Heiße Affäre am Comer See

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Milliardär Sergio Morelli hat bloß eins im Sinn, als er die schöne Bella in seine Villa am Comer See einlädt: Er will sie zu einer heißen Affäre verführen, um so das brennende Verlangen nach ihr endgültig zu stillen. Doch anders als geplant, begehrt er Bella nur immer mehr …


  • Erscheinungstag 09.11.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504362
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Eigentlich müsste ich überglücklich sein. Nachdenklich verließ Sergio die luxuriöse Duschkabine und griff nach einem flauschigen Badelaken. Immerhin hatte er es am heutigen Tag zum Milliardär gebracht. Ebenso wie seine beiden besten Kumpel.

Was fehlte ihm denn noch zum Glück? Geistesabwesend trocknete Sergio sich ab. Der Verkauf des Franchiseunternehmens Wild over Wine hatte ihnen 4,6 Milliarden eingebracht. Ein Grund zum Jubeln, oder? Doch Sergio fühlte einfach nur eine große Leere in sich.

Der Weg ist das Ziel. Hatte diese Weisheit sich gerade einmal wieder bewahrheitet? Offensichtlich. Die drei Mitglieder des Junggesellenclubs hatten ihr Ziel erreicht, vor ihrem fünfunddreißigsten Lebensjahr Milliardär zu werden. Das war knapp, dachte Sergio. Denn bis zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag waren es nur noch exakt vierzehn Tage.

Er erinnerte sich ganz genau an den Tag, als sie den Club gegründet hatten. Wie jung sie damals gewesen waren! Natürlich hatten sie sich mit ihren dreiundzwanzig Jahren schon reif und erfahren gefühlt. Jedenfalls reifer und definitiv wesentlich selbstbewusster als die anderen Studenten ihres Jahrgangs in Oxford.

Alle drei sahen blendend aus und hatten einen hohen IQ. Außerdem waren sie außergewöhnlich ehrgeizig. Zumindest traf das auf ihn und Alex zu. Jeremy bezog schon ein eigenes Einkommen und hatte nur zum Spaß mitgemacht, damals, an einem Freitagabend, einige Monate nachdem sie sich kennengelernt hatten – natürlich bei Jeremy, denn sein Zimmer war viel größer als der Raum, den Alex und Sergio sich teilten.

Sergio lächelte vor sich hin. Sie waren damals ganz schön betrunken gewesen. Jeremy schien über einen unerschöpflichen Vorrat an französischem Wein zu verfügen. Irgendwann hatte er seine beiden neuen Freunde dann gefragt, welche Ziele sie sich gesetzt hatten.

„Niemals zu heiraten!“, antwortete Jeremy wie aus der Pistole geschossen. Jeremy Barker-Whittle war der jüngste Spross einer alteingesessenen Bankiersfamilie. Vielleicht lag es am immensen Reichtum, dass in seiner Familie fast alle Ehen geschieden worden waren. Jeremys gestörtes Verhältnis zur Institution Ehe war also durchaus nachvollziehbar.

„Ich mache mir auch nichts aus der Ehe“, pflichtete Alex Katona ihm sofort bei. Der Australier stammte aus einer Arbeiterfamilie in Sydney, war Rhodes-Stipendiat und blitzgescheit. „Dafür habe ich überhaupt keine Zeit. Ich muss nämlich Tag und Nacht arbeiten, weil ich es bis zu meinem fünfunddreißigsten Geburtstag zum Milliardär gebracht haben will“, kündigte er selbstbewusst an.

„Das will ich auch.“ Sergio war Feuer und Flamme für diesen Plan. Er würde zwar eines Tages das Familienunternehmen der Morellis übernehmen, doch der Ehrgeiz, es aus eigener Kraft zum Milliardär zu bringen, reizte ihn viel mehr. Zumal der in Mailand ansässige Produktionsbetrieb in letzter Zeit hinter den Gewinnerwartungen zurückgeblieben war. Möglicherweise existierte das Unternehmen gar nicht mehr, wenn Sergios Vater es ihm vererbte.

Als Selfmademan würde auch ihm die Zeit für eine Ehe fehlen.

Also schlossen die drei Freunde einen Pakt, und der Junggesellenclub wurde aus der Taufe gehoben. Es gab nur wenige Regeln: Die drei schworen sich ewige Freundschaft.

Zwölf Jahre nach diesem feuchtfröhlichen Abend waren sie tatsächlich noch immer beste Kumpel. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass sie Geschäftspartner geworden waren. Diese Freundschaft würde bis ans Ende seiner Tage bestehen. Dessen war Sergio sich inzwischen sicher.

Regel Nummer zwei lautete: das Leben in vollen Zügen genießen. Sergio musste lachen, denn der Grundsatz besagte, mit jeder Frau ins Bett zu gehen, die auch nur halbwegs interessiert zu sein schien. Während des Studiums hatten er und seine Freunde viel Spaß dabei gehabt, diese Regel zu befolgen. Nach dem Examen waren sie allerdings alle etwas wählerischer geworden. Sergio interessierte sich insbesondere für Frauen mit Tiefgang, die kultiviert waren und mit denen man sich unterhalten konnte.

Alex stand auf junge Frauen. Je älter er wurde, desto jünger waren seine Freundinnen. „Sie klammern nicht und sind weniger kritisch“, hatte er Sergio einmal erklärt. „Heiraten wollen sie auch nicht gleich – im Gegensatz zu Frauen in meinem Alter.“ Er war noch immer strikt dagegen, den Bund fürs Leben einzugehen, obwohl seine Eltern und Geschwister alle glückliche Ehen führten.

Jeremy fühlte sich in seiner Rolle als unwiderstehlicher Playboy so wohl, dass es ihm niemals in den Sinn gekommen wäre, von dem damals geschlossenen Pakt abzuweichen. Er wechselte seine Begleiterinnen wie andere Männer die Hemden. Keine Frau konnte seinem Charisma widerstehen. Meistens war es Liebe auf den ersten Blick, die allerdings von Jeremy unerwidert blieb. Die Zahl der gebrochenen Herzen in England und auf dem Kontinent stieg stetig. Sergio fand das unmöglich und stellte Jeremy zur Rede. Doch der zuckte nur die Schultern. Es war doch nicht seine Schuld, dass er so rastlos war. Diese Eigenschaft war genetisch bedingt. Sein Vater war bereits zum dritten Mal verheiratet, seine Mutter zum vierten oder fünften Mal. Inzwischen hatte Jeremy die Übersicht verloren.

Weder Alex noch Jeremy fanden es daher schwierig, Regel Nummer drei zu erfüllen: Vor Vollendung des fünfunddreißigsten Lebensjahres wird auf keinen Fall geheiratet!

Sergio hatte zwar unter der zweiten Ehe seines Vaters gelitten, die prompt geschieden worden war, wusste aber genau, dass er eines Tages heiraten wollte. Schließlich war er Italiener! Familie ging ihm über alles. Doch bevor er sich auf eine Frau festlegte, wollte er es zum Milliardär gebracht haben.

Nun, das hatte er heute geschafft. Besser gesagt, Alex, Jeremy und er hatten es geschafft. Der Club würde sich jetzt wohl bald auflösen, doch der Freundschaft der drei Kumpel würde das keinen Abbruch tun.

Nur schade, dass wir uns viel seltener sehen werden, dachte Sergio geknickt. Er selbst wollte demnächst nach Mailand ziehen, um das Familienunternehmen zu retten. Seit dem Tod seines Vaters im vergangenen Jahr waren die Umsätze drastisch gesunken.

Alex hatte seinen Rückflug nach Australien bereits gebucht. Dort wartete eine neue Herausforderung: die von ihm gegründete Immobilienfirma weiter zu expandieren.

Nur Jeremy plante, in London zu bleiben und sich ein Unternehmen zu kaufen. Vielleicht eine PR-Agentur. Jedenfalls keine Privatbank.

Heute Abend wollte Sergio die Freunde in seine Heiratsabsichten einweihen. Die Tage des Junggesellenclubs waren gezählt.

Eine Frau zu finden und zu heiraten wird mein nächstes Projekt, nahm Sergio sich vor, als er das Badezimmer verließ. Doch wie sollte diese Frau aussehen? Gedankenverloren blieb Sergio im angrenzenden begehbaren Kleiderschrank stehen. Der war so riesig, dass selbst Jeremy vor Neid erblasst war, als Sergio ihn stolz herumgeführt hatte.

Für die Feier heute Abend suchte Sergio eine schwarze Hose aus, die er geistesabwesend anzog. Die Frau muss jünger sein als ich, dachte er, als er den Reißverschluss zumachte. Schließlich wünschte er sich mehrere Kinder. Mitte zwanzig war die äußerste Grenze. Attraktiv muss sie natürlich auch sein, beschloss er pragmatisch und knöpfte das weiße Seidenhemd zu, das er gerade vom Bügel genommen hatte. Allerdings auch nicht zu hübsch, denn dann hätte er wohl keine ruhige Minute mehr.

Gerade hatte er den letzten Knopf geschlossen, als nebenan im Schlafzimmer das Privathandy klingelte. Nur Alex und Jeremy hatten die Nummer. Und natürlich Cynthia. Sergio legte großen Wert auf seine Privatsphäre und änderte die Nummer mindestens einmal im Jahr.

Vermutlich wollte einer der beiden Freunde ihn vorwarnen, dass es später werden könnte. Das war er inzwischen gewohnt. Cynthia würde sich wohl kaum bei ihm melden, denn er hatte bereits vor mehr als einem Monat mit ihr Schluss gemacht. Die Hoffnung auf eine Versöhnung hatte sie längst aufgegeben.

Sergio griff nach dem Handy. Die Nummer des Anrufers war unterdrückt. Ungehalten verzog er das Gesicht. Wer war dieser Hacker? Immer wieder wurde versucht, Sergios Privatnummer herauszufinden.

„Wer ist da?“, fragte er wütend.

Nach einer Schrecksekunde meldete sich die Anruferin zögernd. „Ich … ich bin’s … Bella.“

Schockiert zuckte Sergio zusammen. Bellas Stimme zu hören verschlug ihm zunächst die Sprache.

„Sergio?“, fragte Bella vorsichtshalber nach. „Du bist es doch, oder?“

„Ja, Bella“, stieß er schließlich heiser hervor. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und ihm fiel es schwer, klar zu denken. Bella rief ihn an? Die wunderschöne Bella, die einmal seine Stiefschwester gewesen war und ihn viele schlaflose Nächte gekostet hatte.

„Du hast gesagt, ich könnte dich jederzeit anrufen, wenn ich Hilfe brauche“, erklärte sie leise. „Weißt du noch? Nach der Trauerfeier für deinen Vater hast du mir deine Telefonnummer gegeben“, fügte sie atemlos hinzu.

„Ja, stimmt.“ Sergio erinnerte sich dunkel.

„Oje, ich ruf dich später wieder an“, stieß sie hastig hervor und beendete abrupt das Gespräch.

Fluchend starrte er das Handy an. Am liebsten hätte er es gegen die Wand gefeuert.

Fünf endlos lange Minuten tigerte er im Schlafzimmer hin und her. Beunruhigt überlegte er, in welchen Schwierigkeiten Bella stecken könnte. Wieso meldete sie sich plötzlich bei ihm? Seit der Scheidung ihrer Eltern vor elf Jahren war es das erste Mal. Zur Trauerfeier war sie seines Vaters wegen gekommen, ganz sicher nicht, um ihren ehemaligen Stiefbruder wiederzusehen.

Sergio war wütend, weil er kostbare Zeit damit verschwendete, auf Bellas erneuten Anruf zu warten. Wenn er weiter hier herumlief, würde er selbst zu spät zur Verabredung mit seinen beiden Freunden kommen. Der Tisch war für acht Uhr bestellt. Ich muss los, dachte Sergio und zog entschlossen Strümpfe und Schuhe an. Diese Bella! Ein Anruf von ihr, und schon ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn sie ein unauffälliges Leben geführt hätte – irgendwo in Australien. Doch das Schicksal hatte es anders gewollt.

Kurz bevor Dolores seinen Vater um die Scheidung gebeten hatte, hatte Bella den Talentwettbewerb eines australischen Fernsehsenders gewonnen. Seitdem rissen die Musicalproduzenten sich um den neuen Superstar, und das nicht nur in Australien, sondern überall auf der Welt. Bella trat immer wieder am Broadway auf und natürlich in London. Manchmal hatte Sergio den Eindruck, von ihrem wunderschönen Lächeln verfolgt zu werden. Es begegnete ihm überall – im Fernsehen, auf Bussen und auf riesigen Reklametafeln.

Sergio hatte es sich energisch verkniffen, Bella auch noch auf der Bühne zu bewundern. Er wusste nämlich nur zu genau, dass er seine überwältigende Lust auf sie dann nicht mehr unterdrücken könnte. Auch in diesem Moment machte ihm heißes Begehren zu schaffen. Genau wie vor drei Jahren, als Jeremy ihn mit zu einer Varietéshow geschleppt hatte, wo Bella als Gaststar aufgetreten war. Es war die reinste Folter gewesen. Die wurde nur noch übertroffen, als Jeremy ihn auch noch bat, ihn zur anschließenden Künstlerparty zu begleiten. Natürlich hätte ich die Einladung ablehnen können, dachte Sergio. Doch die Neugierde hatte die Oberhand gewonnen.

Die Party war bereits in vollem Gang, als Bella am Arm ihrer neusten Eroberung in den Ballsaal schwebte. Der gut aussehende französische Schauspieler war als Schürzenjäger berüchtigt. Ein schönes Paar, musste Sergio zugeben. Die zarte Bella mit ihrem langen blonden Haar bildete den perfekten Kontrast zu dem dunkelhaarigen Franzosen, der zudem ganz in Schwarz gekleidet war, während Bella Weiß trug. Engel und Teufel, war Sergios erster Gedanke gewesen.

Den ganzen Abend lang hatte er Bella aus der Ferne beobachtet. Jede Berührung des Franzosen hatte Sergio einen Stich der Eifersucht versetzt.

Was genau er zu ihr gesagt hatte, als Bella ihn schließlich entdeckt und angesprochen hatte, wusste er nicht mehr, nur dass er sich höflich mit ihr unterhalten hatte. Schließlich hatte er eine gute Erziehung genossen. Sein Vater hatte viel Wert auf kultiviertes Benehmen gelegt. Vermutlich habe ich sie zu ihrer fantastischen Vorstellung beglückwünscht, dachte Sergio ironisch. An ein Detail erinnerte er sich noch ganz genau: Seine heftige Erektion hatte ihn fast umgebracht. Am liebsten hätte er es auf der Stelle mit Bella getrieben. Das Begehren, als sie so dicht vor ihm stand, war kaum auszuhalten gewesen. So etwas war ihm seitdem nicht mehr passiert. Seine Selbstbeherrschung damals beeindruckte ihn noch heute.

Fast war er Bellas besitzergreifendem Lover dankbar gewesen, als der sie schließlich mit sich zog.

Erst zu Hause hatte Sergio seiner Frustration Luft gemacht. Wie ein Besessener hatte er auf die Badezimmertür eingeschlagen. Das Resultat: zwei gebrochene Finger. Unter der eiskalten Dusche hatte er sich die Seele aus dem Leib geheult.

Seine Hand war nach einigen Wochen wieder verheilt. Ihm war auch bewusst geworden, dass er etwas gegen seinen selbstzerstörerischen Hang unternehmen musste, den Bella in ihm hervorrief.

Sergio hatte sich Alex und Jeremy anvertraut. Dieses Gespräch hatte ihm etwas geholfen. Allerdings waren die Ratschläge der beiden Freunde typisch gewesen. „Du brauchst mehr Sex“, hatte Alex festgestellt.

„Schlag sie dir aus dem Kopf! Wahrscheinlich ist sie gar nicht so fantastisch im Bett“, vermutete Jeremy. „Amüsier dich mit anderen Frauen. Es gibt ja genug auf der Welt.“

Diesen Rat hatte Sergio dankbar angenommen. In den folgenden Wochen war er mit mehr Frauen im Bett gewesen als sonst im ganzen Jahr. Ein One-Night-Stand folgte dem nächsten. Alle Frauen hatten blondes Haar, blaue Augen und eine makellose Figur.

Irgendwann jedoch hing Sergio dieser Lebensstil zum Halse heraus. Und dann kam Cynthia. Die attraktive geschiedene Frau war fantastisch im Bett und fand es nicht schlimm, dass Sergio sie nicht liebte.

An Bella verschwendete Sergio kaum noch einen Gedanken. Nur als Alex ihm steckte, die Beziehung zu dem französischen Schauspieler sei in die Brüche gegangen, empfand Sergio Genugtuung. Die Nachricht, sie sei jetzt mit einem russischen Oligarchen liiert, der seine Ölmilliarden in Luxushotels investierte, löste dann wenig später Unwillen bei ihm aus. Wieso fiel Bella immer wieder auf so zwielichtige Gestalten herein? Auch ein drogensüchtiger Rockstar und ein sexsüchtiger argentinischer Polospieler, der die Frauen so oft wechselte wie seine Pferde, befanden sich bereits in Bellas Sammlung – sehr zum Entzücken der Boulevardpresse, die genüsslich über das Liebesleben des Musicalstars berichtete und spekulierte, wann die bildhübsche Bella wohl die große Liebe fände.

Geistesabwesend betrachtete Sergio das Handy, das noch immer keinen Ton von sich gab. Es machte ihn wütend, dass er sich Sorgen um Bella machte und sich danach sehnte, ihre Stimme zu hören.

Wieso meldet sie sich nicht endlich? dachte er. Sie hatte vorhin sehr beunruhigt geklungen. War sie in Gefahr? Warum hatte sie den Anruf so abrupt beendet? Hatte ihr neuster Lover sie beim Telefonieren mit einem anderen Mann ertappt? War der Typ etwa gewalttätig? Bei Bella konnte man schließlich nie wissen, mit wem sie sich einließ. Das war ihre eigene Schuld. Doch die Vorstellung, sie könnte an einen Mann geraten sein, der sie misshandelte, beunruhigte Sergio zutiefst.

Verdammt! Sergio fluchte vor sich hin. Was ging ihn das eigentlich an? Er war doch nicht verantwortlich für Bella. Seit der Scheidung seines Vaters von ihrer Mutter war er ja nicht mehr Bellas Stiefbruder. Zum Glück! Trotzdem sorgte er sich um sie. Deshalb hatte er ihr auch seine private Handynummer gegeben, als er Bella auf der Trauerfeier seines Vaters getroffen hatte. Wie erschöpft sie damals ausgesehen hatte. Es war selbstverständlich für ihn gewesen, ihr seine Hilfe anzubieten. Bella konnte ja nichts dafür, dass ihre Mutter seinen Vater nur geheiratet hatte, damit der die Ausbildung ihrer Tochter finanzierte. Sowie Bella zum Musicalstar aufgestiegen war, hatte Dolores die Scheidung eingereicht und seinem Vater das Herz gebrochen.

Erst viele Wochen später, als die Trauer um seinen geliebten Vater etwas nachgelassen hatte, bedauerte Sergio, seiner ehemaligen Stiefschwester die private Handynummer gegeben zu haben. Wie dumm von ihm! Er hatte doch alles getan, Bella aus seinem Gedächtnis zu verdrängen.

Nun hatte sie sich tatsächlich bei ihm gemeldet, und sofort kreisten seine Gedanken wieder um sie. Sergio stöhnte frustriert, schob das Handy jedoch in die Hosentasche und verließ die Luxuswohnung am Canary Wharf. Er liebte sein Londoner Domizil, denn im Haus befand sich auch ein großes Schwimmbad und ein Fitnesscenter, das keinen Wunsch nach sportlicher Betätigung offenließ. Das Nobelrestaurant, in dem er sich mit Alex und Jeremy verabredet hatte, lag auch in dem Gebäude.

Das Handy klingelte. Bella! Hastig zog Sergio das Telefon aus der Hosentasche und meldete sich knapp.

„Hi, Kumpel. Wir verspäten uns ein wenig.“

Alex! Frustriert herrschte Sergio seinen Kumpel an. „Wieso denn das schon wieder? Ich bin extra hergezogen, weil Canary Wharf so verkehrsgünstig liegt.“

„Wir stehen trotzdem im Stau. Außerdem hat Jeremy beim Anziehen gebummelt.“ Alex lachte ironisch. „Entspann dich, Sergio! Du kannst schon mal die Drinks bestellen. In einer Viertelstunde sind wir sicher da.“

„Okay.“

Als er Sergios resignierten Tonfall bemerkte, horchte Alex auf. „Was ist los, Kumpel?“

„Nichts weiter. Ich bin nur müde“, behauptete Sergio.

„Kein Wunder. Es war ja auch ein ziemlich aufregender Tag. Wie du die Verhandlungen geführt hast, Sergio … unglaublich! Du bist der Beste. Genehmige dir schon mal einen Whisky. Wir sind gleich da.“

Noch fünf Minuten nachdem sie das Telefongespräch beendet hatte, zitterte Bella wie Espenlaub. Eine Panikattacke hatte sie voll im Griff. Dieses Phänomen kannte sie bisher nur von einer Kollegin, die regelmäßig vor einem Bühnenauftritt darunter litt.

Diese plötzliche Attacke war wohl auf Bellas schlechtes Gewissen zurückzuführen. Sie fühlte sich schuldig, weil ihre Mutter Sergios Vater so unglaublich schlecht behandelt hatte. Eigentlich habe ich kein Recht, Sergio um Hilfe zu bitten, dachte Bella. Sie erinnerte sich gern an ihren fünf Jahre älteren Stiefbruder, der sich stets geduldig ihre Probleme angehört und ihr beim Üben zugesehen hatte. Sergio war nicht nur hochintelligent, sondern auch sehr sportlich. Wenn er einmal eine Pause vom Lernen brauchte, hatten sie auf dem Hof Basketball gespielt. Bella hatte ihn schrecklich vermisst, als sein Vater ihn mit der Begründung, er müsse sein Italienisch perfektionieren, zum Studium nach Rom geschickt hatte.

Damals war sie dreizehn gewesen. In den folgenden Jahren sah sie Sergio nur selten: Ostern und Weihnachten kehrte er für wenige Tage zurück nach Sydney. Im Juli traf sich die ganze Familie zum Urlaub am Comer See.

Bella liebte die Ferien in der alten Villa der Morellis. Sergio und sie gingen gemeinsam schwimmen, erkundeten den See mit dem Boot und hatten viel Spaß. Nur während der letzten gemeinsam verbrachten Wochen am Comer See hatte Sergio sich kaum blicken lassen, weil er fürs Examen büffeln musste. Im Jahr darauf lebten Dolores und Alberto bereits getrennt, und Sergio war nach Oxford gezogen, um dort weiterzustudieren, während sie selbst zum Broadwaystar heranreifte. Der vertraute Umgang mit Sergio war Vergangenheit. Zuerst hatte sie ihren großen Bruder vermisst, doch dazu hatte sie bald keine Zeit mehr gehabt, denn sie musste sich auf ihre Karriere konzentrieren und stand ständig im Rampenlicht. Irgendwann hatte sie Sergio vergessen.

Nur einmal hatten sie sich wiedergesehen. Bella verzog das Gesicht, als sie an die Party in London dachte, zu der die Agentur nach dem Konzert eingeladen hatte. Zuerst hatte sie Sergio gar nicht erkannt. Er war zu einem beeindruckenden, blendend aussehenden jungen Mann gereift. Nur die ausdrucksvollen dunklen Augen waren unverändert geblieben. Der harsche Ausdruck, mit dem Sergio sie betrachtet hatte, hatte sie allerdings verunsichert. Offensichtlich nahm Sergio auch ihr das Verhalten ihrer Mutter übel.

Bei der Trauerfeier für seinen Vater hatte er sie dann so traurig angeschaut, dass sie die Tränen kaum zurückhalten konnte. Zum Glück konnte sie die hinter der Sonnenbrille verstecken.

Bella machte sich Vorwürfe, Sergio und Alberto nicht gleich nach der Scheidung aufgesucht und sich für Dolores’ grausames Verhalten entschuldigt zu haben. Doch die steile Karriere und ihr plötzlicher Ruhm hatten das verhindert. Bella hatte einfach keine Zeit gehabt, auch nur an etwas anderes zu denken. Alles drehte sich um ihre Karriere, wirklich alles. Bellas einzige Entschuldigung war, dass sie damals erst achtzehn Jahre alt gewesen war.

Nach der Trauerfeier schrieb Sergio ihr seine private Handynummer auf. „Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du Hilfe brauchst“, versicherte er ihr. Bella nickte dankbar. Seine unglaublich großzügige Geste rührte sie zu Tränen. Schnell hatte sie die Karte eingesteckt, sich verabschiedet und war hastig geflohen, damit niemand ihre Tränen sah.

Auch jetzt war sie den Tränen nahe. Vermutlich war das dem andauernden Schlafmangel zuzuschreiben.

So kann es nicht weitergehen, dachte Bella verstört. Ich muss hier raus! Weg von all den Leuten, die behaupten, nur mein Bestes zu wollen. Dabei wollen sie mich alle nur ausbeuten. Deshalb verlangen sie, dass ich immer mehr Engagements annehme.

In den vergangenen Jahren war der Beratertross immer größer geworden. Ständig wuselte jemand um sie herum. Fast nie hatte sie mal eine freie Minute ganz für sich. Auch ihre Mutter war immer und überall dabei. Und alle hielten ständig die Hand auf. Ein Privatleben hatte Bella schon lange nicht mehr. Ihr Leben bestand nur aus Arbeit.

Ich muss aus dieser Tretmühle raus, dachte Bella. Und zwar sofort!

Entschlossen zückte sie das Handy, atmete tief durch und tippte auf die Wahlwiederholungstaste.

2. KAPITEL

Sergio saß am besten Tisch des Restaurants, blickte nachdenklich hinaus auf die Themse und trank einen Schluck Scotch, als das Handy klingelte.

Erschrocken fuhr er zusammen, riskierte dann aber einen Blick auf das Display. Die Rufnummer war unterdrückt. Bella! Sergio atmete erleichtert auf. Insgeheim hatte er sich bereits einen Plan B zurechtgelegt, falls Bella sich nicht wieder gemeldet hätte. Doch nun brauchte er keinen Privatdetektiv zu beauftragen, um Bella ausfindig zu machen.

Mit festem Griff umklammerte er das Handy und hielt es sich ans Ohr. „Hallo, Bella.“ Er staunte selbst, wie ruhig und gelassen seine Stimme klang. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass ihm das Herz vor Aufregung bis zum Hals schlug.

„Woher weißt du, dass ich es bin?“, fragte sie verdutzt.

„Du hast deine Nummer unterdrückt. Das macht sonst keiner, der mich auf meinem Privathandy anruft“, erklärte er sachlich.

Autor

Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney.

Miranda ging auf eine Klosterschule. Später...
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