Herz an Herz

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Niemals hätte der smarte Bankdirektor Paulo Dantas gedacht, dass er jemals in eine so schwierige Situation kommen würde: Seit Isabella, die Tochter seines langjährigen Freundes Luis Fernandes, zu ihm nach London geflüchtet ist, gerät er jeden Tag in Versuchung. Isabella, die nach einem One-Night-Stand schwanger wurde, ist, wie Paulo glaubt, nur zu ihm nach London gekommen, weil sie Angst hatte, dass ihr strenger Vater von ihrem Zustand erfahren könnte. Niemals kann Paulo diese Notsituation ausnutzen - auch wenn Isabella ihn noch so verführerisch umgarnt. Er ahnt nicht, dass sie schon seit Jahren heimlich für ihn schwärmt und sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich in seinen Armen glücklich zu werden...


  • Erscheinungstag 23.12.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733766412
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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1. KAPITEL

“Komm schon! Komm schon endlich!” Verzweifelt drückte Isabella ein letztes Mal auf die Türklingel und hielt den Daumen so lange darauf, dass der Lärm selbst Tote hätte erwecken können. Spätestens jetzt hätte der Bewohner des eleganten Londoner Stadthauses wirklich reagieren müssen, wenn er zu Hause wäre.

Doch außer dem Klingeln war nichts zu hören. Matt ließ Isabella die Hand sinken und musste sich mit dem Unabänderlichen abfinden. Er war nicht da. Also würde sie die Reise hierher nochmals machen müssen - falls sie den Mut aufbrachte, ein zweites Mal zu kommen.

Doch plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und ein Mann stand vor Isabella und sah sie wütend an. Er musste gerade geduscht haben, denn sein welliges dunkles Haar war noch feucht und voller schimmernder Wassertröpfchen. Das Licht, das von hinten auf ihn fiel, umgab ihn wie ein Heiligenschein, doch der Ausdruck in seinem Gesicht hatte nichts Engelhaftes an sich.

Seine dunklen Augen funkelten gereizt, und Isabellas Herz begann zu rasen. In ihrem aufgelösten Zustand wirkte sein Anblick auf sie besonders schockierend.

Der Mann trug nur ein dunkelblaues Handtuch, das er sich um die schmalen Hüften gewickelt hatte, sodass seine muskulösen Schenkel halb entblößt waren. Sein Kinn war teilweise mit Rasierschaum bedeckt, und er hielt einen altmodischen Rasierapparat in der Hand, dessen Klinge im Schein des Deckenlüsters blitzte.

Sekundenlang brachte Isabella kein Wort hervor. Diesen athletischen Körper hatte sie schon unzählige Male in der Badehose gesehen, doch noch nie so intim nackt.

“Ja?”, fragte er ungeduldig. “Wo brennt’s?”

“Hallo, Paulo”, sagte Isabella.

Es dauerte einen Moment, ehe er begriff und die sinnlich exotische Schönheit genauer musterte.

Sie trug einen nagelneuen Regenmantel, der ihr bis zu den schlanken Fesseln reichte, sodass von ihr selbst eigentlich nur das Gesicht zu sehen war. Ein Gesicht, auf dem die Tropfen des Sommerregenschauers herabrannen. Das dunkle Haar klebte ihr nass am Kopf. Ihre unnatürlich großen goldbraunen Augen schimmerten wie kostbarer alter Bernstein und wurden von den längsten schwarzen Wimpern eingerahmt, die er je gesehen hatte. Ihre Lippen waren voll … und ungeschminkt. Und sie beben, dachte er verwundert.

Sie wirkte wie ein verirrtes kleines Mädchen, und Paulo war plötzlich alarmiert. Er kannte sie, und irgendwie wusste er auch, dass sie nicht hierhergehörte.

“Hallo”, erwiderte er verunsichert und versuchte, sie einzuordnen.

“Aber Paulo”, fuhr sie fort, als sie merkte, dass er sie nicht gleich wiedererkannte, “ich habe dir doch geschrieben und angekündigt, dass ich kommen würde. Hast du meinen Brief nicht bekommen?”

Sobald sie einen ganzen Satz gesprochen hatte, fiel es ihm ein. Der Akzent passte zu ihrem südländischen Aussehen, obwohl sie wie er fließend Englisch sprach. Die mandelförmigen Augen, diese dunkle, zarte Haut, das schimmernde schwarze Haar, das ihr, vom Regen durchnässt, am Kopf klebte …

Das letzte Mal hatte er sie an einem strahlenden Sonnentag in Südamerika gesehen. Ihr Seidenshirt hatte ihre jungen reifen Brüste aufreizend umspannt, und er hatte sie in diesem Augenblick begehrt. Und vielleicht auch schon vorher.

Entschlossen verdrängte Paulo den Gedanken, doch der Ausdruck in seinen Augen wurde weicher. Kein Wunder, dass er sie an diesem grauen Regentag hier in England nicht sofort erkannt hatte, schon gar nicht in diesem frierenden, trostlosen Zustand.

“Isabella! Meine Güte! Ich fasse es nicht!” Er wollte sie nach südamerikanischer Sitte auf die Wange küssen, doch dann erschien ihm das in dieser Umgebung und in seinem halb nackten Aufzug unpassend. Isabella bot ihm die Wangen, schien jedoch vor einer Berührung zurückzuschrecken, und er war froh darüber.

“Komm rein”, forderte er sie auf und öffnete die Tür weit. “Bist du allein hier?”

“Al-lein?”

Er runzelte die Stirn. “Ist dein Vater mitgekommen?”

Isabella zögerte. “Nein.”

“Warum hast du mich nicht wissen lassen, dass du herfliegst?”, fragte er. “Das kommt so …”

“Unerwartet? Ja, ich weiß.” Isabella wäre mit allem einverstanden gewesen, wenn er ihr nur half. Zwar wusste sie nicht wie - sie wusste nur, dass Paulo Dantas ein Mann war, der mit allem fertigwurde. “Aber du hast meinen Brief doch erhalten, nicht wahr?”, fragte sie.

Er nickte nachdenklich. Der Inhalt war ihm seltsam unzusammenhängend erschienen. Sie hatte darin erwähnt, dass sie in Kürze nach England kommen würde, aber dass sie so schnell hier auftauchen würde, hatte er nicht erwartet, denn sie ging ja zur Universität. “Doch … ja, ich habe ihn bekommen. Aber das war vor zwei Monaten.”

Isabella hatte ihm an dem Tag geschrieben, als sie Gewissheit hatte. Als sie wusste, dass sie in Schwierigkeiten war. Immer wieder hatte sie sich zurechtgelegt, was sie Paulo sagen würde, doch auf seinen halb nackten Anblick war sie nicht gefasst gewesen. Die sorgfältig formulierten Worte fielen ihr nicht mehr ein. Und mit so etwas konnte man nun mal schlecht auf jemandes Türschwelle herausplatzen.

“Ich wollte dich überraschen”, erklärte sie unsicher.

“Das ist dir wirklich gelungen.”

Isabella entging Paulos prüfender Blick nicht. “Entschuldige. Ich bin offenbar zur falschen Zeit gekommen …”

“Na ja, ich will nicht abstreiten, dass ich auf deinen Besuch nicht vorbereitet war …” Paulo fuhr sich mit der Hand, in der er den Rasierer hielt, zum Handtuchrand an den Hüften, als wollte er sich vergewissern, dass der Knoten hielt. “Aber ich kann mich schnell rasieren und anziehen.”

“Soll ich lieber später wiederkommen?”

“Ich soll dich fortschicken, nachdem du Tausende Kilometer gereist bist?” Paulo schüttelte energisch den Kopf. “Nein, nein. Ich kann es kaum erwarten, zu hören, was Isabella Fernandes auf so dramatische Weise nach England führt.”

Sie erbleichte und versuchte sich vorzustellen, wie Paulo reagieren würde, wenn sie ihn in ihr Dilemma einweihte. Doch ehe sie es wagen konnte, sein Haus zu betreten, musste sie etwas anderes klären. Was sie ihm zu sagen hatte, durfte nur er erfahren. “Ist Eduardo hier?”

Eine erstaunliche Verwandlung ging mit Paulo vor sich. Seine ernsten Züge wurden weich, und ein strahlendes Lächeln erhellte seine Miene, das ihn noch umwerfender aussehen ließ.

“Eduardo? Leider nein.” Er lachte erheitert. “Zehnjährige Jungen spielen lieber mit ihren Kameraden Fußball, als bei ihrem Vater zu sein, und mein Sohn ist da keine Ausnahme. Er kommt erst später zurück. Jemand …” Er zögerte, ehe er weitersprach. “Eine Freundin bringt ihn nach Hause.”

“Aha.” Isabella wischte sich einen Regentropfen von der Wange und fragte sich, wer diese Freundin sein mochte.

Paulo sah die zitternde Bewegung ihrer Hand. Isabella schien nervös zu sein. Sehr nervös sogar. So kannte er sie gar nicht. Sie konnte besser schießen als die meisten Männer, und zu Pferde tat es ihr so schnell keiner nach. Er hatte sie vom Kind zur Frau heranwachsen sehen, wenn auch nur in größeren Abständen.

“Du kannst ihn später begrüßen. Komm endlich rein, und zieh den nassen Regenmantel aus. Du zitterst ja, Bella.”

Sie zitterte wirklich, wenn auch am wenigsten vor Kälte.

“D-anke.” Hilflos blinzelte sie gegen die Deckenbeleuchtung an und fühlte sich in der fremden Umgebung gehemmt. Und der Umstand, dass Paulo halb nackt neben ihr stand, brachte sie vollends aus dem Gleichgewicht.

Mit klammen Fingern begann Isabella, die Knöpfe des Regenmantels zu öffnen. Paulo verspürte das Bedürfnis, ihr wie einem Kind dabei zu helfen, doch ein Blick auf ihre Brüste, die sich unter dem T-Shirt wölbten, sagte ihm, dass sie alles andere als ein Kind war. Wenn er sich nicht sofort etwas Anständiges anzog …

“Warum hast du dir keinen Schirm gekauft, Bella?”, versuchte er, seine verräterischen Gedanken zu überspielen. “Hat man dir nicht gesagt, dass es in England sogar im Sommer ständig regnet?”

“Ich wollte mir einen kaufen, als ich hier ankam, aber dann habe ich’s einfach vergessen.” Ein Schirm war das Letzte, was sie beschäftigte. Es hatte Wochen gedauert, ehe sie ihren Vater überredet hatte. Es sei ihr Leben und ihre Entscheidung, hatte sie ihm klargemacht. Viele Studenten würden die Universität ohne Abschluss verlassen. Das sei nicht das Ende der Welt. Doch ihr Vater hatte davon nichts hören wollen. Isabella schauderte. Dabei wusste er das Schlimmste noch gar nicht.

Paulo schien ihre Not zu spüren, denn er half Isabella, den Mantel abzustreifen, und hängte ihn an einen Haken über der Heizung. “So. Deine Kleidung darunter ist ja glücklicherweise trocken. Komm mit in den Salon.”

Erst jetzt setzte die Reaktion ein. Paulo ließ sie bleiben. Isabella fror innerlich, kämpfte jedoch dagegen an. “Danke.”

“Brauchst du ein Handtuch, um dir die Haare zu trocknen?”, fragte er und warf ihr einen raschen Blick zu. “Oder möchtest du einen von meinen Pullovern überziehen?”

“Nein. Wirklich nicht. Mir geht’s gut.” Das Gegenteil war der Fall. Isabellas Gliedmaßen fühlten sich steif und kalt an, als Paulo sie über einen breiten Gang in einen geräumigen Raum mit einer hohen Decke führte, dessen kühle, klassische Formen durch lebhafte, warme Farben aufgelockert wurden.

Die Wände waren in kräftigen Ocker- und Rottönen gehalten und mit leuchtenden Gemälden geschmückt. Eins erkannte Isabella sofort als das Werk eines aufsteigenden brasilianischen Malers. Zwei schwere Sofas mit willkürlich verstreuten Kissen säumten einen Couchtisch, auf dem Zeitschriften und Zeitungen und ein Buch über Fußball lagen. Hier und da standen Fotos eines Jungen in verschiedenen Altersstufen - Paulos Sohn. Ein schwarzweißes Studioporträt zeigte eine kühle, wunderschöne Blondine, die zärtlich ein Baby an ihr schimmerndes Haar drückte. Elizabeth, Paulos Frau.

“Mach es dir bequem, während ich mir etwas anziehe”, sagte er zu Isabella. “Dann bringe ich uns Kaffee. Wie klingt das?”

“Gut”, erwiderte Isabella einsilbig.

Paulo kehrte nach oben ins Badezimmer zurück, um sich fertig zu rasieren. Stirnrunzelnd blickte er auf sein Spiegelbild. Irgendetwas an Isabella war anders. Sie hatte leicht zugenommen …, aber da war noch etwas anderes, das er nicht bestimmen konnte. Es war mehr als ihre sinnliche Ausstrahlung, die ihn schon vor Monaten verwirrt hatte. Geistesabwesend führte er die Klinge über sein Kinn.

Er kannte Isabella schon von klein auf. Ihre Väter waren befreundet gewesen, und die Freundschaft hatte auch weiter bestanden, nachdem Paulos Vater nach England, der Heimat seiner Frau übergesiedelt war. Paulo selbst war in Brasilien geboren, jedoch als Sechsjähriger mit seinem Vater nach London gezogen. Sein Vater hatte darauf bestanden, einmal im Jahr in die Heimat zurückzukehren. Diese Gewohnheit hatte Paulo auch nach dem Tod seiner Eltern und der Geburt seines eigenen Sohnes beibehalten.

Jahr für Jahr hatte er mit Eduardo vor Karnevalsbeginn zwei Wochen auf der Ranch der Fernandes verbracht.

Interessiert hatte er all die Jahre über verfolgt, wie das kleine Mädchen zum Teenager erblüht war. Wie alle Jugendlichen war Isabella aufsässig, eigenwillig und frech gewesen. Mit siebzehn hatte sie sich zu einer üppigen, überaus weiblichen Schönheit entwickelt. Dennoch war sie ihm so jung erschienen. Selbst mit achtzehn und neunzehn hatte sie für ihn einer anderen Generation angehört. Immerhin war er zehn Jahre älter, verwitwet und hatte einen kleinen Sohn gehabt.

Mit zwanzig schien sich mit Isabella eine plötzliche Verwandlung vollzogen zu haben. Ihre Sexualität war erwacht, und Paulo hatte sich ihr nicht entziehen können.

Er hatte Isabella vom Pferd gehoben, und für den Bruchteil einer Sekunde schien die Welt stillzustehen, als er sie in den Armen gehalten hatte. Er war sich ihrer schmalen Taille bewusst gewesen, und Begehren hatte ihn durchflutet. Sie hatten zu lachen aufgehört, sich stumm in die Augen geblickt, und Isabellas Pupillen waren vor Verlangen ganz dunkel gewesen.

Begehren. So übermächtig wie eine Droge.

Doch er hatte Gewissensbisse verspürt und dagegen angekämpft …

Paulo riss sich das Handtuch von den Hüften und blickte ungläubig an sich herab. Er war erregt. Sein Verhältnis zu Isabella würde nie wieder wie früher sein. Ihre innige, unschuldige Beziehung war mit jenem einzigen kurzen Aufflammen des Begehrens beendet worden.

Wütend knüllte er das Handtuch zusammen, schleuderte es mit einer gezielten Bewegung in den Wäschekorb und streifte sich seidene Boxershorts über.

Im Salon ging Isabella auf und ab und legte sich zurecht, was sie Paulo sagen wollte. Sie musste stark bleiben, denn nur so würde sie diesen Albtraum durchstehen. “Paulo, ich bin …”

Nein, damit konnte sie unmöglich sofort herausplatzen, obwohl ihr zum Weinen zumute war. “Paulo, ich brauche deine Hilfe …”

Sie hörte das Scheppern von Tassen und blickte auf. Erleichtert bemerkte sie, dass er jetzt Jeans und ein T-Shirt trug. Auf seinem Kinn befand sich ein kleiner roter Blutstropfen.

Paulo entging nicht, dass ihre bernsteinfarbenen Augen feucht schimmerten, und sein Herz klopfte rascher. “Was hast du?”, fragte er heiser.

“Du hast dich geschnitten”, flüsterte sie. Der Anblick des Blutes wirkte auf sie wie ein Omen.

Stirnrunzelnd griff Paulo sich ans Kinn. “Wo?”

“Rechts. Ja, dort.”

Er fuhr sich über die frisch rasierte Haut und blickte betroffen auf seine blutige Fingerspitze. Hatte seine Hand beim Rasieren gezittert? Das war ihm seit Jahren nicht mehr passiert. “Richtig”, sagte er und leckte sich geistesabwesend den Finger. “Kaffee”, entschied er.

Obwohl Isabella sich schrecklich fühlte, versuchte sie, einen lockeren Ton anzuschlagen. “Seit ich von zu Hause fort bin, habe ich keinen anständigen Kaffee mehr getrunken.”

Paulo lächelte. “Das kann ich mir denken.”

Schweigend sah Isabella zu, wie er mit raubtierhafter Geschmeidigkeit auf ein Sofa glitt. Zu Hause hatten sie ihn immer gato genannt, und es war leicht zu verstehen, warum. Das portugiesische Wort bedeutete “Katze”, aber man benutzte es auch für einen sexy, toll aussehenden Mann. Und niemand konnte bestreiten, dass Paulo Dantas genau das war.

Er war groß, dunkelhaarig und athletisch gebaut - der unvergleichliche Abkomme einer englischen Mutter und eines brasilianischen Vaters. Sein Gesicht fesselte durch seine hohen, wie gemeißelt wirkenden Wangenknochen und die unergründlichen schwarzbraunen Augen. Und der volle, sinnlich geschwungene Mund sah aus, als wäre er dafür geschaffen, gleichermaßen Vergnügen und Schmerz zu bereiten.

Mit unsicherer Hand nahm Isabella die Kaffeetasse entgegen, die Paulo ihr reichte. “Danke.”

Das Ganze ist verrückt, dachte er, während er ihr gequältes Lächeln und ihre gehemmten Bewegungen beobachtete. Es war, als hätte er eine Fremde vor sich. Was war nur mit ihr los? “Wie geht es deinem Vater?”, fragte er höflich.

“Es … geht ihm gut, danke.” Sie versuchte, die Tasse an die Lippen zu führen, doch ihre Finger zitterten so stark, dass Isabella das zarte Porzellan klirrend wieder abstellen musste. “Er lässt dich grüßen.”

“Danke.” Es fiel Paulo schwer, sich ruhig zu geben, während Isabellas volle Brüste sich unter dem T-Shirt rasch hoben und senkten.

Bildete sie es sich ein, oder hatte Paulo ihre Brüste betrachtet? Wie viel mochte er bemerkt haben? Isabella wusste, dass ihm nichts entging. Hatte er ihr Geheimnis bereits entdeckt? Unauffällig blickte sie an sich herab.

Nein, da konnte sie beruhigt sein. Das leuchtend pinkfarbene T-Shirt und auch die Jeans saßen verhältnismäßig locker und verrieten nichts. Außerdem fiel die Wölbung ihres Bauches noch nicht auf. Nichts deutete darauf hin, dass sie ein Baby erwartete. Doch ihre Brüste waren schmerzend prall, und die plötzliche Übelkeit konnte jederzeit auftreten.

Isabella versuchte zu lächeln, aber ihre Lippen bebten leicht. “Sicher fragst du dich, warum ich hier bin.”

Endlich! “Tja, das kann ich nicht ganz abstreiten”, erwiderte Paulo scherzend, obwohl er neugierig war. “Nur wenige machen die weite Reise von Brasilien unangemeldet. Die meisten rufen vorher an.”

Isabella wandte sich ab und blickte aus dem vorhanglosen Fenster zum regenverhangenen Himmel auf. Zu Hause würde es jetzt herrlich warm sein, und eine sanfte Brise würde wehen.

“Müsstest du nicht eigentlich die Uni besuchen? Das Semester dürfte doch noch längst nicht zu Ende sein, oder?”

Das war der Moment, ihre Geschichte loszuwerden, wenn auch nicht die ganze. Noch nicht. “Na ja, ich habe das Studium abgebrochen.”

Paulo wurde wachsam. “Warum?”, fragte er kühl. “Ist das dieses Jahr Mode?”

Sein abschätziger Gesichtsausdruck gefiel ihr nicht. “Nicht direkt.”

“Und warum dann?”, hakte er nach. “Du weißt doch, wie wichtig eine abgeschlossene Ausbildung heutzutage ist. Was ist so wichtig, dass es nicht bis zum Semesterende warten kann?”

Isabella wollte von ihren Träumen erzählen, die überschaubare Heimat zu verlassen, um die große, weite Welt kennenzulernen, doch dann fiel es ihr gerade noch rechtzeitig ein. Damit war es jetzt vorbei. Das ging nicht mehr. “Ich musste einfach fort von allem.”

Stirnrunzelnd beugte Paulo sich vor, um sie zu betrachten. Er konnte förmlich spüren, dass sie Angst hatte. Ein Hauch ihres verführerischen Parfüms erreichte seine Nase, und er entzog sich seinem gefährlichen Bannkreis. “Was ist los mit dir, Bella?”, fragte er leise. “Was ist passiert?”

Das war das Stichwort, ihm alles zu erzählen. Doch ein Blick in Paulos Gesicht mit dem beunruhigten Ausdruck, und Isabella verschloss sich innerlich. “Nichts ist passiert”, erwiderte sie ausweichend, “außer dass ich fortgegangen bin.”

“Das sagtest du schon.” Paulo verbarg seine Gereiztheit nicht. “Aber du hast mir noch keinen einleuchtenden Grund dafür genannt.” Er sah Isabella durchdringend an. “Oder gibt es gar keinen? Ich erwarte eine Erklärung.”

Sag’s ihm! Doch sie sah die Missbilligung in seinen dunklen Augen, und der Mut verließ sie wieder. “Ich habe mich gelangweilt.”

“Du hast dich gelangweilt.” Paulo klopfte mit dem Finger bedeutsam auf die Armlehne des Sofas.

“Also gut, ich war überfordert.”

“Überfordert.” Er sah sie ungläubig an. “Wie kann eine schöne, junge, zwanzigjährige Frau überfordert sein? Ist da ein Mann im Spiel?”

“Nein. Kein Mann.” Das zumindest stimmte.

“Zum Teufel noch mal, Bella, es passt nicht zu dir, um den heißen Brei herumzureden! Ich kann einfach nicht glauben, dass eine so intelligente junge Frau wie du alles wegwirft, weil sie sich ‘langweilt’! Also? Halte noch einige Monate durch, denn glaube mir, querida, es gibt nichts ‘Langweiligeres’ als einen stupiden Job. Und darauf musst du dich gefasst machen, wenn du dein Studium hinwirfst.”

Plötzlich wusste Isabella, dass sie es ihm nicht sagen konnte. Jedenfalls nicht jetzt. Vielleicht nie. Sie hätte es einfach nicht ertragen, dass Paulo sie verachtete. Paulo, den sie ihr Leben lang vergöttert hatte.

“Ich hatte auch nicht erwartet, dass du das gut findest”, erklärte sie aufsässig.

“Du scheinst nicht weiter als bis zu deiner Nasenspitze zu blicken!”, warf Paulo ihr grimmig vor. “Und wie willst du später deinen Lebensunterhalt verdienen? Oder erwartest du, dass Daddy einspringt, meine liebe Bella?”

Empört sah sie ihn an. “Natürlich nicht! Ich werde nehmen, was sich bietet. Schließlich bin ich jung und fit. Ich kann kochen, gut mit Kindern umgehen, spreche fließend Englisch und Portugiesisch.”

“Toll”, bemerkte er trocken.

“Du würdest mir doch notfalls eine Stelle besorgen, nicht wahr, Paulo?”

“Ganz sicher nicht!” Seine Stimme wurde gefährlich leise. “Ich würde alles tun, um dich davon abzubringen, die Universität zu verlassen.” Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er beschwörend fort: “Flieg wieder nach Hause, Bella. Beende dein Studium, und komm in zwei Jahren wieder.” Seine Augen funkelten bei der Vorstellung, wie sie in zwei Jahren sein würde. “Dann besorge ich dir eine Stellung, das verspreche ich dir.”

Isabella blickte auf ihre Hände, weil sie den Ausdruck in Paulos Augen nicht ertragen konnte. In zwei Jahren würde sich ihre Welt grundlegend verändert haben. “Ja, vielleicht hast du recht.”

“Du gehst also zur Universität zurück.”

“Ich … werde darüber nachdenken.” Isabella sah auf die Uhr und tat überrascht. “Oh … Zeit, dass ich gehe.”

“Du gehst nirgendwohin”, bestimmte Paulo. “Schließlich bist du gerade erst angekommen. Bleib, und warte auf Eddie. Er muss bald zurück sein.”

“Nein, das geht nicht.” Isabella stand auf und hatte es plötzlich eilig, fortzukommen. Ehe Paulo merkte, was los war. “Ein andermal.”

“Wo bist du abgestiegen?”

“Gleich unten am Ende der Straße”, erwiderte Isabella ausweichend.

“Wo?”

“Im Merton.”

“Im Merton”, wiederholte Paulo nachdenklich.

Während er sie zur Haustür begleitete, hörten sie, wie ein Schlüssel ins Schloss geschoben wurde. Seltsamerweise fühlte Paulo sich irgendwie schuldbewusst, als die Tür aufging und Judy vor ihnen stand - so kühl, so blond, in einem weichen zartblauen, eng anliegenden Kaschmirkleid. Neben ihr tauchte sein Sohn auf. Sobald er Isabella entdeckte, strahlte er.

“Bella!”, rief er und warf sich ihr in die Arme, dabei überschüttete er sie mit einem Wortschwall auf Portugiesisch. “Was machst du denn hier? Papa hat mir gar nicht gesagt, dass du kommst.”

“Weil Papa es auch nicht wusste”, erklärte Paulo in derselben Sprache. “Bella ist unangemeldet hier aufgetaucht, während du fort warst.

“Wirst du bei uns wohnen?”, fragte Eddie begeistert. “Bitte, Bella! Bitte!”

“Das kann ich leider nicht, Eduardo.” Isabella lächelte bedauernd. Sie hatte Eduardo von Anfang an ins Herz geschlossen, vielleicht, weil sie beide ohne Mutter aufgewachsen waren. Sie hatte ihm das Reiten und Portugiesisch beigebracht und miterlebt, wie aus dem Kleinkind ein gesunder Junge wurde. Und bald würde er sie überragen wie sein Vater. “Ich werde herumreisen und möchte hier so viel wie möglich von Land und Leuten kennenlernen.”

“Führt ihr ein Privatgespräch, oder dürfen andere sich auch beteiligen?”, warf die Frau in Blau ein.

Paulo lächelte entschuldigend und ging sofort ins Englische über. “Judy! Bitte verzeih! Das ist Isabella Fernandes. Sie ist aus Brasilien auf Besuch hier. Isabella, das ist Judy Jacob. Sie …”

“Ich bin seine Freundin”, stellte Judy klar.

Isabella rang sich ein Lächeln ab. “Hallo. Freut mich, Sie kennenzulernen.”

Paulo warf Judy einen Hilfe suchenden Blick zu. “Isabella ist eine sehr alte Freundin der Familie …”

“So alt nun auch wieder nicht”, stellte Judy leise richtig, ohne auf seine stumme Bitte einzugehen. “Im Gegenteil, sie erscheint mir sogar sehr jung.”

“Unsere Väter sind zusammen zur Schule gegangen”, erklärte Paulo prompt. “Ich kenne sie schon mein ganzes Leben.”

“Wie schön.” Judy bedachte Isabella mit einem knappen Lächeln, dann küsste sie Paulo leicht auf den Mund. “Ich störe euch nur ungern, Liebling, aber die Vorstellung fängt um …”

“Und ich muss gehen”, warf Isabella hastig ein, weil der besitzergreifende Kuss sie störte. “Mach’s gut, Paulo. Sie auch, Judy. Nett, Sie kennengelernt zu haben.” Es kostete sie Mühe, sich höflich zu geben. “Bis bald, Eduardo.” Lächelnd zauste sie dem Jungen das dunkle Haar.

“Aber wann sehen wir dich wieder?”, drängte er.

“Ich melde mich”, log Isabella und blickte zu Paulo, der genau wusste, dass sie nicht wiederkommen würde. In seinem Leben hier war kein Platz für sie, schwanger oder nicht. Falls sie insgeheim noch gehofft hatte, Paulo könnte mehr für sie empfinden als Freundschaft, war dieser Hoffnungsschimmer erloschen angesichts seiner Freundin, die das Abbild seiner verstorbenen Frau war. Judy nannte ihn Liebling und besaß einen Schlüssel zu seinem Apartment.

Tapfer versuchte Isabella, die Situation realistisch zu sehen. Was hatte sie eigentlich erwartet? Dass sie aus heiterem Himmel auftauchen und Paulo sagen würde, sie sei von zu Hause fortgelaufen - schwanger und allein -, und dass er lächeln und alle ihre Probleme lösen würde?

Sie verzichtete auf den üblichen Kuss auf die Wange, um Judy nicht noch mehr zu reizen. Dann schlüpfte Isabella in ihren Mantel und verschwand in die frühe Abenddämmerung hinaus, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollte.

2. KAPITEL

“Isabella!”, rief eine Frauenstimme vom Fuß der Treppe. “Könnten Sie schleunigst runterkommen?”

In ihrem Zimmer im Dachgeschoss des hässlichen Hauses im nachgeahmten georgianischen Stil, das auf einem großen Grundstück in einer Nobelgegend stand, richtete Isabella sich seufzend auf. Eigentlich hatte sie jetzt frei. Sie müsse sich schonen, hatte der Arzt ihr beim letzten Besuch dringend geraten. Doch das war leichter gesagt als getan.

Was wollte sie jetzt schon wieder von ihr, diese laute, anstrengende Familie? Konnte man sie nicht einmal fünf Minuten in Ruhe lassen?

Reichte es nicht, dass sie von frühmorgens bis spätabends arbeitete und sich um die lebhaften Zwillinge der Familie Stafford kümmerte? Von Au-pair-Mädchen wurde erwartet, dass sie halfen, die Kinder zu beaufsichtigen, und leichte Hausarbeit übernahmen. Dabei musste ihnen jedoch auch genug freie Zeit für das Studium und sich selbst bleiben. Ganz sicher durfte von ihnen nicht verlangt werden, unentgeltlich Abend für Abend zu kochen, sauber zu machen, zu bügeln, zu nähen und auf die Kinder aufzupassen.

Manchmal fragte Isabella sich, warum sie sich das alles gefallen ließ. War sie schwach? Oder schlichtweg dumm?

Dennoch wusste sie genau, warum sie sich gegen diese schäbige Behandlung nicht auflehnte. Sie brauchte nur in den Spiegel zu blicken. Ihr blieb keine andere Wahl. Ihr Bauch war so dick wie eine überreife Wassermelone, und Mrs Stafford hatte sich als Einzige bereit erklärt, die werdende Mutter mit dem ungeborenen Baby aufzunehmen.

Natürlich hätte Isabella jederzeit nach Brasilien, zur Ranch, zurückkehren können. Aber wie konnte sie ihrem Vater in diesem Zustand gegenübertreten?

Als sie erfahren hatte, dass das Ergebnis des Schwangerschaftstests positiv war, hatte sie in ihrer Hilflosigkeit einfach nicht den Mut aufgebracht, ihrem Vater die Wahrheit zu gestehen.

Autor

Sharon Kendrick
Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr.

Sharon träumte davon, Journalistin zu werden, doch...
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