Historical Exklusiv Band 48

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EINE DISKRETE AFFÄRE von JUSTISS, JULIA
Ein Taugenichts, der sich als Berufsspieler verdingt? Nein, Teagan ist kein angemessener Gemahl für Lady Arnold. Doch um ihre Sehnsucht nach zügelloser Leidenschaft zu befriedigen, scheint ihr der attraktive Gauner genau der Richtige zu sein. Unbeschwert genießt sie ihre sinnliche Sommeraffäre mit dem charmanten Teagan - bis ihr schlagartig gewahr wird, dass sie im Begriff ist, ihr Herz an ihn zu verlieren…

DAS GEHEIMNIS DER SCHÖNEN CATHERINE von GRACIE, ANNE
Hugo Devenish traut seinen Ohren kaum: Catherine, die betörende Fremde im Ballsaal, soll die reiche Erbin einer Diamantmine sein? Als Hugo sie zum Tanz auffordert und versucht, mehr von ihr zu erfahren, gibt sie sich einsilbig und naiv. Dennoch hat die mysteriöse Catherine etwas, das ihn magisch anzieht. Er beschließt, ihr Geheimnis zu ergründen - und ahnt nicht, dass sie alles tun wird, um das zu verhindern …


  • Erscheinungstag 12.08.2014
  • Bandnummer 48
  • ISBN / Artikelnummer 9783733760649
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julia Justiss, Anne Gracie

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 48

JULIA JUSTISS

Eine diskrete Afäre

Er ist kein Spielzeug für eine Dame der feinen Gesellschaft! Dafür wäre sich Teagan nun wirklich zu schade. Trotzdem kann er Valerias Reizen nicht widerstehen und lässt sich immer wieder von ihr verführen. Doch er ist zu stolz, um der verwöhnten Lady seine Liebe zu schenken – auch wenn sie ihn plötzlich mit süßen Worten vor den Traualtar locken will …

ANNE GRACIE

Das Geheimnis der schönen Catherine

Catherine darf sich nicht verlieben – denn sie hat einen wichtigen geheimen Auftrag … Auch wenn sie nichts lieber tun würde, als sich in die Arme von Hugo Devenish zu werfen und sich seinen betörenden Liebkosungen hinzugeben, muss sie den galanten Adeligen abweisen. Aber Hugo gibt nicht auf – und bringt Catherines Plan und ihr Herz in höchste Gefahr!

1. KAPITEL

Valeria Arnolds Entschluss stand fest: Wenn es zum Beischlaf kommen sollte, dann jedenfalls nicht auf ihrem Heuboden. Missbilligend beobachtete sie ihre Magd Sukey, wie diese die Verschnürung ihres Mieders lockerte, um noch mehr von ihrem üppigen Busen zu enthüllen. Als sie sich dann mit wiegenden Hüften zur Scheune begab, war Valeria klar, was ihre Magd beabsichtigte. Sie bereitete sich auf ein Stelldichein mit ihrem Liebsten vor.

Wie konnte sie, Valeria, dieses intime Treffen verhindern?

Sie war nach ihrem täglichen Morgenritt zum Tee zurückgekehrt und hatte dabei Sukey bemerkt. Das Mädchen hatte sich nach einem verstohlenen Blick, mit dem sie wohl sichergehen wollte, dass niemand sie sah, die Ärmel von den Schultern gezogen und war aus der Küchentür geeilt. Nachdem das Mädchen nun außer Sicht- und Rufweite war, musste Valeria ihm folgen, falls sie wirklich etwas unternehmen wollte.

Wenn man etwas Unangenehmes tun musste, sollte man es rasch hinter sich bringen.

Sie legte ihre Reitgerte beiseite, hob das Kinn und eilte zur Tür. Im letzten Augenblick blieb sie einen Moment stehen und nahm einen kräftigen Spazierstock aus dem Ständer neben dem Schrank. Falls auch ein strenges Auftreten nicht ausreichen sollte, den feurigen Burschen, der dort auf Sukey wartete, an seinem Vorhaben zu hindern, musste sie eben zu anderen Mitteln greifen.

Beinahe hätte sie der Mut verlassen, als sie die Scheune erreichte. Deutlich hörte sie Sukeys helles Kichern, das immer wieder von Rascheln und dem gedämpften Murmeln einer tiefen Männerstimme unterbrochen wurde. Valeria holte tief Luft und wischte sich nervös die Handflächen an dem Wollrock ihres Reitkostüms ab.

Das Beste war wohl, wenn sie einen Warnruf ausstieß. Sie konnte die beiden nicht einfach ohne Vorankündigung überraschen – womit auch immer sie beschäftigt sein mochten. Dieser Gedanke brachte ihre Wangen zum Glühen. Einen unbekleideten Mann zu sehen, der sich nicht im letzten Stadium einer tödlichen Krankheit befand, war eine Vorstellung, die sie aufwühlte.

Unsinn, ermahnte sie sich und legte ihre kühlen Hände auf die erhitzten Wangen. Eine ehrbare Witwe sollte sich nicht mit solchen Gedanken beschäftigen. Vor allem dann nicht, wenn es in diesem abgelegenen Winkel Yorkshires so wenig Gelegenheit gab, sie in die Tat umzusetzen …

Sie zog das Scheunentor einen Spaltbreit auf. „Sukey Mae? Die Köchin braucht dich sofort in der Küche!“

Als Valeria einen leisen Schrei des Entsetzens und ein wildes Rascheln vernahm, trat sie ein.

Sie sah Sukey, die eilig ihre entblößten Brüste zu bedecken versuchte, während ihre Röcke noch immer nach oben geschoben waren und so einen weißen Unterrock enthüllten. Dann wanderte Valerias Blick zu dem Mann, der neben Sukey stand, und sie hielt verblüfft inne.

Goldblondes Haar schimmerte in der frühen Morgensonne, und der Mann mit dem wohlgeformten Körper, der sich nun gemächlich zu seiner eindrucksvollen Größe erhob, war gewiss kein gewöhnlicher Bauernjunge, wie Valeria es erwartet hatte. Er musterte sie von Kopf bis Fuß mit einem Blick, der halb verärgert, halb belustigt wirkte. Jetzt verzogen sich die fein geschwungenen Lippen zu einem Lächeln.

„Eine ménage à trois? Ich hätte nicht geglaubt, ein solches Vergnügen in Yorkshires Einöde zu finden.“

Er formulierte sorgfältig, was auf eine Ausbildung in Oxford schließen ließ. Und sein zum Teil aufgeknöpftes Hemd aus feinstem Leinen, das seidene Halstuch, das ins Heu geworfen worden war, und die elegante Hose verrieten ihre Herkunft aus der Bond Street.

Das Lächeln des Fremden vertiefte sich, denn Valeria blickte ihn staunend an, was sie selbst erst nach einer Weile bemerkte. Ein solcher Mann war hier an einem derart abgelegenen Ort Englands und wirkte genauso fehl am Platz wie ein Außerirdischer. Wo, um alles in der Welt, war Sukey diesem Londoner Dandy zum ersten Mal begegnet?

Ehe Valeria sich wieder auf den eigentlichen Grund ihres Auftritts besann, gestand sie sich ein gewisses Verständnis für die anfällige Sukey ein. Mit seinen strahlenden Augen und dem verwegenen Grinsen konnte dieser Gentleman wahrscheinlich eine Heilige zu einer Liebelei verführen.

„Sukey Mae Gibson“, sagte Valeria und versuchte, einen strengen Tonfall anzuschlagen. „Du gehst jetzt sofort in die Küche. Wir werden uns später noch unterhalten müssen.“

Die Magd, die ihr Mieder endlich zugeschnürt hatte, warf ihr einen verdrossenen Blick zu. Als sie an dem keineswegs reuigen Schurken vorbeiging, besaß er doch tatsächlich die Unverfrorenheit, ihr zuzuzwinkern. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, bevor sie sich an Valeria wandte. „Aber, Herrin …“, protestierte sie.

„Keine Widerrede, Sukey“, unterbrach Valeria sie. „Ehe ich vergesse, dass Vergeben eine Christenpflicht ist.“

Sie hatte den Blick unnachgiebig auf Sukey gerichtet, bis die Magd mit langsamen Schritten widerstrebend die Scheune verlassen hatte. Dann wandte sich Valeria mit demselben strengen Blick an den ungeladenen Besucher.

„Und Sie, Sir, werden mir den Gefallen tun und auf der Stelle meinen Grund und Boden auf die gleiche Weise verlassen, wie Sie gekommen sind.“

Der Mann, der offensichtlich das Wort „Scham“ nicht kannte, musterte sie ein weiteres Mal neugierig von Kopf bis Fuß. „Werde ich das?“

Er sprach diese Worte in einem leichten Singsang, wie Valeria feststellen konnte. Sie dachte darüber nach, wie sie ihn wohl einordnen sollte, und bemerkte deshalb erst zu spät, dass der Schurke auf sie zukam. Noch bevor sie sich zu rühren vermochte, hatte er sie mit den geschmeidigen Bewegungen eines Panthers erreicht und eine Locke, die sich während des Ritts aus ihren hochgesteckten Haaren gelöst hatte, zwischen die Finger genommen.

„Da Sie auf so unfreundliche Weise meine morgendlichen Pläne durchkreuzt haben, sollte ich doch eigentlich stattdessen Sie nehmen, oder etwa nicht?“

Der Ausdruck seiner Augen hatte eine fast hypnotisierende Wirkung. Einen Moment vergaß Valeria sogar zu atmen. Dann roch sie Brandy und den Duft von Zigarrenrauch. Anstatt früh aufgestanden zu sein, war er vermutlich noch gar nicht zu Bett gegangen. Wieder überlegte sie sich, woher, um alles in der Welt, er wohl kommen mochte. Doch sie vermochte nicht mehr klar zu denken, als sie seine Körperwärme spürte und seinen männlichen Geruch immer deutlicher wahrnahm.

„Das werden Sie nicht tun“, entgegnete sie scharf und wich zurück.

„Und warum nicht, wenn ich fragen darf? Sehen Sie nur, er ist bereit, Sie zu küssen.“

Da ihr Blick tatsächlich auf seinen Mund gerichtet gewesen war, erschien es Valeria vernünftiger, diese Bemerkung zu ignorieren. „Sie haben das Aussehen eines Gentleman, Sir, und würden niemals eine unwillige Dame verführen“, erwiderte sie.

Zu ihrer Überraschung warf der Mann den Kopf zurück und lachte aus vollem Hals. „Leider irren Sie sich in jeder Hinsicht. Soll ich es Ihnen beweisen?“ Rasch fasste er nach ihrem Kinn und hob es an.

Valeria blickte ihm tief in die Augen. Ihr Griff um den Spazierstock wurde fester. Der hölzerne Stab wäre wohl kaum eine geeignete Waffe gewesen, wenn er tatsächlich zudringlich würde. Doch trotz seiner Drohung verspürte sie keine Furcht.

„Ich würde es vorziehen, wenn Sie es mir nicht bewiesen. Außerdem wäre es mir lieber, wenn Sie aufhören würden, meiner Magd nachzustellen.“

Er ließ ihr Kinn los und sah sie mitleidig an. „In dieser Hinsicht verschwenden Sie nur Ihre Zeit. Das Mädchen ist so leicht zu erobern, wie man sich es nur vorstellen kann. Wenn ich es nicht bin, wird es ein anderer Bursche sein, für den sie die Röcke hebt.“

Valeria unterdrückte einen Seufzer. „Aber nicht in meiner Scheune.“

Mit einer geschmeidigen Bewegung hob der Fremde seine abgelegte Jacke vom Boden auf. „Da wäre ich mir nicht so sicher.“

Sie war es sich leider auch nicht. Aber sie hatte nicht vor, mit ihm darüber zu sprechen. „Ich vermute, Sie kennen den Ausgang. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag, Sir.“

Gerade wollte sie sich umdrehen, als der Mann sie an der Schulter packte. Überrascht blickte sie ihn an.

„Wissen Sie ganz bestimmt, dass Sie nicht willens sind?“

Hitzewellen durchliefen ihren Körper, als sie den Druck seiner Hand spürte. Eine tiefe Sehnsucht in ihr, die sie lange erfolgreich verdrängt hatte, keimte in ihr auf.

Sei keine Närrin. Sie riss sich los und trat einen Schritt zurück. „Ja“, erwiderte sie kurz angebunden und entfernte sich rasch von ihm.

Sein leises Lachen folgte ihr. Ehe sie das Scheunentor hinter sich schloss, hörte sie noch, wie er ihr nachrief: „Lügnerin.“

Wäre sie doch nicht ganz abgeneigt? Valeria dachte darüber nach, während sie entschlossen dem Haus zustrebte und dabei der Versuchung widerstand, einen Blick zurückzuwerfen.

Natürlich würde sie es niemals in Betracht ziehen, mit einem völlig Fremden das Bett zu teilen – und bestimmt nicht mit einem, der gerade ein Stelldichein mit ihrer Magd gehabt hatte! Gleichzeitig konnte Valeria nicht leugnen, dass die umwerfende Männlichkeit des Fremden ein lange unterdrücktes Verlangen in ihr geweckt hatte. In der Ehe wäre sie bereit gewesen, sich dieser Sehnsucht hinzugeben, doch das Versprechen war niemals eingelöst worden.

Wie immer breitete sich bei diesem Gedanken ein schmerzliches Gefühl in ihr aus, das mit der Zeit ein wenig nachgelassen hatte. Sie musste an Hugh denken – hoch gewachsen, breitschultrig, schwarze Locken über einem golddurchwirkten Uniformkragen, dunkle Augen, die vor Lebensfreude und Ehrgeiz funkelten. Hugh, ihres Bruders bester Freund, der Held ihrer jugendlichen Fantasien, war nur für kurze Zeit ihr Ehemann gewesen.

Er hätte gewollt, dass sie sich seiner auf diese Weise erinnerte, und nicht so, wie er im vergangenen Sommer ausgesehen hatte – ausgemergelt, vom Fieber geschwächt, mit tief liegenden Augen in einem Gesicht, das im herannahenden Tod immer gelblicher wirkte. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, und sie schob das Bild beiseite. Am besten verbarg sie es tief in sich, zusammen mit der Erinnerung an die entsetzliche Hochzeitsnacht.

Ungeduldig schüttelte Valeria den Anflug eines Schuldgefühls ab. Es war nur natürlich, dass sie, die so wenig von den Freuden der Liebe wusste, von einem Fremden in Versuchung geführt werden konnte, dessen Lippen und Hände von der Geschicklichkeit eines erfahrenen Verführers zeugten.

Zweifellos verfügte er über mehr Kunstfertigkeit, als sie ihr einstiger Verehrer je gehabt hatte. Die Vorstellung, den schwerfälligen Arthur Hardesty mit dieser Personifizierung männlicher Erotik zu vergleichen, war so absonderlich, dass sie laut auflachen musste.

Aber auch die Tatsache, dass sie sich zu diesem Fremden hingezogen fühlte, war lächerlich. Sollte sie ihm jemals in seiner wahren Umgebung – einem Londoner Salon – begegnen, würde er sie genauso wenig attraktiv finden wie ihre Magd in einer solchen Welt.

Wenn sie sich allerdings die Langeweile ihres öden Daseins mit Bildern eines leidenschaftlichen Intermezzos versüßen wollte, war das eine harmlose Ablenkung. Woher auch immer dieser Fremde stammen mochte, er war jedenfalls nicht aus der Gegend. Wahrscheinlich war er einfach auf der Durchreise, und Sukey hatte ihn im Postgasthof getroffen, als sie zum Einkaufen in die Stadt gegangen war.

Nein, es gab wirklich keinen Grund, sich für solche Träumereien zu tadeln. Schließlich würde Valeria diesen Schurken sowieso nie mehr zu Gesicht bekommen.

Leise lachend und voller Bewunderung, schaute Teagan Michael Shane Fitzwilliams der Dame in Schwarz nach. Mit ihren entzückenden, wenn auch nicht so üppigen Rundungen wie die ihrer Magd war die geheimnisvolle Dame wesentlich faszinierender als die von ihr gerügte Sukey.

Teagan hatte sich in seiner euphorischen Stimmung – er hatte letzte Nacht genug gewonnen, um sich die nächsten Monate sauberes Leinen und akzeptables Essen leisten zu können – entschlossen, einen morgendlichen Spazierritt zu machen. Er wollte den Rauch und den Alkoholgeruch nach einer langen Spielnacht aus seiner Kleidung bekommen. Wenn er kein gesellschaftlicher Außenseiter gewesen wäre, hätte er sich niemals dazu entschlossen, der kecken Magd zu folgen, die er im Postgasthof kennen gelernt hatte.

Obgleich sein Körper noch immer gegen die plötzliche Unterbrechung seiner Lieblingserholung protestierte, zeigte sich sein Verstand doch mehr als willig, ein rasches Tête-à-tête gegen die Möglichkeit einer anspruchsvolleren Gespielin einzutauschen.

Die Magd hatte sie „Herrin“ genannt. Die Dame musste also die Besitzerin des kleinen Guts sein, dessen Steinmauern er hinter Bäumen gerade noch erkennen konnte, als er die Scheune verließ. Eine Witwe in ihrer düsteren schwarzen Kleidung? Oder vielleicht eine Frau, deren Mann ihr nicht viel bedeutete. Keine Frau, die ihre ehelichen Pflichten genoss, würde es riskieren, ein leichtfertiges Mädchen wie Sukey bei sich einzustellen.

Jedenfalls hatte er in ihren Augen gelesen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Er hatte auch Sehnsucht darin entdeckt. Genau die richtige Mischung, die eine Liebelei für beide Seiten höchst vergnüglich machen konnte.

Das Reitkostüm der geheimnisvollen Dame nahm sich zwar unverwüstlich aus, entsprach aber so gar nicht den Vorstellungen eines Londoner Schneiders, wie Teagans scharfer Blick sogleich hatte feststellen können. Aber er war den Treibhauspflänzchen der Metropole, die man endlos lang mit Komplimenten und Klatsch zu bedienen hatte, in letzter Zeit sowieso recht überdrüssig geworden.

Sollten sich doch die anderen Männer den Dirnen widmen, die Rafe Crandall mitgebracht hatte, um seinen Gästen zwischen Jagd und Kartenspiel eine sinnliche Abwechslung zu bieten. Er wollte seinen Gastgeber aufsuchen und sich diskret nach der geheimnisvollen Dame erkundigen, die seine Neugier geweckt hatte.

Eine Frau, zu der er sich sofort hingezogen gefühlt hatte. Es war schon eine Weile her, seitdem er das Geschäftliche mit Vergnüglichem hatte verbinden können.

Plötzlich fiel ihm noch etwas anderes ein. Das schwarze Reitkostüm war nicht nur altmodisch gewesen, sondern hatte auch abgetragen ausgesehen.

Teagan versuchte, nicht gleich das Schlimmste zu vermuten. Vielleicht sparte sich die Dame ja ihre neuesten Kleider für ihre Besuche in London auf, um dort die Gesellschaft zu beeindrucken. Falls das jedoch nicht der Fall war, bedeutete es allerdings, dass seine hübsche Witwe nicht allzu wohlhabend war.

Nicht einmal der Anblick seines geliebten Araberhengstes Ailainn ließ ihn diese verwirrende Schlussfolgerung vergessen. Die Gesellschaft mochte Teagan vielleicht als verantwortungslos verdammen – eine Eigenschaft, die er vor allem zum großen Ärger der englischen Verwandten seiner Mutter pflegte –, aber er hatte schon früh lernen müssen, dass ein knurrender Magen und ein leerer Geldbeutel sehr schwer zu ertragen waren. Ein Mann, der sich nur durch seinen Verstand über Wasser hielt, konnte es sich nicht leisten, sein Spiel zu vernachlässigen und einer Frau bloß aus reinem Vergnügen den Hof zu machen.

Die einzig richtige Entscheidung war es also, sich die geheimnisvolle Dame aus dem Kopf zu schlagen. Teagan schwang sich auf sein Pferd und nahm die Zügel in die Hand.

Nachdem der Hengst eine Weile den Pfad zu Rafes Jagdhaus getrabt war, drängte Teagan ihn zu einem flotteren Galopp. Das schöne, kraftvolle Tier und der Wind, der ihm ins Gesicht blies, ließen ihn schon bald seine Enttäuschung vergessen.

Er brachte Ailainn auf einem Hügel zum Stehen, warf den Kopf zurück und lachte aus vollem Hals. Plötzlich fühlte er sich wieder glücklich, solch einen herrlichen Morgen erleben zu dürfen.

Vielleicht war es derselbe Eigensinn, der seine Mutter dazu gebracht hatte, ihrer Familie den Rücken zuzukehren und ihrem Herzen und somit einem schmeichlerischen Schurken zu folgen, der sie schließlich allein in einer Dubliner Hütte hatte sterben lassen. Einen Mann, dem Teagan, wie ihm seine tadelsüchtigen Verwandten immer wieder sagten, aufs Haar glich.

Was auch immer ihn veranlasst haben mochte – er entschloss sich jedenfalls, seiner Abenteurernatur nachzugeben und die geheimnisvolle Dame kennen zu lernen, mochte sie nun reich sein oder nicht.

2. KAPITEL

Valeria stand im Salon, betrachtete die Scherben ihrer Lieblingsvase und versuchte, sich zu beruhigen. Da es keinen Sinn gehabt hätte, die bereits schluchzende Sukey weiterzutadeln, hatte sie das Mädchen aus dem Zimmer geschickt.

Sie hob die größte Scherbe auf, ein Stück feines Porzellan, auf das in Blau und Weiß Vögel und Blumen gemalt waren. Die Vase war das letzte Geschenk ihres Bruders Elliot gewesen, bevor er bei Talavera fiel. Sie holte tief Atem und kämpfte gegen die Tränen an.

Erinnerungen riefen erneut die Trauer wach, und sie hatte wahrlich schon genug gelitten. Also zwang sie sich dazu, nur an die augenblickliche Arbeit zu denken, nämlich die Scherben aufzuheben.

Ihre gestrige Strafrede hatte bei der niedergeschlagenen Sukey wahre Wunder bewirkt. Das Mädchen hatte sich wohl ausgemalt, was es bedeuten könnte, von ihrer Herrin auf die Straße gesetzt zu werden, und hatte sie unter Tränen um Verzeihung angefleht. Doch anscheinend hatte ihr dieser „Charmeur aus London“ – wie ihn die Magd bezeichnete – so sehr den Kopf verdreht, dass sie heute Morgen als Erstes das Brot verbrannt, dann Valerias bestes Tischtuch angekohlt und schließlich die letzte greifbare Verbindung zu ihrem Bruder zerbrochen hatte.

Um sich von diesem schmerzlichen Gedanken abzulenken, stellte sich Valeria den schönen Fremden vor, der, wie sie zugeben musste, auch sie ein wenig aus dem inneren Gleichgewicht gebracht hatte. Sie kniete deshalb noch immer lächelnd am Boden und stellte sich sein markantes Gesicht mit dem wissenden Ausdruck in den Augen vor, als Mercy, ihre frühere Kinderfrau und jetzige Zofe, den Kopf in den Salon steckte.

„Da sind Sie ja, Mylady! Es tut mir leid, aber Sir Arthur und Lady Hardesty sind da. Ich habe versucht, sie abzuweisen, aber sie ließen sich nicht beirren.“

Valeria stöhnte. Ihre Köchin schimpfte in der Küche über das Brot, ihr alter Butler empörte sich über das ruinierte Tischtuch, und die Haushaltsbücher lagen noch immer ungeöffnet auf dem Tisch. Sie hatte wirklich keine Zeit, sich gerade jetzt mit diesen ungebetenen Gästen abgeben zu müssen.

Sie legte die Scherben auf ihr Taschentuch. „Hast du ihnen die Tür geöffnet?“, fragte sie über die Schulter.

Ihre alte Kinderfrau beugte sich zu ihr herab, um ihr zu helfen. „Ja. Ich bringe die Scherben für Sie in die Küche.“

„Verflixt! Jetzt werde ich bestimmt ertragen müssen, wie Lady Hardesty über mein ‚Unglück‘ jammert, dass ich einen Butler behalten muss, der bereits zu alt ist, um noch seinen Pflichten nachzukommen.“ Seufzend stand sie auf und reichte Mercy das Taschentuch. „Schick sie herein, wenn es denn schon sein muss.“

Kurz darauf eilte Lady Hardesty in den Salon, wobei ihr eindrucksvoller Busen auf und ab wogte. „Meine liebe Valeria! Wie schön, dass Sie uns so unangekündigt empfangen können. Ich hoffe, der arme Masters ist nicht krank. Ihre Zofe hat uns hereingelassen.“

Valeria bemühte sich, ihre Verärgerung nicht zu zeigen. „Es geht ihm gut – danke der Nachfrage. Da er um diese Zeit keine Besucher erwartet, geht er seinen anderen Pflichten nach.“

„Ach ja, es ist wirklich tragisch, dass es Ihnen Ihre Mittel nicht erlauben, einen zweiten Butler oder einen Lakaien einzustellen, der ihm behilflich ist.“

„Möchten Sie Tee?“, fragte Valeria, entschlossen, auf diese Bemerkung nicht einzugehen.

„Gern. Tee wird meinen angegriffenen Nerven helfen, sich wieder zu beruhigen. Allein das Wissen, dass ich es dem armen Hugh schuldig bin, hat mich veranlasst, heute überhaupt auszufahren.“

„Setz dich, Mutter, und mach es dir bequem. Lady Arnold, ich hoffe, es geht Ihnen gut?“ Sir Arthur, der hinter seiner Mutter wortlos ins Zimmer getreten war, führte die plötzlich geschwächt wirkende Lady Hardesty zum Sofa und verbeugte sich dann vor Valeria.

„Ja, danke. Und Ihnen, Sir Arthur?“ Valeria machte sich nicht die Mühe, sich zu erkundigen, welch schreckliche Neuigkeiten ihre Nachbarin dazu veranlasst hatten, sich aus ihrem Frühstückszimmer zu entfernen. Sie würde es ihr sowieso gleich erzählen, ob sie es hören wollte oder nicht.

Sir Arthur wandte sich mit einem Lächeln seiner Gastgeberin zu. „Sie sehen heute besonders entzückend aus.“

Valeria trug an diesem Tag ein auffallend fadenscheiniges Kleid, während ihr Haar nach dem morgendlichen Ritt völlig zerzaust war. Peinlich berührt murmelte sie etwas Unverständliches.

Sir Arthurs Lächeln war wirklich reizend. Wenn seine Freundlichkeit nicht mit einer gewissen Tölpelhaftigkeit gekoppelt gewesen wäre und er keine so herrschsüchtige Mutter gehabt hätte, hätte sie sich vielleicht ernsthaft überlegt, ob er nicht der Richtige wäre, ihr bei ihrer kaum Gewinn bringenden Farm zu helfen.

„Eine schreckliche Gefahr!“ Lady Hardesty legte Valeria die Hand auf den Arm, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Eine Gefahr für jede anständige Frau in der Umgebung!“

„Mutter meint“, warf Sir Arthur ein, „dass Rafe Crandall, Viscount Crandalls jüngster Sohn, einige äußerst verrufene Gäste in sein Jagdhaus eingeladen hat.“

„Sein Grundstück grenzt unmittelbar an Ihres, meine Gute!“

„Siebeneinhalb Morgen im Westen“, warf ihr Sohn ein. „Das größere Stück, also einhundertsechsunddreißig Morgen, grenzt an Hardesty Castle.“

Sir Arthur kennt natürlich die Besitzverhältnisse ganz genau, dachte Valeria. Wie sie vermutete, schätzte ihr Verehrer sie eher wegen der Größe ihrer Felder, die an seinen Besitz grenzten, als wegen ihrer Schönheit oder ihres Charmes.

„Und welche Leute dieser wilde Mann mitgebracht hat!“, fuhr Lady Hardesty fort. „Ich bin überzeugt, dass Hugh gewollt hätte, dass ich Sie warne. Sie sollten Ihr Haus nicht mehr verlassen, solange diese Schurken hier sind.“

„Mutter, so schlimm ist es nun auch wieder nicht“, beruhigte ihr Sohn sie. „Solange Lady Arnold auf ihrem Anwesen bleibt, sollte ihr nichts passieren. Da die Männer jedoch auf die Jagd gehen werden und das wahrscheinlich nicht im Zustand völliger Nüchternheit, wäre es ratsam, nicht auszureiten.“

„Da gibt es größere Gefahren als eine betrunkene Jagdgesellschaft. Arthur, hast du mir nicht erzählt, dass du gestern selbst diesen Mann im ‚Creel and Wicket‘ gesehen hast?“ Lady Hardesty schüttelte sich. „Er soll mit seinen gelbbraunen Katzenaugen jede unvorsichtige Frau hypnotisieren können.“

Valeria hatte wieder nicht richtig zugehört, doch bei diesen Worten horchte sie auf. „Katzenaugen?“

„Unsinn“, meinte Sir Arthur. „Die Damen haben Teagan schon immer anziehend gefunden, aber vom Hypnotisieren höre ich zum ersten Mal.“

„Wer weiß, wozu das irische Gesindel fähig ist“, erwiderte seine Mutter hochnäsig.

„Er ist nur zur Hälfte irisch. Seine Mutter stammte aus einer angesehenen englischen Familie – die Tochter des Earl of Montford, wenn Sie sich erinnern. Wie wäre Teagan sonst nach Eton und Oxford gekommen?“

„Einer der Gäste ist ein Schurke und der Sohn der Tochter eines Earl?“, fragte Valeria, deren Herz bei der Erinnerung an das Bild des Fremden mit den faszinierenden Augen und den sinnlichen Lippen, die den ihren so nahe gewesen waren, schneller schlug.

„Nein, sie hat den Iren sogar geheiratet – den Stallknecht ihres Vaters!“, erklärte Lady Hardesty empört.

Irisch, dachte Valeria. Das erklärte den Singsang in seiner Stimme.

„Sie hat bekommen, was sie verdient hat“, fuhr ihre Nachbarin mit angewiderter Miene fort, „als der Halunke sie und das Kind ohne einen Penny verlassen hat. Man munkelt sogar, dass der Junge auf der Straße gelebt hat, bis irgendein Pfarrer ihn aufgelesen und zu ihrer Familie gebracht hat. Zu diesem Zeitpunkt war er allerdings schon ein geschickter Dieb geworden.“

„Du übertreibst, Mutter. Teagan muss damals erst sechs gewesen sein, denn als ich ihn in Eton kennen lernte, war er noch nicht einmal sieben.“ Sir Arthur wandte sich an Valeria. „Wir sprechen von Teagan Fitzwilliams, Lady Arnold. Ich befürchte, sein Ruf ist sehr schlecht. Aber der junge Mann, den ich kannte, war nicht böse, sondern nur ungebärdig.“

„Ungebärdig genug, um sich schon früh allen Lastern hinzugeben. Hast du mir nicht gesagt, dass sie ihn in der Schule ‚Betrüger‘ genannt haben?“

„Nein, sie haben ihn ‚Schalk‘ genannt, weil er so viele Kartenkniffe kannte.“

„Wie auch immer er als Junge gewesen sein mag – du kannst jedenfalls nicht leugnen, dass er jetzt ein Spieler und herzloser Wüstling ist.“

„Ich verurteile ihn nicht, nur weil er sein Auskommen an den Spieltischen verdient, Mutter. Was sollte er denn sonst tun, nachdem ihn seine Verwandten nach dem Studium in Oxford mehr oder weniger sich selbst überlassen haben? Und die Geschichten über die vielen Frauen, die er angeblich verführt hat, halte ich für maßlos übertrieben.“

„Natürlich haben sie sich von ihm abgewandt. Was blieb ihnen denn auch anderes übrig, nachdem er mit der Frau des Universitätsdekans eine Affäre hatte?“

„Es war die Schwiegertochter seines Lehrers, Mutter!“

„Aber die ganze Gesellschaft war in höchstem Aufruhr über die Geschichte mit der jungen Gattin des alten Lord Uxtabridge. Du magst vielleicht wieder behaupten, dass ich übertreibe, aber Maria Edgeworth schickt mir seit Jahren die ganzen Londoner Neuigkeiten. Ich weiß in dieser Hinsicht also bestimmt besser Bescheid als du.“

Nachdem sie so wirkungsvoll ihren Sohn zum Schweigen gebracht hatte, wandte sie sich wieder voller Eifer Valeria zu. „Nach Lady Uxtabridge gab es Lady Shelton und …“

„Mutter, du bringst Lady Arnold zum Erröten“, bemerkte Sir Arthur und betrachtete besorgt Valeria.

Froh darüber, dass ihr ahnungsloser Verehrer ihre vor Aufregung geröteten Wangen als ein Zeichen von Scham auslegte, wartete Valeria zum ersten Mal in ihrem Leben ungeduldig darauf, welchen Klatsch Lady Hardesty noch vor ihr ausbreiten würde. „Ich danke Ihnen für Ihre Besorgnis, Sir Arthur“, sagte sie. „Aber ich glaube, dass Ihre Mutter recht hat. Ich sollte wirklich die ganze Geschichte hören.“

„Wie wahr.“ Ihre Ladyschaft warf ihrem Sohn einen triumphierenden Blick zu. „Die Herren der Schöpfung sind stets bemüht, die schlechte Seite ihrer Natur zu leugnen. Aber wir Damen dürfen das keinesfalls, wenn wir uns davor zu schützen gedenken. Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn ich Hughs reizende Witwe, die keinerlei Vorstellung davon hat, wie teuflisch ein Mann sein kann, nicht hinreichend gewappnet hätte.“

Valeria fühlte sich bei Lady Hardestys Worten ein wenig schuldig. „Ich danke Ihnen“, murmelte sie sittsam.

Ihre Nachbarin tätschelte ihr die Hand. „Sie wissen, dass ich Sie fast wie eine Tochter betrachte, meine Liebe. Deshalb muss ich Sie auch warnen. Maria hat mir berichtet, dass dieser Fitzwilliams keine Flasche ungetrunken zurücklässt und nie eine Gelegenheit verpasst, die Ehefrau eines sorglosen Mannes zu verführen.“

„Als Witwe sollte ich mich also in Sicherheit befinden.“

„Ich möchte behaupten, dass keine Frau vor diesem Schurken sicher ist. Deshalb halte ich es auch für meine Pflicht dem lieben Hugh gegenüber, darauf zu bestehen, dass Sie zu uns nach Hardesty Castle kommen, wo Sie bleiben sollten, bis Crandalls Freunde und vor allem dieser Mann unsere Gegend wieder verlassen haben.“

Valeria hielt für einen Augenblick erschrocken die Luft an. Das würde bedeuten, dass sie diesen Filou bestimmt niemals wiedersehen würde und außerdem weder Sir Arthurs schwerfälligem Werben noch Lady Hardestys Machenschaften entkommen konnte.

„Sie sind wirklich sehr liebenswürdig, Lady Hardesty“, erwiderte sie rasch. „Aber ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten, wenn Ihre Nerven in einem so angespannten Zustand sind. Außerdem steht hier die Schur bevor. Ich will die wichtigen Vorbereitungen auf keinen Fall meinen Untergebenen überlassen.“ Sie hoffte inbrünstig auf Lady Hardestys allgemein bekannte Geringschätzung den niederen Ständen gegenüber.

„Sie besitzen ein bewundernswertes Gefühl der Pflichterfüllung, Lady Arnold“, sagte Sir Arthur. „Vielleicht könnte ich Ihnen behilflich sein …“

„Oh nein, Sir! Bei der großen Verantwortung, die Sie für Ihr ausgedehntes Anwesen tragen, könnte ich Sie niemals bitten, sich auch noch mit dem meinen zu belasten.“

„Meine liebe Dame, Ihnen zu Diensten zu sein, ist für mich keine Belastung.“

Oh ja, er würde bestimmt nichts lieber tun, als die sechshundert Morgen verwalten, die Hugh mir hinterlassen hat, dachte Valeria spöttisch und beobachtete, wie Sir Arthur seiner Mutter einen bedeutsamen Blick zuwarf.

Lady Hardesty erhob sich. „Meine Liebe, nun hätte ich es beinahe vergessen. Ich habe meine Anleitung mitgebracht, wie man Spitze wieder weiß bekommt. Wie ich an den Vorhängen im Entree bemerkt habe, kann Ihr Dienstmagd so etwas dringend gebrauchen. Wenn Sie mich für einen Augenblick entschuldigen würden – ich bringe sie ihr.“

Valeria stand ebenfalls auf. Sie war entschlossen, diesem offensichtlichen Versuch, sie mit Sir Arthur allein zu lassen, zuvorzukommen. „Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber vielleicht ein andermal. Wissen Sie, Sukey Mae liegt augenblicklich krank zu Bett. Es ist nichts Besorgnis erregendes – bloß ein Husten. Ich wollte ihr gerade einen Kräutertee bereiten, aber da kamen Sie. Fast befürchte ich“, fügte sie mit einem Hüsteln hinzu, „dass ich ebenfalls krank werde.“

Während Sir Arthur vom Sofa hochschnellte, presste sich seine Mutter eilig ein Taschentuch vor den Mund. „Lady Arnold, Sie hätten uns sogleich warnen sollen, dass Sie sich nicht wohl fühlen. Sie haben doch wohl nicht die Anfälligkeit meiner Lunge vergessen! Komm, Arthur, wir wollen nicht länger verweilen.“ Mit einem vorwurfsvollen Blick auf Valeria verließ sie fluchtartig den Salon.

Langsam folgte Valeria den beiden. Trotz der Lobreden der Nachbarin auf ihre Pflegekünste hegte sie eine solche Furcht vor Krankheiten, dass sie die ganzen Monate, in denen der „liebe Hugh“ fiebernd im Bett gelegen hatte, kein einziges Mal zu Besuch gekommen war – wie sich Valeria bitter erinnerte.

Dieser Gedanke ließ sie erneut husten, diesmal stärker. Lady Hardesty beschleunigte ihre Schritte.

„Ich bin mir sicher, dass es mir morgen schon wieder besser geht. Danke, dass Sie sich die Mühe gemacht haben vorbeizukommen“, rief sie ihren davoneilenden Gästen nach. Dann stand sie, höchst zufrieden, dass ihre List geglückt war, vor dem Salon und lauschte dem Geräusch der zufallenden Haustür.

Ein irischer Halunke also, dachte sie. Ihre Lippen verzogen sich zu einem belustigten Schmunzeln, als sie ins Zimmer zurückkehrte. Ein irischer Halunke mit einem betörenden Lächeln und einem Blick, der jede Frau faszinierte.

Einen Betrüger und Lügner hatte Lady Hardesty ihn genannt. Valeria wusste, dass die schlimmsten Gerüchte den besten Klatsch abgaben. Deshalb war sie eher dazu geneigt, Sir Arthurs Schilderung eines Waisenjungen Glauben zu schenken, der von der Familie seiner Mutter kaum geduldet worden war.

Valeria erinnerte sich deutlich an die Klugheit, die aus seinen Augen blitzte. Sie konnte sich – selbst ein Waisenkind in jungen Jahren – gut vorstellen, was es für einen sechsjährigen Knaben bedeutet haben musste, auf der Straße zu überleben. Ein Junge, der plötzlich seine vertraute Umgebung verlassen musste und Verwandten übergeben wurde, die ihn wahrscheinlich niemals vergessen ließen, dass sein Vater ein Tunichtgut, seine Mutter eine Närrin und er selbst ein irischer Betteljunge war, der von ihrer Gnade abhing.

Kein Wunder, dass er zu einem Draufgänger geworden war.

Aber er war bestimmt kein herzloser Frauenheld – dessen war sie sich sicher.

Trotz seiner Behauptung des Gegenteils hatte sich Mr Fitzwilliams wie ein Gentleman benommen. Schließlich war sie allein und praktisch wehrlos gewesen und hätte wenig Hoffnung gehabt, ihm seiner gerechten Strafe zuzuführen, wenn er ihre hilflose Lage ausgenutzt hätte.

Nein, er hatte sich nicht als Wüstling gezeigt, und seine Spötteleien hatten sie eher bezaubert als verängstigt.

Nachdem Lady Hardesty es verlangt und Sir Arthur es empfohlen hatte, konnte sie nun natürlich auf keinen Fall zu Hause bleiben. Sie wollte morgens weiterhin ausreiten, wie sie das immer tat.

Und wenn sie dem faszinierenden Mr Fitzwilliams begegnete?

Ihr Herz schlug rascher. Hitze breitete sich auf ihren Wangen aus.

Ja, sie begehrte diesen Mann – wie das anscheinend schon viele Frauen vor ihr getan hatten und es vermutlich auch nach ihr tun würden. Dennoch hielt sie dieser Gedanke nicht davon ab, sich auszumalen, wie es sich anfühlen würde, seine Lippen auf den ihren, seine langgliedrigen Finger auf ihrer Haut und seine verborgene Männlichkeit zu spüren. Ein heftiges Verlangen bemächtigte sich ihrer und ließ sie erbeben.

Während sie sich in der ländlichen Einöde über Wasser zu halten versuchte und sich darum bemühte, genügend Kapital zusammenzubekommen, um dem Leben hier zu entfliehen, schien sich die Sehnsucht ihrer Mädchenjahre noch verstärkt zu haben. Sie war kaum verheiratet gewesen, als sie bereits Witwe wurde, sodass die heimliche Leidenschaft in ihr keinen Ausdruck hatte finden können. Wie sehr verzehrte sie sich nach diesem Gefühl, das seit Jahrhunderten von Dichtern besungen wurde! Nach den sinnlichen Freuden der Liebe, die sie wahrscheinlich – wenn sie nicht doch noch Sir Arthur heiraten sollte – niemals erleben würde.

Valeria kniete sich wieder auf den Boden und hob einige kleine Scherben auf, die ihrem Blick vorher entgangen waren. Da kam ihr plötzlich eine Idee.

Teagan Fitzwilliams, so hatte Lady Hardesty behauptet, war ein Meister der Verführung. Valeria hatte sich mit eigenen Augen überzeugen können, dass der hoch gewachsene, betörende Gentleman all das zu besitzen schien, was sich eine Frau bei einem Liebhaber wünschte. Er war in der Lage, selbst einer zurückgezogen lebenden Witwe wie Valeria das Gefühl zu geben, begehrenswert zu sein.

Er hielt sich nur noch wenige Tage in der Nachbarschaft von Eastwoods auf. Wenn er sie während dieser Zeit in die Geheimnisse der Liebe einführen könnte, müsste das niemals an die Öffentlichkeit dringen. Selbst wenn er sie zurückweisen sollte, würde keiner von ihrer Demütigung erfahren. Falls sie sich jedoch näher kämen, wäre er bereits nach wenigen Tagen wieder verschwunden und würde ihr auf diese Weise die Peinlichkeit ersparen, ihm wieder gegenübertreten zu müssen.

Aber in ihrem Herzen und in ihrem Körper würde das Wunder der Leidenschaft für immer lebendig bleiben.

Zitternd legte sie eine Hand vor den Mund. Sie musste den Verstand verloren haben. Dieser Gedanke war irrsinnig!

Doch die Vorstellung ließ sie, einmal gedacht, nicht mehr los. Ihre Sinne waren erwacht, und eine innere Stimme flüsterte ihr zu: „Tu es.“

Wenn sie etwas so Unbedachtes, so Liederliches, so – Undamenhaftes tat, würde sie vermutlich Schlimmeres als bloße Peinlichkeit erleiden. Männer mochten ihren Leidenschaften sorglos nachgehen können, aber sie bekamen auch keine Kinder. War sie wirklich verantwortungslos genug, diese Gefahr in Kauf zu nehmen?

Ihre Regel, die stets sehr pünktlich kam, sollte in einigen Tagen einsetzen. Mercy hatte ihr vor drei Jahren anvertraut, dass sie noch niemals von einer Frau gehört hatte, die so nahe vor ihrer monatlichen Zeit empfangen hätte.

Es würde also kein Kind geben. Dafür aber Genuss – einen Genuss, wie sie ihn noch nie erlebt hatte und den sie wahrscheinlich auch nie mehr erleben würde.

Valeria versuchte, sich zu beruhigen. Innerlich aufgewühlt, stand sie auf, um die restlichen Scherben wegzuwerfen.

Ihr ganzer Körper bebte. Wie würde es sich anfühlen, wenn seine Lippen ihre Hand berührten … ihren Mund … ihren Bauch?

Wieder durchlief sie eine so große Hitzewelle, dass ihr schwindelte. Sie eilte in die Küche, wo sie von der Köchin überrascht wurde, als sie sich über das Ausgussbecken beugte und kaltes Wasser auf die heißen Wangen spritzte.

Sie durfte nicht länger darüber nachdenken. Sollte das Schicksal entscheiden!

Morgen wollte sie wie immer ausreiten. Wenn sie dann Teagan Fitzwilliams traf, mochte geschehen, was geschehen sollte.

Am späten Nachmittag – nach einem ausgiebigen Bad und angenehmen Träumen von einer dunkelhaarigen Dame in einem schwarzen Reitkostüm – machte sich Teagan auf die Suche nach seinem Gastgeber. Er entdeckte ihn in einem Salon, wo er mit einigen Herren Billard spielte. Eine Weile schaute Teagan zu, um die Stimmung und den Grad der Nüchternheit der Männer abzuschätzen, während er sich überlegte, was wohl die beste Vorgehensweise war.

Rafe hatte wie immer ein Glas Brandy in der Hand. Markham und Westerley, die zügellosen, jüngeren Söhne eines Earl beziehungsweise eines Marquess, sahen ebenfalls bereits ziemlich angeheitert aus. Nur das vierte Mitglied der kleinen Runde, ein schlicht gekleideter älterer Gentleman, schien noch völlig nüchtern zu sein.

Lord Riverton, der ein sehr sittenstrenger Regierungsbeamter war, passte eigentlich gar nicht zu Rafes trinkfesten, draufgängerischen Kumpanen. Doch da der Mann am Abend zuvor eine große Summe Geld an Teagan verloren hatte, ohne dabei seine gute Laune einzubüßen, hatte Teagan nichts gegen ihn einzuwenden.

„Meine Herren“, begrüßte Teagan die Runde.

„Ah, Schalk.“ Sein Gastgeber wandte sich mit den glitzernden Augen eines Betrunkenen zu ihm. „Hattest eine gute Nacht, was? Riverton sind einige Pfund abhanden gekommen, während Markham dir genügend gegeben haben sollte, um deinen Schneider zu bezahlen.“

Teagan biss die Zähne zusammen. Er zwang sich dazu, den Zorn zu unterdrücken, der selbst nach zehn Jahren noch immer bei solchem Gespött seiner wohlhabenden Freunde in ihm aufstieg. „Ja, und heute Abend will ich ihm ein Paar der besten Stiefel abnehmen, die London zu bieten hat.“

„Hört, hört!“, rief Westerley, und Rafe schlug Markham fröhlich auf den Rücken.

„Doch vorher will ich noch etwas ausreiten. Ich wollte wissen …“

„Versuch es doch lieber bei der rothaarigen Hure“, unterbrach Rafe ihn.

Als die anderen Männer johlten, fügte Markham hinzu: „Die blonde Stute hat auch einen hübschen engen Sattel.“

Teagan wartete, bis das Gegröle vorbei war. Er bemerkte, dass ihm Lord Riverton einen neugierigen Blick zuwarf. „Ich bin Ihnen für Ihre Empfehlungen dankbar, meine Herren. Aber ich wollte eigentlich auf einem richtigen Pferd reiten. Mein Schwarzer braucht Auslauf.“

„Warum verkaufen Sie mir nicht endlich diese Schönheit?“, erkundigte sich Markham. „Ich weiß nicht, wie Sie sich das Tier überhaupt leisten können.“

„Nun, indem ich so entgegenkommenden Herren wie Ihnen beim Spiel das Geld abknöpfe“, erwiderte Teagan.

„Ich würde Ihnen für den Araber mehr als genug zahlen, sodass Sie sich Brandy und Dirnen für ein ganzes Jahr leisen könnten.“

„Wahrlich eine große Versuchung. Aber ich glaube, Ailainn würde mir niemals vergeben, wenn ich ihn einem Reiter wie Ihnen überlassen würde.“

Während die Herren lachten, wandte sich Teagan an Rafe. „Kann ich in jede Richtung reiten, oder gibt es irgendwo einen eifersüchtigen Ehemann, der mich erschießt, wenn ich aus Versehen seinen Boden betrete?“

Rafe grinste. „Eifersüchtige Ehemänner sind doch deine Spezialität. In Richtung Westen gibt es nicht viel zu sehen, aber die Wälder im Osten sind hübsch – vor allem wenn die verwitwete Lady Arnold gerade unterwegs sein sollte.“

„Eine Witwe, sagst du?“, mischte sich Westerley ein. „Klingt ganz nach unserem Schalk! Ist sie wohlhabend?“

„Nein, tut mir leid, Schalk. Sie ist beinahe genauso mittellos wie du“, erwiderte Rafe. „Als ihr Mann, der in der Armee war, starb, fielen das Baronat und das dazugehörige Land an einen Vetter. Ihr blieb nur die kleine Schafsfarm, die, wie ich vermute, nicht mehr als fünfhundert Pfund im Jahr abwirft.“

„Dann ist sie bestimmt nichts für unseren Schalk“, meinte Westerley. „Er bevorzugt Damen, die reich und dankbar sind.“

Teagan zog unverbindlich die Augenbrauen hoch. Nach außen hin folgte er der Unterhaltung, insgeheim jedoch verarbeitete er die soeben gehörten Informationen. Sie war also „Lady Arnold“. Bis er ihren Vornamen erfahren würde, wollte er sie weiterhin in Gedanken die geheimnisvolle Dame nennen. Es behagte ihm nicht, sie mit dem Namen eines anderen Mannes zu bezeichnen.

„Eine hübsche Witwe, sagst du, Rafe?“, fragte Markham. „Vielleicht ist es meine Pflicht als Gentleman, ihr die Einsamkeit zu versüßen.“

Diese Bemerkung riss Teagan aus seinen Träumen. Die Vorstellung, dass der beleibte Markham seine schweißnassen Hände auf den schlanken Körper von Teagans geheimnisvoller Dame presste, weckte die Wut, die stets hinter seinem ruhigen Äußeren lauerte, von neuem.

„Wenn die Dame wirklich so anmutig ist, wie Rafe behauptet“, warf er ein, „dann nehme ich an, dass sie ihre Schafe Ihnen vorziehen würde.“

Markham warf ihm einen finsteren Blick zu, während die anderen wieder in Gelächter ausbrachen. Schließlich meinte der Gastgeber: „Selbst wenn Markham das Aussehen unseres Schalks hätte, glaube ich nicht, dass ihn die Witwe haben wollte. Sie war ihrem armen Hugh völlig ergeben. Im Krieg hatte er eine schreckliche Verletzung erlitten, und sie hat ihn Monate lang gepflegt. Angeblich ist er in ihren Armen gestorben.“

„Hör auf, oder ich breche in Tränen aus“, höhnte Westerley. „Vielleicht muss ich ihr einen Kondolenzbesuch abstatten, wenn sie wirklich so hübsch ist, wie du sagst.“

Jetzt reicht es, dachte Teagan. Die geheimnisvolle Dame gehörte ihm. „Wenn du wirklich lieber stundenlang in ihrem Salon sitzen und dir überlegen willst, wie sie zu betören ist, solltest du das tun. Du könntest dich stattdessen natürlich auch den Schönheiten widmen, die unser großzügiger Gastgeber für uns herbestellt hat …“ Betont gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Die Rothaarige ist also nicht übel?“

Markhams Gesicht hellte sich auf. „Das ist sie wirklich nicht. Ich glaube, ich werde mir das Kätzchen mal näher betrachten.“

„Dann geben Sie mir Ihren Billardstock“, sagte Teagan. „Westerley, gehst du jetzt zu dieser Witwe, oder kann ich meine Taschen wieder mit deinem Gold füllen?“

Er hielt gespannt den Atem an, während der Mann überlegte. „Ich bin mit von der Partie“, erwiderte er schließlich. „Keine Frau ist es wert, um ihretwillen nüchtern zu werden. Heb mir die Blonde auf“, sagte er zu Markham und legte seinen Billardstock an.

Erleichtert schaute Teagan hoch und bemerkte, dass Riverton ihn aufmerksam beobachtete. Seine Lordschaft hatte sich nicht an der Unterhaltung beteiligt, sondern hatte sein Spiel scheinbar gleichgültig fortgesetzt. Als er jetzt jedoch Teagan ansah, zeigte sich auf seinem Gesicht ein leichtes Schmunzeln.

Teagan hatte einen Moment das seltsame Gefühl, dass Lord Riverton genau wusste, was er mit seiner Taktik beabsichtigt hatte.

Unsinn, dachte er. Er legte den Billardstock an, holte tief Luft und stieß gegen die Kugel. Wenn Fortuna ihm weiterhin günstig gesonnen war, würden seine Taschen beim nächsten Ausritt noch voller sein. Dann konnte er sich ohne schlechtes Gewissen seinem Vergnügen widmen – seinem und dem einer gewissen dunkelhaarigen Dame.

3. KAPITEL

Oben auf der Anhöhe brachte Valeria das Pferd zum Stehen und schaute über die Wiesen zum steinernen Dach von Eastwoods und bemühte sich darum, ihre Enttäuschung zu bezwingen. Sie hatte beinahe ihre tägliche Wegstrecke hinter sich gebracht – wobei sie sogar getrödelt hatte –, ohne auch nur einen Blick auf den Filou mit den Katzenaugen zu erhaschen. Entweder war er an diesem Morgen nicht ausgeritten, oder er hatte Acht gegeben, keinen strengen Witwen mehr zu begegnen.

Das Ausmaß ihrer Enttäuschung ärgerte sie fast genauso sehr wie der bemitleidenswert nervöse Zustand, in dem sie ihren Ritt begonnen hatte. Specter, ihre graue Stute, war Valeria ausgewichen, als sie auf sie stieg, und hatte eine Zeit lang bei jeder Ecke, um die sie biegen wollte, gescheut. Die unruhige Reiterin hatte auch das Pferd nervös gestimmt.

Allmählich ließ der Ärger nach und machte einer tiefen Traurigkeit Platz. Es gab keinen Ritter auf einem weißen Ross, der sie aus ihrem eintönigen Leben befreien und zu einem glorreichen Gipfel der Sinnesfreuden entführen würde.

Nein, dachte sie, während sie die Stute den steilen Weg zu der gemähten Wiese hinabsteigen ließ. Heute würde es ein Tag wie jeder andere seit Hughs Tod werden, mit nichts Aufregenderem als unbezahlten Rechnungen, einem Zeitplan für das Scheren der Schafe und jammernden Bediensteten.

Unten angekommen war, straffte sie die Zügel. Genug der Klagen! Valeria Winters Arnold, Tochter eines Soldaten, musste das Beste aus dem machen, was das Leben ihr bot, was für diesen Augenblick hieß, das Pferd über die Wiese zum Obstgarten galoppieren zu lassen.

Specter spürte ihre Stimmung und wieherte voller Vorfreude. Nachdem Valeria die Stute zum Galopp angespornt hatte, genoss sie das Gefühl des Winds, der ihr ins Gesicht peitschte und ihr Haar zerzauste. Sie erinnerte sich an ihr erstes Pony und daran, wie sie mit ihrem Vater und Elliot über die Weiden galoppiert war. Damals brachte noch jeder Tag neue Abenteuer mit sich, und das Leben schien voller Möglichkeiten zu sein.

Ihre Augen wurden feucht, was nicht nur vom beißenden Wind herrührte.

Erst als sie unter den Ästen eines Apfelbaums das Pferd zum Stehen brachte, hörte sie das Donnern von Hufen hinter sich. Überrascht drehte sie sich im Sattel um.

Teagan Fitzwilliams, dessen goldblondes Haar im Sonnenlicht glänzte, sprengte auf einem prachtvollen, schwarzen Hengst auf sie zu.

Valerias Hände wurden eiskalt, und ihr Verstand setzte aus. Als er lachend neben ihr anhielt, wusste sie nicht, was sie sagen sollte.

„Es ist ein wunderbarer Morgen zum Reiten, Madam, und Sie haben eine wirklich hübsche Stute.“

Seine ungewöhnlichen Augen schienen jeden Sonnenstrahl einzufangen, sodass sie noch weitaus strahlender als in der Scheune wirkten. „Ihr … Ihr Hengst ist noch viel schöner“, brachte sie stammelnd hervor und wusste nicht weiter.

Lady Hardesty hat recht, dachte sie benommen. Seine Augen hatten etwas Hypnotisierendes.

Ehe sie den Blick von Mr Fitzwilliams abwandte, bewunderte sie noch die Vollkommenheit seines Gesichts – die gerade Nase, die hohen Wangenknochen, den sinnlichen Mund, das goldblonde Haar, das förmlich nach der streichelnden Hand einer Frau zu verlangen schien. Selbst seine gebräunte Haut mit einigen Sommersprossen war makellos.

Gütiger Himmel, wie konnte die unauffällige Valeria Arnold annehmen, dass ihr solch ein göttliches Wesen auch nur einen zweiten Blick schenken würde?

Mit zitternden Fingern lockerte sie die Zügel, bereit, Specter anzutreiben und davonzureiten, ehe sie sich noch mehr bloßstellte. Doch als Mr Fitzwilliams wieder sprach, zwang sie die Höflichkeit noch eine Weile zu bleiben.

„Welche Belohnung wollen wir für einen so großartigen Galopp vergeben?“

Küsse waren das Einzige, was Valeria sogleich in den Sinn kam. Da sie das wohl kaum vorschlagen konnte, erwiderte sie nichts.

„Haben Sie denn keine kleine Aufmerksamkeit mitgebracht? Vielleicht kann Ihre Stute ja warten, aber mein Hengst muss jetzt unbedingt seinen Lohn bekommen.“

Durch die Zweideutigkeiten verwirrt, schreckte Valeria zusammen, als er die Hand ausstreckte – und einen Apfel aus der Rocktasche holte.

Er hatte tatsächlich nur die Pferde gemeint. Röte stieg ihr in die Wangen.

Beschämt senkte sie den Kopf. Sie konnte es nicht tun. Wahrscheinlich war sie einfach nicht dazu geschaffen.

Nach einer Weile schaute sie hoch, da sie noch einen letzten sehnsüchtigen Blick in das Gesicht, das für sie mit verbotenen Sinnesfreuden verbunden war, werfen wollte.

Reglos sah Teagan Fitzwilliams Valeria an, während sie ihn einfach nur betrachtete und benommen das Blitzen seiner Augen beobachtete.

Ehe sie den Willen aufbringen konnte, ihrem Pferd die Sporen zu geben, sprang er vom Sattel und kam zu ihr, um ihre behandschuhte Hand zu ergreifen.

„Gehen Sie nicht, süße Dame“, flüsterte er.

Eine Erregung bemächtigte sich ihrer, die ihr den Atem raubte. Sie musste sich abwenden, musste fliehen, bevor er das brennende Verlangen in ihren Augen zu lesen vermochte.

Dann lächelte er. „Steigen Sie ab, wenn Sie möchten. Ich habe genug für uns beide.“

Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass er den Apfel meinte. Er brach ihn entzwei, streckte ihr eine Hälfte entgegen und wartete.

Valeria stieg vom Pferd. Nachdem sie die Frucht genommen hatte, drehte Mr Fitzwilliams sich um und fütterte mit seinem Stück seinen Hengst.

„D…danke“, brachte sie schließlich mühsam hervor und gab ihre Apfelhälfte ihrer Stute.

„Hatten Sie angenommen, dass ich zurückkommen würde?“, fragte er und drehte sich wieder zu ihr um.

Sie befeuchtete sich die Lippen. „Nein.“

„Wie hätte ich fortbleiben sollen? Zwischen uns ist noch nicht alles geklärt, Lady Arnold.“

„Was ist … Oh! Sie kennen meinen Namen.“

„Ich wollte ihn unbedingt erfahren.“

Furcht breitete sich in ihr aus, und sie warf ängstlich einen Blick zum Haus. „Aber ich darf nicht gesehen werden …“

„Beruhigen Sie sich. Keiner weiß, dass ich gekommen bin.“

„Ist ein Draufgänger denn diskret?“

Er zog die Augenbrauen hoch, und sein Lächeln verschwand. „Ich verstehe. Man hat Sie also gewarnt. Ich sollte mich wohl geschmeichelt fühlen, dass mein Auftauchen in der ganzen Nachbarschaft eine solche Aufregung ausgelöst hat.“

Zu ihrer Überraschung nahm sie deutlich die Bitterkeit hinter den leicht dahingesagten Worten wahr.

„Ich bin ein Dieb und ein Schurke. Habe ich recht?“

„Das hat man mir so erzählt“, gab Valeria zu.

„Und was denken Sie, meine Dame?“

Ohne zu überlegen, erklärte sie: „Ich möchte, dass Sie mich küssen.“

Entsetzt über ihre eigene Tollkühnheit bereitete sie sich innerlich auf Mr Fitzwilliams’ Gelächter vor.

Doch stattdessen verschwand der zynische Zug aus seinem Gesicht, und er lächelte sie sanft an. „Wie meine Dame wünscht.“

Nachdem er die Zügel um eine seiner Hände gewickelt hatte, trat er auf sie zu und hob ihr Kinn.

Valerias Magen verkrampfte sich, und sie konnte nicht einmal mehr ihre Fingerspitzen spüren. Sie nahm nur noch ihre Lippen wahr, die sich nach den seinen sehnten.

Langsam schloss sie die Augen, als sie Teagans warmen Atem spürte und gleich darauf die sanfte Berührung seines Mundes. Als er diese Liebkosung noch einmal wiederholte, ließ er seine Zungenspitze über ihren Mund gleiten.

Der Hengst bewegte sich und zog an den Zügeln, da löste sich Teagan von Valeria. „So süß“, glaubte sie ihn mit heiserer Stimme murmeln zu hören. Doch sie war sich nicht sicher.

Er durfte jetzt nicht davonreiten.

Als sie sprach, klang ihre Stimme seltsam atemlos, wie gehetzt. „Mr Fitzwilliams! Ihr … Ihr Pferd. Da ist Heu. In … in der Scheune.“ Mit einer fahrigen Bewegung zeigte sie zum Gut.

Zu ihrer Erleichterung, doch auch zu ihrem Entsetzen nickte er. Dann half er ihr, wieder aufzusteigen, und sie ritten gemeinsam los.

Sie hatte auf ihn gewartet. Ein freudiges Lächeln breitete sich auf Teagans Gesicht aus, während er hinter Lady Arnold herritt, die anmutig im Sattel saß.

Das schwarze Reitkostüm war abgenutzter, als er es vom letzten Mal in Erinnerung hatte. Doch der dünne Stoff schmiegte sich noch enger an ihre üppigen Brüste, ihre Schultern und die schmale Taille. Kurven, die so bezaubernd waren, wie er es in Erinnerung gehabt hatte.

Er hatte sich ausgemalt, was er mit dieser bezaubernden Frau alles machen würde. Und das hatte sein Verlangen nach der geheimnisvollen Dame nur noch gesteigert. Er begehrte sie auf eine Weise, wie er das seit langer Zeit bei keiner Frau mehr gespürt hatte.

Doch Verlangen war nur zu einem Teil für die tiefe Zufriedenheit verantwortlich, die ihn erfüllte. Jede Bewegung, jeder Blick aus den großen, dunklen Augen offenbarte ihm eine unglaubliche Wahrheit.

Lady Arnold hatte so etwas noch nie zuvor getan.

All die Frauen – einschließlich der ersten –, mit denen er eine Affäre gehabt hatte, waren mehr oder weniger Meisterinnen in der Kunst der Verführung gewesen. Sie hatten gewusst, wie sie ihre weiblichen Waffen einzusetzen hatten, um einen Mann zu locken.

Lady Arnold jedoch fühlte sich zu ihm hingezogen, war aber so angespannt, dass sie ihm bei der geringsten Beunruhigung wie ein halb gezähmtes Füllen durchzugehen drohte. Ihre Unentschlossenheit und ihre Verletzlichkeit sprachen ihn auf eine Weise an, die er nicht mit dem Verstand zu erklären vermochte.

Das verstärkte sein Verlangen und schärfte seine Sinne bis aufs Äußerste. Eine seltsame Zärtlichkeit erfüllte ihn. Lady Arnold, so schwor er sich, würde es niemals bereuen, ihn als ihren ersten Liebhaber genommen zu haben. Er wollte ihr all das geben, wonach sie sich sehnte, was ihr scheuer Blick offenbarte – alles und noch vieles mehr.

Teagan ließ wie seine schöne Begleiterin sein Pferd langsamer traben, als sie auf den Hof ritten. Dort stiegen sie ab und führten die Tiere in die Scheune, in der Teagan die geheimnisvolle Dame zum ersten Mal gesehen hatte.

Sie wies ihn stumm an, Ailainn in einen der Verschläge zu bringen, während sie den Sattel von ihrer Stute nahm und sie ebenfalls in eine der Boxen geleitete.

Dann hielt sie zögernd inne. Sie hatte Teagan den Rücken zugewandt und schien all ihren Mut zusammenzunehmen. Mit einem tiefen Seufzer drehte sie sich schließlich zu ihm um und kam unsicher und mit geröteten Wangen auf ihn zu.

Er rührte sich nicht und wagte kaum zu atmen, denn sie sah auch jetzt noch so aus, als könnte sie jeden Augenblick ihren Entschluss ändern und vor ihm fliehen. Jetzt war sie nur noch wenige Zoll von ihm entfernt. Langsam streckte er die Hand aus, um ihr zu bedeuten, noch näher zu kommen. Er wollte ihr den Moment der ersten Berührung leichter machen.

Vertraue mir, bat er sie innerlich.

Lady Arnolds Lippen zitterten zu sehr, um wirklich lächeln zu können. Sie hob die Hand, und als sich ihre Finger trafen, schien die Luft Funken zu sprühen.

Sie holte tief Atem und bewegte sich so, als wollte sie einen Schritt zurück machen. Da fasste Teagan fester nach ihrer Hand und zog sie sanft, aber entschlossen zu seinen Lippen, wo er sie hielt, bis ihr Widerstand schwand. Leise seufzend schloss sie die Augen.

Teagan kämpfte gegen das starke Verlangen an, sie in die Arme zu ziehen und die Leidenschaft, die in ihr brodelte, zu entfesseln. Mit überdeutlicher Klarheit vermochte er sich auszumalen, wie sie sich neben ihm, nein, unter ihm wand. Und er wusste, dass er sie beide zu einer Erfüllung führen konnte, die sie noch nie erlebt hatten.

„Sollen wir ins Haus gehen?“, fragte er.

Während sie die Augen öffnete, flatterten ihre Wimpern. Ihr Blick verriet Angst. „Nein, das darf ich nicht! Meine Zofe … der Butler … Nein, es muss hier geschehen.“ Sie entzog ihm die Hand und deutete auf den Heuboden. „D…dort.“

Als hätte sie plötzlich eine endgültige Entscheidung getroffen, ging sie eiligen Schrittes zu der Leiter, die nach oben führte, wobei sie im Gehen ihre Haube abnahm.

Teagan folgte ihr lächelnd. Wieder überkam ihn ein starkes Gefühl der Zärtlichkeit. Seine süße, geheimnisvolle Dame verbarg sich vor keinem eifersüchtigen Ehemann, sondern vor ihren Bediensteten.

Er hätte einen anderen Ort für ihr erstes Liebesspiel bevorzugt – feine Leinentücher, Champagner, viele Stunden, um sie langsam bis zur Ekstase zu reizen. Aber er spürte, dass im Moment dieser Heuboden der einzige Ort war, den Lady Arnold für ihr Liebesspiel zulassen würde. Ein andermal wird es so sein, wie ich es mir mit ihr vorgestellt habe, schwor er sich im Stillen, während er ihr folgte.

Als sie mit einem Fuß, der in einem Reitstiefel steckte, auf der Leiter ausrutschte, hielt er sie fest. Ihr wunderbar rundes Gesäß drückte gegen seinen Schoß, sodass sich beide einen Moment nicht zu rühren vermochten. Teagans Hände zitterten nun fast ebenso heftig wie die ihren, als sie schließlich den Heuboden erreichten.

Sie machte ein paar Schritte und drehte sich dann zu ihm um. Ihren Rücken presste sie gegen einen Heuballen, die Hände ineinander verkrampft.

Die geheimnisvolle Dame wusste nicht, was sie als Nächstes tun sollte.

Obgleich er vermutete, dass jede Verzögerung ihre bereits aufs Höchste angespannten Nerven noch mehr reizen würde, war er nicht in der Lage, etwas zu unternehmen. Zuerst wollte er den Anblick, den sie ihm bot, in vollen Zügen genießen: dichtes, dunkelbraunes Haar, einige losgelöste Strähnen, die sich in ihrem Nacken und ihrer Stirn kräuselten. Ein blasses Gesicht mit großen braunen Augen, einer geraden Nase und bebenden vollen Lippen. Feste Brüste, die genau in seine Hände zu passen schienen.

„Wie heißen Sie mit Vornamen?“

Sie schaute ihn verwirrt an. „V…Valeria.“

Auch wenn sie jetzt nicht mehr fliehen konnte, trat er doch langsam auf sie zu, um sie auf keinen Fall zu erschrecken. „Bei allen Heiligen, Sie sind wunderschön, Valeria.“

Ihr Blick war unverwandt auf ihn gerichtet. Aber sie zuckte dennoch zurück, als er ihr Gesicht in beide Hände nahm.

Sie umschloss seine Finger und flüsterte: „Bitte.“

Nichts hätte ihn jetzt mehr zurückhalten können. Er wollte ihre Lippen nur flüchtig streifen, doch als sie bei seiner Berührung ihren Mund leicht öffnete, durchströmte ihn eine Hitzewelle. Er knabberte zärtlich an ihrer vollen Unterlippe, legte die Arme um sie und zog sie enger an sich. Dann ließ er die Zunge in ihren Mund gleiten, um das feuchte Innere zu erforschen.

Er hatte ganz langsam vorgehen wollen. Doch er musste endlich ihre Brüste in seinen Händen spüren. Ungeduldig knöpfte er ihre Jacke auf, zog sie ihr aus und warf sie achtlos beiseite. Daraufhin widmete er sich den Verschlüssen ihres Kleids.

Valeria versuchte, ihm behilflich zu sein. Immer wieder berührten sich ihre zitternden Finger, bis er ihr schließlich den Stoff über die warmen, festen Brüste zu streifen vermochte.

Er umfasste die vollen Rundungen, ehe er mit den Daumen die Spitzen liebkoste. Bei jeder Berührung erbebte sie am ganzen Körper. Sie zog ungeduldig an seinem Hemd, bis sie endlich seine Haut spürte.

Teagan verlor beinahe die Selbstbeherrschung. Nur einer ihrer zarten Finger strich über seine bloße Haut, doch das war bereits genug. Nun stöhnte auch er auf und wich zurück. Doch zu seiner Verblüffung ließ Valeria nicht ab, sondern öffnete langsam einen Hemdknopf nach dem anderen.

Sie schaute zu ihm hoch, als wollte sie ihn um Erlaubnis bitten, die er ihr sogleich durch ein kurzes Nicken erteilte. Dann legte sie mit träumerischem Blick beide Handflächen auf seine nackte Brust und strich darüber.

„Wunderschön“, flüsterte sie.

Sein Magen krampfte sich zusammen. Ein Gefühl, das fast genauso stark wie das Verlangen war, breitete sich in ihm aus – die einzigartige Empfindung der Wertschätzung.

„W…wunderschön“, wiederholte er und sah sie an.

Mit einem Begehren, das stärker als alles war, woran er sich erinnern konnte, verlangte es ihn nach vollkommener Vereinigung. Er wollte ganz und gar eins sein mit ihr.

Rasch breitete er eine Satteldecke, die in der Nähe lag, auf dem Boden aus, und drängte Valeria dazu, sich darauf zu legen. Er streifte ihr die Sachen ab und entledigte sich daraufhin seiner eigenen Kleidung. Sie hielt die Augen geschlossen und warf den Kopf zurück, als er mit Lippen und Zunge ihre Brüste liebkoste.

Zuerst erstarrte sie, als er die Hand zwischen die weichen Innenflächen ihrer Schenkel wandern ließ. Doch er betörte sie mit weiteren Küssen, sodass sie sich entspannte, während seine Hand immer weiter ihre Schenkel emporglitt. Schließlich drang er mit dem Finger in sie ein. Sie stieß einen leisen Schrei aus, und er stellte zu seiner Freude fest, dass sie feucht und bereit war.

Doch obgleich Teagans Verlangen so groß war, dass jede Verzögerung geradezu schmerzhaft wirkte, wollte er seine Befriedigung noch hinauszögern. Um Valeria noch weiter zu erregen, saugte er an ihrer Brustspitze, leckte die Feuchtigkeit zwischen ihren warmen Hügeln und strich mit dem Daumen über ihre versteckte Perle, bis sie schließlich den Gipfel der Ekstase erreichte. Mit überwältigender Zärtlichkeit beobachtete er, wie sich Verzückung in ihren Augen widerspiegelte.

Nach einer Weile atmete sie wieder etwas ruhiger, und er schob ihre Beine auseinander. Zwar sehnte er sich nach Valerias Geschmack, doch er wusste, dass er nicht viel länger an sich zu halten vermochte. Dennoch schob er den eigentlichen Akt noch ein wenig auf und küsste ihre geschwollenen Lippen, bis ihr Atem wieder schneller wurde und ihre Brustspitzen hart wurden.

Erst jetzt legte er sich auf sie. Ein Strudel verwirrender Empfindungen erfasste ihn, als er langsam in sie eindrang. Nun konnte er sich nicht länger zurückhalten. Stöhnend stieß er in sie.

Doch selbst in seiner Erregung bemerkte Teagan, dass sie, während er in sie glitt, plötzlich enger wurde. Der einzig klare Gedanke, den er noch fassen konnte, ehe ihn eine Welle der Lust zum Gipfel der Ekstase brachte, sagte ihm, dass er tatsächlich ihr erster Liebhaber war. Wirklich ihr erster.

Schweißnass und heftig keuchend kehrte Valeria allmählich wieder aus dem Reich der Sinne in die Wirklichkeit zurück.

Sie lag auf dem Heuboden. Nackt. Mit einem schönen Mann an ihrer Seite, der ihr gerade – von dem kleinen Schmerz einmal abgesehen – das aufregendste und unvergesslichste Abenteuer ihres bisherigen Lebens beschert hatte.

Freude erfüllte sie. Was auch immer geschehen mochte – sie würde es niemals bereuen. Sogar das beschämende Wissen, dass sie vor kurzem noch ihre Magd für dieselbe Unvorsichtigkeit so heftig getadelt hatte, konnte ihr Glücksgefühl nicht überschatten.

Der Gedanke brachte sie zum Lächeln, während die Leidenschaft immer noch nicht ganz abgeklungen war. In diesem Moment zog sie der Mann, der sie so zärtlich in die Wunder der Liebe eingeführt hatte, auf die Füße.

Teagan stand nackt und stolz, die Arme verschränkt, vor ihr und sah sie an.

Mit weit aufgerissenen Augen erwiderte sie seinen Blick.

Ehe sie noch wusste, wie ihr geschah und weshalb er plötzlich so zornig war, wies er auf die Satteldecke.

Sie war, wie Valeria zu ihrem Entsetzen feststellte, voller Blutflecken.

„Madam, tun Sie mir den Gefallen, und erklären Sie mir, wie es kommt, dass eine Witwe niemals Ehefrau gewesen ist?“

„Es muss meine Regel sein …“, begann sie.

„Nein, halten Sie mich nicht zum Narren! Ich habe genug Erfahrung, um zu wissen, dass Sie keine hatten. Aber ich habe noch nie zuvor eine Jungfrau genommen.“

Benommen fragte sie: „Ich blute?“

Ihre verängstigte Stimme stimmte Teagan etwas milder, denn seine finstere Miene hellte sich ein wenig auf. „Das ist beim ersten Mal nicht ungewöhnlich, habe ich mir sagen lassen. Es wird bald aufhören.“ Der sanfte Ton verschwand, als er fortfuhr: „Was bedeutet das alles, Valeria? Sie wollten sich doch nicht einen neuen Ehemann ergattern?“

„Natürlich nicht!“, rief sie entsetzt aus. „Und selbst wenn ich einen wollte, könnte ich mir keinen unpassenderen Kandidaten als Sie vorstellen!“

Der unverstellte Schrecken in ihrer Stimme mochte als Beleidigung angesehen werden, Teagans Gesicht entspannte sich jedoch sichtlich. „Bei allen Heiligen! Ich bin froh, dass Sie so denken. Hier, nehmen Sie.“ Er hob seinen Rock hoch und fischte ein Taschentuch heraus.

Plötzlich wurde sich Valeria ihrer Nacktheit bewusst. Sie riss ihm das Taschentuch aus der Hand und hob mit der anderen ihr Unterkleid auf, um sich damit zu bedecken. Dann suchte sie nach ihren anderen Kleidungsstücken.

Eine Berührung an ihrer Schulter ließ sie zusammenzucken. Sie drehte sich zu Teagan um, der inzwischen wieder in seine Hose geschlüpft war. „Lassen Sie mich das machen“, sagte er und zog sanft an ihrem Unterkleid. „Ich würde bestimmt eine gute Kammerzofe abgeben.“

Sie gestattete ihm, ihr beim Anziehen zu helfen. Nachdem das Feuer der Leidenschaft verloschen war, kehrte bei ihr wieder das Gefühl der Scham zurück. Innerlich lobte sie sich für ihre Klugheit, einen Liebhaber gewählt zu haben, den sie niemals wiedersehen musste.

Sie blickte zu ihm hoch. Einem Impuls folgend, strich sie ihm über die seidenweiche, kraftvolle Brust und folgte mit den Fingern den Konturen der Muskeln.

Er fasste nach ihrer Hand und küsste sie. Als sie nach ihrem Reitkostüm griff, das er aufgehoben hatte, hielt er es so, dass sie es nicht zu erreichen vermochte. „Ich lasse Sie nicht gehen, ehe Sie mir nicht erklärt haben, warum. Wieso ich, wieso heute? Und wie konnte ein Mann eine so schöne Braut unberührt lassen? Es sei denn, Sie sind eine Vernunftehe eingegangen.“

„Nein.“

„Warum dann?“

Er hielt Valeria mit dem durchdringenden Blick seiner Katzenaugen gefangen. Da sie noch immer zu verwirrt war, um sich eine Lüge auszudenken, gestand sie Teagan die Wahrheit. „Er hat mich nie gewollt. Hugh war der beste Freund meines Bruders. Als er aus Spanien zurückkehrte, um mir mitzuteilen, dass mein Bruder gefallen war, hielt er um meine Hand an. Ich habe erst später begriffen, dass er es aus Pflichtgefühl tat.“

„Als er Sie in Ihrer Hochzeitsnacht allein ließ?“

Die unendliche Enttäuschung, Demütigung und die Qual eines gebrochenen Herzens stiegen wieder in ihr auf, sodass sie kaum zu antworten vermochte.

„Ja.“

„Aber man erzählt sich, er sei in Ihren Armen gestorben. War das eine Lüge?“

„Nein.“

„Dann muss er …“

„Nein!“, rief Valeria. Sie hätte es nicht ertragen, wenn Teagan ihr noch mehr von ihren schmerzlichen Geheimnissen entlockt hätte. Wie konnte er es wagen, nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Seele zu entblößen?

„Ja“, fuhr sie ihn wütend an. „Hugh ist in meinen Armen gestorben. Aber nicht weil er die arme verwaiste Schwester seines Freundes liebte. Er lag im Delirium und merkte nicht, in wessen Armen er sich befand. Und als er starb, tat er das mit dem Namen einer anderen Frau auf den Lippen.“

Sie schloss die Augen und legte ihre zitternden Hände an die Schläfen, als ob sie die Erinnerung auf diese Weise für immer verbannen könnte.

Nach einer Weile des Schweigens sagte Mr Fitzwilliams leise: „Er war also ein Schurke.“

„Nein, das war er nicht! Er hat mich niemals betrogen. Die Dame, die er liebte, hatte ihn einige Monate, bevor er mich heiratete, abgewiesen, wie ich später herausfand. Hugh kehrte am Tag nach unserer Hochzeit zu seinem Regiment zurück und wurde mit einer Verwundung, an deren Folgen er später starb, zu mir zurückgebracht.“

Sie schaute Teagan an. „Ich bin also nie seine Frau geworden. Aber ich habe mich danach gesehnt, die Leidenschaft kennen zu lernen, um zu erfahren, was für eine Macht Männer und Frauen zu den mutigsten und zu den törichtsten Dingen veranlassen kann. Da ich hier auf dem Land wenig Hoffnung habe, jemals in Gesellschaft zu kommen, erschienen Sie mir als der geeignete Gentleman, mich in die Kunst der Liebe einzuführen. Natürlich ohne jegliche Verpflichtung auf beiden Seiten.“

Aufmerksam betrachtete er sie. „Sie haben mich als Ihren Lehrer erwählt?“

Valeria errötete. „Ich hoffte, dass Sie es vielleicht sein würden.“

Zu ihrer Erleichterung wurde er nicht wieder wütend, sondern machte eine tiefe Verbeugung vor ihr. „Es ehrt mich, dass Sie … dass Sie meinen Fähigkeiten so vertraut haben. Ich befürchte allerdings, dass ich Ihrem Vertrauen nicht gerecht geworden bin. Noch nicht.“

„Noch nicht?“, wiederholte sie mit verblüffter Miene. „Es gibt mehr?“ Sie vermochte sich nicht vorzustellen, dass diese süßen Empfindungen noch übertroffen werden könnten, ohne dass sie völlig die Besinnung verlor.

Er lachte leise. „Es gibt viele wunderbare Wege in den Himmel, Mylady.“

Bereits der sinnliche Ausdruck in seinen Augen und das verführerische Lächeln auf seinen Lippen ließen sie von neuem heftig erbeben. Eigentlich sollte sie sich jetzt anziehen, ihn wegschicken. Und dennoch … „Zeigen Sie es mir.“

„Hier? Jetzt?“

„Weder die Köchin noch der Butler kommen jemals in die Scheune, und ich habe meiner Zofe Mercy gesagt, dass ich heute länger auszureiten gedenke. Der Stallknecht hat frei, und Sukey Mae ist in der Stadt.“ Valeria zögerte. Es war ihr noch immer peinlich, ihre Wünsche zu äußern. „Ich habe Zeit … Wenn Sie auch …“

„Alle Zeit der Welt“, flüsterte er und zog sie wieder aufs Bett.

Bald danach erlebte sie die atemberaubende Ekstase, die ohne Schmerzen möglich war.

Viel später lag sie zufrieden und glücklich in seinen Armen. Sie hatte das Gefühl, in einem Meer der Sinnlichkeit zu versinken, als das laute Bellen eines Hundes sie aufschreckte, der vermutlich das Erscheinen eines Besuchers ankündigte.

„Um Himmels willen! Vielleicht ist Sukey Mae zurückgekehrt. Ich muss gehen.“

Valeria setzte sich auf, doch als sie nach ihrem Unterkleid griff, hielt Teagan sie davon ab. Er beugte sich zu ihr und nahm eine ihrer Brustspitzen in den Mund.

Eine inzwischen vertraute Wärme breitete sich in ihrem Bauch aus. Sie legte den Kopf zurück und genoss noch einen letzten Augenblick diese herrliche Empfindung. Dann zog sie sanft seinen Kopf zu sich hoch und küsste Teagan auf die Lippen.

Valeria liebkoste ihn so mit der Zunge, wie er es ihr beigebracht hatte. Sie wollte ihm damit nicht nur ihr neues Wissen, sondern auch ihre große Dankbarkeit zeigen. Eine Dankbarkeit dafür, dass er sie in die Kunst der Liebe eingeführt hatte und sie die Sinnesfreuden erleben durfte. Bloße Worte hätten niemals ausgereicht.

Dennoch sprach sie ihn an. „Mr Fitzwilliams.“

„Teagan“, verbesserte er sie. „Mister ist doch etwas zu formell.“

Sie musste lächeln. Nach den Regeln der Schicklichkeit war es einem erst erlaubt, eine andere Person mit dem Vornamen anzureden, nachdem man durch eine dritte Partei einander offiziell vorgestellt worden war.

„Teagan. Ich muss jetzt gehen, aber ich möchte dir danken …“

„Nein.“ Er unterbrach sie, indem er ihr kurz einen Finger auf die Lippen legte.

„Soll ich dir nicht danken?“ Sie lächelte. „Verzeih, aber ich weiß nicht, was man …“

Unvermittelt fasste er sie so fest an den Armen, dass sie schwieg. „So etwas sollst du auch nie wissen“, sagte er heftig und küsste sie.

Valeria hatte befürchtet, dass es unangenehm sein würde, sich vor seinen Augen anzuziehen und das Haar herzurichten. Doch wieder machte Teagan es ihr leicht. Er bat sie, sein Hemd zuzuknöpfen, während er ihr Kleid zumachte und sie dabei immer wieder liebkoste oder küsste.

Wie sehr sie sich bereits nach seinen Berührungen sehnte!

Doch das wollte sie vor ihm nicht zugeben. „Wann werden Sie abreisen?“

„In einigen Tagen.“ Er hielt mit dem Schließen seiner Weste inne und sah sie an. „Reiten Sie morgen wieder aus?“

Valeria gab nicht vor, ihn falsch zu verstehen. „Sich einen Traum zu erfüllen ist wunderbar. Aber zu versuchen, ihn weiterzuleben, wäre … gefährlich.“ Sie schluckte. „Dann könnte es sehr schwer werden, sich voneinander zu lösen.“

Teagan schwieg eine Weile. Seine Miene wirkte undurchdringlich, dann nickte er. „Man findet selten eine Dame, die ebenso klug wie schön ist.“

Ein schrecklicher Schmerz durchfuhr sie. Was hatte sie erwartet? Dass dieser attraktive Mann, dem wahrscheinlich überall die Frauen zu Füßen lagen, versuchen würde, sie zu einem weiteren Treffen zu überreden?

Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich, als sie die Leiter hinunterstieg und dann Teagan mit bittersüßen Gefühlen beobachtete, der nun ebenfalls herunterkam.

Ehe er sich draußen auf den Hengst schwang, trat er noch einmal zu ihr, um ihr einen letzten Kuss zu geben.

„Nachdem ich nun die Spieler bei Rafe, so weit es ging, ausgenommen habe, werde ich wahrscheinlich bald nach London zurückkehren. Falls … falls unerwartete Folgen aus unserem morgendlichen Liebesspiel entstehen sollten, lassen Sie es mich wissen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Es wird keine Folgen geben.“ Sie wollte ihn nicht verletzen, indem sie noch hinzufügte, dass sie sich keinen unpassenderen Vater vorstellen konnte.

Doch Teagan schien ihre Gedanken zu erraten. „Natürlich nicht. Aber welch besseren Vater kann man sich für einen Jungen wünschen als einen unzuverlässigen irischen Glücksspieler?“

Bevor sie antworten konnte, machte er eine Verbeugung und stieg auf sein Pferd. „Leben Sie wohl, Lady Arnold. Gott sei mit Ihnen.“

„Mr Fitzwilliams.“

Er ritt davon, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen.

Ein Gefühl der Verlorenheit bemächtigte sich ihrer.

Es ist unvermeidlich, dass er mich verlässt, sagte sich Valeria.

Wenn sich Mr Fitzwilliams länger in der Gegend aufhalten würde, hätte sie nicht versprechen können, ihn nicht aufzusuchen. Ihre Sinne, die nun einen Genuss erlebt hatten, von dem sie bisher nichts gewusst hatte, verlangten bereits nach mehr.

Mehr von dem, was der geschickte Mr Fitzwilliams ihr gegeben hatte. Was er in Zukunft mit der gleichen Kunstfertigkeit anderen Damen schenken würde. Und das würde er tun, da brauchte sie sich nichts vorzumachen.

Wie unwissend sie gewesen war, als sie sich entschlossen hatte, ihre Neugier mit einer einzigen Begegnung zu befriedigen! Wie hatte sie nur annehmen können, dass sie danach so weiterleben würde, als wäre nichts geschehen.

Erst jetzt, während sie mit dem Blick der Gestalt auf dem Pferd folgte, die durch den Obstgarten ritt, erkannte sie die bittere Wahrheit, was sie noch trauriger stimmte.

Eine Frau konnte sich einem Mann nicht hingeben, ohne einen Teil ihrer Seele zu verlieren. Ein ruheloser Filou hatte ihn mitgenommen und würde ihn niemals zurückbringen.

Ebenso verwirrt wie befriedigt lenkte Teagan seinen Hengst durch den Wald zum Jagdhaus. Er war sich nicht sicher, ob er gerade bei einer Göttin gelegen hatte, die als Waldnymphe auf die Erde gekommen war.

Valeria glich wahrlich keiner Frau, die er bisher verführt hatte. Nein, in einer Welt, wo alles seinen Preis hatte und jeder, der ihn, den Schalk, an sich heranließ, seine beste Vorstellung erwartete, hatte sie ihn nur mit den Augen und einem geflüsterten „Bitte“ angefleht. Sie hatte keine weiblichen Tricks angewandt, um ihn zu bezaubern, wollte keinen untreuen Ehemann bestrafen oder ihre Langeweile durchbrechen. Stattdessen hatte sie mit ihrer unschuldigen, wenn auch heftigen Leidenschaft eine süße Empfindung in ihm ausgelöst, die er schon lange verloren geglaubt hatte.

Konnte es sein, dass er den wertvollsten Schatz gefunden hatte – einen wirklich ehrlichen Menschen? Eine Frau wie seine Mutter, die nicht auf ihren strengen Vater gehört hatte, sondern dem Mann gefolgt war, den sie liebte? Sie war ihm treu geblieben, selbst nachdem er sie schon lange verlassen hatte.

Ihm – seinem Vater, dessen Blut auch in Teagans Adern floss.

Nein, er war es nicht wert, dass Valeria Arnold sich mit ihm abgab. Jetzt, da seine Taschen wieder gefüllt waren, schien es ihm das Beste, diese wunderbare Waldnymphe zu vergessen und auf der Stelle nach London zurückzukehren. Schließlich würde sein Gewinn nicht ewig vorhalten. Er musste bereits über seinen nächsten Coup nachdenken.

Und dieses beängstigend starke Gefühl in sich unterdrücken, Ailainn zu wenden und zu der geheimnisvollen Dame zurückzureiten.

4. KAPITEL

Eine Woche später brachte Valeria ihre Stute vor der Scheune zum Stehen. Nachdem sie Specter einen liebevollen Klaps auf den Nacken gegeben hatte, stieg sie ab und reichte dem wartenden Stallknecht die Zügel.

Ihre Wangen röteten sich, als sie ihm zusah, wie er das Pferd in das dunkle Innere der Scheune führte. Sie war seit jenem Treffen nicht mehr in dem Gebäude gewesen. Das Zusammensein mit Mr Fitzwilliams hatte sich als so aufwühlend und wunderbar herausgestellt, dass sie manchmal kaum glauben konnte, es sei tatsächlich vorgefallen.

Wieder einmal schweiften ihre Gedanken zu jenem beispiellosen Morgen zurück, und ihr Puls fing von neuem zu rasen an. All ihre Sinne wurden wieder geweckt, und das heftige Verlangen drohte sie zu überwältigen. Wie oft war ihr das in den vergangenen Tagen schon passiert!

Entschlossen verdrängte sie die Sehnsucht und zwang sich dazu, an ihre morgendliche Unterhaltung mit Gilbert, dem gewissenhaften, aber ziemlich trägen Vorarbeiter der Farm, zu denken. Als sie sich an die einsilbigen Antworten erinnerte, die er ihr gegeben hatte, war sie sich wieder einmal sicher, dass sich Gilbert besser mit Tieren als mit Menschen verstand. Wenn sie allerdings ihre miserable finanzielle Lage bedachte, nahm sie an, dass ihr noch viel Zeit bleiben würde, das aus Gilbert herauszulocken, was sie wissen wollte.

Es sei denn, sie nahm aus Verzweiflung schließlich doch Arthur Hardestys Heiratsantrag an.

Valeria schüttelte sich bei diesem Gedanken. Nach der Episode auf dem Heuboden überließ sie sich lieber der vornehmen Armut auf Eastwoods.

Sie bemühte sich gerade ohne sonderlichen Erfolg, sich nach diesen entmutigenden Überlegungen nicht ganz der Niedergeschlagenheit hinzugeben, als sie Mercy entdeckte, die mit geröteten Wangen rasch auf sie zukam.

Da die Zofe sich vor längerer Zeit ihren Knöchel verletzt hatte und es deshalb seitdem meistens vermied, schnell zu gehen, durchfuhr Valeria bei ihrem Anblick sogleich ein Schrecken. „Ist etwas geschehen?“, rief sie ihr entgegen.

„Ich weiß es nicht“, brachte Mercy keuchend hervor. „Ein Bote mit einer Nachricht für Sie ist hier, und er will auf Ihre Antwort warten.“

„Ein Bote?“, fragte Valeria überrascht. „Von wem?“

„Das wollte er nicht sagen. Er wollte die Nachricht nicht einmal Masters geben, sondern nur Ihnen persönlich überreichen!“ Mercy stieß einen Laut der Empörung aus.

„Wir werden bald erfahren, was es mit diesem geheimnisvollen Gehabe auf sich hat“, erwiderte ihre Herrin und ging zusammen mit Mercy zum Haus.

Dort blieb die Zofe stehen. „Gehen Sie doch schon in den Salon. Ich bestelle in der Küche für Sie Tee und sage Masters, dass Sie den eingebildeten Burschen jetzt empfangen.“

Kurze Zeit, nachdem sich Valeria ihrer Reitgerte und der Handschuhe entledigt hatte und im Salon saß, trat Mercy bereits mit einem Tablett ein. Ein junger Mann in einer dunkelblauen Livree folgte ihr. „Hier ist er, Mylady – wer immer er auch sein mag.“

„Saunders, Mylady“, sagte der Kurier, nahm den Hut ab und verbeugte sich. Dann reichte er ihr einen versiegelten Brief. „Ich wurde damit von meiner Herrin, Lady Winterdale, zu Ihnen geschickt.“

Valeria dachte einen Moment nach. „Die Dowager Countess of Winterdale?“

„Ja. Verzeihen Sie mir, Lady Arnold, wenn ich Ihr Haus in Aufregung versetzt habe, aber meine Herrin wies mich an, mit niemandem außer Ihnen zu sprechen. Ich soll nur Ihnen diesen Brief übergeben und auf eine Antwort warten.“

„Gut, Saunders. Ich läute, wenn ich so weit bin. Mercy, bitte geleite ihn wieder nach unten.“

Valeria nickte den beiden Bediensteten zu, legte den Umschlag auf das Tischchen neben ihrem Sessel und goss sich erst einmal eine Tasse Tee ein. Sie überlegte, was wohl so dringend sein mochte, dass die Großmutter ihres verstorbenen Mannes – eine Frau, der sie niemals begegnet war – es für nötig hielt, einen Boten zu ihr zu schicken.

Ging es um ein Vermächtnis?

Einen Augenblick lang wurde sie von großer Erregung ergriffen, doch dann musste sie über diese lächerliche Vorstellung den Kopf schütteln. Zum einen war Lady Winterdale offensichtlich quicklebendig, und zum anderen würde bestimmt eine Erbbenachrichtigung durch einen Notar erfolgen.

Sie brach das Siegel und las.

Meine liebe Valeria,

der Gedanke quält mich noch immer, dass ich auf Grund meiner angegriffenen Gesundheit weder zu Ihrer Hochzeit mit meinem Enkel in Portsmouth noch nach Eastwoods zu kommen vermochte, um Hugh vor seinem frühen Ende ein letztes Mal zu sehen.

Ich habe viel von Ihrer hingebungsvollen Pflege während seines langen Leidens gehört und möchte Sie nun bitten, mit einer trauernden alten Dame Mitleid zu haben. Kommen Sie zu mir nach London, und erzählen Sie mir alles von Hughs letzten Monaten.

Ich habe meinen Boten angewiesen, auf Ihre Antwort zu warten, damit ich weiß, wann ich Sie erwarten darf. Bis dahin verbleibe ich mit den besten Wünschen …

Der Brief endete mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln und der eindrucksvoll verschnörkelten Unterschrift der Dowager Countess.

Valeria lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Verärgerung und Belustigung verdrängten ihre Überraschung. Die alte Countess bestellte sie nach London und nahm selbstverständlich an, dass die Frau ihres Enkels sogleich zusagen würde, sonst hätte sie wohl nicht den Boten angewiesen, auf eine Antwort zu warten.

Auch wenn sie Hughs Großmutter war, Valeria war jedenfalls kein Lakai, den man herumkommandieren konnte. Allerdings musste sie zugeben, dass die Vorstellung, die große Metropole London zu besuchen, die sie noch nie gesehen hatte, etwas sehr Verlockendes hatte.

London – Handelszentrum, Stadt der Regierung und der feinen Gesellschaft. London, wo sich der Adel, dem sie von Geburt an auch angehörte, für die Saison einfand.

London, wohin zweifellos ein gewisser charmanter Filou wieder zurückgekehrt war.

Ihr Herz pochte. Sei keine Närrin, wies sie sich zurecht. Selbst wenn ihr der befehlende Tonfall im Brief der Dowager Countess nicht aufgefallen wäre, kam eine solch teure Reise für sie nicht infrage. Auch wenn sie für den Wunsch der alten Dame, alles über ihren geliebten Enkel zu erfahren, durchaus Verständnis verspürte.

Valeria schrieb rasch eine Antwort, in der sie ihrem Mitgefühl für die Trauer der Countess Ausdruck verlieh, aber dennoch entschlossen absagte. Nachdem sie den Brief mit Sand bestäubt und versiegelt hatte, betrachtete sie ihn mit einem leisen Bedauern.

London … Wie bei so vielen anderen Dingen, wonach sie sich sehnte, blieb auch diese Stadt ein ewiger Traum für sie.

Doch ein Abenteuer hatte sie erleben dürfen. Eine heftige Freude ergriff sie bei dem Gefühl, einmal über ihr Schicksal triumphiert zu haben. Sie hatte die Gelegenheit, die sich ihr bot, beim Schopf gepackt und gesiegt – was sie vor allem jetzt nach dem Einsetzen ihrer Regel wusste.

Sie unterdrückte ein Lächeln, als Masters wenige Sekunden, nachdem sie geläutet hatte, erschien. Gewiss brannte die Dienerschaft darauf, zu erfahren, welch geheimnisvolle Nachricht ihre Herrin erhalten hatte.

„Könnten Sie Saunders mitteilen, dass ich die Antwort für ihn bereit habe?“

„Sofort, Mylady.“ Er zögerte. „Ich hoffe, es ist nichts … nichts Furchtbares geschehen.“

„Nein, Masters. Die Großmutter meines Gatten wollte mir nur ihr Beileid ausdrücken.“

Der Butler runzelte einen Moment die Stirn. Er schien ihr nicht ganz zu glauben, wagte aber nicht, weiter nachzufragen. „Ich bin froh, das zu hören“, sagte er, verbeugte sich leicht und verschwand.

Während Valeria auf den Kurier wartete, ging sie in Gedanken noch einmal die vielen kleinen Aufgaben durch, die sie heute zu erledigen hatte. Wieder entschlüpfte ihr ein Seufzer. Sie durfte sich nicht gehen lassen. Und dennoch, wie aufregend wäre es, stattdessen Pläne für eine Reise nach London zu machen.

Ein lautes Klopfen an die Salontür riss sie aus ihren melancholischen Gedanken. „Überbringe deiner Herrin diese Nachricht mit meinen besten Wünschen“, sagte sie und streckte Saunders den Brief entgegen.

Er nahm ihn und verbeugte sich. „Wenn ich so frei sein darf, Lady Arnold – wann kann meine Herrin Sie erwarten?“

Verblüfft über diese Frage zögerte Valeria einen Moment. Es war merkwürdig, dass die Countess zu ihrem Boten von ihrem bevorstehenden Besuch gesprochen hatte. „Ich werde nicht nach London kommen“, erwiderte sie.

„In diesem Fall hat mich Lady Winterdale gebeten, Ihnen dies zu überreichen.“ Er fasste in seine Weste und holte einen weiteren Brief heraus, während er aus seiner Hosentasche eine prall gefüllte Lederbörse hervorzog.

Valeria hörte das Klimpern von Münzen, als er ihr die beiden Dinge reichte. Ihr Herz schlug schneller. Wie schwer der Beutel war!

Einen Moment blickte sie Saunders fassungslos an. „Ich … Ich brauche noch eine Weile“, sagte sie schließlich. Nachdem er sich verbeugt und wieder das Zimmer verlassen hatte, legte sie die Börse beiseite und riss ungeduldig den Brief auf.

Danach öffnete sie den Lederbeutel und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Zehn, zwanzig – das mussten um die fünfzig Guineas sein! Nun verstand sie auch, warum der Bote ausschließlich mit ihr sprechen sollte.

Ungläubig und mit weichen Knien las sie nun den zweiten Brief der Countess.

Meine liebe Valeria, ich habe befürchtet, dass mein Enkel sein Gut sehr vernachlässigt hat, als er Soldat wurde. Da die Besitztümer des Baronats nun auch noch an Hughs Vetter fielen, kann Ihnen nicht viel mehr als die elende Schafsfarm geblieben sein. Wohl kaum der angemessene Lohn für Ihre aufopfernde Fürsorge!

Sollte Sie also Geldmangel davon abhalten, meine Einladung anzunehmen, habe ich meinen Diener angewiesen, Ihnen diese Summe zu überreichen und sich um Essen und Unterkunft während Ihrer Reise zu kümmern. Ich freue mich schon sehr, Sie bald kennen lernen zu dürfen.

Eine große Aufregung bemächtigte sich Valeria, und der anfängliche Ärger über das bestimmende Verhalten der Countess, schwand.

Gilbert konnte sich ohne sie um das Scheren der Schafe kümmern, während die kleinen Aufgaben, die anstanden, ohne weiteres auch in einigen Monaten erledigt werden konnten. Wenn sie das Geschenk der Countess annahm, gab es keinen Grund mehr, ihre Einladung abzulehnen.

Sie würde dieser Einöde entkommen und London sehen! Die größte Stadt Englands – und Wohnort von Teagan Fitzwilliams!

Es war lächerlich, wie ihr bei diesem Gedanken der Atem stockte. London war eine riesige Stadt, und ein irischer Glücksspieler würde wohl kaum in denselben Kreisen wie die Countess of Winterdale verkehren.

Sollte Valeria fahren, würde sie sich allerdings einige Stunden nehmen, um die prächtige Metropole zu erkunden, von der ihr Elliot so begeistert erzählt hatte. Die hohe Fassade der Kathedrale von Westminster und die Vollkommenheit von Sir Christopher Wrens Meisterwerk St. Paul’s. Dann gab es da noch St. James’ Palace mit seinem riesigen Park und die düstere Silhouette des Tower an der Themse. Die Lustgärten von Vauxhall, die abends von Tausenden von Lichtern erleuchtet wurden, und die Docks, wo täglich viele Schiffe Güter aus exotischen Ländern ausluden.

Rasch nahm sie ein neues Blatt Papier und schärfte ihre Feder.

Noch während sie eilig ihre Zusage schrieb, durchfuhr sie eine Erregung, die nichts mit Kathedralen und Palästen zu tun hatte.

Drei Wochen später saß Valeria neben Mercy in der bequemen Kutsche, die Saunders für sie hatte kommen lassen. Sie war gespannt, wie das Stadthaus der Countess aussah. Der Anblick der riesigen Metropole London war höchst eindrucksvoll, und die klassizistischen Häuser in Westminster und Mayfair waren wirklich wunderschön.

Lady Winterdales Residenz war ein dreistöckiger Ziegelbau, der, wie Valeria beim Anhalten der Kutsche feststellte, am Grosvenor Square stand.

„Ist es nicht herrlich, Mercy?“

„Solange das Dach dicht ist und der offene Kamin nicht raucht, wird es mir schon gefallen“, erwiderte ihre Zofe prosaisch.

„Darauf kannst du dich bestimmt verlassen.“ Als Valeria die Stufen hinaufstieg, überkam sie plötzlich eine große Unruhe, und sie strich sich hastig ihren zerknitterten Reisemantel glatt. Die Besitzerin eines solchen Hauses würde über ihre altmodische Erscheinung vermutlich entsetzt sein.

Diese Geste entging Mercys scharfem Blick nicht. „Sie müssen sich keine Sorgen machen, Mylady. Lady Winterdale weiß doch, in welcher Lage Sie sich befinden, und wenn nicht, dann ist es an der Zeit, dass sie es endlich erfährt.“

Stimmt, dachte Valeria, als sie die mit Marmor verkleidete Halle betrat. Es war wirklich gleichgültig, ob der alten Dame ihre Erscheinung zusagte oder nicht. Sie war schließlich nur gekommen, um von Hughs letzten Monaten zu erzählen, danach ging es wieder nach Yorkshire zurück.

Der Butler, ein streng wirkender Mann mit gestärktem Kragen und finsterer Miene, schickte Mercy sogleich zur Haushälterin, während er Valeria bat, ihm in das Gästezimmer zu folgen.

„Lady Winterdale wird Sie empfangen, sobald Sie sich frisch gemacht haben“, sagte er. „Molly kann Ihnen bei allem Nötigen behilflich sein.“

Ein pausbäckiges junges Mädchen erwartete sie bereits in einem großen Zimmer, das mit Mahagonimöbeln von Chippendale und roséfarbenem Satin ausgestattet war. Nachdem sich der Butler zurückgezogen hatte, erklärte das Mädchen, dass es während Valerias gesamtem Aufenthalt ihr zur Verfügung stünde.

Um so schnell wie möglich den Schmutz der Reise loszuwerden und ihre Wohltäterin kennen zu lernen, beeilte sich Valeria mit dem Erfrischen. Nachdem sie auch ihre Frisur in Ordnung gebracht hatte, zog sie an der Klingelschnur.

Der Butler führte sie in ein großes Schlafzimmer, durch dessen hohe Fenster man auf den Garten hinter dem Haus blicken konnte. Die Dame, die auf dem elfenbeinfarbenen Sofa mitten im Raum ruhte, schaute auf, als Valeria eintrat.

„Lady Arnold of Eastwoods“, verkündete der Diener.

„Mylady, ich danke Ihnen für die Liebenswürdigkeit, mich nach London bringen zu lassen“, sagte Valeria mit einem Knicks.

„Kommen Sie näher, mein Mädchen, und lassen Sie mich Sie betrachten“, sagte die Countess. „Jennings, bringen Sie uns Sherry.“

Der Butler zögerte und räusperte sich diskret. „Ihr Arzt empfiehlt Ihnen, nur Tee zu sich zu nehmen, Mylady.“

Die Dowager Countess schnitt ein Gesicht. „Unverschämter Quacksalber! Wenn ich nicht einmal mehr ein Glas Sherry trinken darf, um die Ankunft der Frau meines Enkels zu feiern, lohnt es sich nicht mehr zu leben.“

Valeria glaubte ein Seufzen gehört zu haben, ehe der Butler sich ihr zuwandte. „Wünschen Sie vielleicht Tee, Lady Arnold?“

„Wenn Sie so gut wären.“

„Diese alten Diener“, brummte die Countess, nachdem Jennings gegangen war. „Sie kennen einfach ihren Platz nicht mehr. Kommen Sie, geben Sie mir Ihre Hand. Ich werde Sie schon nicht beißen.“

Valeria trat näher und streckte die Hand aus. Als die alte Dame sie mit einem erstaunlich kräftigen Griff umfasste, schauten sie einander in die Augen. Valeria suchte im Gesicht der Dowager Countess nach Ähnlichkeiten mit dem Mann, den sie geliebt hatte.

Mit ihrer leicht gebogenen Nase, der breiten Stirn und den schön geschwungenen Lippen hatte die Countess in früheren Jahren bestimmt sehr eindrucksvoll ausgesehen. Obgleich ihre Züge und die Figur keine Ähnlichkeit mit Hugh erkennen ließen, erinnerten Valeria doch die schwarzen, durchdringend blickenden Augen auf schmerzhafte Weise an die ihres Gatten.

Hugh hatte sie genauso gemustert, als er Elliot das erste Mal zu ihrem Vater begleitet hatte. Als übermütige Fünfzehnjährige, die sich über den Besuch ihres Bruders und seines Freundes freute, hatte sie die beiden mit Kieselsteinen beworfen, sobald sie die Landstraße entlanggeritten kamen. „Hugh hatte Ihre Augen“, sagte sie jetzt.

Die Miene der Countess wurde sogleich milder. „Ja. Sie haben ihn sehr geliebt, nicht wahr?“

„Ja.“ Aber er hat mich nicht geliebt. Überrascht über die heftige Bitterkeit, die plötzlich in ihr aufstieg, wusste Valeria nicht, was sie noch hinzufügen sollte.

„Setzen Sie sich.“ Die Countess wies auf einen Ohrensessel neben ihr. „Außer einigen Briefen, die Hugh Ihnen wohl diktiert hat, weiß ich überhaupt nicht, wie es ihm nach seiner Verwundung ergangen ist. Erzählen Sie mir alles.“

„Natürlich.“ Valeria trank einen Schluck heißen Tee, den der Butler in der Zwischenzeit gebracht hatte, und begann dann mit dem Bericht. Sie erzählte von dem Schock, den sie beim Anblick von Hughs blutigem Körper erfahren hatte, als er – vor Schmerz ganz steif – vom Schiff getragen worden war. Dann von den ersten Wochen voller Verzweiflung, in denen er zwischen Leben und Tod schwebte, der geringen Besserung, die es ihm erlaubte, nach Eastwoods zurückzukehren, und schließlich von seinem unaufhaltsamen Niedergang.

„Waren Sie bei ihm, als er starb?“, wollte die Countess wissen.

„Ja, Mylady.“

„Hat er am Schluss noch etwas gesagt?“

Lydia … Lydia?

Der Widerhall von Hughs heiserem Flüstern dröhnte in ihren Ohren.

„Gegen Ende hat er nicht mehr klar gesprochen“, erwiderte Valeria ausweichend. Sie wollte nicht an die Qualen denken, die sie durchlitten hatte, als sie erkannte, dass ihr Mann niemals aufgehört hatte, die Frau zu lieben, die ihn abgewiesen hatte. Oder an ihre Liebe, die sie dazu veranlasst hatte, ihn trotz dieser Schmach zu beruhigen.

„Ich bin hier“, hatte sie geantwortet.

„Küss mich, Lydia“, hatte er geächzt. „Ein letztes Mal.“

Sie hatte ihre zitternden Lippen an die seinen gedrückt und seinen ausgemergelten Körper in die Arme genommen, während ihre Tränen auf seine fieberheiße Haut gefallen waren. Es hatte ihr fast das Herz gebrochen, wissen zu müssen, dass sie sein Leiden nur dadurch lindern konnte, indem sie vorgab, jemand anders zu sein.

Valeria schaute auf und stellte fest, dass die alte Dame sie aufmerksam anblickte. „Er hat an sie gedacht, nicht wahr? An seine geliebte Lydia?“

Einen Moment glaubte Valeria, das Herz müsste ihr stehen bleiben. Dann platzte sie heraus: „Er … Ich … Wie können Sie es wagen, mich so etwas zu fragen?“

„Legen Sie sich nicht mit mir an! Ich will eine Antwort. Oder haben Sie geglaubt, dass Sie nach London kommen und mich mit Lügen abfertigen könnten?“

Valeria spürte, wie sie bleich wurde und sich dann ihre Wangen röteten. Langsam erhob sie sich.

„Ich habe alles über Hughs letzten Wochen erzählt. Somit kann ich wohl gehen. Ich danke Ihnen für den Tee, Lady Winterdale. Sie brauchen Ihren Butler nicht zu rufen – ich finde allein hinaus.“

Sie war derart aufgebracht, dass sie nicht einmal daran dachte, wie sie die Kosten für die Rückreise aufbringen sollte. Valeria machte einen Knicks und drehte sich um. Auf der Stelle wollte sie Mercy suchen und dieses Haus so schnell wie möglich verlassen. Da spürte sie, wie sie am Arm gepackt wurde.

„Wohin wollen Sie, Närrin?“, sagte die Dowager Countess. „Setzen Sie sich wieder! Ich mag vielleicht alt und gesundheitlich nicht mehr ganz auf der Höhe sein, aber ich habe ausgezeichnete gesellschaftliche Verbindungen. Daher weiß ich auch, dass Sie hier keine Verwandten oder Freunde haben. Eine Dame übernachtet nicht allein im Hotel, was Sie sich mit dem Einkommen, das diese elende Schweinefarm abwirft, sowieso nicht leisten könnten.“

„Schafe. Wir haben Schafe“, entgegnete Valeria scharf. „Und Eastwoods geht es ganz gut. Wenn Sie mich jetzt loslassen würden – ich möchte gehen.“

„Nein, das werde ich nicht tun“, gab die Countess zur Anwort. „Das ist einer der wenigen Vorteile des Alters – man darf sich schlecht benehmen. Aber ich will Ihnen erklären, weshalb ich Sie hier behalten will. Also hören Sie mir zu.“ Als Valeria weiterhin steif dastand, zog die alte Dame ungeduldig an ihrem Arm.

Nachdem sie sich einen kurzen Moment lang überlegt hatte, ob sie die starrköpfige Großmutter ihres verstorbenen Mannes überwältigen sollte, ließ sie sich widerstrebend nieder.

„Da Sie darauf bestehen, bleibe ich“, sagte sie. „Ich werde aber keine Fragen mehr beantworten und bin auch an keinem Vermächtnis interessiert, an das Sie vielleicht für Hugh gedacht hatten.“

„Wenn Sie nicht an einem zusätzlichen Einkommen interessiert sind, müssen Sie eine Närrin und nicht die kluge Dame sein, für die ich Sie bisher gehalten habe. Es gefällt mir, wie Sie sich mir gegenüber zu behaupten versucht haben. Kein einschmeichelndes Lächeln und keine falschen Komplimente – das bestätigt nur die gute Meinung, die ich mir über Sie gebildet habe.“ Die Countess nickte wohlwollend.

Valeria, die durch den plötzlichen Stimmungswechsel völlig durcheinander war, saß schweigend da und spürte, wie ihre Empörung einer gewissen Belustigung und Neugier wich.

Ehe sie eine passende Erwiderung finden konnte, fuhr die alte Dame fort: „Als Erstes möchte ich Ihnen versichern, dass ich dem Schicksal danke, dass Lydia Fontescue, die einen Verstand wie ein Spatz besitzt, Hughs Antrag abgelehnt hat. Sie behauptete natürlich, ihn zu lieben, bis sie erfuhr, dass er vorhatte, Wellingtons Armee beizutreten. Miss Lydia wollte auf keinen Fall das Wagnis eingehen, dass sie vielleicht allein zurückbleiben müsste, falls ihr Verlobter in irgendeinem fernen Heidenland ums Leben käme.“

Unter anderen Umständen wäre es Valeria sehr unangenehm gewesen, über die Frau reden zu müssen, die ihr Mann geliebt hatte. Doch die Offenheit der Countess und ihre augenscheinliche Ablehnung dieser Dame gegenüber, die ihren Enkel abgewiesen hatte, erleichterten ihr ein solches Gespräch.

Lady Winterdale ließ ihr keine Zeit, etwas einzuwerfen. „Lydia hat den Viscount bekommen, den sie verdient hat. Aylesbury wird bereits dick und kennt kaum einen anderen Gedanken als den an den Schnitt seines neuesten Rocks. Und er hat ihre Figur ruiniert, indem er ihr drei wimmernde Nachahmungen seines o-beinigen Selbst beschert hat.“

Angewidert schüttelte die alte Dame den Kopf. „Lydia war allerdings nicht der einzige Narr, wenn Hugh nicht einmal zum Zeitpunkt seines Todes begriffen hatte, welch wunderbare Frau er glücklicherweise geheiratet hat.“

Autor

Anne Gracie

Schon als junges Mädchen begeisterte sich Anne Gracie für die Romane von Georgette Heyer – für sie die perfekte Mischung aus Geschichte, Romantik und Humor. Geschichte generell, aber auch die Geschichte ihrer eigenen Familie ist Inspirationsquelle für Anne, deren erster Roman für den RITA Award in der Kategorie beste...

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