du dann Schulden?“

Ihr neunzehnjähriger Bruder sprang auf. Er war einen Meter achtzig groß und schlaksig, hatte braunes Haar und tiefgrüne Augen, die jetzt aufgebracht funkelten. Er rannte zum Fenster, blickte hinaus, die Hände in die Taschen seines grauen Fleeces geschoben.

Angie gab ihm einen Augenblick Zeit. „Du solltest mir lieber sagen, wie schlimm es ist“, sagte sie dann ruhig, obwohl sie Angst hatte.

Das hatte sie schon, seit sie mit siebzehn ihre Eltern durch einen Autounfall verloren hatte. Sie hatte sich allein um ihren damals dreizehnjährigen Bruder kümmern müssen und festgestellt, dass ihr gewohnter luxuriöser Lebensstil auf extremer Verschuldung aufgebaut war. Was schließlich übrig geblieben war, hatte kaum ausgereicht, um die Schulgebühren für das Internat ihres Bruders im folgenden Jahr zu bezahlen. Angie hatte ihr eigenes Privatstudium abbrechen und zwei Jobs gleichzeitig annehmen müssen, damit sie über die Runden kamen. Also arbeitete sie wie verrückt und sparte, wo es ging, um sich nur ja nie zu verschulden. Wäre sie nicht zufällig Carla, der Besitzerin einer Modelagentur, begegnet – wer weiß, was dann aus ihr und Alex geworden wäre.

Damals hatte sie bereits ein ganzes, schier endlos langes Jahr tagsüber in der Parfümerieabteilung eines Londoner Kaufhauses und abends als Kellnerin in einem Restaurant gearbeitet, um danach in ihrem schäbigen, winzigen Apartment erschöpft ins Bett zu sinken.

Dann stand eines Tages plötzlich Carla Gail vor ihr und wollte Parfüm kaufen. Sie erkannte etwas Besonderes in der damals vor Stress viel zu dünnen Angie mit ihren smaragdgrünen Augen und dem rotbraunen Haar, das einen markanten Kontrast zu ihrem blassen Teint bildete. Ehe Angie genau begriff, was da passierte, fand sie sich in der Welt der Haute Couture wieder und verdiente Geldsummen, die ihr den Atem verschlugen.

Innerhalb weniger Monate war sie das begehrteste Model überhaupt. Drei Jahre lang posierte sie für Titelbilder und hielt geduldig still, wenn die Stylisten sie für den Laufsteg vorbereiteten. Angie dachte dabei immer nur an das Geld, das sie brauchte, damit Alex im sicheren Umfeld seines Internats bleiben konnte.

Ihr kleiner Bruder hatte auf nichts von dem verzichten müssen, was für seine Freunde aus gutem Haus selbstverständlich war. Als er in Cambridge angenommen worden war, hatte es Angie unendlich stolz gemacht, das alles geschafft zu haben, ohne sich zu verschulden.

Du hattest ja immer Geld, das du einfach für dich ausgeben konntest“, riss Alex sie jetzt aus ihren Erinnerungen. „Im Gegensatz zu mir.“

„Ich überweise dir monatlich Geld und habe dir noch nie eine Bitte abgeschlagen“, verteidigte Angie sich.

„Genau dieses Bitten schnürt mir den Hals zu.“

Angesichts der schreienden Ungerechtigkeit dieser Bemerkung musste Angie sich einen Moment lang beruhigen. Dann sagte sie: „Bringen wir es hinter uns. Um welche Summe geht es?“

„Fünfzigtausend“, antwortete Alex widerstrebend.

Angie wurde blass. „Wie hast du denn überhaupt einen Kredit bekommen, mit dem du fünfzigtausend Pfund verspekulieren konntest?“

Alex drehte sich um, ohne etwas zu erwidern. Als die angespannte Stille unerträglich wurde, sagte Angie: „Antworte mir.“

„Roque.“

Einen Moment lang glaubte Angie, sie würde in Ohnmacht fallen. „Roque? W…wie meinst du das?“

Alex senkte den Blick und scharrte mit dem Fuß über die Fliesen. „Ich habe eine von deinen Kreditkarten benutzt.“

Angie war noch immer verwirrt, denn aus Angst, sich zu verschulden, besaß sie bewusst keine Kreditkarte.

„Die Kreditkarte, die Roque dir gegeben hat“, fügte ihr Bruder hinzu.

Sie blinzelte. Alex musste die Karte meinen, mit der Roque ihr Zugang zu seinen schier unerschöpflichen finanziellen Ressourcen verschafft hatte. Benutzt hatte sie die Karte nie, die noch irgendwo in ihrem Apartment herumliegen musste.

„Du hast in meinen privaten Sachen herumgewühlt?“, fragte sie ihren Bruder fassungslos.

Dieser wand sich vor Verlegenheit. „Es tut mir leid! Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Ich brauchte Geld und wollte dich nicht darum bitten, mir etwas zu leihen. Also habe ich hier nach Bargeld gesucht und in deiner Nachttischschublade die Kreditkarte von der ruhmreichen De Calvhos – Bank gefunden“, sagte er mit all seiner Abscheu für den Mann, um dessen Freundschaft er sich nie wirklich bemüht hatte. „Und ich dachte mir, warum soll ich Roque nicht da treffen, wo es ihm am meisten wehtut? Es war so einfach …“

Angie hörte nicht mehr zu. Sie fühlte sich so schwach, dass sie sich hinsetzen musste. Dann schloss sie die Augen und presste sich die zitternden Finger auf den Mund. Roque – du meine Güte.

„Ich kann einfach nicht fassen, dass du mir das angetan hast“, flüsterte sie.

„Was willst du denn von mir hören?“, rief ihr Bruder mit erstickter Stimme. „Es tut mir wirklich leid. Aber Roque hätte für dich da sein müssen. Du hast es verdient, dass sich endlich einmal jemand um dich kümmert, Angie! Stattdessen betrügt er dich mit dieser Nadia Sanchez und … na ja, sieh dich doch an.“

Angie öffnete die Augen. „Was meinst du damit?“

Alex lachte ironisch. „Du hattest eine Karriere, von der die meisten Frauen nur träumen können. Du warst auf allen Titelblättern zu sehen, du warst erfolgreich und wunderschön. Dann kam Roque und hat dein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Sogar mit dem Modeln hast du aufgehört, weil es ihm nicht gefiel …“

„Das stimmt doch gar nicht!“

„Doch!“ Alex’ Gesicht war gerötet. „Roque war überheblich, arrogant und egoistisch, und er wollte dich ganz für sich allein haben. Deine Arbeit und deine Verpflichtungen waren ihm ein Dorn im Auge – besonders dass du auch noch für andere Menschen in deinem Leben da warst.“

Das konnte Angie nicht gänzlich abstreiten: Roque hatte tatsächlich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit eingefordert, auch bei ihren leidenschaftlichen Liebesstunden.

„Und jetzt hast du einen lausigen Job an der Rezeption der Modelagentur, die früher für dich den roten Teppich ausgerollt hat. Du kommst mit Müh und Not über die Runden, währen er im Privatjet um die Welt fliegt und ich dich um keinen einzigen Penny bitten kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Roque war mir einiges schuldig für das, was er dir angetan hat. Und du hast ihn einfach so davonkommen lassen …“

Mir ist er etwas schuldig!“, fiel Angie ihm aufgebracht ins Wort. „Dir hat er nie etwas angetan!“

„Oh doch“, entgegnete Alex. „Er hat mir die Schwester geraubt, auf die ich so stolz war. Stattdessen ist da nur noch diese leere Hülle, die jetzt vor mir sitzt. Deine Lebendigkeit, deine glamouröse Ausstrahlung – all das hat er weggenommen. Wenn Roque dich nicht geheiratet und dann betrogen hätte, wärst du immer noch ein erfolgreiches Topmodel und würdest wahnsinnig gut verdienen. Und ich hätte seine Kreditkarte nicht benutzen müssen, weil du mir Geld gegeben hättest.“

Von allem, was Alex ihr an den Kopf geworfen hatte, war das Bitterste die Erkenntnis, was für ein unangenehmer Mensch ihr Bruder war. Angie hatte alles Menschenmögliche für ihn getan – und ihn zu einem unreifen, launischen jungen Mann gemacht, der es als sein Recht betrachtete, andere zu bestehlen, wenn er Geld brauchte.

„Er wird zu einem Nichtsnutz und Flegel heranwachsen, wenn du nicht aufpasst“, hatte Roque sie einmal bei einem Streit gewarnt.

Wie recht er damit gehabt hatte, wurde Angie jetzt erst klar, doch sie schob diesen unliebsamen Gedanken schnell beiseite. Denn was gab Roque das Recht zu kritisieren, wie sie mit einem rebellischen Teenager umgegangen war? Dank seines reichen Elternhauses hatte er ja immer alles bekommen.

Als Angie Roque kennengelernt hatte, war Alex erst siebzehn, noch im Internat und völlig von ihr abhängig gewesen. Sich zu verlieben war für sie deshalb nicht infrage gekommen – doch sie hatte Roque einfach nicht widerstehen können. Was er wollte, bekam er auch, allein durch seinen schier unbezwingbaren Willen. Und das machte ihn nach Angies Ansicht Alex in gewisser Hinsicht sehr ähnlich.

Beide Männer hatten so viel von ihr gefordert, dass sie manchmal das Gefühl gehabt hatte, es würde sie zerreißen. Ihr Bruder war sehr schwierig gewesen und hatte häufig die Schule geschwänzt, sodass Angie oft nach Hampshire hatte fahren müssen. Gleichzeitig war Roque wütend gewesen, weil sie jeder Laune ihres kleinen Bruders nachgab.

Sie war sehr erleichtert und stolz gewesen, als Alex in Cambridge angenommen worden war. Obendrein hatte es im ersten Jahr auch kaum Ärger gegeben. In Wirklichkeit jedoch hatte er den Ärger nur vor ihr versteckt und tat noch immer dasselbe wie immer. Zum Beispiel klaute er Kreditkarten, um seine Schulden zu bezahlen.

„Ich hasse ihn“, sagte Alex, der ja nicht ahnte, woran seine Schwester gerade dachte. „Es wäre ihm recht geschehen, wenn ich ihn vollständig ausgenommen hätte. Eigentlich hätte ich mir eine Yacht oder einen Privatjet kaufen sollen, bevor er herausbekommen hat …“ Er unterbrach sich.

Angie sprang auf. „Rede weiter!“, fuhr sie ihn an.

Alex fluchte. Dann beichtete er: „Roque war heute bei mir an der Uni. Er hat mich als Schwächling bezeichnet und gedroht, mir den Hals umzudrehen, wenn ich …“ Er unterbrach sich und schluckte. „Er will, dass ich ihm sein Geld zurückgebe. Und wenn ich das nicht tue, geht er zur Polizei.“

Wie vor den Kopf gestoßen sank Angie zurück auf ihren Stuhl. Roque meinte seine Drohungen ernst, das wusste sie aus schmerzlicher Erfahrung. Plötzlich musste sie wieder an das dramatische Finale denken, bei dem sie und Roque sich eher wie zwei Todfeinde gegenübergestanden hatten als wie liebende Ehepartner.

„Ich warne dich, Angie“, hatte Roque drohend gesagt. „Wenn du diesmal wieder deinem Bruder zu Hilfe eilst, werde ich mir eine andere Frau suchen, die heute Nacht deinen Platz einnimmt.“

Angie war zu ihrem Bruder gefahren, er hatte Nadia gefunden – und ihre Ehe war vorbei gewesen.

Mit aller Macht verdrängte Angie diese schmerzlichen Erinnerungen. „Und wie sollst du ihm das Geld zurückzahlen?“, fragte sie, schon von einer dunklen Vorahnung erfüllt.

„Ich soll dir das hier geben.“ Alex legte eine Visitenkarte vor ihr auf den Tisch.

Roque Agostinho de Calvhos stand darauf in einem eleganten Schriftzug. Darunter prangte das Wappen seiner Familie, zu deren internationalem Imperium auch einige der besten Weingüter seines Heimatlandes Portugal sowie große Ländereien in Brasilien gehörten.

Mit eiskalten Fingern drehte Angie die Karte um. „Um acht Uhr im Apartment. Sei pünktlich“, hatte Roque darauf geschrieben.

Wäre es ihr besser gegangen, hätte sie gelacht, denn wegen ihrer chronischen Unpünktlichkeit hatte Roque unzählige Male an Flughäfen und in Restaurants auf sie warten müssen. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie der große dunkelhaarige Mann einmal – elegant gekleidet für einen Theaterbesuch – auf einem Stuhl die Beine lässig ausgestreckt und die Augen geschlossen hatte, während sie hektisch umhergelaufen war. Seine dichten schwarzen Wimpern hatten fast die markanten Wangenknochen berührt. Bei solchen Gelegenheiten hatte er immer den Eindruck des leidgeprüften geduldigen Ehemanns erweckt.

Er hatte die Geduld mit ihr verloren – aber hatte er sich deswegen unbedingt gleich eine Geliebte suchen müssen – und ausgerechnet seine Exfreundin?

„Wirst du mit ihm sprechen?“, riss Alex sie aus ihren Gedanken.

Angie schluckte und nickte dann langsam.

„Danke.“ Er atmete tief durch. „Ich wusste, dass du mich nicht enttäuschen würdest. Und jetzt … jetzt muss ich los“, fügte er unbehaglich hinzu. Offenbar wollte er dieser unangenehmen Situation möglichst schnell entkommen.

Bisher war Angies Zuhause auch immer Alex’ Zuhause gewesen, er hatte einen eigenen Schlüssel und sogar ein eigenes Zimmer. Immerhin waren sie ja eine Familie, und Familienangehörigen sollte man doch vertrauen können. Aber jetzt hatte sie jegliches Vertrauen in ihn verloren.

Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte er zerknirscht: „Es tut mir wirklich schrecklich leid – alles, aber besonders, dass du jetzt zu ihm fahren musst.“

Er hatte so gehandelt, weil er keine andere Wahl gehabt hatte – und weil sie ihm immer alles abgenommen hatte.

„Ich verspreche dir hoch und heilig, nie wieder so etwas zu tun.“

Angie blickte ihn an und sah Haar und Nase ihres Vaters und Augen und Mund ihrer Mutter. Am liebsten hätte sie Alex in die Arme geschlossen und ihm versichert, alles würde wieder gut werden. Doch zum ersten Mal zwang sie sich, diesem Drang zu widerstehen.

„Ich rufe dich nachher an“, sagte sie nur.

Und nach kurzem Zögern ging Alex hinaus und ließ sie mit Roques kurzer Nachricht allein.

„Um acht Uhr im Apartment. Sei pünktlich.“

Angie machte sich nichts vor: Das war Roques Reaktion auf den Scheidungsantrag, der heute angekommen sein musste. Allerdings hatte sie nicht vor, die Rolle des leidenden Opfers zu spielen, wie Roque sicher erwartete.

Mit entschlossenem Gesichtsausdruck stand Angie auf. Ihr Bruder mochte sie vielleicht nur noch als kraftlose „leere Hülle“ wahrnehmen, aber da irrte er sich. Sie hatte lange Jahre kämpfen müssen und würde sich nicht von ihrer Angst unterkriegen lassen.

Energisch warf sie ihr Haar nach hinten über ihre schmalen Schultern, nahm ihre Tasche und streifte sich den Mantel über.

2. KAPITEL

Roque kam gerade aus der Dusche, als er einen Anruf vom Portier aus dem Foyer erhielt, der ihm sagte, seine Frau sei eingetroffen – eine halbe Stunde zu früh.

Ganz sicher steckte hinter der ungewohnten Überpünktlichkeit nicht die Sehnsucht nach ihm. Es gab nur zwei Gründe, die Angie dazu brachten, sich diese Blöße zu geben: Geld und ihr jüngerer Bruder.

Aber auch er hatte eine intensive Wirkung auf sie: Wenn er die Hände über ihre seidenweiche Haut gleiten ließ, verlor sie die Beherrschung und gab sich ihm ganz und gar hin. Aus diesem Grund hatte sie auch in den vergangenen zwölf Monaten jeglichen Kontakt mit ihm vermieden. Zumindest war das einer der Gründe.

Als Roque aus seinem Ankleidezimmer kam, kämmte er sich auf der eleganten Galerie das noch feuchte dunkle Haar und ließ den Blick über den großen offenen Wohnbereich mit den Panoramafenstern gleiten, die eine atemberaubende Aussicht auf die Skyline von London boten. Dann ging er mit geschmeidigen Schritten die Stufen hinunter und über den glänzenden Boden aus dunklem Teakholz zum Foyer mit seinem eigenen Privataufzug.

Keine Sekunde zweifelte er daran, dass er Angie genau da hatte, wo er sie haben wollte. Die Loyalität zu ihrem Bruder legte ihr Fesseln an. In wenigen Sekunden hätte er sie im Griff – und eine Stunde später in seinem Bett, wo sie hingehörte.

Sehr zufrieden angesichts dieser Aussicht, lehnte Roque sich lässig an die Wand, schob die Hände in die Taschen seiner schwarzen Seidenhose und sah, wie seine Frau, die er seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen hatte, aus dem Aufzug stieg.

Sie war schlank und groß und ganz in Schwarz gekleidet. Die rötlich schimmernde Mähne umrahmte ihr wunderschönes Gesicht mit den grünen Augen und dem sinnlichen Mund.

Er wurde von heftigen Empfindungen ergriffen und spürte, wie in seinem Innern etwas zu lodern begann.

Als Angie ihn sah, blieb sie einen Moment lang wie angewurzelt stehen. Während der Fahrt mit dem Aufzug in den 20. Stock hatte sie alles versucht, um ihre Abwehrmechanismen zu aktivieren. Doch nun, da sie Roque gegenüberstand, konnte sie nichts dagegen tun, dass ihr Herz bei seinem Anblick wie verrückt schlug. Fast zwölf Monate lang hatte Angie jeglichen Gedanken an Roque bewusst verdrängt. Aber jetzt musste sie all ihre Willenskraft aufbringen, damit ihr Gesicht nicht preisgab, was sie empfand.

Sie hatte sich so sehr gewünscht, er würde sie kalt lassen, doch das Gegenteil war der Fall: Sie spürte die vertraute überwältigende Anziehung, das erotische Vibrieren, das ihren Körper erbeben ließ – und tiefen Schmerz, der ihr die Luft zum Atmen nahm.

Autor

Michelle Reid

Michelle Reid ist eine populäre britische Autorin, seit 1988 hat sie etwa 40 Liebesromane veröffentlicht.

Mit ihren vier Geschwistern wuchs Michelle Reid in Manchester in England auf. Als Kind freute sie sich, wenn ihre Mutter Bücher mit nach Hause brachte, die sie in der Leihbücherei für Michelle und ihre...

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