Ich will ein Kind, und zwar von dir

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Neal Sheridan weiß nicht, wie ihm geschieht: Ständig versucht die attraktive Pferdezüchterin Lisa, ihn in verfängliche Situationen zu verwickeln. Doch obwohl er sich ebenfalls stark zu ihr hingezogen fühlt, traut er dem Ganzen nicht. Er beschließt, sich zurückzuhalten …


  • Erscheinungstag 10.08.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527361
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Den ganzen restlichen Juli?“, rief Neal Sheridan entsetzt aus. „Du willst, dass ich fast den ganzen Juli von einer Kleinstadt zur nächsten fahre?“

„Eigentlich auch noch die ersten beiden Augustwochen“, murmelte sein Manager.

„Das kann nicht dein Ernst sein.“ Neal beugte sich vor. Wie bei allen Fernsehberühmtheiten in diesem New Yorker Sender, war auch sein Büro klein und vollgestellt. So klein, dass ein Mann wie Neal, der fast ein Meter neunzig groß war, sich seitwärts setzen musste, um seine Beine ausstrecken zu können. „Heute haben wir den zweiten Juli. Du willst, dass ich in drei Tagen losfahre?“

„He, ich habe es selbst erst erfahren.“ John Hockadays Lächeln wirkte fast ehrlich – ein Zeichen für Neal, dass sein Manager log. „Love hat ein neues Konzept aufgestellt. Du wirst es bestimmt fantastisch finden.“

„Wie verrückt ist die Idee diesmal?“ Love Pet Food produzierte Tiernahrung und war ein äußerst einflussreicher Sponsor seiner Sendung. Die Firma hatte allerdings die Tendenz zu übertreiben. „Werde ich wieder mit einer Herde singender Kühe reisen müssen?“

„Singender Kühe?“ John lachte. „Nein, diesmal nicht.“

Großartig, keine singenden Kühe, aber vielleicht war es diesmal Mr Bill, die tanzende Ziege aus der Love – Werbung. Neal war es plötzlich leid, Amerikas beliebtester Tierarzt zu sein und hätte sich gern weitere Details über diese Promotiontour erspart. „John, ich habe wirklich keine Lust dazu.“

„Glaube mir, Junge, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um deine Meinung geltend zu machen.“

„Ach, verflixt“, sagte Neal. „Acht Jahre lang habe ich meinen Mund gehalten und alles getan, was man mir sagte. Ich brachte den Leuten bei, wie man mit Tieren umgeht. Ich ließ mich von Lamas anspucken, mir von Hunden Hosen zerreißen und mich von Papageien in die Ohren zwicken.“

„Ich sage nicht, dass es ein Problem mit deinem neuen Vertrag gibt“, erklärte John. „Ich finde nur, dass du im Moment deine Loyalität beweisen solltest.“

„Aber warum muss es denn schon wieder diese Busgeschichte sein?“ Neal seufzte. „Wie viele Menschen erreichen wir auf dieser Kleinstadttour diesmal?“

„Zahlen spielen keine Rolle“, erwiderte John. „Bustouren kommen gut an. Deswegen werden sie sogar von Präsidentschaftskandidaten gemacht.“

„Ich habe aber nicht vor, mich wählen zu lassen“, entgegnete Neal schroff.

„Vielleicht nicht für ein öffentliches Amt“, entgegnete John. „Aber du bist genauso von der Gunst der Leute abhängig wie jeder Politiker auch.“

Neal hielt eine Bemerkung zurück. Sein Manager hatte recht. Menschen stimmten jeden Tag für oder gegen ihn. Statt Stimmzettel auszufüllen, kauften sie Tierfutter. Love – Produkte zu kaufen, kam einer Stimmabgabe für Neal Sheridan gleich. Sich für ein anderes Futter zu entscheiden, war eine Stimme gegen ihn.

„Ich hatte in diesem Monat etwas Persönliches geplant“, sagte Neal.

„Kauf ihr etwas Hübsches, sag ihr, du wirst dich immer an sie erinnern und schick sie fort, so wie du es immer tust.“ John erhob sich. „Ich sehe dich übermorgen in St. Louis.“

Nachdem John die Tür hinter sich geschlossen hatte, legte Neal den Kopf auf die Arme. John hatte diesmal nicht recht gehabt. Seine Pläne hatten nichts mit einer Frau zu tun, es ging einzig und allein um seinen Zwillingsbruder. Seit Nicks Frau vor zwei Jahren gestorben war, hatte er mit seinem Bruder Nick Urlaub machen wollen. Es hatte letztes Jahr nicht geklappt, und jetzt sah es so aus, als wenn auch dieses Jahr nichts daraus würde.

„Verflixt“, murmelte Neal, während er zum Telefonhörer griff und die Nummer der Tierarztpraxis seines Bruders wählte.

„Praxis Dr. Sheridan. Lisa am Apparat.“

Lisa? Sein Bruder musste eine neue Sekretärin eingestellt haben. „Hi, Lisa“, sagte Neal. „Hier ist …“

„Neal, richtig?“, unterbrach sie ihn. Sie klang so angewidert, als hätte sie gerade eine Kakerlake in der Suppe gefunden. „Sie hören sich wie Nick an.“

Neal versuchte, ihr ein Lächeln zu entlocken. „Woher wissen Sie, dass ich nicht er bin?“

„Weil ich ihn in seinem Büro sitzen sehe.“

„Das könnte aber Neal sein.“

„Nick hat einen Bart. Ich sah Sie gestern mit dieser Gesellschaft für Menschenrechte in New York demonstrieren. Sie haben keinen, und es wird Ihnen auch kaum seit gestern einer gewachsen sein.“ Sie hörte sich an, als ob das ein großer Mangel wäre.

Neal gab auf. „Einen Punkt für Sie. Ist Nick zu sprechen.“

„Einen Moment bitte, ich verbinde.“

„He, Neal, ich habe gerade an dich gedacht“, erklang nach wenigen Sekunden Nicks Stimme. „Was gibt es Neues?“

„Schlechte Nachrichten“, erwiderte Neal.

„Wahrscheinlich willst du mir sagen, dass du mit allen Englisch sprechenden Frauen in der Welt ausgegangen bist, und jetzt vor die Wahl gestellt bist, entweder eine Fremdsprache zu erlernen, oder einfach zu warten, bis wieder Neue herangewachsen sind.“

„Sehr witzig, Nick.“

„Danke.“

Neal holte tief Luft. „Eigentlich rufe ich an, um unseren Urlaub abzusagen.“

„Oh, das sind schlechte Nachrichten.“ Der Humor in Nicks Stimme verschwand von einer Sekunde auf die andere. „Ich habe mich so darauf gefreut, einige Zeit mit dir zu verbringen.“

„Ich auch. Aber ich muss auf eine Promotiontour. Mein Sponsor schickt mich nach Illinois, Iowa und Missouri.“

„Hört sich doch ganz lustig an.“

„Ja, und wie.“

„He, das ist mein Ernst“, erwiderte Nick. „Es mag vielleicht nicht Paris oder New York sein, aber du wirst zu so vielen Orten fahren, die du noch nie zuvor gesehen hast. Orte, die alle ihre eigene Geschichte und kulturellen Hintergrund haben. Ich finde das großartig.“

„Aber auch nur, weil du so etwas noch nie gemacht hast.“

„Es ist auf jeden Fall besser als Three Oaks im Juli.“

„Three Oaks mag nicht der aufregendste Ort der Welt sein, aber es ist zu Hause.“

Beide schwiegen. Nick sollte wirklich einmal verreisen, dachte Neal. Er würde nie über Donna hinwegkommen, wenn er ständig an sie erinnert wurde. Warum mussten sie ihn ausgerechnet jetzt auf diese verflixte Tour schicken? Warum konnte nicht ein anderer für ihn einspringen? Sicherlich gäbe es Menschen, die sogar glücklich wären, wenn …

Plötzlich kam ihm ein verrückter Gedanke. Eine Idee, die nie funktionieren könnte. Aber warum eigentlich nicht? Wem würden sie damit schaden?

„Weißt du was …“, sagte Neal langsam.

„Wenn du wirklich glaubst …“, begann Nick.

„Die Promotiontour …“

„Three Oaks …“

Beide hielten inne.

„Was ist mit meinen Patienten?“, fragte Nick.

„Ich bin vereidigter Tierarzt, außerdem ist noch dein Partner da.“ Neal legte eine Pause ein. „Aber du hasst es doch, in der Öffentlichkeit aufzutreten.“

„Nicht mehr so wie früher“, gab Nick zu. „Aber was ist, wenn man sich dazu entschließt, das staatliche Tierschutzkomitee bereits diesen Monat zu gründen? Weißt du, mein Name steht auf der Liste.“

„Und da steht er bereits seit drei Jahren, und selbst wenn du benannt wirst, was macht das schon. Ich werde dich würdig vertreten, ich bin doch an öffentliche Auftritte gewöhnt.“ Neal zögerte. „Ich weiß nicht, wer meine Reisebegleiter sein werden. Es könnten singende Kühe sein.“

„Ich arbeite mit dem hiesigen Tierschutzverein zusammen, und eine große Spendenaktion steht bevor. Glaubst du, du könntest damit klarkommen?“

„Was soll diese Frage? Ich habe bereits mehr Spendenaktionen in einer Woche hinter mich gebracht als du in einem ganzen Jahr“, erwiderte Neal und überlegte die Für und Wider dieses Rollentauschs. Auch wenn es jetzt, da sie Erwachsene waren, alles ein wenig komplizierter sein würde, wäre es doch nur zu Nicks Vorteil. Sein Bruder war ein Arbeitstier. Seit Donna gestorben war, hatte er sich in seine Arbeit vergraben. Wenn Neal es jetzt nicht schaffte, ihn einmal aus seinem Alltag herauszuholen, würde es ihm wohl nie mehr gelingen. Neal wartete, bis die Idee langsam in Nick eingesunken war. Sein Bruder wähnte sich gern in dem Glauben, dass er selbst die Entscheidungen traf.

„Weißt du“, sagte Nick langsam. „Wir könnten dieser Gegend einen Gefallen tun. Wir könnten etwas Regen gebrauchen.“ Immer wenn Neal in seiner Heimatstadt erschien, ging ein Platzregen nieder. Die Einheimischen rissen schon Witze darüber. Und wenn Neal und Nick die Rollen tauschten, wurde daraus sogar ein Monsunregen.

„Und es muss Hunderte von Tieren im Südwesten geben, die nur darauf warten, von dir gerettet zu werden“, erwiderte Neal.

„Ich habe aufgehört, alles retten zu wollen, was mir unter die Augen kommt“, erwiderte Nick.

„Also was meinst du? Machst du mit?“

Es entstand ein Schweigen. Die Idee erschien ihnen bereits viel weniger verrückt. Vielleicht lag es an der abgestandenen Luft im Gebäude, dass Neal das Ganze plötzlich für durchaus machbar hielt. Während Nick der Gedanke, einmal sechs Wochen lang ohne große Verantwortung herumzureisen immer verlockender erschien. Keine Probleme, keine Sorge, nicht immer der gleiche Provinzmief. Verflixt, in Three Oaks brauchte man noch nicht einmal die Türen abzuschließen.

„Also gut, abgemacht“, schlug Nick ein.

1. KAPITEL

Lisa Hughes verließ mit einer Tasse Kaffee in der Hand die Veranda ihres Farmhauses. Noch lagen die langen Schatten des frühen Morgens auf dem Hof. Sie hoffte, dass das Koffein bald wirken würde. Ihre Hunde rannten bereits voller Energie auf die Stallungen zu, doch sie fühlte sich noch matt und benommen.

„Sieht aus, als wenn es schon wieder so heiß werden würde“, sagte Pucky. Der alte Pferdetrainer wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er an Lisas Seite trat und mit ihr zu den Koppeln hinüberging. „Ich habe in der letzten Nacht kaum ein Auge zugemacht. Es war so heiß, dass einem sogar das Atmen schwerfiel.“

Lisa hatte letzte Nacht ebenfalls nicht schlafen können, allerdings hatte es nicht an der Hitze gelegen. Sie hatte die Tage gezählt, war in ihrem Kopf immer und immer wieder den Kalender durchgegangen und hatte auf den Morgen gewartet.

„Heute gibt es wieder keinen Regen.“ Pucky schaute zum Himmel hinauf, der immer noch strahlend blau war.

Lisa wollte ihm gerade zustimmen, als sie gen Westen schaute und die Stirn in Falten legte. „Es sieht fast so aus, als wenn Regenwolken aufkommen würden.“

Pucky schüttelte den Kopf. „Der Morgen hat nur die Nacht noch nicht ganz vertrieben.“

„Ja, wahrscheinlich hast du recht.“

„Habe ich das nicht immer?“

Lisa lächelte und trank einen Schluck Kaffee. Pucky Dolan war wie ein zweiter Vater zu ihr. Er hatte mehr als vierzig Jahre mit ihrem Vater gearbeitet und Hollywood-Pferde für Filmrollen trainiert. Ihre Mutter war bereits gestorben, als sie erst vier Jahre alt war, und Pucky hatte praktisch geholfen, sie aufzuziehen. Als Lisa dreizehn Jahre alt war, hatte ihr Vater schließlich die Pferdefarm gekauft und Pucky war als Freund und Vorarbeiter mitgekommen. Seit dem Tod ihres Vaters half er ihr, die Farm zu leiten.

Aber es gab einige Dinge, über die sie noch nicht einmal mit ihm sprach.

„Heute ist also der große Tag, eh?“, fragte er.

Lisa zuckte so zusammen, dass sie etwas von ihrem Kaffee verschüttete. Woher wusste er das? Er war doch nicht dabei gewesen, als sie heute Morgen ihre Temperatur gemessen hatte.

„Ariel ist schon ganz schön ungeduldig“, fuhr Pucky fort.

Lisa atmete auf. Er sprach von ihrer neuen Stute. „Ja“, stimmte Lisa ihm zu. „Nun, Johnny geht es auch nicht anders. Gut, dass Nick sie gestern untersucht und ihr eine ausgezeichnete Gesundheit bestätigt hat.“

Sie blieben an einer Koppel stehen, und Lisa legte die Arme auf das Gatter. Ariel lief auf der Wiese im Kreis dicht am Zaun entlang. Ihre Muskeln spielten, ihre Nüstern blähten sich und leichter Schweiß lag auf ihrem rötlich braunem Fell. Der weiße Stern auf ihrer Stirn schimmerte im Morgenlicht. Sie war eine wahre Schönheit. Ihre Fohlen würden Prachtstücke werden.

Pucky lehnte sich neben Lisa an das Gatter. „Ich könnte mir für einen Mann keinen besseren Tagesstart denken, als frische Landluft einzuatmen, die Sonne aufgehen zu sehen und dazu noch zwei der hübschesten weiblichen Wesen im Blickfeld zu haben, die es auf Erden gibt.“

„Hör mit deinem irischen Süßholzraspeln auf“, erwiderte Lisa. „Ich weiß Bescheid über Männer wie dich.“

„Wenn man dich ansieht, könnte man meinen, deine Mutter würde vor einem stehen, so wie sie vor dreißig Jahren ausgesehen hat.“

Lisa schaute weg und spürte ein vertrautes Brennen in den Augen, während sie das Pferd beobachtete. Als sie in der Highschool war, hatte sie sich immer gewünscht, eine ebenso hochgewachsene, langbeinige Schönheit wie ihre Freundin Colleen zu sein. Doch sie war eher klein und hatte dunkelrotbraunes Haar, und obwohl sie fast das Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter war, hatte sie ihr Aussehen gehasst. Mit der Zeit hatte sie sich mit ihrem Äußeren versöhnt, aber trotzdem beschlichen sie immer wieder Schuldgefühle, weil sie solche Schwierigkeiten hatten, ihr Aussehen, praktisch das Vermächtnis ihrer Mutter, anzunehmen.

„Ich habe aber Daddys blaue Augen“, sagte sie.

Pucky warf ihr einen Blick zu. „Und seine düsteren irischen Launen.“

Lisa boxte ihm gegen die Schulter, doch muskulös wie er war, bezweifelte sie, dass er ihren leichten Schlag überhaupt spürte. Beide wandten ihre Aufmerksamkeit wieder der Stute zu, die immer noch herumgaloppierte, ab und zu gegen den Zaun stieß und aufgebracht wieherte.

„Die Lady kann es kaum erwarten“, bemerkte Pucky.

„Sie hat bestimmt schreckliche Sehnsucht nach einem Baby“, erklärte Lisa.

Pucky wandte sich langsam Lisa zu und sah sie misstrauisch an. „Ein Baby?“, fragte er. „Was hast du in deinem Kaffee?“

Lisa weigerte sich, auf seinen Scherz einzugehen. „Ihr Männer seid alle gleich“, sagte sie. „Ariel wird älter. Ich glaube, dass sie nach mehr verlangt als nur nach einem Paarungsakt. Sie sehnt sich bestimmt nach einem Fohlen. Das ist auch ein Instinkt, der wahrscheinlich genauso stark ist wie der Paarungstrieb.“

Pucky schüttelte den Kopf. „Du guckst dir zu viele Filme an“, entgegnete er. „Als Nächstes wirst du sagen, dass Johnny und sie heiraten werden.“

Lisa stieß einen verächtlichen Laut aus und sah wieder zum Pferd hinüber. „Die Ehe hat nichts mit Instinkt zu tun“, sagte sie hitzig. „Es ist eine dumme Tradition, die nicht für jeden von uns geeignet ist.“

Pucky schwieg eine Weile. Sie konnte seinen Blick auf sich spüren, aber sie weigerte sich, ihn anzuschauen. Sie hatte nur gesagt, was sie dachte, und ihm müsste ihre Meinung eigentlich bekannt sein.

„Dein Dad und ich waren zu streng mit dir, aber Filmkulissen und Trainingskoppeln sind auch keine Umgebung, in der ein kleines Mädchen aufwachsen sollte“, sagte er leise. „Wir dachten, es würde alles anders, wenn wir erst einmal hierhergezogen wären. Vielleicht hätten wir dafür sorgen sollen, dass du zu deinem Abschlussball gehst.“

Sie runzelte die Stirn. „Wenn ich mich richtig erinnere, hättet ihr auch keinen Einfluss darauf gehabt. Ich hatte keinen Begleiter.“

„Nick wäre sicherlich mit dir hingegangen.“

„Donna hätte bestimmt Einwände gehabt.“

„Er hätte sicherlich einen Begleiter für dich gefunden.“

Oh ja, aber auch nur, wenn er bereit gewesen wäre, dafür zu zahlen, und selbst dann hätte sein Angebot sehr hoch sein müssen. Sie war auf der Highschool nicht besonders beliebt gewesen. Aber weder ihr Dad noch Pucky schien damals bemerkt zu haben, wie viele Anpassungsschwierigkeiten sie gehabt hatte. Immer und immer wieder hatten sie sie aufgefordert, doch Freunde einzuladen, nach der Schule irgendwelchen Clubs beizutreten oder ihnen einen persönlichen Gefallen zu tun – etwas öfter zu lächeln.

Vielleicht hätte eines von diesen Dingen tatsächlich geholfen, aber sie war so wütend gewesen, Los Angeles verlassen zu müssen, dass sie sich geweigert hatte, ihrem neuen Heimatort Three Oaks eine faire Chance zu geben. Sie hatte nie dazugehört, weil sie es selbst nicht gewollt hatte. Zumindest nicht bis nach dem College, als sie heimkam und herausfand, dass dies tatsächlich ihr Zuhause war.

„Ich wollte gar nicht zum Abschlussball gehen“, bemerkte sie. „Ich habe dieses ganze Getue um Kleider und Make-up schon immer gehasst.“

„Vielleicht hätten wir dich dazu bringen sollen, dass du Ballettstunden nimmst.“

Lisa seufzte. Pucky war wirklich hartnäckig. „Hör auf, dir die Schuld zuzuschieben. Nicht jeder muss heiraten, um glücklich zu sein. Und ich bin auch so vollkommen zufrieden.“

„Warum kommt es mir denn so vor, als wenn du irgendetwas in deinem Leben vermisst?“

Weil etwas fehlte. Aber es war kein Ehemann, es war ein Baby. Ein Kind, das sie ihr eigen nennen konnte. Sie war jetzt vierunddreißig. Sie hatte auf dem College und danach einige Beziehungen zu Männern gehabt, aber zu viele Enttäuschungen erlebt, als dass sie das Glück bei einem Mann suchen würde. Trotzdem wünschte sie sich von ganzem Herzen ein Baby. Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt, Pucky von ihren Gefühlen zu erzählen, damit er sich an den Gedanken gewöhnen könnte, dass eines Tages Kindergeschrei die Farm erfüllen könnte.

„Eigentlich“, begann sie, „habe ich vor …“

Genau in diesem Moment stieß die Stute an das entfernte Ende des Zaunes, in dessen Nähe der Hengst graste. Ihr Schrei nach einer Paarung klang verzweifelt über die Farm, und die Hunde kamen herbeigerannt.

Lisa rückte vom Zaun ab. Jetzt war keine Zeit für Erklärungen irgendwelcher Art. „Ich glaube, es ist besser, wenn wir sie jetzt zu ihm lassen“, sagte sie.

Es gab sowieso nichts, was sie Pucky sagen konnte. Es spielte keine Rolle, dass heute ihr Eisprung stattfand. Weit und breit war keine Hoffnung auf ein Kind am Horizont zu sehen. Zumindest nicht, solange Nick sich nicht bereit erklärte, sich als Erzeuger zur Verfügung zu stellen.

Als die Kellnerin zwei Teller mit Pfannkuchen auf den Tisch stellte, sah Neal zu seinem Bruder, der ihm gegenübersaß. Es war Frühstückszeit und das Restaurant war gut besucht, doch die lebhafte Szenerie trat in den Hintergrund, als ihn ein vertrautes Gefühl befiel.

„Es ist seltsam, dich ohne Bart zu sehen“, sagte er. „Es ist, als würde ich mich selbst anschauen. Ich hatte ganz vergessen, wie unheimlich das ist.“

Nick fuhr sich mit der Hand über das Kinn. „Mein Kinn ist glücklicherweise nicht sehr viel blasser als meine übrige Gesichtshaut. Einen Tag Sonne und der Unterschied ist ausgeglichen. Ich muss den spärlichsten Bart der ganzen Welt gehabt haben. Du glaubst gar nicht, wie nackt ich mich jetzt fühle. Es muss bereits zehn Jahre her sein, seit ich das letzte Mal bartlos war.“

„Es kommt einem gar nicht so lange vor, nicht wahr?“

„Doch, wie eine Ewigkeit“, sagte Nick leise lachend. Doch dann verstummte sein Lachen, und Neal sah, dass die Vergangenheit seinen Bruder wieder einholte. Es wurde Zeit, Nick zurückzuholen.

„Es ist wohl besser, ich gebe dir meinen Hotelschlüssel, bevor ich es vergesse“, meinte Neal. „Meine Kleidung ist dort. Ich habe nur das Persönlichste mitgebracht.“

Nick runzelte die Stirn, als er den Schlüssel aus der Hand seines Bruders nahm. Fast sah es so aus, als würde seine angeborene Vorsicht siegen und er wäre drauf und dran, das Abkommen wieder rückgängig zu machen. Nun, das würde Neal auf keinen Fall zulassen. Sein Bruder musste unbedingt einmal Three Oaks verlassen.

„Mein Manager, John Hockaday, wird dich heute um einundzwanzig Uhr im Hotel treffen“, fuhr er rasch fort. „Oder sollte ich sagen, er trifft Neal im Hotel?“ Dann fügte er mit einem Lächeln hinzu: „Er wird dich auf der Tour begleiten, ebenso der Promotionmanager unseres Sponsors. Die beiden werden deinen Tag bis auf die Sekunde genau verplanen.“

„Scheint doch alles ganz leicht zu sein“, bemerkte Nick und steckte den Schlüssel ein.

Neal begann zu essen, ließ seinen Bruder dabei aber nicht aus den Augen. Ihm war nicht entgangen, dass Unsicherheit auf seinem Gesicht lag. Als sie jünger waren, hatten sie oft in diesem Restaurant am Highway die Rollen getauscht – und bereits damals hatte Nick sich über alles Sorgen gemacht und sich tausend Fragen gestellt. Was passierte, wenn sie erwischt würden? Was würden sie machen, wenn sie jemand mit ihrem Spiel kränkten? Was, wenn einmal tatsächlich der echte Nick oder Neal gebraucht würde? Was, wenn …?

Die Kellnerin kam mit dem Kaffee an den Tisch und schenkte ihnen nach. Dann blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte Nick neugierig an. „Sie … Sie sehen genauso aus wie dieser Tierarzt, der immer im Fernsehen ist“, stammelte sie überrascht.

Jetzt war der Moment der Wahrheit gekommen, und Neal hielt den Atem an. Wie würde er sich entscheiden? Würde Nick seine schmerzhafte Vergangenheit hinter sich lassen können und die Herausforderung annehmen und das Spiel beginnen?

Dann lächelte Nick. „Ja, das bin ich. Neal Sheridan.“

Die Frau stellte die Kaffeekanne ab und schüttelte ihm die Hand. „Oh, wow“, stieß sie aufgeregt hervor. Nachdem sie sich wieder gefangen und die Kaffeekanne wieder in die Hand genommen hatte, drehte sie sich langsam Neal zu. „Aber Sie sehen auch so aus“, stellte sie verwirrt fest.

Neal unterdrückte ein Lachen. „Ich bin nur sein Double. Wissen Sie, im Fernsehen braucht man so etwas für die Kameraeinstellungen.“ Er biss rasch in seinen Toast.

Ihr Gesicht hellte sich auf. „Wirklich? Toll“, sagte sie. „Warten Sie, bis ich das den Mädchen gesagt habe.“

Als sie Frau sich vom Tisch entfernte, sah Neal Nick an. Das Gesicht seines Bruders war zwar nachdenklich, aber nicht von Zweifeln überschattet.

„Das wird bestimmt Spaß machen“, erklärte er und konzentrierte sich wieder auf das Frühstück. „Ich glaube, es wird mir gefallen, berühmt zu sein.“

„Das hoffe ich“, erwiderte Neal und nahm einen Schluck Kaffee. „Aber was ist mit deiner Praxis? Gibt es Fälle, auf die ich besonders achten muss?“

Nick schüttelte den Kopf. „Ich habe dir einen Stapel Akten auf den Schreibtisch gelegt, die du dir durchlesen solltest. Im Moment liegt nichts Kritisches an. Die Millers-Katze wird wegen einer Harnwegsinfektion behandelt. Die Hündin der Kerringtons wird in zwei Wochen ihre Welpen bekommen. Alles nur Routine. Falls es irgendeinen Fall gibt, bei dem du unsicher bist, dann gib ihn einfach an Jim ab. Er hat nur einen Teilzeitjob, aber er ist ziemlich flexibel, was die Arbeitsstunden angeht.“

„Wie sieht es mit deinen Bürokräften aus?“, fragte Neal. „Hast du jemanden neu eingestellt?“

Nick runzelte die Stirn. „Neu? Nein.“

„Doch, das hast du. Eine Lisa. Sie war am Telefon, als ich anrief.“

„Oh, das ist nur eine Freundin von mir. Lisa Hughes. Sie ist im Vorstand des Tierschutzvereines. Ich habe den Mitgliedern dieser Vereinigung erlaubt, ihre Akten bei mir aufzubewahren, Post und Mitteilungen abzuholen. Lisa macht ab und zu den Telefondienst für uns, wenn wieder einmal besonders viel zu tun ist.“

„Oh.“ Neal aß und sah dabei auf den Highway hinaus. Der Verkehr nach Chicago wurde immer dichter, jeder hatte es eilig. Der Gedanke diesmal in die entgegengesetzte Richtung zu fahren, stimmte ihn froh. Er dachte an Three Oaks und plötzlich legte er die Stirn in Falten. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Nick hatte auf der Highschool eine Lisa Hughes gekannt.

Sie war ein schlaksiges, jungenhaftes Mädchen gewesen, das stets viel zu ernst für ihr Alter gewirkt hatte. Nein, ernst war nicht der richtige Ausdruck, um den Charakter dieses Mädchens zu beschreiben, mürrisch traf wohl eher zu. Als Nick und er im zweiten Highschooljahr einmal wieder die Rollen tauschten, hatte sie ihm wegen eines dummen Witzes, den er gemacht hatte, eine saftige Ohrfeige verpasst.

Sie hatte damals überhaupt keinen Sinn für Humor. Er hoffte, dass sie wenigstens jetzt davon ein wenig entwickelt hatte. Oder dass Nick sie nur selten sah.

„Bist du fertig?“, fragte Nick.

Neal nickte.

Sie gingen zusammen zum Parkplatz hinaus. Die Luft war bereits schwülwarm. Nicks Jeep war neben Neals Mietwagen geparkt, und sie brauchten nur einen Moment um ihre Koffer umzupacken und die Wagenschlüssel auszutauschen. Nick sah aus, als ob er schon wieder mit Zweifeln zu kämpfen hätte.

„Wende dich nur an Hockaday, falls du ein Problem haben solltest“, sagte Neal. „Er wird sich um alles kümmern.“

„Im Großen und Ganzen ist es Sara, die die Praxis und meinen Kalender führt. Heute ist der Tag, an dem ich keine Termine annehme. Jim übernimmt sie für mich, aber ich gehe trotzdem hin und kümmere mich um den Schreibkram.“

„Dad und Grams sind da?“

Sein Bruder nickte. „Wo ist Mom? Ist sie immer noch in Paris?“

„Bis September“, erwiderte Neal und legte den Koffer auf den Beifahrersitz des Jeeps.

„Gott sei Dank. Sie kann man nicht so leicht reinlegen.“

„Ja, das stimmt.“

Neal sah Nick schweigend an, bis sein Bruder seine Reisetasche auf den Rücksitz von Neals Wagen warf.

„He, du hast mir nie gesagt, ob du im Moment eine feste Freundin hast“, fragte Nick. „Oder ist das eine dumme Frage für den König der Herzen.“

„Nein, ich bin vogelfrei. Du kannst allen Ladys von St. Louis bis Des Moines den Hof machen.“

Nick zuckte zusammen, als wenn er geschlagen worden wäre. „Ich will nur eine Weile raus, ein bisschen entspannen. Das ist alles.“

Vielleicht ist genau das Nicks Hauptproblem, dachte Neal. „Donna würde bestimmt nicht von dir erwarten, ein Mönch zu werden.“

„Und wer sagt, dass ich einer bin?“, erwiderte Nick bissig.

Autor

Andrea Edwards
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