Historical Lords & Ladies Band 90

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LORD MEINER SEHNSUCHT von MARY NICHOLS
Ein Leben an der Seite von Mark Wyndham, davon träumt Jane. Aufopferungsvoll kümmert er sich mit ihr um ihr Herzensprojekt: ein Waisenhaus. Und als Mark ihr bei einem Frühlingspicknick tief in die Augen blickt, begreift Jane, dass auch er sie begehrt. Doch sie darf ihn nicht lieben – er ist der Verlobte ihrer Schwester!

WER SIND SIE, MADAME FORTUNE? von DIANE GASTON
Getarnt als Madame Fortune genießt Lady Celia die rauschenden Nächte im Masquerade Club. Der Inhaber John Rhysdale entführt sie in eine Welt ungeahnter Sinnlichkeit. Aber ihr Traum kann jederzeit enden – nämlich dann, wenn John herausfindet, dass sie hinter der Maske steckt!


  • Erscheinungstag 25.02.2022
  • Bandnummer 90
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511223
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Mary Nichols, Diane Gaston

HISTORICAL LORDS & LADIES BAND 90

1. KAPITEL

Das Dorf Hadlea in der Grafschaft Norfolk, Frühling 1817

Steh doch bitte endlich still, Issie“, sagte Jane. „Wie soll ich denn den Saum abstecken, wenn du ständig von einem Fuß auf den anderen trittst? Und hör bitte auf, dich im Spiegel zu bewundern. Wir wissen doch alle, was für eine schöne Braut du sein wirst.“

Wochenlang hatten sie hin und her überlegt, welchen Stil und Stoff und welche Farbe sie wählen sollten, bevor sie sich endlich für die schwere rote Seide entschieden, und dann wussten sie immer noch nicht, wer das Kleid nähen sollte. „Am besten machst du es“, hatte Isabel zu ihrer Schwester gesagt. „Du nähst ebenso gut wie jede Londoner Modistin, und um vieles besser als die arme Miss Smith.“

Jane lachte. „Na gut, aber Miss Smith soll die einfachen Näharbeiten ausführen. Sie ist auf die Arbeit angewiesen.“ Das ältere Fräulein kam dreimal die Woche aus dem Dorf, um Unterröcke für die Damen des Hauses zu nähen, zerrissene Kleidung zu flicken und die Bett- und Tischwäsche in Ordnung zu halten.

Jane bemühte sich nach Kräften, bei den Hochzeitskosten zu sparen. Ihre Mutter war fest entschlossen, die Hochzeit des Jahres zu feiern, obwohl Sir Edward sie gebeten hatte, nicht zu extravagant zu planen. Jane war wahrscheinlich die Einzige in der Familie, die seine Einwände überhaupt beachtete. Aber Isabels Hochzeit sollte großartig werden, und sie würde ihr Bestes dafür tun. Sie hatte sich mit dem Kleid große Mühe gegeben, bis es perfekt passte. Es hatte eine modisch hohe Taille, die langen Ärmel waren oben locker und am Unterarm anliegend, der Ausschnitt verlief herzförmig und der fließende Rock war bestickt mit rosafarbenen und weißen Rosen. Jetzt musste sie noch den Saum umnähen und die Verzierungen am Ausschnitt und den Ärmeln anbringen – meterweise Bänder und Spitzenborten, dazwischen kleine farbige Perlen. Alles musste von Hand mit winzigen, unauffälligen Stichen angenäht werden – eine ziemlich mühselige Arbeit. Jane gab gern ihre Zeit dafür her und missgönnte ihrer Schwester ihr Glück nicht, obwohl es für sie selbst ein Opfer bedeutete.

Isabel würde Mark Wyndham heiraten, den Sohn und Erben Lord Wyndhams, der mit seinen Eltern weniger als drei Meilen entfernt auf Broadacres lebte. Die Familien waren seit vielen Jahren befreundet und besuchten einander häufig. Seit Jahren war eine Heirat zwischen Mark und Isabel beschlossene Sache, obwohl Mark erst nach seiner Rückkehr vom iberischen Feldzug gegen Napoleon seinen Antrag gemacht hatte. Dort hatte er sich als Berater von Sir Arthur Wellesley ausgezeichnet, dem heutigen Duke of Wellington. Beide Familien waren erfreut über die Verlobung, und der Vater der Mädchen war erleichtert, dass Isabel keine alte Jungfer werden würde … so wie ihre Schwester Jane.

Abgesehen von ihrem Vater, war Jane die Einzige in der Familie, die begriff, dass sie über ihre Verhältnisse lebten. Ihr Einkommen reichte eigentlich nicht aus, um ihren Lebensstil zu finanzieren. Der Besitz war heruntergewirtschaftet – Zäune blieben ungeflickt und Wassergräben ungereinigt, einige der Cottages mussten ausgebessert werden, und auch das große Haus bedurfte dringend einer Renovierung. Greystone Manor war ein wunderschönes altes Gebäude, das schon vielen Stürmen standgehalten hatte – doch drinnen war es schrecklich zugig, und im großen Gesellschaftsraum war es im Winter eisig und auch im Sommer nicht warm. Die Steinfliesen in der riesigen Küche und Milchkammer waren eine Zumutung für die Füße der Dienerschaft. Die Familie benutzte gewöhnlich den kleineren Salon als Wohnzimmer und den Frühstücksraum als Speisezimmer, außer bei gesellschaftlichen Anlässen. Heute arbeiteten die Schwestern in Isabels Zimmer, von dessen Fenster aus man die Auffahrt überblicken konnte. Draußen schien warm und einladend die Frühlingssonne, und machte Hoffnung auf eine gute Ernte, mit der sie die Verluste vom letzten Jahr ausgleichen konnten.

„So, das war’s“, sagte Jane. „Du kannst es jetzt ausziehen, und ich gebe es heute Nachmittag weiter an Miss Smith. Sie soll den Saum nähen, und ich übernehme das Kräuseln der Volants für den Rock.“

Sie half Isabel aus dem Kleid und faltete es ordentlich zusammen für die Näherin.

Isabel umarmte sie. „Du bist so gut, Jane. Ich wäre gern wie du. In allem bist du so klug und geschickt, egal ob beim Nähen oder Kochen oder beim Umgang mit den Dienstboten. Und mit den Dorfkindern kommst du auch gut zurecht. Du solltest heiraten und eigene Kinder haben.“

„Nicht alle Frauen heiraten, Issie.“ Jane wusste wie jeder andere, dass sie mit siebenundzwanzig längst über das Heiratsalter hinaus war. Ihre Rolle im Leben war die einer Helferin ihrer Mutter, sie bereitete die Hochzeitsfeier ihrer Schwester vor, beruhigte Issie, wenn sie sich mal wieder zu sehr aufregte, und bremste die Verschwendungssucht ihres Bruders. Da sie sich auch in dem nahe gelegenen Dorf Hadlea sozial engagierte, hatte sie viel zu tun und wenig Zeit, ihren Status als alte Jungfer zu beklagen.

„Aber bestimmt wünschst du es dir manchmal?“

„Eigentlich nicht. Ich bin zufrieden mit meinem Leben.“

„Hast du nie einen Antrag bekommen?“

Jane lächelte, aber sie antwortete nicht. Vor zehn Jahren hatte es jemanden gegeben, aber daraus war nichts geworden. Ihr Vater war dagegen gewesen, weil der junge Mann weder Titel noch Vermögen hatte, aus keiner angesehenen Familie stammte und zu keinen großen Hoffnungen Anlass gab. Sie würde einen Besseren finden, hatte ihr Vater gesagt. Der war aber nie gekommen, und der einzige Mann, für den sie Gefühle hatte, erwiderte sie nicht. Es war ihr Geheimnis, das sie noch nie jemandem anvertraut hatte. Sie war nicht schön, und im Vergleich zu ihren jüngeren Schwestern war sie nur eine graue Maus: nett, aber unscheinbar.

Wie es ihren Eltern gelungen war, drei so unterschiedliche Mädchen zu produzieren, konnte sie nicht ergründen. Jane und Isabel hatten beide dunkles Haar, aber damit endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Jane war überdurchschnittlich groß, hatte markante Gesichtszüge, kräftige Augenbrauen und ein energisches Kinn. Isabel, die sechs Jahre Jüngere, war die Familienschönheit. Sie war etwas kleiner und üppiger als Jane, ihr Gesicht war runder und sie zeigte offen ihre Gefühle. Bisweilen war sie trotzig, aber ihre Tränen waren immer schnell vergessen, denn meistens war sie fröhlich. Jane war eher besonnen und behielt ihre Gefühle für sich. Sophie hingegen war blond und blauäugig und hatte mit siebzehn ihren „Babyspeck“, wie ihre Mutter es nannte, noch nicht verloren.

„Tue ich das Richtige?“, fragte Isabel plötzlich und legte sich im Unterrock auf das Bett.

„Was meinst du damit?“

„Indem ich Mark heirate.“

„Du zweifelst doch wohl hoffentlich nicht daran, Issie?“

„Es ist ein großer Schritt. Ich frage mich ständig, ob ich ihn glücklich machen werde, und ob ich mit ihm zufrieden leben kann.“

„Aber du kennst ihn doch schon dein ganzes Leben lang. Du weißt, dass er groß ist und gut aussieht, dass er aufmerksam, rücksichtsvoll und großzügig ist und dich gern verwöhnt. Was sonst kannst du dir noch wünschen?“

„Das ist es ja gerade. Vielleicht kenne ich ihn zu gut. Und vielleicht habe ich den Mann nur noch nicht getroffen, in den ich mich leidenschaftlich verlieben könnte.“

„Isabel, jetzt redest du Unsinn. Die große Liebe ist doch nur ein Märchen, ein romantischer Traum. Es ist viel besser, einen zuverlässigen Mann zu heiraten, der immer zu dir halten wird.“ Isabels plötzliche Zweifel bekümmerten Jane. Sie hatte ihre ganze Willenskraft aufbringen müssen, um ihrer Schwester zur Verlobung Glück zu wünschen, aber dann hatte sie sich voll und ganz in die Hochzeitsvorbereitungen gekniet.

„Auf Mark kann ich mich verlassen, das stimmt“, sagte Isabel. „Aber er ist wie ein Bruder für mich.“

„Mark ist alles andere als ein Bruder.“

„Und dafür danke ich Gott! Ein Teddy reicht vollkommen.“ Teddy war ihr Bruder.

Sie lachten beide, und die Spannung löste sich. Jane half ihrer Schwester in das Tageskleid, bürstete ihr die Haare und band sie zurück. Draußen hörten sie jemanden ankommen, und Isabel ging neugierig zum Fenster. „Es ist Teddy“, sagte sie. „Meine Güte, wo hat er nur diesen Mantel her? Er sieht ja wie eine Hummel aus.“

Jane stellte sich zu ihrer Schwester an das Fenster. Ihr Bruder, der altersmäßig zwischen ihr und Isabel war, stieg gerade von dem Einspänner, den er im Fox And Hounds, der Dorfgaststätte, gemietet hatte, wo er vermutlich von der Postkutsche aus London vor einer halben Stunde abgesetzt worden war. Sein Mantel – ein Cutaway mit breiten Revers – war braun-gelb gestreift, die Hose dazu rehbraun, die Weste gelb mit roten Punkten. „Dazu wird Papa sicher etwas zu sagen haben“, meinte sie.

Sie stiegen gerade die Treppe hinab, als ein Diener ihm die Tür öffnete. Teddy schwenkte seinen braunen Biberhaar-Zylinder vor ihnen. „Jane. Isabel. Ich hoffe, es geht euch beiden gut.“

„Sehr gut“, sagte Jane.

„Woher hast du diesen ungewöhnlichen Mantel?“, wollte Isabel wissen.

„Von Gieves, woher sonst? Gefällt er dir?“ Er drehte sich, um ihn vorzuführen. „Wo ist Papa? Ich muss mit ihm sprechen. Wie ist er gelaunt?“

„Oh Teddy. Sage nicht, dass du wieder gekommen bist, um ihn um Geld zu bitten“, klagte Jane. „Du weißt doch, was er beim letzten Mal gesagt hat.“

„Nun, von dem Gehalt bei Halliday’s kann kein Mensch anständig leben.“ Halliday And Son war eine bekannte Anwaltsfirma, die ihre Praxis in Lincoln’s Inn Fields betrieb. Teddy hatte nach dem Universitätsstudium auf Wunsch seines Vaters dort angefangen, da dieser nicht wollte, dass sein Sohn ein Leben in Müßiggang führte. Allerdings befand er sich immer noch ganz unten auf der Rangliste der Firma und konnte keine so hohen Honorare verlangen wie seine Mentoren.

„Dann höre auf meinen Rat, Bruder“, fuhr Jane fort. „Lege diesen Mantel und die Weste ab, bevor du zu ihm gehst. Das wäre sonst ziemlich abträglich für dein Anliegen.“

„Weise gesprochen wie immer, Jane! Ich werde in mein Zimmer gehen und etwas Unauffälliges anziehen.“ Er nahm seinen kleinen Reisekoffer und rannte die Treppe hinauf.

„Er hat sich nicht geändert“, meinte Isabel.

„Nein, leider nicht. Ich fürchte, uns steht heute ein ungemütliches Dinner bevor.“

Jane sollte mit ihrer Prognose recht behalten. Ihr Bruder trug zwar jetzt ein dunkelgraues Jackett zu einer weißen Weste mit ebensolchem Halstuch, aber offensichtlich hatte er trotzdem keinen Erfolg bei seinem Vater gehabt. Teddy war gekränkt, Sir Edward wütend und Lady Cavenhurst beunruhigt. Jane und Isabel bemühten sich, die Stimmung aufzulockern, indem sie über die Hochzeit und Neues aus dem Dorf sprachen, aber es gelang ihnen nicht. Es half auch nicht, dass Sophie wissen wollte, was eigentlich los war, und warum alle so ernste Gesichter machten. „Man könnte glauben, es wäre jemand gestorben“, sagte sie.

„Ja, ich“, sagte Teddy verdrießlich, worauf sein Vater verächtlich schnaubte und seine Mutter verzweifelt seufzte. Aber niemand gab eine Erklärung ab, und sie aßen schweigend weiter ihr Roastbeef. Nur gelegentlich wurde die Stille unterbrochen, wenn jemand höflich um die Sauciere oder den Salzstreuer bat.

Nach dem Essen zogen sich die Damen in den Salon zurück. Ein Hausmädchen brachte den Tee herein. „Ist Papa sehr böse auf Teddy?“, fragte Jane ihre Mutter.

„Er ist eher enttäuscht als wütend“, sagte Ihre Ladyschaft. Sie war eine attraktive Frau mit einer schlanken Figur und einer würdevollen Haltung, der man ihre neunundvierzig Jahre nicht ansah. „Teddy hatte ihm versprochen, nicht mehr so verschwenderisch zu sein, doch das ist ihm wohl nicht gelungen. Aber lasst uns das Thema wechseln. Es wird sich schon eine Lösung finden.“ Ihre Mutter verschloss ihre Augen gern vor allen Problemen, weil sie fest daran glaubte, dass sich immer alles irgendwie zum Besseren wenden würde.

Sie hatten noch nicht lange dort gesessen, als Sir Edward und Teddy sich zu ihnen gesellten. Teddy entschuldigte sich jedoch bald, Jane erhob sich ebenfalls und folgte ihm aus dem Zimmer. „Teddy“, sagte sie und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Steht es sehr schlecht um dich?“

„Könnte nicht schlimmer sein. Und der alte Mann will mir nicht helfen.“

„Oje, was wirst du tun?“ Sie gingen ins Lesezimmer und setzten sich auf das Sofa.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll. Du kannst mir wohl nicht zufällig helfen, Schwesterherz, oder?“

„Wie hoch sind deine Schulden?“

„Na ja …“, fuhr er zögernd fort. „Es sind hauptsächlich Spielschulden, und die müssen unbedingt beglichen werden.“

„Wie viel ist es?“

„Fünftausend – so ungefähr.“

„Fünftausend! Oh Teddy, wie konnte es so weit kommen?“

„Du weißt, wie es ist. Du gewinnst etwas, dann verlierst du etwas, und immer denkst du, dass du es wieder hereinholen kannst. Aber ich hatte Pech.“

„Wem schuldest du das Geld?“

„Lord Bolsover besitzt die größten Schuldscheine, ungefähr dreitausend Pfund, und ein paar andere fordern auch ihr Geld ein. Gieves und Hoby und der Weinhändler müssen noch warten.“

„Worauf? Dass du irgendwann eine Gewinnsträhne hast? Ich hätte ja gedacht, dass es wichtig ist, erst den Schneider und den Stiefelmacher zu bezahlen, weil sie davon leben müssen. Spielschulden sind rechtlich nicht einklagbar. Das solltest du doch wohl wissen.“

„Umso wichtiger, sie zuerst zu bezahlen! Spielschulden sind Ehrenschulden.“

„Ehre …! Teddy, wenn du Ehre im Leib hättest, würdest du Papas Rat beherzigen. Er hat immer sein Bestes für dich getan, aber er ist kein reicher Mann.“

„Das hat er mir auch gesagt.“ Teddy seufzte. „Er hat mir vorgeschlagen, eine reiche Frau zu heiraten, vorzugsweise eine Witwe, die alt und wohlhabend genug ist, um meine Verschwendungssucht aufzufangen.“

Jane musste lachen und sah erleichtert, dass die Lippen ihres Bruders ebenfalls zuckten. „Das hat er nur gesagt, weil er wütend auf dich ist.“

„Er meinte es ernst, Jane.“

„Und dir gefällt der Gedanke nicht?“

„Doch, durchaus, aber nur, wenn zu dem Geld auch ein hübsches Gesicht und eine gute Figur hinzukommt. Aber wo soll ich denn so eine Frau finden, die mich auch nimmt? Selbst wenn, dann dauert es seine Zeit, und die habe ich nicht. Hector Bolsover will sein Geld sofort.“

„Oh Teddy, was für ein Schlamassel!“

„Ich weiß. Kannst du mir nicht helfen?“

„Wo soll ich denn so viel Geld hernehmen?“

„Du hast doch noch das Erbe von Tante Matilda, oder?“

„Das ist aber meine Mitgift.“

„Du heiratest doch sowieso nicht, oder?“

Nur ein Bruder konnte so schonungslos sein. Es tat weh, aber sie ließ es sich nicht anmerken. „Möglicherweise nicht, aber ich habe andere Pläne mit meinem Erbe.“

„Wichtigere als die Rettung deines Bruders vor dem Tod im Wasser?“

Sie seufzte schwer. Seit sie im vorigen Jahr die zerlumpten, barfüßigen Kinder auf den Straßen Londons gesehen hatte, träumte sie davon, ein Waisenhaus für die Kinder der im Krieg gefallenen Soldaten zu eröffnen. Einer der kleinen Bettler hatte ihr seine herzzerreißende Geschichte erzählt: Sein Vater war im fernen Portugal in einer Schlacht gefallen, und seine Mutter war seitdem gezwungen, als Dienstmädchen in einem Haushalt zu arbeiten, in dem Kinder nicht willkommen waren. Sie musste bei ihren Dienstherren leben und konnte die beiden kleinen Zimmer nicht mehr behalten, in denen sie vorher gemeinsam gewohnt hatten. Seitdem schlief der Kleine in Hauseingängen oder unter Bäumen im Park. „Es geht schon“, sagte er und streckte bittend seine Hand aus.

Sie hatte sich gefragt, wie viele andere Kinder so leben mussten, ohne ein Zuhause, anständige Kleidung und ausreichend zu essen zu haben. „Die Regierung sollte sich um sie kümmern“, hatte sie zu ihrer Mutter gesagt und dem Kind ein Sixpencestück gegeben. „Schließlich haben ihre Väter für König und Vaterland gekämpft. Und so belohnt man sie. Es ist eine Schande.“

„Ich wüsste nicht, was wir dagegen tun könnten.“

„Zum Beispiel mit Sir Mortimer sprechen, unserem Abgeordneten, und er könnte es auf die Tagesordnung im Parlament setzen. Oder wir könnten Geld sammeln, um den Kindern ein Zuhause zu geben.“

„Das klingt wie ein schwieriges Unterfangen“, hatte ihre Mutter seufzend gesagt.

Und so hatte Jane ihren eigenen Kreuzzug begonnen, aber es gelang ihr nicht, die Regierung zum Handeln zu bewegen. Sie wollte ein Zeichen setzen. Kein großes, denn das konnte sie sich nicht leisten, aber sie wollte zumindest in ihrer Umgebung etwas bewirken. Ihr schwebte eine kleine Internatsschule für ein gutes Dutzend Kriegswaisen vor. Ihre fünftausend Pfund würden für diese Zwecke nicht ausreichen, darum hatte sie bereits Reverend Mr Henry Caulder und seine Frau dazu bewegt, ihr beim Spendensammeln zu helfen. Sie wollte auch ihr eigenes Geld einbringen, doch wenn sie Teddy jetzt ihr Erbteil überließ, wären ihre Pläne am Ende, bevor sie wirklich damit begonnen hatte.

„Könntest du nicht Lord Bolsover um mehr Zeit bitten, bis uns etwas einfällt?“, erkundigte sie sich.

„Du kennst Seine Lordschaft nicht, sonst würdest du das nicht vorschlagen.“

„Wenn er so ein unangenehmer Mensch ist, warum gibst du dich dann mit ihm ab?“

„Er gehört zu meiner Gruppe von Spielern.“

„Teddy, du bist ein Dummkopf – kein Wunder, dass Papa böse auf dich ist.“

„Meinst du, du kannst ihn überreden? Auf dich hört er. Ich würde für immer in deiner Schuld stehen.“

Sie lachte. „Du hast schon genug Schulden, Teddy, aber ich will sehen, was ich bei Papa für dich tun kann. Nur nicht heute Abend. Gib ihm Zeit, sich zu beruhigen. Wie lange bleibst du?“

„Ich kann mein Gesicht nicht in London zeigen, bis ich wenigstens Bolsover bezahlen kann.“

„Und was ist mit deiner Stellung bei Halliday’s?“

„Welche Stellung?“

Jane war völlig entgeistert, obwohl sie normalerweise nicht leicht zu erschüttern war. „Oh Teddy, willst du damit sagen, dass du entlassen wurdest? Dann wundert es mich nicht, dass Papa wütend ist.“

„Er weiß es noch gar nicht. Habe mich nicht getraut, es ihm zu sagen. Wenn du mir nicht hilfst, muss ich ins Ausland gehen, nach Indien oder so.“

„Das würde Mama das Herz brechen. Und wir würden alle mit dieser Schande leben müssen. Isabel heiratet in einem Monat. Was würde wohl Mark zu dem Skandal genau zum Zeitpunkt seiner Hochzeit sagen? Geh jetzt, Teddy. Mache dich irgendwo nützlich und lass mich überlegen.“

Er stand auf und ging. Leider fiel ihr keine andere Lösung ein, als ihr Erbe aufzugeben. Doch der Gedanke, dass die Waisenkinder wegen der Selbstsucht ihres Bruders weiter leiden mussten, war kaum zu ertragen. Immer war sie nachsichtig gegenüber den Schwächen ihres Bruders gewesen, aber dieses Mal war er wirklich zu weit gegangen. Wenn es nicht um den Kummer ihrer Mutter und die Hochzeit ihrer Schwester ginge, würde sie ihn schmoren lassen.

„Wenn das nicht Drew Ashton ist“, rief Mark aus, als er seinen alten Freund auf dem Piccadilly auf sich zukommen sah. „Wo hast du dich versteckt? Es muss Jahre her sein, seit wir uns zuletzt gesehen haben.“

„Ich war in Indien, bin gerade heimgekehrt.“

„Und du siehst sehr gut aus, muss man sagen.“ Mark musterte den anderen Mann anerkennend von oben bis unten. Er trug einen perfekt geschneiderten Rock von klerikalem Grau, eine bestickte Weste, dazu ein präzise geschlungenes Halstuch mit Diamantnadel, ein Monokel mit Perlmuttgriff an einer Kette um den Hals, und eine goldene Taschenuhr. Die Hose saß faltenlos und die Stadtschuhe waren glänzend poliert.

„Früher warst du nicht so elegant.“

„Es ist mir gut ergangen da drüben. Aber du siehst auch nicht schlecht aus. Was hast du so gemacht? Wie geht es deiner werten Mutter und Lord Wyndham?“

„Beiden geht es gut. Was mich anbetrifft – ich war mit Wellington auf dem Feldzug in Portugal, bin dann später nach der Schlacht bei Waterloo heimgekehrt, war dann in Indien, und werde mich bald verheiraten. Zurzeit bin ich in London, um mit meinen Anwälten ein paar Punkte des Ehevertrags durchzugehen, außerdem möchte ich mir Kleider für die Hochzeit anpassen lassen.“

„Sicher hast du Zeit, um mit mir bei Grillon’s einen Happen zu essen?“

„Ja natürlich. Gerne.“

Sie gingen gemeinsam die Straße hinunter und betraten das Hotel, wo sie gleich einen Tisch zugewiesen bekamen.

„Erzähle mir doch“, sagte Mark, während sie auf das Essen warteten, „was hat dich eigentlich nach Indien verschlagen? Ich erinnere mich, dass du Broadacres ziemlich überstürzt verlassen hast. Es hatte hoffentlich nichts mit Mamas Gastfreundschaft zu tun?“

„Aber nein. Lady Wyndham ist eine ausgezeichnete Gastgeberin, bei der ich mich sehr wohlgefühlt habe. Doch ich musste mich um eine dringende Familienangelegenheit kümmern. Das habe ich dir damals aber erklärt.“

„Das hast du. Ich hatte es nur vergessen. Und was wirst du jetzt tun, da du zurück in England bist?“

„Ich beabsichtige, einen Anteil an einem Klipper zu kaufen und weiter Handel zu treiben. Das hat sich bisher gut bezahlt gemacht.“

„Du möchtest als Händler arbeiten, Drew?“

„Warum denn nicht? Ich trage meine Nase nicht so hoch, dass ich eine gute Gelegenheit in den Wind schlagen würde, ein Vermögen zu verdienen.“ Ein Kellner brachte duftende Schweinekoteletts, dazu eine große Schüssel mit Gemüse. Sie bedienten sich und aßen mit gutem Appetit.

„Also bist du jetzt ein richtiger Nabob?“, erkundigte sich Mark. Sein Freund sah wohlhabend aus und war sehr gut gekleidet.

„Das könnte man so sagen. Ich bin losgezogen mit der Absicht, ein Vermögen zu verdienen, und damit hatte ich Erfolg. Ich bin nicht mehr der arme Verwandte, der bemitleidet wird, weil keine junge Frau von Stand ihn nehmen würde.“

„So war es doch bestimmt nicht, Drew.“

„Oh doch, glaube mir. Die junge Lady, die ich gern geheiratet hätte, rümpfte nur die Nase über mich. Ich war ihr nicht gut genug.“

Mark hörte leisen Groll in der Stimme seines alten Freundes. „Andere Mütter haben auch schöne Töchter.“

„In der Tat. Allerdings habe ich, im Gegensatz zu dir, nicht vor, mich so schnell an die Kette legen zu lassen.“

„Ich habe es auch nicht eilig. Meine Zukünftige und ich kennen uns seit unserer Kindheit.“

„Erzähle mir von ihr. Ist sie schön? Hat sie ein angenehmes Temperament?“

„Ja zu beiden Fragen. Du kennst sie, Drew. Es ist Isabel Cavenhurst.“

„Cavenhurst!“

„Ja. Du klingst überrascht.“

„Oh nein“, sagte Andrew schnell. „Ich erinnere mich an den Namen. Leben die Cavenhursts nicht in der Nähe von Broadacres?“

„Ja. Auf der anderen Seite des Dorfes, in Greystone Manor. Als du bei uns zu Besuch warst, waren wir mehrmals dort, erinnerst du dich?“

„Ja, jetzt da du es sagst. Es waren drei junge Damen, von denen die jüngste ein Kind war und die mittlere noch die Schulbank drückte. Die Älteste war siebzehn oder achtzehn. Sie hieß Jane, an die anderen Namen erinnere ich mich nicht mehr.“

„Isabel ist die zweitälteste Tochter und mit Abstand die schönste, Sophie ist jung und entwickelt sich noch. Was Jane betrifft, hat sie viele bewunderungswürdige Eigenschaften, aber betörende Schönheit gehört nicht unbedingt dazu.“

„Also hattest du die volle Auswahl und hast die Mittlere gewählt und nicht die Älteste. Ist das nicht etwas ungewöhnlich?“

„Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Meinen Eltern läge es fern, mir vorzuschreiben, wen ich zu heiraten habe. Aber Jane hätte meine Aufmerksamkeiten gar nicht gewollt. Ich glaube, sie hat irgendwann eine Enttäuschung erlebt. Zwar kenne ich die Details nicht, aber sie hat sich eines Tages schlagartig aus der Gesellschaft zurückgezogen, und dann habe ich Isabel häufiger gesehen. Später bin ich nach Portugal gegangen und war sechs Jahre fort. Erst nach meiner Rückkehr habe ich mich mit Isabel verlobt.“

„Wann ist die Hochzeit?“

„Nächsten Monat. Am fünfzehnten.“

„Dann wünsche ich dir viel Glück.“

„Danke. Du musst auch kommen.“

„Ach, ich weiß nicht recht …“

„Außerdem könntest du dann etwas für mich tun.“

„Ja, was denn?“

„Jonathan Smythe sollte mein Trauzeuge sein, aber wegen eines Todesfalls in seiner Verwandtschaft hat er mich im Stich gelassen. Ich brauche jemanden, der mich zum Altar führt, sonst stehe ich ohne Trauzeugen da.“

„Nun, ich fühle mich zwar geschmeichelt, Mark, aber wieso ausgerechnet ich?“

„Weil ich sicher bin, dass du der Richtige bist als einer meiner ältesten Freunde. Wir kennen uns immerhin seit unserer Schulzeit! Sag mir, dass du es tun wirst, Drew.“

„Ich denke darüber nach.“

„Aber bitte nicht zu lange, denn ich fahre übermorgen zurück nach Norfolk, und vorher muss ich die Kleider für die Hochzeit bestellen. Hilfst du mir dabei? Wenn du Lust hast, kannst du mir auch gern dabei helfen, die Geschenke für meine Zukünftige und ihre Brautjungfern auszusuchen. Ich brauche einen Berater.“

Andrew lachte. „Eigentlich wollte ich heute nichts als ein gutes Dinner und vielleicht Karten spielen … und plötzlich soll ich mich mit diesen lästigen Dingen beschäftigen?“

„Wenn du mitkommst, spiele ich anschließend mit dir Karten. Wir könnten zu White’s gehen. Bist du dort Mitglied?“

„Nein, ich bin noch nicht sehr lange zurück. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass man mich ohne Sponsor akzeptiert.“

„Keine Sache, ich führe dich ein. Also, Hand darauf?“ Er legte sein Besteck zur Seite und streckte die rechte Hand aus.

Andrew drückte sie. „Nun gut. Morgen gehen wir einkaufen. Ich verspreche aber nicht, dass ich zu der Feier kommen werde.“

Mark lächelte zufrieden. Zweifellos würde es ihm gelingen, seinen Freund nach Broadacres zu holen, und dann wollte er auch herausfinden, warum er damals so plötzlich verschwunden war. Die Geschichte von der dringenden Familienangelegenheit glaubte er nicht, denn Andrew war nach dem Tod seiner Eltern von einer alten unverheirateten Großtante, seiner einzigen Verwandten, zu Pflegeeltern gegeben worden, bis er in die Schule kam. Drew hatte ihm von körperlichen und seelischen Misshandlungen erzählt. Es hatte Mark immer leidgetan, wenn alle Jungen in den Ferien nach Hause fuhren, und Andrew zurückbleiben musste. Er hatte ihn nach Broadacres eingeladen, aber ein Besuch war dem Jungen verboten worden. Erst als sie die Universität verlassen hatten, konnte er Andrew dazu bewegen, ihn zu besuchen.

Wenn es damals wirklich einen Notfall in seiner Familie gegeben hatte … Warum war Andrew dann plötzlich nach Indien gereist?

Nach dem Essen trennten sie sich mit dem Versprechen, sich sehr bald wieder zu treffen. Mark nahm eine Droschke, um zu Halliday And Son zu fahren, wo er den Sohn, Mr Cecil Halliday, wegen des Ehevertrags sprechen wollte. Mark wollte sicherstellen, dass Isabel genug Nadelgeld haben würde, um sich jederzeit Kleider und andere schöne Dinge kaufen zu können, ohne ihn darum bitten zu müssen. Er war, sich bewusst, dass Sir Edward in finanziellen Schwierigkeiten war und hatte daher auf die ihm zustehende Mitgift verzichtet. Als er in dem Anwaltsbüro eintraf, wunderte er sich, dass Teddy nicht im Vorzimmer saß.

„Wo ist Mr Cavenhurst?“, erkundigte er sich bei Cecil Halliday, nachdem sie sich in dessen Büro begrüßt hatten.

„Er arbeitet nicht mehr bei uns.“

„Das ist mir neu. Wohin ist er gegangen?“

Der Mann zuckte die Achseln. „Das weiß ich nicht. In seine Unterkunft? Oder vielleicht zurück nach Norfolk?“

„Was ist passiert?“

„Dazu darf ich Ihnen keine Auskunft erteilen, Sir.“

„Ich verstehe Ihre Zurückhaltung, aber es handelt sich um meinen zukünftigen Schwager. Ich nehme an, dass Sie auf seine Dienste verzichtet haben?“

„Das dürfen Sie annehmen“, sagte der Mann vorsichtig. „Mehr kann ich Ihnen aber nicht dazu sagen.“

„Selbstverständlich. Ich werde Sie nicht durch weitere Fragen in Verlegenheit bringen. Können wir jetzt zum Geschäftlichen übergehen?“

Nachdem er eine Stunde lang die Details des Ehevertrags geklärt hatte, machte sich Mark auf den Weg zu Teddys möbliertem Zimmer. Der junge Mann sei verschwunden, ohne die Miete zu bezahlen, teilte ihm die Pensionswirtin in betrübtem Ton mit. Mark beglich die Rechnung und kehrte zum Hotel zurück.

Er kannte Teddy schon sein ganzes Leben lang, sie hatten als Kinder zusammen gespielt und waren in dieselbe Schule gegangen. Teddy war vier Jahre jünger, darum hatten sie während der Schulzeit und dem anschließenden Studium wenig Kontakt gehabt. Dann war Mark der Armee beigetreten und nach Portugal gegangen, während Teddy den Posten bei Halliday And Son angetreten hatte. Erst in der letzten Zeit waren sie sich wegen den Hochzeitsvorbereitungen etwas häufiger begegnet.

Mark bemühte sich wirklich, Isabels Bruder zu mögen. Leider war Teddy dreist und unsensibel – der lang ersehnte einzige Sohn, der ein großes Erbe antreten würde. Besonders seine Mama hatte ihn zu sehr verwöhnt. Was hatte er bloß angestellt, um gekündigt zu werden? Was es auch war, Sir Edward würde sicher nicht erfreut darüber sein …

Später am Abend erhielt Mark Informationen, die ein deutlicheres Bild ergaben. Er traf sich mit Drew bei White’s und spielte mit zwei anderen Gentlemen eine Partie Whist. Einer der beiden war Toby Moore, ein ihm flüchtig bekannter Army Captain, der andere war Lord Bolsover. Mit diesen beiden Herren hätte er sonst wohl eher nicht gespielt, aber alle anderen Gentlemen waren schon mitten im Spiel, als er höflich gefragt wurde, ob er wohl „Vierter Mann“ sein wollte.

„Sie sind mit einem der Cavenhurst-Mädchen verlobt, nicht wahr?“, erkundigte sich Bolsover. Er war ein bis zwei Jahre älter als Mark und sehr extravagant gekleidet. Das dunkle Haar trug er kurz und in Löckchen über Stirn und Ohren gekämmt. Erstaunlicherweise war seine Hautfarbe ziemlich dunkel, obwohl er sicherlich viele Stunden an den Spieltischen verbrachte.

„Ja“, antwortete Mark. „Ich habe die Ehre, mit Miss Isabel Cavenhurst verlobt zu sein.“

„Die Hochzeit ist schon bald, nicht wahr?“

„In einem knappen Monat. Warum fragen Sie?“

„Neugier, mein Bester. Ich kenne Cavenhurst ziemlich gut.“

„Sir Edward?“

„Nein, nie gesehen. Ich meinte den Sohn. Wir haben ein paarmal zusammen gespielt. Leider ist er kein guter Verlierer. Vermutlich ist er nach Hause gerannt, um sich Geld zu besorgen. Hoffe, er schafft es bald, denn ich warte nicht gern.“

Das glaubte Mark sofort und fragte sich, wohin die Unterhaltung noch führen würde. „Zweifellos ist er wegen der Hochzeit nach Hause gefahren.“

„Jetzt schon? Das glaube ich nicht. Hoffentlich springt sein Vater ein, denn ich habe alle seine Schuldscheine aufgekauft. Teddy Cavenhurst hat offenbar nie etwas bar bezahlt.“

Mark erschrak, aber er zeigte es nicht, sondern lachte. „Sir Edward hat immer für seinen Sohn geradegestanden, keine Angst.“

„Ich habe aber erfahren, dass das Anwesen in keinem guten Zustand ist und Sir Edward nur mit Mühe über die Runden kommt“, sagte Bolsover nonchalant und öffnete das neue Päckchen Karten, das vor ihn auf den Tisch gelegt worden war.

„Wo haben Sie das gehört? Davon ist mir nichts bekannt.“

Seine Lordschaft lachte. „Befürchten Sie, dass die Mitgift der Lady in Gefahr ist?“

„Nein. Natürlich nicht. Ich weiß nicht, wo Ihre Informationen herkommen, aber Sie sollten demjenigen sagen, dass er sich irrt. Wollen wir jetzt spielen?“

„Sicher.“ Seine Lordschaft mischte die Karten und legte den Packen auf den Tisch. „Heben Sie ab, Mr Ashton, damit wir wissen, was Trumpf ist?“

„Ein zufriedenstellender Abend“, sagte Drew, als sie von White’s zur Jermyn Street liefen, wo er wohnte.

„Du musst ein geübter Spieler sein“, sagte Mark. „Neben dir hat Hector Bolsover keine gute Figur gemacht. Das wird ihm sicher nicht gefallen.“

„Was weißt du von dem Mann?“

„Nicht viel. Ich glaube, er ist unverheiratet und verbringt die meiste Zeit in Clubs und Spielhöllen. Man sagt, dass er nicht immer fair spielt, aber noch nie hat ihm jemand etwas nachweisen können. Wenn er Teddys Schuldscheine hat, könnte das für die Cavenhursts übel ausgehen.“

„Also hast du darüber nachgedacht?“

„Es bereitet mir Unbehagen.“

„Wegen der Mitgift?“

„Großer Gott, nein! Das ist meine geringste Sorge.“

„Sind wir immer noch verabredet, um die Hochzeitsgeschenke zu besorgen?“

„Natürlich.“ Sie blieben vor Drews Wohnhaus stehen. „Und kommst du danach mit nach Broadacres?“

„Habe ich das gesagt?“

„Nein, aber ich würde dir Isabel gern schon vor der Hochzeit vorstellen. Wir laden die Cavenhursts zum Supper ein.“

Drew lachte. „Wie könnte ich so ein Angebot ablehnen?“

Mark lachte und verabschiedete sich von seinem Freund. Zufrieden machte er sich auf den Weg zur South Audley Street, wo sich das Stadthaus der Wyndhams befand.

2. KAPITEL

Papa, hast du einen Moment Zeit für mich?“ Wie beinahe jeden Morgen saß Janes Vater in seinem Arbeitszimmer. Der Schreibtisch vor ihm war übersät mit Papieren.

„Ach, du bist es, Jane. Komm herein und setze dich. Ich dachte, es sei mein nichtsnutziger Sohn.“

Jane setzte sich auf den Stuhl, wo normalerweise der Gutsverwalter saß. „Es tut mir sehr leid, Papa. Er ist der Grund, warum ich hier bin.“

„Also hat er seine Schwester vorgeschickt, um ein gutes Wort für ihn einzulegen?“

„Er glaubt, dass du nicht ganz verstanden hast, wie tief er in Schwierigkeiten steckt.“

Sir Edward konnte darüber nur lachen. „Ich verstehe das alles nur zu gut, Jane. Er ist es, der nicht versteht, dass ich unmöglich auf seine ungeheuerlichen Forderungen eingehen kann, ohne den Rest der Familie an den Bettelstab zu bringen.“

Jane schnappte nach Luft. „Ist es wirklich so schlimm?“

„Noch schlimmer. Meine Investitionen sind fehlgeschlagen, letztes Jahr hatten wir eine Missernte, bei den Pächtern stehen Reparaturen an, und jetzt kommt auch noch Isabels Hochzeit auf uns zu. Wir müssen drastische Sparmaßnahmen ergreifen. Es tut mir leid, aber Teddy wird selbst eine Lösung finden müssen. Beim letzten Mal habe ich ihn gewarnt, dass ich ihm nicht mehr helfen kann, jetzt muss er lernen, dass ich es ernst meine.“

„Aber was soll er tun, Papa? Er ist noch jung und leicht zu beeinflussen. Natürlich will er es seinen Freunden gleichtun.“

„Dann sollte er seine Freunde sorgfältiger auswählen.“

„Papa …“ Sie stand auf und ging zur Tür, dann drehte sie sich noch einmal um. „Isabels Hochzeit ist aber nicht gefährdet, oder?“

„Nein. Ich denke, das schaffen wir noch.“

Sie verließ ihren Vater, ging jedoch nicht sofort zu ihrem Bruder, denn sie brauchte etwas Zeit, um über die Situation nachzudenken. Eins war klar: Sie würde ihr Erbteil opfern müssen, und je eher sie sich damit abfand, desto besser. Sie ging in ihr Zimmer, legte ein leichtes Schultertuch um und machte sich auf den Weg ins Dorf.

Hätte sie nicht den Kopf voll mit ihren Problemen gehabt, wäre der kurze Frühlingsspaziergang sehr angenehm gewesen. Die Sonne schien, die Vögel sangen, und die Hecken standen in voller Blüte. Das kleine Dorf Hadlea lag im Norden der Moorlandschaft von Norfolk. Es hatte nur eine Kirche, ein Pfarrhaus, eine Windmühle, zwei Gasthäuser und eine Anzahl kleinerer Häuser um den dreieckigen Dorfanger herum.

Jane ging zum Pfarrhaus, wo sie herzlich von der rundlichen Mr. Caulder begrüßt wurde. „Kommen Sie herein, Jane, ich lasse Tee und Kekse in den Salon bringen. Es wird auch Zeit, dass Henry aus seinem Studierzimmer kommt. Da sitzt er schon den ganzen Vormittag und schreibt seine Predigt für morgen.“

Mr. Caulder wuselte umher, gab Anweisungen und rief ihren Gatten, während Jane sich auf einem Stuhl niederließ und überlegte, wie sie erklären sollte, dass sie die versprochenen fünftausend Pfund doch nicht zur Verfügung stellen konnte. Die Wahrheit durfte aber nicht bekannt werden.

„Wie geht es Ihnen, meine Liebe?“, fragte Mr. Caulder. „Sind Sie zu Fuß gekommen?“

„Ja. Es ist so wunderschönes Wetter.“

„Auf jeden Fall. Ah, hier ist Henry ja schon.“

Der Pfarrer war mittelgroß und trug seine langen grauen Haare mit einem schwarzen Band zurückgebunden. Er strahlte Jane erfreut an. „Was für eine Freude, Sie zu sehen, meine liebe Miss Cavenhurst. Es geht Ihnen hoffentlich gut?“

„Sehr gut, danke. Aber leider habe ich schlechte Nachrichten.“

„Doch hoffentlich nicht wegen der Hochzeit?“, rief seine Frau erschrocken und reichte Jane eine Tasse Tee.

„Oh nein, nichts dergleichen. Es ist nur … ich kann dem Waisenprojekt leider die versprochenen fünftausend Pfund nicht geben.“ Sie zögerte und nahm dann Zuflucht bei einer Unwahrheit. „Ich habe herausgefunden, dass ich an das Geld nicht herankomme, bis ich entweder heirate oder in drei Jahren dreißig werde. Ich zermartere mir das Hirn, um einen Weg zu finden, ohne das Geld weiterzumachen.“

„Mein liebes Mädchen, schauen Sie nicht so niedergeschlagen drein, es ist ja nicht das Ende der Welt“, sagte der Pfarrer und setzte sich neben seine Frau, um auch eine Tasse Tee entgegenzunehmen. „Wir werden schon irgendwie ohne Ihr Geld zurechtkommen. Wir müssen eben einen anderen Förderer finden, vielleicht auch mehrere. Ich habe mich nie so ganz wohlgefühlt dabei, dass Sie uns alles geben wollten.“

„Das beruhigt mich ein wenig“, sagte Jane.

„Es gibt Waisenhäuser im ganzen Land, von denen einige besser geleitet werden als andere. Wir werden dort nachfragen, wie sie das machen und außerdem eine Liste möglicher Geldgeber erstellen. Bestimmt können Sie einige Leute zum Spenden bewegen. Es ist für einen guten Zweck, und Sie sind ziemlich überzeugend.“

Jane lachte und ihre Stimmung besserte sich.

Sie lächelte immer noch, als sie auf dem Heimweg über den Dorfanger ging. Gedankenversunken hielt sie den Kopf gesenkt und sah die beiden Männer erst, als sie direkt vor ihr standen.

„Jane, das trifft sich gut“, sprach Mark sie an.

Erschrocken schaute sie auf, und plötzlich fühlte sie sich um zehn Jahre zurückversetzt. Sie erkannte den Mann neben Mark sofort. Die Zeit war gut mit ihm umgegangen. Er sah groß und kräftig aus und war perfekt gekleidet in einen braunen Mantel und beigefarbene Wildlederhosen, die in glänzenden Reitstiefeln steckten. Eine goldene Uhrkette hing über der hellen Brokatweste, und ein großer Diamant funkelte an seinem Halstuch. All das fiel ihr auf, bevor sie aufschaute und ihm ins Gesicht sah. Es war sonnengebräunt, mit kleinen Lachfältchen in den Augenwinkeln.

„Du kennst doch noch Miss Cavenhurst, nicht wahr?“, fragte Mark. „Dies ist Jane, die Schwester meiner Verlobten.“

„Selbstverständlich erinnere ich mich“, sagte Drew und nahm den Hut ab. „Wie geht es Ihnen, Miss Cavenhurst?“

„Sehr gut, danke. Und selbst?“ Sie hatte sich oft gefragt, wie es sein würde, ihm wieder zu begegnen, und ob die frühere Anziehung noch da sein würde. Er war ein äußerst attraktiver Mann, der heute sehr viel selbstsicherer wirkte als damals, als sie ihn abgewiesen hatte.

„Ich bin bei guter Gesundheit, Miss Cavenhurst, und es freut mich, unsere Bekanntschaft zu erneuern. Es ist lange her.“

„Zehn Jahre“, sagte sie leise.

„Ja, und die ganze Zeit hatte ich nur das eine Ziel, eines Tages als vermögender Mann zurückzukehren.“

„Und – haben Sie es geschafft?“

„Ich denke schon.“

„Er ist jetzt ein Nabob“, sagte Mark lachend. „Aber unter der Oberfläche ist er immer noch derselbe Drew Ashton, den ich früher kannte. Er ist zu Besuch auf Broadacres und wird mein Trauzeuge sein.“

„Ich dachte, du hättest schon jemanden für diese Aufgabe“, sagte Jane und schaute ihn an. Er war nicht ganz so groß wie Drew und etwas schmaler, und er wirkte sehr städtisch neben seinem Freund.

„Das ist richtig, aber er kann leider nicht kommen. Als ich Drew zufällig in London begegnete, bat ich ihn einzuspringen.“

Sie wandte sich wieder an Drew. „Also sind Sie hier, um zu sehen, wie es uns allen in Hadlea geht, Mr Ashton. Wir sind eine ruhige Gemeinde, hier ändert sich nicht viel.“

„Außer, dass wir alle älter und weiser werden“, meinte er.

„Jane, ich muss unter vier Augen mit dir sprechen“, sagte Mark. „Vielleicht entschuldigt Drew uns für einen Moment?“

„Selbstverständlich“, sagte Drew. „Ich werde in der Zeit das Dorf erkunden.“ Er verbeugte sich vor Jane. „Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag, Miss Cavenhurst. Ich freue mich darauf, meine Bekanntschaft mit der übrigen Familie zu erneuern, während ich hier bin.“

Höflich neigte sie den Kopf. „Ihnen ebenfalls einen angenehmen Tag, Mr Ashton.“

Sie sah ihm nach, als er sich von ihnen entfernte, dann wandte sie sich an Mark. „Er sieht verändert aus, aber eigentlich ist er wie früher.“

„Nur viel reicher“, sagte Mark lachend.

„Worüber wolltest du mit mir reden?“ Sie mochte nicht über Andrew Ashton sprechen. Sein plötzliches Auftauchen war etwas, womit sie erst fertigwerden musste. Würde er mit ihr über die Vergangenheit sprechen, oder war die Sache für ihn abgeschlossen? Sie wollte eigentlich nicht gern daran erinnert werden.

Mark schien plötzlich unsicher zu sein. „Jane, ich habe Lord Bolsover getroffen, als ich in London war. Drew und ich haben eine Partie Whist mit ihm und einem seiner Freunde gespielt.“

Du willst mir sagen, dass Teddy ihm Geld schuldet, nicht wahr?

„Du weißt davon?“

„Zu mir kommt mein Bruder immer zuerst, wenn er in Schwierigkeiten ist.“

„Ich glaube, dass er Lord Bolsover eine beträchtliche Summe schuldet, und ich wüsste gern, wie viel es ist.“

„Mark, ich weiß, du meinst es gut, aber es würde Teddy nicht gefallen, wenn ich es jemandem verrate, nicht einmal dir. Wieso willst du das überhaupt wissen?“

„Lord Bolsover verbreitet überall das Gerücht, dass Teddy seine Schulden nicht bezahlt, und er will sein Geld auf Biegen oder Brechen. Er hat sogar angedeutet, dass er euch das Haus wegnehmen würde.“

Sie rang nach Luft. „So viel Geld ist es nun auch nicht, Mark. Das kann er nicht tun, oder?“

„Nicht, solange dein Papa am Leben ist, aber wenn Teddy erbt, sieht es anders aus. Isabel lebt dann bei mir, aber ich sorge mich um dich, deine Mutter und Sophie. Kann Sir Edward die Schulden begleichen?“

Sie zögerte. Schon einmal hatte sie heute die Unwahrheit gesagt, und gerade Mark wollte sie nicht anlügen.

„Komm schon, Jane. Ich gehöre doch bald zur Familie und möchte gern helfen, wenn ich kann. Ich werde niemandem weitersagen, was du mir erzählst.“

„Es geht nicht darum, ob Papa es kann oder nicht. Er weigert sich einfach.“

„Oje. Ist ihm denn klar, wie tief sein Sohn in der Patsche sitzt?“

„Ich weiß nicht, ob Teddy ihm alles gesagt hat. Wenn es wirklich so schlimm ist, wird Papa Schwierigkeiten haben. Ich werde versuchen, Teddy mit meinem eigenen Geld auszuhelfen, vielleicht beruhigt das Seine Lordschaft eine Zeit lang.“

„Jane, das kannst du nicht tun. Es ist doch deine Mitgift.“

Sie lächelte ihn ironisch an. „Es ist unwahrscheinlich, dass ich noch heirate, Mark, das wissen wir doch alle.“

„Unsinn. Du wärst eine perfekte Ehefrau, ich weiß doch, wie sehr du Kinder liebst.“ Er lachte. „Wenn ich nicht bereits vergeben wäre, würde ich dir selbst einen Antrag machen.“

Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Und das, obwohl sie normalerweise immer so ruhig und vernünftig war. Fürsorglich legte Mark seinen Arm um sie, zog sie an sich und drückte ihren Kopf an seine Schulter. „Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen, Jane. Bitte, verzeihe mir.“

Wütend auf sich selbst, zog sie sich zurück. „Oh, das ist es nicht …“, sie schluckte. „Es war nur der Gedanke, dass wir wegen Teddys Schulden so tief sinken könnten.“ Sie trocknete ihre Augen und schluckte.

„Ich bringe dich heim.“

„Nein danke, nicht nötig. Es geht mir gut. Gehe zurück zu Mr Ashton. Er wartet schon auf dich.“ Sie wies mit dem Kopf zu Drew, der auf der anderen Seite des Angers stand, und machte sich auf den Heimweg.

Jane war so ein selbstloser Mensch, sinnierte Mark und ging zu Drew hinüber. Immer dachte sie zuerst an andere, und ihre eigensüchtige Familie betrachtete das als selbstverständlich. Ihr Bruder war ein gewissenloser Taugenichts. Wenn er in Schwierigkeiten war, rannte er sofort zu seiner Schwester. Mark konnte die Schulden eventuell übernehmen, aber er war ziemlich sicher, dass Sir Edward es aus Stolz ablehnen würde, seine Hilfe zu akzeptieren. Teddy hingegen würde erfreut das Geld nehmen und dann so weitermachen wie vorher. Es war sinnlos, ihm etwas zu geben.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, dass du deine zukünftige Schwägerin ein bisschen zu gern hast“, sagte Drew, als sie gemeinsam nach Broadacres zurückgingen.

„Unsinn. Ich habe sie wohl etwas verunsichert.“

„So sah es für mich aber nicht aus.“

„Der Schein kann trügen, und außerdem geht es dich nichts an, Drew.“

„Stimmt, aber die beiden alten Schachteln dort drüben am Gartentor auch nicht. Sie werden sich aber sicher nicht so zurückhalten wie ich.“

Mark schaute hinüber und sah Mr. Stangate und Mr. Finch, die schlimmsten Klatschbasen des Dorfes. „Oh nein! Sie werden natürlich falsche Schlüsse ziehen.“ Er zögerte. „Es stört mich sehr, dass jeder in ihrer Familie sich auf Jane verlässt und erwartet, dass sie alle Probleme löst.“

„Ist es denn so?“

„Ja. Sie will ihr eigenes Geld verwenden, um Teddys Schulden zu bezahlen.“

„Weiß sie, wie viel es ist?“

„Das glaube ich nicht. Außerdem wird ihr Geld vermutlich nicht ausreichen.“

„Sag mal“, meinte Drew nachdenklich. „Warum hast du eigentlich Isabel ihrer Schwester vorgezogen, obwohl du offensichtlich eine so hohe Meinung von Jane hast?“

Mark zögerte. „Hochachtung ist keine Liebe. Jane hat sehr viele Vorzüge, aber ich habe nie auf diese Weise an sie gedacht. Jeder hier hat akzeptiert, dass sie nie heiraten wird, und alle finden es normal, sie nur als Isabels unverheiratete Schwester zu betrachten.“

„Und Isabel?“

„Isabel ist schön und lebhaft, und sie liebt mich. Was kann sich ein Mann sonst noch wünschen?“

„Ja, was eigentlich“, murmelte Drew.

„Warst du schon einmal verliebt?“

„Oft. Ich bin immer verliebt, solange es dauert, aber es hält nie an.“

„Dann warst du noch nie richtig verliebt. Wahre Liebe dauert ein Leben lang.“

„Wirklich?“

„Ja. Bist du enttäuscht worden?“

„Das sagte ich gerade. Oft.“

„Ich habe keine Mätressen gemeint, und das weißt du. Ich meinte eine anständige junge Frau.“ Er unterbrach sich, weil ihm einfiel, was Drew gesagt hatte. „Ach ja, die junge Lady, die dich abgewiesen hat. Sie hat dir wehgetan, nicht wahr?“

„Damals.“

„Also bist du zurückgekommen, um es noch einmal bei ihr zu versuchen?“

„Nein. Es ist lange her, wir haben uns beide verändert.“

„Wer ist es?“

„Das verrate ich dir vielleicht später einmal. Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?“

Mark lachte. „Nun gut, behalte deine Geheimnisse für dich. Möchtest du vielleicht heute Nachmittag ausreiten? Ich suche dir ein gutes Tier aus.“

„Eine ausgezeichnete Idee.“

Sie gingen durch das schmiedeeiserne Tor von Broadacres und dann über den Kiesweg zum Haus. Es war ein stattliches Gebäude, das vom Reichtum der Wyndhams zeugte, die es vor langer Zeit erbaut hatten. Es sah wie ein Schloss aus, hatte einen Turm an jeder der vier Ecken und eine Freitreppe, die zu der gewaltigen Eichentür führte. Das Dach war mit Zinnen versehen, die hohen Fenster reflektierten die Sonne und glänzten wie unzählige Spiegel. Mark liebte es. Er würde es einmal erben, und hierher würde er seine Braut bringen. Es gab ausreichend Platz für zwei Familien, darum brauchte er für Isabel und sich kein neues Heim zu suchen.

„Wie gefällt dir Broadacres?“, fragte er seinen Freund. „Ist es noch so, wie du es in Erinnerung hattest?“

„Ja. Sogar noch schöner. Lord Wyndham muss einen guten Verwalter haben.“

„Den besten, aber mein Vater greift auch gern selbst mit ein, und mich hat er schon immer an seinen Entscheidungen beteiligt. Wenn die Zeit der Übernahme kommt – die hoffentlich noch in weiter Ferne liegt – wird es kaum eine Veränderung geben.“

„Du hast dein Leben genau geplant, Mark. Bringt dich eigentlich nie etwas vom Wege ab?“

„Ab und an, aber ich versuche es nicht zuzulassen. Zu viel Aufregung schadet der Gesundheit.“

Drew lachte. „Darin sind wir sehr verschieden. Ich mag ein bisschen Nervenkitzel, und wenn ich etwas Ungewöhnliches tue, fühle ich mich erst richtig lebendig.“

„War es in Indien nicht sehr spannend?“

„Es gab gute Momente.“

„Erzähle mir davon. Ich habe Isabel eine weite Hochzeitsreise versprochen, und Indien klingt vielversprechend.“

„Ja, es ist ein ganz besonderes Land. Enormer Reichtum und bittere Armut liegen direkt nebeneinander, und es gibt immer wieder Kämpfe zwischen den Eingeborenen und der East India Company. Es ist sehr schön dort, wenn man die Hitze verträgt, doch in den Sommermonaten zieht man sich am besten in die Berge zurück. Wenn du wirklich vorhast, dorthin zu fahren, dann warte noch, bis ich mein Schiff gekauft habe, dann kannst du die Überfahrt darauf machen. Es wäre mein Hochzeitsgeschenk an euch beide.“

„Das ist sehr großzügig, danke.“

„Keine Ursache. Du und deine Familie wart immer großzügig zu mir. Das habe ich nicht vergessen.“

„Wir müssen eine Braut für dich finden.“

„Wenn ich eine möchte, suche ich sie mir lieber selbst“, meinte Drew. „Ich verabscheue es, wenn man mich verkuppeln will. Entschuldige, mein Freund.“

Mark lachte, und sie stiegen die Treppe hinauf und betraten das kühle Innere des Hauses.

Jane musste nachdenken. In den letzten Tagen war der gleichmäßige Verlauf ihres Lebens völlig durcheinandergewirbelt worden. Zuerst war da Teddy mit seinen Problemen, die allein schon schlimm genug waren, dann folgte die Eröffnung ihres Vaters, dass ihre finanzielle Situation prekär war, und jetzt tauchte plötzlich Andrew wie ein Geist aus ihrer Vergangenheit auf. War sie nach all der Zeit so gleichgültig ihm gegenüber, wie sie immer gehofft hatte? Auf jeden Fall hatte diese unvermutete Begegnung ihr zunächst den Atem verschlagen.

Sie machte einen kleinen Umweg nach Hause, damit sie Zeit hatte, zu sich zu kommen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Der Pfad führte durch den alten Wald, der das Haus vor dem kalten Nordwind schützte.

Im Walde war es ganz still, doch wenn sie genau hinhörte, gab es viele Geräusche: lautes Vogelgezwitscher und das Gurren von Tauben, kleine Tiere raschelten in den letzten trockenen Blättern, und der Wind seufzte in den Baumwipfeln. Aus der Ferne hörte sie Hundegebell, ihre eigenen Schritte waren dagegen auf dem weichen Boden kaum vernehmbar. Es gab so viel zu sehen: frische Knospen an den Kastanienbäumen, neue Farnsprosse, die sich gerade entrollten, und die nickenden Blüten der Glockenblumen. Vereinzelte braune Blätter hingen an den kahlen Ästen einer Eiche, die noch nicht ausgetrieben hatte. Ein Schmetterling hatte sich aus seiner Puppe befreit und trocknete die Flügel an einem kleinen, sonnenbeschienenen Plätzchen zwischen den Zweigen. Der Frühling war die Zeit des Neubeginns und der Hoffnung. Wohin würde ihr Leben sie wohl führen? Würde sie so weiterleben wie in den vergangenen zehn Jahren, oder würde sie eine neue Richtung einschlagen?

Sie trat wieder hinaus auf die Landstraße, überquerte den Weg und ging durch ein Tor, das zur Rückseite des Gebäudes führte. Einen Augenblick blieb sie stehen, um ihr Haus zu betrachten. Es war alt, wenn auch nicht so alt wie Broadacres. Erbaut kurz vor dem Bürgerkrieg zwischen König und Parlament, war es von den Parlamentariern beschlagnahmt und dem Vorfahren ihres Vaters für seine Verdienste übereignet worden. Als in der darauf folgenden Restorationszeit die Monarchie zurückkehrte, hatte er seinen Besitz behalten dürfen. Das alles hatte sich vor langer Zeit zugetragen, und Sir Edward erwähnte es nicht oft. Jane vermutete, dass er vielleicht ein wenig enttäuscht war, weil seine Vorfahren nicht geadelt worden waren, denn das hätte ihn über das gewöhnliche Volk erhoben. Umso höhere Erwartungen hatte er für seine Töchter – das war einer der Gründe, warum er so sehr gegen die Verbindung zwischen Jane und Andrew Ashton gewesen war. Jane, die ihren Vater vergötterte und stets folgsam war, hatte auf seinen Wunsch hin ihren Verehrer abgewiesen.

Sie betrauerte dessen Fortgehen ein Jahr lang, dann riss sie sich zusammen und fügte sich in die Rolle der unverheirateten Tochter. Alle Hoffnungen lagen nun bei Isabel. Jahrelang war über eine Heirat zwischen Mark und Isabel gesprochen worden, aber erst nach seiner Heimkehr aus dem Krieg hatte er förmlich um ihre Hand angehalten. Seither konzentrierten sich alle auf diese Hochzeit. Doch nun schien dieses wichtige Ereignis von finanziellen Problemen überschattet zu werden. Ihr Vater hatte sie gebeten, über Einsparungen nachzudenken, doch bisher hatte sie damit noch nicht begonnen. Heute Nachmittag würde sie eine Liste aufstellen.

Rasch ging sie ins Haus und in ihr Zimmer, wo sie das Schultertuch und die Haube ablegte. Dann eilte sie hinunter zu dem kleinen Salon, wo sie ihre Mutter und Isabel, über die Gästeliste für die Hochzeit gebeugt vorfand. Die meisten Freunde und Nachbarn wussten bereits Bescheid, aber es gab noch andere, die nach Lady Cavenhursts Meinung eingeladen werden mussten, obwohl sie der Familie nicht sehr nahestanden. Damit war Sir Edward nicht einverstanden.

„Papa sagt, wir sollen nicht so viele einladen“, beklagte sich Isabel, als Jane sich zu ihnen setzte. „Er sagt, es ufert sonst alles aus, und wir sollen die Anzahl auf fünfzig begrenzen. Ich hatte geplant, mindestens hundertfünfzig Gäste einzuladen.“

„Kennen wir überhaupt so viele Leute?“, fragte Jane freundlich.

„Natürlich. Papa hat keine Ahnung.“

„Zweifellos hat er seine Gründe. Zeig mir die Liste.“

Isabel reichte sie ihr, und Jane überflog die Namen. „Aber hier steht jeder drauf, mit dem du jemals ein paar Worte gewechselt hast, Issie. Wäre es nicht netter, wenn wir nur Verwandte und Freunde einladen würden, die sich wirklich für dich freuen?“

„Vielleicht gehen wir die Liste noch einmal durch“, sagte ihre Mutter. „Aber wir sollten die Anzahl wirklich nicht auf fünfzig beschränken – das sähe knauserig aus.“

Offensichtlich hatte ihre Mutter entweder keine Ahnung, oder sie verschloss ihre Augen vor ihren finanziellen Problemen.

„Einer wird nicht kommen. Ich habe Mark im Dorf getroffen, und er hat mir gesagt, dass er einen neuen Trauzeugen hat, weil Jonathan Smythe nach Schottland zum Sterbebett seines Onkels gerufen wurde. Das wird er euch sicher erzählen, wenn ihr ihn seht.“

„Also morgen Abend“, sagte Lady Cavenhurst. „Wir sind alle zum Supper nach Broadacres eingeladen. Hat Mark gesagt, wer sein neuer Trauzeuge sein wird?“

„Ja. Mr Andrew Ashton. Er war gerade bei Mark, als ich ihn traf.“

„Ashton!“, rief ihre Mutter. „Warum um Himmels willen hat er ausgerechnet ihn gewählt?“

„Er ist ein alter Freund von Mark, also warum nicht?“

„Andrew Ashton“, sagte Isabel leise. „War er nicht vor etlichen Jahren schon einmal auf Broadacres?“

„Ich glaube schon“, sagte Jane. „Er hat sich aber sehr verändert, weil er gerade aus Indien zurückgekehrt ist, wo er ein Vermögen gemacht hat.“

„Indien! Mark sagte, wir könnten vielleicht dorthin auf Hochzeitsreise gehen. Ich werde Mr Ashton darüber ausfragen. Mama, was sollen wir zu der Party anziehen? Ist es ein formeller Anlass?“

„Nein, Liebes. Lady Wyndham hat ‚informell‘ in die Einladung geschrieben, und es gibt Musik und Kartenspiele.“

„Dann müssen wir Teddy vom Spieltisch fernhalten“, sagte Jane, und darin waren sich alle einig.

Im Inneren sah Broadacres genau so imposant aus wie von außen. Von der prächtigen Eingangshalle führte eine breite Treppe mit schmiedeeisernem Geländer nach oben. Auf einer Seite befand sich eine Gemäldegalerie, deren hohe Fenster auf die breite Einfahrt hinausgingen. Ein exotisch gemusterter Teppich bedeckte die Steinfliesen in der Mitte, daneben standen in gleichmäßigen Abständen Stühle und Sofas. Von der Galerie aus erreichte man mehrere schön möblierte Empfangsräume, eine Bibliothek, einen Speiseraum für Dinnerpartys und am hinteren Ende einen großen Ballsaal, der sich über das Erdgeschoss des ganzen Seitenflügels erstreckte. Im Obergeschoss befanden sich die großen, geschmackvoll eingerichteten Gästezimmer.

„Das hier wird bald dein Zuhause sein“, flüsterte Jane ihrer Schwester zu, als man sie durch die Galerie und dann einen Korridor entlang zum Salon der Familie führte. Vor ihnen gingen Sir Edward und Lady Cavenhurst mit dem ungewöhnlich kleinlauten Teddy. „Irgendwann wirst du dann die Hausherrin hier sein.“

„Oh, sage das nicht, es jagt mir ein bisschen Angst ein. Ich wünschte, wir könnten unser eigenes Heim haben, ein kleineres und nicht so prachtvolles, aber Mark will nichts davon hören. Er sagt, hier sei so viel Platz, dass wir nie seinen Eltern begegnen werden, wenn wir es nicht wünschen.“

„Ich bin sicher, dass du hier mit der Zeit sehr gut zurechtkommen wirst.“

Der Diener öffnete die Tür zum Salon und kündigte sie beim Eintreten einzeln an. Als Lady Wyndham vortrat, um Sir Edward und seine Gemahlin zu begrüßen, schaute Jane sich um. Auch dies war ein prächtig ausgestattetes Zimmer, aber viel gemütlicher – als wohnten wirklich Menschen hier. Die öffentlichen Räume an der Vorderseite des Gebäudes wirkten dagegen kalt und unpersönlich.

Die Stimme Lady Wyndhams holte sie zurück aus ihren Gedanken. Drew wurde gerade ihren Eltern vorgestellt. „Ich glaube, wir sind uns bereits begegnet, Sir“, sagte Sir Edward.

„Das ist richtig, Sir“, warf Mark ein. „Mr Ashton war schon einmal hier, nachdem wir Cambridge verlassen hatten. Das ist jetzt … wie lange her, Drew?“

„Ich glaube, es werden insgesamt zehn Jahre sein“, erwiderte Drew. „Es verwundert mich, dass Sir Edward mich nicht vergessen hat. Ich war damals noch ein Grünschnabel mit leeren Taschen.“

„Jetzt ist er ein Nabob“, sagte Mark lachend. „Steinreich und garantiert kein Grünschnabel mehr.“

„Das ist offensichtlich“, sagte Sir Edward. Jane wusste, dass er sich erinnerte und sich fragte, ob Drew wohl hier war, um seinen Antrag zu erneuern. Das hatte sie sich selbst auch schon gefragt, aber den Gedanken dann abgetan. Nach all der Zeit war es Schnee von gestern.

Lady Wyndham wandte sich an Jane. „Soll ich Sie unserem Gast vorstellen, Jane?“

„Danke, ich erinnere mich sehr gut an ihn. Aber Isabel und Sophie wahrscheinlich nicht.“

„Das stimmt“, sagte Sophie. „Ich habe auch bisher noch nie einen Nabob getroffen. Was tut eigentlich ein Nabob?“ Die letzte Frage war an Drew gerichtet, der sich gerade vor ihr verneigte.

„Ich treibe Handel in Indien, Miss Sophie“, sagte er. „Indische Artefakte, Gewürze und Juwelen lasse ich auf schnellen Schiffen hierher transportieren, um sie dann mit Waren aus englischer Produktion nach Indien zurückzusenden – Möbel, Ziergegenstände und Kleidung zum Beispiel. Damit verdiene ich mein Geld.“

„Und Sie haben einen guten Profit erzielt?“ Diese Frage kam von Isabel, die neben ihrer Schwester stand und Drew fasziniert ansah.

Er verneigte sich vor ihr. „Einen ziemlich guten, Miss Isabel. Sehen Sie, ich weiß noch, wer Sie sind, obwohl Sie damals noch nicht das Schulzimmer verlassen hatten.“

„Setzen wir uns doch, bis das Supper serviert wird“, meinte Lady Wyndham und bot ihren Gästen Plätze auf den Stühlen und Sofas an.

Sie verteilten sich auf den verschiedenen Sitzgelegenheiten im Raum, und es gelang Isabel, sich neben Drew zu setzen. „Bitte erzählen Sie mir von Indien“, sagte sie. „Mark hat mir versprochen, nach der Hochzeit mit mir dorthin zu fahren, und ich möchte gern so viel wie möglich darüber erfahren, bevor wir abreisen. Sagen Sie, ist es notwendig, die Landessprache zu sprechen und diese … wie heißen doch gleich die Kleider der Inderinnen … zu tragen?“

„Saris, Miss Isabel. Sie anzulegen ist zwar kompliziert, dafür halten sie auch bei hohen Temperaturen kühl, und sie sind oft aus erstklassigen Stoffen gefertigt. Ich habe Europäerinnen kennengelernt, die sie gern tragen, wenn ihnen die Hitze zu viel wird.“

„Oh, ich würde nur zu gern einen anprobieren.“

„Sie sähen sicher entzückend damit aus“, meinte er.

„Und die Sprache? Ist sie schwer zu erlernen?“

„Es gibt verschiedene Sprachen, aber Sie müssen keine davon kennen. Die indischen Dienstboten verständigen sich mit einer Art Kauderwelsch, und Sie haben außer mit ihnen nur mit den Verkäufern auf den Basaren zu tun. Und Sie werden nicht zum Basar gehen ohne Begleitung von jemandem, der die Umgangsformen und die Sprache beherrscht.“

Jane hörte mit wachsendem Unbehagen dieser Unterhaltung zu. Es war nicht besonders höflich von ihrer Schwester, den Gentleman so mit Beschlag zu belegen, und es ging auf Kosten von Mark, der sie vom Fenster aus beobachtete. Sie stellte sich neben ihn, und gab vor, die Terrasse und die Gartenanlagen betrachten zu wollen.

„Sie meint es nicht so, Mark“, flüsterte sie. „Sie ist nur interessiert, weil du sagtest, du würdest mit ihr nach Indien fahren.“

„Ich weiß.“

Ein Diener trat ein und verkündete, dass das Supper nun serviert würde. Alle begaben sich in den Speiseraum. Sie schwiegen, während sie am Tisch bedient wurden, dann kam die Konversation aufs Neue in Gang. Lord Wyndham begann eine Unterhaltung mit Sir Edward über die erschreckende Wirtschaftslage im Land. Das letzte Jahr war verheerend gewesen, weil der Sommer zu kalt und nass war, die Ernten miserabel ausfielen, und die Arbeiter und die vom Krieg heimgekehrten Soldaten keine Arbeit fanden. Unter den Arbeitslosen waren Unruhen ausgebrochen, und am Jahresende hatte es eine Massenkundgebung auf den Spa Fields gegeben, mit Henry Hunt als Hauptredner. Dieser hatte ein Talent dafür, die Massen aufzuwiegeln. Die Veranstaltung war aus dem Ruder gelaufen und musste durch Militäreinsatz aufgelöst werden. Überall im Lande wurden revolutionäre Komplotte aufgedeckt, und die Regierung verhaftete etliche Aufrührer.

„Glücklicherweise sind wir hier in Hadlea einigermaßen verschont geblieben“, sagte Lord Wyndham. „Ich konnte alle Arbeiter behalten und sogar einige zusätzlich einstellen. Zweifellos ist es Ihnen ähnlich ergangen, Cavenhurst?“

„Durchaus“, antwortete Sir Edward, aber er ging nicht weiter darauf ein. Jane wusste, dass er schon seit längerer Zeit niemanden mehr eingestellt hatte.

„Es gibt auch gute Nachrichten“, warf Lady Wyndham ein. „Prinzessin Charlotte erwartet wieder ein Kind, und es sieht so aus, als würde sie es dieses Mal austragen.“

„Das hoffen wir alle“, sagte Lord Wyndham. „Ein Thronerbe würde die Menschen von ihrer Abneigung gegenüber dem Prinzregenten ablenken.“ Im Januar hatte es ein Attentat auf das Leben des Prinzregenten gegeben, aber er war unverletzt geblieben.

„Ich sorge mich sehr um die Kriegswaisen“, sagte Jane. „Sie leben auf der Straße und kennen nichts anderes als zu betteln und zu stehlen. Man muss ihnen ein Heim und eine Ausbildung geben, damit sie eine bessere Arbeit finden, wenn sie alt genug sind.“

„Ja, das ist sicher richtig“, meinte ihre Mutter. „Aber ich weiß nicht ob Lord und Lady Wyndham sich für dein Projekt interessieren.“

„Selbstverständlich“, sagte Lord Wyndham. „Ich für mein Teil habe großes Interesse daran und würde gern mehr darüber erfahren.“ Er war ein leutseliger, großer und breiter Mann mit rundem roten Gesicht, der oft lächelte.

Jane erläuterte ausführlich ihre Pläne, und Seine Lordschaft und die übrigen Gäste hörten aufmerksam zu. „Ich möchte zunächst die ortsansässigen Kinder aufnehmen“, erklärte sie. „Aber selbst ein kleines Heim kostet Geld, wenn es ordentlich geleitet wird. Wir müssen Geldgeber finden.“

„Jane!“ Ihre Mutter war schockiert darüber, dass Jane beim Essen über finanzielle Dinge sprach.

Lord Wyndham lachte: „Ihre Tochter steht wirklich überzeugend hinter diesem Projekt. Das gefällt mir. Sie können mich für eine Spende eintragen, Miss Cavenhurst.“

„Ich danke Ihnen, Mylord.“

„Ich trage auch dazu bei“, sagte Drew. „Was ist mit dir, Mark?“

„Miss Cavendish hat mir schon früher von ihren Plänen erzählt“, sagte Mark. „Ich habe ihr meine Unterstützung bereits zugesichert.“

„Sie sind alle sehr großzügig mit ihrem Geld“, murmelte Teddy Jane zu.

„Ja. Ist das nicht wundervoll?“, flüsterte sie zurück. „Besser, als es zu verspielen.“

Beleidigt drehte er sich um und konzentrierte sich auf sein Essen.

„Lasst uns von angenehmeren Dingen sprechen“, sagte Lady Wyndham. „Wie schreiten die Hochzeitsvorbereitungen voran, Grace?“

Lady Cavenhurst ging nur zu gern auf diese Frage ein, und das Essen endete in entspannter Atmosphäre. Anschließend ging man in den Salon, wo die Mädchen abwechselnd Klavier spielten und sangen, während ein Kartentisch aufgebaut wurde für diejenigen, die spielen wollten. Die Gesellschaft endete spät, und Sir Edwards Kutsche holte die Gäste an der Tür ab.

3. KAPITEL

Mr Ashton ist ein faszinierender Mann, findest du nicht auch?“, sagte Isabel am Tag nach der Supper-party. „Er ist schon überall gewesen und erzählt so interessante Dinge.“

Die Mädchen saßen mit ihrer Mutter im kleinen Salon. Jane nähte winzige Perlen auf den Rock des Hochzeitskleides, während Lady Cavenhurst und Isabel die Einladungskarten schrieben.

„Das mag sein“, meinte Jane, „aber es hat mir nicht gefallen, dass du ihn so mit Beschlag belegt hast. Den armen Mark hast du regelrecht ignoriert.“

„Oh, das hat Mark nicht gestört. Er weiß doch, wie gern ich reisen möchte.“ Sie nahm eine Einladung in die Hand. „Jetzt habe ich einen Klecks auf diese Karte gemacht. Bitte gib mir eine andere, Mama.“

„Wie viele Leute habt ihr von der Liste gestrichen?“, erkundigte sich Jane.

„Ungefähr ein Viertel. Mehr ging nicht, ohne jemanden zu brüskieren. Wir wollen ja auch nicht, dass Papa wie ein Pfennigfuchser aussieht, oder?“

„Fünfzig Gäste zu bewirten, ist nicht kleinlich, Issie. Papa macht sich Sorgen wegen der Kosten. Denke daran, was er vorhin sagte.“

An diesem Morgen war Sir Edward von einem Rundgang auf dem Anwesen zurückgekommen und hatte seine Frau und Töchter im Frühstückszimmer angetroffen, wo sie die Hochzeitsfeier besprachen. Er hatte die Gelegenheit ergriffen, ihnen einen Vortrag über die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen zu halten. Diese Vokabel war Lady Cavenhurst und Isabel allerdings völlig fremd. Jane hatte ihre Sparliste hervorgeholt, auf der ganz oben der Vorschlag stand, weniger für Kleider, Hauben und Schuhe auszugeben. Sofort kamen laute Proteste von Isabel und Sophie. Janes zweiter Vorschlag bezog sich auf die Verschwendung bei Lebensmitteln. Die Köchin sollte instruiert werden, nur noch Obst und Gemüse aus dem eigenen Küchengarten zu verwenden, und außerdem nicht für mehr Personen zu kochen als am Essen teilnahmen.

„Unglücklicherweise wird das alles bei Weitem nicht ausreichen“, fuhr Sir Edward fort. „Ich fürchte, wir werden viel tiefer gehende Ausgabenkürzungen vornehmen müssen.“

Jane nahm sich wieder ihre Liste vor. „Wir könnten auch beim Personal einsparen. Wir brauchen nicht unbedingt drei Kammerzofen, und wenn wir selbst im Garten mithelfen, genügt ein Gärtner. Wir könnten auch ohne Kutsche auskommen, wenn wir müssten.“

„Ohne Kutsche?“, protestierte ihre Mutter. „Wie sollen wir denn dann irgendwo hinfahren? Sag mir das.“

„Wir können das Pony und den kleinen Wagen behalten“, antwortete Jane. „Ein Pony ist billiger zu versorgen als vier Pferde, und außerdem brauchen wir dann nur noch einen Stallknecht. Daniel kommt auch allein zurecht. Wenn wir eine größere Strecke fahren müssen, können wir die Postkutsche nehmen.“

„Die Postkutsche!“ Ihre Mutter war empört. „Unmöglich. Wir würden wie arme Leute dastehen.“

„Das wohl noch nicht“, sagte Sir Edward mit gequältem Lächeln. „Aber wir müssen unbedingt sparen, und je länger wir es hinausschieben, desto schwieriger wird es.“

„Was ist mit meiner Hochzeit?“, jammerte Isabel.

„Wir verschieben erst einmal die Entscheidung über Sparmaßnahmen auf die Zeit nach der Feier“, sagte Ihre Ladyschaft mit fester Stimme

Sir Edward gab auf und ging. Teddys Probleme waren nicht zur Sprache gekommen.

Jane legte das Kleid zur Seite. „Lasst mich einen Blick auf die Gästeliste werfen.“

„Nein“, sagte Isabel. „Du willst nur ganz viele wegstreichen. Aber du wirst mir nicht meine Hochzeit verderben, Jane.“

„Wird es wirklich die Feier verderben, wenn du nur fünfzig Gäste hast?“

„Aber natürlich. Ich will, dass jeder sieht, wie ich in meinem schönen Hochzeitskleid den begehrtesten Mann weit und breit heirate.“

„Die Hochzeitsfeier ist nicht das Wichtigste bei einer Ehe, Issie.“

„Für wie dumm hältst du mich? Und was weißt du schon darüber?“

„Hört auf, euch zu streiten, Mädchen“, fuhr ihre Mutter dazwischen. „Es ist ungehörig, und ich verstehe auch nicht, wieso eine Handvoll Gäste mehr dich so in Aufruhr bringt, Jane. Es sieht dir gar nicht ähnlich.“

Ein Kammermädchen kam herein und kündigte die Ankunft von Mr Wyndham und Mr Ashton an. Das beendete die Diskussion und versetzte Isabel in Panik. „Mark darf mein Kleid nicht sehen, Jane, das bringt Unglück. Schnell, räume es weg.“ Sie sprang hastig von ihrem Stuhl auf und warf dabei das Tintenfass um, dessen Inhalt auslief und auf den Stuhl tropfte, auf den Jane das Kleid gelegt hatte. Isabel stieß einen spitzen Schrei aus, und die beiden Gentlemen eilten herein.

„Was ist passiert?“, wollte Mark erschrocken wissen. „Bist du verletzt, Isabel?“

„Geh weg, geh weg“, schrie sie mit Tränen in den Augen.

„Aber Liebste, was ist denn los?“

„Es gab ein kleines Missgeschick mit dem Hochzeitskleid“, erklärte Jane. Sie versuchte die Ruhe zu bewahren, aber der wunderschöne Stoff war ruiniert, und all die vielen Arbeitsstunden waren umsonst gewesen. Fast hätte sie selbst geweint. „Würdet ihr uns bitte noch ein paar Minuten allein lassen?“

„Natürlich. Wir kommen später wieder.“

„Das wäre das Beste“, sagte Lady Cavenhurst und legte ihrer jüngeren Tochter tröstend den Arm um die Schultern.

Mit einer kleinen Verbeugung verließen die beiden Herren das Zimmer, und Jane sah sie sich den Schaden näher an. „Wenn wir schnell sind, lässt es sich vielleicht auswaschen“, meinte sie.

„Nein, es ist ruiniert“, rief Isabel weinend. „Ein gewaschenes Kleid wäre ein schlechtes Omen!“

„Sei nicht so melodramatisch“, sagte Jane tadelnd. „Ich hoffe, dass noch genügend Stoff vorhanden ist, dann ersetze ich die verdorbene Stoffbahn.“

„Siehst du“, sagte Ihre Ladyschaft. „Geh dir das Gesicht waschen, während Jane überlegt, was zu retten ist.“

„Jane ist auch schuld daran“, sagte Isabel schmollend. „Sie hätte nicht so nah bei dem Tisch sitzen dürfen, an dem ich schreibe.“

Das war ein äußerst ungerechter Vorwurf, aber es hatte keinen Zweck, jetzt mit Isabel zu streiten.

„Was ist nur mit euch Mädchen los?“, sagte ihre Mutter. „Seit ihr klein wart, habt ihr nicht so viel gestritten wie heute. Diese Hochzeit bringt uns alle durcheinander.“

Das Zimmermädchen kam mit einer Schüssel und Bürsten herein, um den Tisch und den Teppich zu reinigen. Lady Cavenhurst verließ mit Isabel das Zimmer, während Jane das Kleid nahm und damit in das Nähzimmer ging, um nachzusehen, wie viel Stoff noch übrig war.

Es gab noch mehrere kleinere Stoffreste, aber keiner war groß genug für eine ganze Rockbahn. Doch sie war zuversichtlich, dass es ihr durch Aufsetzen von Bändern und Schleifen gelingen würde, das Kleid zu retten. Mehr Sorgen machte ihr die Einstellung ihrer Schwester. Isabel war anscheinend nicht in der Lage, sich ihr Leben als Ehefrau realistisch vorzustellen. „Aber was weiß ich schon?“, sagte Jane laut zu sich selbst, während sie begann, die Nähte aufzutrennen. „Ich bin nur eine alte Jungfer, die nie erfahren wird, wie es ist, verheiratet zu sein.“

Nach einer halben Stunde kam ihre Mutter zu ihr. „Ich habe Isabel einen Kräutertee gegeben, und jetzt schläft sie. Sie hat sich beruhigt, weil sie sich darauf verlässt, dass du ihr Kleid retten wirst.“

„Ich glaube, dass ich es schaffen werde, aber irgendwo muss ich ein Stück einsetzen. Ich werde versuchen, es mit Bändern und Schleifen zu kaschieren, aber vorher muss ich den ganzen Rock auftrennen.“

„Es war sehr ungezogen von ihr, dich für den Schaden verantwortlich zu machen, und sie wird sich bei dir entschuldigen.“

„Nicht so wichtig.“

„Jane … bist du eigentlich unglücklich?“

„Wie kommst du darauf, Mama?“

„Ich dachte, dass das Wiedersehen mit Mr Ashton dich bedrückt haben könnte.“

Autor

Diane Gaston
Schon immer war Diane Gaston eine große Romantikerin. Als kleines Mädchen lernte sie die Texte der beliebtesten Lovesongs auswendig. Ihr Puppen ließ sie tragische Liebesaffären mit populären TV- und Filmstars spielen. Damals war es für sie keine Frage, dass sich alle Menschen vor dem Schlafengehen Geschichten ausdachten.

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