Heimlich verliebt in Dr. Playboy

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Auf mehr als Freundschaft lässt Schwester Isla sich mit Dr. Harry Gardiner nicht ein! Er gilt als Herzensbrecher, und sie hat nicht vor, verletzt zu werden. Da braucht er eine Scheinverlobte für eine Familienfeier. Soll Isla ihn begleiten, obwohl sie ihn heimlich begehrt?


  • Erscheinungstag 06.03.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505925
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Vor dem Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter atmete Isla tief ein. Es war ihr zweiter Arbeitstag in der Notaufnahme des London Victoria Hospitals, und sie musste sich noch ins Team einfinden. Die Kollegen, die sie am Vortag kennengelernt hatte, waren alle nett gewesen, und hoffentlich würde es heute auch wieder gut laufen. Zum Glück kannte hier niemand ihre Vergangenheit, sodass man sie nicht verurteilen würde.

Sie öffnete die Tür und lächelte die Schwester an, die vor dem Dienstplan stand. „Guten Morgen, Lorraine.“

„Morgen, Isla. Sie sind heute zum Dienst mit Josie und Harry, dem Herzensbrecher, eingeteilt.“

„Harry, der Herzensbrecher?“

„Ja, das ist sein Spitzname. Aber Harry ist ein toller Arzt und einfach super im Umgang mit den Patienten. Er hört ihnen immer sehr aufmerksam zu.“

„Also charmant, aber in Bezug auf Frauen etwas leichtfertig?“ Diesen Typ Mann kannte Isla nur zu gut.

„Harry macht seinen Freundinnen keine falschen Hoffnungen“, erwiderte Lorraine. „Aber öfter als dreimal trifft er sich selten mit einer Frau.“

Und vermutlich empfanden viele das als Herausforderung und wollten die Ausnahme sein … Zu denen würde Isla ganz sicher nicht gehören. Nach dem Erlebnis mit Stewart hatte sie nicht vor, sich jemals wieder auf einen Mann einzulassen. Nein, allein war sie auf jeden Fall besser dran.

„Mit anderen Worten: als Partner ein Albtraum, aber ein guter Kollege.“ Lorraine lächelte ein wenig gequält. „Sie werden sicher bestens mit ihm auskommen.“

Isla nahm die Warnung, sich lieber von Harry fernzuhalten, zur Kenntnis. „Bestimmt. Alle, die ich bisher in der Abteilung kennengelernt hatte, waren sehr nett.“

Allerdings war sie nicht darauf vorbereitet, wie attraktiv Harry, der Herzensbrecher, war: groß, dunkelhaarig und einfach atemberaubend. Er hätte auch der Star eines Kostümfilms sein können! Sein lockiges Haar war ein wenig zu lang und hing ihm in die Stirn. Außerdem hatte er markante Züge und den sinnlichsten Mund, den Isla je gesehen hatte. Auf dem Rücken eines Pferdes sitzend, in weißem Hemd, Kniebundhose und Frack, wäre er geradezu unwiderstehlich …

Zum Glück hatte Josie schon den ersten Patienten aufgerufen und wartete darauf, Harry zu assistieren. Isla hatte also Gelegenheit, sich zu sammeln und zum nächsten Patienten zu gehen, der auf der Liste stand.

Harry ist dein Kollege, schärfte sie sich ein. Außerdem hatte sie nicht vor, sich mit irgendjemandem einzulassen, ganz egal, wie atemberaubend er auch aussehen mochte. Stewart hatte ihr Vertrauen in die Männer ganz und gar zerstört.

Harry beendete seine Eintragungen in die Akte und trat hinaus auf den Gang, um den nächsten Patienten aufzurufen. Er würde mit Isla McKenna zusammenarbeiten, die neu im Team war. Über sie wusste er nur, dass sie Krankenschwester war und in ihrer Position viel Verantwortung trug.

Interessiert betrachtete er sie. Auch wenn sie einen anderen Namen und keinen charakteristischen Akzent gehabt hätte, hätte er vermutet, dass sie Schottin war. Mit dem zarten Porzellanteint, den feinen Sommersprossen auf der Nase, den blauen Augen und dem dunkelroten Haar, das in der Sonne sicher fantastisch aussah, wirkte sie sehr keltisch.

Schon lange hatte Harry sich nicht mehr so sehr zu einer Frau hingezogen gefühlt, aber er würde diesem Gefühl nicht nachgeben. Schließlich konnte es sein, dass sie einen Partner hatte, auch wenn sie keinen Ring trug.

„Sie sind wohl Isla McKenna?“, fragte er.

Sie nickte.

„Ich bin Harry Gardiner. Haben Sie sich auf der Station schon gut eingelebt?“

„Ja, vielen Dank. Die Kollegen sind alle sehr sympathisch.“

„Ja, es ist ein netter Haufen“, bestätigte er. „Wo haben Sie denn vorher gearbeitet?“

„In Schottland“, gab sie ausweichend zurück, und plötzlich wirkte ihre Miene sehr verschlossen.

Offenbar fand sie ihn neugierig. „Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten“, erklärte er gelassen.

Sie errötete heftig. „Entschuldigung, ich war wohl etwas unhöflich.“

„Dann fangen wir doch einfach noch mal von vorn an.“ Er reichte ihr die Hand. „Ich bin Harry Gardiner, Assistenzarzt in Facharztausbildung. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Herzlich willkommen im London Victoria.“

„Isla McKenna, Krankenschwester. Ich freue mich auch.“

Ihr Händedruck war kräftig, und Harry bemerkte überrascht, dass seine Haut bei der Berührung prickelte. Das war gar nicht gut.

Normalerweise vermied er es, mit Kolleginnen aus seiner Abteilung auszugehen. Denn sonst konnte es kompliziert werden, wenn sie doch mehr erwarteten, als er geben wollte – was meist der Fall war. Die starke Anziehung, die Isla auf ihn ausübte, war beunruhigend.

„Wer ist unser nächster Patient?“ Harry hoffte, dass er sein Verlangen in den Griff bekommen würde, wenn er sich auf seine Arbeit konzentrierte.

„Arthur Kemp, dreiundsiebzig, Verdacht auf Schlaganfall“, berichtete Isla. „Die Sanitäter haben einen FACT-Test durchgeführt,“ Beim FACT-Test – die Abkürzung stand für face, arms, speech, time – wurde überprüft, ob das Gesicht einseitig verzogen war und der Patient lächeln konnte, ob er beide Arme heben und deutlich sprechen konnte. „Sie haben ihm Aspirin gegeben, und ich habe dann eine erste Einschätzung vorgenommen.“

„Mithilfe der ROSIER-Skala?“, fragte Harry. Das war die übliche Vorgehensweise.

Isla nickte. „Ja. Das Ergebnis bestätigt den Verdacht auf Schlaganfall. Ich habe auch einen ABCD2-Score durchgeführt: Der D-Wert ist zum Glück gleich null, er ist also kein Diabetiker.“

Harry entging nicht, was sie ihm da gerade mitteilte: Nur in einem Bereich war der Wert gleich null. „Die übrigen Werte sind also nicht gut?“

„Leider nicht“, bestätigte sie. „Er ist über sechzig, hat hohen Blutdruck, in der linken Körperhälfte ist die Schwäche noch deutlich festzustellen – und der Vorfall ist schon über eine Stunde her.“

„Das Risiko, dass er in den nächsten zwei Stunden einen zweiten Schlaganfall erleidet, ist also erhöht“, merkte Harry an. „Wohnt er allein, oder wird er versorgt?“

„Er wohnt in einer eigenen Wohnung“, berichtete Isla. „An drei Tagen in der Woche hat dort jemand Bereitschaft. Außerdem kümmert sich ein Pflegeteam dreimal täglich um Mahlzeiten und Medikamente. Das Team hat heute Morgen auch den Krankenwagen gerufen.“

„Es könnte also sein, dass ein zweiter Schlaganfall mehrere Stunden lang nicht bemerkt wird.“ Harry überlegte. „Das gefällt mir nicht. Ich finde, wir sollten ihn ein paar Tage zur Beobachtung auf der Akutstation behalten.“

„Das sehe ich genauso. Seine Sprache klingt verwaschen, und mit seinem Schluckvermögen bin ich auch nicht zufrieden“, berichtete Isla. „Wir sollten ihm einen Tropf legen, damit er nicht dehydriert.“

Harry nickte zustimmend.

Gemeinsam gingen sie zu ihrem Patienten. „Mr. Kemp, das ist Dr. Gardiner“, sagte Isla.

„Aber alle nennen mich Harry“, meinte dieser lächelnd. „Würden Sie mir bitte schildern, was heute Morgen passiert ist, Mr. Kemp?“

„Ich hatte Kopfschmerzen. Dann bin ich gestürzt und konnte nicht mehr aufstehen“, erzählte der ältere Herr. „Meine Pflegerin hat mich gefunden, als sie mir das Essen brachte.“

Isla fiel auf, dass Harry sich neben den alten Mann gesetzt hatte und dessen Hand hielt. Mitfühlend und geduldig hörte er zu. Lorraine hat recht, dachte sie. Er ist ein sehr guter Arzt.

Arthur konnte eine Frage nicht beantworten und schnitt ein Gesicht. „Tut mir leid, ich erinnere mich nicht. Meine Tochter sagt auch immer, was für ein alter Hohlkopf ich bin.“

Es gab also auch Spannungen in der Familie, und er würde dort nicht gut unterkommen können.

„Ach, das macht doch nichts“, versicherte Harry. „Ich werde jetzt ein paar Tests mit Ihnen durchführen, in Ordnung?“

„Ja. Tut mir wirklich leid, dass ich so ein Nichtsnutz bin.“

Bekam der alte Mann ständig vermittelt, er sei lästig? Harry überprüfte das Gesichtsfeld und bat ihn, die Arme zu heben. Wie Isla schon bemerkt hatte, war in der linken Körperhälfte noch eine deutliche Schwäche festzustellen. Sein Blick fiel auf das Gehgestell neben dem Bett. „Nutzen Sie das normalerweise?“

„Ja. Aber ich kann das Mistding nicht leiden. Ständig stolpere ich darüber.“ Arthur Kemp schnitt ein Gesicht. „Deswegen bin ich heute Morgen auch gestürzt.“

Vermutlich tat er, was viele ältere Menschen taten: Er hob das Gehgestell hoch und trug es, anstatt es über den Boden zu schieben, sodass er sich darauf stützen konnte. Harry beschloss, dem alten Mann zeigen zu lassen, wie er das Gestell richtig benutzte.

Dann bat er Mr. Kemp, ein paar Schritte mit ihm zu gehen. Er half ihm auf die Beine, stützte ihn ein paar Meter und kehrte dann um. Ihm fiel auf, dass der Patient die Füße nachzog. Außerdem beugte er sich beim Gehen wie auch beim Sitzen ein wenig nach links und nach hinten. Harry beschloss, all diese Hinweise an die zuständigen Pflegekräfte weiterzugeben.

Vorsichtig begleitete er Mr. Kemp zurück. „Ich werde ein MRT, ein Kernspintomogramm, bei Ihnen machen lassen, weil Sie Kopfschmerzen hatten und ich mögliche schwerwiegende Ursachen ausschließen möchte. Aber ich glaube, dass Schwester McKenna mit ihrer Vermutung richtigliegt und Sie einen leichten Schlaganfall hatten.“

Arthur Kemp wirkte fassungslos. „Einen Schlaganfall? Wie kann das sein?“

„Die wahrscheinlichste Ursache ist ein Blutgerinnsel, durch das die Blutzufuhr im Gehirn eine Weile unterbrochen wurde“, erklärte Harry. „Aber da Sie jetzt wieder gehen, sprechen und die Arme bewegen können, scheint es sich aufgelöst zu haben. Wir behalten Sie trotzdem vorsichtshalber einen oder zwei Tage zur Beobachtung hier.“ Bewusst verschwieg er Mr. Kemp, dass das Risiko eines zweiten Schlaganfalls bestand, denn er wollte ihn nicht unnötig beunruhigen. Allerdings mussten seine Angehörigen verständigt werden. „Hat jemand Ihrer Familie Bescheid gegeben?“

„Meine Pflegerin Sharon wollte meine Tochter anrufen, aber Becky ist bei der Arbeit und kann nicht sofort kommen. Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, weil ihre Arbeit ihr doch so wichtig ist!“

„Und ihr Vater ist ihr sicher genauso wichtig“, erwiderte Isla.

„Genau“, bekräftigte Harry, der das von seinem Vater nicht behaupten konnte. Allerdings konnte Bertie Gardiner sich bestens selbst versorgen. Oder Trixie könnte das übernehmen. Sie war seine zukünftige Frau und ein paar Jahre jünger als Harry.

Nein, er würde jetzt nicht über die anstehende Hochzeit nachdenken – oder darüber, dass sein Vater ihm noch immer die Rolle des Trauzeugen aufzudrängen versuchte. Zum dritten Mal, denn es war Berties siebte Ehe.

„Wenn Ihre Tochter kommt, ist das Kernspintomogramm schon fertig“, sagte Harry. „Dann wissen wir auch Genaueres darüber, wie Ihre Behandlung ablaufen wird. Sie brauchen insbesondere für die linke Körperhälfte Physiotherapie. Außerdem verschreibe ich Ihnen ein Medikament.“

„Haben Sie noch irgendwelche Fragen oder Bitten an uns?“, erkundigte sich Isla.

„Könnte ich vielleicht einen Tee bekommen, falls das nicht zu viele Umstände bereitet?“

„Na klar, darum werden wir uns gleich nach dem MRT kümmern“, erwiderte sie freundlich. „Momentan fällt Ihnen das Schlucken ja noch schwer, und ich möchte nicht, dass Sie sich verschlucken oder verbrühen. Aber in einer halben Stunde sieht das vielleicht schon anders aus. Und notfalls koche ich Ihnen den Tee höchstpersönlich.“

Harry schenkte dem alten Mann ein Lächeln. „Wir werden auch dafür sorgen, dass Ihre Tochter zu Ihnen findet. Bitte machen Sie sich keine Sorgen, hier wird man sich sehr gut um Sie kümmern.“

„Ich bin gleich wieder da, Mr. Kemp“, sagte Isla und folgte Harry nach draußen.

„Können Sie dafür sorgen, dass er auf die Akutstation verlegt wird?“, fragte dieser.

„Sicher.“

Ihr Lächeln ließ Harrys Verlangen heiß auflodern. Aber seine neue Kollegin war nicht nur atemberaubend, sondern auch tabu. „Danke.“ Er nickte. „Ich werde alles Wichtige notieren.“

An diesem Vormittag war viel los: die üblichen Stürze, Verstauchungen und Zerrungen, ein sechs Monate altes Baby mit Fieber, das nicht schlafen wollte und einen Anfall bekommen hatte. Die Mutter war in Panik geraten und hatte sich, statt den Rettungswagen zu rufen, von einer Nachbarin ins Krankenhaus fahren lassen.

Nach einem Blick auf die fest zusammengepressten Kiefer des Babys sagte Harry leise zu Isla: „Nasen-Rachen-Raum.“

Sofort griff sie nach einem Schlauch der richtigen Größe und bestrich das Ende mit Gel. Sie versorgten das kleine Mädchen mit Sauerstoff, und Isla bereitete schon eine Ampulle Diazepam vor. Offenbar hatte sie schon häufiger mit Krampfanfällen bei Säuglingen zu tun gehabt.

Gemeinsam überprüften sie Körpertemperatur und Blutzuckerspiegel.

„Pyrexie“, stellte Harry fest. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ein Fieberkrampf ist.“

„Wir müssen die Temperatur runterbekommen und überprüfen, ob eine Infektion besteht“, sagte Isla. Als er nickte, zog sie dem Baby den Schlafanzug aus und rieb seine Haut mit lauwarmem Wasser ab. Als der Krampfanfall abgeklungen und die Temperatur etwas heruntergegangen war, bereitete Isla das Baby auf das Infektionsscreening vor.

„So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Die Mutter klang besorgt. „Wird Erin wieder gesund?“

„Sie wird hier optimal versorgt, und es war gut, dass Sie sie hergebracht haben“, beruhigte Harry sie. „Ich vermute, dass der Anfall durch das Fieber ausgelöst wurde. Nun müssen wir herausfinden, ob das Fieber durch ein Virus oder eine bakterielle Infektion verursacht wurde.“

„Es kann sein, dass Erin noch weitere Anfälle bekommt, aber das heißt nicht, dass sie Epilepsie hat“, ergänzte Isla ruhig. „Bei Kindern in Erins Alter ist meist Fieber die Ursache für Krampfanfälle. Machen Sie sich also keine Sorgen.“

Ja, Eltern machen sich immer schreckliche Sorgen um ihre Kinder, dachte Harry. Und auch Kinder taten das – wenn sie auf jüngere Geschwister aufpassen sollten und es zu einem Unglück kam …

Schnell verdrängte er diesen Gedanken. Das alles war lange her, und er war älter und klüger. Außerdem würde Tasha sehr ungeduldig werden, wenn er zu viel Aufhebens um sie machte. Sie legte sehr viel Wert auf ihre Eigenständigkeit. Man konnte die Vergangenheit nicht ändern, aber zumindest hatte Harry aus ihr gelernt: Nie wieder wollte er eine solche Verantwortung für ein Kind übernehmen.

„Wir nehmen Erin stationär auf“, wandte er sich an die Mutter. „Weil sie noch so klein ist und zum ersten Mal einen Anfall hatte. Außerdem möchte ich wissen, wodurch die Infektion ausgelöst wurde. Sie können gern bei ihr bleiben.“

„Ich bringe Sie auf Station“, fügte Isla hinzu.

„Wird Erin wieder gesund?“, fragte die Mutter noch einmal.

„Ja.“ Beruhigend strich Harry ihr über den Arm. „Ich verstehe, dass Sie das alles ängstigt. Aber bitte machen Sie sich nicht allzu große Sorgen.“

Ich bin so ein Heuchler, dachte er, denn die Panik war ihm nur zu vertraut – und die unendliche Erleichterung, wenn man erfuhr, dass das Baby überleben würde. Dann die Schuldgefühle bei der Erkenntnis, dass es doch Schaden genommen hatte … Harry hatte sehr unter seinem Fehler gelitten.

„Sollen wir jemanden für Sie anrufen?“, fragte Isla.

„Ja, meine Mutter.“ Die junge Frau atmete tief ein. „Mein Mann arbeitet leider weit weg.“

„Ist gut, ich rufe Ihre Mutter an“, versprach Isla.

An diesem Vormittag behandelte Harry die meisten seiner Patienten gemeinsam mit Isla. Seine neue Kollegin hatte einen genauen Blick für Symptome, gleichzeitig war sie immer so gelassen und sanft, dass Patienten und deren Angehörige sich schnell beruhigten. Die perfekte Schwester für die Notaufnahme. Wo auch immer in Schottland Isla zuvor gearbeitet hatte, wurde sie dort sicher schmerzlich vermisst. Hier im London Victoria würde man sie zu schätzen wissen.

Den ganzen Vormittag über war keine Zeit für eine kurze Kaffeepause gewesen, sodass Harry mittags richtig ausgehungert war. Er beschloss, sich schnell etwas aus der Kantine zu holen. Im Mitarbeiterraum traf er auf Isla.

„Kommen Sie mit in die Kantine?“, fragte er.

„Nein, vielen Dank.“ Sie lächelte kühl. „Ich glaube nicht, dass wir zusammenpassen.“

Überrascht blinzelte Harry. „Wie bitte?“

„Ich … also, ich bin zwar neu hier, aber deswegen möchte ich nicht unbedingt auf die Liste Ihrer Eroberungen“, erklärte Isla befangen.

Ach so. Sie dachte, er wolle sich an sie heranmachen! Vermutlich hatte eine Kollegin ihr erzählt, dass er reihenweise Frauenherzen brach. Aber das stimmte nicht: Harry machte schließlich keinen Hehl daraus, dass er sich nicht fest binden, sondern einfach nur Spaß haben wollte. Leider hatte Isla offenbar dem Tratsch Glauben geschenkt, statt sich selbst eine Meinung zu bilden.

„Eigentlich wollte ich Ihnen vor allem den Weg in die Kantine zeigen und dafür sorgen, dass Sie beim Mittagessen Gesellschaft haben.“

Isla errötete heftig. „Ich … Entschuldigung. Ich hatte nur gehört …“ Sie unterbrach sich.

„Was haben Sie gehört?“

„Dass Sie … also … dass Sie einen gewissen Ruf in Bezug auf Frauen haben.“

Harry seufzte. „Egal, was man macht, es ist falsch. Hält man sich von Frauen fern, wird man entweder als schwul abgestempelt oder hat eine schwere Vergangenheit. Und wenn man sich mit Frauen einlässt, ihnen aber sagt, dass man sich nicht fest binden will, dann versucht ständig eine, die Ausnahme zu sein, die die Regel bestätigt. Und außerdem gilt man als Herzensbrecher. Aber nicht jeder ist auf der Suche nach einer festen Partnerschaft.“

„Ich weiß.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Entschuldigung.“

Aber seine Einladung, mit ihm gemeinsam Mittag zu essen, nahm sie trotzdem nicht an. Das traf Harry, dennoch sagte er lächelnd: „Ich möchte Sie noch auf eins aufmerksam machen: Wenn Sie hier Mittag essen, wird Sie garantiert mittendrin jemand zu Hilfe rufen.“

„Das gehört eben dazu, wenn man im Krankenhaus arbeitet“, entgegnete sie leichthin.

Also gut, dachte Harry. Ich habe verstanden. „Dann bis später.“

In der Kantine setzte er sich zu Kollegen von der Entbindungsstation. Aber er musste die ganze Zeit an Isla denken. Warum war sie so auf der Hut? Lag das am Krankenhausklatsch, oder verhielt sie sich immer so?

Wie Harry prophezeit hatte, war Isla noch lange nicht mit ihrem Sandwich fertig, als jemand ins Zimmer kam und sie bat mitzukommen. Doch das machte ihr nichts aus. So war es eben, wenn man in der Notaufnahme arbeitete.

Es tat ihr leid, wie abweisend sie auf Harry, den Herzensbrecher, reagiert hatte, der doch nur hatte helfen wollen. Sie war zu verlegen gewesen, um seine Einladung doch noch anzunehmen. Vermutlich fand er sie jetzt ziemlich unhöflich. Doch sie konnte ihm ihr Verhalten nicht erklären, ohne etwas von der Vergangenheit preiszugeben, mit der sie unbedingt abschließen wollte.

Dass sie ihn ausgesprochen attraktiv fand, machte die Sache nicht einfacher. Denn natürlich musste sie sich von ihm fernhalten. Erstens hatte sie schon miterlebt, wie kompliziert eine gescheiterte Verbindung unter Kollegen die gemeinsame Arbeit machen konnte. Und außerdem war sie ohnehin nicht auf eine Beziehung aus, erst recht nicht mit einem routinierten Charmeur.

Nein, ihre Beziehung zu Harry würde rein beruflich bleiben. Sie würde sich lediglich noch einmal für ihren Fauxpas entschuldigen.

Nachmittags war Isla wieder mit Josie und Harry eingeteilt.

Als Harry nach der Versorgung eines Patienten mit einer schweren Hautverletzung zu ihr kam, atmete Isla tief ein und sagte: „Ich möchte mich noch einmal dafür entschuldigen, dass ich vorhin so unhöflich war, als Sie mit mir in die Kantine gehen wollten.“

„Ach, nicht weiter schlimm.“ Feine Linien bildeten sich um seine Augen. „Der Krankenhaustratsch übertreibt eben gern mal.“

Isla spürte, wie sie errötete. „Ich hätte gar nicht erst auf den Klatsch hören sollen“, gab sie zurück. Schließlich wusste sie aus eigener Erfahrung, wie schnell Dinge aufgebauscht wurden. Wie auch auf der kleinen Insel vor der Küste Schottlands, wo jeder alles über jeden wusste. Isla hatte selbst erlebt, wie unfair das sein konnte. „Ich war sehr unhöflich zu Ihnen. Vielleicht kann ich das wiedergutmachen, indem ich Sie nachher zum Tee einlade?“

„Ich nehme Ihre Entschuldigung an – und die Einladung auch. Wir könnten ja Mr. Kemp als Anstandswauwau mitnehmen“, schlug Harry vor.

Bei seinem Lächeln wurde ihr fast schwindelig. „In Ordnung. Dann können wir uns dabei unauffällig ein besseres Bild von seinem Zustand machen.“

Harry Gardiner war nicht nur atemberaubend, sondern auch noch nett. Doch Isla würde sich davon nicht in Versuchung führen lassen.

Die Nachmittagspause verbrachten sie mit Mr. Kemp.

„Vielen Dank für den Tee“, sagte dieser.

„Gern geschehen“, erwiderte Isla lächelnd. „Hat Ihre Tochter Sie schon besucht?“

„Sie kommt gleich nach der Arbeit her. Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, weil jetzt jemand anders die Kinder für sie abholen muss.“

„Ja, berufstätige Mutter müssen viel unter einen Hut bekommen“, sagte Harry. „Aber bestimmt hat sie auch schon mal die Kinder einer Freundin abgeholt, die jetzt aushelfen kann. Wie geht es Ihnen?“

„Gut genug, dass ich wieder nach Hause kann. Dann würde ich auch niemandem zur Last fallen.“

Er darf auf keinen Fall schon nach Hause, dachte Isla. Und erneut erlebte sie, wie sensibel Harry im Umgang mit seinen Patienten war: Irgendwie hatte er herausgefunden, dass Mr. Kemp Hunde liebte. Und so gelang es ihm, den alten Mann mit einem Gespräch über Hunde von seinen Sorgen abzulenken.

„Sie haben das mit Mr. Kemp wirklich toll gemacht“, sagte sie auf dem Rückweg zur Notaufnahme.

Harry machte eine wegwerfende Geste. „Ach, wir haben uns ja nur unterhalten. Aber ich habe gemerkt, dass Sie ihn genau beobachtet haben, auch beim Trinken.“

Isla nickte. „Sein Schluckvermögen hat sich zwar verbessert, aber ich möchte ihn trotzdem noch ein paar Tage hierbehalten. Außerdem muss er auf eine Infektion untersucht werden, und wir sollten mit seinen Angehörigen und mit dem Sozialdienst sprechen. Er scheint nur schwer Hilfe annehmen zu können. Und nach dem, was er uns vorhin erzählt hat, ist sein Schwiegersohn ziemlich ungeduldig.“

„Das stimmt.“ Harry warf ihr einen Blick von der Seite zu. „Allerdings kenne ich auch einige Leute, die für ihre Kinder und für ihre alten Eltern sorgen und sich dabei aufreiben. Das ist anstrengend, und nicht alle Eltern sind unkompliziert im Umgang.“

„Manche sind aber auch toll“, entgegnete Isla. Ihre Eltern zum Beispiel hatten Andrew Gillespies Anschuldigungen nie Glauben geschenkt. Und sie hatten Isla ermuntert, in Glasgow eine weitere Ausbildung zu absolvieren und dann in London einen Neuanfang zu machen.

„Ja, manche sind toll.“ Interessiert sah Harry sie an.

„Und durch Vielfalt wird die Welt bunt“, warf Isla betont fröhlich ein, um schnell vom Thema „Eltern“ abzulenken. „Jetzt sollten wir aber nach unseren Patienten sehen.“

„Allerdings, Schwester McKenna“, pflichtete Harry ihr bei und hielt ihr die Tür auf.

2. KAPITEL

„Kommt Isla nicht?“, fragte Harry Lorraine betont beiläufig.

„Nein.“

Lorraine nannte ihm keinen Grund, und er fragte lieber nicht nach, um der Gerüchteküche kein Futter zu geben. Lorraine tratschte zwar nicht, aber vielleicht würde sie Isla gegenüber erwähnen, dass er sich für sie interessierte. Das würde die Stimmung bei der Arbeit nur unnötig belasten.

An diesem Abend ging das Notaufnahmeteam zum Bowling, und es war das dritte Mal innerhalb von zwei Wochen, dass Isla nicht dabei war. Sie war eine tolle Mitarbeiterin, war aufmerksam und sensibel im Umgang mit den Patienten, hatte schnell die richtige medizinische Lösung parat und kam mit allen gut aus. Deshalb war es seltsam, dass sie heute Abend nicht dabei war, zumal sie ja neu in der Abteilung war.

Vielleicht war Isla ja alleinerziehend oder kümmerte sich um ihre alten Eltern und hatte deshalb abends wenig Zeit. Leider konnte Harry nicht nachfragen, ohne neugierig zu erscheinen. Das wollte er nicht, doch sie faszinierte ihn. Sollte sie allerdings tatsächlich alleinerziehend sein, kam sie für ihn ohnehin nicht infrage, denn das war ein absolutes Ausschlusskriterium für ihn. Auf keinen Fall wollte Harry noch einmal die Verantwortung für ein Kind tragen. Zwar war es äußerst unwahrscheinlich, dass es ein zweites Mal zu so einem Unglück käme, aber dieses Risiko wollte er auf keinen Fall eingehen.

„Schade“, sagte er nur und sprach dann darüber, wer in welcher Mannschaft sein würde.

Zwei Tage später war eine der schlimmsten Schichten seit Monaten in der Abteilung. Harry, Isla und Josie versuchten, einen Motorradfahrer wiederzubeleben, der bei einem Frontalzusammenstoß schwere Verletzungen erlitten hatte. Gerade als Harry hoffte, sie würden ihm das Leben retten können, erlitt der Mann einen Herzstillstand.

Als auch der letzte Versuch mit dem Defibrillator wirkungslos blieb, sagte Harry: „Wir beenden das Ganze. Seit zwanzig Minuten versuchen wir, den Patienten wiederzubeleben, aber er reagiert nicht. Sind alle einverstanden?“

Bedrückt stimmten Isla und Josie zu.

„Okay. Todeszeitpunkt: ein Uhr dreiundfünfzig“, stellte Harry leise fest und zog ein Laken über das Gesicht des Patienten. „Vielen Dank, Sie haben gute Arbeit geleistet.“

Aber es hatte nicht gereicht.

„Sobald wir hier fertig sind, frage ich am Empfang nach, ob man schon einen der nächsten Angehörigen erreicht hat“, sagte er.

„Ich kann gern mitkommen“, bot Isla an.

„Danke.“ Harry fand es schrecklich, schlechte Nachrichten zu überbringen. Wenn er dabei nicht allein sein würde, wäre es etwas leichter. Vielleicht wusste Isla auch, was sie sagen könnte, wenn ihm die Worte fehlten.

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert? Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
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