In Amalfi wartet das Glück

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Vittore Mantezzini will seinen kleinen Sohn mit sich in seinen wunderschönen Palazzo an der Amalfiküste nehmen. Verity ist verzweifelt. Soll sie den Kleinen so schnell wieder verlieren? Doch dann bittet der attraktive Modefabrikant sie, ihn nach Italien zu begleiten …


  • Erscheinungstag 04.04.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529273
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Leseprobe

1. KAPITEL

Vittore legte den Hörer auf und starrte auf seine zitternden Hände. Nur langsam wurde ihm die Tragweite der Nachricht bewusst, und ein Glücksgefühl verdrängte die Leere, die er so lange verspürt hatte.

Ungeduldig wischte er die Freudentränen von seiner Wange.

Leo! dachte er außer sich vor Aufregung, während er im Laufschritt zur Tür seines Arbeitszimmers eilte. Mein Sohn!

Laut rief er nach seinen Angestellten, bis diese besorgt herbeigelaufen kamen. Mit seinen Anweisungen versetzte er das ganze Haus in helle Aufregung. Statt des unpassenden Maseratis brauchte er unbedingt einen Mercedes, Flug und Hotelunterkunft mussten gebucht und seine Tasche gepackt werden – pronto.

Mit langen Schritten und einem fiebrigen Glanz in den Augen eilte Vittore die breite, geschwungene Treppe des palazzo hinab. In der Auffahrt riss er die Tür seines Maseratis auf und schwang sich auf den Sitz, als ob ihm die Höllenhunde selbst auf den Fersen seien. Dabei hatte er seine Hölle endlich hinter sich.

Er streifte hitzig sein Kaschmirjackett ab und wartete voller Ungeduld auf das weiche Klacken des Kofferraumdeckels. Dann trat er das Gaspedal durch, wobei er beinahe vergaß, seinen verblüfften Angestellten mit einem Wink zu danken.

Endlich unterwegs! Er schnitt gekonnt die Kurven der kleinen Piazza, dann verschwand auch schon die prächtige Amalfiküste hinter ihm, während er mit Höchstgeschwindigkeit nach Neapel fuhr, nach London …

Zu seinem Sohn!

Er holte tief Luft. Leo, süßer Leo. Wahrscheinlich war er am Leben!

Vittore war von neuer Lebensfreude und Energie erfüllt. Er atmete flach, und seine Nerven spielten vor Aufregung verrückt.

Wie sollte er die Zeit bis zu seiner Ankunft in London überleben, ohne vor Erleichterung in lautes Schreien, Lachen oder gar Weinen auszubrechen?

„Bambino mio“, flüsterte er beklommen. Die Worte lösten eine Welle von Liebe, aber auch heftigen Schmerz aus. „Mein Kind. Mein Baby.“

So Gott wollte, würde er bald seinen geliebten Sohn wiedersehen. Gleich beim ersten Anblick des neugeborenen Kindes hatte völlig unerwartet eine unbändige Leidenschaft von Vittore Besitz ergriffen. Nur weil er das Baby so vergöttert hatte, hatte später der Schmerz seine Lebenskraft so extrem schwächen können.

Als er sich geistesabwesend durch seine ordentliche Frisur fuhr, fiel ihm eine Haarsträhne wild in die Stirn. Doch Vittore war es zum ersten Mal in seinem Leben völlig gleichgültig, ob er einen ungepflegten Eindruck machte. Für ihn zählte augenblicklich nur, dass in England seine große Liebe auf ihn wartete.

Er holte tief Luft. Er musste für eine ganze Weile das Atmen vergessen haben. Kein Wunder, denn seit über einem Jahr hatte er nur davon geträumt, Leo wiederzufinden.

Er hatte die endlosen Monate der Trennung mit einem gnadenlosen Arbeitspensum ausgefüllt, um die unerträglichen Qualen zu vergessen. Diese hatten trotzdem ihre Spuren in sein Gesicht eingegraben.

Das Unglück hatte Vittore zu einem Einsiedler gemacht. Aus dem lebhaften Mann, der das Leben liebte und sich um Freunde oder Verwandte kümmerte, war eine kalte, unerbittliche Maschine geworden.

Er hatte sein verwundetes Herz mit einem stählernen Panzer versehen. Das Leben war für ihn sinnlos geworden.

Doch jetzt wurde Vittore erneut von seinen Gefühlen überschwemmt. Ein schmerzender Kloß saß in seinem Hals. Sein Sohn musste siebzehn Monate alt sein. Bald würde er ihn wieder sicher in den Armen halten. Das war das Wunder, um das er jede Nacht in der schwer lastenden Stille seines Zimmers gebetet hatte.

Kurz nach dem folgenschweren Telefonat hatte er die Tür des Kinderzimmers geöffnet, die seit dem Tag vor vierzehn Monaten verschlossen geblieben war, an dem Linda den kleinen Leo entführt hatte.

Nichts war seitdem angerührt worden. In der Mitte des entsetzlich stillen Raums stand die wunderschön geschnitzte Wiege, in der Generationen der Mantezzinis während ihrer ersten Lebensmonate geschlafen hatten. Darüber hing ein buntes Mobile mit Bauernhoftieren. In handgeflochtenen Weidenkörben lag das Spielzeug, es war ordentlich gestapelt. Sein Sohn hatte es nie berührt.

Bei dem Gedanken daran, dass sein Kind wieder hier wäre und sein Herz erneut mit Freude erfüllen würde, begannen Vittores Knie zu zittern, und er griff haltsuchend nach der Türklinke. Plötzlich hatte ihn seine gewohnte Kraft verlassen.

Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich, als er an den Grund für die Rückkehr seines Sohnes dachte. Die Kreditanstalt hatte ihm am Telefon mitgeteilt, seine von ihm getrennt lebende Ehefrau sei vor zwei Monaten verstorben.

Er sei für den Kredit für ihr Haus in London verantwortlich, da sie ihn als Bürgen benannt hatte.

Er erschauerte. Hätte sie nicht seine Unterschrift gefälscht, wäre Leo für ihn unwiederbringlich verloren gewesen. Welch eine Ironie des Schicksals.

„Arme Linda“, murmelte er, hoffentlich würde sie Erlösung finden.

Er war kein Heiliger, auch wenn er ihr jetzt vergeben konnte. Anfänglich hatte er an Linda kein gutes Haar gelassen, weil sie ihm den geliebten Sohn geraubt hatte. Doch nun war er unglaublich traurig darüber, dass sie so jung hatte sterben müssen. Sie war erst dreißig Jahre alt gewesen. Es war eine Tragödie.

Plötzlich biss er entsetzt die Zähne zusammen.

Dio! Er hatte keine Ahnung, ob Leo überhaupt noch in Lindas Haus war. Nach ihrem Tod konnte alles Mögliche mit seinem Sohn geschehen sein, obwohl sie genügend Geld gestohlen hatte, um Personal zu beschäftigen. Allein der Schmuck seiner Mutter war ein Vermögen wert gewesen. Linda hatte zusätzlich ihren eigenen Schmuck sowie das gesamte Vermögen auf dem gemeinsamen Bankkonto mitgenommen.

Weil er ihre Abneigung gegen das Mutterdasein kannte, hoffte er inständig, dass sie ein Kindermädchen beschäftigt hatte, das Leo immer noch zu Hause betreuen würde.

Es sei denn, dass sein Sohn von einem Liebhaber Lindas oder entfernten Verwandten mitgenommen worden war. Oder schlimmer noch, dachte er wutentbrannt, dass Linda den ungeliebten Leo in ein Kinderheim gesteckt hatte.

Frustriert hämmerte er auf das Lenkrad ein und fluchte laut auf, als er eine Kurve schnitt, die sich um eine atemberaubende Klippe wand.

„Santo cielo!“ Vittore konnte es kaum mehr aushalten. Am liebsten würde er noch riskanter fahren, obwohl das bei diesen gefährlichen, lang gestreckten Kurven keinen Sinn machte. So sehr er sich ein Mittel wünschte, um seine zermürbende Ungewissheit zu lindern, würde ihn ein Unfall seinem Ziel nicht näherbringen.

Vittores schwarze Augen glühten vor Leidenschaft. Dieses Mal würde ihn nichts und niemand aufhalten können. All sein Reichtum und seine Macht waren angesichts seiner Liebe zu Leo bedeutungslos.

Die Intensität seiner Gefühle war geradezu beängstigend. Ihm war jedes Mittel recht, wenn er nur seinen Sohn wiedererlangen konnte.

Verity beugte sich mit schmerzendem Rücken über das schlafende Kind und küsste es auf seine zarte Wange. Liebe und Mitleid ließen sie die letzten furchtbaren Stunden vergessen.

Was für ein wundervolles Kind. Sie lächelte gerührt. Und was für ein anstrengender Tag! Sie reckte langsam ihre schmerzenden Glieder.

Verity fühlte sich müder denn je, aber sie war auch noch nie glücklicher gewesen.

„Liebster Leo, kleiner Räuber.“

Mit ihren Fingerspitzen berührte sie den süßen, entspannten Mund des Kindes. Sie lächelte voller Zärtlichkeit, als sie seine Arme mit den niedlichen Grübchen unter die Bettdecke steckte.

„Nacht, Sweetheart“, murmelte sie liebevoll. „Kleiner Halunke, kleine Klette, schlaf gut.“

Vor der Tür musste sie vor Erschöpfung innehalten. Ihre ganze Energie hatte sich verflüchtigt. Selbst wenn es um ihr Leben gegangen wäre, hätte sie sich nicht mehr rühren können.

Das war nicht weiter verwunderlich, weil der Kleine schon seit Wochen jeden Tag an ihr hing, ohne ihr eine Sekunde Ruhe zu gönnen. Verity hatte Verständnis für Leos Verhalten und tolerierte es geduldig. Vor nur zwei Monaten war seine Mutter gestorben. Armer Leo. Arme Linda.

Veritys Stimmung sank, als sie an ihre verstorbenen Adoptiveltern John und Sue Fox dachte, die Linda und sie selbst vor vielen Jahren aus einem Kinderheim geholt hatten. Sie seufzte. Sie hätten wirklich keine unterschiedlicheren Kinder aussuchen können.

Es war nicht leicht gewesen, im Schatten der schönen und begabten Linda zu leben. Im Grunde ihres Herzens war Verity immer noch verletzt, weil sie sich in dieser Familie als Kind ungeliebt und hässlich gefühlt hatte. Kein Wunder, dass sie ihre Adoptivschwester seit zehn Jahren nicht mehr getroffen hatte. Der einzige Kontakt waren seitdem die alljährlichen Weihnachtskarten gewesen.

Dennoch war Lindas Tod eine tragische Geschichte, vor allem weil der arme Leo schwer darunter gelitten hatte.

Veritys Gesicht verfinsterte sich. Seit ihr Linda eine Notiz hinterlassen hatte mit der Bitte, Leo zu betreuen, hatten auch Veritys Arbeit, ihre sozialen Kontakte und ihre Gesundheit schwer gelitten. Trotzdem hatte sie es noch keine Sekunde lang bereut, Leo ihr Leben zu widmen. Sie musste lächeln.

Als sie ihren verwaisten Neffen zum ersten Mal auf dem Arm gehalten hatte, hatte sie widersprüchliche Gefühle gehabt. Einerseits hatte sie sich gefreut, weil sie endlich jemandem ihre Liebe schenken konnte. Andererseits hatte sie panische Angst, weil Leo einfach nicht zu schreien aufhören wollte, und sie keinerlei Erfahrung im Umgang mit Babys hatte.

Aber ihr Mutterinstinkt war sofort erwacht, und ihr war augenblicklich klar gewesen, dass sie Leo zuliebe alles aufgeben würde. Er brauchte sie so sehr.

Leo kann meine ganze Liebe haben, dachte sie. Steif wie eine Marionette wankte sie zum Pool.

Verity sank in einen der Liegestühle auf der Terrasse. Ihre Knochen schienen sich verflüchtigt zu haben. Sie bestand nur noch aus einer schmerzenden Muskelmasse.

Sie musste leise lachen, als ihr ein paar Gänseblümchen auf die Brust fielen. Ihr Haar musste noch voll davon sein. Sie hatte mit Leo die kleinen weißen Blüten auf dem Rasen gepflückt, und er hatte sie ihr feierlich in die schwarze Lockenpracht gesteckt. Was für ein schöner Moment, dachte sie gerührt.

Später wollte sie ein ausgedehntes Bad nehmen. Momentan genügte es ihr, den Sonnenuntergang zu genießen, um Kraft für den nächsten Tag zu tanken.

Verity seufzte zufrieden. Trotz einer ganzen Schar von Freunden war ihr Leben früher leer gewesen. Durch Leo hatte es einen Sinn bekommen.

Da sein unsympathischer Vater tot war, und es keine weiteren Verwandten gab, die einen Anspruch auf ihren Neffen anmelden konnten, würde sie ihn adoptieren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie offiziell Mutter und Sohn sein würden. Sie bebte vor Vorfreude.

„Mein Sohn“, probierte sie aus. Es klang wundervoll. „Hallo. Ich bin Verity, und das ist mein Sohn Leo.“

Sie schlang die Arme um sich. Das süße Lächeln eines liebenden Kindes war das Schönste, was es gab auf der Welt.

Zumindest konnte es das Lächeln eines Kindes durchaus mit dem liebevollen Lächeln eines treuen, zärtlichen Mannes aufnehmen. Aber Verity hatte mit ihren neunundzwanzig Jahren immer noch keinen Mann kennengelernt, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte, obwohl ihre vielen Freunde sie andauernd verkuppeln wollten.

Verliebt strahlte sie Leos zartes Gesicht auf dem Monitor der Videoüberwachung an.

„Bis morgen früh um sechs, Sweetheart“, flüsterte sie gerührt.

Den Luxus eines videoüberwachten Kinderzimmers und eines Swimmingpools mit Palmen werden wir uns bald nicht mehr leisten können, dachte sie in Anbetracht der fatalen finanziellen Situation. Eher schon einen Pappkarton unter einer Eisenbahnbrücke. Wenn es ihr nicht gelang, neue Aufträge als Landschaftsgärtnerin zu akquirieren, würden sie und Leo in Zukunft die Gänseblümchen wohl essen müssen, statt sich damit zu schmücken.

„Hilfe!“, murmelte sie. „Wie soll ich denn arbeiten, wenn Leo den ganzen Tag an mir hängt wie ein Bergsteiger am Mount Everest?“

Ihre Sorgen bereiteten ihr Bauchschmerzen. Sie stand schwerfällig auf und schleppte sich zum Pool. Niedergeschlagen streckte sie erst einen, dann den anderen Fuß in das türkisfarbene Wasser. Der Sonnenuntergang tauchte das andere Ende des Beckens einladend in ein herrliches Mohnblumenrot. Doch ihr fehlte die nötige Energie, um sich auf dem Wasser treiben zu lassen, geschweige denn zu schwimmen.

Die Fernbedienung der Türsprechanlage, die an dem schmalen Band um ihre Taille hing, gab ein aufdringliches Summen von sich. Verity sah verärgert auf das Gerät. Ihre Freunde waren in Scharen gekommen, um den unglaublich hübschen Leo zu bewundern. Sie fanden Veritys Entscheidung amüsant, ihre Liebe zur Freiheit und Unabhängigkeit einem anhänglichen Kind zuliebe aufzugeben.

„Ich bin nicht da“, flüsterte sie. Es war bereits nach neun.

Es summte erneut, dieses Mal länger. Im Stillen verfluchte Verity den modernen Komfort mitsamt allen Hightechgeräten. Türklopfer konnte man ignorieren, technische Spielereien waren zu nachdrücklich.

„Also gut!“, murrte sie und drückte widerstrebend auf den Antwortknopf. „Ja, wer ist da?“, fragte sie mürrisch in den Hörer.

„Vittore Mantezzini“, antwortete eine seidige Stimme mit ausländischem Akzent.

Verity brauchte einen Augenblick, um zu realisieren, woher sie den Namen kannte. Dann blieb ihr vor Schreck die Luft weg.

„Vittore!“, rief sie entgeistert. „Du bist tot!“

Als sie sich schockiert zum Haus umwandte, verlor sie auf den nassen Kacheln ihr Gleichgewicht. Sie glitt aus und fiel in den Pool.

Das Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen, und sie sank in eine stille Welt hinab. Obwohl sie sich verzweifelt anstrengte, kam sie nur kurz an die Oberfläche, wo sie um Hilfe rief, bevor sie wieder in der Tiefe versank.

Die Fernbedienung der Türsprechanlage löste sich vom Gürtel und schlug ihr hart gegen ihre Schläfe.

Leo! dachte sie panisch. Ich darf nicht untergehen! Er braucht mich!

Sie paddelte aus Leibeskräften, bis es ihr gelang, wieder aufzutauchen und sich am Rand des Pools aus dem Wasser zu ziehen.

Als sie auf der Terrasse lag und nach Luft schnappte, hörte sie in der Ferne laut einen Mann rufen. Wahrscheinlich war es Lindas Ehemann.

„Himmel!“, stöhnte sie. „Lindas Ehemann!“

Nein, Witwer, korrigierte sie sich. Und plötzlich war ihr der Grund seines Besuchs klar.

Natürlich, dachte sie aufgeregt. Falls es kein Hochstapler war, musste Lindas Ehemann von ihrem schrecklichen Tod gehört haben. Und das bedeutete …

Er war gekommen, um ihr Leo wegzunehmen!

Die Welt begann sich zu drehen. Verity klammerte sich am Boden fest, als ob sich vor ihr ein Abgrund aufgetan hätte.

Er konnte ihr das Baby nicht wegnehmen. Leo war der Mensch auf der Welt, den sie am meisten liebte. Und das Kind brauchte sie so, dass es unweigerlich zu weinen begann, wenn sich Verity mehr als einen halben Meter von ihm entfernte!

Der Gedanke an eine Trennung ließ sie erstarren. Leo weinte panisch, sobald Fremde kamen. Er war ein verängstigtes, völlig verunsichertes Baby, das durch die Hölle gegangen war und eben erst wieder zu spielen lernte.

Leo konnte zu keinem anderen als zu ihr Vertrauen entwickeln. Es musste einen Ausweg geben. Sie kannte die Gesetzeslage nicht. Würde die Blutsverwandtschaft mehr zählen als Lindas Wunsch, Vittore das Sorgerecht für sein Kind zu entziehen?

Verity wurde übel. Auch wenn Vittore durch und durch unmoralisch war, war er immer noch Leos Vater. Vor dem Gesetz hatte er ein Anrecht auf seinen Sohn.

„Wie furchtbar!“ Vor Angst war sie wie gelähmt. Vielleicht hatte sie nicht das geringste Recht auf Leo.

2. KAPITEL

Verity strich sich die nassen Haare aus den Augen und stand unbeholfen auf. Ihr war zum Weinen zumute. Sie betete, dass es nur ein Hochstapler war, der die Todesanzeigen gelesen und Linda für begütert gehalten hatte. In diesem Fall würde sie es ihn büßen lassen, dass er sie vor Angst fast wahnsinnig gemacht hatte!

Sie schrak zusammen, als es erneut läutete. Die Fernbedienung an ihrem Gürtel schien nicht mehr zu funktionieren.

„Ich komme!“, rief sie hektisch.

Erschöpft ging sie in Richtung Vorgarten. Ihr langes, nasses Kleid behinderte sie bei jedem Schritt.

Falls es Vittore war, musste sie ihren Neffen vor ihm beschützen, ganz gleich wie die Rechtslage war.

Verity hätte sich mit Leo auch auf einer einsamen Insel versteckt, um ihn zu retten.

Sie trug die Verantwortung für dieses traurige kleine Baby und würde es nicht diesem Frauenhelden überlassen, der seinen Sohn ignoriert hatte – und noch weitaus schlimmere Angewohnheiten besaß.

Verity biss die Zähne zusammen. Vittores Untreue hatte die Ehe mit Linda zerstört und ihre Adoptivschwester in den Tod getrieben.

Als sie auf der Vorderseite des Hauses anlangte, entdeckte sie einen großen, untadelig gekleideten Mann vor dem Tor. Er schritt wie besessen auf und ab und befahl mit lauter, herrischer Stimme, dass man ihm sofort das Sicherheitstor öffnen solle!

Wie vor den Kopf geschlagen, ließ Vittore von der Klingel ab, als eine große, sinnliche Frau mit nachtschwarzen, glitzernden Locken auf ihn zugestürzt kam.

Die umwerfende Schönheit schien fürchterlich aufgebracht. Ein Träger ihres langen weißen Kleids war ihr von der gebräunten Schulter gerutscht. Der Ausschnitt gab den Ansatz ihrer schimmernden, herrlichen Brüste frei.

Stumm vor Staunen schnappte Vittore nach Luft. Ihr klatschnasses Kleid war wie bei einer griechischen Göttin in Falten um den Körper drapiert. Sie sah aus wie Venus, die dem Meer entstieg.

Erschrocken spürte er, wie es ihn in den Lenden durchzuckte. Sein Körper gewann kurz die Oberhand, bis er sich den Zweck seines Besuchs wieder ins Gedächtnis rief.

„Öffnen Sie mir“, befahl er herrisch. „Ich bin Vittore Mantezzini und begehre Einlass.“

„Ja? Zeigen Sie mir erst einmal Ihren Ausweis!“, entgegnete Verity kampflustig.

Die Verzögerung brachte Vittore zur Weißglut. Er war es nicht gewohnt, dass man ihm den Gehorsam verweigerte oder gar Befehle zu geben wagte. Er holte seinen Ausweis aus der Innentasche des Kaschmirjacketts und reichte ihn Verity wortlos.

Die meisten Menschen hätten beim Anblick von Vittores energischem Kinn und dem dunklen Glitzern in seinen harten Augen seine Aussage nicht infrage zu stellen gewagt.

Verity blickte finster auf das Foto und verglich es mit Vittore. Da es von Mailands bestem Society-Fotografen gemacht worden war, war tatsächlich eine schmeichelhafte Ähnlichkeit vorhanden.

Verity war sichtlich schockiert. „Du bist doch tot!“, protestierte sie.

Berühre mich und merke, wie lebendig ich bin, hätte er zu seiner Verblüffung fast gesagt. Eine Hitzewelle durchfuhr ihn, die seine verspannten Muskeln lockerte.

Es war neu für ihn, sich wieder lebendig zu fühlen und den Reiz einer attraktiven Frau zu spüren …

„Hat Linda dir das erzählt?“ Es ärgerte ihn, dass er sich durch ein hübsches, nein, vielmehr einzigartig schönes Gesicht hatte ablenken lassen. Er reagierte wohl so seltsam, weil er aus Vorfreude auf das Wiedersehen mit Leo ganz außer sich war.

Verity nickte niedergeschlagen. „Letzten Sommer“, flüsterte sie mit rauer Stimme. Sie wirkte verletzlich, weil sie zitterte und schlucken musste. „Linda hatte mir damals ihre neue Adresse mitgeteilt“, fuhr sie fort. „Sie schrieb, sie sei nach deinem Tod mit Leo nach England zurückgekehrt.“

„Linda hat gelogen“, entgegnete er schroff. „Wie du siehst, bin ich noch am Leben.“

Mit einem durchdringenden Blick schien sie sich davon überzeugen zu wollen, dass er wirklich kein Fantasiegebilde war. Vittore richtete sich auf und erwiderte ihren Blick.

Verity erschauerte. „Wenn ich gewusst hätte, dass du noch lebst“, murmelte sie mit zitternder Stimme, „hätte ich dich angerufen, als …“ Erschrocken hielt sie inne. „Du weißt, dass Linda …?“

„Tot ist. Ja.“ Er machte eine ungeduldige Handbewegung. „Ich will jetzt meinen Sohn sehen.“

„Unmöglich!“

Schockiert zuckte er zusammen. „Was hast du eben gesagt?“, fragte er drohend.

„Es geht nicht!“

Sie blitzte ihn mit ihren ungewöhnlichen veilchenblauen Augen an und warf ihren Kopf so heftig in den Nacken, dass Wassertropfen aus ihrem Haar sprühten. Gebannt sah Vittore auf die Gänseblümchen in ihrem dunkel glänzenden Lockenschopf.

Verity stemmte angriffslustig die Hände in die Hüften. Unvergleichlich, dachte er verwirrt beim Anblick der herrlichen Kurven. Unter anderen Umständen wäre das die Frau seiner Träume gewesen.

Autor

Sara Wood
Sara Wood wurde in England geboren. An ihre Kindheit hat sie wundervolle Erinnerungen. Ihre Eltern waren zwar arm, gaben ihr jedoch das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Ihr Vater kannte seine Eltern nicht, deshalb war er so glücklich über seine eigene Familie. Die Geburtstagsfeiern, die er gestaltete, waren sensationell: Er...
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