Herzklopfen wie beim ersten Kuss - 5 Lovestorys zum Dahinschmelzen

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LASS MICH DEIN HERZ EROBERN von DAPHNE CLAIR

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  • Erscheinungstag 08.02.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529136
  • Seitenanzahl 589
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Lass mich dein Herz erobern erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2003 by Daphne Clair
Originaltitel: „The Determined Virgin“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 1626 - 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Tina Beckmann

Umschlagsmotive: chainatp/GettyImages, Chinnapong/GettyImages, yotrak/GettyImages.

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733729721

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Rhiannon hasste Fahrstühle. Doch da an diesem Morgen die unteren Ebenen des Parkhauses bereits besetzt gewesen waren, stand sie nun vor der Wahl: Entweder sie schleppte den schweren Karton voller Keramikfliesen, den sie in den Armen hielt, vier Stockwerke hoch, oder sie nahm den Aufzug, wie jeder normale Mensch es an ihrer Stelle getan hätte.

Und war es nicht genau das, was sie seit nunmehr fünf Jahren zu tun versuchte? Sich zu verhalten wie ein ganz normaler Mensch?

Einen Moment lang stand sie zögernd vor den einladend geöffneten Türen. Dann atmete sie tief durch und stieg ein. Sie drückte den Knopf für die vierte Etage und war froh, der einzige Fahrgast zu sein.

Die Türen schlossen sich bereits, als sich im letzten Moment eine kräftige Hand dazwischenschob und ein großer, schlanker Mann durch die Lücke schlüpfte. Instinktiv wich Rhiannon zurück, bis sie die Kabinenwand im Rücken spürte.

Der Mann nickte ihr kurz zu und warf einen flüchtigen Blick auf die Fahrstuhlknöpfe. Dann schlossen sich die Türen endgültig.

Es ist okay, sagte Rhiannon sich. Er ist nur ein ganz normaler Mann. Sie blickte unauffällig in seine Richtung und bemerkte erschrocken, dass er sie träge unter halb geschlossenen Augenlidern musterte. Lässig gegen die Seitenwand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, ließ er den Blick über ihr kinnlanges dunkelbraunes Haar, den cremefarbenen Pulli und den moosgrünen Rock gleiten.

Rhiannon spürte ein leichtes Prickeln im Nacken, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie zwang sich, gleichmäßig zu atmen und die Ruhe zu bewahren. Unwillkürlich drückte sie den Karton fester an sich und hielt den Blick starr auf die Fahrstuhlknöpfe gerichtet. Obwohl sie den Unbekannten höchstens zwei Sekunden lang angesehen hatte, war ihr dennoch nicht entgangen, dass er ausnehmend gut aussah.

In dem eleganten grauen Geschäftsanzug bewegte er sich so selbstverständlich, als wäre er darin auf die Welt gekommen. Seine klassischen Gesichtszüge hingegen schienen eher einer griechischen Götterstatue zu entstammen und wirkten in diesem staubigen Parkhaus mitten in Auckland merkwürdig fehl am Platz. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch sein honigblondes, leicht gewelltes Haar, das von sonnengebleichten Strähnen durchzogen war.

Als der Aufzug anhielt und die Türen sich öffneten, ließ der Mann Rhiannon höflich den Vortritt. Sie hob den Karton ein wenig an und strebte entschlossen auf die kurze Treppe zu, die zum Parkdeck führte.

Kaum hatte sie die erste Stufe betreten, als sie eine leichte Berührung auf ihrem Arm spürte.

„Dieses Ding scheint ziemlich schwer zu sein. Lassen Sie mich Ihnen helfen.“

Erschrocken fuhr Rhiannon herum. Dabei kam ihr Fuß auf der glatten Treppe ins Rutschen, sie verlor das Gleichgewicht und stürzte so unglücklich, dass sie mit dem Ellbogen an der Kante einer Steinstufe aufschlug und der Karton ihren Händen entglitt.

Laut scheppernd fielen die Fliesen heraus und schlitterten über den Boden. Der Mann stieß einen Fluch aus, doch Rhiannon nahm es kaum wahr. Wie betäubt ließ sie sich auf die Treppe sinken und biss die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz laut aufzuschreien.

„Meine Güte, das tut mir schrecklich leid!“ Die tiefe männliche Stimme war plötzlich ganz nah.

Zu nah.

Mit angstgeweiteten Augen blickte Rhiannon direkt in das Gesicht des griechischen Gottes, das nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt war.

Seine Augen waren eisblau. Sie wirkten jedoch nicht kalt, sondern drückten Schuldgefühle und ehrliche Besorgnis aus. „Sind Sie verletzt?“, erkundigte er sich und kniete sich vor sie hin, ohne auf den schmutzigen Boden zu achten. „Lassen Sie mich mal sehen.“ Er beugte sich noch tiefer über sie, so dass sie direkt auf seinen welligen Scheitel blickte. Ein angenehm würziger Citrusduft stieg ihr in die Nase.

Noch bevor er sie erneut berühren konnte, zuckte Rhiannon zurück und schüttelte abwehrend den Kopf. „Schon gut. Ich bin gleich wieder okay.“

„Sie sind weiß wie die Wand“, stellte der Mann nüchtern fest.

Kein Wunder, dachte Rhiannon. Genauso fühlte sie sich auch. Zum Glück ließ wenigstens das Schwindelgefühl allmählich nach. „Ich bin völlig in Ordnung“, beharrte sie, doch als sie Anstalten machte aufzustehen, drückte der Mann sie sanft, aber bestimmt auf die kalten Stufen zurück.

„Nicht bewegen!“, ordnete er an. „Besser, Sie bleiben noch einen Augenblick sitzen.“ Als Rhiannon versuchte, seine Hand abzuschütteln, fügte er beschwichtigend hinzu: „Immer mit der Ruhe. Ich werde Ihnen nichts tun.“

Sein bestimmter und zugleich beruhigender Tonfall bewirkte, dass ihre Panik sich allmählich legte. Er wird dir nichts tun, redete sie sich im Stillen zu und bemerkte zu ihrer eigenen Überraschung, dass von der warmen, kräftigen Hand auf ihrer Schulter etwas beinah Tröstliches ausging.

Einen Augenblick später ließ er sie wieder los und begann, die Fliesen aufzusammeln und in den Karton zurückzulegen.

„Einige sind zerbrochen“, stellte er fest. „Selbstverständlich werde ich für den Schaden aufkommen.“

„Nicht nötig“, erklärte Rhiannon hastig. „Ich hätte sie ohnehin zerschlagen.“

Der Mann hielt in der Bewegung inne und blickte überrascht auf. „Stressabbau?“, erkundigte er sich lächelnd.

„Die Fliesen sind für ein Mosaik bestimmt“, antwortete sie widerstrebend.

„Ein Mosaik … Hm. Machen Sie das beruflich?“

Rhiannon zögerte. Komm schon, ermahnte sie sich. Es ist nur eine höfliche Frage. „Nicht ganz“, erwiderte sie ausweichend.

Als keine weiteren Erklärungen folgten, verzog der Fremde leicht spöttisch die Lippen und klappte den Deckel des Kartons zu. „Wie geht es Ihnen jetzt?“, erkundigte er sich.

„Bestens“, versicherte Rhiannon und schob sich entschlossen den Träger ihrer Umhängetasche über die Schulter. Beim Aufstehen zuckte sie allerdings vor Schmerz zusammen.

Der Mann runzelte die Stirn. „Sind Sie sicher, dass Sie sich nichts gebrochen haben?“

Rhiannon bewegte probeweise ihren Unterarm. Es fühlte sich unangenehm an, aber sie ließ sich nichts anmerken und sagte nur: „Es ist eine Prellung, weiter nichts.“

„Trotzdem“, erklärte er bestimmt und griff nach dem Karton. „Ich werde das hier auf jeden Fall für Sie tragen.“

Da Widerspruch offenbar zwecklos war, gab Rhiannon nach und begann, die Treppe hinaufzusteigen. Dabei war sie sich seiner Schritte dicht hinter ihr überdeutlich bewusst.

„Kann ich noch etwas für Sie tun?“, erkundigte sich der Mann, nachdem er den Karton im Gepäckraum von Rhiannons Kombi verstaut hatte.

„Nein, danke. Sie haben bereits genug getan.“

„Oje, ich verstehe“, sagte er und machte ein zerknirschtes Gesicht.

„Ich meinte nicht …“, begann Rhiannon verlegen, doch er lachte nur und winkte ab.

„Tja, also dann nochmals vielen Dank.“

„Wofür? Dass Sie sich meinetwegen verletzt haben?“

„Es war nicht Ihre Schuld.“

Das war nur zu wahr.

Jede andere Frau hätte das Hilfsangebot eines so attraktiven Mannes vermutlich liebend gern akzeptiert. Sie jedoch hatte es so eilig gehabt, ihm zu entfliehen, dass sie dabei über ihre eigenen Füße gestolpert war.

„Gibt es jemanden, der Ihnen später beim Ausladen hilft?“

„Ja“, erwiderte Rhiannon kurz angebunden. Dann öffnete sie die Fahrertür und stieg ein.

Mit bedauernder Miene schloss der Fremde die Tür für sie, hob grüßend die Hand und trat zurück.

Als Rhiannon beim Hinausfahren durch den Rückspiegel blickte, sah sie, dass er immer noch an derselben Stelle stand und ihr nachblickte.

Gabriel Hudson schob die Hände in die Hosentaschen und wippte einige Male auf den Absätzen hin und her.

Tja, Hudson, dachte er selbstironisch. Nicht ganz dein üblicher Stil.

Nicht, dass es zu seinen Gewohnheiten gehörte, fremde Frauen in Parkhäusern anzusprechen, aber er konnte sich nicht daran erinnern, dass ihn jemals ein weibliches Wesen so unmissverständlich hatte abblitzen lassen.

Schon bevor er sich für einen Spottpreis in die angeschlagene Firma eingekauft, ihren Namen geändert und sie zu einem der erfolgreichsten Privatunternehmen Neuseelands gemacht hatte, war er in puncto Frauen ausgesprochen erfolgsverwöhnt gewesen. Er wusste um die Wirkung, die sein Aussehen auf das schöne Geschlecht ausübte, und manchmal gab es sogar Momente, da es ihm lästig war. Jedenfalls pflegte es Frauen normalerweise nicht abzuschrecken.

Die schöne Unbekannte jedoch war sofort in die hinterste Ecke der Kabine zurückgewichen, sobald er den Aufzug betreten hatte, und hatte jeden Blickkontakt vermieden. Das hatte ihm die Gelegenheit verschafft, sie kurz in Augenschein zu nehmen, bevor sie aufgeschaut und ihn bei seiner Musterung ertappt hatte.

Ungeschminkte, sinnlich volle Lippen. Glänzendes rotbraunes Haar. Feiner, makelloser Teint. Von ihrer Figur hatte er wegen des großen Kartons leider nicht viel sehen können. Allerdings war ihr Rock gerade kurz genug gewesen, um ihre wohlgeformten Beine zu enthüllen.

Sie hatte beinah sofort wieder weggeschaut und dabei die weichen Lippen zusammengepresst.

Zu seiner Überraschung hatte er einen heftigen Anflug von Begehren verspürt, wobei er sich wie ein unreifer Teenager vorgekommen war. Sein spontanes Angebot, ihr den Karton zu tragen, war nicht ganz uneigennützig gewesen. Natürlich hatte er dabei keine Verführungsszene im Treppenhaus im Auge gehabt, aber es hatte ihm widerstrebt, sie einfach so gehen zu lassen. Dieser eine Blick im Fahrstuhl hatte genügt, um seine Neugierde zu wecken.

Er hätte sie nicht berühren dürfen. Denn das war schließlich der Grund gewesen, warum sie wie ein verschrecktes Reh zurückgesprungen und auf den Stufen ausgerutscht war.

Gabriel sah wieder ihr weißes Gesicht vor sich, die grünen Augen, in denen nackte Panik stand, die vor Schmerz zusammengepressten Lippen. „Verflixt!“, murmelte er leise vor sich hin.

Danach hatte er nichts weiter tun können, als sie zu ihrem Wagen zu begleiten und zu hoffen, dass er diese unerfreuliche Episode möglichst schnell wieder vergaß.

Um ihren zunehmend steifer werdenden Arm zu schonen, fuhr Rhiannon so langsam und vorsichtig, wie sie konnte, ohne den Verkehr zu behindern.

Als sie an einer roten Ampel halten musste, zwang sie sich, ihren verkrampften Griff ums Lenkrad zu lösen und ihre Finger zu strecken. Noch immer glaubte sie, die Hand des Fremden auf ihrer Schulter zu spüren. Sie hatte sich stark, aber nicht bedrohlich angefühlt. Am meisten hatten sie jedoch seine Augen beeindruckt. Sie waren von einem klaren Eisblau, das sie an einen sonnigen Wintermorgen erinnerte, und konnten unvermittelt zu Silbergrau wechseln. Als sie ihn im Aufzug dabei ertappt hatte, wie er sie ansah, hatte sie ein flüchtiges Aufflackern von Bewunderung darin entdeckt. Nach ihrem Sturz auf der Treppe hatten Reue und Besorgnis darin gelegen und später eine beunruhigende Neugier.

Bei der Erinnerung durchströmte sie jähe Hitze. Sie spürte ein seltsames Flattern im Magen und musste sich eingestehen, dass die kurze Episode sie stärker aus der Bahn geworfen hatte, als ihr lieb war.

Nachdem sie ihren Wagen vor der alten Villa in Mount Albert geparkt hatte, die sie sich mit ihrer Freundin Janette teilte, nahm sie einen Stapel Fliesen aus dem Karton im Kofferraum und trug sie in eins der ehemaligen Schlafzimmer, das sie zur Werkstatt umfunktioniert hatte.

Ihre neue Galerie in der Innenstadt verfügte zwar ebenfalls über einen Raum, in dem sie arbeiten konnte, aber ihr derzeitiger Auftrag, ein Altaraufsatz für eine Kirche, war zu groß dazu.

Sobald Janette nach Hause kam, die zum Glück Krankenschwester war, tastete sie sorgfältig Rhiannons Arm ab und bewegte ihn vorsichtig hin und her. „Wahrscheinlich ist nichts gebrochen“, stellte sie schließlich fest. „Aber sicherheitshalber solltest du trotzdem zu einem Arzt gehen.“

Nach dem Abendessen packte Rhiannon einige Fliesen in Zeitungspapier und schlug mit einem Hammer darauf. Dann begann sie, die einzelnen Stücke in das Mosaik einzusetzen. Kurz darauf war sie so tief in ihre Arbeit versunken, dass sie an nichts anderes mehr dachte.

Als Rhiannon am darauf folgenden Freitag erneut das Parkhaus betrat, hörte sie plötzlich eine dunkle, ruhige Männerstimme hinter sich. Ein Schauer, der mit Angst nichts zu tun hatte, lief ihr über den Rücken.

Der griechische Gott.

Sie drehte sich um und sah ihn lächelnd auf sie zukommen.

„Hallo! Wie geht es Ihrem Arm?“

„Danke, gut.“ Zögernd erwiderte sie sein Lächeln.

Er warf einen kurzen Blick auf den tiefroten Bluterguss an ihrem Ellbogen und stellte sachlich fest: „Sieht aber noch ziemlich gefährlich aus.“ Als er behutsam mit dem Finger darüber strich, zuckte Rhiannon merklich zusammen. Sofort zog er seine Hand zurück. „Tut mir leid!“, sagte er und blickte überrascht auf. „Ist die Stelle noch so empfindlich?“

„Nein“, erwiderte Rhiannon, trat aber demonstrativ ein Stück zur Seite.

In seinen Augen blitzte es kurz auf. „Schon verstanden. Dann … entschuldige ich mich für meine Aufdringlichkeit.“

„Keine Ursache“, entgegnete sie kühl und wandte sich Richtung Treppe. Insgeheim ärgerte sie sich, dass sie ihn wie einen Sittenstrolch behandelte, obwohl er ihr keinerlei Anlass dazu gegeben hatte. Seine Berührung war so leicht gewesen, dass sie sie kaum gespürt hatte.

„Sie nehmen nicht den Aufzug?“

Rhiannon schüttelte den Kopf und gab ihre in solchen Fällen übliche Erklärung ab. „Treppensteigen gehört zu meinem Fitnessprogramm.“

„Offensichtlich funktioniert es“, bemerkte er und ließ anerkennend den Blick über ihre schlanke Figur gleiten.

Sofort wurde Rhiannon wieder beklommen zu Mute, und sie wandte hastig den Blick ab.

„Sieht so aus, als müsste ich mich schon wieder entschuldigen“, meinte Gabriel trocken, während er Seite an Seite mit ihr die Treppen erklomm.

Unfähig, ein Wort herauszubringen, schüttelte sie den Kopf. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie sich irrational, ja geradezu lächerlich verhielt. Nichts war geschehen, außer dass ein attraktiver Mann ihr zu verstehen gegeben hatte, dass er sie anziehend fand. Die meisten Frauen hätten sich geschmeichelt gefühlt und wären charmant lächelnd auf den kleinen Flirt eingegangen.

Wieder einmal wurde ihr schmerzlich bewusst, dass sie nicht wie die meisten Frauen war.

Nach einer Weile brach Gabriel das Schweigen. „Ich habe das Gefühl, Ihnen eine kleine Wiedergutmachung schuldig zu sein. Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen? Oder vielleicht zum Abendessen?“

„Sie schulden mir gar nichts“, entgegnete Rhiannon schroff.

Er neigte leicht den Kopf und sah sie aufmerksam an. „Warum sind Sie so abweisend? Sind Sie verheiratet? Oder haben Sie einen festen Freund?“

„Nein!“, stieß sie heftig hervor. Die unverblümte Frage hatte ihr einen Moment lang völlig die Fassung geraubt.

„Dann verabscheuen Sie mich also. Na ja, nach diesem unseligen Unfall kann ich es Ihnen nicht einmal übel nehmen.“

„Ich verabscheue Sie nicht. Ich … ich kenne Sie ja gar nicht.“

Sogleich hellte sich seine Miene auf. „Das lässt sich leicht ändern.“ Unvermittelt blieb er stehen und zog eine Geschäftskarte aus seiner Tasche. „Gabriel Hudson“, stellte er sich vor und reichte Rhiannon die Karte.

Als sie das vertraute Logo mit dem geflügelten Engel erblickte, traute sie ihren Augen nicht.

Der griechische Gott war Gabriel Hudson, der Besitzer von Angelair!

Die bekannte Luftfrachtgesellschaft flog nicht nur in Neuseeland, sondern in der ganzen Welt. Neulich hatte Rhiannon in einem Zeitungsartikel gelesen, dass Hudson, obwohl erst knapp über dreißig, bereits zu den zehn erfolgreichsten Unternehmern des Landes gehörte. In den Berichten der Regenbogenpresse über die wilden Partys der Schönen und Reichen jedoch tauchten niemals Fotos von ihm auf. Sein Privatleben hielt er streng unter Verschluss.

„Ich bin auch eine Kundin von Ihnen“, platzte Rhiannon heraus. Sogleich ärgerte sie sich über ihre naive Bemerkung. Welcher Händler in Neuseeland hatte die Dienste von Angelair wohl noch nicht in Anspruch genommen?

Gabriel lächelte. „Wir haben Ihre Mosaike transportiert?“

„Ja, aber auch andere Kunstgegenstände, Bücher …“

„Bücher?“

„Ich habe eine Galerie, in der ich auch Bücher verkaufe.“

„Klingt interessant. Wo denn?“

Sie hatte schon zu viel verraten. „In der high Street“, antwortete sie zögernd. „Ich habe erst vor einigen Wochen eröffnet.“

Obwohl die Miete in Anbetracht der zentralen Lage günstig war, betrug sie doch das Doppelte von dem, was Rhiannon für ihren kleinen Laden in der Vorstadt bezahlt hatte. Sie hoffte jedoch, die Mehrkosten durch zusätzliche Laufkundschaft und die Umstellung auf ein exklusiveres Angebot wieder hereinzubekommen.

„Und wie heißt Ihre Galerie?“

Es gab keinen Grund, nicht auf die Frage zu antworten.

Mosaika .

In dem Moment kam hinter ihnen ein junger Mann die Treppen herauf, der es offenbar sehr eilig hatte. Ohne große Umstände umfasste Gabriel Rhiannons Taille und zog sie aus dem Weg.

Sekundenlang berührten sich ihre Schultern und Hüften, und wieder nahm Rhiannon den herben Citrusduft wahr, der ihr schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war. Sie erschauerte, und plötzlich fiel ihr das Atmen schwer.

Sobald der junge Mann mit einem flüchtig gemurmelten „Danke!“ an ihnen vorbeigehastet war, ließ Gabriel sie wieder los.

„Ich weiß übrigens noch gar nicht, wie Sie heißen“, stellte er unvermittelt fest.

„Rhiannon.“ Gegen ihre sonstige Gewohnheit fügte sie hinzu: „Rhiannon Lewis.“

„Rhiannon“, wiederholte er und ließ dabei genüsslich die Silben über die Zunge rollen. „Ein walisischer Name, stimmt’s?“

„Ursprünglich ja.“

„Ich würde gerne einmal in Ihre Galerie kommen“, verkündete er plötzlich und fügte wie beiläufig hinzu: „Vielleicht gelingt es mir ja dann, Sie auf einen Kaffee zu entführen?“

Gabriel Hudson war eine bekannte, allgemein respektierte Persönlichkeit. Er verfügte über ausgesucht höfliche Manieren, war nicht nur reich und erfolgreich, sondern sah außerdem noch umwerfend gut aus. Vermutlich gab es nur wenige Frauen, die sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen würden. Wenn sie ihm jetzt einen Korb gab, würde er vermutlich mit einem Schulterzucken zur Tagesordnung übergehen und keinen weiteren Gedanken mehr an sie verschwenden. Zu ihrer Überraschung versetzte diese Vorstellung Rhiannon einen Stich. Dennoch behielten ihre Ängste die Oberhand. „Ich lasse meinen Mitarbeiter nur ungern während der Geschäftszeit allein“, wandte sie ein.

„Und danach?“

„Muss ich die Abrechnung machen.“

Sie sah Gabriels skeptischen Gesichtsausdruck, das spöttische Lächeln, das um seine Lippen spielte. Wolltest du nicht lernen, dich wie eine ganz normale Frau zu benehmen? höhnte eine innere Stimme, und ehe sie es sich anders überlegen konnte, hörte sie sich sagen: „Das dauert ungefähr eine halbe Stunde. Wir schließen um sechs. Außer samstags, da machen wir schon um zwei zu.“

Sie hatte es tatsächlich getan, hatte diesem wildfremden Mann unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie seine Einladung akzeptierte.

Gabriel hatte die Botschaft verstanden und nickte. Er begleitete sie noch zu ihrem Auto, und als sie davonfuhr, winkte er ihr zum Abschied nach.

Tief in Gedanken versunken, machte Gabriel sich auf den Weg zu seinem eigenen Wagen. Nach ihrer ersten Begegnung hatte er versucht, sich einzureden, die junge Frau aus dem Parkhaus ginge ihm nur deshalb nicht aus dem Kopf, weil er ihr gegenüber Schuldgefühle hatte. Doch spätestens seit dem heftigen Adrenalinstoß, den ihr unerwarteter Anblick heute in ihm ausgelöst hatte, wusste er es besser. Vor Aufregung hatte er sogar feuchte Hände bekommen. So etwas war ihm nicht mehr passiert, seit er als Teenager zum ersten Mal ein Mädchen um ein Rendezvous gebeten hatte.

Am liebsten hätte er sie so lange festgehalten, bis er alles über sie in Erfahrung gebracht hatte. Doch das wäre sicher keine gute Idee gewesen, denn wie schon bei ihrer ersten Begegnung war sie auch heute fast panisch vor seiner Berührung zurückgeschreckt.

Nachdem sie seinen Namen auf seiner Geschäftskarte gelesen hatte, war sie ein wenig aufgetaut. Allerdings hatte sie sich selbst dann noch so distanziert verhalten, dass er überrascht war, als sie seine Einladung plötzlich doch noch annahm.

Nachdenklich stieg er in sein Auto und ließ den Motor an.

Rhiannon.

Er mochte den melodischen Klang ihres Namens. Genauso, wie seine Besitzerin es ihm vom ersten Augenblick an angetan hatte. Er warf einen Blick in den Rückspiegel und fuhr aus der Parklücke heraus. Ob sie sich allen Männern gegenüber so zugeknöpft verhält? überlegte er. Was konnte wohl ein solches Misstrauen in einer Frau auslösen?

Sogleich liefen die verschiedensten Horrorszenarien vor seinem inneren Auge ab, und nach einer Weile stellte er fest, dass er das Lenkrad umklammerte, als wollte er jemanden erdrosseln.

Jetzt mach mal halblang, Hudson! rief er sich zur Ordnung. Nur, weil diese Frau nicht gleich vor dir in die Knie gegangen ist, muss noch lange kein traumatisches Erlebnis dahinter stecken.

Sicher war sie einfach nur ein spröder Typ, und vermutlich war es gerade das, was ihn an ihr reizte. Das und die ungewohnte Erfahrung, dass er es offenbar mit einer Frau zu tun hatte, die gegen seinen Charme immun war.

2. KAPITEL

Nachdem Gabriel beschlossen hatte, die Dinge langsam angehen zu lassen, ließ er sich bewusst zwei Wochen Zeit, bevor er zum ersten Mal bei Mosaika auftauchte.

Kurz vor Ladenschluss betrat er die Galerie. Rhiannon stand hinter dem Verkaufstresen und war in ein Gespräch mit einem Kunden vertieft, so dass sie sein Eintreten nicht bemerkte.

Gelassen schlenderte Gabriel durch den Raum und betrachtete interessiert die ausgestellten Bilder, Skulpturen und anderen Kunstgegenstände, wobei er den Mosaikarbeiten besonders viel Aufmerksamkeit schenkte. Dann ließ er den Blick über die Bücherregale gleiten, während er mit halbem Ohr dem Gespräch am Tresen lauschte.

Rhiannons Stimme klang warm und selbstsicher, während sie ihrem Kunden fachkundig erklärte, mit welchen Techniken das Keramikgefäß, für das er sich entschieden hatte, gebrannt und glasiert worden war. Sie bot ihm an, das Stück als Geschenk zu verpacken, und als sie damit fertig war, bedankte sie sich und verabschiedete ihn mit einem charmanten Lächeln.

Kurz darauf verließen die letzten beiden Kunden, ein junges Mädchen mit seiner Mutter, ebenfalls die Galerie. Gabriel nahm einen Bildband über pazifische Schnitzkunst aus einem der Bücherregale und ging damit zum Tresen.

Bei seinem Anblick trat ein nervöser Ausdruck in Rhiannons Augen, und ihre eben noch so gelösten Züge verspannten sich fast unmerklich. Das war nicht ganz die Reaktion, die Gabriel sich erhofft hatte, aber wenigstens schien sein Erscheinen sie nicht völlig kalt zu lassen.

Er setzte ein möglichst harmloses Lächeln auf, legte das Buch auf den Tresen und holte seine Kreditkarte heraus.

Schweigend zog Rhiannon die Karte durchs Lesegerät, schlug das Buch geschickt in einen Bogen Papier ein und überreichte es ihm. Als Gabriel es entgegennahm, widerstand er der Versuchung, mit den Fingerspitzen über ihre Hand zu streichen.

„Vielen Dank … Rhiannon“, sagte er und bemerkte das kurze Aufflackern in ihren Augen, als er sie beim Vornamen nannte. „Sagen Sie, ist das von Ihnen?“, erkundigte er sich und deutete auf ein Mosaik, das an der Wand hing. Es zeigte einen Pukekovogel mit leuchtend blauem Gefieder, der auf seinen langen Beinen durch einen schilfbewachsenen Wasserlauf stakste.

Rhiannon folgte seinem Blick und schüttelte den Kopf. „Nein, dieses nicht.“

„Und die Dekoration um die Eingangstür?“ Er hatte sofort gewusst, dass er die Galerie gefunden hatte, als er die farbenfrohen Wirbel und Spiralen entdeckt hatte, die förmlich zum Eintreten einluden.

„Die ist von mir“, bestätigte sie.

„Ich muss sagen, ich bin beeindruckt.“ Anerkennend ließ Gabriel den Blick durch den Raum gleiten. „Die Galerie ist wirklich erstklassig.“

„Danke.“

„Keine Ursache. Das war keine Schmeichelei, sondern meine ehrliche Meinung.“ Er räusperte sich, dann kam er zur Sache. „Wie sieht es aus? Hätten Sie Lust, nachher mit mir etwas trinken zu gehen?“ Automatisch setzte er sein erprobtes Siegerlächeln auf, wofür er sich noch im selben Moment verachtete.

Rhiannon schien zu zögern, doch dann nickte sie zustimmend. „Sie müssten allerdings warten, bis ich abgerechnet habe.“

„Kein Problem.“

„Okay“, sagte sie und griff nach der Kasse. „Schauen Sie sich solange in Ruhe um.“ Dann verschwand sie in einen Raum, der sich hinter dem Tresen befand.

Aha, dachte Gabriel. Sie hat also nicht die Absicht, mich ins Allerheiligste vorzulassen.

Er beschloss, die Zeit zu nutzen, um sich einige Stücke genauer anzusehen. Schließlich blieb er vor einem großen abstrakten Mosaik stehen, das an einer Wand lehnte.

Auf den ersten Blick schien es nur aus wahllos angeordneten Flächen farbiger Steine zu bestehen, die hier und da wie zufällig von Metallfarbe und Kupferdraht unterbrochen wurden. Doch bei längerem Hinsehen bildeten sich aus dem scheinbaren Chaos allmählich faszinierende Muster und Strukturen heraus.

Als Rhiannon mit ihrer Umhängetasche und einer leichten Jacke über dem Arm aus dem Hinterzimmer auftauchte, sagte er spontan: „Ich möchte dieses Mosaik kaufen. Es ist von Ihnen, stimmt’s?“

Rhiannon nickte. „Ja, aber … sind Sie sich wirklich sicher?“ Die Zweifel und Unsicherheit, die sich in ihrem Gesicht spiegelten, standen in krassem Gegensatz zu dem souveränen Auftreten, das sie noch kurz zuvor im Umgang mit ihren Kunden gezeigt hatte.

„Ganz sicher“, erwiderte Gabriel fest. „Ich werde es später abholen, aber ich kann gleich bezahlen, wenn Sie wollen.“

„Nicht nötig. Ich werde ein Schild daran anbringen, dass es verkauft ist. Und sollten Sie es sich doch noch anders überlegen …“

„Ich ändere nie meine Meinung, wenn ich einmal beschlossen habe, dass ich etwas haben will“, erklärte er und hielt dabei ihren Blick fest. Das alarmierte Flackern in ihren Augen verriet ihm, dass er soeben gefährliches Terrain betreten hatte.

Reiß dich am Riemen! rief er sich zur Ordnung. Diesmal ist es anders.

Er versuchte, ein möglichst harmloses Lächeln aufzusetzen, und deutete mit dem Kopf zur Tür. „Wollen wir?“ Insgeheim fragte er sich, worauf er sich da überhaupt einließ.

Während Rhiannon die Galerie abschloss, warf Gabriel einen Blick auf das grell leuchtende Neonschild über einer Bar direkt gegenüber, aus der laute Musik dröhnte. „Wenn es Ihnen recht ist, würde ich ein etwas ruhigeres Plätzchen vorschlagen.“

Rhiannon nickte befangen. „Hauptsache, es ist nicht zu eng.“ Als er fragend die Brauen hochzog, fügte sie betont locker hinzu: „Ich habe gern ein bisschen Bewegungsfreiheit.“

„Mir geht es genauso“, pflichtete er ihr bei. „Ich bin auch kein Fan von diesen winzigen, verräucherten Kneipen, wo man seine Beine kaum unter den Tisch bekommt und ständig aufpassen muss, dass man seinen Nachbarn nicht mit dem Ellbogen anstößt.“

Seite an Seite schlenderten sie die Straße entlang. Gabriel trug wieder einen dunklen Anzug, diesmal jedoch ohne Krawatte. Die oberen Hemdknöpfe standen offen, so dass ein Stück seiner gebräunten Haut zu sehen war.

Nach einer Weile bogen sie in eine Seitenstraße ein, und nach wenigen Metern blieb Gabriel vor einem exklusiv aussehenden Lokal stehen. „Was meinen Sie? Wie sieht das hier aus?“

Durch die erleuchteten Glastüren blickte sie in einen eleganten, saalartigen Raum mit hohen Decken. Unter schimmernden Kronleuchtern saßen die Gäste an weiß gedeckten Tischen.

„Teuer“, erwiderte sie trocken.

Gabriel lachte und hielt ihr die Tür auf. „Ich werde es gerade noch verkraften.“

„Was trinken Sie?“, erkundigte er sich, nachdem sie an dem Tisch Platz genommen hatten, zu dem der Ober sie geführt hatte. „Wein? Oder vielleicht einen Cocktail?“

„Nur Kaffee, bitte“, wehrte Rhiannon ab. „Ich muss noch fahren.“ In Wahrheit befürchtete sie jedoch, dass sie diesem Mann unter Alkoholeinfluss überhaupt nicht mehr gewachsen sein würde.

„Wie wär’s dann mit etwas Süßem?“, schlug er vor. „Ich könnte jedenfalls etwas vertragen.“ Nachdem er die Dessertkarte studiert hatte, blickte er Rhiannon über den Rand hinweg an. „Die Schwarzwälder Kirschtorte ist hier hervorragend, aber wenn Ihnen das zu üppig ist, kann ich auch die Crème brûlée empfehlen.“

Eigentlich hatte Rhiannon überhaupt nichts essen wollen, aber als sie die Karte durchlas, lief ihr das Wasser im Munde zusammen.

„Ich nehme die Crème brûlée“, entschied sie.

Gabriel gab die Bestellung auf. Dann legte er entspannt die Arme auf den Tisch und lächelte ihr aufmunternd zu. „Erzählen Sie mir von sich“, forderte er sie auf.

Rhiannon blickte auf ihre Hände, die sie verkrampft im Schoß verschränkt hatte. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Mit der Galerie verdiene ich meinen Lebensunterhalt, und in der Zeit, die mir dann noch bleibt, bin ich zu Hause in meiner Werkstatt und arbeite an meinen Mosaiken.“

„Und wo ist das, Ihr Zuhause?“

Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte wieder Misstrauen in ihren Augen auf. „Mount Albert“, gab sie widerstrebend Auskunft.

Gabriel lehnte sich zurück. „Sind Sie hier in Auckland geboren?“

„Nein, ich stamme aus Pukekohe. Mein Vater hatte dort ein Elektrogeschäft.“

Hatte?

Sie schwieg einen Moment, bevor sie antwortete: „Er ist jetzt in einem Pflegeheim. Meine Eltern hatten vor einigen Jahren einen Autounfall.“

Gabriel blickte betroffen auf. „Und Ihre Mutter?“, fragte er leise.

„Sie hat den Unfall nicht überlebt. Mein Vater hat schwere Gehirnverletzungen erlitten und braucht rund um die Uhr Betreuung.“ Erneut überkam Rhiannon Trauer um den wunderbaren Mann, der ihr Vater einmal gewesen war.

„Das muss eine Katastrophe für Sie gewesen sein.“ Er verstummte und suchte ihren Blick. „Wann ist es passiert?“

„Vor sechs Jahren.“ Sie blickte starr geradeaus, bis es vor ihren Augen zu flimmern begann.

Versonnen zeichnete Gabriel mit dem Finger Kreise aufs Tischtuch. Dann hob er den Kopf und sah sie an. „Gab es jemanden in Ihrer Familie, der sich danach um Sie gekümmert hat?“

„Ja, meine Großmutter.“ Rhiannon hätte nicht gewusst, wie sie das schreckliche erste Jahr ohne sie überstanden hätte. „Sie war eine großartige Frau.“

„Haben Sie Geschwister?“

Rhiannon schüttelte den Kopf. „Und Sie?“

„Ja. Mein jüngerer Bruder leitet unsere Niederlassung in Australien, und meine Schwester lebt in den Vereinigten Staaten. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich zehn war. Sie sind inzwischen aber beide wieder verheiratet.“

Mit zehn ist ein Kind noch sehr verletzlich, überlegte Rhiannon und fragte sich, wie lange er wohl gebraucht hatte, um die Trennung seiner Eltern zu verarbeiten.

„Jetzt bin ich übrigens zweiunddreißig“, fügte er hinzu.

„Ich bin dreiundzwanzig.“

„Verflixt!“ Gabriel machte ein schockiertes Gesicht. „Und ich hatte gehofft, sie wären älter.“

Es war als Scherz gemeint gewesen, doch statt zu lachen, senkte Rhiannon den Blick und spielte gedankenvoll mit ihrem Löffel. „Ich fühle mich auch viel älter. Vielleicht liegt es daran, dass ich seit meinem siebzehnten Lebensjahr ein Geschäft führe.“

„Schon so früh vom beruflichen Ehrgeiz gepackt?“

„Nein, eigentlich nicht.“ Als sie merkte, dass Gabriel auf weitere Erklärungen wartete, fuhr sie fort: „Kurz nach dem … Unfall hat meine Großmutter sich zur Ruhe gesetzt und mir die Leitung ihres Geschäftes übertragen.“

Für Rhiannon hatte es das Ende ihres Studiums bedeutet. Dieser Schritt war ihr zwar nicht leicht gefallen, doch zum damaligen Zeitpunkt war das Angebot ihrer Großmutter ihre finanzielle Rettung gewesen. Sie hatte das Geschäft ihres Vaters verkaufen müssen, um seinen Pflegeplatz bezahlen zu können. Danach war sie gezwungen gewesen, sich irgendwie ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

„Was für ein Geschäft hat Ihre Großmutter denn geführt?“

„Einen Kunstgewerbeladen in Onehunga. Dort habe ich auch meine ersten Mosaikarbeiten verkauft.“ Rhiannon verstummte und legte den Löffel beiseite. „Als meine Großmutter starb, erbte ich das Geschäft.“

„Wann war das?“, erkundigte er sich bestürzt.

„Vor fast drei Jahren. Sie hatte Krebs.“ Gnädigerweise war es sehr schnell gegangen, doch ihr Tod hatte eine schmerzliche Lücke in Rhiannons Leben hinterlassen.

„Ein harter Schlag“, kommentierte Gabriel rau, doch als er merkte, dass sie nicht weiter darüber reden wollte, wechselte er das Thema. „Es ist ein mutiger Schritt, ein Geschäft in der high Street zu eröffnen.“

„Sicher ist auch ein Risiko dabei, aber ich hatte meine Hausaufgaben gemacht. Alles war vorher gründlich durchdacht und geplant.“

Er betrachtete sie nachdenklich. „Sie sind kein Mensch, der unnötige Risiken eingeht, habe ich recht?“

Unwillkürlich versteifte Rhiannon sich. Woher wollte er das wissen? Er kannte sie ja überhaupt nicht. „Ich denke gern nach, bevor ich eine Entscheidung treffe“, entgegnete sie kühl.

„Das ist sicher sehr vernünftig, aber manchmal kann es auch reizvoll sein, einen Schritt ins Ungewisse zu wagen und zu sehen, wohin einen das führt.“

Im weichen Licht der Kronleuchter schimmerten seine Augen wie Silber. Sekundenlang war Rhiannon wie verzaubert, unfähig, den Blick von ihm abzuwenden.

Dann kam die Kellnerin mit ihren Bestellungen, und der Moment verging.

Nachdem Gabriel ein Stück von seiner Torte gekostet hatte, fragte er betont beiläufig: „Was hat Ihnen damals im Parkhaus eigentlich solche Angst gemacht?“

Fast unmerklich verkrampfte sich ihre Hand um den Löffel. „Sie haben mich erschreckt, nichts weiter“, erwiderte sie, ohne ihn anzusehen. Dann konzentrierte sie sich demonstrativ auf ihre Nachspeise, die wirklich köstlich schmeckte. Nach einer Weile fragte sie: „Wie sind Sie eigentlich ins Luftfrachtgeschäft gekommen?“

Gabriel, der ihr kleines Ablenkungsmanöver durchschaute, warf ihr einen forschenden Blick zu, verzichtete jedoch auf einen Kommentar. „Im Grunde war es reiner Zufall“, meinte er. „Ich habe damals am Flughafen in der Zollabteilung gearbeitet. Als ich eines Tages erfuhr, dass eine der Frachtfirmen, mit denen wir zu tun hatten, kurz vor dem Konkurs stand, beschloss ich, mich dort einzukaufen und zu versuchen, den angeschlagenen Laden wieder auf Erfolgskurs zu bringen.“

„Dafür haben Sie doch sicher viel Geld gebraucht.“

„Die Bank war nett zu mir.“

„Sie müssen sehr überzeugend gewesen sein.“

Gabriel betrachtete sie über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg. „Ich kann sehr überzeugend sein, wenn ich will.“

Wieder war da dieses herausfordernde Funkeln in seinen Augen, das Rhiannon jedes Mal verunsicherte. Nur mit Mühe gelang es ihr, seinem Blick standzuhalten.

„Außerdem“, fügte er hinzu, „hatte mein Großvater sich damals bereit erklärt, für mich zu bürgen.“

„Der Anfang muss sehr schwierig gewesen sein.“

„Es war eine gewaltige Herausforderung“, stimmte er ihr zu.

In den folgenden Minuten berichtete er ihr von dem wechselvollen Verlauf seiner Karriere. Den steinigen Anfängen, den Rückschlägen und schließlich dem allmählich einsetzenden Erfolg. Als er zum Ende gekommen war, verzog er selbstironisch die Lippen. „Ich fürchte, so genau haben Sie es gar nicht wissen wollen.“

„Ganz im Gegenteil!“, widersprach Rhiannon, die von seinem Mut und Unternehmergeist tief beeindruckt war. „Ich finde das alles ungemein aufregend.“

Er zog die Brauen hoch und lächelte amüsiert. „Das ist es also, was Sie aufregend finden? Gespräche über Geschäfte?“

Rhiannon errötete und wusste nicht, was sie erwidern sollte.

Schließlich erlöste Gabriel sie aus ihrer Verlegenheit. „Für mich ist Skiabfahrtslauf aufregend“, erklärte er in leichtem Plauderton. „Fallschirmspringen, Drachenfliegen … und noch so einiges mehr … Aber Gespräche über Geschäfte?“ Er schüttelte mitleidig den Kopf. „Ich fürchte, Sie haben noch gar nicht angefangen zu leben … Baby.“

„Ich bin kein Baby!“, protestierte Rhiannon empört.

„Ich bin neun Jahre älter als Sie“, erinnerte er sie.

„Ja, Großvater.“

Wieder blitzte es in seinen Augen auf, doch er sagte nichts.

Rhiannon trank einen Schluck Kaffee und dachte dabei, dass Gabriel Hudson absolut nichts von einem Großvater an sich hatte. „Haben Sie das alles schon einmal ausprobiert? Ich meine, Drachenfliegen, Fallschirmspringen und …“

„Und das andere?“ Nur mit Mühe gelang es ihm, ein Lächeln zu unterdrücken.

Rhiannon entging seine Erheiterung nicht. Ebenso wenig wie die unterschwellige Herausforderung, die sie in seinen glitzernden Augen las. Plötzlich fiel es ihr schwer, zu atmen.

Zu ihrer großen Erleichterung verfolgte Gabriel das Thema nicht weiter. Bis er den Rest seiner Torte verspeist hatte, sagte er nichts mehr. Dann lehnte er sich zurück und sah ihr zu, bis sie ebenfalls aufgegessen hatte.

„Möchten Sie noch einen Kaffee?“, erkundigte er sich aufmerksam.

Rhiannon schüttelte den Kopf. Sie wollte keinen Kaffee mehr, aber merkwürdigerweise widerstrebte es ihr, zu gehen. Verwirrt gestand sie sich ein, dass sie die vergangenen Stunden ungemein genossen hatte.

Aber da sie schließlich nicht die ganze Nacht dort sitzen bleiben konnten, griff sie entschlossen nach ihrer Tasche und zog sich ihre Jacke über. „Vielen Dank für die Einladung“, sagte sie. „Es war wirklich sehr nett.“

Als sie vor die Tür traten, stellten sie fest, dass es inzwischen geregnet hatte. Das nasse Pflaster glänzte im Licht der Straßenlaternen, und von dem erhitzten Asphalt stiegen leichte Dampfschwaden auf.

„Es könnte glatt sein“, warnte Gabriel und legte wie selbstverständlich die Hand um Rhiannons Taille. „Steht Ihr Auto im Parkhaus?“

„Ja, aber Sie brauchen mich wirklich nicht zu begleiten.“

„Natürlich werde ich Sie begleiten. Erstens steht mein Wagen ebenfalls dort, und zweitens würde es mir nicht im Traum einfallen, Sie um diese Zeit allein durch die Straßen laufen zu lassen.“

Den ganzen Weg über war Rhiannon sich nur allzu deutlich der leichten Berührung um ihre Taille bewusst. Erstaunlicherweise war es ihr jedoch nicht unangenehm, so dass sie sich erst von ihm löste, als sie ihre Autoschlüssel herausholte und den Wagen aufschloss.

Als sie gerade einsteigen wollte, hielt Gabriel sie am Handgelenk fest. Sie verharrte mitten in der Bewegung und sah ihn an. Gefangen zwischen Angst und Erwartung stand sie reglos da, während Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzten.

Langsam beugte Gabriel sich über sie und hauchte einen Kuss auf ihre Wange. „Gute Nacht, Rhiannon“, sagte er leise. Dann half er ihr beim Einsteigen und trat einen Schritt zurück, als sie den Motor anließ.

Während er beobachtete, wie die Rücklichter ihres Wagens in der Ausfahrt verschwanden, ballte er mehrmals die Hände zu Fäusten und entspannte sie wieder. Noch immer glaubte er, den dünnen Stoff von Rhiannons Bluse unter seinen Fingern zu spüren, die Körperwärme, die von ihr ausgegangen war, und er ertappte sich dabei, wie er von ihrer zarten Haut unter der feinen Seide träumte. Genießerisch stellte er sich vor, wie er langsam ihren nackten Rücken streichelte …

Auf dem Weg zum Parkhaus hätte er sie am liebsten eng an sich gezogen und seine Hand tiefer zu ihren Hüften gleiten lassen. Doch in dem Moment, als er ihre Taille berührt hatte, hatte er ihr leichtes Beben gespürt und gewusst, dass genau da die Grenze war. Bei jeder anderen Frau hätte er die gleiche Reaktion als sexuelle Erregung interpretiert. Bei Rhiannon lagen die Dinge komplizierter.

Sie hatte sich seiner Berührung zwar nicht entzogen, war ihm aber auch in keiner Weise entgegengekommen. Außerdem hatte sie ziemlich verhalten auf sein Auftauchen in der Galerie reagiert.

Er ging zum Fahrstuhl und drückte auf den Knopf.

Dass ihr unnahbares Verhalten eine Schutzmaßnahme darstellte, dessen war er sich ziemlich sicher. Nur, was verbarg sich dahinter?

Angst?

Der Gedanke war erschreckend, und hätte es diesen Zwischenfall im Parkhaus nicht gegeben, wäre er vermutlich nie darauf gekommen. Doch die Tatsache, dass ein harmloses Hilfsangebot, eine einzige neutrale Berührung genügt hatten, um Rhiannon derartig in Angst und Schrecken zu versetzen, war Anlass genug, etwas in der Richtung zu vermuten.

Die Aufzugtüren öffneten sich. In der Kabine befand sich eine attraktive junge Frau, die ihn bei seinem Eintreten freundlich anlächelte. Gabriel merkte, dass sie ihn während der Fahrt verstohlen beobachtete, spürte aber kein Bedürfnis, darauf zu reagieren. Stattdessen ging ihm durch den Kopf, wie angstvoll Rhiannon zwei Wochen zuvor in eben diesem Aufzug vor ihm zurückgewichen war.

Der Fahrstuhl stoppte, und die Frau stieg aus. Dann schlossen die Türen sich wieder, und seine Gedanken kehrten wie von selbst zu Rhiannon zurück.

Solange das Gespräch sich um ihre oder seine Arbeit gedreht hatte, war sie interessiert und offen gewesen, doch schon beim leisesten Hinweis auf sein männliches Interesse an ihr hatte ihr Gesicht einen abweisenden Ausdruck angenommen. Offenbar hatte sie keine Ahnung, wie man flirtete.

Vielleicht kann ich es ihr ja beibringen, dachte Gabriel und konnte nicht verhindern, dass dabei ein raubtierhaftes Lächeln um seine Lippen spielte.

Das Mosaik lieferte Gabriel einen perfekten Vorwand, um am folgenden Samstag in der Galerie vorbeizuschauen.

Zehn Minuten vor Geschäftsschluss fand er Rhiannon allein hinter ihrem Verkaufstresen vor. Sie hatte den Kopf über einen Notizblock gebeugt und machte sich irgendwelche Notizen.

„Hallo!“, begrüßte er sie.

Sie sah hoch, und für eine Sekunde blitzte es in ihren Augen auf. „Hallo!“, erwiderte sie und lächelte zurückhaltend.

„Wissen Sie noch?“ Mit dem Kopf deutete er auf das Mosaik, an dem jetzt ein rotes Schildchen mit der Aufschrift Verkauft klebte.

Einen Moment lang schien sie verwirrt, dann hatte sie sich wieder im Griff. „Ja natürlich“, sagte sie in geschäftsmäßigem Ton. „Ich hätte Sie am Montag ohnehin angerufen, um Sie zu fragen, ob wir es liefern sollen.“

„Nicht nötig. Ich werde es selbst mitnehmen.“

„Selbstverständlich. Jetzt gleich?“

In dem Moment klingelte die Ladenglocke, und ein japanisches Ehepaar mittleren Alters betrat die Galerie. Rhiannon wandte sich zum Hinterzimmer, dessen Tür einen Spaltbreit offen stand, und rief: „Peri!“

Beinah sofort tauchte ein dunkelhäutiger Adonis mit tiefbraunen, ausdrucksvollen Augen und einem Körper wie Herkules im Türrahmen auf. Sein langes schwarzes Haar hatte er im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Die violette Lederhose, die sich eng an seine muskulösen Oberschenkel schmiegte, und das gebatikte T-Shirt betonten seine exotische Erscheinung. „Was gibt’s, Boss?“, erkundigte er sich mit einem strahlenden Lächeln, bei dem selbst Tom Cruise vor Neid erblasst wäre.

„Könntest du bitte dieses Mosaik für Mr. Hudson verpacken?“

„Aber klar doch.“ Mühelos hob Peri das massive Stück hoch und trug es durch die Tür, als wäre es aus Pappmaché.

„Wie möchten Sie bezahlen?“, fragte Rhiannon kurz angebunden.

Gabriel presste die Lippen zusammen und holte seine Kreditkarte heraus. Es nervte ihn, dass sie ihn wie einen x-beliebigen Laufkunden behandelte. Außerdem hatte Peris Anblick sämtliche Theorien, die er über Rhiannon aufgestellt hatte, mit einem Schlag über den Haufen geworfen.

Wenn sie kein Problem damit hatte, Tag für Tag in der Nähe dieses exotischen Sexgottes zu verbringen, dürfte sie wohl kaum unter Männerängsten leiden.

Was wiederum die Vermutung nahe legte, dass ihre Abwehrhaltung ihm persönlich galt.

Während er sich diese wenig erfreuliche Möglichkeit durch den Kopf gehen ließ, diskutierten die beiden Japaner mit gedämpften Stimmen vor einer großen Holzschale. Immer wieder betrachteten sie diese von allen Seiten und fuhren mit den Fingern über die polierte Oberfläche.

„Peri wird sicher gleich fertig sein“, versicherte Rhiannon und gab Gabriel seine Kreditkarte zurück. Dann entschuldigte sie sich und eilte zu ihren japanischen Kunden.

Kurz darauf erschien Peri mit dem verpackten Mosaik. „Soll ich es zu Ihrem Wagen bringen, Sir?“

„Nein, danke. Lassen Sie es einfach hier stehen. Ich habe noch etwas mit Ihrer Chefin zu besprechen.“

„Wie Sie wünschen.“ Peri lehnte das Paket an den Tresen und warf Gabriel einen neugierigen Blick zu.

Rhiannon, die mit ihren beiden Kunden zum Tresen zurückkam, bat Peri, alles für einen Luftversand nach Japan vorzubereiten.

Während Peri mit der Holzschale im Hinterzimmer verschwand und Rhiannon geduldig die Adresse notierte, die das Paar ihr diktierte, stand Gabriel seelenruhig daneben und wartete. Sobald die beiden den Laden verlassen hatten, drehte Rhiannon sich zu ihm um und deutete auf das verpackte Mosaik. „Warten Sie auf Peri, damit er es Ihnen zum Auto trägt?“

„Ich warte auf Sie, nicht auf Peri.“ Als sie darauf nichts erwiderte, setzte er hinzu: „Ich würde Sie nämlich gerne zum Mittagessen einladen.“

Verwirrt sah sie ihn an. „Warum?“

Hatte diese Frau noch nie etwas von einer Verabredung gehört? Gabriel beobachtete, wie ihr das Blut in die Wangen stieg und sie sich nervös auf die Lippe biss. Er entschied, dass jetzt der Moment gekommen war, Plan B in Kraft treten zu lassen. „Weil ich mit Ihnen über einen möglichen Auftrag sprechen möchte“, verkündete er.

Sie blinzelte nervös. „Und was für ein Auftrag sollte das sein?“

„Gehen Sie mit mir essen, und ich werde es Ihnen erklären.“

Sie senkte den Kopf und schien einen Moment lang mit sich zu kämpfen. Dann blickte sie wieder auf. „Also gut“, willigte sie schließlich ein.

Gabriel atmete insgeheim auf und versuchte, sich sein Triumphgefühl nicht anmerken zu lassen.

Sie hatten Glück und entdeckten unter einem großen Sonnenschirm vor einem nahe gelegenen Café noch einen freien Tisch. Rhiannon bestellte sich einen Nizzasalat, während Gabriel sich für frittierte Süßkartoffeln entschied.

Als sie vor ihren Tellern saßen, fragte Gabriel: „Wie lange arbeitet Peri schon bei Ihnen?“

„Seit ich die Galerie eröffnet habe. Das heißt, eigentlich schon viel länger. Ich kaufe manchmal Schnitzereien von ihm, und als ich den alten Laden noch hatte, hat er jedes Jahr beim Weihnachtsgeschäft ausgeholfen.“

„Er ist Holzschnitzer?“

„Ja, sein Onkel hat ihm die traditionellen Maori-Techniken beigebracht, die Peri mit modernem Design verbindet. Aber allein vom Verkauf seiner Arbeiten kann er nicht leben. Als klar wurde, dass ich die Galerie ohne Mitarbeiter nicht führen kann, habe ich ihm den Job angeboten.“

Gabriel warf ihr einen forschenden Blick zu. „Ich könnte mir vorstellen, dass er sich als wahrer Glücksgriff für die Galerie entpuppt hat.“

„Allerdings. Er ist sehr engagiert und zum Glück auch sehr kräftig.“ Sie lachte. Schon so manches Mal war sie für Peris Muskeln dankbar gewesen. „Außerdem hat er ein abgeschlossenes Kunststudium hinter sich.“

Gabriel nickte nur und spießte wortlos eine Fritte auf seine Gabel.

„Was ist das für ein Auftrag, über den Sie mit mir reden wollten?“

Fast hätte Gabriel vergessen, dass dies ja ein Geschäftsessen war. „Es geht um den Eingangsbereich im Angelair-Gebäude“, teilte er ihr mit. „Dort gibt es eine freie Wandfläche, die förmlich nach einem spektakulären Blickfang schreit, und nachdem ich Ihre Arbeiten gesehen habe, war mir plötzlich klar, dass ich dort unbedingt ein Mosaik haben will. Was meinen Sie? Hätten Sie Lust, den Auftrag zu übernehmen?“

Falls er erwartet hatte, Rhiannon würde jetzt vor Freude in die Luft springen, wurde er enttäuscht. Zuerst sagte sie gar nichts, sondern blickte nur starr auf eine schwarze Olive, die auf ihrer Gabel steckte. „Warum ich?“, fragte sie schließlich leise.

Darauf hätte er vieles antworten können. Weil du mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehst, zum Beispiel. Oder: Weil ich unbedingt herausfinden will, welches Geheimnis hinter deiner unnahbaren Fassade steckt. Vor allem aber: Weil du sofort die Flucht ergreifen würdest, wenn ich dir offen sagte, wie gerne ich dich näher kennenlernen möchte.

Natürlich sagte er nichts von alledem. Stattdessen erklärte er mit Unschuldsmiene: „Weil ich Sie für gut halte, was glauben Sie?“ Was ja keineswegs gelogen war.

Doch so leicht ließ Rhiannon sich nicht überzeugen. „Ich weiß nicht“, beharrte sie misstrauisch. „Immerhin handelt es sich um einen ziemlich großen Auftrag. Und den wollen Sie so mir nichts, dir nichts an eine völlig unbekannte Künstlerin vergeben?“

„Natürlich habe ich einige Erkundigungen über Sie eingeholt und …“

Schlagartig wich das Blut aus Rhiannons Gesicht. „Wie bitte?“, unterbrach sie ihn scharf und legte die Gabel auf ihren Teller zurück. „Was soll das heißen, Sie haben Erkundigungen über mich eingeholt?“

Gabriel erkannte seinen Fehler sofort und versuchte, die Sache herunterzuspielen. „Nichts Besonderes“, erwiderte er betont lässig. „Ich habe mich einfach ein bisschen in der Kunstszene umgehört. Und wie sich herausgestellt hat, hält man Sie allgemein für eine junge Künstlerin, die man im Auge behalten sollte.“ Viel mehr hatte er tatsächlich nicht über sie herausfinden können, obwohl er seine Nachforschungen weit intensiver betrieben hatte, als er es jetzt darstellte.

Offenbar war es ihm gerade noch gelungen, das drohende Drama abzuwenden. Rhiannon wirkte zwar immer noch angespannt, aber zumindest kehrte langsam wieder etwas Farbe in ihr Gesicht zurück. „Wie auch immer“, erklärte sie steif. „Sie sollten besser jemanden fragen, der schon einen Namen hat.“

„Da bin ich anderer Meinung. Ich finde es viel befriedigender, einer viel versprechenden Newcomerin eine Chance zu geben.“ Er lächelte jungenhaft. „Außerdem kann ich später, wenn Sie einmal berühmt sind, damit angeben, dass ich Sie entdeckt habe.“

„Und wenn ich nicht berühmt werde?“

„Glauben Sie etwa nicht daran?“

„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“

„Werden Sie über meinen Vorschlag nachdenken? Selbstverständlich werde ich Ihnen ein angemessenes Honorar zahlen.“

„Ich weiß nicht.“ Rhiannon rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. „Ehrlich gesagt, bin ich im Moment ziemlich ausgelastet. Zum einen nimmt die Galerie mich sehr in Anspruch, und dann habe ich zur Zeit noch einen Auftrag, den ich …“

„Ich kann warten.“

Sie senkte den Blick und stocherte unschlüssig in ihrem Salat herum. „Wie groß ist denn die Fläche, um die es geht?“

„Ungefähr drei mal fünf Meter.“

Überrascht hob sie den Kopf. „Was? So groß?“

Gabriel, dem das interessierte Aufflackern in ihren Augen nicht entgangen war, beschloss, diesen Vorteil sogleich zu nutzen. „Wenn Sie nachher noch ein paar Minuten Zeit haben, könnten Sie es sich selbst ansehen.“

Eine Weile schwieg Rhiannon. „Na schön“, willigte sie endlich ein. „Anschauen kann ich es mir ja einmal.“

Das Foyer des Angelair-Gebäudes wurde von einer eindrucksvollen Treppe in hypermodernem Design dominiert. Etwa auf halber Höhe bildete sie vor einer halbrunden Ausbuchtung in der Wand einen breiten, mit Marmorplatten ausgelegten Absatz, von wo aus sie sich links und rechts in zwei Aufgänge teilte.

„Dahinter befindet sich der Schacht des Hauptaufzugs“, erklärte Gabriel. „Die gesamte Rückfront besteht aus Glas.“

Rhiannon erinnerte sich von früheren Besuchen des Gebäudes flüchtig daran. Ein Paradebeispiel moderner Architektur.

„Ist es möglich, dort oben ein Mosaik anzubringen, das die Wölbung in der Wand mit einbezieht?“, wollte Gabriel wissen.

„Ich denke, ja, aber es wäre sicher eine Herausforderung. Und es wird teuer“, setzte sie warnend hinzu. Insgeheim hatte sie jedoch schon Feuer gefangen.

„Die Kosten spielen keine Rolle“, erklärte Gabriel kategorisch, während sie gemeinsam die Treppe hinaufstiegen.

Als sie den Absatz erreicht hatten, trat Rhiannon an die Wand und fuhr prüfend mit der Hand über die gewölbte Fläche, um ein Gefühl für den Untergrund zu bekommen. Zufrieden stellte sie fest, dass er rau genug war, um Mörtel darauf auftragen zu können.

„So ein Projekt nimmt viel Zeit in Anspruch“, gab sie zu bedenken. „Und wie ich schon sagte, könnte ich im Moment nur sehr eingeschränkt daran arbeiten.“

„Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich kann warten … solange ich am Ende das bekomme, was ich haben möchte.“ In seinen Augen lag eine Intensität, die Rhiannon sekundenlang den Atem verschlug. Obwohl sie auf sicherem Boden stand, hatte sie plötzlich das Gefühl, sich am Rand eines gefährlichen Abgrundes zu bewegen.

„Ich müsste außerhalb der Geschäftszeiten daran arbeiten …“

„Umso besser. Dann wird tagsüber der Verkehr auf der Treppe nicht aufgehalten.“

...

Autor

Daphne Clair
Daphne Clair, alias Laurey Bright lebt mit ihrem Ehemann einem gebürtigen Holländer auf einer kleinen Farm im wunderschönen Neuseeland. Gemeinsam zogen sie fünf wundervolle Kinder groß, eines davon ein Waisenkind aus Hong Kong. Sie hat nahezu 70 Liebesromane für Harlequin geschrieben. Als Daphne de Jong hat sie mehrere Kurzgeschichten und...
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Ihre liebste...

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