Happy End auf Kreta

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Ein Luxushotel auf Kreta, zumindest zur Hälfte! Die schöne Lys könnte über ihr Erbe überglücklich sein. Allerdings geht die andere Hälfte an den geheimnisvollen Hotelmagnaten Takis Manolis. Und der ist nicht nur gefährlich sexy, er verlangt auch eine Scheinverlobung von ihr …


  • Erscheinungstag 20.08.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719128
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Lys Theron kam zu früh zu ihrem Termin beim Kriminalkommissar in der Präfektur in Heraklion, Kreta. Der Beamte am Schalter musterte sie auf eine Art, die sie als beleidigend empfand.

Schon als Teenager hatte sie sich daran gewöhnen müssen, dass Männer jeden Alters sie anstarrten. Aber der Blick des Beamten war anders, weil der unerwartete und unklare Tod des griechischen Multimillionärs und Hotelbesitzers Nassos Rodino auf Kreta vor einem Monat weiterhin von der Polizei untersucht wurde. Lys war eine von mehreren Personen, die man immer noch befragte.

Der bekannte neunundvierzigjährige Besitzer des Luxushotels Rodino in Heraklion war zu jung gestorben. Seit der Scheidung von seiner Frau Danae vor vier Monaten war das Gerücht umgegangen, dass er eine Affäre mit der sechsundzwanzigjährigen Lys Theron hatte, die seit ihrem siebzehnten Lebensjahr bei ihnen im Haus gewohnt hatte.

Während Lys um ihn trauerte und viele Leute seinen Tod beklagten, hatten die Medien eine Story erfunden, die jeden Abend Thema in den Nachrichten gewesen war. Hatte Lys Theron seit mehreren Jahren eine heimliche Affäre mit dem berühmten Hotelbesitzer gehabt? Was hatte wirklich zur Scheidung und letztlich zu seinem Tod geführt?

Hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass sie ihn ermordet hatte, um an einen Teil seines Gelds zu kommen. Zwar hatte der Kriminalkommissar, der die Ermittlungen leitete, niemanden beschuldigt. Aber die Todesursache war noch immer unbekannt, und der Verdacht hing drohend über ihr. Das üble Gerede setzte Lys sehr zu, denn sie hatte Nassos wie einen Vater geliebt.

Sie war siebzehn gewesen, als ihr Vater, der griechische Millionär Kristos Theron, Besitzer eines erfolgreichen Hotels in New York City, bei einem Flugzeugabsturz umgekommen war. Er hatte ein Testament mit einer Klausel hinterlassen: Falls er starb, bevor seine Tochter volljährig war, sollte sein bester Freund und früherer Geschäftspartner Nassos Rodino ihr Vormund werden. Er nahm sie dann auch mit nach Griechenland.

In dem Moment, als Nassos sie in sein Haus brachte, merkte sie, dass er und seine Frau Eheprobleme hatten.

Lys erfuhr niemals den Grund für ihre Streitigkeiten, aber es machte sie traurig, weil sie spürte, dass sich die beiden liebten. Alles war sehr kompliziert, und sie bemühte sich, ihnen nicht noch mehr Probleme zu bereiten. Damit scheiterte sie allerdings, als sie anfing, mit Männern auszugehen, die beide ablehnten.

Nassos nannte sie Playboys. Danae sah in ihnen oberflächliche Opportunisten, was Lys’ Unsicherheit in Bezug auf Männer noch verstärkte. Aus keiner ihrer Beziehungen wurde etwas Ernstes, weil sie das Missfallen ihres Vormunds und seiner Frau spürte.

Seit sie bei ihnen lebte, folgten ihr die Paparazzi überallhin und filmten sie in Begleitung jedes reichen Mannes, mit dem sie sich in der Öffentlichkeit zeigte. Unglücklicherweise machten bei ihrer Arbeit in Nassos’ exklusiver Hotelkette reiche Leute ihre Welt aus. Lys hatte nie etwas anderes kennengelernt.

Wenn sie sich in einen armen Fischer verliebt hätte, wären Nassos und Danae dann mit ihrer Wahl einverstanden gewesen? Sie hatte keine Antwort auf diese Frage, und auch nicht auf die vielen anderen, über die sie oft grübelte, weil sie an mangelndem Selbstvertrauen litt. Im Alter von neun Jahren ihre Mutter zu verlieren, hatte sie schwer belastet.

Ihre Missbilligung tat ihr weh, weil sie sich Nassos’ und Danaes Anerkennung so sehr gewünscht hatte. Trotz ihrer Eheprobleme waren sie wundervoll zu ihr gewesen.

Neben ihrem Vater war Nassos der netteste Mann, den Lys in ihrem ganzen Leben kennengelernt hatte. Die beiden Männer waren immer beste Freunde gewesen. In jungen Jahren waren sie zusammen ins Fischereigewerbe gegangen und hatten langsam ihre Vermögen angehäuft. Kristos war in New York gelandet, während Nassos in Heraklion blieb und schließlich Danae heiratete.

Für Lys war der unterschwellige Konflikt während der Scheidung verheerend gewesen. Seitdem waren Danae und sie einander entfremdet. Es zerriss ihr das Herz. Sie wusste nicht, wie sie ihren Kummer überwinden sollte.

In Gedanken vertieft, hörte sie eine Stimme. „Lys Theron?“ Sie sah auf. An der Tür stand ein anderer Beamter. „Danke, dass Sie gekommen sind. Kommissar Vlassis hat jetzt Zeit für Sie.“

Sie ging hinein.

„Setzen Sie sich!“

Sie nahm auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz.

„Kaffee? Tee?“

„Nichts. Danke.“

Der melancholische Kommissar lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Ich habe gute Neuigkeiten für Sie. Der Gerichtsmediziner hat seine Ergebnisse an mein Büro übermittelt. Wir kennen die Wahrheit, und ein Verbrechen wurde ausgeschlossen.“

„Ist das Ihr Ernst?“ Ihre Stimme zitterte. Das Gerücht, dass sie Nassos mit einer löslichen Droge in seinem Penthouse vergiftet hätte, um einen Teil seines Gelds zu bekommen, war vernichtend für sie gewesen.

„Man hat festgestellt, dass er an einer Gehirnblutung gestorben ist, wahrscheinlich nach einer früheren Kopfverletzung.“

„Warum hat es so lange gedauert?“, fragte Lys fassungslos.

„Leider wurde die Blutung bei der ersten Untersuchung nicht entdeckt.“

Sie rang nach Luft. „Vor ein paar Monaten hat er sich den Kopf am Küchenschrank angeschlagen. Ich dachte, er müsste eine Gehirnerschütterung haben. Ich habe ihm gesagt, dass ich seinen Arzt verständigen wollte. Aber er meinte, ich sollte nicht einen solchen Wirbel machen.“ Tränen liefen ihr über die Wangen. „Jetzt kann er endlich die letzte Ruhe finden.“

„Es war eine aufreibende Zeit für Sie, aber es ist vorbei. Die Presse ist informiert worden. Ihr Verlust tut mir leid, und ich wünsche Ihnen alles Gute.“

„Danke. Haben Sie es seiner Exfrau mitgeteilt?“

„Ja.“

„Gut.“ Dann konnte Danae die Beerdigung vorbereiten. „Sie ahnen ja nicht, was das für mich bedeutet.“ Lys stand auf. „Danke!“ Sie konnte das Polizeirevier nicht schnell genug verlassen.

Draußen eilte sie an den Reportern vorbei, die ihr auf Schritt und Tritt folgten, um Fotos zu machen. Sie stieg in ihr Auto und fuhr zurück zum Hotel Rodino, in dem sie eine eigene Suite hatte. Seit ihrem Abschluss auf der Hochschule für Wirtschaft in Heraklion vor vier Jahren wohnte und arbeitete sie im Hotel.

In ihrer Suite im dritten Stock warf sie sich aufs Bett und weinte. Es war endlich vorbei. Aber nach Nassos’ Tod und ihrer ungewollten Entfremdung von seiner Exfrau hatte Lys niemanden, der sie über alles hinwegtrösten konnte, was passiert war.

Sie hatten im Hotel zusammengearbeitet. Nassos hatte ihr alles über das Hotelgewerbe beigebracht. Er war ihr Freund gewesen, ihr Vertrauter und Mentor. Wie sollte sie es nur schaffen, ohne ihn weiterzumachen?

Ihr Handy klingelte. Sie drehte sich auf dem Bett um und sah auf das Display. Es war Xander Pappas, Nassos’ Anwalt. Sie nahm ab und erfuhr, dass er sich in einer halben Stunde in Nassos’ Privatbüro im Hotel mit ihr treffen wollte. Der Kommissar hatte sich schon bei ihm gemeldet.

„Ich habe etwas Wichtiges für Sie.“

Lys setzte sich überrascht auf. „Kommt Danae auch?“ Sie sehnte sich danach, mit ihr zu reden.

„Nein. Wir haben bereits miteinander gesprochen, und ich habe das Testament verlesen. Sie wird Sie wegen der Beerdigung anrufen.“

„Ich verstehe.“ Lys dankte dem Anwalt und legte auf. Wenn es keine Scheidung gegeben hätte, hätten Danae und sie die Beerdigung gemeinsam geplant. Jetzt war alles anders. Weitere Tränen strömten ihr übers Gesicht, bevor sie aufstand, um sich frisch zu machen.

Natürlich hatte sie nicht erwartet, bei der Testamentsverlesung dabei zu sein, und sie hätte es auch gar nicht gewollt. Danae war vierundzwanzig Jahre mit Nassos verheiratet gewesen. Das war eine Angelegenheit zwischen den beiden.

Ein paar Minuten später fuhr Lys mit dem Fahrstuhl nach unten zum Büro der Hotelleitung. Nachdem sie dem nervigen geschäftsführenden Direktor Giorgos zugenickt hatte, ging sie durch in Nassos’ Privatbüro. Der Anwalt begrüßte sie und forderte sie auf, sich zu setzen.

„Ich habe Ihnen zwei Briefe zu übergeben. Beide Umschläge sind versiegelt. Sie werden wissen, was Sie tun müssen, nachdem Sie den mit ‚erster Brief‘ gekennzeichneten Umschlag geöffnet haben. Nassos hat Ihnen zu der Zeit geschrieben, als er sich von Danae hat scheiden lassen.“ Der Anwalt legte beide Umschläge auf den Schreibtisch.

„Haben Sie sie gelesen?“

„Nein. Er hat mich angewiesen, Ihnen beide Briefe nach seinem Tod zu übergeben. Wer hätte gedacht, dass er so früh stirbt? Ich vermisse ihn auch, und es tut mir so leid, weil ich weiß, wie nahe Sie und er sich gestanden haben. Ich gehe jetzt. Wenn Sie Fragen haben, rufen Sie mich in meiner Kanzlei an.“

Nachdem er den Raum verlassen hatte, griff Lys nach dem Umschlag und zog den Brief heraus.

Meine liebste kleine Lysette,

für mich bist Du das immer geblieben, ganz gleich, wie alt Du bist, wenn Du diesen Brief liest. Du bist die Tochter, die ich nie hatte. Danae und ich konnten keine Kinder bekommen. Das Problem lag bei mir. Ich fand früh in unserer Ehe heraus, dass ich unfruchtbar bin. Ich wollte ein Kind adoptieren, Danae aber nicht, und ich konnte sie nie dazu überreden. Ich kam zu dem Schluss, dass sie mich nicht genug liebt, denn sonst hätte sie sich dazu bereit erklärt, weil ich mir Kinder über alles wünschte.

Vor sechs Monaten teilte mir Xander mit, er wüsste von einem Baby, das wir adoptieren könnten. Ich flehte Danae an. Es wäre vielleicht unsere letzte Chance gewesen, doch sie sagte noch immer Nein. In meiner Wut ließ ich mich von der Frau scheiden, die ich liebe und immer lieben werde. Jetzt bezahle ich teuer dafür, denn ich glaube nicht, dass sie mir verzeihen wird.

Du sollst wissen, dass Du nie der Grund für unsere Eheprobleme warst. Ich habe am Anfang unserer Ehe alles ruiniert, indem ich von ihr verlangt habe, dass sie zu Hause bleibt. Ich bestand darauf, dass sie nicht mehr arbeiten sollte, weil ich mit altmodischen Vorstellungen großgezogen wurde. Das war falsch von mir. Danae ist eine sehr moderne Frau, und ein Teil von mir ärgerte sich darüber, dass sie zu Hause nicht glücklich sein konnte.

Dass Du zu uns kamst, half uns, unsere Ehe zusammenzuhalten. Tief in ihrem Innern weiß Danae das. Ich fürchte, nichts weiter als mein Stolz brachte mich dazu, mich von ihr scheiden zu lassen, deshalb gib nicht Dir die Schuld daran. Wenn ich übertrieben streng zu Dir war wegen der Männer, mit denen Du ausgegangen bist, war es nur, weil ich Angst hatte, Du könntest in einer unglücklichen Ehe mit einem Mann landen, der Dich nicht genug liebt. Danae erging es genauso.

Verzeih uns, wenn wir Dir auf irgendeine Art wehgetan haben.

„Oh, Nassos …“, rief Lys, erleichtert und gleichzeitig tieftraurig.

Du erbst ein großes Vermögen von Deinem Vater, das Dir an Deinem siebenundzwanzigsten Geburtstag zufallen wird. Er hat diesen Zeitpunkt in seinem Testament bestimmt, um sicherzugehen, dass Du reif genug bist, wenn Du das Geld erbst.

Lys war fassungslos. Sie hatte gedacht, alles wäre in das Rodino-Imperium eingegliedert worden. Nassos hätte jeden Cent davon verdient gehabt.

Noch einmal, ich weiß nicht, wie alt Du jetzt bist, weil ich nicht mehr am Leben bin. Ich vermute, Du bist eine sehr reiche Frau. Du bist hoffentlich verheiratet und hast Kinder, vielleicht sogar Enkelkinder. Und bist glücklich!

Wie Du von Danae erfahren haben wirst, erbt sie alles mit einer Ausnahme. Das Hotel vermache ich Dir. Du sollst es besitzen und so führen, wie Du willst.

Lys klammerte sich an die Stuhllehnen, weil ihr schwindlig wurde. Nein. Das konnte nicht sein. Danae hätte das Hotel bekommen sollen. Sie verstand sehr viel vom Hotelgewerbe. Nassos hatte sie vor vierundzwanzig Jahren von einem anderen Hotelbesitzer abgeworben, damit sie für ihn arbeitete. Wie traurig, dass er ihr selbst nach seinem Tod nicht erlauben konnte, sie in dem Beruf weiterarbeiten zu lassen, an dem sie Freude gehabt hatte.

Für einen Moment schloss Lys fest die Augen. Wie hatte Nassos das der Frau antun können, die er geliebt hatte? Sie wischte sich die Augen und las weiter.

Aber Dir gehört das Hotel nicht allein, Lys. Bevor Du es in Besitz nimmst, musst Du den versiegelten Umschlag an Takis Manolis übergeben. Du hast Danae und mich oft genug über ihn sprechen hören. Er ist in regelmäßigen Abständen nach Kreta gekommen, und dann haben wir Geschäftliches auf meiner Jacht besprochen. Ich habe nie viel davon gehalten, geschäftliche Angelegenheiten mit meinem Privatleben zu vermischen.

Du wirst wissen, wo Du ihn findest, wenn der Moment kommt. Ihr beide werdet sechs Monate lang gemeinsam Eigentümer sein. Nach dieser Zeit seid Ihr frei, Entscheidungen zu treffen, wie Ihr mit dem Hotel verfahren wollt.

Wenn Du dies liest, ist er wahrscheinlich auch verheiratet und hat Kinder und Enkelkinder. Ich habe in ihm den Sohn gesehen, den ich nie hatte.

Es war mir eine große Freude und eine Ehre, der Vormund, Freund und Ersatzvater für das Kind meines besten Freundes Kristos zu sein.

In Liebe,

Nassos

In den vergangenen elf Jahren war Takis Manolis viermal nach Kreta gekommen, und nichts hatte sich geändert … Der Schmerz nicht, die Landschaft nicht, seine Familie nicht.

Natürlich waren sie jedes Mal, wenn er hierherflog, erst aus New York und später aus Italien, alle ein bisschen älter, aber sonst war alles beim Alten geblieben.

Das Dorf Tylissos, in dem er geboren war, lag an der Nordostseite des Psiloritis, nahe am Meer. Die Zeit hatte es kein bisschen verändert. Sie hatte auch nicht die Ansichten seines Vaters und seines älteren Bruders Lukios verändert, der ihrem Vater half, das alte Zehnzimmerhotel zu führen.

Seine Angehörigen hielten an der Überzeugung fest, dass alle Kreter ihre Würde wahren sollten, selbst wenn ihr Leben an Armut grenzte. Sie respektierten die Reichen und versuchten nicht, etwas Größeres zu werden. Takis konnte nicht verstehen, dass es ihnen nichts ausmachte, arm zu sein, dass sie es als ihr Los akzeptierten.

Seine ältere Schwester Kori, verheiratet mit dem Koch des Dorfrestaurants, in dem sie arbeitete, musste ihm nicht erklären, dass sie und ihr Mann Deimos von ihrer Arbeit kaum anständig leben konnten.

Sie hatten eine kleine Tochter, Cassia, die inzwischen drei Jahre alt war. Sie hatte Asthma, war immer wieder im Krankenhaus gewesen und musste oft ärztlich behandelt werden. Takis war dankbar, dass Kori wenigstens das Geld behielt, das er ihr als verspätetes Geburtstagsgeschenk gegeben hatte. Er wusste, dass sie damit Rechnungen bezahlen würde.

Zwar nahmen seine Angehörigen die Geschenke an, die er mitbrachte, wenn er nach Kreta kam. Aber ihr Stolz hielt seinen Vater und Lukios davon ab, Geld anzunehmen. Sein Bruder war verheiratet und hatte zwei Kinder, die vier und fünf Jahre alt waren, doch er würde nie erwarten, dass Takis half, um das Leben für seine Familie ein bisschen einfacher zu machen.

Dieser jahrhundertealte Stolz durchkreuzte Takis’ Bedürfnis, seine Verwandten mit all den Dingen zu beschenken, die sie entbehren mussten, und bereitete ihm großen Kummer.

Schon früh im Leben hatte er erkannt, dass er anders war als der Rest von ihnen. Obwohl er sich nie offen mit seinem Vater oder Bruder gestritten hatte, war es ihm schwergefallen, sich einzufügen.

Seine Mutter wusste, wie er empfand, aber sie konnte ihn nur drängen, den Familienfrieden zu wahren. Als Takis ihr von seinen Träumen erzählte, zu studieren, um vorwärtszukommen, sagte sie, das wäre unmöglich. Sie hätten das Geld nicht. Keiner aus der Familie Manolis hätte je einen Hochschulabschluss angestrebt.

Takis konnte einfach nicht verstehen, warum weder sein Vater noch sein Bruder das kleine Hotel erweitern wollten. Ehrgeizig zu sein, machte einen doch nicht unehrenhaft, aber die beiden gingen nicht gern Risiken ein und lehnten es ab, ihre Methoden zu ändern.

Manchmal fragte er sich, ob er wirklich das leibliche Kind seiner Eltern war. Nur zeigten seine Gesichtszüge und sein Körperbau, dass er durch und durch ein Manolis war.

Als Takis siebzehn war, arbeitete er Pläne aus, wie man mehr Gäste ins Hotel holen und es um zwei Etagen aufstocken konnte. Er ging zu seinem Vater und wollte von Mann zu Mann mit ihm reden. Als er ihm seine Vorschläge unterbreitete, sagte dieser jedoch etwas, was ihn schlagartig innehalten ließ.

„Deine Ideen machen dir Ehre, mein Sohn, aber sie spiegeln nicht meine Vorstellungen für unser Familienunternehmen wider. Eines Tages wirst du ein Mann sein, und dann wirst du es verstehen.“

Was verstehen?

Tief getroffen von der Bemerkung seines Vaters, fasste Takis sie so auf, dass seine Ideen nicht gut genug waren und es nie sein würden, auch nicht, wenn er erwachsen war.

In diesem Moment ging in ihm etwas kaputt. Er beschloss, zu studieren. Also kaufte er sich ein gebrauchtes Fahrrad. Wenn er seinem Vater während der Woche geholfen hatte, fuhr er an den Wochenenden damit zu seinem Nebenjob im berühmten Hotel Rodino, um zusätzlich Geld zu verdienen. Der Direktor war beeindruckt von seinem Elan und stellte Takis schließlich dem Besitzer des Hotels, Nassos Rodino, vor, der mit ihm mehrere Gespräche über seine finanzielle Lage führte.

Eines Tages passierte das Unvorstellbare. Nassos Rodino rief Takis in sein Büro und half ihm, eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu beantragen, damit er nach New York reisen konnte. Nassos’ bester Freund Kristos Theron, Besitzer eines Hotels in New York City, würde Takis einstellen. Dort könnte er viel mehr Geld verdienen und nebenbei studieren. Außerdem würde er sein Englisch verbessern.

Takis konnte kaum glauben, dass jemand etwas so Großartiges für ihn tun wollte. Er kehrte nach Hause zurück und erzählte seinen Eltern von der Chance.

Seine Mutter sagte nichts. Sein Vater nickte und sagte: „Wenn es das ist, was du willst, musst du es tun.“

„Aber was meinst du dazu?“ Takis wollte sein Einverständnis.

Sein Vater zuckte die Schultern. „Spielt es eine Rolle? Du bist jetzt achtzehn und für dein Leben selbst verantwortlich. Mit achtzehn darf ein Mann seine Eltern verlassen und seinen eigenen Weg gehen.“

„Das ist nicht die Antwort, auf die ich gehofft habe.“ Sein Vater hatte ihm nicht seinen Segen dazu gegeben. Wahrscheinlich nahm er es Nassos Rodino übel, dass er ihm dies ermöglichte.

„Wenn du ein Mann bist, brauchst du keine Antwort.“

Takis fühlte sich zurechtgewiesen. Seine Mutter blieb stumm, als er tief verletzt das Zimmer verließ.

Schließlich traf er die Entscheidung, von zu Hause wegzugehen. Auch deshalb, weil er noch immer unter dem Verlust seiner Freundin litt, die kurz davor bei einem Busunfall umgekommen war. Ihr hatte er seine Träume anvertrauen können. Sie hatte gewusst, dass er Angst hatte, seine Familie zu verlassen, weil sie alle dann vielleicht dachten, er würde sie im Stich lassen.

Jetzt, wo sie tot war, hatte er niemanden mehr, der alles verstand, was in ihm vorging. Ihr Mitgefühl hatte sie zu einem außergewöhnlichen Menschen gemacht.

Deshalb hatte sich Takis am Ende dafür entschieden, die Chance zu nutzen. Und er hatte sich geschworen, dass er eines Tages zurückkommen und seiner Familie helfen würde.

Das war lange her.

An diesem kühlen Märztag hielt er die Tränen zurück, als er seine Mutter noch einmal umarmte. Bei diesem Besuch hatte er bemerkt, dass sie gealtert war und nicht mehr so voller Energie steckte wie sonst. Das beunruhigte ihn. „Ich bin bald wieder da, ich verspreche es dir.“

„Warum kommst du nicht für immer nach Hause? Du kannst es dir leisten. Wir vermissen dich so sehr.“

Ihre Tränen zerrissen ihm das Herz. Sein Vater weinte nicht, aber in seinem Blick entdeckte Takis eine Traurigkeit, die ihm neu war. Warum war sein Vater traurig? Warum sagte er nicht die Worte der Liebe und Anerkennung, nach denen er sich sehnte?

„Tu, was du tun musst.“ So etwas Ähnliches hatte er zu ihm gesagt, bevor er vor elf Jahren nach New York gegangen war. „Pass auf dich auf, mein Junge.“

Sein Vater bat ihn jedoch nicht, nach Hause zu kommen. Und er hörte auch nicht von ihm, dass er es gern hätte, wenn er wieder mit der Familie zusammen im Hotel arbeitete. Hatte er die Beziehung zu ihm für immer beschädigt?

„Du auch.“ Takis wandte sich noch einmal seiner Mutter zu. War sein Vater betrübt, weil er sich Sorgen um seine Frau machte? War mit ihr etwas nicht in Ordnung? Oder mit ihm? Etwas, das ihm keiner von der Familie sagte?

Takis umarmte alle und küsste seine Nichten und Neffen. Dann stieg er vor dem Hotel ins Taxi. Dem Hotel, das eine Renovierung nötig hatte. Es hatte alles nötig. Sie hatten alles nötig.

Er richtete die Augen noch einmal auf seine Mutter. Hatte sie versucht, ihm irgendetwas mitzuteilen? Er warf ihr eine Kusshand zu.

Sein Flug nach Athen ging in vier Stunden. Zuerst würde er den Trauergottesdient für Nassos Rodino in der orthodoxen Kirche im Herzen von Heraklion besuchen. Der seit Kurzem geschiedene Hotelbesitzer, der angeblich eine Geliebte gehabt hatte, war im besten Alter plötzlich gestorben. Sein Tod hatte Takis schockiert. Als er zuletzt auf Kreta war, hatte er sich mit ihm auf seiner Jacht getroffen, um über Geschäftliches zu reden. Seine Dankbarkeit gegenüber dem älteren Mann kannte keine Grenzen. Nassos hatte ihm die Chance gegeben, sich zu verbessern und ihn sogar in New York unterstützt.

Von Athen aus würde er nach Mailand fliegen, wo er Miteigentümer und Manager des Fünfsternehotels und Restaurants Castello di Lombardi war.

Auf dem ganzen Weg zur Kirche klangen ihm die Worte seiner Mutter im Ohr. Warum kommst du nicht für immer nach Hause? Du kannst es dir leisten. Ja, konnte er. In den elf Jahren, die er weg gewesen war, hatte er Millionen verdient, während sich seine Angehörigen weiter mehr schlecht als recht durchschlugen.

Wollte sie ihm etwas mitteilen, ohne direkt damit herauszurücken? War sie krank? Oder sein Vater? Ein Ende mit Würde? Kein Wort sagen? Zum Teufel mit ihrem Stolz, wenn es stimmte!

Weder Kori noch Lukios hatten etwas gesagt, aber vielleicht waren seine Geschwister im Dunkeln gelassen worden. Andererseits war möglicherweise gar nichts los, und seine Mutter ließ ihn nur wissen, wie sehr sie ihn vermissten.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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