Historical Herzensbrecher Band 11

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RITTER SIMONS GELIEBTE von JULIE TETEL
England, 1153: Im Schloss steht Gwyneth dem stolzen Ritter Simon zum ersten Mal gegenüber. Auf Befehl des Königs muss sie ihn heiraten, damit ihre Güter nicht den Feinden des Monarchen in die Hände fallen. Mit bangem Herzen erwartet Gwyneth die Hochzeitsnacht. Was hält das Schicksal für sie bereit: Leid – oder nie endende Leidenschaft?

VERRAT DES HERZENS von ELIZABETH HENSHALL
Ein eiskalter Handel macht Lady Ghislaine zur Frau des normannischen Ritters Guy de Courcy. Doch als süßer Wein und unerwartete Sehnsucht sie für eine Nacht in seine starken Arme treiben, begehrt sie ihn heiß – gegen ihren Willen! Denn noch muss sie fürchten, dass ausgerechnet Guy der Mörder ihrer besten Freundin ist …


  • Erscheinungstag 06.08.2021
  • Bandnummer 11
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502443
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julie Tetel, Elizabeth Henshall

HISTORICAL HERZENSBRECHER BAND 11

1. KAPITEL

London, England
Ende Mai, im Jahre des Herrn 1153

Simon of Beresford kniete über seinem Opfer. Sein breites Schwert lag einen Schritt entfernt neben der Waffe, die er seinem Gegner soeben abgenommen hatte. Der Mann am Boden schaute angstvoll zu seinem Bezwinger auf, halb benommen von seiner Erschöpfung und der sengenden Sonne. Er glaubte, seine letzte Stunde habe geschlagen, als er die Hände spürte, die sich um seinen Hals legten.

Mühelos hielt Beresford ihn fest. „Nun ist es so weit. Sprecht Euer letztes Gebet!“

„Gnade!“, würgte der Mann hervor.

Statt ihm die Kehle zuzudrücken, stand Beresford auf, aber keineswegs, um sich barmherzig zu zeigen. „Ihr seid ein altes Weib, Langley“, stieß er angeekelt hervor. „Fleht niemals um Gnade, damit beschwört Ihr nur den Tod herauf. Selbst wenn Ihr schon am Boden liegt, solltet Ihr nach einem wunden Punkt Eures Gegners suchen.“

Langley ergriff Beresfords ausgestreckte Hand. „Leider fand ich keinen“, klagte er und wischte sich den Staub ab. Dann versuchte er, das Entsetzen zu überwinden, das ihn erfasst hatte.

„Ihr habt nichts gelernt“, erwiderte Beresford, hob die beiden Schwerter auf und warf Langley eines zu. Unter dem Gewicht des Stahls schwankte der Mann.

Lässig schwang Beresford seine Waffe und ließ die Muskeln seiner starken Arme spielen.

„Ich bin müde“, verteidigte der Knappe seine Ungeschicklichkeit, „und das wärt Ihr auch, hätte man so lange mit Euch gefochten und Euch dann niedergestreckt.“

„Hört zu winseln auf! So leicht solltet Ihr Euch nicht geschlagen geben. Schon am Anfang habt Ihr den Kampf verloren, weil Ihr ein elender Fechter seid. Haltet das Schwert hoch! Ja, so ist es besser. Und Ihr müsst wissen, dass ich Eure Nase nur zu gern wieder in den Staub pressen würde. Also bietet mir keine Gelegenheit dazu! Nun seht her! Wenn ich mich so bewege, verteidigt Ihr Euch auf diese Weise … Nein, nicht so, junger Narr! So!“

Schweißperlen rannen über Langleys Stirn. „Den ganzen Nachmittag üben wir schon“, keuchte er. „Es ist – so heiß …“

„Und der Tod ist unabänderlich. Wir wiederholen die Übung noch einmal, damit ich weiß, dass ein Mann hinter mir steht und kein altes Weib, wenn wir Henrys Kriegern erneut begegnen.“ Unerbittlich griff Beresford seinen Schüler an, von allen Seiten. Endlich war er einigermaßen zufrieden, hielt dem jungen Burschen aber noch einen strengen Vortrag, ehe er sich abwandte.

Blitzschnell drehte er sich um und schlug Langley das Schwert aus der Hand, das dieser gegen seinen Herrn erhoben hatte. Keineswegs wütend, sondern hocherfreut, rief Beresford: „Sehr gut! Aber wenn Ihr nächstes Mal jemanden von hinten angreift, seht zu, dass sich die Spitze Eurer Klinge zumindest auf gleicher Höhe wie der Nacken Eures Gegners befindet.“ Mit einem Fußtritt beförderte er die Waffe aus der Reichweite des Knappen. „Morgen fangen wir eine Stunde früher an“, entschied er und überquerte den Kampfplatz, den Hof seines Stadthauses.

Das Schwert unter einen Arm geklemmt, zog er seine Lederhandschuhe aus, als er Geoffrey of Senlis an einem Pfosten lehnen sah. „Was führt dich hierher?“, fragte er lächelnd und ging zu seinem Freund.

„Guten Morgen, Simon. Gott schütze dich. Ich habe eine Nachricht für dich.“

Beresford überreichte seine Waffe und die Handschuhe einem Pagen, von dem er ein Tuch und eine Wasserflasche aus Leder entgegennahm. Er bot Senlis einen Trunk an, was dankend abgelehnt wurde, vergönnte sich einen großen Schluck, rieb sein Gesicht mit dem Tuch ab und gab es dem Jungen zurück, ebenso wie die Flasche. „Was für eine Nachricht?“

„Vom König.“

„Und welche Dienste verlangt Stephen von mir?“

„Keine Dienste. Der König – und Adela, wie ich hinzufügen darf – erbitten nur deine Anwesenheit. Ich soll dich holen.“

„Des Königs Mätresse wünscht mich zu sehen?“, fragte Beresford überrascht.

„Ja. Beide wollen eine geschäftliche Angelegenheit mit dir erörtern.“

Beresford blickte auf sein ledernes Koller und die blaue Tunika hinab, die der Staub so grau gefärbt hatte wie seine Augen. „Erlaube mir, mich umzuziehen. Dann begleite ich dich zum Tower.“

„Dafür fehlt uns die Zeit.“

„Aber wenn ich Adela gegenübertrete, sollte ich …“

„Wir müssen sofort aufbrechen.“ Senlis grinste. „Seit wann legst du so großen Wert auf deine Kleidung, Simon?“

Beresford sah keinen Grund, der Anspielung zu widersprechen, die in dieser Frage lag. „So schmutzig möchte ich nicht vor Adela erscheinen“, entgegnete er seufzend.

„In diesem Fall wird sie gern auf deine Sauberkeit verzichten, wenn du nur so schnell wie möglich zu ihr kommst.“

Neidlos musterte Beresford seinen hübschen, eleganten blonden Freund. Sein Unbehagen rührte nicht von seinem eigenen Äußeren her, das zu wünschen übrig ließ. „Sind Henrys Truppen auf dem Weg nach London? Ich dachte, meine Männer und ich hätten sie vorerst zurückgeschlagen.“

Senlis schüttelte lachend den Kopf. „Stets der große Krieger, was, Simon? Nein, sie sind immer noch im Westen, aber dank deiner Hilfe belästigen sie Malmesbury nicht mehr.“

Beruhigt erkundigte sich Beresford: „Und was will der König mit mir besprechen?“

„Keine Ahnung. Und ich wünschte, du würdest dich beeilen, damit ich endlich erfahre, was die ganze Aufregung zu bedeuten hat.“

Die Neugier seines Freundes belustigte Beresford. „Welche Aufregung?“

„Schon den ganzen Tag flüstert man im Tower deinen Namen“, behauptete Senlis, wobei er nur geringfügig übertrieb.

„Tatsächlich?“, rief Beresford verblüfft. Soviel er wusste, wurde nicht über ihn geredet, aber wie er zugeben musste, kümmerte er sich nicht um höfische Klatschgeschichten. Er runzelte die Stirn. „Und wer steckt seine lange Nase in meine Angelegenheiten?“

„Deine Unterredung findet im Sitzungssaal statt, also werden die Barone daran teilnehmen.“

Im Sitzungssaal ging es nicht so hochoffiziell zu wie im Audienzzimmer, und das besänftigte Beresford. Seine Stirn glättete sich. „Nun, dann auf zum Tower!“ Kurz entschlossen verwarf er seinen Plan, sich umzukleiden, wozu er ohnehin keine Lust hatte. Er ließ sein Pferd holen und befahl dem Pagen, ihm sein Zeremonienschwert zu bringen. Dann erklärte er den Rittern, die untätig im Hof herumstanden, welche Übungen während seiner Abwesenheit durchgeführt werden sollten, und übertrug dem Waffenmeister die Aufsicht. Nachdem er die Zügel seines scheckigen Streitrosses ergriffen hatte, verließ er mit Senlis den Hof durch den Bogengang. Der Pförtner ließ sie auf die sonnige Straße hinaus und verriegelte hinter ihnen das schwere Tor.

Draußen hielt ein Straßenjunge Senlis’ Pferd fest. Der Ritter warf dem zerlumpten Burschen eine Kupfermünze zu, dann schwang er sich ebenso wie sein Freund in den Sattel.

„Sicher wollen der König und Adela mit mir das Turnier am St.-Barnabas-Tag besprechen“, meinte Beresford. Sie lenkten die Pferde zur Aldgate und folgten dieser Straße, die zum Tower führte.

„Warum lassen sie dich dann schon jetzt rufen, obwohl das Turnier erst in zwei Wochen veranstaltet wird?“

„Vielleicht muss das Programm geändert werden.“

Senlis zuckte die Achseln. „Da wir gerade vom Turnier reden – du scheinst den jungen Langley ziemlich hart an die Kandare zu nehmen.“

„Nicht hart genug“, erwiderte Beresford grimmig, „wenn er sich einigermaßen respektabel schlagen will.“

„Angeblich zählt er zu den besten Knappen.“

„Pah!“, entgegnete Beresford verächtlich.

Sie kamen am efeuumrankten Schild des „Swan“ vorbei, das zum Eingang der Schenke wies. Da Beresford das gemeine Volk in dieser Gegend gut kannte, rief er dem Deicharbeiter Daw und dem Kesselflicker Wat ein Grußwort zu. Während sie sich in der offenen Tür sonnten, beobachteten sie interessiert die beiden vornehmen Ritter. Ein paar Zecher lümmelten an der Theke im Freien und schwenkten ihre Holzkrüge. Auch ihnen nickte Beresford zu, ritt aber weiter, ohne in den Schankraum zu spähen, wo das schwache Licht die Gaunereien der Berufswürfler begünstigte und die Wäscherinnen und Straßenhändlerinnen verschönte, die hier ihre Nebengeschäfte betrieben.

Beharrlich blieb Senlis bei seinem Gesprächsthema. „Du verlangst zu viel von den jungen Kämpen, Simon. Wie sollen sie deinen Ansprüchen genügen, wenn du scheinbar Augen im Hinterkopf hast und sogar die Angriffe abwehrst, die deinem Rücken gelten?“

Beresford lächelte. „Diese Gelegenheit gab ich Langley mit Absicht, um seinen Kampfgeist zu erproben.“

„Das wusste ich nicht, und mir war sehr unbehaglich zumute, als er sein Schwert hob, um dich von hinten zu attackieren. Aber du hast dich erstaunlich schnell verteidigt – und das entsprach natürlich genau deinem Plan, den du mir gleich erläutern wirst.“

Doch das hatte Beresford nicht vor. Er war es nicht gewohnt, seine Handlungsweise zu erklären, aus dem einfachen Grund: weil er es überflüssig fand, von Dingen zu reden, die man ohnehin sehen konnte. Stattdessen zählte er Langleys Schwächen auf und führte aus, welche Fähigkeiten der Bursche verbessern musste, wenn er sich auf dem St.-Barnabas-Turnier einen Namen machen wollte.

Sie verließen die Straßen, wo die Händler und Handwerker ihrer Tätigkeit nachgingen, und näherten sich der Stadtmauer, mit deren Bau zur Römerzeit begonnen worden war. Acht Fuß dick und zweiundzwanzig Fuß hoch, war der Wall im Lauf der Jahrhunderte immer wieder neu befestigt worden. Sechsmal hatte er den Belagerungen der dänischen Invasoren standgehalten und vor über hundert Jahren Earl Godwin getrotzt, aber nicht Beresfords und Senlis’ Urgroßvätern, die mit William dem Eroberer übers Meer gesegelt waren, um das Inselkönigreich der normannischen Herrschaft zu unterwerfen.

Als sich die beiden Ritter dem Nordufer der Themse und der östlichen Mauer näherten, ragte die größte Londoner Bastion vor ihnen auf – der Tower, Zitadelle, Burg und Gefängnis. Über den Mauern der Festung erhob sich der mächtige Mittelturm, White Tower genannt. Hell schimmerte die Kalksteinfassade im Sonnenlicht und erinnerte an den Steinbruch jenseits des Kanals, aus dem das Baumaterial stammte.

Ehrerbietig wurden Beresford und Senlis vom Pförtner begrüßt und ritten durch eine im Haupttor eingelassene Tür in den Schlosshof. Reitknechte übernahmen die Pferde, und die beiden Neuankömmlinge gingen zum Mittelturm.

Der Anblick des Mannes, um den sich der Hofklatsch gerade drehte, veranlasste die versammelten Ritter und Barone zu hilfreichen Bemerkungen wie: „Der König wünscht Euch zu sehen, Beresford!“ – „Schnell, zum Sitzungssaal!“ – „Falls man den Gerüchten glauben darf, werdet Ihr zu hohen Ehren gelangen, Beresford!“

Missmutig runzelte er die Stirn und murmelte: „Zum Teufel mit diesen Schwätzern!“

Senlis lachte. „Lieber Freund, ich hoffe, dir wird tatsächlich eine Ehre zuteil. Eine Überraschung erwartet dich ganz sicher.“

Darauf gab Beresford keine Antwort. Seine Instinkte hatte er auf dem Schlachtfeld erprobt, wo es auf Kraft und körperliches Geschick ankam. Für höfische Intrigen fehlte ihm jegliches Talent. Mit Streitkolben und Lanzen und glänzenden Schilden kannte er sich aus, aber das Doppelspiel politischer Manöver stellte seine Geduld auf eine zu harte Probe. Im Allgemeinen besaß er kein Gespür für die Subtilitäten des höfischen Lebens. Doch da sein Empfang im Tower keineswegs subtil verlief, was sogar ihm auffiel, wuchs sein Unbehagen. Während er an Senlis’ Seite über die kühlen Steinfliesen den Gang entlangeilte, gab er die Hoffnung auf, die Order des Königs könnte mit einem so schlichten Ereignis wie dem bevorstehenden Turnier zusammenhängen. Und er hasste Überraschungen, sogar erfreuliche.

Im Sitzungssaal begegnete er den neugierigen Blicken mehrerer Barone und ahnte sofort, dass Unannehmlichkeiten auf ihn zukamen. Aber er trat furchtlos vor, ohne zu merken, wie seine imposante äußere Erscheinung den Raum sofort beherrschte oder wie unpassend er aussah, die Hände in die Hüften gestemmt, das Schwert an der Seite. Stolz aufgerichtet, blieb er unter den rot-goldenen Seidenbannern König Stephens stehen, die an der Decke hingen.

Durch die hohen Bogenfenster mit den dicken Mittelsäulen fiel Sonnenlicht herein, vergoldete den dunklen Eichenboden und den alten Tisch aus Eschenholz, der inmitten des Saals stand. Und es übergoss den Mann, der direkt vom Kampfplatz an den Hof gekommen war, die schulterlangen ungekämmten braunen Locken, die verschmutzte Kleidung, die dem Kampfplatz, nicht jedoch der königlichen Residenz angemessen war.

Seine kühlen grauen Augen betrachteten den König und dessen Mätresse, die auf einem Podest saßen.

„Es freut mich, dass Ihr so schnell kommen konntet, Mylord“, begann Adela, dann dankte sie Senlis, der am Tisch Platz genommen hatte.

Beresford kniete nieder, erhob sich jedoch sofort, nachdem Stephen ihm ein Zeichen gegeben hatte. „Madam, ich bin stets bereit, Euch zu dienen.“ Seine tiefe Stimme klang höflich und respektvoll. „Und dem König, meinem Lehnsherrn.“

„Auch das freut mich.“ Einladend wies sie auf einen Stuhl am unteren Ende des Tisches.

Er setzte sich, und unerklärlicherweise verstärkte Adelas Liebenswürdigkeit sein Missbehagen.

Stephen of Blois, König von England, saß leicht zusammengesunken auf seinem Stuhl, ein trotz seiner Korpulenz attraktiver Mann, der mit seiner einzigen kühnen Tat vor achtzehn Jahren den Thron erobert hatte. Nach einigen belanglosen Worten zu seinem treuesten Ritter überließ er die Initiative wieder seiner tüchtigen Geliebten Adela of Chartres, die zu seiner Linken saß und offensichtlich das Heft in der Hand hielt.

Die kleine, dunkelhaarige Frau sah eher unscheinbar aus, war aber eine ebenso kluge Politikerin wie Königin Mathilda, die im Vorjahr gestorben war. Nach ihrem Tod hatte man befürchtet, Stephens Trägheit könnte Henry, den Herzog von Angevin, veranlassen, ihn vom Thron zu verdrängen. Aber seit Adela dem König den Rücken stärkte, wurde ihre Position als seine Mätresse akzeptiert und sogar befürwortet.

Zunächst erwähnte sie die treuen Dienste, die Beresford der Krone geleistet hatte, und bat die anwesenden Barone, dies zu bestätigen. Während er sich diese Lobeshymne anhörte, überlegte er, was sie im Schilde führen mochte. Schließlich kam sie zur Sache. „Und nun, Mylord, bereitet mir Eure Einsamkeit große Sorgen.“

„Meine Einsamkeit?“, wiederholte er erstaunt. „Madam, ich versichere Euch, ich bin nicht einsam. Wie Ihr vermutlich wisst, leben sehr viele Leute in meinem Haus.“

„Ja, aber nun seid Ihr schon seit fünf Jahren Witwer“, erwiderte sie sanft.

„Das stimmt. Aber ich verstehe noch immer nicht, worauf Ihr hinauswollt.“

Ihre Lippen verzogen sich zu einem gütigen Lächeln. „Mittlerweile habt Ihr lange genug um Eure liebe Roesia getrauert …“

„Keinen Tag lang!“, fiel er ihr hastig ins Wort, um das Missverständnis zu berichtigen.

Rings um den Tisch erklang Gelächter, aber Adela verlor keineswegs die Fassung und fuhr unbeirrt fort: „Und Ihr wart so tapfer. Ihr habt Euch bemüht, Eure mutterlosen Söhne großzuziehen, und vergeblich versucht, in Eurem Haushalt auf Ordnung zu achten …“

„Mein Haushalt ist in allerbester Ordnung.“ Seine Verblüffung bewog ihn ein zweites Mal, Adela unhöflich zu unterbrechen.

„… und unter ernstlichen Schwierigkeiten musstet Ihr Eure Ländereien allein verwalten. Aus diesem Grund, Mylord, und in erster Linie zu Eurem persönlichen Wohl teile ich Euch nun hocherfreut mit, dass wir – König Stephen und ich – eine passende Ehefrau für Euch gefunden haben.“

Im ersten Augenblick versagte ihm die Stimme. Dann sprang er so vehement auf, dass sein Stuhl krachend umstürzte. „Was?“, schrie er. Beinahe erstickte er an seiner Wut. Nun wandte er sich nicht mehr an Adela, sondern an Stephen. „Eine Ehefrau? Wozu, wenn ich fragen darf? Für mein persönliches Wohl? Soll das ein Scherz sein, Sire? Wenn Ihr mir das versichert, will ich diese ungeheuerliche Zumutung vergessen!“

Bei dieser beispiellosen Beleidigung des Herrschers durch einen seiner Lehnsmänner stockte allen Anwesenden der Atem. Hätte ein anderer diese Worte auszusprechen gewagt, wäre er sofort des Hochverrates bezichtigt worden. Begierig warteten die Barone ab, was nun geschehen würde.

Lächelnd hob Adela eine Hand, um die Entgleisung eines ansonsten untadeligen Gefolgsmannes zu überspielen. „Sie heißt Gwyneth of Northumbria und ist seit Kurzem verwitwet. Da Ihr Witwer seid und sowohl das Glück einer Ehe als auch ihr schmerzliches Ende erlebt habt, erfüllt Ihr die besten Voraussetzungen, um die junge Frau in ihrer Trauer zu trösten.“

Entgeistert schnappte Beresford nach Luft. Man brauchte wohl niemanden in diesem Saal an seine unglückliche achtjährige Ehe mit einer berüchtigten Xanthippe zu erinnern. Er hatte Roesias Tod nicht gewünscht, aber auch nicht beklagt und seither einen inneren Frieden genossen, der ihm erst jetzt richtig bewusst wurde. Seine Miene wirkte so verwirrt und verzweifelt, dass einige Barone ihre Belustigung nicht verbergen konnten.

Adela nutzte seine momentane Sprachlosigkeit, indem sie ihn freundlich aufforderte, doch wieder Platz zu nehmen. Ohne seinen Zorn zu verhehlen, gehorchte er. „Ich bin keineswegs imstande, eine Frau zu trösten.“

„Außerdem ist sie sehr schön“, betonte Adela.

„Dann verheiratet sie doch mit Lancaster!“, fauchte er und zeigte auf den Baron zu seiner Linken, einen stadtbekannten Schürzenjäger.

Mit ihrer prompten Antwort kam sie einem herzhaften Gelächter zuvor. „Derzeit hat Lancaster einige Probleme auf seinen Ländereien, die im unruhigen Westen liegen. Und Eure Gwyneth besitzt ein großes Landgut im Norden, das von einer sicheren, nicht anderweitig beschäftigten Hand verwaltet werden muss – wie Eurer.“

Beresfords Brauen zogen sich zusammen. „Dann ist sie wohl Canutes Witwe.“ Dieser Mann hatte Henry unterstützt, dessen Anhänger jüngst von den königlichen Streitkräften besiegt worden waren, wenn auch eher zufällig. Nun erkannte Beresford, was hinter Stephens und Adelas Wunsch steckte. „Also braucht Ihr meine gut ausgebildeten Kämpen, um die restlichen Rebellen zu unterdrücken.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Madam, meine Königstreue ist allgemein bekannt, und ich stelle Euch alle meine Männer für etwaige Kämpfe in Northumbria zur Verfügung. Ihr müsst mich nicht verheiraten, um Euch meiner Hilfe zu versichern.“

Fast unmerklich presste Adela die Lippen zusammen. Dass so freimütig auf ihren Plan hingewiesen wurde, missfiel ihr. „Hier geht es nicht um Eure Loyalität, Mylord, sondern um die Notwendigkeit, Gwyneth als Verbündete zu gewinnen, damit sich Canutes Männer zu Stephen bekennen.“

„Dann soll sie Fortescue heiraten“, entgegnete Beresford und wies auf einen anderen Baron. „Er ist Witwer und hat mehr Schwertkämpfer zur Verfügung als ich.“

„Nun, die schöne Gwyneth braucht einen Mann in der Blüte seiner Jahre, der ihr zu Mutterfreuden verhilft, da sie kinderlos ist.“ Höflich nickte sie Fortescue zu. „Mit allem Respekt vor Sir Walter, der dem König schon lange in unverbrüchlicher Treue dient, möchten wir seinen Wunsch erfüllen und ihm erlauben, seinen Enkeln etwas mehr Zeit zu widmen.“

„Und Northampton?“, fragte Beresford, verzweifelt bemüht, sich aller Witwer in seinem Bekanntenkreis zu entsinnen, die große Ländereien besaßen und zahlreiche Mannen befehligten.

Ungehalten runzelte Adela die Stirn. „Zum Glück ist Bernard of Northampton heute Nachmittag nicht hier, Mylord, denn es würde ihn zutiefst bekümmern, an seine zwei Ehen erinnert zu werden, die ihm den ersehnten Kindersegen nicht bescheren konnten.“

„Oder Valmey?“ Beresfords Blick richtete sich auf den Mann, der neben der königlichen Mätresse saß. „Wie jeder weiß, hat er unzählige Bastarde gezeugt, und er ist ledig.“

Das gedämpfte Gelächter, von dieser rüden Bemerkung hervorgerufen, wurde von Adelas ruhiger Antwort nicht völlig übertönt. „Er hat sich bereits mit einer anderen Frau verlobt.“

Beresford wünschte, er wäre etwas genauer über den höfischen Klatsch informiert, denn er hätte schwören können, dass Cedric of Valmey zurzeit ein ehebrecherisches Verhältnis mit einer von Adelas Lieblingshofdamen unterhielt. Aber da er bereits befürchtete, auf verlorenem Posten zu kämpfen, erschien es ihm nicht ratsam, Stephens Mätresse in diesem heiklen Punkt herauszufordern. Sogar er kannte seine Grenzen. Aber noch gab er sich nicht geschlagen und suchte nach weiteren Heiratskandidaten für Gwyneth of Northumbria. „Dann Warenne“, schlug er vor und deutete auf den Mann an seiner Seite, der erschrocken zusammenzuckte.

Diesmal bewirkte er einen unverhohlenen Heiterkeitsausbruch. „Sicher hätte Warennes Gemahlin Felicia einiges dagegen einzuwenden …“ Adela musste sich auf die Unterlippe beißen, um ihren Lachreiz zu bezähmen und sich die Situation nicht aus den Händen gleiten zu lassen.

Da Felicia of Warenne völlig farblos aussah, hatte Beresford ihre Existenz vergessen. Sicher hätte sie nichts dagegen – das war der erste Gedanke, der ihm in den Sinn kam, aber den verschwieg er, um die allgemeine Belustigung nicht erneut zu schüren. „Verzeiht mir, Roger“, bat er mürrisch.

Sofort nutzte Adela die Gunst des Augenblicks. „Nun, dann wollen wir auf Simon of Beresfords künftiges Glück trinken.“

Die Kelche wurden mit Wein gefüllt, der König und seine Mätresse prosteten den Baronen zu.

Beresfords Magen krampfte sich zusammen, aber er fügte sich in seine unausweichliche Niederlage und hob seinen Kelch an die verkniffenen Lippen. Der Wein, den er zähneknirschend auf seine bevorstehende Eheschließung schlürfte, schmeckte gallebitter.

2. KAPITEL

Auf ein Zeichen des Königs erhoben sich die Barone vom Tisch, aber sie verließen den Saal noch nicht. Stattdessen unterhielten sie sich, wie es nach dem Ende einer Sitzung üblich war. Ein oder zwei besonders tapfere Ritter wagten, mit Beresford zu reden. Der alternde Walter Fortescue und Cedric of Valmey gingen sogar so weit, ihm zu gratulieren. Und der Schürzenjäger Lancaster kam auf das St.-Barnabas-Turnier zu sprechen.

Missgelaunt nahm Beresford die Glückwünsche entgegen. Er fühlte sich keineswegs geehrt, dass der König ihm eine neue Gemahlin erwählt hatte, sondern höchst ungerecht behandelt, und nun suchte er ein Opfer, an dem er seine Wut auslassen konnte. Bald hatte er eins gefunden.

„Senlis!“, rief er erbost, rannte zu seinem Freund und packte ihn an der Schulter. „Du hast es gewusst, du Schurke, und mich armen, arglosen Mann in die Falle tappen lassen!“

Vergeblich versuchte Senlis, sich loszureißen. „Oh nein, ich wusste gar nichts, Simon“, protestierte er, hin und her gerissen zwischen Belustigung und Unbehagen. „Wirklich nicht!“

Am liebsten hätte Beresford in das grinsende hübsche Gesicht geschlagen. Gerade wollte er der Versuchung nachgeben, als einige Barone, die den Wortwechsel gehört hatten, seinem Freund zu Hilfe kamen.

„Niemand wusste es“, beteuerte Roger of Warenne.

Ohne Senlis loszulassen, wandte sich Beresford zu Lancaster, der nun erklärte: „Ich dachte, Ihr wäret an den Hof gerufen worden, weil der Turnierplan geändert werden soll. Darüber sprach ich erst heute Nachmittag mit Valmey.“

„Ja, in der Tat“, bestätigte Cedric of Valmey eifrig, „Lancaster behauptete, Adela würde mit uns ein neues Turnierprogramm erörtern. Stattdessen wird Euch nun die Ehre zuteil, im Dienste Eures Monarchen zu heiraten. Hätte man mir diese Gunst erwiesen, so hätte ich meine Pflicht erkannt und mich ebenso bereitwillig in mein Schicksal gefügt, wie Ihr es vorhin tatet.“

Damit lenkte er Beresfords Zorn von dessen Freund ab. Aber Senlis wurde immer noch eisern festgehalten. „Also hätte Adela Euch erwählen können? Verdammt, Valmey, Ihr habt einen erfolgreichen Feldzug in Northumbria befehligt! Wurdet Ihr zuerst befragt? Habt Ihr das Ansinnen abgelehnt und eine Verlobung vorgeschützt, die gar nicht existiert?“

Rasch hob Valmey die Hände, um seine Unschuld zu bekunden. „Oh nein, Simon, ich wurde nicht gefragt. Vielmehr glaube ich, Ihr seid die erste und einzige Wahl des Königs.“ Geflissentlich ignorierte er Beresfords Frage nach der Verlobung und fuhr glattzüngig fort: „Und das ist eine bemerkenswert gute Wahl, wie wir alle wissen, nachdem Ihr Adela ermutigt habt, zwischen Euch und anderen Rittern Vergleiche anzustellen und Eure Vorzüge herauszustreichen.“

Da Beresford unumwunden auszusprechen pflegte, was er dachte, ärgerte es ihn maßlos, wenn ihm solche taktischen Manöver unterstellt wurden. Wären seine Finger nicht in Senlis’ Tunika gekrallt gewesen, hätte er sie um Valmeys Hals gelegt. „Bei allen Heiligen, reizt mich nicht so sehr …“, begann er, wurde aber von Walter Fortescue unterbrochen.

„Da täuscht Ihr Euch, Cedric.“ Obwohl er die angespannte Atmosphäre nicht wahrzunehmen schien, trug er zu ihrer Lockerung bei. „Beresford hat Adela gewiss nicht absichtlich veranlasst, sein Loblied zu singen. Er ist kein Angeber. Und ich gewann eher den Eindruck, dass er dem Zwang einer zweiten Ehe entrinnen wollte – was ich ihm nachfühlen kann, wenn mich die Erinnerung an seine verstorbene Gattin nicht trügt. So habe ich sein Gespräch mit Adela gedeutet.“

„Nun, ich lasse mich gern eines Besseren belehren“, murmelte Valmey, sah aber nicht so aus, als hätte er die Situation unwissentlich missverstanden.

Fortescue nickte ihm lächelnd zu, hochzufrieden mit seinen logischen Gedankengängen. „Oh, ich war sehr überrascht, als Adela verkündete, Beresford müsse Gwyneth of Northumbria heiraten, statt die arme Frau mit einem Mann zu vermählen, der den Damen wohlgesinnt ist. Natürlich …“ Liebenswürdig wandte er sich zu Beresford. „Ihr gehört gewiss nicht zur Sorte des Bernard of Northampton, der Männer bevorzugt, Gott bewahre! Wir alle wissen Bescheid über Eure Ermina, ein reizendes Mädchen. Aber wie Ihr zugeben müsst, haltet Ihr nicht allzu viel von den Frauen, wenn Ihr auch einige Söhne gezeugt habt. Und genau deshalb wurdet Ihr ausgewählt, Beresford – damit Ihr Gwyneth Söhne schenkt. Dafür seid Ihr genau der Richtige.“

Belustigtes Schweigen folgte diesen taktlosen, wenn auch zutreffenden Worten. „Und jetzt lasst Euren Freund los, Simon“, fügte Fortescue hinzu. „Es ist nicht nötig, den Boten zu töten, der die Neuigkeiten überbringt.“

Beresfords Hand, die Senlis’ Tunika umklammert hatte, war ohnehin schon erschlafft, und nun ließ er sie sinken. Wütend starrte er Fortescue an und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: „Und wen soll ich sonst töten?“

„Niemanden, Simon“, erwiderte Fortescue schlicht, „denn Ihr habt keine schlechten, sondern gute Nachrichten erhalten. Durch diese Ehe werdet Ihr Euren Landbesitz verdoppeln.“

Immerhin war Beresford diszipliniert genug, um nicht über einen Mann herzufallen, der zweimal so alt war wie er. Aber er ballte die Hände zu Fäusten. „Ich habe Land – und Erben – im Überfluss!“

„Und bald werdet Ihr noch mehr Euer Eigen nennen – von beidem“, meinte Fortescue gelassen. „An Eurer Stelle würde ich nicht klagen, wenn Gwyneth wirklich so schön ist, wie Adela behauptet.“

Adela wählte den Zeitpunkt ihres Auftritts sehr geschickt. In diesem Augenblick schlenderte sie zu den mächtigen Baronen, die ehrerbietig beiseitetraten. Sie kam nicht sofort auf Gwyneth’ Schönheit oder ihre Ländereien zu sprechen, sondern fragte Beresford: „Nun, Mylord, fandet Ihr inzwischen genug Zeit, um Euch mit Eurem erfreulichen Schicksal abzufinden?“ Als er zögerte, warf sie einen Blick zu Stephen hinüber, der immer noch am Tisch stand, einen Hofschreiber an seiner Seite. Der König beugte sich über ein Pergament und versah es mit seinem Siegel. „Als Draufgabe bekommt Ihr noch eine Grafschaft von Stephen“, erklärte Adela. „Nun, was sagt Ihr dazu?“

Diese Neuigkeit rief allgemeines Staunen hervor. Die meisten Barone hoben die Brauen, nur Valmeys Augen verengten sich. Beresfords Miene blieb unverändert. Eine Grafschaft interessierte ihn nicht im Mindesten. Aber als Adela lächelte und mit gebieterischer Miene die Hand ausstreckte, wusste er, wie er antworten musste. Mühsam bezwang er seinen Zorn, kniete nieder und neigte sich über ihre Hand. „So hat sich mein Glück verdoppelt, Madam“, erwiderte er gehorsam.

Während er sich erhob, erklärte Adela: „Nun werdet Ihr Gwyneth of Northumbria kennenlernen. Sie erwartet Euch in der Halle, in Begleitung von Lady Chester. Ich würde Euch selbst mit Eurer Braut bekannt machen“, fügte sie hinzu und blickte wieder zum König hinüber, „aber ich werde anderswo gebraucht. Wenn Ihr Lady Chester kennt, wird sie Euch Eure Braut vorstellen.“

Mürrisch entgegnete Beresford, die Lady sei ihm fremd.

Senlis, der inzwischen seine Kleidung wieder zurechtgerückt hatte, mischte sich nun ein und ließ verlauten, er kenne Lady Chester und werde Beresford sehr gern zu seiner künftigen Gemahlin führen. Lächelnd entfernte sich Adela, die Barone verbeugten sich, und einer nach dem anderen verließ den Saal.

Als Senlis sich zu Beresford wandte und die düstere Miene seines Freundes sah, konnte er nur mühsam ein Lächeln unterdrücken. Von jenem närrischen Leichtsinn getrieben, der ihn manchmal packte, schlug er vor: „Vielleicht möchtest du die Tunika wechseln, bevor du dich Gwyneth präsentierst – so wie du dich vorhin Adela zu Ehren umkleiden wolltest.“

Ein vernichtender Blick strafte ihn. „Kommt überhaupt nicht infrage!“

Gwyneth of Northumbria stand in der Sonne, deren Strahlen schräg durch ein hohes Fenster in die Halle fielen, und hoffte, die Wärme des Lichts würde ihre kalte Haut durchdringen. Für eine kleine Weile war sie allein mit ihren Gedanken, denn Lady Chester hatte soeben den Raum verlassen.

Erleichtert seufzte Gwyneth auf und genoss die kurzfristige Freiheit. Doch sie konnte die Angst, die ihr Herz zusammenkrampfte, nicht verscheuchen. Sie war müde und erschöpft. Das Gefühl kannte sie. Aber diesmal erschien es ihr noch schlimmer – denn sie fühlte sich auch noch mutlos.

Wo war sie geblieben, die Tapferkeit, die in den letzten vierzehn Tagen ihrer blutigen Niederlage und grausigen Gefangenschaft nicht geschwankt hatte? Jener unerschütterliche Mut, der ihr geholfen hatte, hocherhobenen Hauptes die fünf demütigenden Ehejahre mit Canute zu ertragen? Die Kühnheit, die sie stets für selbstverständlich gehalten hatte und auf die sie so stolz gewesen war? Wo verkroch er sich jetzt, jener wundervolle Mut?

Die dicken Mauern, die sie von ihrer Freiheit trennten, drohten sie zu erdrücken.

Um sich aufzumuntern, beschwor sie alte Erinnerungen herauf. Schon einmal hatte sie sich in einer solchen Situation befunden und das Grauen überlebt. Eigentlich dürfte es keinen Unterschied machen, ob sie von den massiven Mauern des Londoner Towers umgeben wurde oder auf Castle Norham eingesperrt war. Und es spielte auch keine Rolle, ob sie in der mächtigsten normannischen Festung gefangen war oder in einem Schloss, das dem dänischen Gesetz unterstand. Ebenso bedeutungslos war ihre Verlobung mit einem normannischen Baron, den sie nicht kannte. Schlimmer als das Ungeheuer, das sie zuvor geheiratet hatte, konnte er auch nicht sein.

Sie war jünger und empfindsamer gewesen, als man sie aus ihrem angelsächsischen Zuhause geholt hatte, um sie mit Canute, dem Nachfahren der dänischen Eindringlinge, zu verheiraten und ihn auf diese Weise daran zu hindern, die Ländereien ihres Vaters zu verwüsten. Damals hatte sie ihrem Schicksal tapfer ins Auge geblickt. Warum war sie mit achtzehn Jahren mutiger gewesen als jetzt, mit fast vierundzwanzig?

Das ergab keinen Sinn. Während ihrer Ehe hatte sie gelernt, die Furcht vor Canutes Drohungen und seiner Gewalttätigkeit zu meistern. Sie kannte die Anzeichen jener Angst. Ihr Magen drehte sich um, die enge Kehle erschwerte ihr das Atmen. Trotzdem gestattete sie sich niemals, ihre Verletzlichkeit zu zeigen. Ihr Mut rettete sie in allen Lebenslagen, immer stellte sie sich vor die Schutzbedürftigen, auch wenn sie sich selbst in noch schlimmere Gefahr brachte. Beharrlich hatte sie Mittel und Wege gefunden, um die grausamen Entscheidungen ihres Mannes zu umgehen und ihn zu überlisten.

Wenn ich mich an diese Erfolge erinnere, dachte sie nun, müsste ich zuversichtlich in die Zukunft blicken, statt den Mut zu verlieren. Aber aus unerklärlichen Gründen war ihre Kehle wie zugeschnürt.

Sie rang mühsam nach Luft und schaute sich in der großen Halle um. Ihr Blick glitt zu den massiven Deckenbalken, wo bunte Banner hingen und die normannische Vorliebe für symbolische Darstellungen verrieten. Bedrückt musterte Gwyneth die vornehmen Damen und Herren, die sich hier versammelt hatten, um das Abendessen und diverse unterhaltsame Darbietungen zu genießen. War der Mann schon eingetroffen, der sie „in ihrer Trauer trösten“ sollte, wie Adela es ausgedrückt hatte?

Nachdenklich betrachtete sie einen kleinwüchsigen, einen dicken, einen alten und einen blutjungen Mann. Alle kamen infrage, denn man hatte ihr nichts über ihren künftigen Gemahl mitgeteilt, nicht einmal seinen Namen. Ein Baron stolzierte wie ein Pfau umher; ein großer, dünner schwatzte unentwegt; und ein anderer, verschwenderisch gekleidet, beobachtete sie interessiert. Rasch wich sie seinem Blick aus, und als sie sich umwandte, entdeckte sie zwei Ritter, die soeben die Halle betreten hatten und nun an der Wand stehen blieben.

Der hübschere fiel ihr zuerst auf. Er war gut gebaut und besaß ein charmantes Lächeln, das er soeben seinem Gefährten schenkte. Welch ein Glück, wenn er der erwählte Bräutigam wäre … Wie man mit Männern dieser Sorte umging, wusste sie.

Dann betrachtete sie seinen Begleiter, und ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Bei Odin, dachte sie und rief einen Gott ihres Großvaters väterlicherseits an. Tatsächlich, dieser Mann sah aus wie einer von Odins Kriegern, die aus der Himmelsburg Asgard herabstiegen, mit gewaltigen Hämmern bewaffnet, mit Augen, die wie Stahlsplitter glitzerten, und Haaren von der Farbe geschmolzener Bronze. Sein Köper glich einer Skulptur aus Granit, und seine Züge waren wie geschaffen, um auf dem Schlachtfeld Angst und Schrecken zu verbreiten. Nur die Göttin Freyja konnte ein solches Gesicht lieben.

Hastig schaute Gwyneth weg und redete sich ein, es sei unwahrscheinlich, dass man unter all den Männern in dieser Halle ausgerechnet den Krieger Odins für sie ausgewählt hatte. Glücklicherweise wurde sie von diesen Gedanken abgelenkt, als Lady Chester in die Halle zurückkehrte. Gwyneth sah, wie ein vielsagendes Lächeln das schöne, winterlich blasse Gesicht ihrer Aufpasserin erhellte.

„Soeben hörte ich, die Zusammenkunft im Sitzungssaal habe ein Ende gefunden“, berichtete Rosalyn. „Und es spricht sich bereits herum, wer Euer künftiger Gemahl ist – Simon of Beresford.“

„Was müsste ich über ihn wissen?“

Rosalyn hob die schmalen Brauen. „Eine unerwartete Wahl! Ein kalter, hartherziger Mann … Vor allem solltet Ihr wissen, dass er Witwer ist und drei Söhne hat.“ In aller Eile rechnete sie nach. „Nun müssen schon fünf Jahre vergangen sein, seit die arme Roesia ihr vorzeitiges Ende gefunden hat.“

„Und wie ist sie gestorben?“, brachte Gwyneth mit bebender Stimme hervor.

Rosalyn lachte. „Ihr fragt, ob Beresford sie erschlagen hat? Oh nein! Mehr oder weniger brachte sie sich selber um, bei einem törichten Reitunfall. Aber gewiss fühlte er sich mehrmals versucht, sie ins Jenseits zu befördern.“

Diese Bemerkung jagte Gwyneth noch größere Angst ein. „Seid Ihr ihm bereits begegnet? Wisst Ihr, wie er aussieht?“

Ein Lächeln umspielte Rosalyns hübsche rote Lippen. „Alle Damen und Herren, die am Hof verkehren, kennen Beresford.“ Ihr Blick wanderte durch die Halle, dann brach sie in melodisches Gelächter aus. „Oh ja? Schaut da hinüber! Er steht neben Geoffrey of Senlis.“

Gwyneth spähte in die Richtung, in die Lady Rosalyn mit einer kaum merklichen Kopfbewegung deutete. Nervös beobachtete sie, wie sich die beiden Ritter näherten – der hübsche Mann, begleitet von Odins Krieger. Ihr Puls beschleunigte sich.

„Nun haben sie uns gesehen, meine Liebe“, flötete Rosalyn, „und sie kommen zu uns.“

Wer ist Senlis, fragte sich Gwyneth verzweifelt, und wer ist Beresford? Darüber musste sie nicht lange nachdenken, denn obwohl sie die Augen gesenkt hatte, gerieten beide Männer in ihr Blickfeld, und sie konnte sie betrachten, von der Brust abwärts. Der Baron zur Linken nahm eine lässige Haltung ein; gekleidet war er nach der neuesten höfischen Mode. Der andere stand stocksteif da, fest verwurzelt und kraftvoll wie Yggdrasil, die nordische Weltesche. Staub und Schmutz bedeckten seine abgetragene tiefblaue Tunika, das Beinkleid und die Schuhe befanden sich in ebenso beklagenswertem Zustand.

Der Mann zur Linken begann zu sprechen, und seine Worte bestätigten Gwyneth’ schlimmste Befürchtungen. Schicksalsergeben neigte sie den Kopf.

Auf dem Weg vom Sitzungssaal zur Großen Halle hatte sich Senlis bemüht, seinen Freund ein wenig aufzuheitern – kein leichtes Unterfangen. Als dieser beharrlich schwieg, überlegte er bereits, welche diplomatischen Maßnahmen er ergreifen sollte, wenn die unglückliche Braut bei der ersten Begegnung mit Simon of Beresfords finsterer Miene schreiend aus dem Tower flüchten würde.

Nur mit halbem Ohr lauschte Beresford den Schmeicheleien seines Gefährten. Die geplante Heirat an sich ärgerte ihn nicht so sehr wie der Grund, warum man ihn als Bräutigam erwählt hatte. Heiße Wut erfüllte seine Brust, und einmal unterbrach er Senlis’ aufmunternden Vortrag mit dem bitteren Ruf „Söhne!“. Seine heisere Stimme überschlug sich beinahe. „Ich soll Söhne zeugen!“

Ausdrucksvoll zog Senlis die Brauen hoch. „Ist das denn so schwierig?“, fragte er in gespielter Unschuld und passte sich den langen Schritten seines Freundes an. Als sich Beresfords Stirnfalten vertieften, fügte er hinzu: „Jeder Mann braucht Söhne!“

Beresford warf ihm einen düsteren Blick zu und knurrte: „Die Söhne, die ich schon habe, genügen mir vollauf, und ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben, so wie es jetzt ist.“

„Du brauchst Ermina nicht aufzugeben, falls du das meinst.“

Nur mit einiger Mühe konnte sich Beresford an seine hübsche, vollbusige Dienerin erinnern, die bei diesem Gespräch nicht die geringste Rolle spielte. „Wenn ein König seinem Ritter befiehlt, für ihn sein Schwert auf dem Schlachtfeld zu erheben, so ist das nur recht und billig. Aber wenn er von einem Mann verlangt …“ In rüden Worten erklärte er, was ein Mann erheben musste, um die gewünschten Söhne in die Welt zu setzen. Diesen Vorgang schilderte er sehr anschaulich, ohne seine derbe Ausdrucksweise zu mäßigen.

Schließlich fiel Senlis ihm lachend ins Wort. „Wir haben die Halle fast erreicht, Simon. Es steht nicht in meiner Macht, deinen Zorn zu beschwichtigen, aber ich bitte dich sehr herzlich, deine scharfe Zunge zu bezähmen. Adela wird es mir wohl kaum danken, wenn du mit deinem ätzenden Mundwerk einen Aufruhr entfesselst.“

Beresford stieß einen unartikulierten Laut hervor, um seinen Ekel zu bekunden.

„Das ist schon viel besser“, ermutigte ihn sein Freund. „Da sind wir. Lächle, Simon! Nein? Dann schau wenigstens nicht ganz so finster drein, damit deine Braut nicht vergeblich nach liebenswerten Zügen in deinem Gesicht sucht.“

Sobald sie die Halle betraten, fühlte sich Beresford besser – einerseits, weil er eine Gelegenheit gefunden hatte, seinem Zorn Luft zu machen, und andererseits, weil die Ausstattung des riesigen, imponierenden Raumes ihn stets aufs Neue beeindruckte. Obwohl er eine ihm vom König auferlegte, ungewöhnliche Pflicht erfüllen musste und nur widerwillig gehorchte, begann er, sein Los hinzunehmen.

„Ich sehe sie nicht“, sagte Senlis langsam, reckte den Hals und schaute nach allen Seiten. „Könnte sie den Tower schon verlassen haben? Ah, nein – das ist sie, und sie geht zu … Großer Gott!“

„Nun, wohin?“, fragte Beresford mürrisch.

„Schau doch, mein lieber Freund!“ Ein seltsamer Unterton schwang in Senlis’ Stimme mit. „Sie geht zum Kamin.“

Beresford blickte hinüber, und seine Lippen kräuselten sich spöttisch. „Ist Lady Chester die Dicke?“, fragte er voll grimmiger Genugtuung. „Oder die Verhutzelte?“

Lächelnd schüttelte Senlis den Kopf, als er dem Blick seines Gefährten folgte. „Weder noch, Simon. Siehst du die Frau, die auf der anderen Seite des Kamins steht? Die dunkelhaarige Schönheit?“

Gleichmütig betrachtete Beresford die junge Frau. „Ja, ich sehe sie.“

„Das ist Lady Chester. Und die Frau an ihrer Seite muss Gwyneth of Northumbria sein.“

Nun begutachtete Beresford die Dame neben der dunkelhaarigen Schönheit. Da seine Braut mit Rosalyn sprach, zeigte sie nur ihr Profil. Verwirrt riss er die Augen auf, von heftigen Gefühlen erfasst, die er nie zuvor empfunden hatte und nicht erklären konnte. Plötzlich strömte eine wilde Hitze durch seine Adern, sehr verlockend, aber auch bedrohlich.

Noch nie war ihm eine so schöne Frau begegnet. Aus ihrem Antlitz mit der geraden Nase und den vollen Lippen sprach ruhige Kraft. Ihre helle Haut schimmerte wie Alabaster. Das Haar glich gesponnenem Gold. Kerzengerade stand sie da, die schmalen Hände vor den sanft gerundeten Brüsten gefaltet.

„Mach den Mund zu, mein Freund“, flüsterte Senlis ihm ins Ohr.

Sofort gehorchte Beresford. Er hatte nicht gewusst, dass er nach Luft geschnappt hatte. In diesem Augenblick wandte sich die Frau zu ihm, und er sah ihre veilchenblauen Augen strahlen, ehe sie züchtig die Wimpern senkte.

„Rosalyn winkt uns zu sich, Simon“, verkündete Senlis. „Komm mit, du musst deine Braut kennenlernen.“

Ohne Widerstreben durchquerte Beresford an der Seite seines Freundes die Halle. Aber irgendwie erschien es ihm eigenartig, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Viel lieber wäre er über einen Turnierplatz galoppiert, seine Lanze erhoben, den kraftvollen Rücken seines Streitrosses zwischen den Schenkeln. Da hätte er gewusst, was er tun musste – seinen Feind niederstrecken und sich für den nächsten Kampf wappnen. Jetzt hatte er kein klares Ziel vor Augen, aber seine Schritte drückten aus reiner Gewohnheit Selbstvertrauen und Stärke aus.

Als sie nun vor den beiden Frauen standen, hörte er Senlis’ Stimme. „Simon of Beresford, es ist mir eine Ehre, dir Gwyneth of Northumbria vorzustellen.“

Rosalyn folgte dem Gebot der Höflichkeit so wortkarg wie nur möglich. „Gwyneth of Northumbria – Simon of Beresford.“

Was Beresford murmelte, wusste er selber nicht genau. Gwyneth of Northumbria brachte kein Wort hervor. Sie war größer, als er zuvor gedacht hatte, denn ihr Scheitel reichte immerhin bis zu seinem Kinn. Er warf einen kurzen Blick auf sie hinunter und stellte fest, dass ihre Wimpern die Augen immer noch verhüllten. Obwohl es ihm so vorkam, als müsste er in eine Feuersbrunst laufen und eine Mutprobe bestehen, streckte er seine Hand aus, und sie legte ihre Finger hinein. Er verbrannte sich nicht, was ihn verblüffte. Ihre Hand fühlte sich kühl an. Er zwang sich zu einer Verbeugung, dann ließ er Gwyneth’ Finger einfach los und stand schweigend da, denn er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte.

Rosalyn brach das Schweigen. „Welche Freude, Euch wiederzusehen, Sir Simon! Das letzte Mal trafen wir uns beim Himmelfahrtsfest.“

Daran erinnerte er sich nicht. Wieder trat drückende Stille ein, und Senlis rettete die Situation mit der freundlichen Bemerkung: „Wie ich höre, ist Gwyneth aus dem Norden zu uns gekommen.“

Als sie keine Antwort gab, wagte Beresford, sie genauer zu mustern, wenn auch sehr vorsichtig. Es blieb Rosalyn überlassen, Gwyneth’ Reise nach Süden zu schildern. Eine Zeitlang unterhielt sie sich mit Senlis, so als wären sie beide verpflichtet, die Konversation zu bestreiten.

Während dieses Gesprächs glaubte Beresford einen Makel zu entdecken, der das strahlende Juwel in Gestalt seiner Braut etwas beeinträchtigte. Er entspannte sich und unterbrach die freundliche Unterredung zwischen Rosalyn und Senlis mit der unverblümten Bemerkung: „Sie ist stumm.“

Leicht schockiert schürzte Lady Chester die rosigen Lippen. „Oh nein, Sir Simon, keineswegs!“

„Ah, ich verstehe. Spricht sie nicht Normannisch?“ Nun sah er zwei rote Flecken auf Gwyneth’ Alabasterwangen.

„Gewiss doch“, entgegnete Lady Chester.

„Aber sie bevorzugt die englische Sprache?“

„Das muss ich wohl annehmen.“

„Habt Ihr sie schon Englisch sprechen hören?“

„Ja, natürlich.“

„Also, was dann?“, fragte er ungeduldig. „Ist sie schwachsinnig?“

3. KAPITEL

Beinahe erstickte Gwyneth an ihrem Zorn, und sie musste erst einmal tief Luft holen, ehe ihr die Stimme gehorchte. „Wenn ich bisher geschwiegen habe, Mylord, dann nur, weil die Männer – insbesondere die Ehemänner, soviel ich weiß – keinen allzu großen Wert auf das Geschwätz der Frauen legen. Und ich habe in der außergewöhnlichen Situation, in der wir uns befinden, nur versucht, Euer Wohlgefallen zu erregen.“

Freundschaftlich schlug Senlis auf Beresfords Schulter. „Da siehst du’s, sie kann reden, und sie drückt sich sogar sehr gewählt aus.“

„Ja, in der Tat, ich kann reden.“ Erst schaute sie Senlis an, dann wagte sie, den Blick zu Beresford zu erheben. Seine Miene machte ihr Angst, was sie tapfer verbarg. „Vielleicht sollte ich Euch von meiner Herkunft erzählen, damit Ihr es verstehen könnt, wenn ich einen normannischen Satz falsch konstruiere oder wenn mir die richtigen Wörter fehlen.“

„Ja, natürlich!“, wurde sie von Rosalyn ermutigt.

„Oh ja, bitte!“ Auch Senlis lächelte sie aufmunternd an, und Beresford murmelte etwas Unverständliches.

„Mein Großvater war Däne“, erklärte Gwyneth und bekämpfte ihre Furcht. „Deshalb lernte ich schon in jungen Jahren Dänisch, obwohl ich mit der englischen Sprache aufwuchs. Mein verstorbener Gemahl, Canute of Northumbria, und seine Ritter sprachen ebenfalls Englisch, aber mit dänischen Ausdrücken vermischt. Die Normannen beherrschen die nordischen Sprachen nicht so vollkommen, wie sie die nordischen Länder erobert haben. Mehrere Lehrer brachten mir Eure Sprache bei, doch darin habe ich wenig Übung. Und deshalb bitte ich Euch, mir zu verzeihen, wenn ich Fehler begehe.“

Sie verstummte, atemlos und erschöpft, aber sie senkte den Blick nicht. Wachsam beobachtete sie ihren Bräutigam.

„Also versteht Ihr mehrere Sprachen“, bemerkte Rosalyn und lächelte liebenswürdig. „Normannisch, Dänisch und Englisch.“

„Nur notgedrungen“, erwiderte Gwyneth seufzend.

Senlis musterte Beresford und sah sich erneut gezwungen, das Gespräch in Gang zu halten. „An Stephens Hof werdet Ihr keine Dänischkenntnisse brauchen, aber die englische Sprache, ebenso wie in Simons Haus. Was Eure Fehler im Normannischen betrifft, Mylady …“ Galant verbeugte er sich. „Da gebt Ihr uns wirklich keinen Grund zur Klage. Nicht wahr?“

Erst als Senlis ihn anstieß, bequemte sich Beresford zu einem knappen „Nein“.

Mit einem charmanten Lächeln fuhr Senlis fort: „Unser Beresford neigt ebenso zum Stillschweigen wie Ihr, Mylady. Und wenn er das Wort ergreift, nimmt er kein Blatt vor den Mund.“

„Das habe ich gemerkt“, entgegnete Gwyneth.

„Was uns allen natürlich besonders gut an ihm gefällt“, ergänzte Rosalyn und legte ihre Hand auf Beresfords Arm.

„Tatsächlich?“ Gwyneth’ Blick wanderte von einem zum anderen. „Sicher ist es eine Tugend, so freimütig zu sprechen, denn dann kann man nicht missverstanden werden.“

Senlis wusste nicht, ob er diese Äußerung für naiv oder klug halten sollte. „Jedenfalls darfst du dich glücklich schätzen, Simon, denn du wirst die Worte deiner Braut ebenso reizvoll finden wie ihr Schweigen.“

Diesmal entstand eine längere Gesprächspause, denn Gwyneth begegnete Beresfords Blick und wünschte, ihr Atem würde nicht schon wieder stocken und sie könnte sich von diesen kühlen Augen abwenden. Aber das gelang ihr nicht. In den schiefergrauen Tiefen las sie eine eiserne Entschlossenheit und blinzelte unsicher. Sie hasste ihre eigene Schwäche, gerade in einem so wichtigen Moment, und spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.

„Soeben habe ich eine Freundin entdeckt, mit der ich reden muss“, verkündete Rosalyn.

Und Senlis erklärte: „Vorhin versprach ich Warenne, ihn hier zu treffen.“

Beresford starrte den beiden nach wie zwei feigen Kriegern, die unerlaubt das Schlachtfeld verließen. „Gehen wir spazieren!“, stieß er hervor, und Gwyneth fragte sich, ob er einen sanfteren Ton anzuschlagen pflegte, wenn er einem Hund befahl, bei Fuß zu bleiben.

Während ihrer Ehe hatte sie sich angewöhnt und sogar ein gewisses Vergnügen daran gefunden, Canutes Wünsche niemals sofort zu erfüllen. Sie genoss jene kurzen Zeitspannen, wo sie ihren Mann glauben ließ, sie würde über sein Ansinnen nachdenken, so als läge es in ihrer Macht, ihm den Gehorsam zu verweigern. Dadurch erweckte sie den Eindruck, es wäre überaus großzügig von ihr, seine Befehle zu befolgen. Stets hatte ihr seine ohnmächtige Wut, durch ihr Zögern heraufbeschworen, boshafte Freude bereitet. Aber sie bezweifelte, dass ihr die gleiche Taktik auch jetzt nützen würde. Deshalb legte sie ihre Fingerspitzen auf Beresfords Arm und nickte.

Sie begannen umherzuwandern. Halb und halb erwartete sie, er würde sich für seine Vermutung entschuldigen, sie wäre schwachsinnig. Aber stattdessen verlangte er unvermittelt: „Erzählt mir von der Schlacht.“

„Von welcher, Mylord?“

„Ich meine die Schlacht, die Euren Gemahl das Leben gekostet hat.“

Krampfhaft schluckte sie. Mit übermäßigem Feingefühl war er wahrlich nicht gesegnet. „Castle Norham wurde über zwei Wochen lang belagert“, begann sie mit leiser, ruhiger Stimme. „Vielleicht unterliefen Canute und seinen Männern strategische Fehler. Sie schätzten die Anzahl der Feinde falsch ein und verteidigten einen Teil der Außenmauer, die durch steinerne Wurfgeschosse beschädigt worden war, nur unzulänglich. Außerdem konnten sie aufgrund ihrer mangelnden Vorbereitung das griechische Feuer nicht erwidern.“ Resignierend hob sie ihre freie Hand und seufzte. „Schließlich wurde die Burg im Sturm erobert.“

„Wenn man bedenkt, wie selten Ihr Normannisch gesprochen habt, verfügt Ihr über einen bemerkenswerten militärischen Wortschatz.“

Gwyneth lächelte schwach. „Auf der langen Reise nach London fand ich reichlich Gelegenheit, ausführlichen Berichten über den normannischen Sieg zu lauschen, der natürlich ausnahmslos in normannischer Sprache geschildert wurde.“

„Erzählt mir von der Reise.“

Diese Fahrt war eine einzige Qual gewesen. „Lady Chester sprach bereits davon …“, antwortete sie ausweichend.

Entschieden schüttelte er den Kopf. „Lady Chester war nicht dabei. Ich möchte das alles aus Eurem eigenen Munde hören.“

„Oh, ich wurde sehr respektvoll behandelt“, erwiderte sie diplomatisch, „und man sorgte stets für meine Bequemlichkeit.“

Auf diese höfliche Lüge ging er nicht ein. „Wart ihr auf dem Weg hierher sehr traurig? Bei der Eroberung der Burg müsst Ihr viele Freunde verloren haben.“

Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, und angesichts seiner kraftvollen breiten Schultern musste sie erneut ihre Angst unterdrücken. „Ja, sehr viele. Immerhin habe ich fünf Jahre lang auf Castle Norham gelebt.“

„Musstet Ihr etwa auch noch den Tod von Familienmitgliedern beklagen?“

„Nein.“

„Aber Euer Ehemann ist gestorben.“

Rasch senkte sie den Blick. Sie fröstelte immer noch, wenn Canute als ihr Ehemann bezeichnet wurde. „Ja, natürlich.“

„Habt Ihr Kinder?“

„Nein.“

„Erwartet Ihr ein Kind von Eurem Ehemann?“

Gwyneth hob ruckartig den Kopf, starrte ihn an und gab Senlis recht – ihr Bräutigam nahm tatsächlich kein Blatt vor den Mund. „Nein.“

„Seid Ihr sicher?“

„So sicher, wie es eine Frau nur sein kann“, antwortete sie in eisigem Ton.

Offensichtlich zufrieden, nickte er. Seine Frage erfüllte sie mit neuer Wut. Sie hatte sich Söhne und Töchter gewünscht und um jene getrauert, die sie wahrscheinlich nie bekommen würde. Andererseits dankte sie ihrem Schicksal, weil sie kein Kind von Canute großziehen musste. Entweder hatte er seine ehelichen Rechte mit beleidigendem Desinteresse wahrgenommen, oder er war grob und rücksichtslos über sie hergefallen. Aber nichts von alldem – ihre Kinderlosigkeit, die Tatsache, dass sie kein neues Leben unter dem Herzen trug, und die Gefühle, die sie für ihren verstorbenen Gemahl hegte – ging den Mann an ihrer Seite, diesen unmöglichen Normannen, auch nur das Geringste an. In den letzten Tagen, Wochen und Jahren hatte sie genug Demütigungen erlitten. Jetzt reichte es endgültig.

Mit dem Zorn kehrte auch ihr Mut zurück, und sie entsann sich wieder ihrer oftmals angewandten Fähigkeit, Nachteile in Vorzüge umzuwandeln.

Gwyneth’ Miene verriet nichts von ihren Gedanken. „Nun habt Ihr alles Wissenswerte über mich und mein Leben erfahren, Sir Simon, und Ihr solltet mir erzählen, wie es Euch bisher ergangen ist.“

Abweisend runzelte er die Stirn. „Was wollt Ihr hören?“, fragte er keineswegs ermutigend.

„Alles, was Ihr mir nach Eurer Ansicht mitteilen müsstet.“ Ihre Stimme nahm jenen milden Klang an, den sie im Laufe der Jahre kultiviert hatte.

Sie vermutete, er würde seine Söhne und seine verstorbene Frau erwähnen. Später verstand sie allerdings nicht, warum sie von diesem ungewöhnlichen Mann eine so konventionelle Antwort erwartet hatte. Stattdessen erklärte er in kaltem Ton: „Vor allem eins solltet Ihr wissen. Während ich heute Nachmittag auf dem Kampfplatz in meinem Hof wichtige Waffenübungen mit meinen Rittern und Knappen abhielt, wurde ich in den Tower beordert, ohne zu ahnen, was man von mir verlangt.“

Empört starrte sie ihn an. Sie beging nicht den Irrtum, diese Worte als Entschuldigung für seinen unansehnlichen Aufzug zu werten. Das war die schlimmste Kränkung, die er ihr bisher zugemutet hatte. Erst beleidigte er ihre Intelligenz, dann fragte er ohne Umschweife, ob sie guter Hoffnung sei, und nun machte er nicht einmal einen Hehl aus seinem Widerwillen gegen die geplante Hochzeit.

Sie selbst wollte ihn genauso wenig heiraten, war aber nicht so dumm, das auszusprechen oder sich ihre wahren Gefühle anmerken zu lassen, schon gar nicht an diesem öffentlichen Schauplatz, wo ihre erste Begegnung mit ihrem Bräutigam stattfand. Nur zu deutlich spürte sie die Blicke der Höflinge ringsum, die ihr Interesse am auffälligsten Paar des Abends nur unzulänglich verbargen.

Aber sie zwang sich zu einem Lächeln und heuchelte sogar Neugier. „Und mit welchen Waffenübungen habt Ihr Euch befasst?“

„Schwertfechten.“

„Ich verstehe. Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Euch verschiedenen Kampfarten widmet?“

„Ja.“

„Und Ihr verbringt viel Zeit mit Euren Übungen?“

„Ja.“

In seinem Gesicht las sie die ungeduldige Frage: Was möchtet Ihr sonst noch alles wissen? Nun, sie hatte nie beabsichtigt, in seine Privatsphäre einzudringen, und so schnitt sie ein neutrales Thema an. „Da ich hier fremd bin, solltet Ihr mir vielleicht einige Leute zeigen, in deren Mitte ich leben werde. Ich finde, wir müssten ihnen das gleiche Interesse entgegenbringen wie sie uns.“

Das schien ihn zu überraschen. „In der Tat? Man interessiert sich für uns?“

„Obwohl man so tapfer versucht, das zu verhehlen …“

Beresford schaute sich in der Halle um. Sofort wandten alle Leute die Köpfe ab. Die Furchen auf seiner Stirn vertieften sich, und er murmelte, man solle sich gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern und ihn in Ruhe lassen.

„Oh, da bin ich ganz Eurer Meinung“, stimmte Gwyneth leichthin zu, „aber es ist wohl verständlich, dass wir Neugier erregen, findet Ihr nicht auch? Nutzen wir doch die Gelegenheit, und mustern wir die Damen und Herren, solange sie uns ihrerseits so ungeniert begaffen. Also, Sir Simon, wer mag der Mann da drüben sein, am anderen Ende der Halle?“

„Walter Fortescue.“

„Und was müsste ich über ihn wissen?“

„Für Turniere ist er zu alt.“

„Das sehe ich, Mylord.“ Als keine näheren Angaben zu Fortescues Person folgten, fragte Gwyneth: „Und der Mann an Sir Walters rechter Seite? Kennt Ihr ihn?“

„Roger Warenne.“

„Roger Warenne“, wiederholte sie und prägte sich den Namen ein. „Was sollte ich über ihn wissen?“

„Er ist ein durchschnittlicher Schwertfechter.“ Nach einer kleinen Pause fügte Beresford hinzu: „Seine Gattin heißt Felicia.“

„Ah, es wird mir ein Vergnügen sein, sie kennenzulernen.“ Nun richtete sich ihr Blick auf den Mann, der ihr bereits aufgefallen war. Kurz vor Beresfords Ankunft hatte er sie mit schmalen Augen gemustert, aber jetzt schaute er woandershin. „Wer ist das?“, erkundigte sie sich. „Dieser elegant gekleidete Herr da hinten bei der Tür. Ich sah ihn schon früher – ehe Ihr in die Halle kamt.“

Beresford runzelte erneut die Stirn. „Das ist Cedric of Valmey.“

Bestürzt biss sie auf ihre Unterlippe. An diesen Namen erinnerte sie sich von Norhams Belagerung her. Aber sie sah den Mann, der die Schuld an den Veränderungen in ihrem Leben trug, zum ersten Mal, denn er hatte es seinen Rittern überlassen, die Kriegsbeute einzusammeln. Und sie selbst war ein Teil dieser Beute gewesen.

„Was sollte ich über ihn wissen?“ Trotz ihres Grauens sprach sie in ruhigem Ton. Als sie keine Antwort erhielt, fragte sie: „Wie macht er sich auf dem Turnierplatz?“

„Gut genug.“

Das fasste sie als hohes Lob auf. Und da sie bezweifelte, dass ihr weitere Erkundigungen nach den männlichen Mitgliedern des normannischen Adels zu Informationen verhelfen würden, die nicht mit deren Kampfkraft zusammenhingen, richtete sie ihr Augenmerk auf die Damen. „Natürlich kenne ich Lady Chester … Ah, da ist sie ja. Sie erzählte mir, ihr Gemahl sei schwer krank. Wisst Ihr Bescheid über seinen Zustand, Sir?“

Beresford blinzelte verwundert, als könnte er sich nicht entsinnen, mit wem Lady Chester verheiratet war. Schließlich entgegnete er: „Ich glaube, Ihr meint Godfrey. Den habe ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.“

„War er nicht mit seiner Gattin auf dem Himmelfahrtsfest, das sie erwähnt hat?“ Da er nur die Achseln zuckte, ließ sie das Thema fallen. „Nun, jedenfalls bedaure ich, dass er krank ist … Oh, jetzt geht sie zu Sir Cedric. Sie unterhalten sich höchst angeregt. Allmählich lerne ich den ganzen Hofstaat kennen. Und jetzt die dunkelhaarige Dame, links von den beiden – die in der grünen Robe … Wer ist sie?“

Beresford warf nur einen kurzen Blick hinüber. „Keine Ahnung.“

„Aber kennt Ihr die Frau, mit der sie spricht?“

„Die kommt mir bekannt vor“, gab er zu. Sie erkundigte sich nach mehreren Damen, ehe ihm endlich wieder ein Name einfiel. „Ja, das ist Johanna, die war schon immer hier.“

Lachend schüttelte Gwyneth den Kopf, denn Johanna war jung und schön. „Dafür ist sie wohl noch nicht alt genug, Sir Simon.“ Sie schaute zu ihm auf und betrachtete sein Profil, das markante Kinn, die gerade Nase, die schön geschwungenen, aber verkniffenen Lippen. Flüchtig fragte sie sich, wie er aussehen mochte, wenn er ordentlich rasiert und sein Haar geschnitten war. Oder vielleicht sogar, wenn er lächelte … Dieser Gedanke faszinierte sie. Und so beschloss sie, einen Versuch zu wagen. „Vorhin erklärte ich, es sei eine Tugend, stets freimütig zu sprechen, und das meinte ich ernst. Aber wenn man schon kein Blatt vor den Mund nimmt, sollte man stets die Wahrheit sagen. Und das tatet Ihr in Johannas Fall nicht. Ihr wart nur unhöflich.“

Der Ausdruck in seinen Augen nahm ihr alle Hoffnung, er könnte jemals besser aussehen, mochte er sich auch rasieren und die Haare schneiden lassen. Und seine Lippen schienen gar nicht zu wissen, wie man lächelte. Ihr Herz schlug schneller, während sie die Strafe für ihre Unverschämtheit abwartete, und sie wappnete sich, zog aber nicht den Kopf zwischen die Schultern.

„Ich kenne sie fast mein Leben lang“, lautete Beresfords eher milde Antwort, „denn sie ist eine Verwandte meines Vaters.“

Erleichtert seufzte Gwyneth auf. „Aber Ihr werdet mir sicher zugestehen, dass Ihr auch in diesem Fall nicht behaupten dürft, sie sei schon immer hier gewesen. Sagt lieber: ‚Ich erfreue mich schon seit einigen Jahren ihrer Bekanntschaft.‘“

„Ich erfreue mich schon seit einigen Jahren ihrer Bekanntschaft“, wiederholte er, wozu ihn wohl eher sein Staunen über ihre Belehrung veranlasste als sein Wunsch, sich gehorsam zu zeigen.

„Sehr gut“, lobte sie ihn.

Abschätzend musterte er sie, wie einen Gegner auf dem Turnierplatz. „Ich werde mir Euren Rat merken, Madam“, versprach er langsam.

Schon wieder blieb ihr die Luft weg. Da sie seine Miene nicht deuten konnte, hielt sie es für klüger, das Thema zu wechseln. „Und diese Damen dort?“ Mit dem Kinn wies sie zum anderen Ende der Halle, wo drei alte Frauen standen – sonderbare, dunkel gekleidete Gestalten –, halb im Schatten, was ihnen eine gespenstische Aura verlieh.

Beresford hob die Brauen. „Diese Greisinnen? Falls Ihr den Ausdruck gestattet …“

Anmutig neigte Gwyneth den Kopf. „Ich gestatte ihn. Und was diese Damen betrifft, dürft Ihr auch bemerken, sie seien schon immer da gewesen. Aber Ihr solltet ihnen ehrerbietig begegnen, sonst belegen sie Euch vielleicht mit einem bösen Fluch.“

Nun zog er die Brauen noch höher. „Warum sagt Ihr das?“

„Ach, es fiel mir nur so ein.“

Sie war froh, dass sich in diesem Augenblick ein Höfling heranwagte, um sich ihr vorzustellen und Beresford zu beglückwünschen. Auch andere, die sich nicht länger zurückhalten konnten, traten jetzt näher, weil sie das ungleiche Paar – die gefangene Schönheit und den ungeschlachten Krieger – genauer betrachten wollten. Bald wurden Gwyneth und Beresford von Gratulanten umringt. Und so blieb es ihr erspart, die schwierige Konversation mit ihrem Bräutigam fortzusetzen, wenn sie nun auch die mühsame Aufgabe bewältigen musste, sich all die neuen Gesichter und Namen zu merken.

Beresford lenkte ihren Blick erst wieder auf sich, als er sie abrupt verließ, mit einer knappen Verbeugung, aber ohne ein einziges Abschiedswort. Während sie ihm ärgerlich nachschaute, empfand sie immerhin eine gewisse Genugtuung, weil er ihr keinen Grund gab, ihren ersten Eindruck neu zu überdenken. Der Mann, den sie heiraten sollte, war ganz eindeutig ein unsensibler Rüpel.

Senlis lag auf der Lauer, als Beresford aus der Halle eilte, begleitete ihn durch einen Korridor und passte sich den langen Schritten seines Freundes an.

„Adela hat mich beauftragt, dich in die Kleiderkammer zu führen, Simon. Dort sollst du dir eine passende Gewandung für das Abendessen aussuchen, denn du kannst vorher nicht mehr nach Hause reiten. Die Zeit ist zu knapp.“

Ein kurzer, skeptischer Seitenblick streifte ihn. „Hast du sie auf meine unziemliche Kleidung hingewiesen, lieber Geoffrey?“

Eifrig hob Senlis die Hand, als wollte er einen Eid ablegen. „Oh nein, Simon, und das war auch gar nicht nötig. Adela entschied von sich aus, du müsstest präsentabel aussehen, wenn man an des Königs Tafel die Trinksprüche auf dein Glück ausbringt.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Nun? Immer noch der Bräutigam wider Willen?“

Die Antwort war unmissverständlich. „Pah!“

Überrascht starrte Senlis seinen Freund an. „Wo liegt das Problem?“

„Zu viele Leute“, klagte Beresford. „In so einer Menschenmenge könnte man fast ersticken.“

„Nein, ich meine, bevor die Gratulanten auftauchten, schienst du dich recht gut mit Gwyneth zu unterhalten. Zumindest schaute sie nicht allzu erschrocken drein.“

„Wahrscheinlich sagte ich die schlimmsten Dinge erst, nachdem du gegangen warst.“

„Keineswegs, die sagtest du schon vorher. Noch weniger Taktgefühl konntest du danach nicht mehr zeigen.“ Als Beresford schwieg, verengte Senlis die Augen. „Oder doch? Großer Gott, Simon, was hast du ihr zugemutet?“

Beresford erinnerte sich an den kritischen Punkt der Konversation, einen Augenblick, wo irgendetwas in der Schwebe gehangen hatte, wenn er auch nicht wusste, was. „Es missfiel ihr, wie ich mich über Johanna äußerte.“

„Was um Himmels willen hast du denn über deine Cousine gesagt?“

„Dass sie schon immer hier war.“

„Und was hatte Gwyneth gegen diese Bemerkung einzuwenden?“

„Sie meinte, dafür sei Johanna nicht alt genug.“

Senlis’ bewundernswerte Selbstkontrolle half ihm, ein Lächeln zu unterdrücken. „Wie wahr! Aber deine Behauptung kann nur geringfügigen Anstoß erregen, sogar nach meinen Maßstäben. Was ist dir sonst noch herausgerutscht?“

Plötzlich glaubte Beresford, veilchenblaue Augen vor sich zu sehen, und ein fremdartiges Gefühl durchströmte ihn – vielleicht eine ungewohnte Schwäche oder jene Wehmut, die man bei der Lektüre von Poesie empfand. „Ich konnte nicht feststellen, ob sie um ihren verstorbenen Mann trauert.“

Senlis nickte verständnisvoll. „So etwas lässt sich schwer erkennen.“

„Eins habe ich immerhin herausgefunden – sie erwartet kein Kind von ihm.“

„Was?“ Senlis’ Kinnlade klappte nach unten.

„Sie erwartet kein Kind von ihm“, wiederholte Beresford.

„Danach hast du sie gefragt?“

„Wie sollte ich’s denn sonst erfahren?“

Senlis stieß einen ausdrucksvollen Fluch hervor. „Es gibt unzählige Mittel und Wege, eine so heikle Angelegenheit zu klären. Da braucht man sich nicht an die Dame persönlich zu wenden.“ Ärgerlich schüttelte er den Kopf, um dann noch genauer nachzufragen: „Und dieses Thema wurde nach deiner unglückseligen Bemerkung über Johanna erörtert?“

„Nein, vorher.“

„Und Gwyneth hat danach immer noch mit dir geredet?“, rief Senlis ungläubig. Es dauerte eine Weile, bis er das fassen konnte, dann ließ er einen weiteren markigen Fluch folgen. „Nun, zunächst wusste ich nicht recht, ob deine Gwyneth …“ Dieser Satz blieb unvollendet. „Jedenfalls scheint sie erstaunliche innere Kräfte zu besitzen, denn während der Unterhaltung mit dir wirkte ihr Gesicht gelassen und freundlich. Oder sie verstand dich nicht richtig. Könnte deine anfängliche Vermutung vielleicht doch zutreffen? Ich meine, dass sie schwachsinnig ist?“

„Ha!“, entgegnete Beresford erbittert. Seine eigenen Irrtümer pflegte er einzusehen.

„Offensichtlich hast du alles verdorben, Simon.“

„Wieso denn, Geoffrey? Was war denn so falsch an meiner Frage? Sollte ich mich etwa von Stephen und Adela zwingen lassen, eine Frau zu heiraten, die ein Balg von einem Anhänger Henrys erwartet, dem ich im Namen des Königs auf dem Schlachtfeld gegenübertrete? Denkst du das?“

Senlis dachte alles Mögliche. Aber nun kam er zum Kern der Sache. „Sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe.“

Abrupt blieb Beresford stehen und packte seinen Freund wieder mit festem Griff an der Tunika, so wie vorhin im Sitzungssaal.

„Moment mal, Simon!“, tadelte Senlis leichthin. „Da du endlich bessere Manieren lernen solltest, muss ich dir einschärfen, dass dies eine sehr fragwürdige Methode ist, das Leben eines guten Freundes zu bedrohen, noch dazu zweimal an ein und demselben Tag. Und weil ich mich nun der fast unlösbaren Aufgabe widme, dir ein einigermaßen menschliches Benehmen beizubringen, lass mich ein Wort in dein Ohr flüstern – Feingefühl. Weißt du, was das bedeutet?“

Beresford riss sich zusammen. Inzwischen war die poetische Anwandlung verflogen, ebenso wie Senlis’ ungetrübte Stimmung angesichts der Miene seines Freundes, der ihn noch immer nicht losließ.

„Willst du mir vielleicht Worte in den Mund legen, damit ich so affektiert daherrede wie meine Braut?“, fauchte Beresford. „Die Bedeutung gewisser Wörter kenne ich, mein Freund. Und nun will ich meinem Hang zu unzweideutigen Äußerungen frönen. Eine Drohung ist ein Versprechen, das nicht unbedingt gehalten werden muss. Erlaube mir, dir zu erklären, dass ich niemals leere Drohungen ausstoße.“

4. KAPITEL

Adela saß in ihrer Kemenate und verbarg ihre Zufriedenheit. Ihre Berater, die sie jeden Tag vor dem Abendessen traf, hatten ihr sehr erfreuliche Neuigkeiten mitgeteilt.

Vor einem Jahr war sie Königin Mathildas inoffizielle Nachfolgerin geworden, und seither hatte sie nur wenige politische Fehler begangen, aus dem einfachen Grund, weil sie sich keine leisten konnte. Stephens Herrschaft wurde einerseits von den streitlustigen, machtgierigen Baronen bedroht und andererseits durch Henry, den Urenkel Williams des Eroberers, der ein Auge auf den englischen Thron geworfen und seinen Fuß auf englischen Boden gesetzt hatte. Also musste Adela ausnahmslos kluge Entscheidungen treffen. Sie wäre glücklich gewesen, hätte Cedric of Valmey sich bereit erklärt, Gwyneth of Northumbria zu heiraten. Aber das hatte er rundweg abgelehnt. Adela hatte ihn nicht weiter bedrängt, denn sie wusste, dass Rosalyn, ihre verlässlichste Informationsquelle, gegen diese Verbindung war.

Nun hielt sie ihren Entschluss, Gwyneth mit Simon of Beresford zu vermählen, für einen brillanten Schachzug. Sicher, er war nicht begeistert gewesen, aber damit hatte Adela gerechnet und ihm deshalb die northumbrische Grafschaft übertragen.

Natürlich würden ihm mehrere Barone den ranghöheren Adelstitel neiden, indes nicht lauthals protestieren, denn seine Königstreue war allgemein bekannt und somit die Belohnung gerechtfertigt. Den Berichten zufolge, die man ihr unterbreitet hatte, wurde Beresfords Erhebung in den Grafenstand allgemein mit Wohlwollen betrachtet. Also konnte Adela mit dem Erfolg dieses Tages zufrieden sein.

Und sie war auch sehr erfreut, als Gwyneth of Northumbria im königlichen Gemach angemeldet und von zwei Hofdamen ins Zimmer geleitet wurde. Adela entließ ihre Berater und erhob sich. Freundlich umfasste sie Gwyneth’ Hände. „Besten Dank, dass Ihr meinen Wunsch erfüllt und mich aufsucht, meine Liebe.“ Dann hielt sie die junge Frau auf Armeslänge von sich ab. „Wie schön Ihr seid! Geradezu perfekt für diesen Abend.“

Gwyneth’ äußere Erscheinung gefiel ihr tatsächlich. Die Witwe war mit spärlicher Garderobe aus Northumbria abgereist, und Adela hatte ihr eine dunkelblaue Tunika und ein Obergewand aus hellblauer Seide geliehen, seitlich geschnürt, die Taille betonend, und an den Hüften gerafft. Sie trug keinen Schmuck, und das sollte sie vor ihrer Wiederverheiratung auch nicht, wie Adela beschlossen hatte. Besonders vorteilhaft war Gwyneth’ neue Frisur. Adela hatte ihr einen schlichten Goldreif mit einem kleinen Schleier gegeben. Mit diesem Kopfputz sah die junge Frau weniger nordisch und eher normannisch aus.

Bescheiden dankte Gwyneth ihrer Gastgeberin für das Kompliment, und Adela führte sie zu einer breiten, üppig mit Kissen bedeckten Fensterbank. „Wie Lady Chester mir bereits mitgeteilt hat, ist Eure erste Begegnung mit Simon of Beresford sehr gut verlaufen. Könnt Ihr das bestätigen? Ich möchte Euch um einen lückenlosen Bericht bitten.“

„Ja, es ging recht gut“, stimmte Gwyneth mit ihrem melodischen Akzent zu. „Aber wenn ich genau Bericht erstatten soll, weiß ich nicht, wo ich anfangen müsste.“

„Erzählt mir am besten, ob Euch Euer Bräutigam irgendwie missfallen hat“, schlug Adela in sanftem Ton vor. Sie befahl einer Hofdame, zwei Becher Wein und eine Schale mit Nüssen zu bringen, dann zog sie Gwyneth neben sich auf die bunt gestreiften Kissen und senkte verschwörerisch die Stimme. „Ihr wisst doch – nichts steht fest, solange das Ehegelübde nicht ausgesprochen wurde.“

Sie beobachtete, wie Gwyneth zögerte, bevor sie entgegnete: „Ob er mein Missfallen erregt hat? Nein, Madam.“

Ermutigend lächelte Adela. „Dann seid Ihr also zufrieden mit ihm?“

Gwyneth senkte züchtig die langen Wimpern. „Natürlich bin ich mit Eurer Wahl einverstanden.“

Das war nicht die Antwort, die Adela hören wollte, und sie wünschte, sie könnte der jungen Frau in die Augen schauen. „Wunderbar!“ In der Hoffnung, Gwyneth würde ihre wahren Gefühle enthüllen, fügte sie hinzu: „Simon of Beresford besitzt viele gute Eigenschaften.“

„Daran zweifle ich nicht.“

„Er ist reich und mächtig, wenn er seinen Wohlstand auch nicht zur Schau stellt.“ Adela hielt inne, um einen Becher Wein von dem Tablett zu nehmen, das ihr die Hofdame hinhielt, dann wandte sie sich wieder zu Gwyneth und wies einladend auf das zweite Gefäß. „Und er ist gütig.“

Der Gast ergriff den Becher und hob den Blick. Im schwindenden Tageslicht sah Adela das unergründliche Violett ihrer Augen, das nichts verriet. „Wie mächtig er ist, habe ich bereits an seinem Verhalten erkannt“, erwiderte Gwyneth, „und ich glaube Euch, wenn Ihr mir versichert, er sei wohlhabend. Aber ich kenne ihn noch nicht lange genug, um festzustellen, ob er gütig ist.“

Adela lachte wohltönend. „Nun, Ihr dürft getrost auf seine etwas rauen Manieren hinweisen“, bemerkte sie und änderte ihre Taktik. „So ist Sir Simon nun einmal. Aber ich versichere Euch, an seiner Ehrbarkeit besteht kein Zweifel, und hinter der rüden Fassade schlägt ein goldenes Herz.“

Fügsam nickte Gwyneth, und nun war Adela nicht mehr ganz so glücklich mit dem Erfolg, den sie erzielt hatte. „Aber Ihr trinkt ja gar nichts, meine Liebe. Der Wein würde Euch nach diesem aufregenden Tag entspannen.“

Sofort gehorchte Gwyneth und nahm einen Schluck.

„Nachdem ich Beresfords ungehobeltes Benehmen erwähnt habe“, fuhr Adela leichthin fort, „muss ich betonen, dass es zuvor im Sitzungssaal noch deutlicher zum Vorschein kam. Mehrere Barone waren anwesend, als ich Sir Simon über das Privileg informierte, Euch heiraten zu dürfen. In seiner Verblüffung äußerte er sich etwas unbedacht.“ In vertraulichem Ton fügte sie hinzu: „Ihr wisst, meine Liebe, wie heftig die Gerüchte im Tower kursieren, und die meisten werden verzerrt weitergeleitet. Deshalb solltet Ihr Euch nicht grämen, wenn Ihr zufällig hört, Sir Simon sei nicht allzu glücklich über die Verbindung mit Euch.“

„Wegen dieses Geredes braucht Ihr Euch nicht zu sorgen, Madam“, erwiderte Gwyneth offenherzig, „denn Sir Simon teilte mir selber mit, dass er von unserer Heirat nichts hält.“

Adelas reichhaltige diplomatische Erfahrungen halfen ihr glücklicherweise, ihr Missfallen zu verbergen. Sie hatte es nicht für nötig befunden, Beresford vor der Begegnung mit seiner Braut unter vier Augen zu sprechen, in der Überzeugung, Gwyneth’ Schönheit würde ihn entzücken. Was den Mann störte, konnte sie sich nicht vorstellen, aber sie beabsichtigte, ihn beim Abendessen zu fragen. Ehe sie nun antwortete, trank sie einen Schluck Wein und ermunterte Gwyneth, diesem Beispiel zu folgen. Dann stellte sie den Becher beiseite und beschloss, ebenso wenig wie ihr Gast ein Blatt vor den Mund zu nehmen. „Wie typisch für Sir Simon!“ In liebevoller Missbilligung schüttelte sie den Kopf. „Morgen müsst Ihr ihn in seinem Stadthaus besuchen, dann werdet Ihr einen ganz anderen Eindruck gewinnen, wenn Ihr ihn in seiner gewohnten Umgebung beobachtet. Sicher werdet Ihr Euch nachher besser fühlen.“

Nun wartete Adela auf die naheliegende Antwort, die in etwa lauten musste: „Oh Madam, hier geht es nicht allein um meine Gefühle. Es ist mein Bräutigam, der dieser Heirat ablehnend gegenübersteht.“ Aber stattdessen schwieg Gwyneth und nickte nur. Adela ließ ihr noch etwas Zeit, allerdings vergeblich, denn die junge Frau schaute sie nur an und schien zu vermuten, dass nun ein neues Thema angeschnitten werden sollte.

Adelas Unzufriedenheit steigerte sich zu bitterer Enttäuschung. Da sie es ansonsten großartig verstand, arglosen Leuten wertvolle Informationen zu entlocken, war sie verblüfft über Gwyneth’ Verhalten. Entweder war die junge Frau überaus fügsam – oder erstaunlich klug.

Plötzlich fürchtete Adela, ihre Pläne könnten scheitern, wenn sie nicht bald verwirklicht wurden. „Gewiss ist uns allen leichter ums Herz, wenn der Hochzeitstag feststeht“, meinte sie lächelnd. „Heute Abend werde ich ihn bekannt geben, während wir alle auf das Brautpaar anstoßen.“ Dann erhob sie sich, um zu bekunden, dass die Unterredung beendet war. Sie wandte sich zu einer ihrer Hofdamen. „Marta, begleitet unseren Gast in die Halle zur Tafel.“ Dann versprach sie: „Bald komme ich nach. Es gilt noch einige Angelegenheiten zu erledigen, die meiner Aufmerksamkeit bedürfen.“

Das verstand Gwyneth nur zu gut. Sie hatte sich nicht in Illusionen gewiegt, als sie ins Gemach der königlichen Mätresse bestellt worden war.

Und sie machte sich auch jetzt nichts vor. Obwohl Adela betont hatte, nichts stehe fest, solange das Ehegelübde nicht ausgesprochen sei, wusste Gwyneth, dass sie nicht die Macht besaß, das Jawort zu verweigern.

Sobald das Gerücht erwähnt wurde, Simon of Beresford sei gegen die Heirat, erkannte sie, was hinter der Einladung in Adelas Privatgemächer steckte: Die Mätresse wollte einen Skandal vermeiden. Ein widerstrebender Bräutigam und eine unfreiwillige Braut – das wäre entschieden zu viel. Gwyneth hatte die Gelegenheit genutzt, Beresfords Protest gegen die Heiratspläne zu bestätigen, und obwohl sie dadurch nichts ändern konnte, war es doch einen Versuch wert gewesen. Um nichts auf der Welt hätte sie ihre eigenen Zukunftsängste preisgegeben. Zu lange hatte sie mit Canute unter einem Dach gelebt, um Schwäche zu zeigen. Und schwerer Wein konnte ihre Zunge nicht lockern.

Von Marta begleitet, kehrte sie in die Große Halle zurück, wo die Vorbereitungen für die Abendtafel getroffen wurden. Trotz des warmen Wetters loderten Flammen in den Kaminen an beiden Enden des großen Raums, um die letzte feuchte Winterkälte zu verscheuchen. Pagen stellten Tische und Bänke auf, legten Silberlöffel neben die Hornbecher. Dienstboten eilten mit Wasserschüsseln umher, damit die vornehmen Gäste ihre Hände waschen konnten.

Gwyneth schaute sich um und stellte fest, dass Beresford nicht anwesend war. Aber sie brauchte sich nicht einsam oder ausgeschlossen zu fühlen, denn bald wurde sie von freundlichen, neugierigen Frauen umringt. Ein Mann schlenderte zu der Gruppe, und irgendwie gelang es ihm, Gwyneth in eine ruhige Ecke zu führen.

„Soviel ich weiß, seid Ihr Cedric of Valmey“, eröffnete sie das Gespräch. Der attraktive Baron, in eine burgunderrote Tunika gekleidet, die sein dunkles Haar hervorhob, stand etwas zu nahe bei ihr. Diskret trat sie einen Schritt zur Seite.

„Also kennt Ihr mich?“ Formvollendet verneigte er sich. „Ihr schmeichelt mir, Gwyneth of Northumbria.“

Da er keine Zweifel an seiner unwiderstehlichen Wirkung auf Frauen zu hegen schien, wollte sie ihm die Illusion nicht mit der Bemerkung rauben, sie könne unmöglich den Mann vergessen, der die Verantwortung für ihre Gefangenschaft trug.

„Das lag nicht in meiner Absicht“, entgegnete sie und schaute ihm unverwandt in die Augen, ein Trick, den sie sich angeeignet hatte, um dreiste Männer zu verwirren. Damit erzielte sie fast immer den gewünschten Erfolg.

Aber nicht bei Cedric of Valmey. „Dann wollt Ihr vielleicht Anklage gegen mich erheben, Madam?“

Nun hielt sie es für ratsam, respektvoll zu schweigen.

Seufzend lächelte er. „Ihr wisst vielleicht, dass ich den Angriff gegen Castle Norham geführt habe – was Ihr mir verständlicherweise übel nehmt. Aber genauso gut hätte jeder andere Ritter in dieser Halle die Belagerungstruppen kommandieren können.“ Eindringlich fuhr er fort: „Und weil ich nun einen besseren Eindruck auf Euch machen möchte, gratuliere ich Euch ganz herzlich zu Eurer Verlobung.“

„Vielen Dank.“

„Eins muss ich leider beklagen.“ Seine Lippen verzogen sich wieder zu einem sinnlichen, herausfordernden Lächeln. „Simon of Beresford durfte heute gleich zwei Vergünstigungen genießen.“ Als sie ihn fragend anschaute, erklärte er: „Er darf Euch heiraten.“

„Und die andere Gunst?“

„Zusätzlich erhielt er die Grafschaft von Northumbria.“

Gwyneth senkte die Wimpern. Das hatten weder ihr Bräutigam noch Adela erwähnt. Erzählte Valmey ihr davon, um zu betonen, Beresford brauche einen zusätzlichen Anreiz, wenn er sie schon unbedingt heiraten müsse? Oder neidete Valmey ihm die Grafschaft, weil er sie mit dem Recht des Eroberers für sich selbst beanspruchte? „Unter diesen Umständen steht ihm eine solche Gunst wohl zu“, entgegnete sie.

„Unter diesen Umständen“, wiederholte Valmey.

„Welche Umstände?“, fragte eine tiefe Stimme an ihrer Seite, und sie wandte sich zu Geoffrey of Senlis. „Aber lasst mich raten!“

Gwyneth begrüßte ihn. „Gerade sprachen wir über Simon of Beresfords Grafschaft Northumbria.“

„Ja, eine wohlverdiente Auszeichnung, mit der Beresford nicht gerechnet hat.“ Freimütig musterte er sie, ehe er hinzufügte: „Simon wollte niemals hoch hinaus.“

Sie spürte Cedric of Valmeys innere Anspannung und fragte sich, ob Senlis’ Bemerkung eher ihm gegolten hatte als ihr. „Ihr meint also, er sei bescheiden?“

„Auch das meine ich.“ Senlis’ Augen funkelten boshaft.

In scharfem Ton erwiderte sie: „Ich kann einfach nicht glauben, dass Ihr behauptet, Euer Freund besitze keinen Ehrgeiz.“

Senlis lachte. „Das wollte ich damit nicht ausdrücken, Mylady.“ Ehrerbietig trat er einen Schritt zurück, verneigte sich und presste eine Hand auf sein Herz.

Cedric of Valmey lächelte über diese melodramatische kleine Szene. Aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Als er sich entschuldigte, fragte Senlis freundlich und herausfordernd zugleich: „Was, Ihr verlasst uns schon, Valmey?“

Ebenso herausfordernd erwiderte Cedric: „Ich werde zurückkehren, wenn ich eine Möglichkeit sehe, allein mit Gwyneth of Northumbria zu sprechen.“

Nun müsste ich mich wohl geschmeichelt fühlen, dachte sie, empfand aber nichts dergleichen. Zweifellos war Cedric of Valmey ein Schurke, nicht nur, weil er Castle Norham überfallen hatte. Allerdings ein hübscher Schurke … Sie wandte sich zu Senlis. Auch er sah gut aus, zählte aber nicht zu den Bösewichten, was ein Blick in sein liebenswertes Gesicht bestätigte. In seiner Nähe konnte sie befreit atmen, zum ersten Mal, seit sie den Tower betreten hatte. Mit seinen blauen Augen und dem blonden Haar wirkte er weniger bedrohlich als ihr zukünftiger Gemahl. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag überlegte sie, wie viel einfacher ihr Leben wäre, wenn man ihn zu ihrem Bräutigam bestimmt hätte.

Er reichte ihr seinen Arm, und sie legte ihre Fingerspitzen darauf. Als er ihr einen Spaziergang vorschlug, stimmte sie bereitwillig zu. Leichthin sprach er über dies und jenes, erzählte Anekdoten, erwähnte die Eigenheiten der Leute ringsum und erklärte ihre verwandtschaftlichen Beziehungen untereinander.

„Und Cedric of Valmey?“, fragte Gwyneth beiläufig. „Ist er verheiratet?“

Senlis schüttelte den Kopf. „Nein, Mylady, aber ich glaube, er ist verlobt.“

„Und mit wem ist dieser Mann dort verheiratet? Ich glaube, das ist der Earl of Exeter.“

„Sehr gut! Wie es scheint, könnt Ihr Euch all die vielen Namen mühelos merken. Exeter ist mit Catherine of Kent verheiratet.“ Senlis warf ihr einen Seitenblick zu. „Offenbar interessiert Ihr Euch für das Thema Ehe.“

„Das ist doch nur natürlich.“

„Oh ja. Aber wenn Ihr dieses Thema weiterverfolgen wollt, solltet Ihr auch nach meinen Heiratsplänen fragen.“

Versuchte er, mit ihr zu flirten? Dieser Gedanke gefiel ihr. „Nun, Sir, wie sehen Eure Heiratspläne aus?“

„Ich habe keine“, entgegnete er. „So wie Valmey bin ich ledig. Und im Gegensatz zu ihm nicht verlobt.“

„Oh? Seid Ihr vielleicht zu wählerisch?“

„Nein.“ Traurig schüttelte er den Kopf. „Zu arm!“

„Sicher gibt es auch Frauen, die weniger Wert auf Reichtum legen als auf angenehme Manieren und ein ansprechendes Äußeres.“

„Aber es ist demütigend, wenn man nur wegen seines Gesichts geliebt wird.“

„Möchtet Ihr wegen Eurer Ländereien geliebt werden?“

Nachdenklich betrachtete er sie. „Nein“, sagte er langsam, „Ihr seid wirklich nicht schwachsinnig.“

Verwirrt wich sie seinem Blick aus, als sie an den niederschmetternden Anfang ihrer Bekanntschaft mit Beresford erinnert wurde. Dann schaute sie auf, und ihre Nervosität wuchs, denn plötzlich stand der Mann vor ihr, an den sie dachte. Ein seltsamer schmerzlicher Stich durchfuhr ihr Herz. Er hatte sich umgekleidet, und irgendjemand hatte ihn rasiert und versucht, sein Haar in Ordnung zu bringen. Seine Tunika sah zwar nicht modisch aus, aber sauber und nicht so fadenscheinig wie jene andere. Trotz dieser eindeutigen Verbesserungen wirkte er indes so furchterregend wie eh und je.

Sein Blick richtete sich nun auf Senlis. „Besten Dank, Geoffrey“, sagte er freundlich, aber seine Miene strafte diesen Tonfall Lügen. „Es war sehr nett von dir, meiner Braut Gesellschaft zu leisten, während ich mich mit Adela unterhielt.“

„Gern geschehen, Simon“, erwiderte Senlis höflich, dann warf er seinen Köder aus. „Gerade haben wir über die Ehe gesprochen.“

Aber Beresford biss nicht an. Er war gekommen, um Gwyneth zu Tisch zu führen, und das sagte er auch. Ohne ein Abschiedswort ergriff er ihre Hand und geleitete sie zur königlichen Tafel. Ein geschicktes Manöver, dachte sie und vermutete, dass er schon viele Gegner auf ähnliche Weise entwaffnet haben musste. Und sie gewann noch eine Erkenntnis. Seine üblichen schlechten Manieren konnten ihm auch Vorteile bringen, denn nichts in seinem Verhalten ließ auf Eifersucht oder Ärger über ihr angeregtes Gespräch mit Senlis schließen. Er war eben einfach Simon of Beresford.

Warum verspürte sie dann Gewissensbisse? Dafür gab es natürlich keinen Grund, denn sie schuldete Beresford überhaupt nichts. Wahrscheinlich war sie nur etwas verwirrt, weil ihre angenehme Konversation mit einem charmanten Mann ein so abruptes Ende gefunden hatte. Dieser Gedanke stärkte ihr Selbstvertrauen.

Sie erreichten den Tisch und setzten sich, nachdem sie belanglose Floskeln ausgetauscht hatten, so wie jedes Paar auf der Suche nach seinem Platz an der Tafel. Gwyneth machte sich mit Walter Fortescue bekannt, der zu ihrer Linken saß. Mittlerweile zog Beresford sein Messer aus der Lederscheide an seinem Gürtel und legte es zwischen das Schneidebrett und den Kelch, den er mit seiner Braut teilen würde. An diesem Abend genossen sie die Ehre, auf dem Podest an der Stirnseite der Halle zu sitzen – natürlich nicht direkt neben dem König und seiner Mätresse. Aber Gwyneth hatte einen Platz in Stephens Nähe bekommen, und sollte es dem Herrscher gefallen, würde er ihr sogar ab und zu einen besonderen Leckerbissen reichen können.

Sie wandte sich wieder zu Beresford. Bisher war er ihrem Blick ausgewichen, aber nun schaute er ihr eindringlich in die Augen. Das verblüffte sie, und sie fühlte sich bemüßigt, das Schweigen zu brechen. „Morgen besuche ich Euch in Eurem Stadthaus“, begann sie und glaubte, dies wäre ein geeignetes Thema für ein Tischgespräch. „Adela wird eine Eskorte für mich bereitstellen.“

Darauf gab er keine Antwort und starrte sie nur an. Schließlich murmelte er etwas Unverständliches und schaute wieder weg. Ihr Besuch interessierte ihn offenbar nicht sonderlich, aber er hatte die Mitteilung wenigstens zur Kenntnis genommen.

Der König bedeutete den Lakaien und Mundschenken, die Speisen zu servieren und die Kelche zu füllen. Den deftigen und würzigen Braten folgten Fischgerichte und allerlei Pasteten.

Die restliche Gesellschaft hatte sich inzwischen an den anderen Tischen niedergelassen, die u-förmig arrangiert waren.

Während der reichhaltigen Mahlzeit wechselten Beresford und Gwyneth notgedrungen ein paar Worte, denn es gehörte zu den Pflichten eines Herrn, seiner Tischdame die besten Bissen zu offerieren. Er zeigte sich höflich und aufmerksam, aber das war auch schon alles, und das Gespräch drehte sich nur um belanglose Dinge.

Irgendetwas bewog Gwyneth schließlich, Beresford zu bitten: „Erzählt mir von Euren Söhnen.“

Soeben hatte er ein Stück Fleisch mit seinem Messer aufgespießt. Er nickte bereitwillig und fragte: „Was möchtet Ihr wissen?“ Bei dieser Frage bot er ihr einen appetitlichen Bissen an.

Ehe sie sein Messer entgegennahm, schlug sie vor: „Vielleicht solltet Ihr mir zuerst verraten, wie sie heißen und wie alt sie sind.“

„Elias ist fünfzehn, Laurence dreizehn, Daniel zehn, Benedict acht und Gilbert sechs.“

Während er sprach, aß sie das Stück Fleisch, das er ihr gereicht hatte. Sie versicherte, der Lammbraten schmecke köstlich, dann fragte sie verwirrt: „Lady Chester sagte mir, dass Ihr drei Söhne habt.“

„Nein, fünf.“

„Dann ist Lady Chester offensichtlich falsch informiert.“

Er runzelte die Stirn. „Drei Söhne stammen von Roesia, meiner verstorbenen Frau. Vielleicht dachte Lady Chester nur an diese Kinder. Elias, Laurence und Daniel sind schon lange in anderen Burgen, um dort erzogen und ausgebildet zu werden. Laurence und Daniel werden von Valentine, Roesias Bruder, unterrichtet, während Elias in Fortescues Haushalt dient. Benedict und Gilbert leben noch bei mir, aber Benedict wird bald ausziehen.“

Beinahe hätte sich Gwyneth an ihrem nächsten Bissen verschluckt. Seine unehelichen Kinder schockierten sie nicht. Aber es überraschte sie, dass er die beiden anerkannte und auch noch so freimütig darüber sprach. Nach den Lügen und Finten, die Canute angewandt hatte, wusste sie nicht recht, wie sie sich gegen einen so wahrheitsliebenden Mann behaupten sollte.

Aber vorerst musste sie sich nicht vor ihm schützen, sondern nur Konversation machen und einigermaßen ihre Würde wahren. Es war wohl am besten, auf ihn einzugehen. Und wenn er gern über seine Söhne sprach, würde sie ihm aufmerksam zuhören. Offenbar war Elias, der älteste, noch vor Beresfords Hochzeit geboren worden. Laurence und Daniel mussten zu seinen ehelichen Söhnen von Roesia zählen, und Gwyneth beschloss herauszufinden, wer der dritte war. „Wird auch Gilbert zu Valentine ziehen?“

Das bestätigte Beresford, also musste der achtjährige Benedict der zweite illegitime Sohn sein.

Als dieses Thema erschöpft war, erkundigte sie sich: „Habt Ihr keine Töchter?“

„Die eine wurde tot geboren, die andere starb einen Tag nach ihrer Geburt.“

„Oh, das tut mir leid.“

„So ist das nun mal auf dieser Welt“, erwiderte er emotionslos.

Ihre Blicke trafen sich, und Gwyneth’ Herz schlug schneller. Seine Gleichmut erschreckte sie. In diesem Augenblick erhob sich der König. Die Hauptgänge waren serviert worden, und der Zeitpunkt eignete sich, um die Mahlzeit mit einer Verlautbarung zu unterbrechen. Lächelnd hielt Stephen seinen Weinkelch hoch. „Verehrte Tischgäste, es ist mir eine große Freude, die baldige Hochzeit zwischen Gwyneth of Northumbria und Simon of Beresford bekannt zu geben.“

Alle prosteten einander zu, mehrere Trinksprüche wurden ausgebracht. Inzwischen war der Wein in Strömen geflossen, und so erklangen auch einige zweideutige, schlüpfrige Bemerkungen, die indes durchaus im Rahmen blieben. Danach sang der König ein Loblied auf Beresfords Tugenden, die nicht immer deutlich sichtbar, dafür aber umso spürbarer seien. Diese unsichtbaren Vorzüge verglich er mit höchst sichtbaren Qualitäten. Lebhafter Beifall belohnte diesen kleinen Vortrag, danach erwähnte der Herrscher das St.-Barnabas-Turnier. Nun applaudierte man viel enthusiastischer. Geduldig wartete er, bis der Jubel verstummte, dann gab er zu bedenken, es sei schwierig, während der Vorbereitungen für das Turnier eine Hochzeit zu planen – zumal auch noch das Dreifaltigkeitsfest bevorstand. Zu guter Letzt erklärte er: „Deshalb werden wir Gwyneth’ und Simons Hochzeit in fünf Tagen feiern.“

Fünf Tage! Offenbar war die beabsichtigte Wirkung doch verfehlt worden, als Gwyneth die Mätresse des Königs auf Beresfords Missfallen an der Heirat hingewiesen hatte. Ganz im Gegenteil – wahrscheinlich hatte sie damit alles nur noch beschleunigt.

Gwyneth musste sich zwingen, Adela nicht anzustarren, denn sie fürchtete, ein anklagender Blick würde ihre Gefühle verraten. Und so setzte sie eine unbefangene Miene auf und wandte sich ihrem Bräutigam zu.

Wie sie seinem Gesicht entnahm, war er genauso bestürzt wie sie selbst. Gekränkt über seine wenig schmeichelhafte Reaktion, vergaß sie ihr eigenes Missvergnügen und ihre Angst. Wenn er seinen Unmut so deutlich zeigte, konnte er sie genauso gut in aller Öffentlichkeit verprügeln. Denn einer Ehefrau, die ein normannischer Earl so widerstrebend geheiratet hatte, würde niemand Respekt zollen. Oder sollte sie sich wünschen, er würde sie einfach töten? Ein schnelles, blutiges Ende wäre einem langsamen, unblutigen Tod bei Weitem vorzuziehen – denn sie würde ganz sicher vor Scham sterben.

Aber sie schreckte nicht vor seinem vernichtenden Blick zurück, sondern schenkte ihm ein freundliches Lächeln, das ihre Worte allerdings Lügen strafte. „Falls Ihr mich jetzt beleidigt, Simon of Beresford“, sagte sie so leise, dass niemand anderer es vernehmen konnte, „indem Ihr Euer Missfallen an unserer überstürzten Hochzeit bekundet, bringe ich Euch um.“

5. KAPITEL

Beresford wusste gar nicht, wie er sie hätte beleidigen können, aber diese Frage ignorierte er. Viel interessanter erschien ihm die neue Atmosphäre, in der das Gespräch nun stattfand und die ihm vertraut war. Diese Demonstration weiblicher Blutrünstigkeit gefiel ihm. Welch ein Unterschied zu Roesias Gewinsel und ihren Schmeicheleien! Nie hatte sie ihn mit ihrer Stärke herausgefordert, immer nur mit ihrer Schwäche irritiert. Hingegen klang Gwyneth’ Drohung energisch und unmissverständlich. Und das aus dem Mund einer zarten Frau – sehr verwirrend …

Da er in höfischen Verhaltensweisen nicht sonderlich bewandert war, hatte er keine Ahnung, was er nun tun sollte. Jedenfalls musste das, was er nun tat, auf die neugierigen Zuschauer und Gwyneth verschiedene Wirkungen ausüben. Er ergriff ihre schmalen Finger und wog sie in seiner Handfläche, als wollte er einen Dolch balancieren. „Würdet Ihr mich vergiften oder erstechen – oder mit Euren bloßen Händen töten?“

Diese mannhafte, herausfordernde Frage schmeckte seltsam und köstlich auf seinen Lippen, weil er sie an eine Frau richtete. Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er ihre Hand herum und küsste die helle Haut über den Fingerknöcheln. Diese Geste – eher zärtlich und respektvoll als elegant – animierte das Publikum zu anerkennenden „Ooohs“ und „Aaahs“.

Nach einer Weile ließ er Gwyneth’ Hand los. „Oder soll ich weiterleben, Mylady?“

„Vorerst“, wisperte sie.

Er umfasste seinen Kelch, nahm einen Schluck und reichte ihn seiner Braut. Dabei drehte er ihn so herum, dass ihr Mund den Rand des Gefäßes dort berühren musste, wo er getrunken hatte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als diese Stelle an die Lippen zu setzen. Und er empfand eine gewisse Genugtuung, weil er sie in die Defensive getrieben hatte.

Autor

Julie Tetel
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Elizabeth Henshall
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