Heiße Geheimnisse - Milliardäre packen aus

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Die Rache des Milliardärs
Als Milliardär kehrt Declan Gates in seine Heimat zurück. Vor Jahren, als er noch als das schwarze Schaf der Stadt galt, hatten sich alle von ihm abgewandt, selbst seine große Liebe Lily. Das will er ihr jetzt heimzahlen. Beim ersten Wiedersehen fliegen dann auch die Fetzen – und Funken der Leidenschaft, die Declan zunächst nicht wahrhaben will. Aber bald kann er es nicht mehr leugnen: Lily erscheint ihm begehrenswert wie nie zuvor. Und so endet ein gemeinsamer nächtlicher Spaziergang am Strand in einer heißen Umarmung. Trotzdem hält Declan an seinen Plänen fest.

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  • Erscheinungstag 20.07.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787257
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Jennifer Lewis, Maureen Child, Jules Bennett

Heiße Geheimnisse - Milliardäre packen aus

Jennifer Lewis

Die Rache des Milliardärs

IMPRESSUM

BACCARA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2008 by Jennifer Lewis
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1555 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Thomas Hase

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 01/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-575-6

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

„Was machst du denn da? Bist du noch zu retten?“

Die tiefe männliche Stimme ließ Lily Wharton herumfahren. Wie ein Blitz durchzuckte sie die Erinnerung an den Mann mit den scharf geschnittenen Zügen, der sie so salopp angesprochen hatte: Declan Gates.

Lily hätte beinahe lauthals losgelacht. Die Art der Begrüßung war ihr gleich bekannt vorgekommen. Es war noch nie Declans Art gewesen, sich lange mit Förmlichkeiten aufzuhalten.

„Das siehst du doch. Ich beschneide die Rosen“, antwortete sie endlich und deutete mit der Schere auf dorniges Gestrüpp, das an der Außenmauer des alten Hauses emporwucherte. Sie musste sehr vertieft gewesen sein, denn sie hatte kein Auto den steilen Weg die Klippen hinaufkommen hören.

„Ja, das sehe ich. Aber das erklärt noch lange nicht, was du auf meinem Grund und Boden zu suchen hast.“

Lily sah ihn sich genauer an. Es war unverkennbar dasselbe markante Profil mit dem energischen Kinn, der kühn gebogenen Nase und den hohen Wangenknochen. Aber dieser Declan trug einen tadellosen Maßanzug und hatte das pechschwarze Haar glatt zurückgekämmt. Die breiten Schultern deuteten an, dass er athletischer und männlicher geworden war in den letzten zehn Jahren.

Er ist also zurückgekommen, dachte Lily mit einem Anflug von Panik. Sie fasste sich und sagte: „Ich habe monatelang versucht, dich zu erreichen. Tat mir übrigens leid zu hören, dass deine Mutter gestorben ist.“

Er streifte sie mit einem ungläubigen Blick.

Lily wusste warum. Vermutlich gab es in ganz Blackrock, der kleinen Küstenstadt im Bundesstaat Maine, keinen einzigen Menschen, der nicht erleichtert aufgeatmet hätte bei der Nachricht, dass die alte Hexe in ihrem Haus auf den Klippen endlich das Zeitliche gesegnet hatte.

„Ich weiß nicht, wie viele Nachrichten ich für dich hinterlassen habe, aber du hast mich nie zurückgerufen. In deinem Büro sagten sie mir, du hättest geschäftlich in Asien zu tun. Ich konnte es einfach nicht ertragen zuzusehen, wie das Haus allmählich verfällt.“

„Ach, das hätte ich doch beinahe vergessen. Das war ja mal der Stammsitz eurer Familie.“ Seine hellen silbergrauen Augen funkelten kampfeslustig.

Selbst jetzt nach all den Jahren spürte Lily das Kribbeln im Bauch, das er früher schon bei ihr ausgelöst hatte. Wie hatte sie sich damals dagegen gewehrt, in seinen Bann gezogen zu werden! Es durfte nicht sein. Die Familien waren verfeindet, und schon eine harmlose Freundschaft unter Jugendlichen galt als Verrat. Als sie an diese Zeiten zurückdachte, hatte sie wieder den Klang seiner Kawasaki im Ohr. Auf diesem Motorrad war er damals immer durch die Ortschaft gedonnert, sodass das Aufheulen der Maschine von den Klippen widerhallte und die Einwohner Blackrocks einmal mehr ihn und die ganze Gates-Sippe zum Teufel wünschten. Ihm war es vollkommen egal gewesen, was die Leute von ihm dachten. Er hatte nie den Ehrgeiz gehabt, anderen zu gefallen.

Und nun hingen Wohl und Wehe der ganzen Stadt ausgerechnet von seinem guten Willen ab. Zumindest, wenn es so lief, wie Lily es geplant hatte, denn sie baute noch immer auf seine Anständigkeit und glaubte an das Gute in ihm.

Als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, war er auf seinem Motorrad vorgefahren und hatte mit der Faust gegen die Haustür gedonnert. Lily hatte versucht, ihn so schnell wie möglich loszuwerden, ehe ihre Mutter ihn dort sah, die jeden Moment nach Hause kommen konnte. Vor allem aber auch, damit er nicht merkte, wie ihr das Herz bis zum Halse schlug, wenn sie sich gegenüberstanden. Er hatte ihr eröffnet, dass er Blackrock an diesem Tage verlassen würde und nie wieder zurückkäme. Und er hatte Wort gehalten – zehn Jahre lang. Bis zu diesem unverhofften Wiedersehen.

Aber jetzt brauchte sie ihn.

Er musterte sie von Kopf bis Fuß in ihrem gestreiften Oxford-Hemd und den abgetragenen Kakihosen. Sein Blick kam ihr vor wie der eines Raubtiers und ging ihr durch und durch.

„Du hast dich überhaupt nicht verändert, Lily“, meinte er.

Lily schluckte trocken. Bei ihm konnte man nicht wissen, ob das ein Kompliment oder eine Beleidigung sein sollte. „Du dich auch nicht.“

„Da irrst du dich aber gewaltig.“

Wie früher ließ er sich nicht mit Redensarten abspeisen. Lily umfasste ihre Rosenschere fester. Wahrscheinlich hatte er recht. Zehn Jahre waren eine verdammt lange Zeit.

Lily holte tief Luft. „Dieses Haus steht seit zweihundert Jahren. Hier oben auf den Klippen kann man es schon von Weitem sehen. Es prägt das Gesicht der Stadt. Allein deshalb ist es nicht richtig, es einfach verkommen zu lassen.“

Declan betrachtete eingehend die Hausfront. „Die Mauern waren früher ganz schwarz. Wie hast du sie so sauber bekommen?“

„Mit einem Hochdruckreiniger. Einfach war es nicht, den Ruß herunterzubekommen, den die alte Papiermühle jahrzehntelang ausgespuckt hat.“

„Fühlst du dich berufen, die Sünden der Vergangenheit zu tilgen?“

„Ich hätte dich um Erlaubnis gefragt, wenn du mich zurückgerufen hättest. Mit Blackrock geht es bergab, Declan. Ich wollte so etwas wie ein Zeichen setzen, indem ich das Haus wieder herrichte. Ich will den Menschen hier Hoffnung machen, dass es für sie in dieser Stadt doch noch eine Zukunft gibt.“ Sie machte eine Pause. Dann nahm sie ihren Mut zusammen und fügte hinzu: „Ich möchte das Haus von Grund auf restaurieren. Und ich will auch die alte Papiermühle kaufen.“

Sein Blick verfinsterte sich. „Sie gehört mir, und sie ist nicht zu verkaufen.“

„Und warum nicht? Du hast doch mit Blackrock nichts mehr zu schaffen. Die alte Mühle ist seit zehn Jahren stillgelegt. Du hast keine Familie mehr, die hier wohnt. Du selbst führst anderswo ein völlig neues Leben …“

Declan lachte auf. „Was weißt du schon von meinem jetzigen Leben?“

Lily wusste nicht, was sie sagen sollte. Der Mann, der vor ihr stand, war ihr fremd geworden. Er besaß keine Ähnlichkeit mehr mit dem Declan von früher, der zwar ein rücksichtsloser Rowdy gewesen war, aber dennoch das Herz am rechten Fleck gehabt hatte.

„Du meinst wohl, nur weil meine Mutter tot ist, kannst du dir den alten Stammsitz der hochwohlgeborenen Familie Wharton einfach so wieder unter den Nagel reißen?“

Der Vorwurf traf Lily empfindlich. Trotzdem weigerte sie sich zu akzeptieren, dass die alte Rivalität ihrer Familien die Zukunft der Stadt in alle Ewigkeit verbauen sollte. „Ich habe jetzt mein eigenes Unternehmen und stelle hochwertige Dekorationsstoffe und Tapeten her. Die Mühle wäre ein idealer Produktionsstandort und könnte in Blackrock Arbeitsplätze schaffen.“

„Nette Idee. Ich fürchte nur, dass das nicht möglich sein wird.“

„Warum nicht? Was willst du denn mit einer ausgedienten Papiermühle anfangen?“

Seine Züge wurden hart. „Das ist allein meine Sache.“

Wut und Verzweiflung stiegen in Lily auf, als sie sah, dass Declan sie kalt lächelnd abblitzen ließ und all ihre Hoffnungen und Träume mit einem Schlag zunichtemachte. „Deine Sache, ach so!“, rief sie zornig aus. „Nach allem, was ich über dich gelesen habe, bist du unter die Heuschrecken gegangen. Deine Sache ist es, Firmen und Existenzen zugrunde zu richten, um den höchstmöglichen Profit herauszuschlagen. Hast du das hier auch vor?“

Declan zog die Brauen zusammen. „Sieh an, du hast dich also informiert. Dann sollte dir auch klar sein, dass das Haus und die Mühle mir gehören und ich damit tun und lassen kann, was ich will. Beides wurde von meiner Familie rechtmäßig erworben.“

„Dass ich nicht lache! Ihr habt einfach die Gunst der Stunde genutzt, als mein Urgroßvater durch den Schwarzen Freitag 1929 ruiniert war und sich das Leben genommen hatte und seine arme Frau nicht mehr aus noch ein wusste.“

„Sie hat gutes Geld dafür bekommen.“

„Ja, Geld, das ihr euch mit Schwarzmarktgeschäften, illegalem Waffenhandel und schwarzgebranntem Schnaps ergaunert habt.“

Die Anschuldigungen prallten an Declan ab. Mit einem spöttischen Grinsen entgegnete er: „Vergiss die Rattenfallen nicht. Damit hat mein Urgroßvater den Grundstock für das Familienvermögen gelegt. Man nannte ihn nicht umsonst ‚Ratten-Gates‘. Wir sind zwar nicht so vornehm wie ihr, aber wir wissen zu überleben. Und das ist das Einzige, was zählt.“

„Was zählt, sind die Menschen hier und ihr Glück.“

„Ach wirklich?“ Seine arrogante Art brachte Lilys Blut zum Kochen. „Und was hat unser Haus damit zu tun?“

„Es ist ein schönes, würdiges altes Haus, das mit den einfachsten Mitteln und unter großen Entbehrungen gebaut wurde. Allein deshalb muss man sich darum kümmern und darf es nicht einfach verkommen lassen.“

„Du hast es doch noch nie betreten. Oder inzwischen doch?“

Lily zuckte die Achseln und wandte sich resigniert ab. Nein, sie hatte es nie betreten, und das war nicht Declans Schuld. Ihre Mutter hätte ihr die Hölle heißgemacht, wenn sie einen Fuß über die Schwelle gesetzt hätte.

„Ich frage noch mal: Warst du inzwischen im Haus?“ Durchdringend sah er sie an.

„Nein. Ich habe ja gar keine Schlüssel.“

Er lachte, und sie errötete, weil sie zu spät erkannte, was ihre Antwort ihm verraten hatte: dass sie zumindest mit dem Gedanken gespielt hatte.

„Declan, ich liebe diese Stadt. Ich bin hier aufgewachsen und gedenke meine Tage auch hier zu beschließen. Aber Blackrock droht auszusterben. Seitdem deine Mutter die Papiermühle mit dem Zellstoffwerk geschlossen hat, gibt es hier keine Arbeit mehr.“

„Halt, stopp!“, unterbrach er sie unwirsch. „Willst du damit sagen, du bedauerst, dass die Mühle ihre Arbeit eingestellt hat? Ich kann mich daran erinnern, dass du und deine sauberen Freunde einen Riesenaufstand veranstaltet haben. Du bist mit Plakaten herumgelaufen, um gegen die Luftverschmutzung und die Belastung der Gewässer zu protestieren. Du hast damals behauptet, die Mühle vernichte die Lebensqualität in Blackrock.“

Lily winkte ab. „Ich wusste, dass das kommt. Ja, ich habe die Leute gegen euch aufgewiegelt, und das war bestimmt nicht schön.“

„Ich erinnere mich noch genau an eine Karikatur, die du auf einem Plakat in der Stadt aufgehängt hast. Ich war darauf als Teufel abgebildet, der Schwefeldämpfe ausstößt.“ Declan lachte. Aber es war ein kaltes gefühlloses Lachen, das nichts mehr mit seinem übermütigen Gelächter zu tun hatte, das sie von früher von ihm kannte. „Seitdem habe ich mir alle Mühe gegeben, diesem Bild gerecht zu werden.“

Lily errötete leicht. Auch sie konnte sich daran erinnern. Sie war damals jung gewesen, unerfahren und voller Ideale. Sie räusperte sich ein wenig verlegen. „Ich habe dazugelernt. Ich weiß heute zum Beispiel, dass man von sauberer Luft allein nicht leben kann.“

„Und nun bricht unsere tapfere Heldin zu ihrem nächsten Kreuzzug auf, um die Stadt zu retten, was? Wie willst du das überhaupt machen mit der alten Mühle? Sie eignet sich doch gar nicht für deine Zwecke.“

„Sie eignet sich hervorragend. Die großen Räume sind genau das Richtige. Drinnen wird alles neu, aber der schöne alte Backsteinbau bleibt erhalten. Und natürlich fliegt die Kohlefeuerung raus, die die ganze Stadt eingeräuchert hat.“

Er grinste. „So eine Schande. Ich finde, diese dunkle Patina steht der Stadt ausgezeichnet. Das wäre doch nicht mehr Blackrock, wenn alles so aussehen würde wie das hier.“

Er zeigte auf die im Licht der Nachmittagssonne hell leuchtende Wand, in der die früher blinden Fenster wieder blinkten wie blanke Augen. Drei Stockwerke hoch blickte das Haus auf die Klippen und den Ort hinab. Würdevoll, aber trotzdem dezent und ein schönes Beispiel der Architektur des achtzehnten Jahrhunderts, passte es sich in die raue Umgebung der Felsenküste ein.

Ein Anflug von Stolz erfüllte Lilys Brust, als auch sie einen Blick auf die Wasserfront des Hauses warf. Als die Leute in den Straßen der Stadt sahen, wie sie sich ans Werk machte, waren sie gekommen, erst Einzelne, dann immer mehr. Jeder hatte geholfen. Die Frauen brachten Sandwiches und Kaffee, und als man gegen Abend fertig geworden war, klang dieser großartige Tag mit einem gemeinsamen Grillfest aus, das auf der von Unkraut überwucherten Terrasse gefeiert wurde. Alle hatten mit Bier und Limonade auf die Zukunft von Blackrock angestoßen. Anfangs hatte Lily noch gewarnt und gemeint, dass man durch eine solche Aktion möglicherweise mit dem Gesetz in Konflikt geraten könnte. Aber es hatte keinen gekümmert. Alle hatten an diesem Tag dieselbe Vision: die von einem Blackrock, das wie durch ein Wunder wieder auferstand.

„Du hättest sie sehen sollen“, sagte Lily zu Declan, als sie ihm davon mit leuchtenden Augen berichtete. „Es bedeutet ihnen so viel. Die Reinigung dieser Hausfassade ist wie das Signal für einen Neuanfang.“

„Du meinst die Beseitigung der letzten Spuren, die die verhasste Familie Gates hier im Ort hinterlassen hat?“

Den letzten Satz hatte er zwar mit unbewegter Miene ausgesprochen, aber Lily merkte wohl, dass er verletzt war, und es tat ihr leid. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Auch sie hatte ihren Teil dazu beigetragen, dass die Familie Gates in Blackrock isoliert war. Obendrein hatte sie damals ihre Freundschaft zu Declan verraten.

„Und der Fluch, der auf dem Haus liegt? Hast du den schon vergessen?“, fragte er. „Es spukt wirklich darin, wie die Leute sagen.“

„Dummes Zeug.“ Lily schüttelte ärgerlich den Kopf, obwohl sie zugeben musste, dass auch ihr das Haus immer ein wenig unheimlich gewesen war. Man konnte sich gut vorstellen, dass in den verlassenen Zimmern der Geist eines Piraten umging. „Ich glaube solchen Quatsch nicht. Selbst wenn es einen Fluch gibt, hat er bestimmt nichts mit dem Haus zu tun.“

„… sondern höchstens mit der Familie Gates, wolltest du doch sagen, oder? Auf der liegt allerdings tatsächlich ein Fluch.“

Plötzlich wurde Lily von einem Schauer erfasst. An der Küste wehten zuweilen auch bei wärmstem Wetter überraschend frische Brisen. Aber der Wind war es wohl nicht allein, der Lily frösteln ließ. Declans Anspielung war eindeutig: Nicht nur seine Eltern, auch seine beiden Brüder waren nicht mehr am Leben. Genaues wusste Lily über ihr Ende nicht, nur dass beide Geschwister nicht einmal fünfundzwanzig Jahre alt geworden waren.

Declan blickte aufs Meer hinaus. Vor dem klaren Himmel zeichnete sich sein ausdrucksvolles Profil ab. Schon in seiner Jugend hatte sein teuflisch gutes Aussehen den fatalen Ruf, den er genoss, noch unterstrichen. Er wischte sich mit der Hand über den Mund. „Und dann der mysteriöse Jagdunfall, der meinen Dad das Leben gekostet hat …“, sagte er nachdenklich. Er schien ihre Gedanken erraten zu haben. Er wandte sich Lily wieder zu. „Ich bin offenbar allein schon deshalb das schwarze Schaf der Familie, weil ich noch am Leben bin.“ Seine Züge wurden hart. „Tja, sieht so aus, als könntet ihr mich nicht so leicht loswerden, selbst du nicht, meine zauberhafte Lily.“

Lily zuckte zusammen. Bei der Erinnerung daran, wie er sie immer genannt hatte, wurde ihr heiß. Meine zauberhafte Lily, Lily, Lilie auf dem Feld. Hoch auf den Klippen waren sie gewesen, als er das zum ersten Mal gesagt hatte. Sie hatten nebeneinander im Klee gelegen und gemeinsam die Wolken betrachtet. Was für eine Zeit! Gemeinsam waren sie über die Wiesen gelaufen und hatten lachend Fangen gespielt, sich gegenseitig Pusteblumen ins Gesicht geblasen, waren durch die Erlenbrüche gestreift und hatten Frösche gefangen.

Lily biss sich auf die Lippen. Sie waren sich so nahe gewesen. Du bedeutest mir alles, hatte Declan immer wieder zu ihr gesagt, und das ernste Gesicht, das er bei diesen Worten machte, überzeugte sie davon, dass er es auch so meinte. Wie alt waren sie damals gewesen? Vierzehn? Fünfzehn?

Sie griff nach ihren Gartenhandschuhen, die neben ihr im Rosenstock hingen. Eine der Dornen ritzte ihr oberhalb der Hand die Haut auf, sodass sich am Ende des Kratzers ein Blutstropfen bildete.

Declan hatte es gesehen. „Hast du dir wehgetan? Zeig mal.“ Er streckte die Hand nach ihr aus, aber Lily machte einen Schritt rückwärts, als hätte sie Angst, er könnte sie beißen.

„Immer noch Angst vor mir, was?“, spottete er, während sie ihr zerkratztes Handgelenk mit der anderen Hand festhielt. „Oder sind es deine Gefühle, vor denen du dich fürchtest? Gefühle, die viel zu dunkel und unberechenbar sind, als dass ein Mitglied der Familie Wharton sie sich zugestehen könnte.“

Lilys Verwirrung nahm zu. Er kannte ihre empfindlichen Stellen viel zu genau. Declan war es gewesen, der in ihrer Jugend Leidenschaften und Abenteuerlust in ihr geweckt hatte. Er schien damals viel intensiver zu leben als all die anderen, und sie war glücklich, dass sie daran teilhaben durfte. Noch immer war das eine Erinnerung, die sie hütete wie einen Schatz.

Declan hatte immer eine neue verrückte Idee auf Lager. Mal verfolgte er Kojoten durch die Wälder, dann badete er in der Brandung, auch wenn es wegen des schweren Seegangs verboten war, kletterte an Felswänden hoch und nahm sich überhaupt alles heraus, was für jeden anderen zu waghalsig und zu provozierend gewesen wäre.

Declan hielt eine der dornigen Ranken zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete sie eingehend. „Diese hochgezüchteten Teerosen sind ein gutes Sinnbild. Wenn man sie nicht regelmäßig beschneidet, beginnen sie zu wuchern, und bald hat man nichts als hässliches Gestrüpp, das keine Blüten mehr trägt.“ Er ließ den Zweig los. „Die wilden Rosen hingegen wachsen und gedeihen, wie und wo sie wollen. Wind und Wetter können ihnen nichts anhaben, und sie blühen, ob sich jemand um sie kümmert oder nicht.“

Er trat dicht an Lily heran, zu dicht. Eine eigenartige Unruhe erwachte in ihr. Sie nahm seinen männlichen Duft wahr, der sich mit der salzigen Seeluft mischte. Declan sah ihr tief in die Augen. „Gehörst du noch zu den wilden Rosen, Lily? Überleg mal. Dann brauchst du deine Gefühle auch nicht zu beschneiden.“

Er hielt ihr die Hand hin, als wollte er ihr ein Friedensangebot machen.

Declan erwartete nicht, dass sie sein Angebot wirklich annahm. Trotzdem berührte es ihn eigenartig, als Lily ihren Blick senkte und kurz auf die ihr dargebotene Hand sah. Es lag etwas wie eine heimliche Hoffnung in ihrer Miene.

Lily sah ihm wieder ins Gesicht. „Behalte doch bitte deine Weisheiten für dich, Declan Gates. Meine Gefühle gehen dich einen feuchten Kehricht an.“

Die Art, wie sie stolz den Kopf hob, rief Bilder von früher in ihm wach. Sie hatte ihre niedliche Stupsnase immer schon ein bisschen zu hoch getragen und diese trotzige kleine Bewegung mit dem Kinn gemacht. Und sie hatte noch denselben makellosen rosigen Teint und denselben herausfordernden Blick in ihren haselnussbraunen Augen. Aber aus dem jungen Mädchen war eine attraktive Frau geworden.

Declan zog die Hand zurück. Ohne mit der Wimper zu zucken, steckte er die Zurechtweisung weg. „Da magst du recht haben“, sagte er. „Und nun möchte ich dich bitten, meinen Grund und Boden zu verlassen.“

Von einem Moment auf den anderen verhielt Declan sich kalt und abweisend. Er hatte das von frühester Jugend an gelernt. Wenn lange genug alle auf einem herumtrampeln, fällt es einem nicht mehr schwer, der Welt die kalte Schulter zu zeigen. Auch die unschuldige Prinzessin, die hier vor ihm stand, hatte zu guter Letzt zu denen gehört, die ihn von sich gestoßen hatten. Und auch jetzt wusste er, dass sie ihn nicht deshalb unzählige Male angerufen hatte, weil sie Sehnsucht nach einem Wiedersehen hatte, sondern weil sie etwas von ihm haben wollte.

Lily hielt seinem eisigen Blick stand. „Ich mache dir einen fairen Preis für das Haus und die Papiermühle. Ich kann ihn bezahlen. Meine Geschäfte laufen gut.“

„Ich sagte es schon: Weder das Haus noch die Mühle stehen zum Verkauf.“

Lily sah ihn eine Weile ratlos an.

„Was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen? Bist du jetzt beleidigt?“

Sie erschrak vor seiner Feindseligkeit. „Das ist nicht fair, Declan …“

„Was ist nicht fair? Dass ich nicht der nette Junge bin, der dir gibt, was du haben willst? Ich bin nie der nette Junge gewesen.“

„Es ist doch nicht für mich.“ Sie verschränkte die Hände ineinander. „Denk doch an die Menschen hier, denen man wieder Hoffnung machen könnte.“

Mit einem Mal war die Entschlossenheit dahin, mit der Declan ihr die kalte Schulter gezeigt hatte. Ihr Engagement, die Wärme und Furchtlosigkeit, mit der sie sich für andere einsetzte, entwaffneten selbst ihn. Seine zauberhafte Lily, immer freundlich zu jedermann – außer zu ihm. So süß mit ihren warmen braunen Augen. Warum besaß sie zu ihrem blonden Haar nicht kalte blaue Augen wie die meisten? Dann hätte er es leichter mit ihr.

Declan gab sich einen Ruck. „Ja, du und überhaupt die Whartons und euer Blackrock, das kleine Paradies am Rande des Ozeans.“ Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. „Bis die bösen Gates kamen und alles kaputt machten. Und jetzt willst du auch den Letzten von ihnen loswerden. Nein, meine Liebe. So leicht geht das nicht. Ich behalte beides, das Haus und die Mühle.“

„Und was willst du damit anfangen?“

Er sah in das Gesicht, das er einst so geliebt hatte. „Gar nichts. Ich lasse sie verfallen und warte ab, bis die letzten Trümmer davon ins Meer stürzen – zusammen mit den grässlichen Erinnerungen, die darin hausen.“

Lily starrte ihn eine Weile sprachlos an. Dann drehte sie sich um und lief davon, wie er es vorhergesehen hatte. Nein, er war nicht der nette Junge, er war es nie gewesen. Noch einmal glitt sein Blick die von der Sonne beleuchtete helle Hauswand hinauf, die einst so düster und drohend gewirkt hatte.

Dieser Platz am Meer, das unten schäumte, hatte immer noch seinen Zauber für ihn mit dem weiten Himmel über den Granitfelsen, den Möwen, die sich darüber schreiend in die Höhe schraubten, dem Geruch von Salz und Seetang. Liebe Güte, wie lange war es her, dass er hier gewesen war? Zehn Jahre.

Er hörte, wie hinter dem Haus der Motor von Lilys Kombi ansprang und sie davonfuhr. Es ließ sich nicht leugnen: Sie war es, die ihn hierher zurückgebracht hatte. Sie besaß seit jeher eine Art Macht über ihn.

Lilys Interesse für das Haus und ihre Privatkampagne für die Stadt trafen ihn nicht unvorbereitet. Declan hatte davon gehört, als das örtliche Maklerbüro ihn angerufen und nachgefragt hatte, ob er die Objekte nicht anbieten wolle. „Blackrock macht sich wieder“, hatte man ihm gesagt.

Vor langer, langer Zeit hätte er Lily alles gegeben, was sie von ihm verlangte. Aber diese Zeiten waren vorbei. Dieses Mal sollte Lily ihren hübschen Kopf nicht durchsetzen.

2. KAPITEL

Mit festem Schritt ging Lily durch die Straßenschluchten in Manhattan. Rhythmisch klickten ihre Absätze auf den Steinplatten. Sie hatte nachgedacht und war zu einem Entschluss gekommen. Declan Gates war in erster Linie Geschäftsmann. Und die Sprache, die jeder Geschäftsmann verstand, war Geld. Wenn sie ihm ein unwiderstehliches Angebot machte, dürfte ihm das Ablehnen schwerfallen.

Lily war als erfolgreiche Geschäftsfrau durchaus imstande, rational zu denken. So vermochte sie nicht einzusehen, warum etwas so Irrationales wie eine alte Familienfehde oder ihre persönlichen Schwierigkeiten mit Declan der Stadt die Zukunft verbauen sollten.

Da es auf normalem Wege nicht möglich gewesen war, einen Termin bei Declan zu bekommen, hatte sie zu einer List greifen müssen. Sie hatte in Declans Büro angerufen und vorgegeben, die Fahrerin einer von ihm bestellten Limousine zu sein. Sie wolle nur nachfragen, wo er jetzt abgeholt werden könne. Man hatte ihr eine Adresse genannt, und so stand Lily jetzt vor einer beeindruckenden Stadtvilla aus den Siebzigern des neunzehnten Jahrhunderts. Die würdige Sandsteinfassade und das schmiedeeiserne Tor erinnerten eher an ein Botschafts- oder Konsulatsgebäude.

Lily läutete an der Tür und schrak zusammen, als diese sich fast im selben Moment öffnete.

Vor ihr stand ein Butler. Lily traute ihren Augen kaum. Es war ein richtiger Butler mit grau-schwarz gestreiften Hosen und einer Fliege. Sie fasste sich und brachte flüssig ihr Anliegen vor: Sie sei von Mr. Gates gebeten worden, ihn hier zu treffen.

Höflich bat der Butler sie ins Haus. Merkwürdig, wie man lügen kann, ohne rot zu werden, wenn man etwas wirklich will, dachte Lily. Sie folgte dem Butler, der sich als Jeeves vorgestellt hatte, durch die in schwarzem und weißem Marmor gehaltene Halle zu einem altertümlichen Fahrstuhl, dessen verschnörkelte Messingteile gerade frisch geputzt zu sein schienen. Jeeves drückte für sie den Knopf für den dritten Stock und ließ sie dann allein hinauffahren.

Als sie, oben angekommen, die Türen des Lifts öffnete, hörte sie als Erstes einen scharfen metallischen Klang, den sie nicht einordnen konnte. Sie trat in einen großen lichtdurchfluteten Raum und erblickte zu ihrer Verwunderung zwei Männer, die bewaffnet aufeinander losgingen. Die stählernen Klingen blitzten im einfallenden Sonnenlicht. Ganz offensichtlich war es nicht das zierliche Florett, mit dem gefochten wurde.

Klirrend schlugen die Klingen gegeneinander. Lily konnte keines der Gesichter ausmachen, denn beide Kämpfer trugen engmaschige Fechtmasken. Gebannt verfolgte Lily das Schauspiel von Finten, Vorstößen und Paraden. Die beiden Kontrahenten waren so sehr in ihren Kampf vertieft, dass keiner von beiden ihr Kommen bemerkt hatte. Einer von ihnen bestach durch seine Eleganz und Geschmeidigkeit, der andere war ein echter Draufgänger.

„Treffer!“

„Verdammt, Gates. Wie oft muss ich dir noch sagen: Es heißt touché.“

„Ein Treffer war es trotzdem. Der fünfzehnte.“

„Deine Technik musst du noch verbessern, aber du bist ein harter Hund. Das muss man dir lassen.“

„Für mich ist das ein Kompliment.“

Die Männer traten zurück und nahmen ihre Masken ab. Declans schwarzes Haar war zerzaust und verschwitzt.

Als er seine Umgebung wieder wahrnahm, sah Declan ein paar Schritte entfernt Lily stehen. Im ersten Moment dachte er, er habe eine Erscheinung. Lily stand im Gegenlicht. Der durch ein Fenster hinter ihr einfallende Sonnenschein ließ das blonde Haar leuchten, sodass es aussah, als umgebe sie eine Art Heiligenschein. Hätte Declan es nicht besser gewusst, hätte er sie für einen Engel gehalten.

„Meine zauberhafte Lily“, rief er aus. „Was verschafft mir die Ehre? Vermutlich bist du nicht gekommen, um meine Fechtkünste zu bewundern. Darf ich dir Sir Charles vorstellen?“

Er deutete auf seinen Partner, einen strohblonden typischen Briten, der Lily freundlich die Hand schüttelte.

„Es freut mich sehr“, sagte Lily verbindlich. „Besonders dass Declan Sie nicht aufgespießt hat.“

„An Versuchen hat er es nicht fehlen lassen. An Ihrer Stelle würde ich mich vor diesem Kerl in Acht nehmen.“ Sie lachten.

Declan ließ Lily die ganze Zeit nicht aus den Augen. Es ärgerte ihn insgeheim ein wenig, dass die beiden sich offenbar auf Anhieb sympathisch waren. „Lily weiß sich schon zu wehren. Wir kennen uns lange genug“, bemerkte er.

Es entstand eine seltsame Pause.

„Na, dann will ich mich mal umziehen. Declan, wir sehen uns nächste Woche.“ Sir Charles verabschiedete sich und ging zum Fahrstuhl. Declan erwiderte den Gruß zerstreut, ohne die Augen von Lily zu lassen.

Als Sir Charles verschwunden war, fuhr sie sich durch ihren blonden, vom Wind draußen zerzausten Schopf. „Warum starrst du mich die ganze Zeit so an?“, fragte sie.

„Ich habe dich so viele Jahre nicht gesehen. Ich muss mich erst wieder an deinen Anblick gewöhnen.“ Declan stellte sich vor, wie es sich anfühlte, wenn er Lily durchs Haar strich.

Offenbar um seinem bohrenden Blick auszuweichen, drehte sich Lily um und ging zum Fenster. Ihre Absätze klickten auf dem Parkett. Declan betrachtete ihre Kurven in dem engen Kostüm und ihre schönen langen Beine, die einen Mann um den Schlaf bringen konnten.

Als sie sich wieder umdrehte, runzelte sie die Stirn. „Declan, ich bin gekommen, um dir einen Vorschlag zu machen.“

Er ließ die Waffe sinken, mit der er herumgespielt hatte. „Klingt interessant. Hoffentlich so etwas wie einen romantischen Strandspaziergang im Mondschein.“

Sie machte eine unwillige Handbewegung. „Ich wollte dir einen Preis für das Haus nennen.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass es nicht zu verkaufen ist.“

„Komm schon, wir sind Geschäftsleute und wissen beide, dass alles seinen Preis hat. Ich sehe ein, dass du in der besseren Position bist. Wenn du also einen Preis nennen möchtest, tu das.“ Sie reckte entschlossen das Kinn ein Stück vor. „Du wirst ihn bekommen.“

Ihr finster entschlossener Gesichtsausdruck belustigte Declan, und er musste sich das Lachen verkneifen. Lily machte genau den gleichen Fehler, den die meisten anderen machten, wenn sie mit ihm geschäftlich verhandelten. Alle dachten sie, es ginge ihm allein ums Geld. Versonnen fuhr er mit der Fingerkuppe über die ungeschützte Spitze seines Degens. Sie hatten keine Ahnung. Geld hatte er genug. Viel aufregender und reizvoller war der Wettbewerb, das Spiel. Es war der Kitzel der Jagd: Fährte aufnehmen, stellen, zur Strecke bringen. Gerade in Lilys Fall würde ihm etwas ganz anderes einfallen als Geld, womit sie ihn – eventuell – umstimmen könnte. Er merkte mit einem Mal, wie heiß ihm in seinem Fechtanzug geworden war.

Lily straffte die Schultern. „Ich biete dir fünf Millionen für das Haus und die Papiermühle.“

„Fünf Millionen?“ Er prustete verächtlich. Dabei kannte er das Gebot der Immobilienmakler der Umgegend, die seit dem Tod seiner Mutter wie die Geier über Blackrock kreisten: nicht mehr als zweieinhalb Millionen Dollar für beide Objekte zusammen in ihrem gegenwärtigen Zustand. „Du würdest wohl jeden Preis zahlen, um mich wieder loszuwerden, was? Ich finde das sehr verletzend, Lily.“

Sie erwiderte seinen geringschätzigen Blick. „Was könnte dich schon verletzen, Declan Gates? Du bist genauso kalt und gefühllos wie der Stahl, den du da in der Hand hältst.“

Normalerweise hätte Declan über einen solchen Vorwurf nur milde gelächelt. Es schmeichelte ihm eher, wenn man ihm Kälte und Berechnung in der Abwicklung seiner Geschäfte vorhielt. Jetzt aber traf es ihn doch empfindlich, dass Lily offenbar jedes Mittel recht war, ihn aus ihrem Gesichtskreis zu verbannen. Vom Stand eines Geschäftsmannes aus konnte er nichts Besseres tun, als Lilys Angebot auf der Stelle zu akzeptieren und die Grundstücke so schnell wie möglich überschreiben zu lassen. So aber verletzten ihr Angebot und die Absicht dahinter seinen männlichen Stolz.

„Fünf Millionen sind für dich sicherlich kein Pappenstiel“, meinte er orakelhaft.

Lily fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. Declan sah das und spürte augenblicklich ein heftiges Verlangen. Lily wusste, dass fünf Millionen für ihn Peanuts waren. Immerhin war er inzwischen milliardenschwer. „Fünf Millionen sind auf jeden Fall ein Gebot, das mehr als fair ist“, erklärte sie betont kühl.

Fair – das war für Declan ein Fremdwort. Das Leben war auch nicht fair mit ihm umgesprungen. Es hatte damit angefangen, dass sein Vater von einer Jagd nicht heimgekommen war. Man fand ihn später verblutet im Wald. So blieben er und seine beiden Brüder der kalten selbstsüchtigen Mutter überlassen. Später verlor er vorzeitig seine älteren Geschwister. Und fair war es auch nicht, dass seine zauberhafte Lily ihn vor zehn Jahren kalt von sich gestoßen und verleugnet hatte. Damals hatte sie sein Glück in Händen gehalten – und zerstört. Jetzt schienen sich die Vorzeichen verkehrt zu haben.

„Zehn Millionen“, sagte er kurz entschlossen und ließ die Stahlklinge in der Sonne blitzen.

Sie starrte ihn einen Moment lang ungläubig an. „Das ist doch nicht dein Ernst!“

„Ich scherze nie, wenn es ums Geschäft geht.“

Lily zögerte zwei Sekunden, dann sagte sie: „Gut, abgemacht.“

Wieder gab es ihm einen Stich. Lily schien tatsächlich bereit zu sein, jeden Preis zu zahlen, damit er endlich verschwand und sie nie wieder mit ihm etwas zu tun haben musste. Aber er verzog keine Miene. Er klemmte den Degen unter den Arm, trat auf sie zu und küsste ihr mit einer galanten Verbeugung die Hand. Als er ihr wieder in die Augen sah, bemerkte er ein merkwürdiges Aufflackern in ihrem Blick.

Lilys Unternehmen gedieh zwar prächtig, hatte aber nicht das Potenzial, zehn Millionen Dollar aus eigener Kraft außerplanmäßig zu investieren. Um die Kaufsumme aufzubringen, musste Lily sich entweder ganz erheblich verschulden oder mit ihrem Betrieb den Börsengang wagen. Beides machte sie abhängig von anderen. Declan wusste das ganz genau. Er hatte sie jetzt in der Hand, und sein Griff war hart wie eine Eisenklammer.

Mit einer knappen förmlichen Verbeugung verabschiedete sich Declan von Lily. „Ich erwarte also deine Zahlung“, bemerkte er, bevor er rückwärts den Raum verließ, ohne sie aus den Augen zu lassen. Er musste die Trümpfe, die sie ihm in die Hand gespielt hatte, nur geschickt genug einsetzen. Dann konnte er das Haus samt Mühle, Lilys kleines, aber feines Unternehmen und dessen Eigentümerin dazugewinnen. Declan konnte den Triumph geradezu schmecken, so süß war er.

„Diese Gates sind doch allesamt immer nur hinter dem Geld her“, schimpfte Lilys Mutter, während sie die leeren Meißener Teetassen abräumte und aufs Tablett stellte. „Aber sie können Reichtümer zusammenraffen, so viel sie wollen, sie werden immer kulturlose Emporkömmlinge und Banausen bleiben.“ Wütend stapfte sie mit dem Tablett in die enge Küche des kleinen Holzhauses im Kolonialstil, das die Familie seit 1930 bewohnte.

Lily trug ihr den Teller mit dem übrig gebliebenen Teegebäck hinterher. „Aber Mom, sieh es doch mal von der positiven Seite. Da ich nun einmal die Einzige in der überlieferten Geschichte der Familie Wharton bin, die es zu geschäftlichem Erfolg gebracht hat, haben wir die Chance, das Haus zurückzukaufen.“ Sie verstaute das Gebäck in dem hölzernen Brotkasten.

„Du weißt, dass ich dich für deinen Erfolg bewundere, und deine Entwürfe sind wirklich fantastisch. Trotzdem denke ich, dass es noch andere Dinge gibt als nur die Arbeit. Kannst du nicht ein paar deiner Aufgaben abgeben?“ Mrs. Wharton streifte sich rosa Gummihandschuhe über und machte sich an den Abwasch.

Lily schlug die Klappe des Brotkastens zu. „Aber mir liegt das Geschäftliche. Wenn ich nicht zufällig eine Ader für Design hätte, würde ich andere Sachen verkaufen. Rattenfallen zum Beispiel.“

„Sehr witzig.“ Lilys Mutter ließ sich nicht beirren. „Ich weiß, dass du mich für altmodisch hältst, aber unsere Familie hat immer auf ein gewisses intellektuelles Niveau gehalten. Mit deinem Kopf bist du geradezu prädestiniert für eine akademische Laufbahn.“

„Mom, lass es gut sein. Ich bin für dieses theoretische Zeug nicht geschaffen. Dad war bestimmt der wunderbarste und bewunderungswürdigste Mensch, den es je gab. Aber ich bin anders als er. Ich habe Freude daran zu planen, Geschäfte abzuschließen und mein eigenes Unternehmen wachsen zu sehen.“

„Ich finde, das schickt sich nicht für eine Frau deiner Herkunft“, murrte Mrs. Wharton, während sie die Tassen spülte.

Lily holte tief Luft. Sie liebte ihre Mutter sehr. Trotzdem sehnte sie sich zuweilen danach, ihre eigenen vier Wände zu haben. „Ich habe mich entschlossen, mit meinem Unternehmen an die Börse zu gehen“, erklärte sie.

„Was? Warum das denn?“

„Mit dem Börsengang könnte ich das nötige Kapital aufbringen, um das Haus und die Papiermühle zu kaufen.“

„Ich dachte, Declan hätte den Verkauf abgelehnt.“

„Ich war noch einmal bei ihm.“ Lily war bemüht, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Seitdem sie der Summe von zehn Millionen zugestimmt hatte, hatte sie Bauchschmerzen bei jedem Gedanken an diesen Pakt.

„Du solltest dich von diesem Mann lieber fernhalten. Der hat schon als Junge nichts als Ärger gemacht.“ Mrs. Wharton trocknete die Teetassen ab und warf Lily über den Rand ihrer Brille einen strengen Blick zu, wie Lily ihn schon seit ihrer Kindheit kannte.

Lily unterdrückte einen Seufzer. „Mom, ich habe mich nicht mit ihm fürs Kino verabredet. Ich bemühe mich, unseren Familienstammsitz zurückzubekommen.“

„Und was hat er gesagt?“

„Er sagte, dass er das Haus und die Mühle an mich verkauft – für zusammen zehn Millionen Dollar.“

„Zehn Millionen? Das ist glatter Wucher!“

„Es ist viel. Vermutlich ein ganzes Stück mehr, als das Ganze wert ist.“

„Ein gewaltiges Stück mehr.“

Lily schluckte trocken. „Ich weiß. Aber mir bedeutet es nun einmal mehr, als mit Geld zu bezahlen ist. Allein die Mühle: Wenn man sie umbaut, könnte es wieder Arbeit in Blackrock geben. Über kurz oder lang wird Blackrock zu einer Geisterstadt, wenn nichts passiert, Mom. Die meisten Leute, mit denen ich auf die Highschool gegangen bin, sind weggezogen – nach Bangor oder nach Portland. Kinder siehst du hier immer weniger. Es wird nur noch ein paar Jahre dauern, dann muss die Schule geschlossen werden, weil sie nicht mehr genug Anmeldungen hat.“ Sie bemühte sich, ihre Stimme ruhig zu halten. „Ich finde, zehn Millionen in die Zukunft dieser Stadt zu investieren lohnt sich. Abgesehen davon würde ich fast alles darum geben, dieses wunderbare Haus zurückzubekommen. Es wird noch tausend Jahre stehen, wenn man sich darum kümmert und es instand hält. Wenn nicht, ist es in ein paar Jahren eine Ruine.“

Ihre Mutter ließ die Hände sinken, blickte an Lily vorbei und schwieg. Sie sehnte sich selbst nach dem Haus zurück. Lily wusste das. Dann hängte die alte Dame das Geschirrtuch auf, streifte die Handschuhe ab und legte sie beiseite. „Vielleicht hast du recht, Liebes.“ Sie ließ das Spülwasser aus dem Becken. „Die Familie Gates hat immer nur eine Sprache verstanden, die Sprache des Geldes. Und wenn du Declan ausgezahlt hast, sind wir ihn als Letzten dieser unsäglichen Sippe hoffentlich ein für alle Mal los.“

„Genau“, antwortete Lily mit gepresster Stimme.

Gehörst du noch zu den wilden Rosen, Lily? Declans merkwürdige Frage fiel ihr mit einem Mal ein, und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Es war nun einmal Declans Art. Er versuchte immer, sie zu verunsichern. In Wirklichkeit bedeutete sie ihm nichts. So wenig, wie er ihr bedeutete.

Gar nichts.

3. KAPITEL

Declan stimmte sofort zu, als sich ein Agent von Macy’s bei ihm meldete und anfragte, ob es möglich sei, das Haus in Blackrock anzumieten. Die PR-Abteilung des großen New Yorker Kaufhauses bereite den nächsten Saisonkatalog vor. Man habe das Haus über einen Makler zufällig entdeckt; es sei geradezu die ideale Location für ein Fotoshooting. Lass sie ihre Modeaufnahmen machen, dachte er, dann hat Lily wenigstens für diese Zeit in dem Haus nichts verloren.

Die nächsten Wochen kam er nicht dazu, an Blackrock oder an Lily zu denken. Er war mit einer Transaktion in Hongkong beschäftigt, bei der es darum ging, ein größeres Textilunternehmen aufzukaufen, das er anschließend stückweise weiterveräußern wollte. Dieses komplizierte Unterfangen beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit.

In der ersten Post, die ihm seine Sekretärin brachte, als er zurück in seinem New Yorker Büro war, fand Declan dann einen handgeschriebenen Brief auf Macy’s-Geschäftspapier.

Hallo Declan, das Shooting ist reibungslos über die Bühne gegangen. Das Haus ist wirklich ein Schmuckstück. Dank Lily Wharton hat dieser Rohdiamant jetzt den richtigen Schliff bekommen. Ihre Deko war wundervoll. Wir haben Vorhänge und einiges andere dortgelassen, denn wir haben keine weitere Verwendung dafür, und sie abzunehmen kostet nur Geld. Es wäre schön, wenn wir diese Zusammenarbeit gelegentlich fortsetzen könnten. Zum Beispiel würde sich, meint unser Fotograf, unsere neue Schuhkollektion auf der Schieferterrasse hervorragend machen. Wir hören voneinander. Beste Grüße, Rosemarie

Declans Blutdruck schnellte nach oben. Dank Lily Wharton? Daher wehte also der Wind! Er warf noch einen Blick auf den Brief, griff nach dem Telefon und wählte die Nummer, die auf dem Blatt vermerkt war. Er wollte sich seine Vermutung bestätigen lassen und war sich dennoch bereits sicher, dass man ihn hinters Licht geführt hatte.

Auf dem Weg nach Blackrock hatte Declan Gelegenheit zu testen, was in seinem neuen silbergrauen BMW Roadster steckte. Gleichzeitig nutzte er die Fahrt, um sich abzureagieren. Diese Frau schreckte anscheinend vor nichts zurück. Da sie keinen Schlüssel zum Haus hatte, hatte sie schlauerweise den Umweg über Macy’s gewählt, um hineinzukommen. Von ihrem endgültigen Entschluss, mit ihrem Unternehmen an die Börse zu gehen, hatte Declan schon gehört.

Wenn sie sich einbildete, sie hätte leichtes Spiel mit ihm, sollte sie sich täuschen. Er war kein kleiner Junge mehr, und noch einmal sollte es ihm nicht passieren, dass sie ihn so abservierte wie damals.

Die Abendsonne warf einen rötlichen Schimmer auf die Fassade des Hauses, als er in Blackrock ankam und kurz darauf die Zufahrt hinauffuhr. Auf dem Kies des Vorplatzes parkte ein wohlbekannter weißer Kombi. Declan stellte seinen BMW daneben ab und ging zum Eingang.

„Hallo?“, rief er ins Haus. Seine Stimme hallte in der leeren Vorhalle wider.

Es war ein eigenartiges Gefühl, nach zehn Jahren den Fuß über diese Schwelle zu setzen. Das ganze Haus bereitete ihm Unbehagen.

Als sich seine Augen an das Dämmerlicht in der Halle gewöhnt hatten, entdeckte er einen Lichtschimmer am Ende eines Flurs. Der schwache schmale Schein kam unter der Tür zu dem Zimmer durch, das früher das Wohnzimmer seiner Mutter gewesen war. Ein beklemmendes Gefühl ergriff ihn und ließ ihn zögern, darauf zuzugehen. Es war, als sei sie zurückgekehrt – seine Mutter, die alte Hexe auf den Klippen, was noch eines der wohlwollenderen Attribute war, die man seiner Mutter früher im Ort verliehen hatte. Vielleicht war sie auch gar nicht fort gewesen, sondern hier geblieben, um die Bewohner dieser Mauern noch als Tote zu drangsalieren, wie sie es schon zu Lebzeiten getan hatte.

Er ging den Flur hinunter. Die Ledersohlen seiner Schuhe machten kaum ein Geräusch auf den glatten Steinplatten, mit denen der Boden gefliest war. Die Tür war nur angelehnt. Declan steckte den Kopf ins Zimmer und erschrak selbst, als Lily einen entsetzten Schrei ausstieß.

„Mein Gott, Declan. Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen. Was machst du denn hier?“

„Das sollte ich dich fragen. Das ist immer noch mein Haus.“

Lily trug ausgebeulte Kakihosen und hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, womit sie ein ganz anderes Bild abgab als bei ihrer letzten Begegnung in New York. „Ich bin gekommen, um nach dem Fototermin ein wenig aufzuräumen und sauber zu machen. Komm herein.“

Declan trat ein und sah sich um. An den Wänden hingen neue Tapeten in einem freundlichen hellen Gelb mit einem dezenten blaugrauen Blattmuster. Die Deckenlampe im Arts-and-Crafts-Stil, die zu der Zeit, da Declan hier gewohnt hatte, zerbrochen war, war instand gesetzt worden und verbreitete ein warmes Licht. An den großen Fenstern hingen schwere Brokatvorhänge passend zum Blaugrau des Blattmusters der Tapeten.

Der große runde Spieltisch in der Mitte des Raums war von seinem fleckigen grünen Bezug – und natürlich auch von den Bergen alter Zeitungen, ohne die Declan ihn nicht kannte – befreit worden und seine polierte Oberfläche zeigte einen weichen, satten Schimmer, der an dunklen Honig erinnerte. Auch der Parkettboden erstrahlte in neuem Glanz.

Declan war wie vor den Kopf geschlagen und konnte seine ehrliche Bewunderung nicht verbergen. „Oh verdammt! Ich kann kaum glauben, dass das dasselbe Zimmer ist. Ich hatte es düster und verraucht in Erinnerung.“

Lily freute sich heimlich über seine Reaktion. „Ja, warme Farben machen eine Menge aus. Außerdem hatte der Kamin die Wände und die Decke ganz verrußt. Alles kommt jetzt viel besser zur Geltung.“ Sie fuhr mit den Fingerspitzen leicht über die Holzleiste, die an der Wand rund ums Zimmer lief und wie alles andere einen zufriedenen Glanz ausstrahlte. „Walnuss. Alles hier drinnen ist solidestes, feinstes Handwerk.“

Zum ersten Mal fiel Declan die Schönheit des Stucks an der in frischem Weiß getünchten Decke auf.

„Gestern sah es noch schöner aus, als das Zimmer richtig eingerichtet war“, erklärte Lily. „Die Leute von Macy’s hatten etliches mitgebracht, Möbel, Nippes, alles Mögliche. Das haben sie natürlich wieder mitgenommen. Aber es wäre ja Unsinn gewesen, die Tapeten wieder abzureißen und die Vorhänge abzunehmen, die extra für diese Fenster angefertigt wurden. Schau mal her, was aus dieser Chaiselongue geworden ist.“

Das gute Stück war aufpoliert wie die anderen Möbel und zusätzlich neu bezogen worden. Lily ließ sich vergnügt hineinfallen.

Declan erstarrte, als er sah, was sie tat. Die Chaiselongue war der Thron seiner Mutter gewesen. Er konnte sich die Couch kaum anders vorstellen als ausgefüllt von einem voluminösen Körper, eingehüllt in einen wallenden Kaftan – ein Bild, das ihn heute noch verfolgte.

„Das war der Platz meiner Mutter“, bemerkte er halblaut.

„Oh, entschuldige. Wie gedankenlos von mir.“ Sie sprang auf.

Lily schämte sich ein wenig. Sie hatte sich von ihrer Begeisterung über die gelungene Verwandlung des Hauses hinreißen lassen. Ihr wurde klar, dass sich Declan in diesem Augenblick ähnlich fühlen musste, wie sich die Whartons damals gefühlt hatten, als die Familie Gates von dem Haus und seiner Einrichtung Besitz ergriffen hatte. Außerdem war gar nicht ausgemacht, dass er den grundlegenden Wandel genauso begrüßte wie sie. „Du findest es grauenvoll, stimmt’s?“, erkundigte sie sich schuldbewusst.

„Nein, nein …“ Declan fuhr sich durchs Haar und blickte sich noch einmal um. „Es sieht – sehr schön aus.“

„Danke.“ Lily beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er schien seinen sonst unerschütterlichen und fast arrogant wirkenden Gleichmut verloren zu haben. So unsicher wie jetzt hatte sie ihn noch nie erlebt. Am liebsten wäre sie zu ihm gegangen und hätte ihn in die Arme genommen, um ihm den Trost zu schenken, den er in diesem Augenblick anscheinend brauchte und den er in diesem Hause nie bekommen hatte. Sie tat es nicht.

„Die Sachen, die du hier siehst“, erklärte sie stattdessen, „sind neu in meinem Sortiment. Ab Herbst sind sie bei Macy’s zu kaufen. Ich bin richtig stolz darauf. Auch wenn du genau hinsiehst, sind sie von Handarbeit nicht zu unterscheiden und trotzdem erschwinglich. In dem neuen Katalog von Macy’s werden sie auch erwähnt. Ich verspreche mir einiges davon.“

Declan sah sie eine Weile an, als hätte er nicht zugehört. Dann hatte er sich wieder im Griff. „Wenn ich gewusst hätte, dass du dahintersteckst, hätte ich auf die Miete noch ein Sümmchen aufgeschlagen.“

„Wenn du es gewusst hättest, hättest du gleich Nein gesagt.“

„Kann auch sein. Aber wahrscheinlich wäre auch das für dich kein Hindernis gewesen.“ Hatte sie sich verhört oder blitzte da eben eine Spur von Declans altem gutmütigen Humor in seinen Worten auf? „Hast du noch mehr im Haus getan? Du hast es doch bestimmt nicht bei einem Zimmer bewenden lassen.“

Lily fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Nur was für das Shooting notwendig war. Das heißt: die Bibliothek noch, das Esszimmer und die beiden Schlafzimmer oben.“

Declan lachte laut auf. „Die Schlösser hast du aber noch nicht ausgetauscht, oder?“

„Du hast Rosemarie die ausdrückliche Erlaubnis gegeben, alle nicht-baulichen Veränderungen vorzunehmen, die sie wollte. Sie hat die Räume selbst ausgesucht, in denen die Aufnahmen gemacht werden sollten. Ich habe eigentlich nur das Material geliefert und sie ein bisschen beraten.“ Im Stillen fürchtete Lily, dass sie den Bogen womöglich doch überspannt hatte.

Fast unmerklich zuckte ein Lächeln in seinem Mundwinkel. „Na klar, das war natürlich alles Rosemaries Idee. Dass du die Schlafzimmer renoviert hast, finde ich übrigens ausgezeichnet. Man kann nie wissen. Vielleicht richte ich mich hier noch ein und bleibe ein paar Nächte.“

Lily erschrak. Konnte es sein, dass Declan durch ihr Zutun das Haus wieder so lieb gewann, dass er es am Ende doch nicht verkaufen würde? „Das letzte Mal, dass du hier geschlafen hast, gingst du noch auf die Highschool. Merkwürdig, nicht?“

„Du hättest dem Haus auch so früh wie möglich den Rücken gekehrt, wenn du es so kennengelernt hättest wie ich. Bist du schon im Keller gewesen?“

Die Frage klang so, als berge der Keller ein düsteres Geheimnis. Lily lief ein Schauer über den Rücken. „Nein“, antwortete sie zögernd. „Warum sollte ich? Außerdem war an dem Schlüsselbund, den du Rosemarie gegeben hast, kein Schlüssel für die Kellertür. Was gibt es denn da zu sehen?“

Declan zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Der Keller war für meine Brüder und mich tabu. Dafür hat meine Mutter gesorgt. Wir durften nicht einmal in die Nähe der Kellertür.“

„Hast du eine Vermutung, warum?“ Lilys Neugier war erwacht, auch wenn sie versuchte, sie zu verbergen.

Er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Ich kann mir alles Mögliche vorstellen. Wie du weißt, waren die Gates keine Musterknaben. Schwarzmarktgeschäfte, illegale Waffenschiebereien …“

„Den schwarzgebrannten Schnaps nicht zu vergessen.“

„Der gute alte Moonshine – das war mal der beliebteste Whiskey hier im Nordosten.“ Declan geriet geradezu ins Schwärmen.

„Wann ist die Produktion denn eingestellt worden?“

„Ich kann es nur vermuten. Ich tippe, als die Prohibition aufgehoben wurde und man wieder überall legal Alkohol kaufen konnte. Da lohnte sich das Brennen wohl nicht mehr. Das war auch ungefähr zur selben Zeit, als der Betrieb des Zellstoffwerks in der Mühle aufgenommen wurde und die Familie sich wieder einem ehrbaren Broterwerb zuwandte.“ Er warf Lily einen vielsagenden Blick zu. „Und damit der Stadt diesen würzigen Schwefelduft bescherte. Es gibt also die unterschiedlichsten Möglichkeiten, was sich da unten verbergen könnte. An deiner Stelle wäre ich nicht so neugierig.“

„Ach, Unsinn. Was wird es da groß geben? Willst du mir weismachen, da liegen vermoderte Skelette herum?“

Ein leichtes Gruseln empfand Lily doch, als sie das aussprach. Sie traute der ehemaligen Hausherrin allerhand zu. Arabella Gates war das einzige Mitglied der berüchtigten Familie außer Declan, das Lily persönlich kennengelernt hatte. Der Vater war schon tot, als sie mit Declan zusammenkam, und die Brüder waren bereits beide von der Highschool geflogen, hatten die Stadt verlassen und lebten nur noch in der Legende fort.

„Skelette, meinst du?“, fragte Declan leicht belustigt. „Warum nicht? Zu Zeiten des Moonshine gab es hier im Haus jeden Freitag und Samstag auch ein Speakeasy, einen illegalen Ausschank. Gut möglich, dass der Schnaps die Leute wild gemacht hat und die dann was weiß ich für Dummheiten angestellt haben. Du kannst dir ja denken, wie es dabei zugeht.“

Lily wehrte ab. „Ich habe, Gott sei dank, nicht die geringste Ahnung. Ich war in meinem ganzen Leben noch niemals betrunken und für wilde Partys hatte ich auch nichts übrig.“ Dass sie in ihren jungen Jahren schon ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut hatte, verdankte sie nicht zuletzt der Tatsache, dass sie sich auf dem College mehr um ihre Bücher als um die üblichen Vergnügungen gekümmert hatte und auch noch zu späterer Stunde in der Bibliothek weitaus häufiger anzutreffen war als in der Disko.

Declan lachte auf. „Ach, du Arme.“

Es ärgerte Lily, dass er sich über sie lustig machte.

Noch mehr ärgerte sie, dass sie das ganze Gespräch über immer wieder seine tadellose Figur bewundern musste, die breiten Schultern, die schmalen Hüften. Sie dachte daran, wie sie ihn hatte fechten sehen, und stellte sich unwillkürlich seinen durchtrainierten Körper ohne den dunkelgrauen Maßanzug vor.

„Und was ist“, neckte Declan sie weiter, „wenn du unten etwas vorfindest, das dir das Haus verleidet, für das du zehn Millionen Dollar geboten hast?“

Jedes Mal zuckte Lily bei dieser Zahl zusammen, und sie spürte den kalten Schweiß auf der Stirn. „Ach, das ist doch alles nur Gerede. Ich gehe jetzt runter und sehe selbst nach.“

„Und wie willst du hineinkommen ohne Schlüssel?“

„Ich breche die Tür auf.“

„Die ist aber ziemlich solide.“

„Mir egal. Ich finde schon einen Weg.“

Declan steckte die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich an die Wand. „Viel Vergnügen.“

Tatsächlich ging es so aus, dass es Declan war, der die Sache in die Hand nahm. Es dauerte eine Stunde. Sie versuchten es zunächst mit einem Schraubenzieher und einer halben Flasche Salatöl. Aber dem Schloss war nicht beizukommen. Dann ging Declan daran und schraubte die Scharniere los, bevor er sich mit aller Gewalt gegen die Tür warf. Auch das brachte zunächst nicht den gewünschten Erfolg.

Declan holte eine Axt aus der abseits vom Haus gelegenen Garage, die überwiegend als Abstellraum und Geräteschuppen diente. Als Lily die rötliche Färbung auf dem Blatt der Axt sah, beruhigte sie sich damit, dass es sicherlich nur Rost war. Das ganze Gerede über den Keller hatte ihre Fantasie angeheizt.

Declan versuchte, die Axt als Hebel zwischen den kaum vorhandenen Spalt zwischen Tür und Rahmen zu bringen. Während er sich abmühte, betrachtete Lily das Spiel der Muskeln, das sich unter dem Stoff seines Oberhemds abzeichnete. Sein Jackett hatte Declan schon vorher ausgezogen. Noch einmal warf er sich gegen die Tür, und dieses Mal gab sie endlich nach und fiel polternd auf die Steinstufen der Treppe, die ins Dunkel führte. Declan konnte sich gerade noch mit beiden Händen am Türrahmen festhalten, um nicht hinterherzufallen.

„Mist, jetzt liegt das Ding im Weg“, schimpfte er leise.

„Macht nichts, ich kann darübersteigen.“

Lily drängte von hinten nach und berührte unfreiwillig seinen Rücken. Sie spürte die warme Haut durch den Stoff des Hemds hindurch und zog schnell, als hätte sie sich verbrannt, die Hand zurück.

„Wenn du dir den Hals brichst, hast du selbst Schuld“, meinte er, aber Lily ließ sich nicht abhalten.

Sie überwand das Hindernis und stieg weiter die Stufen hinab dem Dunkel entgegen. Sie war doch kein Feigling, der sich von Schauermärchen …

„Iiieeekk!!“, hörte Declan einen Schrei aus der Tiefe.

„Alles in Ordnung mit dir?“, rief er in die Finsternis nach unten. Dann machte er sich selbst auf den Weg, um nachzusehen.

Lily zitterte am ganzen Leib. Was sie im Dunkeln gesehen hatte, sah aus wie eine Reihe riesiger schwach leuchtender Augen, die sie geisterhaft anstarrten. „Da schimmert irgendetwas im Dunkeln. Ich bin zu Tode erschrocken. Gibt es hier denn keinen Lichtschalter?“

„Woher soll ich das wissen?“, antwortete Declan. „Ich bin vorher genauso wenig hier unten gewesen wie du. Er ging ihrer Stimme nach, tastete nach ihr und stellte sich dann neben sie hin.

Ihn bei sich zu wissen, beruhigte Lily einigermaßen. „Warte! Ich komme mit“, rief sie deshalb ängstlich, als sie merkte, dass er sich weiter vorwagte.

Declans ausgestreckte Hand, mit der er sich weiter vortastete, stieß an eine glatte gewölbte Fläche, von der ein ganz schwaches phosphoreszierendes Licht auszugehen schien.

Es waren die „Augen“, vor denen sich Lily so erschrocken hatte. Lily wimmerte leise vor sich hin. Sie konnte es nicht unterdrücken, auch wenn sie ihre ganze Tapferkeit zusammennahm.

„Was sind das denn für Dinger?“, fragte er mehr sich selbst. Seine tiefe Stimme hallte schauerlich in dem Gewölbe wider. „Das ist Glas. Das sind große Glasflaschen oder Glasballons.“ Declan stieß mit dem Kopf an eine herunterhängende Kordel. Er griff danach und zog daran. Im nächsten Augenblick flackerte eine Leuchtstoffröhre auf, dann wurde es hell.

„Was ist das denn?“, rief Lily aus, als sie in ein paar Schritt Entfernung Regale voller staubiger Flaschen sah.

Declan nahm den Raum genauer in Augenschein. Nachdem er sich eine Weile umgesehen hatte, fing er plötzlich an zu lachen, zuerst leise vor sich hin, dann wollte er sich schier ausschütten. Das Gelächter war so ansteckend, dass Lily bald einfiel, obwohl sie immer noch nicht wusste, worüber sie lachten.

Declan beruhigte sich allmählich. Mit der flachen Hand fuhr er beinahe zärtlich über die Rundung einer der großen Flaschen, sodass Lily, als sie das beobachtete, sich unwillkürlich vorstellen musste, wie es wäre, wenn er sie so streichelte.

„Das ist also das ganze Geheimnis“, sagte er endlich. „Und ich hatte mir früher wer weiß was vorgestellt, dass meine Mutter hier im Keller ihre Opfer der Reihe nach an der Wäscheleine aufgeknüpft hätte und man knöcheltief im Blut watete. Stattdessen hat sie hier für ihren Nachschub gesorgt.“ Er kratzte sich am Hinterkopf. „Kann man mal sehen, wie man sich täuschen kann, selbst wenn man denkt, man kennt sich genau.“

Wie wahr, dachte Lily. Seit ihrem Wiedersehen war sie von Declan immer wieder überrascht worden, sei es, dass sie ganz neue Züge an ihm entdeckte oder solche wiedererkannte, die sie im Laufe der letzten Jahre fast vergessen hatte.

Vor einer Apparatur, die Ähnlichkeit mit einem Wasserboiler hatte, blieb Declan stehen. Er klopfte mit dem Knöchel gegen den Edelstahl. „Das müsste die Destillationsanlage sein. Sie hatte sie also die ganze Zeit in Betrieb. Und sieh dir diese Flaschen an. Die sind voll. Hier lagern Gallonen, und die sind garantiert nicht aus der Zeit der Prohibition übrig geblieben. Meine Mutter hat also bis an ihr Ende schwarz Schnaps gebrannt.“

„Was um alles in der Welt hat sie damit gemacht?“

Declan lachte leise in sich hinein. „Sie hat das Zeug getrunken, was denn sonst? Sie hatte immer ihre kleine Taschenflasche bei sich, wo sie ging und stand. Sie nannte das ihr Tonicwasser.“ Er öffnete den Verschluss einer der Riesenflaschen und schnupperte. „Verdammt noch mal!“

„Hast du es jemals probiert?“

„Nein, wie das denn? Die Gates waren zwar verdorben, aber dass sie Schnaps an Kinder ausgeschenkt hätten, kann man ihnen nun nicht vorwerfen.“ Er blickte sich um und schien sich köstlich zu amüsieren. „Jetzt, da du es sagst, hätte ich wirklich Lust, den Fusel zu kosten. Ich würde gern wissen, ob es stimmt, was man damals davon behauptete: dass man trinken könne, so viel man wollte, ohne einen Kater zu bekommen.“

Lily rümpfte die Nase. „Ich weiß nicht. Es schmeckt bestimmt abscheulich.“

„Nicht so abfällig, bitte. Mit dem Sprit haben meine Eltern immerhin dieses Haus bezahlt.“

„Du scheinst zu vergessen, dass das Ganze illegal war. Was mir aber noch mehr Sorgen macht“, fügte Lily hinzu und dachte an die zehn Millionen, die demnächst fällig wurden, „ist die Gefahr, die von diesem Lager ausgeht. Ein Funke, und der ganze Keller geht hoch wie eine Bombe.“

Das Lächeln verschwand aus Declans Gesicht. „Da könntest du recht haben. Der Stoff ist garantiert hochprozentig. Es wäre wirklich das Beste, ihn so schnell wie möglich loszuwerden.“

„Aber wie? In den Ausguss kannst du das nicht kippen. Damit legst du sämtliche Klärwerke der Umgebung lahm. Und wenn du es abholen lässt, kann es dir passieren, dass du vor Gericht landest.“

„Stimmt.“ Declan schnüffelte noch einmal an dem offenen Behälter.

„Ich könnte dir helfen, sie herauszutragen. Wir könnten sie an den Strand bringen und ins Meer kippen und anschließend die Flaschen ausspülen.“

Declan sah sie verblüffte an. „Ist das dein Ernst? Willst du mir wirklich dabei helfen? Warum?“

„Weil ich so ein gutes Herz habe“, antwortete Lily und lächelte kokett.

Declan blieb skeptisch. „Oder weil du so scharf darauf bist, dass ich hier so schnell wie möglich verschwinde, damit du über Blackrock thronen kannst.“

„Denk doch, was du willst.“ Sie krempelte die Ärmel hoch. „Wollen wir jetzt anfangen oder nicht?“

Die schweren Glasbehälter ließen sich nur zu zweit tragen. Declan hatte zuvor die Tür von der Treppe geräumt. Nun begann das mühselige Unterfangen, die Ballons die Treppe hinauf, dann ins Freie und schließlich an den Strand zu schleppen. Dabei konnte nicht ausbleiben, dass sie sich näher kamen. Beim Tragen, wobei Declan rückwärtsgehen musste, waren ihre Nasenspitzen nur Zentimeter voneinander entfernt. Beim Unterfassen berührten sich zuweilen ihre Hände. Mal streiften sie sich beim Anheben am Knie, dann wieder am Ellbogen.

Zum Strand hinunter führte eine in den Fels der Klippen gehauene Stiege, sodass das ganze Unternehmen zu einer ziemlichen Plackerei wurde. Declans Vorschlag, den Whiskey von oben über den Rand der Klippen zu schütten, lehnte Lily aus Gründen des Naturschutzes kategorisch ab.

Fünfzehn Ballons schleppten sie auf diese Weise hinunter und entsorgten deren Inhalt in der Brandung. Bei einem der letzten setzte Lily das noch volle Behältnis im Sand ab und ließ sich danebenplumpsen. „Einen Augenblick Pause. Ich kann nicht mehr“, keuchte sie.

Declan war einverstanden und nahm widerspruchslos neben ihr Platz.

„Tut mir leid. Es geht gleich weiter.“

Declan, der nicht einmal außer Atem zu sein schien, schraubte den Deckel ab. „Ich werde das Zeug jetzt probieren, bevor wir alles weggekippt haben“, meinte er. Damit holte er einen schmalen, eine Handbreit hohen Becher aus der Hosentasche, den Lily sofort wiedererkannte. Er gehörte zu einem silbernen Punschservice, das sie bei den Vorbereitungen des Fototermins unter einem der Betten gefunden hatten. Rosemarie war begeistert davon gewesen, und so wurden das Tablett, die Kanne und die Becher geputzt und dienten im Hintergrund zur Dekoration. Dass sich Declan einen der Becher eingesteckt hatte, war nicht zu beanstanden. Das Haus gehörte ihm offiziell noch, und eine Vereinbarung über die Einrichtung war noch nicht getroffen.

Declan kniete sich in den Sand und schaffte es irgendwie, sich einen zwei Finger hohen Drink einzuschenken. Er hielt Lily den Becher hin. „Kleine Stärkung gefällig?“

Lily lehnte dankend ab. Sie hätte sich nach der Schufterei zwar einen Drink verdient, aber zu selbst gebranntem Schnaps konnte sie sich nicht durchringen.

Declan hob den Becher wie zu einem Toast. „Moonshine im Mondenschein – geradezu poetisch.“ Tatsächlich war inzwischen die Sonne verschwunden und der Mond aufgegangen, auch wenn der Abend noch recht hell war. Er kostete vorsichtig und wartete eine Weile mit gerunzelter Stirn die Wirkung auf seinen Gaumen ab. Dann schnalzte er leise mit der Zunge und nickte. „Nicht übel.“ Er leerte den Becher. „Ausgezeichnet sogar. Milde mit einer fast lieblichen Note. Das kann man trinken.“

Die Wellen klatschten gegen die Felsen, die die kleine Bucht einschlossen. Das Glucksen und Plätschern regte zum Weitertrinken an. Erneut füllte Declan den Becher, dieses Mal machte er ihn noch ein wenig voller. Er blickte in die klare Flüssigkeit. „Mir wird schon ganz warm von innen“, bemerkte er. Er lächelte zu Lily hinüber.

Im Dämmerlicht zeichneten sich die männlichen Konturen in seinem Gesicht noch schärfer ab als sonst: die vortretenden Wangenknochen, das entschlossene Kinn, die markante Nase. Lily beobachtete seinen zuckenden Adamsapfel, als er den nächsten Schluck nahm.

„Ich fange an zu begreifen“, erklärte Declan, „wieso dieses Zeug so ein Verkaufsschlager war. Das geht herunter wie Öl, nicht ein bisschen spritig.“ Eine Brise wehte ihm das schwarze Haar in die Stirn. Er hielt Lily den Becher hin. „Du musst das kosten. Es schmeckt wirklich gut.“

„Ich weiß nicht. Ich glaube, es ist besser, ich lasse es. Ich bin das nicht gewohnt.“ Gleichzeitig merkte Lily aber doch, dass ihr die Zunge am Gaumen klebte. Und außerdem war sie neugierig.

„Du willst nur nicht mit mir aus einem Becher trinken.“ Er blickte sie aus seinen silbergrauen Augen herausfordernd an. „Vielleicht hast du sogar recht. Wir waren nie wieder so gute Freunde, nachdem wir uns das erste Mal geküsst hatten.“ Er leerte auch diesen Becher.

Die letzte Bemerkung machte Lily nachdenklich. Sie schwieg einen Augenblick dazu, dann sagte sie: „Pass auf, dass du dich nicht betrinkst. Wir haben noch zwei Fässchen oben stehen, und allein schaff ich die nicht herunter.“

„Ich werde niemals betrunken“, antwortete Declan. „Aber sag mal, war es wirklich so eine Strafe, mich zu küssen?“ Er sah sie an, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, einen Anflug von Traurigkeit in seinem Blick zu sehen.

Es traf sie wie ein Blitz. Lily schlang sich die Arme um ihren Leib, als ob sie friere. „Ich weiß es nicht mehr. Es ist zu lange her.“

Sie wusste, dass das gelogen war, denn sie erinnerte sich nur zu genau. Dieser Kuss war ein Einschnitt in ihrem Leben. Und auch das, was Declan davor gesagt hatte, stimmte. Sie war jung und unerfahren gewesen damals, und die eindringlichen Warnungen ihrer Mutter und der schlechte Ruf, der den Gates anhaftete, hatten sie verunsichert. Jedenfalls hatte sie Declan nach diesem Kuss geschnitten, wo sie nur konnte. Sie hatte die Straßenseite gewechselt, wenn sie sich in der Stadt begegneten, und hatte ihn in der Schule vor aller Augen abblitzen lassen. Aus ihrer Naivität und Unerfahrenheit heraus hatte sie ihn unglaublich grausam behandelt. Noch heute schämte sie sich dafür.

„Ich werde diesen Kuss nie vergessen.“ Declans Stimme holte sie in die Gegenwart zurück. „Er gehört zu den Höhepunkten in meinem Leben.“

Lily wurde plötzlich kalt, obwohl die Nachtluft milde war. Sie hatte sich damals eines Teils ihrer selbst beraubt, als hätte sie sich einen Arm oder ein Bein abgehackt. Sie hatte sich verstümmelt und um die Seite ihrer Persönlichkeit betrogen, die das Leben herausforderte und das Abenteuer liebte, die Seite, die Declan in ihr geweckt hatte.

„Komm, sei kein Frosch“, meinte Declan freundlich. „Gönn dir auch mal was Gutes.“ Wieder hielt er ihr den Becher hin. Seine Augen funkelten, und seine tiefe Stimme verursachte ihr ein Kribbeln in der Magengegend. „Los, du traust dich nur nicht.“

Lily nahm den Becher und stürzte den Inhalt mit Todesverachtung herunter.

4. KAPITEL

Sanft glitt ihr die Flüssigkeit die trockene Kehle hinunter.

„Nicht schlecht, oder?“ Declan betrachtete sie aufmerksam, während sie trank. Hinter ihm schimmerte das Mondlicht auf der glatten dunklen Oberfläche des Ozeans.

Lily gab ihm den Becher zurück und wischte sich mit den Fingerspitzen den Mund ab. „Nein, wirklich nicht schlecht“, antwortete sie. An starke Getränke nicht gewohnt, spürte sie augenblicklich, wie Blackrocks berühmter Moonshine langsam in ihre Blutbahn überging und sich in ihr eine angenehme Wärme ausbreitete.

Declan war wie ausgewechselt. Zum ersten Mal seit ihrem Wiedersehen empfand sie wieder die Wärme, zu der er fähig war. Lily fühlte sich um zehn Jahre zurückversetzt. Ihr fielen die langen dunklen Wimpern auf, als er seinen Blick senkte, während er den Becher ein viertes Mal vollschenkte und ihr wieder herüberreichte.

Sie gab sich einen Ruck. „Nein, danke“, sagte sie und stand auf. Ihr Herz klopfte wie wild. „Wir sollten das jetzt ausschütten.“ Sie hatte seine Worte immer noch im Ohr. Du traust dich nur nicht. Gut möglich, dass sie nicht allein auf den Whiskey gemünzt waren.

Auch Declan raffte sich auf. „Du hast recht. Die Ebbe setzt ein, und wenn wir uns nicht beeilen, wird der Weg zum Wasser immer weiter.“ Er hob den Becher hoch über den Kopf. Eine Brise zerzauste sein schwarzes Haar. „Ein letzter Schluck also“, rief er aus. „Auf die alten Zeiten.“ Er kippte den Whiskey hinunter und stieß einen tief befriedigten Seufzer aus. „Einfach köstlich. Welch ein unverhofftes Geschenk.“

Wie ihr erster Kuss. Lily musste daran denken, wie sie als Teenager auf ihrem Bett gelegen und von Declans Küssen geträumt hatte – umgeben von Postern ihrer Stars an der Wand und Kuscheltieren auf ihren Kissen. Und unversehens hatte eines Tages die Wirklichkeit ihre Träume eingeholt, aber die wirklichen Küsse schmeckten nicht süß nach Erdbeeren, wie sie sich das vorgestellt hatte. Sie waren herb und erdig und weckten Gefühle in ihr, vor denen sie erschrak, weil sie unbekannt, dunkel und geheimnisvoll waren. Sie hatte Angst, es könne sie etwas überkommen, das stärker war als sie.

„Alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte sich Declan teilnahmsvoll.

„Ja, ja, alles okay.“ Sie atmete tief durch und schmeckte das Salz in der Luft. „Dann wollen wir das mal vernichten.“ Lily suchte einen festen Stand, um die große Glasflasche sicher zu packen. Gleichzeitig fasste Declan unter den Boden des Gefäßes. Ihre Hände berührten sich. Sie traute sich nicht, ihm in die Augen zu sehen. Stattdessen fiel ihr Blick auf seinen sehnigen Hals, als er die Muskeln anspannte.

„Viel leichter ist das Ding aber nicht geworden.“

„Wir schaffen es trotzdem. Wir haben es bisher auch geschafft“, antwortete Lilly.

„Dieser Satz ist mal wieder typisch für dich. Deine Zuversicht habe ich schon immer bewundert. Ich wüsste nichts, was dich entmutigen könnte.“

Ich wüsste es schon, dachte Lily. Declan selbst war das beste Beispiel dafür. Er hatte sie damals in ein Gefühlschaos gestürzt, aus dem sie bis heute nicht ganz herausgefunden hatte. Irgendwann hatte sie es dann aufgegeben.

„Wir sind uns in dem Punkt sehr ähnlich, Lily“, sagte er.

„Nein, das sind wir bestimmt nicht.“

„Warum nicht? Du denkst wohl, du bist die Seriöse von uns beiden und ich der wilde Gates-Junge von damals?“ Die Flüssigkeit im Glasbehälter schwappte. „Ich glaube, ich kenne dich besser als jeder andere. Unter dieser glatten respektablen Oberfläche, die du dir zugelegt hast, bist du genauso wild wie die Klippen hier.“

Lily gab ein Schnaufen von sich, von dem man nicht genau sagen konnte, ob es eine Erwiderung war oder nur Folge der körperlichen Anstrengung. Ich und wild, dachte sie. Vielleicht früher einmal …

Das Tragen wurde beschwerlicher. Die Füße sanken immer tiefer in den nassen Sand ein, je näher sie der Brandung kamen, die sich mit der Ebbe schon ein Stück zurückgezogen hatte. Unvermutet kam ein Brecher herein, sodass sie plötzlich bis über die Knie im Wasser standen. Lily konnte sich kaum auf den Beinen halten und ließ mit einem Aufschrei den Behälter los, den Declan alleine nicht mehr halten konnte. Der Ballon plumpste ins schäumende Wasser, und ehe man sich’s versah, hatte der Rücksog der Riesenwelle ihn mit sich fortgerissen. Lily wollte im ersten Augenblick hinterher, aber Declan hielt sie an der Hand fest.

„Bleib hier. Das ist zu gefährlich. Du wirst genauso hinausgezogen wie diese Flasche da.“

„Jetzt treibt sie weg.“

„Und wir haben ihr noch nicht einmal eine Flaschenpost mitgegeben. Schade.“ Er drehte sich zu ihr. „Du zitterst ja.“

Er legte den Arm um sie, und sie gingen durch den nassen Sand zurück. Lily spürte die Wärme seiner kräftigen Hand durch den Stoff ihres Hemds hindurch.

„Ich bin nass bis auf die Haut“, bemerkte sie, um irgendetwas zu sagen und um die wachsende Unruhe zu überspielen, die seine Berührung und seine Nähe in ihr auslösten.

„Ich auch. Ich finde es herrlich.“

Sie sah ihn von der Seite an. „Deine Hose ist ruiniert. Ich wette, der Anzug war teuer.“

„Sehr teuer.“ Seine Augen funkelten.

Lily überlegte, ob sie sich von ihm losmachen sollte. „Na, vermutlich hast du einen ganzen Schrank voll davon.“

„So ist es“, meinte er und grinste breit.

Im nächsten Moment war das Grinsen von seinem Gesicht verschwunden, und er blieb unvermittelt stehen. Lily wäre fast gestolpert, aber er hielt sie fest. Sie drehte sich zu ihm und blickte ihm forschend ins Gesicht. „Was ist los?“ Sie war erstaunt, ihn genauso verstört zu sehen, wie sie es war.

Er hielt sie weiter fest und strich ihr mit der freien Hand eine Haarsträhne aus der Stirn. Eine steile Falte stand zwischen seinen Brauen.

„Lily“, sagte er mit sanfter Stimme. „Meine zauberhafte Lily. Die Frau, die ich mehr begehrt habe als alles andere auf der Welt.“

Das überraschende Geständnis, Declans Nähe und die laue Nachtluft ließen Lily die Knie weich werden. „Ich habe dich auch begehrt“, antwortete sie leise. Die Worte waren heraus, ehe sie sie sich überlegt hatte.

„Ich weiß. Ich habe es bemerkt. Wir waren damals füreinander bestimmt, Lily.“ Er hob ihren Kopf, damit er ihr in die Augen sehen konnte. Zärtlich fuhr er ihr mit dem Daumen über die Lippen. Ein wohliger Schauer durchströmte Lily.

„Ich war jung damals. Unerfahren und wehrlos“, erklärte sie zaghaft. „Ich wollte dir nicht wehtun.“

„Das war mir klar. Aber es hat teuflisch wehgetan. Vor allem die Weise, in der du mich zurückgewiesen hast. Aber letztendlich konnte ich dich sogar verstehen.“

Seine Offenheit entwaffnete sie. Die kalte Art, mit der sie ihn damals behandelt hatte, war ihr selbst schmerzlich in Erinnerung. „Du musst mich doch dafür gehasst haben.“

„Ich könnte dich niemals hassen.“

… weil ich dich liebe. Obwohl diese Worte unausgesprochen blieben, lagen sie in der Luft. Lily hätte sie am liebsten selbst laut gesagt, auch wenn sie nicht daran glaubte. Aber ob wahr oder nicht, es wäre Balsam auf die Wunde gewesen, die nun schon seit Jahren schmerzte.

Im nächsten Augenblick war es zu spät, etwas zu sagen, denn Declan hatte sie an sich gezogen und ihr die Lippen mit einem Kuss verschlossen. Mit einem Schlag waren alle Erwägungen, Einwände und Bedenken verschwunden. Der Tumult der Gefühle tobte in ihr wie die Wellen, die krachend an die Klippen schlugen.

Zur gleichen Zeit öffneten sie die Lippen, und ihre Zungen umkreisten, umschmeichelten und liebkosten einander. Lily stöhnte leise auf, als er mit der Zungenspitze an ihren Mundwinkeln spielte. Gleich darauf bedeckte Declan ihr ganzes Gesicht mit Küssen. Lily schmiegte sich eng an ihn. Sie konnte ihm nicht nahe genug sein. Der Duft seiner Haut, gemischt mit dem Salz der Seeluft, nahm ihr den Atem. Zärtlich strich sie ihm mit den Fingerspitzen über die Wange. Seine Haut fühlte sich warm, rau und männlich an. Lily merkte, wie sich die Spitzen ihrer Brüste vor Erregung zusammenzogen.

Ihr Verlangen nach ihm wuchs. Ungeduldig knöpfte sie ihm das Hemd auf, zog daran, bis sie es ihm endlich von den Schultern streifen konnte. Declan folgte ihrem Beispiel. Dann spürte sie seine großen kräftigen Hände, genoss es, wie sie die nackte Haut auf ihrem Rücken streichelten.

Mit einem geschickten Griff hatte Declan ihren BH aufgehakt und ihre Brüste freigelegt. Sie schloss die Augen und erschauerte für einen Moment, als sie die kühle Nachtluft spürte. Als sie ihn wieder ansah, stellte sie fest, dass er die Augen geschlossen hatte. Ein träumerischer Zug lag auf seinem Gesicht, als ob er einer Stimme lauschte, die von ganz weit her kam.

Lily streichelte seinen entblößten Oberkörper. Er war hart und durchtrainiert. Aus dem Jüngling, als den sie Declan kennengelernt hatte, war ein Mann geworden. Auch die drahtigen schwarzen Locken auf seiner Brust hatte er damals noch nicht gehabt.

Declan zog sie ein Stück weiter, wo sie sich auf den trockeneren Sand legen konnten. Sie sah, wie seine Lippen ihren Brüsten näher kamen und bäumte sich unwillkürlich auf. Ein Aufstöhnen kam tief aus ihrer Kehle, und wie ein heißer Strahl ging es ihr durch und durch, als Declan die Spitzen abwechselnd in den Mund nahm, mit seiner Zunge umspielte, sanft mit den Zähnen daran zog.

Lily griff nach seinem Ledergürtel, und es kostete sie mit ihren zitternden Händen einige Versuche, ihn zu lösen. Dann knöpfte sie seine Hose auf, öffnete den Reißverschluss und streifte ihm die Hose zusammen mit den Boxershorts herunter. Genießerisch strich sie mit den Händen über die harten Muskeln. Sie hatte nur noch einen brennenden Wunsch. Das Kratzen des Sandes unter ihr verstärkte noch ihre Lust.

Mit geübter Hand zog Declan auch sie ganz aus. Er kniete über ihr, die Hände links und rechts neben ihren Schultern aufgestützt, und sah sie mit großen Augen an. Lily konnte seinem Gesicht ablesen, dass er nicht weniger erregt und aufgewühlt war als sie. Er griff nach seiner Hose, die zusammengeknüllt neben ihm lag, und holte ein Kondom aus einer der Taschen. Mit den Zähnen riss er die Verpackung auf. Lily wagte nicht hinunterzusehen, wie er es sich überstreifte. Stattdessen blickte sie ihm mit weit aufgerissenen Augen starr ins Gesicht. Sein schwarzes Haar hing ihm in die Stirn, und seine Züge waren angespannt. Sie konnte es kaum erwarten, dass er zu ihr kam.

Declan hatte die Augen wieder geschlossen, und Lily wunderte sich noch über den seltsamen Kontrast der langen dunklen Wimpern zu seinem ausgeprägt männlichen Gesicht. Declan stützte sich auf die Ellbogen und hielt ihre Schultern mit den Händen. Die Geste hatte etwas Eroberndes, Besitzergreifendes, das Lilys Verlangen noch mehr schürte. Längst war sie bereit für ihn.

Unwillkürlich hob sie das Becken ein Stück aus dem Sand, um ihm entgegenzukommen, und mit einer schnellen Bewegung war Declan bei ihr und drang tief in sie ein. Von dem einzigen Wunsch beseelt, dass er sie ganz ausfüllen möge, streckte sie sich ihm weiter entgegen. Er stöhnte laut auf. Es war ein Laut, so voller Leidenschaft und Sehnsucht, dass er Lily im Innersten berührte. Erleichterung sprach daraus – nein, Erlösung, als sei endlich ein böser Bann gebrochen.

Lily konnte nachfühlen, was in Declan ablief. Sie empfand es genauso wie er. Die nächste, intimste Nähe zu dem Menschen, den man schon so lange kannte und nach dem man sich über Jahre gesehnt hatte, erfüllte sie beide mit einem seligen Glücksgefühl, in dem sie alles andere vergaßen.

Sie schlang ihm die Arme um den Hals und berauschte sich daran, seine nackte Haut zu spüren. Sie konnte nicht genug davon bekommen. Declan begann vorsichtig, sich zu bewegen. Seine Stöße waren nicht hart, aber tiefer und tiefer drang er in sie ein. Während er sie fest umarmte, streichelte und küsste er sie. Sie spürte seinen heißen Atem. Und auch als dann seine Vorstöße härter und schneller wurden, kam es ihr vor, als behandele er sie mit äußerster Vorsicht, wie etwas sehr Zerbrechliches.

Der Rhythmus ihrer Bewegungen wurde eins mit der Brandung, ebenso wie das Brausen der Wellen eins wurde mit dem Brausen des Bluts in ihren Ohren. Sie merkte, wie er sich zurücknahm, sich zügelte, um das Ende hinauszuzögern. Gerade dieses Zurückhalten staute die Lust in ihr noch weiter an, bis sie fast unerträglich wurde. Lily glaubte, dass sie dabei war, den Verstand zu verlieren. Ungeduldig und fordernd wand sie sich unter ihm, streckte sich ihm entgegen, erwiderte seine Stöße. Es war wie ein Ringen, in dem sie darum kämpfte, dass er endlich die Zügel schießen ließ. Ihr ganzes bisheriges Leben war Lily beherrscht und zurückhaltend gewesen. Jetzt war der Moment gekommen, alle Grenzen zu durchbrechen. Jetzt wollte sie den Sprung über den Rand der Klippen wagen – mit ihm.

Declan nahm ihre Herausforderung an. Seine Bewegungen wurden schneller. Immer härter wurden seine Stöße, während sein Atem in ein wildes rhythmisches Keuchen überging. Lily krallte die Finger in seinen Rücken, hielt ihn, außer sich vor Erregung, so fest sie konnte. In ihrer Kehle steckte ein ekstatischer Schrei, laut genug, um das Tosen der Brandung zu übertönen. Alles um sie herum war vergessen, existierte in diesen Augenblicken nicht mehr. Es gab nur noch das Vorwärtsdrängen dem einen, einzigen Ziel entgegen.

Als sie das Ziel, ihren Höhepunkt, erreichte, brachen die Gefühle über sie herein wie ein gewaltiger Brecher, der sie fortriss und dann weit hinaus aufs Meer zog. Im selben Augenblick stieß Declan einen kehligen Schrei aus, und Lily spürte das Pulsieren tief in ihr.

Declan ließ sich erschöpft sinken. Sein Gewicht lastete auf ihr, während die Nachbeben ihren Körper durchliefen.

„Lily“, hörte sie seine Stimme. Sie klang so rau, dass sie eine Gänsehaut bekam. Vorsichtig öffnete sie die Augen und sah ihn an. Er hatte die Lider immer noch geschlossen, und sein Atem ging schwer, während er sie fest in den Armen hielt, als wollte er sie nie mehr loslassen.

Ein unbeschreibliches Gefühl erfüllte sie, als sie erkannte, dass es dieser Moment war, auf den sie seit mehr als zehn Jahren gewartet hatte.

Damals, vor zehn Jahren, war Declan ihr einziger Freund und Vertrauter gewesen. Und sie hatte ihm damals blind vertraut. Wenn er steuerte, fuhr sie mit ihm auch den steilsten verschneiten Abhang im Wald auf einem Schlitten hinunter, ohne eine einzigen Sekunde Angst davor zu haben, dass sie an einem Baum landen könnten. Declan war es, der ihr die Welt der Abenteuer erschlossen hatte. Aber als es um eine neue Art von Abenteuern ging, als Declan bei ihr Gefühle und Sehnsüchte weckte, die ihr nicht mehr geheuer waren, weil sie nicht wusste, ob sie sie würde beherrschen können, da war sie vor ihm davongelaufen. Und nicht nur das. Sie hatte ihn verraten.

Autor

Maureen Child

Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal.

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