Herzen in süsser Gefahr

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In den Händen des Feindes befindet sich die schöne Josette Mallington, seit Captain Pierre Dammartin sie zurück nach England bringen soll! Quer durch die umkämpfte Iberische Halbinsel führt der gefahrenvolle Weg, den sie mit Pierre zurücklegt - und auf dem sie sich Meile für Meile mehr in ihren charmanten Begleiter verliebt. Sicher, als Franzose ist er ihr Feind. Aber als Mann ist er alles, wovon sie jemals geträumt hat! Und hell leuchtet der Stern der Liebe, als sie Pierre mutig zeigt, wie sehr sie sich nach einem Frieden sehnt, in dem sie für immer vereint sein könnten …


  • Erscheinungstag 03.08.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733767402
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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Portugal, 31. Oktober 1810

Das Kloster, in dem ihr Vater und seine Männer Zuflucht gesucht hatten, lag hoch in den Bergen nördlich von Punhete, nahe dem verlassenen Dorf Telemos. Josette Mallington kniete zwischen zertrümmertem Mauerwerk auf dem staubigen Boden und versuchte verzweifelt, die Blutung eines jungen Scharfschützen zu stillen. Draußen sammelten sich die Franzosen zum Angriff.

Josette ließ sich nicht von ihrer Aufgabe ablenken und blieb bei dem Schwerverwundeten. Der Kugelhagel zerschmetterte, was noch von den Fenstern übrig geblieben war, während die französischen Dragoner vorpreschten. Trotz des ohrenbetäubenden Gefechtslärms konnte man deutlich hören, wie sie im Sturmschritt heranrückten.

„En avant! En avant! Vive l’Empereur!“

Beißender Gestank nach Schießpulver und Blut erfüllte die Luft. Das alte Kloster, seit Jahrhunderten geweihter Schauplatz der heiligen Messe und Wohnstätte von Mönchen und Priestern, wurde nun der Austragungsort für ein Gemetzel. Die meisten Männer ihres Vaters waren tot, auch Sarah und Mary hatten die Schlacht nicht überlebt. Der klägliche Rest der Truppe begann zu fliehen.

Die Finger des jungen Scharfschützen zuckten kurz in Josettes Hand und rührten sich dann nicht mehr. Er hatte seinen letzten Atemzug getan, und trotz des Hexenkessels um sie herum traf sie sein Tod so hart, dass sie minutenlang nicht den Blick von seinen leblosen Augen nehmen konnte.

„Josie! Um Gottes willen, komm hier herüber, Mädchen!“

Die Stimme ihres Vaters riss sie aus ihrer Betäubung, und erst jetzt hörte Josette das dumpfe Aufprallen der Äxte, die die Franzosen wieder und wieder gegen das schwere Eingangstor des Klosters schwangen. Zitternd gab sie die Hand des toten Mannes frei und bedeckte sein Gesicht behutsam mit ihrem Schultertuch.

„Papa?“ Ihr Blick glitt über die blutbespritzten Trümmer um sie her.

Überall tote oder sterbende Soldaten, die in grotesker Haltung dalagen, hilflos und würdelos – die Männer ihres Vaters, die Männer des Fünften Bataillons des Britischen 60. Infanterieregiments. Josette hatte schon oft den Tod eines Menschen mit ansehen müssen, aber noch nie war sie Zeugin eines solchen Massakers geworden.

„Halt dich geduckt und beeil dich, Josie. Uns bleibt nicht viel Zeit.“

Auf Händen und Knien rutschte sie zu der Stelle, wo ihr Vater und eine kleine Gruppe seiner Männer kauerten. Ihre Gesichter waren schmutz- und blutverkrustet, ebenso wie die dunkelgrünen Uniformröcke und die blauen Hosen.

Ihr Vater umarmte sie und zog sie in den Kreis seiner Männer.

„Bist du verletzt?“

„Es geht mir gut“, antwortete sie, obwohl es unter solchen Umständen wohl niemandem wirklich gut gehen konnte.

Lieutenant Colonel Mallington nickte und wandte sich mit seinen nächsten Worten wieder an seine Männer. „Die Tür wird nicht mehr lange standhalten. Wir müssen in den oberen Stock hinauf. Folgt mir.“

Josette gehorchte dem Befehl ihres Vaters, ohne weiter zu überlegen. Genau wie alle anderen wusste sie, dass sie auf seine Klugheit und seine Erfahrung vertrauen konnte. Sie hielt nur kurz inne, um einem toten Scharfschützen Gewehr, Patronen und Pulverhorn abzunehmen, und vermied es, so gut sie konnte, auf die klaffende Wunde in seiner Brust zu starren. Mit zitternden Händen presste sie Waffe und Munition an sich und floh mit den anderen an dem Tor vorbei, das von den Franzosen wütend bearbeitet wurde, und die breite Steintreppe hinauf.

Zwei Stockwerke höher suchten sie Zuflucht in einem Raum, der an der Vorderseite des Klosters lag. Wie durch ein Wunder steckte der Schlüssel noch im Türschloss. Im selben Moment, da ihr Vater ihn herumdrehte, hörte Josette, wie das Eingangstor endgültig nachgab – die Franzosen stürmten das Gebäude.

Außer seiner stolzen Haltung und der ihm eigenen Autorität gab es nichts, das Lieutenant Colonel Mallington von seinen Männern unterschied. Sein Uniformrock war grün wie der der anderen und wies die gleiche schwarze Knotenverschnürung, die gleichen purpurroten Knopfleisten und Silberknöpfe auf. Lediglich die Achselstücke mit aufgenähter Silberkordel und die rote Schärpe wiesen auf seinen höheren Rang hin, denn die pelzbesetzte Offizierspelisse hatte ihr Vater irgendwo unten in der Eingangshalle zurückgelassen. Er richtete das Wort an seine Soldaten.

„Wir müssen sie so lange hinhalten wie nur irgend möglich, damit unsere Kuriere es schaffen, General Lord Wellington die Neuigkeiten zu überbringen.“ Der Lieutenant Colonel fasste jeden einzelnen der Männer fest ins Auge.

Der Respekt, den sie ihm entgegenbrachten, spiegelte sich deutlich in ihren Gesichtern wider.

„Die französische Streitmacht befindet sich in einem Geheimauftrag in diesen Bergen. General Foy, der die französische Infanterie und deren Kavallerieabteilung anführt, hält eine Nachricht von General Massena in Händen, die an Napoleon Bonaparte höchstpersönlich gerichtet ist. Zunächst reist er nach Ciudad Rodrigo in Spanien und von dort nach Paris.“

Die Soldaten lauschten stumm.

„Massena fordert Verstärkung an.“

„Wovon General Lord Wellington nichts ahnt“, fügte Sergeant Braun hinzu. „Und falls Massena seine Verstärkung erhält …“

„Deswegen ist es von größter Bedeutung, Wellington zu warnen“, fuhr Lieutenant Colonel Mallington fort. „Unsere Männer sind erst vor einer halben Stunde mit der Botschaft davongeritten. Sollte Foy herausbekommen, dass wir Kuriere entsandt haben, wird er Verfolger auf sie ansetzen. Wir müssen das verhindern, doch vor allem müssen wir für Captain Hartmann und Lieutenant Meyer Zeit gewinnen, damit sie die unwegsamen Berge hinter sich lassen können.“

Die Männer nickten ernst und entschlossen.

„Wir können uns also nicht ergeben“, beschwor der Lieutenant Colonel sie, „sondern müssen bis zum letzten Mann kämpfen. Unser Opfer wird sicherstellen, dass Wellington nicht von einer verstärkten Armee überrumpelt wird. Das Leben vieler Soldaten wird gerettet werden. Unsere sechs Leben für unsere Kuriere.“ Er hielt inne und bedachte jeden Mann mit einem feierlichen Blick. „Unsere sechs Leben für das Leben von vielen.“

Es herrschte Stille in dem kleinen Raum, während draußen schwere Stiefel immer näher kamen.

„Sechs Männer, um einen Krieg zu gewinnen“, sagte der Lieutenant Colonel leise.

„Sechs Männer und eine Frau“, warf Josette ein und hob demonstrativ das Gewehr.

Und dann rief einer nach dem anderen: „Für den Sieg!“

„Für König und Freiheit!“, fügte Lieutenant Colonel Mallington hinzu.

Heiseres Hurrageschrei beantwortete seine Worte.

„Kein Mann kommt lebend durch diese Tür“, schwor Sergeant Braun.

Wieder erklangen Hochrufe, und die Männer begannen, sich an beiden Seiten der Tür aufzustellen, die Waffen zum Kampf erhoben.

„Josie.“ Die Stimme ihres Vaters war leise und sanft, als er ihren Namen aussprach.

Josette trat zu ihm und wusste, ohne dass er ihr irgendetwas erklären musste, wie die Dinge standen – es gab keinen Ausweg mehr.

Er strich ihr leicht über die Wange. „Verzeih mir.“

Sie küsste seine Hand. „Ich habe dir nichts zu verzeihen.“

„Ich hätte dich niemals hierher zurückkommen lassen dürfen.“

„Ich wollte es so“, wandte sie ein. „Du weißt, wie ich es hasste, in England zu sein. Hier bei dir war ich glücklich.“

„Josie, wie sehr wünschte ich …“

Doch Lieutenant Colonel Mallington wurde unterbrochen. Es blieb keine Zeit mehr für ein Gespräch. Ein Franzose forderte sie draußen vor der geschlossenen Tür auf, sich zu ergeben.

Josettes Vater antwortete auf Englisch. „Wir ergeben uns nicht!“

Zwei weitere Male verlangte der Feind ihre Kapitulation, und beide Male verweigerte Lieutenant Colonel Mallington sie.

„Dann haben Sie Ihr Schicksal besiegelt“, erwiderte dieselbe Stimme.

Lieutenant Colonel Mallington machte seiner Tochter ein Zeichen, sich in die von der Tür am weitesten entfernte Ecke zusammenzukauern, und bedeutete seinen Männern, mit ihren Gewehren in Stellung zu gehen.

Die Franzosen feuerten ihre Musketen ab, und ein wahrer Kugelhagel prasselte gegen die schwere Tür.

Der Lieutenant Colonel hob warnend die Hand. Seine Männer sollten warten.

Für Josette war es der schwierigste Moment ihres Lebens – den Finger am Abzug, das Herz wild schlagend, weil sie wusste, dass sie alle sterben würden, und weil sie es trotzdem nicht fassen konnte. Nie zuvor waren die Minuten so langsam gekrochen wie jetzt. Doch ihr Vater ließ sie nicht schießen. Er wollte dem Feind ein letztes Gefecht liefern und ihn so lange in Schach halten, wie es in seiner Macht stand. Immer noch schlugen die Kugeln ein, immer noch mussten die Männer und Josette warten, dabei begann die Tür unter dem wilden Ansturm allmählich, sich in ihre Einzelteile aufzulösen. Große Stücke Holz brachen heraus und ließen Löcher zurück, durch die Josette eine ganze Horde französischer Soldaten ausmachen konnte.

„Jetzt!“, kam der Befehl.

Der klägliche Rest des Fünften Bataillons des 60. Infanterieregiments gab seine wohlgezielten Schüsse ab.

Josette konnte später nicht sagen, wie lange das Scharmützel gedauert hatte – vielleicht nur Sekunden, obwohl es ihr wie Stunden erschien. Ihre Arme und Schultern schmerzten von der Anstrengung, das Gewehr abzufeuern und wieder zu laden, doch sie hielt keinen Moment inne. Die Niederlage war ihnen gewiss. Ein britischer Scharfschütze nach dem anderen fiel den Kugeln des Feindes zum Opfer, bis am Ende nur noch Sergeant Braun, Josette und ihr Vater übrig blieben. Und dann stieß Lieutenant Colonel Mallington einen erstickten Laut aus und presste die Hand an die Brust. Gleich darauf sickerte ihm Blut durch die Finger. Er taumelte, sank gegen die Wand und rutschte schließlich an ihr herab. Der Säbel entfiel seiner kraftlosen Hand und traf klirrend auf den Boden.

„Papa!“ Mit zwei Schritten war Josette bei ihm und drückte ihm, ohne zu überlegen, den Säbel wieder in die Hand.

Lieutenant Colonel Mallingtons Atem kam schwer und mühsam. Der Blutfleck auf seinem Uniformrock breitete sich beängstigend rasch aus.

Sergeant Braun hörte Josettes Schrei und stellte sich vor den Lieutenant Colonel und dessen Tochter. Wie ein Besessener feuerte er einen Schuss nach dem anderen ab und lud dazwischen immer wieder rasend schnell nach, während er dem Feind mit wahrer Todesverachtung seine Wut entgegenbrüllte. Die Franzosen hatten die Schwelle zum Raum noch immer nicht überschritten. Es erschien Josette wie eine Ewigkeit, in der dieser eine Mann die gesamte Streitmacht der französischen 8. Dragoner zurückhielt. Doch dann traf ihn eine Kugel, dann noch eine und noch eine, und Sergeant Braun brach leblos zusammen.

Die Musketen verstummten.

Josette erhob sich taumelnd und stellte sich schützend vor ihren Vater, das Gewehr in Anschlag. In der plötzlichen Stille hörte man sie laut und stoßweise atmen.

Die zersplitterten Holzreste, die einmal die Tür gewesen waren, fielen in diesem Moment krachend auf den Boden. Allmählich verzog sich der Pulverrauch, und Josette sah, wem sie gegenüberstand.

Die Franzosen verharrten vor der Türöffnung, ohne sich zu rühren. Ihre grünen Uniformröcke mit den roten Aufschlägen erinnerten an die des Fünften Bataillons. Der Unterschied lag nur in den dazugehörigen weißen Beinkleidern und vor allem den Messinghelmen mit dem schwarzen Rosshaarbusch. Auf die kurze Entfernung konnte Josette die schmalen, harten Gesichter unter den Helmen deutlich erkennen. Und sie bemerkte den Ausdruck von Fassungslosigkeit, als den Männern bewusst wurde, wer sich ihnen entgegenstellte.

Sie hörte den Befehl „Ne tirez pas!“ und wusste, dass nicht auf sie geschossen würde. Dann betrat der Mann, der den Befehl gegeben hatte, den Raum.

Auch er trug einen grünen Uniformrock, jedoch mit weißen Epauletten, und seinen Helm zierte ein Band aus Leopardenfell – beides Abzeichen für einen Offizier, obwohl der Mann zu jung aussah für diesen Rang. Er war hochgewachsen, besaß eine muskulöse Statur, und unter seinem Helm lugte kurzes dunkles Haar hervor. Über seine linke Wange verlief eine Narbe, die seinem Aussehen etwas Düsteres gab. Trotz ihrer verzweifelten Situation fiel Josette der elegante Säbel auf, den er in der Hand hielt und an dessen Griff eine lange goldene Troddel hing.

Mit harter, schneidender Stimme sagte er: „Lieutenant Colonel Mallington.“

Josettes Vater sog scharf die Luft ein. „Dammartin?“, erwiderte er ungläubig.

„Commandant Jean Dammartin, den Sie kannten, wie man mir berichtet, war mein Vater. Ich bin Capitaine Pierre Dammartin und hoffe schon seit Langem, auf Sie zu treffen, Lieutenant Colonel Mallington.“ Sein Englisch war fehlerlos, nur der starke Akzent wies ihn als Franzosen aus.

„Lieber Himmel, Sie sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten!“

Der Capitaine lächelte grimmig. Er rührte sich nicht, stand nur da und schien den Augenblick zu genießen.

„Josie“, rief ihr Vater mit eindringlicher Stimme.

Josette hielt das Gewehr unverwandt auf den Feind gerichtet, warf ihrem Vater aber einen hastigen Blick zu. Er war blass und litt sichtlich Schmerzen.

„Papa?“

„Lass ihn zu mir. Ich muss mit ihm sprechen.“

Wieder fixierte Josette den Franzosen, der sie aus seinen dunklen Augen ausdruckslos ansah. Einen Moment lang musterten sie einander schweigend.

„Josie“, beharrte ihr Vater. „Tu, worum ich dich gebeten habe.“

Gehorsam trat sie zur Seite, folgte allerdings jedem Schritt des feindlichen Offiziers mit wachsamem Blick. Ihr Gewehr war immer noch auf ihn gerichtet, so wie jetzt die französischen Soldaten mit ihren Musketen auf sie zielten.

„Capitaine Dammartin.“ Ihr Vater machte dem Mann ein Zeichen, näher zu kommen.

Der Franzose rührte sich nicht.

Angesichts des Widerstrebens des jungen Mannes huschte ein schwaches Lächeln über Lieutenant Colonel Mallingtons Züge. „Sie sind aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Ihr Vater. Er war ein wahrhaft würdiger Gegner.“

„Ich danke Ihnen, Lieutenant Colonel.“ Um Dammartins Mund lag ein bitterer Zug. „Was für ein nobles Kompliment!“

Lieutenant Colonel Mallington sah kurz zu Josette. „Sie ist meine Tochter und alles, was mir auf dieser Welt geblieben ist. Ich brauche Sie nicht zu bitten, sie ehrenhaft zu behandeln. Als Jean Dammartins Sohn könnten Sie gar nicht anders, das weiß ich.“ Er hustete, und auf seinen Lippen erschien Blut.

Dammartin starrte ihn höhnisch an. „Ach, wissen Sie das?“ Er streckte den Arm aus, sodass die Spitze seines Säbels das Gesicht des Lieutenant Colonel fast berührte. „Sie sind sich außerordentlich sicher für einen Mann in Ihrer Lage.“

Die Dragoner hinter ihm lachten, aber Dammartin hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen.

Josette trat einen Schritt näher. Ohne sich anmerken zu lassen, wie sehr das Gewicht des Gewehrs ihre Arme belastete, packte sie es fester und richtete es auf Dammartins Brust. „Senken Sie die Waffe, Sir, sonst schieße ich Sie nieder.“

„Nein, Josie!“, brachte ihr Vater mit erstickter Stimme hervor.

„Denken Sie daran, was geschehen wird, wenn Sie abdrücken.“ Dammartin wirkte völlig unbewegt.

„Ich denke daran, was geschehen wird, wenn ich nicht abdrücke“, erwiderte sie.

Keiner ließ den anderen aus den Augen, als könnte dies entscheiden, ob der Säbel oder das Gewehr schneller sein würde.

„Josie.“ Ihr Vater hustete qualvoll. „Leg dein Gewehr beiseite.“

Josette schoss ihm einen entsetzten Blick zu. „Wir ergeben uns nicht“, wiederholte sie seine eigenen Worte.

„Josie.“ Mit blutbefleckten Fingern winkte Lieutenant Colonel Mallington sie zu sich heran, aber die Bewegung war schwach und unkontrolliert.

Mit einem letzten Blick auf Dammartin, der seinen Säbel ein kleines Stück sinken ließ, ging Josette neben ihrem Vater in die Hocke.

„Unser Kampf ist vorbei“, flüsterte er. „Mehr können wir nicht tun.“ Als sie ihn unterbrechen wollte, fuhr er fort: „Ich liege im Sterben.“

„Nein, Papa“, widersprach sie, doch die tödliche Blässe seines Gesichts verriet ihr die schreckliche Wahrheit.

„Ergib dich, Josie. Capitaine Dammartin ist ein Ehrenmann. Bei ihm wirst du in Sicherheit sein.“

Es war Josette unbegreiflich, wie er das von einem Menschen behaupten konnte, der ihn mit solchem Hass in den Augen ansah. „Niemals! Wie kannst du so etwas sagen? Er ist unser Feind!“

„Befehlsverweigerung wird streng bestraft“, versuchte ihr Vater zu scherzen, aber sein Lächeln geriet zu einer Grimasse, und er musste abermals husten.

„Papa!“ Ohne weiter auf Dammartin zu achten, legte sie das Gewehr auf den Boden, ergriff die rechte Hand ihres Vaters und strich ihm sanft über die kalte Wange.

„Versprich mir, dass du dich ihm ergeben wirst“, brachte er mühsam hervor. „Vertrau ihm, Josie. Obwohl sie unsere Feinde sind, sind die Dammartins anständige Männer.“

Sie biss sich auf die Unterlippe, um ihr Zittern zu unterdrücken, und gab die einzige Antwort, die ihr möglich war. „Ich verspreche es, Papa.“ Sanft drückte sie ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Braves Mädchen“, sagte er liebevoll.

Heiße Tränen liefen ihr über die Wangen.

„Capitaine Dammartin.“ Die Worte des Lieutenant Colonel klangen wie ein Befehl. Etwas von seiner früheren Kraft schien für einen Moment zurückgekehrt.

Josettes Herz machte einen Sprung. Vielleicht würde ihr Vater doch nicht sterben. Sie beobachtete, wie er fest die Hand des jungen Franzosen ergriff.

„Ich vertraue Josette Ihrer Obhut an. Sorgen Sie für ihre Sicherheit, bis Sie sie hinter die britischen Linien zurückbringen können.“

Sein Blick ließ den des Capitaine nicht los. Der Anblick des Franzosen war der letzte, der dem Lieutenant Colonel vergönnt sein sollte. Ein leiser Seufzer entfuhr seinen Lippen, dann herrschte Stille in dem kargen, kalten Klosterraum. Die Hand ihres Vaters lag schlaff in Josettes Händen.

„Papa?“, flüsterte sie erstickt. Die Erkenntnis des Unfassbaren ließ ihr die Stimme brechen. Weinend presste sie ihre Wange an die des Toten und schlang die Arme um seinen blutbefleckten Körper. Das herzzerreißende Schluchzen, das sich ihrer Kehle entrang, war selbst für die Männer, die auf den Schlachtfeldern abertausende Schmerzensschreie vernommen hatten, schrecklich anzuhören. Auch diejenigen, die den Raum nicht betreten konnten, ahnten, was vorgefallen war, und schwiegen respektvoll, obwohl sie in der vergangenen Stunde selbst Verwundungen erlitten oder verursacht hatten.

Als Josette den Körper ihres Vaters losließ, war sie so betäubt, dass Dammartin es übernahm, die Augen des Lieutenant Colonel zu schließen. Er war es auch, der Josettes Hände ergriff und ihr aufhalf. Der Befehl, den er seinen Männern zurief, drang kaum in ihr Bewusstsein, ebenso wenig wie die Tatsache, dass man ihr Platz machte, um sie vorbeizulassen, oder die finstere Miene des Capitaine, der sie aus dem Raum geleitete.

Die Franzosen schlugen ihr Lager in dem verlassenen Dorf auf, das sie erobert hatten. Ihre Lagerfeuer erfüllten die Dunkelheit in der felsigen Gegend mit flackerndem Licht.

Pierre Dammartin, Capitaine der 8. Dragoner in Napoleons Armee in Portugal, hatte den englischen Lieutenant Colonel unbedingt lebend gefangen nehmen wollen. Bei seinem Angriff auf das Kloster war er nur deshalb gemäßigt vorgegangen, weil er erfahren hatte, dass Mallington die dort verbarrikadierten Scharfschützen anführte und es ihm ein lang ersehntes Vergnügen gewesen wäre, den Mann höchstpersönlich ins Jenseits zu befördern.

Seit eineinhalb Jahren war er auf der Suche nach Mallington. In seinen Träumen hatte er ihm oft auf dem Schlachtfeld gegenübergestanden und ihm seine Identität enthüllt. Es war ihm ein tiefes Bedürfnis gewesen, dem Mann jene Frage zu stellen, die ihn seit achtzehn Monaten nicht ruhen ließ. Vor knapp einer Stunde hatte es so ausgesehen, als wären seine Gebete endlich erhört worden: Der Lieutenant Colonel war ihm an einem Ort in die Hände gefallen, an dem er nie damit gerechnet hätte.

Es war nicht leicht gewesen, ihn und seine Truppe zu besiegen, und das, obwohl die Franzosen in der Überzahl waren. Mallingtons Männer mussten beschlossen haben, bis zum bitteren Ende zu kämpfen, statt zu kapitulieren. Und so hatte die Schlacht länger gedauert als erwartet. Sein Wunsch, dem Lieutenant Colonel ins Gesicht zu sehen und ihm seinen Namen zu sagen, war in Erfüllung gegangen. Doch die Reaktion des Engländers hatte Dammartin völlig verblüfft, und es war keine Zeit geblieben, Fragen zu stellen. Der leidenschaftlich herbeigesehnte Moment hatte den Capitaine tief enttäuscht. Besonders wegen Mallingtons Tochter.

Dammartin stand am Fenster eines baufälligen Häuschens am Ende der Dorfstraße, die zum Kloster führte. Er hörte die Stimmen seiner Männer an den Lagerfeuern in der Nähe. Bald würden sie schlafen gehen, genau wie Tausende anderer französischer Soldaten in den Quartieren von Santarém, das nicht weit entfernt im Süden lag. Der Nachthimmel war von einem tiefen, fast schwarzen Blau und übersät mit unzähligen, hell leuchtenden Sternen. Dammartin wusste, dass sie mit schneidender Kälte rechnen mussten. Morgen würde Général Foy sie über die Berge nach Ciudad Rodrigo führen, und sie würden das zerstörte Kloster bei Telemos hinter sich lassen. Er drehte sich um, als jemand den Raum betrat.

„Ihr Kaffee, Capitaine.“

Dammartin nahm den Zinnbecher aus der Hand seines Sergeant entgegen. „Danke.“ Die braune Flüssigkeit war bitter, aber heiß. „Hat Commandant La Roque schon nach mir gesandt?“

„Nein.“ Sergeant Lamont lächelte, und seine schiefen Zähne blitzten auf. „Er ist zu sehr mit Essen und Trinken beschäftigt.“

„Also lässt er mich bis morgen warten.“ Dammartin zuckte die Schultern. „Um mir dann gehörig die Hölle heiß zu machen, nehme ich an.“

Lamont grinste. Er war ein kleiner, drahtiger Mann mit dunklen Augen, die beinahe schwarz wirkten. Sein Gesicht war von Falten durchzogen und wettergegerbt und sein Haar früh ergraut. Keiner wusste so gut mit der Muskete umzugehen wie er. Trotz des Standesunterschiedes – Lamont war der Sohn eines Fischers und Dammartin der eines angesehenen Befehlshabers in Napoleons Armee – verband die beiden eine enge Freundschaft.

„Die englischen Scharfschützen waren nicht bereit, zu kapitulieren“, sagte der Sergeant nachdenklich. „Sie haben wie wahre Teufel gekämpft. Der Sieg ist uns nicht in den Schoß gefallen. Das muss der Commandant erfahren.“

Der Capitaine begegnete Lamonts Blick. Sie wussten beide, dass der Kampf durch Dammartins Weigerung, das Kloster zu stürmen, unnötig verlängert worden war. „La Roque wird sich nur für die Verzögerung interessieren, die es uns gekostet hat. Und Général Foy wird auch nicht begeistert sein. Ein ganzer Tagesmarsch, und wir kommen nicht einmal bis Abrantes.“

Lamont verzog das Gesicht. „Das war es wert. Sie wollten den englischen Lieutenant Colonel lebend, um ihn persönlich sterben zu sehen.“

Von Dammartin kam keine Antwort.

„Sie haben lange Zeit gewartet, um ihn ins Jenseits zu befördern, und nun ist er tot.“

„Aber nicht durch meine Hand.“

„Macht das einen Unterschied? Er ist in jedem Fall tot.“

Dammartin schüttelte langsam den Kopf. „Ich wollte ihm in die Augen sehen, während ich ihn töte. Ich wollte seinen Gesichtsausdruck beobachten, wenn ich ihm sage, wer ich bin. Es war mir wichtig, seine Angst zu spüren.“

„Und heute haben Sie genau das getan. Mallington tat seinen letzten Atemzug, während er Ihnen in die Augen sah. Es ist vollbracht, mon Capitaine. Ihr Vater ist gerächt.“

Wieder gab Dammartin keine Antwort. Er hatte sich Mallington zu erkennen gegeben, nur, danach waren die Dinge nicht so verlaufen, wie er gehofft hatte, und er fühlte sich um seine Rache betrogen.

Lamont schenkte sich Kaffee ein und setzte sich auf sein Marschgepäck, das er neben dem Kamin abgestellt hatte. Um sich die Hände zu wärmen, legte der Sergeant sie um den heißen Zinnbecher und starrte in die Flammen. „Vielleicht haben meine Ohren mich getäuscht, mon Capitaine, aber mir schien, der Engländer sagte, das Mädchen sei seine Tochter.“

„Ja, das stimmt.“

„Sacré bleu!“, fluchte der Sergeant. „Nur ein verrückter Engländer bringt es zuwege, seiner eigenen Tochter zu erlauben, mit in den Krieg zu ziehen.“ Er schüttelte fassungslos den Kopf. „Völlig verrückt.“

„Scheint so.“ Dammartin rief sich in Erinnerung, wie das Mädchen allein dagestanden und sich in scheinbarer Furchtlosigkeit den Männern der 8. Dragoner gestellt hatte, um seinen Vater zu verteidigen.

„Sie ist so jung und zerbrechlich. Unglaublich, dass sie diese Hölle überlebt hat.“

„So zerbrechlich, dass ihre Kugeln in einigen unserer Männer stecken“, bemerkte Dammartin sarkastisch.

„Das ist natürlich wahr.“ Lamont nahm einen Schluck von seinem Kaffee.

Als wolle er einlenken, zog Dammartin einen flachen Silberflakon aus der Tasche und öffnete den Verschluss. „Branntwein? Um heute Nacht die Feuchtigkeit aus Ihren Knochen zu vertreiben.“

Lamont lächelte erfreut, nickte und hielt dem Capitaine seinen Becher hin.

Dammartin goss erst ihm und dann sich selbst großzügig ein.

„Aus welchem Grund hat Mallington seine Männer geopfert?“, sagte er nachdenklich. „Wegen eines verlassenen Dorfs am Ende der Welt? Das ergibt keinen Sinn. Wellingtons Einsatzkräfte befinden sich alle bei Torres Vedras und Lissabon. Was hatte Mallington überhaupt hier oben zu suchen?“

Der Sergeant zuckte die Achseln. „Eine Art Spähtrupp? Immerhin waren es Scharfschützen.“

„Vielleicht. Mademoiselle Mallington wird womöglich in der Lage sein, uns aufzuklären.“

Lamont sah seinen jungen Capitaine beunruhigt an. „Sie wollen sie verhören?“

„Sie ist die einzige Überlebende. Wer außer ihr könnte es uns sagen?“

„Der Engländer hat sie Ihrer Obhut anvertraut“, wandte Lamont ein. „Und sie ist doch nur ein Mädchen, die Tochter eines Gentleman, der heute in ihren Armen gestorben ist.“

„Sie ist die Tochter eines Schurken, obendrein eines englischen Schurken“, verbesserte Dammartin ihn schroff. „Und mit dem Gewehr ging sie genauso gut um wie jeder Mann. Man kann ihr nicht trauen. Wo ist Mademoiselle Mallington?“

„Unten im Keller eingesperrt.“

Dammartin leerte seinen Becher und stellte ihn ab. „Wie es aussieht, erwartet mich heute Abend noch Arbeit.“

Besorgt sah sein Sergeant zu ihm auf. „Ich kann nur hoffen, mon ami, dass Sie wissen, was Sie tun.“

„Mehr denn je“, antwortete Dammartin und verließ den Raum.

2. KAPITEL
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Josette hockte auf der Kante einer staubigen Kiste, die Arme um sich geschlungen, um sich gegen die Kälte in dem feuchten Keller zu schützen, in den die französischen Soldaten sie eingesperrt hatten. Wohin immer sie in der Dunkelheit blickte, erschien das blasse, unbewegte Antlitz ihres toten Vaters vor ihrem inneren Auge, und sosehr sie es auch versuchte, sie konnte nicht vergessen, wie ihm das Blut aus dem Mund geronnen war. Bleierne Stille umgab sie, doch selbst jetzt glaubte sie noch das laute Donnern der Gewehre und Musketen und die Schreie der sterbenden Männer zu hören. Verzweifelt hielt sie sich die Ohren zu, um die entsetzlichen Geräusche zu ersticken, aber es half nichts.

Am Morgen war sie noch Teil einer Einheit von fünfundzwanzig Männern und drei Frauen gewesen. Sie hatte Wasser von der Quelle hinter dem Kloster geholt, um Tee aufzubrühen. In bester Laune war ihr Vater zum Frühstück erschienen, und sie hatten nahrhaften, wärmenden Porridge gegessen und miteinander gelacht.

Josette erinnerte sich, wie er ihr von den französischen Soldaten berichtet hatte, die das Gebirge überquerten, und dass er beabsichtigte herauszufinden, was sie hier suchten. Also hatten er und eine Hand voll seiner Männer sich auf den Weg gemacht, während Josette und die anderen im Kloster geblieben waren und das Abendessen vorbereiteten. Doch der Spähtrupp war schon nach kurzer Zeit zurückgekehrt, den Feind dicht auf den Fersen. In höchster Eile hatte Lieutenant Colonel Mallington seinen Captain und den Ersten Lieutenant mit einer Botschaft zu Wellington entsandt. Nicht lange danach waren die Franzosen angerückt und hatten Josettes Welt in Trümmer gelegt. Ihr Vater würde nie wieder mit ihr lachen. Er war tot. Alle waren tot. Alle außer ihr.

Der Gedanke war so unerträglich, dass sich ihr Magen heftig zusammenzog. Hastig sprang sie auf und erreichte, in der Dunkelheit stolpernd, eine Ecke des Kellers, wo sie sich würgend vornüberbeugte. Als der Anfall vorüber war, lehnte sie sich zitternd gegen die Wand. Erst nach einer ganzen Weile fühlte sie sich in der Lage, ihren Weg zurück zu der Kiste zu ertasten, auf der sie gesessen hatte.

Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, da hörte sie Schritte auf der Treppe, die sie vorhin von den Franzosen heruntergeschleift worden war. Dem Geräusch der klackenden Absätze nach zu urteilen, war es ein einzelner Mann, der auf den Keller zukam. Josette wappnete sich innerlich und versuchte, die Furcht zu unterdrücken, die ihr die Kehle zuschnürte. Jemand drehte den Schlüssel im Schloss und stieß die Tür auf.

Das Licht einer Laterne blendete sie. Josette wandte das Gesicht ab. Als ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, blickte sie erneut zur Tür und sah sich dem Capitaine gegenüber, den ihr Vater Dammartin genannt hatte.

„Mademoiselle Mallington“, sagte er, trat über die Schwelle und blieb mit erhobener Laterne vor ihr stehen.

Er kam ihr sehr viel größer vor als in ihrer Erinnerung. Staub und Schmutz waren von seinem Uniformrock gebürstet worden. Zu der weißen Hose trug er kniehohe schwarze Stiefel, und dieses Mal hatte er den Messinghelm der Dragoner nicht aufgesetzt. Im Schein der Laterne schimmerte sein kurzes Haar schwarz wie die Nacht. Er sah sie ausdruckslos an, aber ein harter Zug lag um seinen Mund. In dieser Hinsicht hatte ihre Erinnerung sie immerhin nicht getrogen.

„Capitaine Dammartin.“ Sie erhob sich.

„Setzen Sie sich“, befahl er auf Englisch.

Josette presste gereizt die Lippen zusammen. Sein leiser Ton ließ nichts Gutes ahnen, und dennoch war ihre erste Regung, sich ihm zu widersetzen. Nur der Gedanke an ihren Vater ließ sie innehalten. Sie meinte noch, seine Stimme hören zu können: Vertrau ihm, Josette. Aber wie sollte sie dem Franzosen vertrauen, wenn sich jede Faser in ihr dagegen sträubte? Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihrem Vater zu gehorchen, und andererseits ihrem Spürsinn zu glauben, zögerte sie.

Dammartin zuckte mit den Schultern. „Dann stehen Sie eben, da Sie es vorzuziehen scheinen. Für mich macht es keinen Unterschied.“ Ungerührt ließ er den Blick auf ihr ruhen.

Josettes Herz klopfte wild, doch sie weigerte sich, ihn ihr Unbehagen merken zu lassen. Mit leicht vorgerecktem Kinn sah sie ihm stolz ins Gesicht.

So maßen sie einander mit Blicken. Keiner von beiden wollte sich die Blöße geben, sich als Erster abzuwenden.

„Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen“, sagte Dammartin, ohne sie aus den Augen zu lassen.

Ihre Beine begannen zu zittern, und Josette wünschte, sie hätte sich vorhin gesetzt, doch jetzt war es unmöglich. Nur mit der größten Willensanstrengung gelang es ihr, ihre Schwäche zu überwinden. „Da geht es Ihnen wie mir, Sir.“

Er schien nicht einmal überrascht zu sein. „Wir können uns ja abwechseln. Die Dame zuerst.“ So, wie er das Wort betonte, war klar, dass er sie nicht im Mindesten für eine solche hielt.

„Der … Leichnam meines Vaters. Ist er … Haben Sie ihn …“

„Ihr Vater liegt genau dort, wo er gefallen ist“, erwiderte er barsch.

„Sie haben ihm keine Bestattung gewährt?“

„Hat sich Lieutenant Colonel Mallington etwa die Zeit genommen, Franzosen zu begraben? Jede Seite begräbt ihre eigenen Männer.“

„Nach einer Schlacht! Das heute war etwas ganz anderes!“

„Meinen Sie?“, fragte er geringschätzig. „Ich stand unter dem Eindruck, dass es sich sehr wohl um eine Schlacht handelte, Mademoiselle.“

Josette presste die zitternden Hände zusammen. „Aber es ist niemand von seinen Männern am Leben geblieben, um ihn zu begraben.“

„So will es scheinen.“

Seine Antwort hing zwischen ihnen wie ein Echo. Josette wurde von heftigem Schwindel ergriffen.

„Sie lassen ihn also nicht begraben?“, fragte sie ungläubig.

„Nein.“

Entsetzt schnappte sie nach Luft. „Nein? Und mein Vater behauptete, Sie seien ein Ehrenmann. Offenbar hat er sich gründlich in Ihnen getäuscht.“

Dammartin erwiderte nichts darauf.

„Sie wollen ihn einfach so liegen lassen, damit wilde Tiere ihn zerfetzen können?“

„Das ist der normale Gang der Dinge auf einem Schlachtfeld.“

Die Hände zu Fäusten geballt, machte Josette einen Schritt auf ihn zu. „Sie sind verachtenswert!“

„Sie sind die Erste, die das behauptet“, entgegnete er knapp.

„Geben Sie mir wenigstens einen Spaten, damit ich selbst ein Grab für ihn ausheben kann.“

„Das ist nicht möglich, Mademoiselle. Doch wenn Sie Ihren Vater begraben wissen wollen, wird es geschehen.“

Verblüfft sah sie ihn an. „Aber Sie sagten …“

„Es wird geschehen“, wiederholte er, „sobald Sie meine Fragen beantwortet haben.“

Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Sie ahnte, was Dammartin von ihr wissen wollte. Mühsam setzte sie eine gleichgültige Miene auf und betete insgeheim um Kraft und Mut.

Pierre Dammartin betrachtete das Mädchen aufmerksam. Offenbar hatte er sich nicht geirrt. Sie wusste etwas. „Sagen Sie mir, Mademoiselle Mallington, was suchten Scharfschützen des Fünften Bataillons des 60. Regiments eigentlich in Telemos?“

„Ich weiß es nicht.“

„Kommen Sie, Mademoiselle. Es fällt mir schwer, das zu glauben.“

„Warum? Sie denken doch nicht etwa, mein Vater hätte solche Dinge mit mir besprochen? Ich versichere Ihnen, britische Offiziere pflegen ihre Anordnungen nicht mit ihren Töchtern zu diskutieren.“

Er schenkte ihr ein kühles Lächeln. „Und pflegen sie ihre Töchter auf einen gefährlichen Feldzug mitzunehmen und sie an der Seite ihrer Männer kämpfen zu lassen?“

„Es ist nicht ungewöhnlich, dass Offiziere ihre Familie bei sich haben. Was das Kämpfen angeht, so tat ich das nur ganz am Ende, weil die Lage verzweifelt war.“

Er achtete nicht auf ihre letzte Bemerkung. „Und Ihre Mutter? Wo ist sie?“

„Sie ist tot, Sir.“

Auch das rührte ihn nicht besonders, wie es schien.

„Erzählen Sie mir von den Männern Ihres Vaters.“

„Es gibt nichts zu erzählen“, sagte sie furchtlos, fast als wollte sie ihn verhöhnen.

„Von wo aus sind Sie hierhermarschiert?“

„Ich erinnere mich nicht.“

Dammartin hob eine Augenbraue. Entweder war das Mädchen dumm oder tapfer, und nach allem, was er von Mademoiselle Mallington gesehen hatte, tippte er eher auf Letzteres. „Wann sind Sie in Telemos angekommen?“

Sie senkte den Blick. „Vor einigen Tagen.“

„An welchem Tag genau?“

„Ich erinnere mich nicht.“

„Dann überlegen Sie ein wenig, Mademoiselle.“ Er trat näher, um sie mit seiner Körpergröße einzuschüchtern. „Ich bin sicher, die Antwort wird Ihnen noch einfallen.“

Sie wich einen Schritt zurück. „Es könnte der Montag gewesen sein.“

Eine ganz offensichtliche Lüge. Alles an ihr verriet sie – die Art, wie sie seinem Blick auswich, nur um ihn dann wieder betont hochmütig anzusehen, ihre Haltung, die rastlosen Bewegungen ihrer Hände.

„Montag?“

„Ja.“

„Wie viele Männer waren es?“

Autor

Margaret McPhee
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