Im Bett mit dem ruchlosen Laird

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Schottische Highlands, 13. Jahrhundert. Seit Jahren verteidigt die schöne Lioslath mit Dolch, Bogen und dem Mut der Verzweiflung ihre Familie! Als eines Tages der breitschultrige Bram, Laird des Colquhoun-Clans, mit seinen Männern ihre Feste belagert, brennt sie darauf, sich an ihm rächen. Denn er ist schuld am Tod ihres Vaters, am grausamen Schicksal ihres Clans! Doch statt sich mit ihr auf einen Kampf einzulassen, findet Bram einen Weg in ihr Schlafgemach und weckt in ihr eine verhängnisvolle Leidenschaft, die mit einer Highland-Hochzeit endet. Zu spät erfährt Lioslath, dass das nur eine weitere List des geliebten Todfeindes ist …


  • Erscheinungstag 16.10.2018
  • Bandnummer 345
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733827
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Schottland, 1296

Ihr habt mich bereits erwartet.“

Lioslath vom Fergusson-Clan war in der Dunkelheit ihres Schlafgemachs rastlos hin und her gegangen. Nun blieb sie stehen und umfasste den Dolch in ihrer Hand fester. Jahrelanger Übung verdankte sie, dass sie allein anhand dieser wenigen Worte verorten konnte, wo Bram, der Laird des Colquhoun-Clans, stand – und wohin sie ihre Klinge richten musste, um sein schlagendes Herz zu treffen.

Sie wusste es genau, obwohl sie mit dem Rücken zu ihm stand und von ihm in einem Augenblick der Rastlosigkeit überrascht worden war. In einem Augenblick, in dem sie wehrlos war. Zumindest würde er das glauben.

Der Laird hatte recht. Sie hatte ihn tatsächlich erwartet. So wie man die Ankunft eines Unwetters erwartete, das sich am Horizont zusammenbraute. Sie hatte ihn erwartet, seit er mit seinen Männern so wie Unwetterwolken auf einem nahe gelegenen Hügel aufgetaucht war. Seit ihre jüngeren Brüder auf ihn aufmerksam geworden und zurück zur Feste gerannt waren, damit die Tore geschlossen und verriegelt wurden. Die ganze Zeit über hatte Laird Colquhoun mehr und mehr seiner Clansmitglieder um sich geschart, die sich mit ihren Bögen und Schwertern in Position gebracht hatten, um so zuzuschlagen wie ein Blitz, den ein Unwetter mit sich brachte.

Aber sie hatten nicht zugeschlagen. Seit fast einem Monat hatten sie nichts dergleichen getan. Für Lioslath bedeutete das, Woche für Woche jeden Tag auf die in aller Eile wiederaufgebaute Aussichtsplattform steigen zu müssen, um einen Blick über die geschlossenen Tore werfen zu können. Und an jedem Tag hörte sie die Colquhoun-Männer auf der anderen Seite der Mauer reden, noch bevor sie die oberste Stufe der wackligen Treppe erreicht hatte.

Beinahe ein Monat war vergangen, aber ein Angriff hatte noch immer nicht stattgefunden. Noch immer war Laird Colquhoun nicht wie der raueste schottische Sturm gegen sie vorgerückt. Stattdessen hatten seine Männer die Feste nach und nach eingekreist. Von allen Seiten von ihnen umgeben zu sein, hatte etwas Erdrückendes, als würde ihr die Anwesenheit des Lairds die Luft zum Atmen rauben.

Doch seit diesem Morgen wusste sie, das Warten würde ein Ende haben. Vor dem Zugang zu dem Fluchttunnel hatte der Laird verschiedene Lebensmittel ablegen lassen, also kannte er inzwischen den Geheimgang. Obwohl Tür und Tor verriegelt waren, wusste sie genau, dass das Unwetter einen Weg nach drinnen finden würde.

Da Bram vom Colquhoun-Clan den Tag über keinen Versuch unternommen hatte, in die Feste zu gelangen, war ihr klar gewesen, dass er das in der Nacht tun würde.

Womit sie aber nicht gerechnet hatte, war der Klang seiner Stimme. So tief und melodisch, dass ihr eine Gänsehaut über die Arme lief und ihr mit einem Mal ganz heiß wurde.

Daher drehte sie sich nicht sofort zu ihm um, obwohl ein Mann unaufgefordert und entgegen allen Anstandsregeln ihr Schlafgemach betreten hatte. Sie täuschte keine jungfräuliche Empörung vor, auch wenn das ihr ursprünglicher Plan gewesen war, um den Mann abzulenken, damit sie auf ihn losgehen konnte.

Es lag an seiner Stimme. Mit einer solchen Stimme hatte sie einfach nicht gerechnet. Sie passte nicht hierher, hier in die Dunkelheit, in ihr Schlafgemach. Und sie passte nicht zu dem Mann, den sie bislang zu Gesicht bekommen hatte. Ein arroganter, stolzer Mann, der seine Überlegenheit zur Schau stellte, indem er durch ihr ramponiertes Dorf bis zu den von Wind und Wetter gezeichneten Toren der Feste geritten kam und mit Geschenken beladene Wagen brachte. Wahrscheinlich sah er sich als einen von allen geliebten Wohltäter. Oder als den neuen Laird der Feste, der seinen Leuten Geschenke machte.

Seit Laird Colquhoun mit der Belagerung begonnen hatte, hatte Lioslath ihn als ein Ärgernis empfunden. Ob es sein leuchtend rotes Haar war oder die ausholenden Schritte, wenn er zwischen seinen Soldaten hin und her ging, ob es seine lautstark erteilten Befehle oder seine Forderungen waren, die Tore aufzumachen, oder auch sein ständiges Lachen: Alles an ihm war ihr zuwider gewesen.

Bis jetzt.

Jetzt hatte in seiner Stimme ein verführerischer Tonfall mitgeschwungen, der sie tief berührte. Aber das durfte nicht sein! Sie versuchte ihr aufgeregtes Herz zu beschwichtigen.

Sie atmete tief durch, drehte sich um und wünschte sich im gleichen Moment, sie würde anderswo stehen. Der Vollmond schien durch das Fenster und durch die Löcher im Dach, doch Bram stand so, dass sein Gesicht in Dunkelheit getaucht blieb und sie nichts erkennen konnte.

Diese Dunkelheit wirkte sich zugunsten der Wirkung seiner Stimme aus, das war ihr klar. Sie korrigierte den Griff um das Heft ihres Dolchs, damit sie zum Zuschlagen bereit war. Ihr Plan musste vielleicht geändert werden, aber ihre Absicht würde sich nicht ändern. Sie hatte mit Bram vom Colquhoun-Clan gerechnet, doch er war hier nicht erwünscht, denn dafür war er viel zu spät eingetroffen.

„Geht weg“, sagte sie in einem Tonfall, der nicht bedrohlich wirken sollte. Ihr Hund – einfach nur Hund genannt – hatte sich in eine Ecke zurückgezogen. Sie durfte ihn nicht auf das Durcheinander der Gefühle aufmerksam machen, mit dem sie zu kämpfen hatte. Stattdessen musste sie ruhig bleiben und das tun, was ihrer Routine entsprach. Über Jahre hinweg war sie mit Hund auf die Jagd gegangen, daher wusste er, was der Dolch in ihrer Hand zu bedeuten hatte: Er musste sich auf die Lauer legen und auf ihr Signal warten, um die auserkorene Beute zu überrumpeln. „Verlasst mein Gemach, und verlasst die Feste. Waren die verschlossenen Tore und der auf Eure Männer geschleuderte Abfall etwa nicht abschreckend genug? Geht, Laird Colquhoun. Ihr hättet nie herkommen sollen.“

Bram konnte sie nur wie erstarrt anschauen.

Wochenlang war ihm der Zutritt zur Feste des Fergusson-Clans verwehrt worden. Wochen hatte er vergeudet, um sich ein Bild davon zu machen, wie die Feste und das Dorf angelegt sein mochten. Wochen, in denen er immer nur einen kurzen Blick auf die Frau hatte werfen können, die täglich auf der Plattform auftauchte und sich ein Bild von der Situation machte. Sichtbar, aber niemals nahe genug, um sie wirklich richtig betrachten zu können.

Jetzt jedoch, da sie nur wenige Schritte entfernt das Mondlicht stand, konnte er sie deutlich sehen. Es kam ihm so vor, als hätte die Nacht einen neuen Stern entstehen lassen, der alles überstrahlte, was am Firmament zu entdecken war.

Er schaute sich in der Kammer um. Ein schmales Bett, an der gegenüberliegenden Wand ein kleiner Tisch. In der einen Ecke etwas Großes, das eine Truhe sein mochte. Alles in allem ein schlicht eingerichtetes Gemach, das für eine Frau von solcher Schönheit viel zu spärlich war. Aber zumindest war er jetzt mit ihr allein.

„Ihr habt mich bereits erwartet“, wiederholte Bram und erkannte erst jetzt, weshalb diese Frau vollständig angezogen mitten in der Nacht in ihrem Raum auf und ab gegangen war. „Ihr habt heute Morgen mein Geschenk erhalten. Ihr habt uns heute beobachtet. Ihr wusstet, ich würde herkommen.“

„Euer Geschenk?“

„Das Wild und das Brot am Zugang zum Tunnel“, erklärte er. „Ich wusste nicht, ob Ihr es annehmen würdet.“

Sie legte die Stirn in Falten, in ihren Augen erwachte ein unpassend finsterer Ausdruck.

Er wusste, sie hatte sich die ganze letzte Woche heimlich bei seinen Vorräten bedient, doch bis zum gestrigen Tag war es ihm ein Rätsel gewesen, wie sie die Feste unbemerkt hatte verlassen können. Als er dann den Geheimgang entdeckt hatte, war ihm klar gewesen, dass er sie seine Absichten wissen lassen musste. Also hatte er am Morgen die Lebensmittel am Tunneleingang ablegen lassen, die ein Beitrag zu den Verhandlungen sein sollten.

Doch es war klar, dass er schon jetzt gescheitert war.

„Ihr habt das Geschenk nicht nehmen wollen“, antwortete er an ihrer Stelle. Er war ein Meister der Diplomatie, doch seine Gaben hatten nicht bewirkt, dass sie ihm geneigter geworden wäre. Sie hatte alle Tore und Türen verriegeln lassen, um ihn und seine Leute am Betreten der Feste zu hindern, und das Essen verschmäht.

„Warum geht Ihr nicht?“, fragte sie, ohne auf seine Worte zu reagieren.

Weil er noch nicht das getan hatte, wofür er hergekommen war. Er musste hier sein, und zwar heute Nacht. Während er die ganze Zeit darauf gewartet hatte, dass ihm Einlass in die Feste gewährt wurde, näherte sich seinem Clan eine große Bedrohung. Seine Pflichten als Laird machten es erforderlich, dass diese Situation beendet wurde. Dennoch dachte er in diesem Moment keineswegs an seine Pflichten, fasziniert von der schönen Frau im Mondlicht.

Ihre kurzen schwarzen Haare lockten sich oder standen trotzig ab. Das unterstrich ihre hohen Wangenknochen ebenso wie die sanften Linien ihres Kinns. Ihre Haut wirkte im Mondschein besonders blass, zudem ließ das Licht ihre Augen größer und strahlender erscheinen. Und erst diese Farbe …

Die Augen waren von einem intensiven Blau, das einen starken Kontrast zu den schwarzen Haaren und den dichten langen Wimpern bildete. Es kam ihm so vor, als würde sich gleich unter ihren elegant geschwungenen Augenbrauen ein strahlend blauer Sommerhimmel befinden.

Da der Mond nicht für genügend Licht sorgte, konnte er die Konturen ihres Körpers nicht im Detail erkennen, doch das war jetzt auch nicht nötig. Denn immer wenn sie sich von der Plattform aus ein Bild ihrer Umgebung machte, hatte der Wind die abgetragene Kleidung so gegen ihre Rundungen gedrückt, dass ein Mann sich unweigerlich versucht fühlte, diese Frau anzuflehen, sich ihm hinzugeben. Und das galt auch für ihn.

Seine Reaktion auf sie war nie Teil des Plans gewesen, den er und seine Brüder sich überlegt hatten. Ein Plan, um mit den Fergussons Frieden zu schließen, um den Winter zu überdauern und um sich vor einem gewissen englischen König zu verstecken.

Ein komplizierter Plan, der allerdings durch die Tatsache erleichtert wurde, dass sich alles auf dem Land der Fergussons erledigen ließ und dass Lioslath nur einen der Gründe für seine Anwesenheit erfahren musste. Es war der Grund, den er auch im April in seinem Brief an sie erklärt hatte. Es war der Versuch, das ihrem Clan und ihrer Familie widerfahrene Unrecht wiedergutzumachen, indem den Waisenkindern der Fergussons Hilfe zuteilwerden sollte.

Immerhin hatte er ja bereits versucht, ihren Clan mit den Colquhouns zu verbünden, als er seine Schwester Gaira mit Busby, dem Laird der Fergussons, Lioslaths Vater, hatte vermählen wollen. Doch Gaira hatte sich dieser Heirat verweigert und war zu ihrer Schwester nach Doonhill geflohen. Und Lioslaths Vater war auf der Suche nach Gaira ums Leben gekommen.

Bram knirschte mit den Zähnen. Bedauerlicherweise war seine Ankunft im Sommer durch verschiedene Umstände verzögert worden. Nun war es bald schon Winter, was seine beabsichtigte Hilfe für seinen Clan nur noch schwieriger machen würde. Und dennoch war er jetzt hier.

Hier in ihrem Gemach. Problemlos war er durch den geschickt getarnten Tunnel hierher gelangt. Es wunderte ihn, dass der Geheimgang genau unter ihrem Schlafgemach auskam. Als er sie hier vorgefunden hatte, war er sehr erfreut gewesen. Nach den politischen und privaten Unruhen des vergangenen Jahres, nach der schicksalhaften Ankunft seiner Brüder und der von ihnen überbrachten unheilvollen Nachrichten musste es in seinem Leben auch einmal etwas Einfaches, Schlichtes geben.

Doch was Lioslath anging, gab es nichts Einfaches oder Schlichtes. Sie war wie eine Schöpfung, bei der Mond und Sonne gemeinsam entschieden hatten, dass sie der Schönheit beider würdig war. Wäre ihm das ganze Ausmaß ihrer unglaublichen Schönheit bekannt gewesen, hätte er schon vor Wochen die bedeutungslose Verteidigung ihrer Feste überrannt. Jeder Mann hätte das so gemacht.

Er verfluchte sich dafür, dass er auf Vernunft und Diplomatie hatte setzen wollen. Der Versuch, Nahrung anzubieten, war gescheitert, weil seiner Belagerung einer baufälligen Feste, aber nicht der wunderschönen Frau in dieser Feste gegolten hatte.

Mit einem Mal begriff er, wie leicht es doch sein würde, sie dazu zu überreden, mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Und das musste sie tun, wenn sein Plan funktionieren sollte, den Winter hier bei ihr zu verbringen.

„Ihr wollt, dass ich gehe? Aber wir müssen doch … verhandeln. Nutzt diese Begegnung mit Laird Colquhoun“, sagte er selbstsicher. Er wusste, wer er war, und er wusste, welche Bedeutung jede Frau seiner Macht zumaß. „Es kann nicht Euer Begehr sein, dass diese Begegnung nur von so kurzer Dauer sein soll.“

Sie war wunderschön, und vermutlich war sie daran gewöhnt, dass Männer ihr Komplimente machten. Er war ein Narr gewesen, dass er die Feste nicht gestürmt hatte. Ein Narr, der keine Gewalt anwenden wollte, die Kinder und Familien in Angst und Schrecken hätte versetzen können. Er musste ihr nur schmeicheln, mit ihr schäkern, ihr Komplimente machen, dann würde er Erfolg haben und seinen Plan in die Tat umsetzen können.

„Von kurzer Dauer? Mein Begehr“, sie betonte das eine Wort mit besonderem Nachdruck, „war es, dass es erst gar nicht zu dieser Begegnung kommt. Und mein Begehr ist, dass Ihr von hier verschwindet.“

Ihm gefiel, wie ihr das Wort „Begehr“ über die Lippen kam, über diese volle Unterlippe und diese Oberlippe mit dem ausgeprägten Schwung.

„Dazu ist es aber nun gekommen.“ Er zuckte mit den Schultern und stellte eine Gelassenheit zur Schau, die er so gar nicht empfand. „Ich bin hier, um den nächsten Schritt zu tun, nachdem ich mich Euch vor den Toren vorgestellt habe. Immerhin seid Ihr Lioslath“, redete er leise weiter. „Die … älteste Tochter, oder?“ Sie hatte auf der Plattform gestanden und nichts gesagt. Aber hier, in ihrem Schlafgemach, würde sie wohl die Etikette nicht missachten.

In ihrem Schlafgemach, in dem sie anscheinend bereits auf ihn gewartet hatte. Seine Vorfreude steigerte sich weiter. Womöglich war sie mit diesem Spiel genauso vertraut wie er.

Sie zog die Augenbrauen enger zusammen. „Ihr seid hergekommen, ohne zu wissen, wer ich bin?“

Zufriedenheit erfasste ihn. Ja, sie kannte das Spiel ebenfalls. Auf schüchterne, vielleicht aber auch auf auffordernde Weise hielt sie ihn dazu an zu erraten, wer sie war. Mit ihr zu schäkern, würde viel leichter sein als vermutet. „Ich weiß genau, wer Ihr seid“, sagte er und machte einen Schritt auf sie zu, während sie sich nicht von der Stelle rührte. Das Gemach war klein, und er würde nicht viele Schritte benötigen, bis er vor ihr stand. „Ihr seid das Mädchen, das ich bald küssen werde.“

Sie machte den Mund einen Spaltbreit auf und schüttelte leicht den Kopf.

Glaubte sie etwa, er würde sie nicht küssen? Dann kannte sie ihn nicht sehr gut. Ein Grund mehr, sein Abwarten zu bedauern. Bald würde sie erfahren, dass er ein Mann war, der Wort hielt.

„Für Scherze habe ich nichts übrig“, sagte sie. „Und auch nicht für diejenigen, die meine Geduld über Gebühr strapazieren.“

Sie ging zur Seite, sodass der Mondschein sie nicht mehr erfassen konnte. Ihm fehlte ihr Anblick sofort. Zwar befand er sich jetzt innerhalb ihrer Feste, doch mit ihren Worten sperrte sie ihn weiterhin aus. Ja, sie beherrschte dieses Spiel wirklich gut.

Aber es war bereits spät, und obwohl er für seine Begeisterung für diese Art Spiel bekannt war, wusste er doch auch, wann er einen Zug nach vorn machen musste, vor allem wenn der Vorteil ganz eindeutig auf seiner Seite war. Schließlich war sie eine Frau, und er wusste immer, wie er mit Frauen umgehen musste, um zu bekommen, was er haben wollte. Bei ihr würde es nicht anders sein.

„Kommt schon, wir haben genug gespielt“, sagte er. „Es ist Nacht, und wir sind allein. Gibt es da nicht etwas, das Ihr lieber spielen würdet?“

Spiele? Was für Spiele?

Lioslath verstand nicht, was dieser Mann wollte.

Im ersten Moment schob sie es auf die fortgeschrittene Nachtstunde, auf die Art, wie seine Stimme sie berührte. Sie schob ihren verwirrten Geist auf Hunger und Durst, unter dem sie seit Wochen litten.

„Ich spiele nie irgendwelche Spiele“, erklärte sie. Da ihr klar geworden war, welche Art von Spielen er meinte, empfand sie das Wort als ausgesprochen beleidigend.

Er winkte ab, sie folgte mit ihren Blicken dieser Geste. Er hatte schöne Hände, die kraftvoll und elegant wirkten, was sie genauso überraschte wie seine wohlklingende Stimme.

„Kommt schon, ich bin mit dieser Taktik vertraut“, redete er weiter. „In der Vergangenheit hat so etwas die Belohnung nur umso süßer gemacht. Aber wir haben bereits lange genug gewartet, meine Liebe. Glaubt mir, meine Bereitschaft, mich auf Euer Spiel einzulassen, könnte nicht ehrlicher sein.“

Schäkerte der Mann etwa mit ihr? Von klein auf und bis vor Kurzem war sie von Männern stets links liegen gelassen worden. Kein Mann hatte je mit ihr geschäkert. Das wagte keiner von ihnen.

Nein, das hier hatte mit Schäkern nichts zu tun. Es war nur seine Art, was er sagte, wie er sich benahm … einfach alles. Ein Mann, der sich für unwiderstehlich hielt, wenn er Begriffe wie „Mädchen“ oder „meine Liebe“ benutzte.

Er umschmeichelte sie nicht, allerdings schien er auch nicht gehen zu wollen. Sie würde sich entscheiden müssen. Der Dolch oder Hund? Es war schon spät, und ein Dolchstich würde eine große Blutlache zur Folge haben, die sie dann noch aufwischen müsste. Aber sie brauchte ihren Schlaf.

„Ihr müsst jetzt gehen!“, forderte sie ihn auf.

Auf eine Geste hin erhob sich Hund von seinem Platz. Bram machte große Augen, aber nicht vor Angst, sondern vor Erstaunen.

„Das ist ein Hund? Ich hatte ihn für eine Truhe gehalten.“ Sein Grinsen verlor den amüsierten Zug. „Es ist nicht sehr einladend, wenn Ihr einen … was ist das? Ein Wolf? Wenn Ihr so ein Tier in Eurem Gemach habt, da Ihr mich doch erwartet habt.“

Er wandte den Blick von Hund ab, was entweder von Dummheit oder von Arroganz zeugte.

Aber das war jetzt auch gleichgültig. Seine Zeit hier war abgelaufen. Sie hatte ihn schon zu lange gewähren lassen. Sie suchte die Schuld dafür bei ihrem Hunger, bei seiner Stimme, bei den eleganten Bewegungen seiner Hände. Ihm gab sie die Schuld an einfach allem, und es war an der Zeit, ihn daran zu erinnern.

„Aye, ich habe Euch erwartet“, sagte sie mit so viel Verachtung, wie sie nur in ihre Stimme legen konnte. „Ich habe Euch so erwartet, wie man eine Seuche oder die Pest erwartet. Und so willkommen seid Ihr hier auch.“ Sie stellte sich etwas breitbeiniger hin, um bereit zu sein, wenn sie den Dolch in seine Richtung schleudern wollte. „Ihr müsst jetzt gehen. Ich habe Euch gewarnt.“

„Wir haben noch gar nicht begonnen, Lioslath. Warum sollte ich schon gehen?“

Er war einfach nur arrogant, er strotzte vor Selbstsicherheit und vor Hochmut. Wieder gab sie Hund ein Zeichen, woraufhin der sich zu ihr stellte und ein tiefes, kehliges Knurren von sich gab.

Das bedrohliche Knurren sorgte stets dafür, dass sich ihr die Nackenhaare sträubten, und zweifellos erlebte Bram genau das Gleiche. Doch er wandte den Blick nicht von ihr ab. Da er in Hund keine Bedrohung sah, war sie zum Handeln gezwungen.

„Ja, ich habe Euch erwartet, Bram, Laird of Colquhoun.“ Lioslath machte einen Schritt in den Lichtschein des Mondes und hob den Dolch so, dass die Klinge das Licht reflektierte und Bram sehen konnte, was sie vorhatte. „Aber ich glaube nicht, dass Ihr im Gegenzug das hier erwartet habt.“

2. KAPITEL

Als Lioslath am nächsten Morgen aufwachte, stand sie so schnell auf, dass ihr schwindlig wurde und sie sich sogleich wieder hinlegen musste. Der ständige Hunger hatte schon in den letzten Tagen immer wieder Schwindelgefühle aufkommen lassen. War es heute Morgen schlimmer als üblich? Falls ja, wusste sie, wem sie die Schuld daran geben konnte.

Die erwachende Wut gab ihr Kraft, sich langsam ein zweites Mal aufzusetzen. Wut, die auf einen Mann gerichtet war: Bram. Bram, der einfach nur gelacht hatte.

Sie konnte noch immer nicht begreifen, was letzte Nacht geschehen war.

Sie war bereit gewesen, mit dem Dolch auf Bram loszugehen und den Hund auf ihn zu hetzen, doch er hatte laut gelacht, als hätte sie ihm eine lustige Begebenheit erzählt.

Vor Schreck war ihr fast der Dolch aus der Hand geglitten, und sie war zu keiner Reaktion fähig gewesen, als er ihr kopfschüttelnd sagte, dass ihm diese Spielchen gefielen und dass sie sich am nächsten Tag wiedersehen würden.

Sie stand nur da, unfähig, sein Verhalten zu verstehen. Und dann war da auch noch Hund, der sich hinsetzte, den Kopf schräg legte und zusah, wie Bram durch die Falltür, die zum Geheimgang führte, ihr Gemach verließ. Weder ihr Verhalten noch das ihres Wachhunds konnte sie nachvollziehen, aber am unfassbarsten von allem war Brams Ankündigung, sie heute wiederzusehen. Er erwartete, dass sie für ihn das Tor öffnete.

Das würde sie ganz sicher nicht machen, dafür hatte Bram mit seinem spöttischen Gelächter selbst gesorgt. Wenn sie könnte, hätte sie das Tor nur noch fester verschlossen. Oder aufgemacht, wenn Bram davorstand, nur um es ihm gleich wieder vor der Nase zuzuschlagen. Der Gedanke gefiel ihr.

Ein ganz anderes Thema war Hund, der sich vor ihren Augen in ein harmloses, nutzloses Schoßhündchen verwandelt hatte. Sie hatte ihn großgezogen und in ihm immer ihren Freund und Beschützer gesehen, zumal er seine wilde Art nie abgelegt hatte und sich außer ihr niemand an ihn heranwagte.

Erneut wurde ihr ein wenig schwindlig, als sie vom Bett aufstand, was am Hunger liegen musste. Zumindest musste von ihrem Clan niemand sonst Hunger leiden, nicht einmal Hund, für den stets noch etwas abfiel. Dafür sorgte sie schon … oder besser gesagt: Bram sorgte dafür.

Er hatte ihr vor Augen geführt, dass er auf die Jagd ging und Nahrung für sie beschaffte. Er hatte den geheimen Tunnel entdeckt, und die Wut darüber gab ihr neue Kraft, um den Schwindel in den Griff zu bekommen und vorsichtig aufzustehen.

Das war ihr ganz persönlicher Tunnel, von dem sie niemandem erzählt hatte. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte es mehrere derartige Gänge gegeben, doch mit der Zeit waren sie bei den Leuten aus der Feste in Vergessenheit geraten. Sie war die Einzige, die diesen einen geheimen Tunnel seit Jahren instand hielt, so gut es ging. Es war ein schmaler Tunnel, aber schon als Kind hatte sie ihn genutzt, um einer drohenden Bestrafung für irgendein Vergehen zu entkommen, um vor ihrer Familie und vor dem weglaufen zu können, was aus eben dieser Familie geworden war.

Allein zu wissen, dass dieser Geheimgang existierte, wirkte auf sie beruhigend. Und jetzt, während der Belagerung, machte dieser Gang es ihr möglich, dringend benötigte Nahrung zu beschaffen, indem sie sich bei den Vorräten von Brams Leuten bediente. Aber was sie für Diebstahl gehalten hatte, war in Wahrheit ein Geschenk von Bram gewesen, der sie absichtlich hatte stehlen lassen.

Sie hätte es wissen müssen – und insgeheim hatte sie es auch längst gewusst –, trotzdem hatte sie diese Beute nicht einfach ignorieren können. Als sie in der vorletzten Nacht erneut auf Raubzug gegangen war, hatte sie nahe dem Tunnelausgang Wildfleisch vorgefunden. Und auch der Sack mit Kohl und Zwiebeln sowie die Brote waren ein Geschenk von Bram gewesen.

Dass es sich um einen Köder handelte, war ihr klar gewesen, dennoch hatte sie alles mitgenommen, auch wenn sie es nur mit Widerwillen machte, damit ihre Leute nicht hungerten. Allerdings hatte sie sich geschworen, nicht weiter Essen zu stehlen. Da es heute das letzte Mahl mit gestohlenem Fleisch geben würde, musste sie dafür sorgen, dass die wenigen noch in der Feste verbliebenen Leute etwas zu essen hatten. Das galt auch für ihre Brüder und Schwester. Nur für sich selbst nahm sie nichts, was auch egal war. Sie musste nicht sonderlich bei Kräften sein, da sie in ihrer Feste festsaß. Wessen Schuld das war, wusste sie nur zu gut.

Zusammen mit Hund verließ sie ihr Gemach und begab sich zu der kurzen Treppe, die hinunter in den Saal führte. Zu gern hätte sie einen Bogen um diesen Raum gemacht, auch wenn es dort nicht mehr ganz so schlimm stank, was im Übrigen das einzig Gute war, das die Belagerung mit sich gebracht hatte.

Alte modrige Streu, Essensreste, Knochen und anderer Unrat waren zusammengekehrt worden, um damit die Belagerer des Colquhoun-Clans vor den Toren ihrer Feste zu bewerfen. Dennoch stank es weiterhin nach fauligem Holz und nach dem Dreck auf dem Steinboden, den seit Jahren niemand mehr geschrubbt hatte. Als sie noch ein Kind gewesen war, da hatte sich der Saal blitzblank präsentiert, ein angenehmer Geruch hatte geherrscht. Damals hatten ihre Eltern noch gelebt. Jetzt dagegen roch es nach Schimmel und Fäulnis.

Es war ihr zuwider, in der Feste bleiben und den Saal durchqueren zu müssen, der ihre Kindheitserinnerungen verhöhnte. Sie tätschelte Hund den Kopf und eilte nach draußen zu dem flachen Gebäude, in dem sich die Küche befand. Die Köchin, die aus dem Wild und dem Gemüse eine Suppe gekocht hatte, lächelte sie verhalten und respektvoll an.

Lioslath zwang sich zu einem Nicken, um den Gruß zu erwidern. Nachdem man fast ihr ganzes Leben lang so gut wie keine Notiz von ihr genommen hatte, war es jetzt in gewisser Weise beunruhigend, dass ihr Clan ihr seit über einem Monat mit Loyalität und mit … Respekt … begegnete.

Es fiel ihr schwer, sich von ihrer lebenslangen Gewohnheit zu verabschieden, um alles und jeden einen Bogen zu machen. Aber durch die Belagerung war sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, und sie musste ihren Clan und ihre Familie zur Kenntnis nehmen. Genau genommen war sie bereits vor der Belagerung dazu gezwungen gewesen, doch darüber wollte sie jetzt lieber nicht nachdenken.

Kaum hatte sich Hund den großen Knochen vom Tisch gezogen, verließ Lioslath mit ihm durch die Hintertür wieder die Küche. Auch hier hinter der Küche hatte sich etwas verändert. Wo früher die verrottenden Überreste des geschlachteten Viehs entsorgt worden waren, herrschte nun gähnende Leere, da man die Belagerer auch mit diesen Abfällen beworfen hatte.

Doch auch an dem sauberen Platz konnte sie keinen Gefallen finden, denn nach der Begegnung mit Bram in der vergangenen Nacht würde ihr nur eines zusagen: wenn dieser Mann den Rückzug antrat und sie in Ruhe ließ. Er stand für alle Eigenschaften, die sie an einem Mann hasste: Eitelkeit, Arroganz, Unbekümmertheit. Sie bedauerte zutiefst, dass sie nicht die Gelegenheit genutzt und ihm den Dolch ins Herz getrieben hatte.

Sie ging zur Plattform, von der aus man den Bereich vor dem Tor überblicken konnte. Die Konstruktion war eine in aller Eile zusammengezimmertes Provisorium, für die sie eine noch von ihrem Vater in Auftrag gegebene Treppe hatte verwenden können. Diese Treppe, die ursprünglich überhaupt keinem Zweck gedient hatte, war eine von den vielen spontanen, seltsamen Ideen ihres Vaters gewesen – so wie der Plan, die Schwester des Colquhoun zur Frau zu nehmen.

„Du bist schon wieder spät aufgestanden“, riss eine Stimme sie aus ihren Gedanken.

Vor ihr stand Aindreas, der Sohn des Jägers Niall, dessen dichtes Haar wie üblich völlig zerzaust war. „Kümmert das jemanden?“, gab sie schroff zurück. Tatsächlich kümmerte es sie selbst, da sie ihr Leben lang eine Frühaufsteherin gewesen war.

„Du wandelst dich noch zu einer Müßiggängerin. Die anderen Männer und ich haben bereits die Eimer mit Abfall gefüllt. Wir warten nur auf deinen Befehl, den Feind damit zu bewerfen. Außerdem habe ich überprüft, ob alle Tierfallen einwandfrei funktionieren.“

Zwar reagierte sie mit einem abfälligen Schnauben, doch in Wahrheit beneidete sie den Mann um seine Aufgaben. Die gaben ihm eine Existenzberechtigung, während sie selbst sich überflüssig vorkam. „Dann musst du aber sehr früh aufgestanden sein, wenn ich bedenke, wie wenig Geschick du bei den Fallen besitzt“, neckte sie ihn.

„Seit unserer Kindheit habe ich Fortschritte gemacht. Und da du eine Langschläferin geworden bist, werde ich besser sein als du, wenn wir das nächste Mal auf die Jagd gehen.“

Die Jagd. Sie hatte für die Jagd gelebt. Nachdem ihr Vater ein zweites Mal geheiratet und ihre Stiefmutter ihr verboten hatte, in der Feste zu schlafen, war sie Niall auf Schritt und Tritt gefolgt, bis er sie in seine Techniken eingeweiht hatte. Aindreas, der nur ein Jahr älter als sie war, war für sie so etwas wie ein Bruder geworden. Diese Jahre mit ihm als Jagdgefährten waren für sie die schönste Zeit ihres Lebens gewesen. Im Cottage seiner Eltern hatte sie die Gelegenheit gehabt, in einer Familie zu leben, die sie selbst nie gehabt hatte.

Jetzt allerdings hatte sie selbst Familie. Zwar nicht mehr ihre Eltern, dafür aber ihre Halbbrüder und ihre Halbschwester.

„Die Hündchen sind auch schon alle wach“, sagte Aindreas, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Haben sie zu essen bekommen?“

„Ist das für dich wirklich wichtig?“

„Aye. Aber wenn sich schon jemand um sie kümmert, muss ich das nicht tun.“ Sie warf ihm einen warnenden Blick zu. „Du kannst sie noch so oft als Hündchen bezeichnen, trotzdem werde ich mich nicht mit ihnen befassen.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie sind der Meinung, dass die Dinge jetzt anders liegen.“

Sie wollte nicht über den Tod ihres Vaters nachdenken, auch nicht darüber, was der für ihre jüngere Halbschwester Fyfa und ihre Halbbrüder Eoin und Gillean bedeutete. Sie hatte sich noch immer nicht richtig daran gewöhnt, mit ihnen in der Feste festzusitzen, nachdem sie sie viele Jahre lang kaum zu Gesicht bekommen hatte. „Selbst wenn die Dinge jetzt anders liegen, was sollte ich mit ihnen anstellen? Sie tun … einfach gar nichts.“

„Das stimmt nicht. Sie spielen.“

„Was weiß ich schon übers Spielen? Außer dass es keinem Nutzen dient.“

„Nur weil du nie eine Gelegenheit hattest …“ Aindreas’ Miene nahm einen sanfteren Zug an. „Du musst gar nichts mit ihnen machen. Sei einfach nur ihre Schwester.“

Sie wusste ja nicht mal, wie sie das anstellen sollte, weil sie nicht mit Geschwistern aufgewachsen war. Woher sollte sie wissen, was sie tun musste?

„Du kannst ihnen nicht für immer und ewig aus dem Weg gehen.“

„Das tue ich gar nicht.“ Es wäre sogar unmöglich gewesen, ihnen aus dem Weg zu gehen, weil sie immer irgendwo im Weg waren und spielten und ausgelassen lachten. Das unablässige Geplapper ihrer Geschwister machte ihr sogar Angst. „Würdest du heute auf sie aufpassen?“

„Du weißt, dass ich das machen werde.“

„Halt sie nur von der Plattform fern“, sagte sie ohne Rücksicht darauf, wie er ihre Worte aufnehmen würde.

„Hast du Angst, sie könnten sich verletzen? Du bekommst ja wirklich noch ein weiches Herz.“

„Nein“, widersprach sie ihm, fragte sich aber, ob das womöglich doch der Grund für ihre Anweisung war. „Ich habe heute nur schon genug zu tun, da kann ich mich nicht auch noch um verletzte Geschwister kümmern.“

„Und was genau hast du heute zu tun?“

Sie wandte sich ab, nahm sich einen Eimer randvoll mit Abfällen und sagte über die Schulter. „Ich muss mich von den Colquhouns verabschieden.“ Dann stieg sie die Treppe hoch, achtete auf die etwas wacklige Stufe, und noch bevor sie auf der Plattform angekommen war, hörte sie Bram fröhlich lachen. Dieses Lachen werde ich ihm schon bald austreiben, nahm sie sich vor.

3. KAPITEL

Bram entdeckte Lioslath in der Küche. Es war spät in der Nacht. Im Mondlicht sah er, dass Ruß ihr Gesicht und die Hände bedeckte. Sie lag zusammengerollt neben dem langsam erlöschenden Kaminfeuer. Ihr Hund war an ihrer Seite.

Als der auf einmal knurrte, schreckte sie hoch, ihre Hand schoss vor, als wollte sie nach einer Waffe greifen.

Als der Hund sich drohend vor ihm aufbaute, wich Bram ein Stück weit zurück. „Ihr habt das Tor nicht aufgemacht“, sagte er sanfter als beabsichtigt. Natürlich hatte er nicht erwartet, dass sie ihm mit einem Mal ganz ohne Widerstand Einlass gewährte, nachdem sie sich so lange Zeit dagegen gesträubt hatte. Als sie am Morgen wieder einmal mit Abfällen nach seinen Leuten geworfen hatte, war er noch der Meinung gewesen, dass sie das nur tat, um den Schein zu wahren. Deshalb hatte er auch seine Verärgerung im Zaum gehalten, als etwas von dem Unrat auf seinem Schuh gelandet war.

Doch der Tag war verstrichen, ohne dass er sie noch einmal zu sehen bekam.

„Und dennoch seid Ihr wieder hier“, konterte sie.

Sie erhob sich und stand ein wenig wacklig da. Nun entdeckte er, was er in der Nacht zuvor nicht hatte sehen können: ein kleines Muttermal gleich über der Oberlippe. Es saß dort, als hätte ein spitzbübischer Elf sie dort geküsst. Wäre er ein solcher Elf, dann hätte sie von der Art noch viele mehr …

„Was kann ich tun, um Euch zu vergraulen?“, fragte sie.

Wie starrsinnig sie doch war. Er hatte geglaubt, seine schmeichelnden Worte würden bei ihr genauso wirken wie zuvor bei anderen Frauen, doch das schien nicht der Fall zu sein. Aber es gab ja auch noch andere Methoden, um eine Frau zu überreden.

Sie nahm die Geschenke an, die er für sie am Tunneleingang hinterließ, und er wusste ebenfalls, in welcher Verfassung sich ihr Clan und die Ländereien befanden. Auch wenn sie beharrlich geleugnet hätte, sie benötigte seine Unterstützung, mit Vorräten ebenso wie mit Arbeitskräften. Beides benötigte sie so sehr, dass er mit ihr würde aushandeln können, über Winter hierzubleiben.

„Die Tore sind verbarrikadiert, aber ich kann in die Feste gelangen“, sagte er. „Das ist keine richtige Belagerung, daher wird es Zeit, dem Ganzen ein Ende zu bereiten.“

„Ich habe Euch nie aufgefordert herzukommen. Ich habe Euch mit einem Dolch bedroht und fortgeschickt.“

„Es mag sein, dass ich nicht willkommen bin“, entgegnete Bram. „Aber meine Vorräte sind es durchaus.“

„Ihr seid wegen Eurer Geschenke immer noch hier?“, fragte sie erstaunt. „Die hättet Ihr auch hinlegen und dann aufbrechen können. Ich weiß ja nicht mal, warum Ihr überhaupt hier seid.“

„Ich habe Euch eine Nachricht geschickt. Gleich nach dem Tod Eures Vaters habe ich Euch meine Hilfe angeboten.“

„Nur weil Ihr ein schlechtes Gewissen wegen der Verbrechen hattet, die Ihr begangen habt!“

„Ich habe überhaupt kein Verbrechen begangen. Ich habe eine Allianz geschaffen!“

Wieder schwankte sie ein wenig und stellte sich breitbeiniger hin, um die Balance zurückzuerlangen. Er sah auf ihre Füße, konnte aber nichts entdecken, wodurch sie aus dem Gleichgewicht hätte geraten können.

„Ihr habt diesen Clan bestochen, Ihr habt Eure Schwester mit meinem Vater verkuppelt, die die erstbeste Gelegenheit genutzt hat, um wegzulaufen!“

Bram schüttelte den Kopf. „Ich habe niemanden bestochen, sondern eine Ehe zwischen Eurem Vater und meiner Schwester Gaira vorgeschlagen. Dazu habe ich vierzig Schafe geboten, zwanzig sofort und zwanzig weitere nach einem Jahr. Es war eine für beide Seiten einträgliche Allianz, die von Eurem Vater so akzeptiert wurde.“

„Was Eure Schwester nicht interessiert hat! Ohne einen Grund ist sie weggelaufen!“

Er wusste, dass Gaira vor Lioslaths Vater Busby Angst gehabt hatte, doch das wollte er jetzt nicht zur Sprache bringen. „Warum sie weglief, ist nicht wichtig.“

„Natürlich ist es wichtig. Sonst hätte mein Vater ihr nicht folgen müssen, und er wäre nicht umgebracht worden!“

Er musste unbedingt das Thema wechseln. In seiner Nachricht an sie hatte er zwar nicht gelogen, aber über die wahren Umstände geschwiegen, die zum Tod ihres Vaters geführt hatten. Er wusste, wer ihn getötet hatte: Robert of Dent, der berühmte Black Robert, einer von König Edwards Rittern. Nun war er mit Gaira verheiratet und lebte auf dem Territorium der Colquhouns, ohne dass jemand wusste, wer er in Wahrheit war.

„Meine Schwester ist weggelaufen“, sagte Bram. „Eurem Vater habe ich nicht befohlen, sich an die Verfolgung zu machen.“

„Nein, Ihr habt ihm bloß damit gedroht, ihm die Schafe wegzunehmen und ihn die ganze Macht des Colquhoun-Clans spüren zu lassen, sollte er sie nicht finden.“

Als Bram die Allianz mit Laird Busby of Fergusson eingegangen war, hatten seine Interessen nur seinem Clan gegolten. Zu der Zeit hatten aber auch die Engländer noch nicht die Massaker von Berwick und Doonhill verübt, und der Krieg gegen England war noch nicht bei Dunbar verloren worden. Wie hätte er oder irgendein anderer ahnen sollen, dass Schottland innerhalb weniger Monate solche Veränderungen durchmachen würde?

Hätte er es gewusst, dann hätte er seine Schwester in seiner Nähe behalten. Er hätte all diese Monate damit verbracht, seine Burg stärker zu befestigen, damit jeder vom Clan Colquhoun sicher aufgehoben war. Stattdessen hatte er auf eine Ehe zwischen Gaira und Laird Fergusson gedrängt, was unter normalen politischen Umständen ein kluger Zug gewesen wäre, da er den Clan nach Süden hin gestärkte hätte. Außerdem wäre Gaira dadurch näher bei ihrer jüngsten Schwester Irvette gewesen.

Irvette, die Reizendste und Lieblichste von allen, die den Mann geheiratet hatte, den sie liebte. Irvette, die bei Doonhill von den Engländern ermordet worden war.

Seit dem letzten April hatte seine Familie zu viele Verluste hinnehmen müssen, von denen er die meisten hätte verhindern können. Er würde seine Familie und seinen Clan nicht noch einmal enttäuschen. Er war der Laird, und er wusste, was auf dem Spiel stand. Es war seine unverrückbare Absicht, seinen neuen Plan in die Tat umzusetzen.

„Was ist aus diesen Schafen geworden, Lioslath? Ich habe sie Euch nicht weggenommen, aber ich sehe kaum Vieh auf Eurem Land.“

„Warum sollte Euch das kümmern?“

Ihre trotzige Art strapazierte seine Geduld, aber er würde sich zusammenreißen. „Ich habe Euch geschrieben, dass Gaira auf mein Land zurückgekehrt ist. Ich habe Euch erklärt, dass ich herkommen werde, um Wiedergutmachung zu leisten.“

„Das hat aber sehr lange gedauert.“

„Dunbar ist dazwischengekommen. Es hat so lange gedauert, weil Schottland in den Krieg gezogen ist!“

„Aye, aber das erklärt nicht, wieso es so lange gedauert hat. Jeder weiß, dass Ihr bei Dunbar nicht dabei wart.“

Das stimmte zwar, dennoch konnte er weder ihr noch sonst jemandem erklären, warum er nicht an der schicksalhaften Schlacht teilgenommen hatte. König John Balliol persönlich hatte ihm befohlen, nicht in diese Schlacht zu ziehen, sondern zu Hause zu bleiben und zwei Nachrichten entgegenzunehmen, die Schottland beschützen sollten.

Aber diese Nachrichten waren ihm nie überbracht worden, Balliol unterlag bei Dunbar und wurde im Londoner Tower eingekerkert. An seiner Stelle herrschte nun der englische König Edward über die Schotten. Falls Balliol erwartet hatte, dass Bram an seiner Stelle Schottland beschützen würde, dann war er weit davon entfernt, diese Erwartung zu erfüllen.

Während er darauf gewartet hatte, dass Lioslath die Tore für ihn öffnete, waren seine Brüder Malcolm und Caird eingetroffen. Mit ihrer Heimkehr wurde dann auch klar, dass es sich bei den angekündigten Nachrichten nicht um Nachrichten im eigentlichen Sinn handelte, sondern dass der Begriff für etwas ganz anderes stand: für einen Dolch und für das legendäre Juwel der Könige.

Das Juwel befand sich nun in Malcolms Obhut, doch inzwischen hatte er sich auf den Weg zum Buchanan-Clan gemacht, um den Dolch sicher zu verwahren. Er hatte sogar ein Ersatzpferd mitgenommen, damit er die Strecke schneller zurücklegen konnte. Bram wusste nur zu gut, dass er womöglich nicht schnell genug sein würde. Solange das Juwel für jedermann in greifbarer Nähe war, schwebten sein Bruder und sein ganzer Clan in schrecklicher Gefahr.

Bis auf Weiteres musste Bram bei den Fergussons bleiben und den Winter hier verbringen, während er auf Neuigkeit rund um das Juwel wartete. Im nächsten Frühjahr würde er wissen, ob er für die Sicherheit seines Landes besser nach Norden ritt oder vielleicht doch nach Süden. So oder so würde König Edward ihn dann finden.

„Es ist unwichtig, ob ich in Dunbar war oder nicht. Auf jeden Fall hat sich dadurch meine Ankunft verzögert“, redete er weiter. „Aber nun bin ich hier.“

„Und ich will, dass Ihr wieder geht.“ Als sie auf die Tür zeigte, schwankte Lioslath erneut.

„Was plagt Euch?“

Nach kurzem Zögern antwortete sie: „Ihr, sonst nichts.“

Es war eine Lüge. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, ihre Wangen waren eingefallen, sie wirkte abgemagert.

„Ich habe Euch Nahrungsmittel gebracht“, sagte er.

„Ich habe sie an mich genommen.“

„Aber Ihr habt nicht davon gegessen.“

„Was kümmert Euch, was mit dem Essen geschieht?“

„Haben die anderen gegessen?“

„Ich frage Euch noch einmal, was es Euch kümmert, was mit dem Essen geschieht.“

Es kümmerte ihn eben. Er hätte niemals so lange vor den Toren gewartet, wenn er gewusst hätte, dass in der Feste irgendjemand leiden musste. „Antwortet.“

Sie schlang die Arme um sich und betonte dabei umso mehr, wie schmal sie war.

Er fluchte leise. „Ihr kleine Närrin, Ihr habt überhaupt nichts gegessen.“

„Lieber eine Närrin als ein Verräter, der sich vor Dunbar gedrückt hat. Vermutlich habt Ihr auch gewusst, dass Eure Schwester weglaufen und meinen Vater dadurch in Gefahr bringen würde.“

Nein, ein Verräter war er keineswegs, trotzdem würde er sich daran gewöhnen müssen, so bezeichnet zu werden.

„Den Tod Eures Vater hätte ich nicht verhindern können“, sagte er.

„Das werde ich Euch niemals glauben! Seht Euch nur an, was ohne ihn und ohne seinen Schutz hier geschehen ist.“

„Wie meint Ihr das?“

Er wusste, was sie meinte. Etwas Schlimmeres als bloße Misswirtschaft hatte sich hier ereignet und diese Schäden verursacht. Im Lauf der ersten Tage hatte er wiederholt versucht, mit den Dorfbewohnern ins Gespräch zu kommen, doch sie hatten von ihm und seinen Leuten einfach keine Notiz genommen. Also hatte er sie alle und die Umgebung aufmerksam beobachtet. Ihre Häuser wirkten fast baufällig, und die Felder waren verbrannt. Für Letzteres war es eigentlich zu früh, weshalb er nur hatte hoffen können, dass sie schon früh mit der Ernte begonnen hatten. Und dass die Vorräte für den Winter in der Feste sicher untergebracht waren. Aber Lioslath war in sein Lager geschlichen, um sich bei seinen Essensvorräten zu bedienen, und trotzdem sah sie halb verhungert aus. Sie hatte hier in der Feste keine Vorräte mehr, überhaupt kein Vorräte.

In diesem einen Jahr waren ihm mehr Fehler unterlaufen als in seinem ganzen Leben davor. Irvette war umgekommen. Er hatte Verrat begangen, allerdings nicht, weil er nicht bei Dunbar gekämpft hatte, wie Lioslath und jeder seiner Landsleute glaubten, sondern aus einem anderen Grund.

Malcolm war mit dem Juwel unterwegs, und es machte Bram sehr zu schaffen, dass er nicht bei seinem Bruder sein konnte, um ihn zu beschützen. Aber damit war noch längst nicht das Ende der langen Liste seiner Verfehlungen erreicht.

Er selbst hatte Lioslaths Vater nicht auf dem Gewissen, aber ohne die geschlossene Allianz hätte Busby jetzt noch leben können. Zwar konnte er den Tod ihres Vaters nicht ungeschehen machen, doch er konnte ihrem Clan dabei helfen, den Winter zu überstehen. Endlich würde er einmal Wiedergutmachung leisten können, und zwar hier bei diesem Clan.

„Antwortet“, fuhr er sie an. Er würde sich nicht mehr lange beherrschen können, und wenn es um seine Beherrschung geschehen war, würde er völlig die Kontrolle über sich verlieren. Allerdings verlor er bei Verhandlungen niemals die Kontrolle über sich.

Doch es schien, als ob mit Lioslath in diesem Moment auch irgendetwas geschah. „Antwortet? Der mächtige Laird will von mir Antworten haben? Er ist auf meine Antworten angewiesen? Ihr verdient meine Antworten nicht.“ Sie schwankte wieder, als sie die Arme löste und die Hände ballte.

„Auf Euch kann man sich nicht verlassen, Ihr schert Euch nicht um das, was Ihr geschworen habt. Ihr wollt Wiedergutmachung leisten? Dafür seid Ihr zu spät!“

Sie hob die Faust mit eindeutiger Absicht. Jetzt hatte sie zwar keinen Dolch, doch sie wollte ihm wehtun. Nach zwei Schritten fielen ihr abrupt die Augen zu, die Beine knickten unter ihr weg.

Bram eilte zu ihr, um sie noch rechtzeitig zu fassen zu bekommen, bevor sie auf dem Boden aufschlug.

4. KAPITEL

Lioslath wachte auf, als sie merkte, dass jemand sie an sich drückte und irgendwohin trug. Sie erkannte Bram, der mit ausholenden Schritten den Saal durchquerte.

Er war ihr zu nah. So nah, dass sie den rötlichen Schimmer in seinen Haaren sehen konnte, die Spitzen seiner Wimpern. Sie konnte den Geruch von Leder riechen, den Geruch vom Leben unter freiem Himmel … seinen Geruch. Das war so verstörend wie die Tatsache, dass sie von ihm getragen wurde.

„Lasst mich runter.“

„Von wegen, Ihr kleine Närrin. Wie lange macht Ihr das schon so? Was glaubt Ihr, wie lange Ihr das noch hättet durchhalten können?“

Er hielt sie so eng an sich geschmiegt, dass sie durch den Stoff hindurch seine harten Brustmuskeln und die angespannten Armmuskeln spüren konnte. Und dennoch war es ein sanfter Griff, in dem er sie hielt.

Ob sie jemals so gehalten oder getragen worden war, wusste sie nicht. Aber er war Laird Colquhoun, und es hätte sich unangenehm anfühlen müssen, von ihm festgehalten zu werden. Zumindest hätte es sich ungewohnt anfühlen müssen, doch das Einzige, was sie wahrnahm, das war seine … seine Wärme.

Sie kämpfte gegen diese Wärme an, drehte den Kopf zur Seite und sah, dass Licht durch die Fenster in den Saal fiel. Ein Anflug von Angst ließ sie richtig wach werden. „Lasst mich runter“, verlangte sie.

Bald würde die Feste zum Leben erwachen, und sie wollte nicht, dass ihre beiden Brüder sie so sahen. Mit ihren fünf und sechs Jahren würden sie nur viel zu viele Fragen stellen. Ihre Schwester Fyfa würde mit ihren sieben Jahren das Ganze für so romantisch halten. Lioslath wusste, das würde sogar noch schlimmer sein.

„Erst, wenn wir Euer Schlafgemach erreicht haben.“

Sie war zu schwach, um sich gegen ihn zu wehren, aber sie war nicht zu schwach, um sich am ganzen Leib zu versteifen. Ihr entging nicht, dass er sie daraufhin fester hielt und die Stirn runzelte, doch er sagte nichts zu ihrer winzigen Trotzreaktion. In ihrer Kammer angekommen, legte er sie aufs Bett. Als sie sich sofort aufsetzte, wurde seine Miene noch ernster.

Autor

Nicole Locke
<p>Nicole Locke las ihren ersten Liebesroman als Kind im Wandschrank ihrer Großmutter. Später siedelte sie dann mit ihrer Lektüre ins Wohnzimmer um. Und noch später fing sie an, selbst Liebesromane zu schreiben. Sie lebt mit Mann und zwei Kindern in Seattle.</p>
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